Bundesrat Stenographisches Protokoll 636. Sitzung / Seite 115

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Unter normalen Umständen ist es sicherlich im größten Interesse des Kindes, das Recht der Eltern zu respektieren, ihre Kinder ohne staatliche Einmischung so zu erziehen, wie sie es für richtig halten. Gleichzeitig wissen wir aber, daß manche Eltern ihre Kinder schwer verletzen und daß sie nicht immer in der Lage oder willens sind, ihre Kinder bestmöglich zu schützen. Für diese Kinder wird das Elternhaus zum Tatort ihrer schlimmsten Unterdrückung. In diesem Fall ist es notwendig, staatliche Maßnahmen zu setzen, um das Kind zu schützen. Wir sollten uns alle vergegenwärtigen, daß das Wohl des Kindes nicht eine, sondern die wesentliche Entscheidungsgrundlage unseres gesetzgeberischen Handelns in allen Bereichen sein sollte.

Wenn wir heute von einem "Bündnis für Kinder" sprechen, dann werden Sie alle sagen: Das ist ja eine Selbstverständlichkeit, da sind wir uns alle einig! Es genügt aber nicht, schöne Reden zu halten, es genügt auch nicht, sogenannte Charities oder Wohltätigkeitsveranstaltungen durchzuführen, bei denen man Spenden sammelt, um das eigene Gewissen zu beruhigen, denn was wir brauchen, ist konkretes Handeln zum Schutz unserer Kinder. Dazu möchte ich Sie als den zuständigen Ressortchef besonders auffordern und Sie auch bitten, uns konkret zu sagen, wann Sie welche Maßnahmen in der nächsten Zukunft planen. – Danke. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

16.31

Präsident Ludwig Bieringer: Zur Beantwortung hat sich Herr Bundesminister für Justiz Dr. Nikolaus Michalek zu Wort gemeldet. Ich erteile ihm dieses.

16.31

Bundesminister für Justiz Dr. Nikolaus Michalek: Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Bevor ich die Beantwortung der gestellten Fragen vornehme, möchte ich im Hinblick auf die teils über die gestellten Fragen weit hinausgehenden Ausführungen sowohl in der Begründung der Anfrage als auch in der vorhergehenden Wortmeldung einige grundsätzliche Bemerkungen zur Strafrechtspolitik und zu meiner Ressortführung machen.

Die Politik und die darauf gegründeten legislativen Vorhaben meines Ressorts haben sich stets einer rationalen und ausgewogenen kriminalpolitischen Zielsetzung verpflichtet gefühlt. Den pauschalen Vorwurf einer einseitigen, tätergünstigen, tendentiell entkriminalisierenden, die Funktion des Strafrechts aufweichenden, zuwenig opferorientierten Strafrechtspolitik muß ich entschieden zurückweisen. Auch muß ich sagen, daß manches von dem dafür in der Anfrage beziehungsweise von meiner Vorrednerin Angeführten mißverständlich in den Katalog von "Tätererleichterungen", wie es dort heißt, aufgenommen wurde. Manches wurde durchaus auch mit Zustimmung der Freiheitlichen Partei beschlossen, manches, etwa was Sie im Zusammenhang mit der Abschöpfung der Bereicherung gesagt haben, über ausdrückliches Betreiben des Justizsprechers der Freiheitlichen Partei.

Meine Damen und Herren! Das Bundesministerium für Justiz arbeitet legistische Vorschläge nicht "für Täter" und "für Opfer" aus, sondern ist im materiellen Strafrecht wie im Prozeßrecht um kriminalpolitisch zweckmäßige, ausgewogene, zeitgemäße Lösungsvorschläge bemüht. Ich halte die populär gewordene Zuspitzung strafrechtspolitischer Fragen auf die Opfer-Täter-Polarität für eine Vereinfachung, die eher geeignet ist, Emotionen auszulösen, als in der Sache weiterzuführen. In diesem Sinn kann ich für mich in Anspruch nehmen, den schon vor einem Jahrzehnt begonnenen Weg einer verstärkten Berücksichtigung von Opferinteressen mit der inneren Überzeugung fortgesetzt zu haben, daß die Aufgabe einer modernen Strafrechtspflege über die Verfolgung und Bestrafung von Rechtsbrechern hinaus auch darin besteht, legitimen Interessen und Rechten der Opfer von Straftaten den gebührenden Stellenwert einzuräumen.

Nach der teilweisen Neuordnung des Sexualstrafrechts im Bereich der Vergewaltigung unter vorrangiger Berücksichtigung von Opferinteressen durch die Strafrechtsgesetznovelle 1989 und den mit der Mediengesetznovelle 1992 verwirklichten Schutz vor einer ausufernden, Persönlichkeitsrechte des Opfers verletzenden Berichterstattung wurde mit dem Strafprozeßänderungsgesetz 1993 eine ganze Reihe von Opferschutzbestimmungen in die Strafprozeßordnung aufgenommen. Dazu gehören Anliegen des Zeugenschutzes im engeren Sinne ebenso wie sonstige Bedachtnahmen auf Opferinteressen. Insbesondere in den international anerkannten und für


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