Bundesrat Stenographisches Protokoll 636. Sitzung / Seite 116

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manche ausländische Rechtsvorhaben seither beispielgebenden Bestimmungen über die Verfahrensbegleitung durch Vertrauenspersonen und über die neue Möglichkeit der schonenden Vernehmung von kindlichen Tatopfern und von Opfern von Sexualverbrechen wird das Bemühen deutlich, die sogenannte sekundäre Viktimisierung durch das Strafverfahren gerade bei besonders schonungsbedürftigen Opfern zurückzudrängen.

Das Thema der Rechtsstellung des Verletzten im Strafverfahren steht auch im Zusammenhang mit einer breiten internationalen Tendenz zur stärkeren Opferorientierung des Strafrechts und des Strafverfahrens, die von einer stärkeren Einbeziehung der Wiedergutmachung bis zu Fragen des Zeugenschutzes reicht. Ich bin der festen Überzeugung, daß sich in der angesprochenen Sensibilisierung Anliegen und Sorgen der Bevölkerung niederschlagen, die ernst zu nehmen sind und sowohl dem Verlangen nach einer verstärkten Partizipation der von einem strafrechtlich relevanten Konflikt Betroffenen als auch einem sich wandelnden Grundverständnis des Strafrechtes und der Strafverfolgung entsprechen.

Mit der von mir in Aussicht genommenen gesetzlichen Anerkennung der Parteistellung des Opfers, unabhängig von vermögenswerten Ersatzansprüchen, im Strafverfahren ist die Verstärkung des Wiedergutmachungsaspektes im Rechtsfolgenbereich verbunden. Beide Gesichtspunkte beziehen sich auf die – selbst bei Betroffenen von interfamiliären Kontaktdelikten durch internationale Opferbefragungen belegbare – Erwartung, daß nicht nur das Viktimisierungsereignis selbst, sondern auch die spätere strafverfolgende Reaktion eine Angelegenheit mit öffentlichem Charakter darstellt. Wir müssen daher auch anerkennen, daß die öffentliche Strafverfolgung von der Mehrheit der Opfer als Dienstleistung und entlastende Hilfestellung erachtet wird.

Diesem Anliegen, nämlich dem Gedanken der Wiedergutmachung, aber auch des Eingehens auf die anderen Opferinteressen, zu denen durchaus auch die Genugtuung gehört, und des stärkeren Einbeziehens und Durchsetzens der Interessen der Opfer im Strafverfahren überhaupt, fühlt sich der zurzeit in Begutachtung stehende Entwurf einer Strafprozeßnovelle 1998, die heute auch schon angesprochen wurde, im besonderen Ausmaß verpflichtet – ein Entwurf, der mit den Schlagworten "außergerichtlicher Tatausgleich" und "Diversion" bezeichnet wird.

Dabei geht es freilich nicht um eine Entkriminalisierung, was ich nicht oft genug wiederholen kann, oder auch nur um eine Reprivatisierung der Bereinigung strafrechtlich relevanter Konflikte. Ganz im Gegenteil! Es ändert sich bloß die Art der staatlichen Reaktion auf bestimmte Formen strafbar bleibender, minder schwerer strafbarer Verhaltensweisen weniger gefährlicher Täter.

Auch beim außergerichtlichen Tatausgleich bleibt also die angesprochene Dienstleistungsfunktion des Strafverfahrens erhalten, weil der Staatsanwalt, abgesehen vom Vorliegen der übrigen Voraussetzungen, wie geringe Schuld und das Vorliegen der spezial- und generalpräventiven Voraussetzungen, pflichtgemäß auch zu beurteilen hat, ob die Einsicht des Beschuldigten in das Unrecht der Tat und die Bemühungen um Wiedergutmachung tatsächlich geeignet sind, die konkreten Interessen des Opfers zu fördern. Schon aus diesem Grund ist das Opfer in Bemühungen um einen außergerichtlichen Tatausgleich, sofern es dazu bereit ist, stets einzubeziehen.

Aber auch bei den anderen Formen der sogenannten intervenierenden Diversion soll die Position des Opfers weiter gestärkt werden. Ferner soll sich das Opfer – unabhängig von seiner allfälligen Stellung als Privatbeteiligter – aktiv an der diversionellen Verfahrenserledigung beteiligen können. In diesem Zusammenhang soll es daher künftig auch möglich sein, dem Verdächtigen spezifisch opferbezogene Verpflichtungen oder Auflagen als Voraussetzung für eine vorläufige Verfahrensbeendigung aufzuerlegen, die im Falle eines Schuldspruchs als Weisungen ausgesprochen werden könnten, wie beispielsweise: Kontakte zu der von der Straftat betroffenen Person zu unterlassen oder sich anstelle der Schadensgutmachung, wenn diese etwa von dritter Seite – denken Sie an die Versicherung beim Auto – erfolgte, um einen sonstigen Folgenausgleich zu bemühen. Im übrigen werde ich zu diesen Problemen bei der Beantwortung der einzelnen konkreten Fragen noch näher Stellung nehmen.


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