9.18
Bundeskanzler,
betraut mit der vorläufigen Leitung des Bundesministeriums für öffentliche
Leistung und Sport Dr. Wolfgang Schüssel: Hoher Bundesrat! Herr
Präsident! Erlauben Sie mir, dass ich, bevor ich die Regierungserklärung hier
abgebe – und zwar in einer etwas verkürzten Form, denn die schriftliche
Erklärung liegt Ihnen ja vor; ich glaube, es ist dies auch so in der
Präsidialkonferenz vereinbart worden –, einige Worte zum schrecklichen
Tod, zur Ermordung von Zoran Djindjic sage.
Zoran Djindjic ist vor nicht einmal
24 Stunden, um die Mittagszeit herum, von einem Scharfschützen vom
gegenüber liegenden Dach des Regierungsgebäudes aus erschossen worden. Ich muss
ganz offen sagen: Mich hat diese Ermordung tief getroffen, denn Djindjic war eine wirkliche Hoffnung für
diese ganze Region, für Südosteuropa, für den Balkan – nicht nur für
Serbien und Montenegro. Er war einer der ganz wenigen brillanten Politiker, die
eine europäische Vision und auch eine europäische Gesinnung verkörpert und
gelebt haben.
Wir Österreicher
haben da eine Rolle inne, die zwar im globalen Zusammenhang nicht übertrieben
werden darf, die aber, wie ich meine, gerade in diesem Bereich, in
Mitteleuropa, in Südosteuropa, in Richtung Balkan wichtig ist. Österreich hat
immer schon – das ist weit über die Parteigrenzen hinaus zu sehen –
eine Rolle zu leben versucht – diese ist auch angenommen und positiv
begründet worden –, die in Richtung Einbindung dieser Region in
europäische Strukturen, in verstärkte Demokratisierung, in wirtschaftliche
Zusammenhänge und Netzwerke und in Richtung Kulturaustausch gegangen ist. Wir
haben uns enorm bemüht, dieses neue Serbien, dieses neue Jugoslawien auf einen
europäischen Weg zu führen.
Für mich als
früheren Außenminister und jetzigen Bundeskanzler war Zoran Djindjic wirklich eine der ganz wenigen
Hoffungen in dieser Region, in diesem Land. Ich habe ihn immer unterstützt,
auch als er noch ein ganz unbekannter Oppositionspolitiker gewesen ist. Ich
werde es nie vergessen, wie er, als er das erste Mal nach Wien gekommen ist, im
Außenministerium seine Fragen, seine Hoffnungen und auch seine Befürchtungen
geäußert hat. Er ist dann einige Male, praktisch jedes Jahr ein-, zweimal
gekommen, zum Teil zusammen mit anderen Oppositionellen. Ich weiß auch, dass
viele politische Parteien – wo immer sie stehen – diese Hoffnung
sehr unterstützt haben.
Ich werde auch
nicht vergessen, was er mir, als ich meinen ersten Staatsbesuch beim damaligen
Ministerpräsidenten absolviert habe, erzählt hat. Er hat zweimal eine wirklich
historische Bedeutung erlangt, nämlich das erste Mal als er im Herbst 2000
mit einem absolut durchdachten und brillant geplanten demokratischen Coup
Milosevic gestürzt hat.
Er hat mir bei diesem meinem Besuch erzählt, dass in den Tagen und den Stunden
davor dreimal von Milosevic der
Tötungsbefehl gegen ihn ergangen sei. Die Armee habe sich geweigert, der
Geheimdienst habe sich geweigert, und die Präsidentengarde sei dann letztlich
unter dem Druck des Militärs vor diesem Tötungsauftrag zurückgeschreckt.
Er hat diese
Erzählung übrigens in einem sehr beeindruckenden Interview mit Paul Lendvai in
der „Europäischen Rundschau“ zu Protokoll gebracht.
Ein zweites Mal
hat Djindjic historische Bedeutung erlangt, als er am 28. Juni 2001,
ausgerechnet am Jahrestag der Schlacht am Amselfeld, was eine gewisse
Konnotation für jeden Serben hat, Milosevic gegen
heftigsten Druck im Inland, gegen die nationalistischen Kreise und die alten
Clan-Strukturen nach Den Haag ausgeliefert hat.
Ich glaube, dass
es wichtig ist, dass wir seiner gedenken, dass wir nicht einfach zur Tagesordnung
übergehen, dass wir wirklich versuchen, dieses Vermächtnis, das mit ihm
verbunden ist, mitzunehmen, und dass wir jene wenigen Hoffnungen, die es dort
noch gibt, stützen und stärken, damit die Attentäter nicht den Erfolg
davontragen, quasi einen doppelten Erfolg im Nachhinein. Ich würde Sie sehr
darum bitten, dass wir dieses Gedenken auch in diese heutige Sitzung mit
aufnehmen. (Alle Anwesenden verharren
einige Zeit in stummer Trauer.)
Meine Damen und
Herren! Nun zur Regierungserklärung:
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