Bundesrat Stenographisches Protokoll 704. Sitzung / Seite 27

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nämlich Deutschland und Frankreich den Stabilitätspakt, zumindest die Stabilitätskrite­rien in der Form, wie vereinbart.

Es ist nicht eine polnische Mär, die hier ausgebrochen ist. Meine Damen und Herren! Ich habe wirklich Verständnis für das Ringen der Polen. Bedenken Sie, wie oft dieses Land in der Geschichte schon allein in seinen Grenzgebieten hin und her geschoben wurde, dass es dann unter russische oder sowjetische Vormachtsstellung kam, jetzt einen ersten demokratischen Frühling erlebt – und nun bereits wieder fürchtet, seine Souveränität abgeben zu müssen.

Wir müssen die Traumata verstehen, die dahinter stehen. Aber eines – und das teile ich jetzt mit Professor Konecny – ist, glaube ich, klar: Der Parlamentarismus hat sich als stärker herausgestellt als die Konferenz – Voggenhuber sagt immer: der Reichs­fürsten – der Staats- und Regierungschefs, die offensichtlich andere Zwänge haben, wenn sie um 6 Uhr in der Früh in Nizza unterschreiben – und dann aufwachen und in einer Katerstimmung sind.

Wir müssen hier stärker denn je auf die gewählten Versammlungen, auf die gewählten Parlamente vertrauen, da die Staats- und Regierungschefs immer wieder dafür anfällig sind, Geschäfte zu machen. Das brauchen gewählte Gremien und Versammlungen nicht. Gib mir das, gebe ich dir das – dieses Spiel, meine Damen und Herren, führt dann zu solchen Tragödien oder Nicht-Tragödien. Ich halte es für keine Tragödie.

Aber es ist ein Innehalten, es ist ein Aufwecken. Allein die Verhaftung von Saddam Hussein hat das Scheitern des Gipfels am nächsten Tag aus allen Zeitungen und aus allen Titelzeilen verschwinden lassen. Aber es ist ein Innehalten, es ist ein Nach­denken darüber, dass Erweiterung und Vertiefung zwei Paar Schuhe sind.

Wenn Kollege Böhm meint, jetzt sei Schluss mit dem Erweitern, meine Damen und Herren, ... (Bundesrat Dr. Böhm: Das habe ich überhaupt nicht gesagt!) – Okay, ich korrigiere mich, ich habe das nur in dem Duktus so verstanden. Entschuldigung, Herr Kollege Böhm!

Wenn Herr Kollege Böhm meint, jetzt etwas langsamer oder einmal eine Pause einlegen, Kraft sammeln bei der Erweiterung: Meine Damen und Herren! Für das Friedensprojekt Europa dürfen wir eine Region nicht vergessen: den Balkan. Ein Frie­densprojekt Europa wird nur gelingen, wenn der gesamte Balkan Mitglied der Euro­päischen Union ist. Das, meine Damen und Herren, ist die wirklich große Heraus­forderung – nicht die EU-Regierungskonferenz über Stimmgewichte. – Ich danke Ihnen. (Beifall bei den Grünen und der SPÖ.)

10.00

 


Präsident Hans Ager: Als Nächster zu Wort gemeldet hat sich Bundeskanzler Dr. Wolf­gang Schüssel. – Bitte, Herr Bundeskanzler.

 


10.00

Bundeskanzler Dr. Wolfgang Schüssel: Herr Präsident! Hoher Bundesrat! Ich freue mich sehr, dass wir heute einen für Europa und für unsere Nachbarn und vor allem auch für Österreich wirklich historischen Beschluss fassen, nämlich die Wiederverei­nigung Europas. Ein Thema, das uns eigentlich in der Hoffnung, in der Perspektive seit Jahrzehnten begleitet hat. Und wenn ich ganz ehrlich bin, ich bin 1989 als Re­gierungsmitglied angelobt worden, ich hätte mir nicht erträumt, dass es in einer so kurzen Zeit, in einer politischen Generation von 1989 – unser eigener Beitritt war dann 1994, wirksam 1995 – bis 2004 so weit kommt. Das ist eigentlich alleine schon der Beweis dafür, dass Europa lebt, dass Europa viel mehr Kraft hat, als man ihm vielleicht am Anfang zugetraut hat, und dass wir auch in diesem Herzen Europas langsam den


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