Bundesrat Stenographisches Protokoll 723. Sitzung / Seite 52

Home Seite 1 Vorherige Seite Nächste Seite

Die Verfassungsänderung ist von vielen verfassungspolitischen Skrupeln begleitet und wird als so genanntes Anlassgesetz mit spitzen Fingern in die Hand genommen. Die freiheitliche Fraktion will sie, vermutlich aus unterschiedlichen Gründen, gar nicht erst in die Hand nehmen.

Zunächst gehen zahlreiche Gesetze auf einen ganz konkreten Anlass zurück. Ich erwähne beispielsweise spektakuläre Verkehrsunfälle mit Alkoholisierung oder Waffen­gebrauch. Viele Gesetze haben auch ein ganz punktuelles Ziel. Und so manche Be­stimmung unserer Rechtsordnung hat, der so genannten Lex Kampl vergleichbar, zumindest informell sogar einen Namen.

Tatsächlich problematische Anlassgesetzgebung im eigentlichen Sinne wäre es gewe­sen, die Wirkungen der Verfassungsänderung auf das zweite Halbjahr zu beschränken. Sie wirkt aber ganz allgemein und trägt auch noch anderen Gesichtspunkten als dem Anlassfall Rechnung.

Die Verfassungsänderung führt – und da knüpfe ich an die Ausführungen von Herrn Kollegen Hösele an – stärker als bisher vor Augen, dass der Vorsitz im Bundesrat, anders als in sonstigen parlamentarischen Gremien, eigentlich nicht einzelnen dafür gewählten Personen zukommt. Artikel 36 der Verfassung spricht seit jeher davon, dass im Vorsitz die Länder halbjährlich in alphabetischer Reihenfolge wechseln. Der Vorsit­zende ist, wie die Bundesverfassung auch sprachlich fein differenziert, genau genom­men gar kein Präsident, er führt lediglich diesen Titel.

In diesem Zusammenhang bitte ich unsere Kolleginnen um Verständnis dafür, dass ich der Einfachheit halber die männliche Funktionsbezeichnung und nicht kumulativ auch die weibliche verwende. Ich glaube nämlich auch gar nicht, dass uns eine Dame einen solchen Anlassfall bereitet hätte.

Der Bundesratspräsident übt diese Funktion vertretungsweise für sein Land aus. In die Rechte und Pflichten einer solchen Vertretung – auch im Zusammenhang mit den Mit­gliedern spricht die Verfassung ja nicht von Abgeordneten, sondern immer nur von Vertretern des Landes – spielt die seit 1920 offene Frage hinein, was der Bundesrat seinem Wesen nach eigentlich ist.

Die einen sehen im Bundesrat ein rein parlamentarisches Organ eines Zweikammer­systems, das sich von der ersten Kammer lediglich durch die Größe, durch die Art der Wahl und demzufolge gelegentlich auch durch die parteipolitische Zusammensetzung und in Österreich leider auch durch wesentlich geringere Rechte unterscheidet.

Andere – und ich zähle mich da durchaus dazu – sehen im Bundesrat ein Organ, mit dem die Länder Einfluss auf die Bundesgesetzgebung nehmen können. Das führt dann notwendigerweise zu der Schlussfolgerung, dass die Länder auf diese vertretungs­weise Mitwirkung Einfluss haben müssen – ebenso, wie ein Privater Einfluss auf jene haben will, die ihn vor Behörden oder in Rechtsstreitigkeiten vertreten.

Der Bundesrat ist von dieser Seite her betrachtet – ich sage dazu: es gibt natürlich auch andere Sichtweisen – kein unabhängiges Schiedsgericht der Bundesgesetz­gebung, sondern ein Vertretungsorgan mit den sich daraus ergebenden Besonder­heiten.

Es würde zu weit führen – und es ist heute auch nicht der Tag dazu –, diese Dis­kussion zu vertiefen, und daher möchte ich nur kurz aufzeigen, an welchen Stellen diese nach wie vor unentschiedene Grundsatzfrage überall sichtbar wird.

Interessant war, dass der sozialdemokratische Klubobmann – ich meine jetzt natürlich Cap und nicht Konecny – seinen sogar auf die jederzeitige Abberufbarkeit der Bun­desräte zielenden Vorschlag ausdrücklich damit begründet hat, dass das Bundesrats-


Home Seite 1 Vorherige Seite Nächste Seite