BundesratStenographisches Protokoll755. Sitzung / Seite 43

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Der Vertrag von Lissabon übernimmt damit große Teile jener Neuerungen, die bereits im EU-Verfassungsvertrag verankert waren. Allerdings unterscheiden sich die beiden Verträge in einigen Punkten doch wesentlich voneinander. So wird EU-Recht nicht mehr explizit Vorrang vor nationalem Verfassungsrecht eingeräumt, zudem wird auf Begriffe wie „Europäischer Außenminister“ und „Europäisches Gesetz“ verzichtet. Auch die Symbole der EU – etwa die blaue Europaflagge mit den zwölf goldenen Sternen und die Europahymne – wurden aus dem Vertrag gestrichen. Anstelle einer einheitli­chen Rechtsgrundlage, der EU-Verfassung, bleiben die Verträge der Europäischen Union bestehen: der EUV und der künftig in Vertrag über die Arbeitsweise der Union (AEUV) umbenannte EGV.

Die nationalen Parlamente werden mit dem Vertrag von Lissabon zu „Wächtern“ des sogenannten Subsidiaritätsprinzips. Dieses besagt, dass Entscheidungen innerhalb der Europäischen Union so nahe am Bürger wie möglich getroffen werden sollen. Die EU darf demnach nur dann aktiv werden, wenn die angestrebten Ziele nicht von den Mit­gliedstaaten selbst beziehungsweise auf regionaler Ebene erreicht werden können. Zu­dem müssen die von der EU vorgeschlagenen Maßnahmen verhältnismäßig sein und dürfen nicht über das Ziel hinausschießen.

Konkret sieht der Vertrag von Lissabon die Einrichtung einer Art „Frühwarnmechanis­mus“ vor. Die nationalen Parlamente haben demnach acht Wochen Zeit, um Rechts­setzungsvorschläge der EU-Kommission und andere Legislativvorhaben auf EU-Ebene auf die Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips zu prüfen. Dabei hat jedes Parlament zwei Stimmen, die sich in Zweikammersystemen wie Österreich auf die beiden Kam­mern (im Fall Österreichs Nationalrat und Bundesrat) aufteilen.

Bei einer ausreichenden Zahl von Einwänden seitens der Parlamente – grundsätzlich ein Drittel; im Bereich Justiz und Inneres ein Viertel der Gesamtstimmen – muss die EU-Kommission ihren Vorschlag überprüfen und, wenn sie dennoch dabei bleibt, umfassend begründen („gelbe Karte“). Macht eine Mehrheit der Parlamente Subsidiari­tätsbedenken geltend („orange Karte“), kann das Legislativvorhaben in weiterer Folge durch eine einfache Mehrheit im Europäischen Parlament bzw. von 55 Prozent der Mit­glieder des Rates, dem Gremium der zuständigen Minister, gestoppt werden.

Um die nationalen Parlamente in die Lage zu versetzen, ihre Mitwirkungsrechte effektiv auszuüben, ist die EU-Kommission verpflichtet, die Parlamente über alle Vorhaben der Union zu informieren und ihnen unverzüglich alle Legislativvorschläge zu übermitteln. Außerdem muss die Kommission ihre Gesetzgebungsvorschläge im Hinblick auf die Grundsätze der Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit umfassend begründen, vor der Vorlage eines Gesetzgebungsakts umfangreiche Anhörungen durchführen sowie den finanziellen Auswirkungen eines Vorschlags und dem damit verursachten Verwaltungs­aufwand ein besonderes Augenmerk widmen.

Der gegenständliche Staatsvertrag hat gesetzändernden bzw. gesetzesergänzenden Charakter und bedarf daher gemäß Art. 50 Abs. 1 Z 2 B-VG der Genehmigung durch den Nationalrat. Gemäß Art. 50 Abs. 1 Z 2 iVm Art. 50 Abs. 4 B-VG ist die Zustimmung des Bundesrates erforderlich.

Die Beschlüsse des Nationalrates sowie des Bundesrates bedürfen gemäß Art. 50 Abs. 4 B-VG jeweils der Anwesenheit von mindestens der Hälfte der Mitglieder und einer Mehrheit von zwei Dritteln der abgegebenen Stimmen.

Der Ausschuss für Verfassung und Föderalismus hat den gegenständlichen Beschluss des Nationalrates in seiner Sitzung am 23. April 2008 in Verhandlung genommen. Als Auskunftspersonen gemäß § 33 GO-BR sind der Präsident des Vorarlberger Landta­ges Gebhard Halder als Vorsitzender der Landtagspräsidentenkonferenz und Gesand-


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