BundesratStenographisches Protokoll755. Sitzung / Seite 70

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Was mich aber wirklich bedenklich stimmt und was mich auch als engagierten Euro­päer und Völkerrechtler und Jurist, der ich auch bin, mit Sorge erfüllt, ist, dass man sich sehr oft nicht an die Tatsachen hält. Das ist für mich nämlich eine der Grundvor­aussetzungen, über irgendetwas zu diskutieren, dass man zumindest außer Streit stellt, was die Tatsachen sind. Meinungen kann man ja verschiedene haben.

Ich möchte daher, wenn Sie mir das gestatten, auf die Rede der Frau Bundesrätin Mühlwerth zu sprechen kommen, weil für meine Sorge und meine Bedenken, gerade was die Tatsachen betrifft, die man eigentlich objektiv nachlesen könnte (Bundesrat Mag. Klug: Und nicht tut!), diese Rede ein gutes Beispiel darstellt. Ich gehe auf die drei Punkte, die hier vorgebracht worden sind, ein:

Erstens: die Verschleierung. Sie haben von einer Verschleierung gesprochen, haben Professor Öhlinger zitiert. Ich darf an eines erinnern: Als Österreich 1994 eine Volksab­stimmung über den Beitritt zur Europäischen Union durchgeführt hat, die bekanntlich mit großer Mehrheit für die Union ausgegangen ist, sind wir in ein Acquis eingetreten, also in einen Rechtsbestand der Europäischen Union. Und genau dieser Rechtsbe­stand wurde der österreichischen Bevölkerung unterbreitet. Ein wesentlicher Bestand­teil dieses Rechtsbestandes und einer der Hauptgründe, warum auch eine Volksab­stimmung abgehalten werden musste, weil es sich um eine Gesamtänderung der Bun­desverfassung gehandelt hat, war die Frage des Vorranges des Gemeinschaftsrechts vor dem österreichischen Bundesrecht.

An diesem Vorrang, der zum ersten Mal 1964 in einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes festgelegt worden ist und der bereits 1994 völlig außer Streit gestanden ist, an diesem Rechtsbestand hat sich überhaupt nichts geändert, was diesen Vertrag betrifft. Es ist richtig, dass der Verfassungsvertrag eine ausdrückliche Bestimmung enthalten hätte, die diesen Grundsatz, der auf Grund der Rechtsprechung des Euro­päischen Gerichtshofes ohnehin gilt, festgeschrieben hätte, kodifiziert hätte, die dieser Vertrag nicht enthält.

Sie sagen, es steht in einer Erklärung drinnen. – Erklärungen sind nun einmal keine Vertragsbestandteile, sie sind nicht Teil des Primärrechts der Europäischen Union. Es ändert sich also an diesem Vorrang des Gemeinschaftsrechts vor dem Bundesrecht überhaupt nichts, und Professor Öhlinger, den ich besonders schätze, hat über Ersu­chen des Herrn Bundespräsidenten genau das festgestellt: Er, der beim Verfassungs­vertrag noch der Meinung war, man hätte eine Volksabstimmung machen müssen, weil wegen dieser Vorrangsbestimmung eine Änderung eingetreten wäre, hat nunmehr ge­sagt: Weil diese Bestimmung nicht mehr enthalten ist, kommt auch er zu dem Schluss, dass eine obligatorische Volksabstimmung nicht mehr erforderlich ist.

Zweitens: Eigenmittelbeschluss. Also: Ich vermag – aber vielleicht lese ich den Vertrag falsch – zwischen dem alten Artikel 269 und dem neuen Artikel 269 keinen Unterschied zu erkennen. Es ist auch im neuen Artikel 269 – ich nehme an, Sie haben ihn gelesen, Frau Bundesrätin – davon die Rede – Sie haben nämlich alles zitiert – außer den letz­ten Satz. Den letzten Satz haben Sie nicht zitiert. Im letzten Satz, wenn Sie den nach­lesen, Artikel 269, steht, dass selbstverständlich in allen Mitgliedstaaten ein Ratifika­tionsprozess stattzufinden hat. Also es ist schlicht und einfach nicht wahr, dass beim Eigenmittelbeschluss nur die Regierungen beschließen – die müssen übrigens auch einstimmig beschließen –, sondern es müssen auch die Parlamente ratifizieren. Also Sie, alle Abgeordneten, haben ... (Bundesrätin Mühlwerth: So steht das nicht drin­nen!) – In dem Text, den ich habe, steht es drinnen. (Heiterkeit bei Bundesräten von SPÖ und Grünen. – Ruf bei der SPÖ: Sie hat einen anderen Text!) – Das ist möglich. Ich meine, das ... (Bundesrat Mag. Klug: Ich glaube, das Problem können wir lösen! Ich habe den Text da!)

 


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