BundesratStenographisches Protokoll755. Sitzung / Seite 90

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denen es im Vergleich zu Nizza, dem jetzt gültigen – und wenn dieser Vertrag nicht be­schlossen werden sollte, auch weiterhin gültigen – Vertrag, Verbesserungen gibt: Die schon erwähnte Grundrechtscharta wird rechtsverbindlich. Die EU tritt der Menschen­rechtskonvention bei. Es gibt mehr Rechte für das Europäische Parlament. Es gibt auch eine stärkere Einbindung der nationalen Parlamente. – Es kann also gar nicht die Rede davon sein, dass die nationalen Parlamente jetzt nichts mehr zu tun hätten oder alle ihre Einflussmöglichkeiten abgeben würden.

Es wird zukünftig – das ist mir sehr wichtig – die Möglichkeit eines europaweiten Bür­gerinnen- und Bürgerbegehrens geben. Das ist nur der Anfang einer direktdemokrati­schen Beteiligung, aber es ist ein wichtiger erster Schritt, und ich glaube, hier darf nicht aufgehört werden, sondern in diese Richtung muss es dann auch weitergehen. Und: Unter den Zielen der Union werden in Zukunft die soziale Marktwirtschaft, Vollbeschäf­tigung und auch der Klimaschutz explizit genannt werden.

Zu guter Letzt: Wenn dieser Vertrag von Lissabon in Kraft tritt, dann werden Staaten künftig auch austreten können. – Jetzt gibt es dann manchmal dieses, ich weiß nicht, nicht sehr originelle Argument: Das ist ja dann so, als würde man heiraten, damit man sich scheiden lassen kann! – Wenn man es sich genau anschaut, sind wir schon ver­heiratet, aber jetzt können wir uns noch nicht scheiden lassen. Allen Kritikern sei ge­sagt: Das ist schon eine Möglichkeit, die, wenn die Kritik wirklich so fundamental und weitgehend ist, ihnen eigentlich gefallen müsste.

Ich möchte auf zwei zentrale Kritikpunkte eingehen, die im Zusammenhang mit dem Vertrag von Lissabon immer wieder vorgebracht werden und die in einem gewissen Ausmaß schon auch ihre Berechtigung haben. Das ist einerseits der Kritikpunkt, dass der Vertrag neoliberale Wirtschaftspolitik festschreibt, andererseits der Kritikpunkt der Militarisierung der EU.

Der erste Kritikpunkt hängt sich an der Bestimmung auf, dass der Vertrag die EU-Staa­ten zu einer Wirtschaftspolitik der offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb ver­pflichtet. Hier ist es schon wichtig zu sehen, dass diese Bestimmung genau so auch in den jetzt gültigen Verträgen steht. Das heißt, wenn dieser Vertrag von Lissabon nicht beschlossen wird, dann haben wir in diesem Punkt rein gar nichts gewonnen, denn auch diese Regelung wird weiterhin so in den gültigen Verträgen stehen. So gesehen ist es schon ein Fortschritt, wenn im Vertrag von Lissabon jetzt auch die soziale Markt­wirtschaft mit den Zielen der Vollbeschäftigung und des sozialen Friedens festgeschrie­ben wird. – Das sind Worte auf Papier. Es wird dann die Aufgabe der EU und auch die Aufgabe der jeweiligen Regierungen sein, dass diese Worte auf Papier umgesetzt wer­den, weiterverfolgt werden und nicht nur leere Worte bleiben. (Beifall bei den Grünen.)

Es ist keine Frage, es gibt noch ganz viel zu tun, bis die EU in sozialer Hinsicht so aus­schaut, wie ich mir und wahrscheinlich sehr viele der KritikerInnen sich das wünschen würden. Aber es ist ein erster Schritt, und um diesen Schritt zu machen, müssen wir einfach auch diesem Vertrag zustimmen.

Zum zweiten Punkt – das ist ein Punkt, der mir auch sehr wichtig ist und auch nahe­geht –: Der EU-Vertrag spricht von einem militärischen Kerneuropa. Und wir lehnen das ab. Wir sind nicht der Meinung, dass die EU sich so sehr militärisch ausrichten sollte. Aber – und das ist jetzt der zentrale Punkt, warum ich trotzdem zustimmen kann – die Zuständigkeit für militärische Angelegenheiten bleibt in Händen der Mitglied­staaten. Das heißt, es kann kein Mitgliedstaat – egal, was verbreitet wird – gezwungen werden, an einem militärischen Einsatz teilzunehmen, und das betrifft auch den Pas­sus über die Terrorismusbekämpfung. Damit es hier gar keinen Zweifel gibt, möchte ich die entsprechende Stelle zitieren:

 


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