Nationalrat, XX.GP Stenographisches Protokoll 37. Sitzung / Seite 62

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kann ein Lehrling, der sechs Monate Berufsschule modulartig gemacht hat – da weiß ich, diese sechs Monate ist er im Betrieb, jene sechs Monate in der Schule – nicht nach Absolvierung weiterer Module nach Ende seiner Lehrzeit bis zur Fachhochschulreife kommen? Kann es nicht viel attraktiver für viele junge Menschen sein, zu sagen: Ich gehe den Weg der Lehre, da ich denselben Weg in die tertiäre Bildungsstufe habe, wie wenn ich in eine weiterführende Schule gehe!?

Wir haben doch viel zu viele Abbrecher, Frau Unterrichtsminister. Wir haben viel zu viele AHS-Abbrecher, wir haben viel zu viele BAS-Abbrecher. Wir sollten uns in der Wirtschaft noch mehr mit Lehrlingsausbildung auseinandersetzen. Unser Ziel sollte es sein, in die Lehrlingsausbildung zu investieren. Nur, unter den jetzigen Umständen, unter den jetzigen Rahmenbedingungen, die dieses Parlament beschlossen hat, die diese Bundesregierung gesetzt hat, haben wir nun einmal den Effekt – das ist den Statistiken zu entnehmen –, daß immer weniger Betriebe bereit sind, diese Verantwortung wahrzunehmen, weil sie sie nicht mehr zu leisten vermögen.

Meine Damen und Herren! Ich halte die Lehrlingsausbildung, die duale Ausbildung für unverzichtbar, das hat sie bewiesen. Ich meine aber, daß sie umgehend wesentlich reformiert werden muß, daß wir aber dann bei neuen Berufsschulgestaltungen in den Betrieben wieder mehr Lehrlinge aufnehmen können, da wir ja, wenn ein Lehrling nur sechs Monate im Betrieb ist – die Dualität: halbe Zeit hier, halbe Zeit dort –, die Zahl der jungen Menschen, die bei uns ausgebildet werden, verdoppeln können.

Die Welt ist komplizierter geworden, die Ausbildungsanforderungen sind größer geworden –passen wir diesen Problemen auch die Lehrlingsausbildung an! – Danke. (Beifall beim Liberalen Forum.)

12.42

Präsident Dr. Heinz Fischer: Der vorläufig letzte Redner ist Herr Abgeordneter Van der Bellen. – Bitte.

12.42

Abgeordneter Dr. Alexander Van der Bellen (Grüne): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte etwas zur Finanzierung der dualen Ausbildung sagen und im wesentlichen für eine stärkere Beteiligung des Staates an dieser Finanzierung plädieren.

Ganz grob gesagt: Mir scheint, der Lehrling hat drei Segmente in seiner Arbeitszeit und seiner Tätigkeit: Der Lehrling arbeitet erstens für den Betrieb, und es ist klar, daß der Betrieb für diese Tätigkeit eine Entschädigung zu leisten hat.

Zweitens erwirbt der Lehrling – im Jargon der Ökonomen, Sie entschuldigen – so etwas wie firmenspezifisches Humankapital, das ist Wissen, das er vor allem und in erster Linie in diesem Betrieb weiterverwerten wird und weiterverwenden kann. Für den Betrieb allerdings ist das nur insoweit von primärem Interesse, als der Lehrling nach der Ausbildung noch einige Zeit im Betrieb bleibt.

Drittens erwirbt der Lehrling natürlich allgemeine Kenntnisse, die er in seinem Beruf im Prinzip an jedem beliebigen Arbeitsplatz verwenden kann.

Es war meines Erachtens immer schon problematisch, die Gesamtfinanzierung für diese Ausbildung dem Betrieb anzuhängen, nur ist das jahrzehntelang nicht aufgefallen. Es ist so lang nicht aufgefallen, solang die Arbeitskräfte knapp, nicht im Überschuß vorhanden waren, solang die Mobilität der Arbeitnehmer geringer war als heute. Aber je stärker diese Mobilität wird, die wir ja im Prinzip fördern wollen durch die Schlagworte "Flexibilität", "mehr allgemeinere Ausbildung" und so weiter, mit anderen Worten, je schwächer die Betriebsfixierung nach der Ausbildung wird, desto uninteressanter wird für es den Betrieb, in seinem Eigeninteresse Lehrlinge auszubilden.

Spöttisch oder zynisch kann man sagen: Es steigt das Interesse des Betriebes, "Schwarzfahrer" im System zu werden, nämlich Leute anzustellen, die von anderen Betrieben ausgebildet


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