Nationalrat, XX.GP Stenographisches Protokoll 40. Sitzung / Seite 44

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Herr Minister! Sie wissen das ganz genau, und trotzdem haben Sie der ÖVP-Forderung nach Anhebung der Freigrenzen entsprochen, so nach dem Motto: Das wird schon irgendwie gehen, betrifft ja ohnehin nur ein paar! Doch diese fallen dadurch völlig aus der sozialen Sicherung heraus, oder werden in die Arbeitslose abgedrängt und kommen nicht mehr heraus. Dann kommen Sie, Herr Minister, auf der anderen Seite mit Programmen für Langzeitarbeitslose daher und sagen: Geht arbeiten! Wenn er aber arbeiten geht, wenn er einen Werkvertrag annimmt – und er hat keine andere Möglichkeit als Kameramann, das hat er gelernt –, dann verliert er das Arbeitslosengeld, und wenn sein Beschäftigungsauftrag nicht über 7 000 S hinausgeht, verliert er jede soziale Absicherung, denn dann ist er in Zukunft nicht einmal mehr sozialversichert.

Das ist die Realität! Es wurde offensichtlich mit Geringfügigkeitsgrenzen, mit Freigrenzen jongliert, ohne zu bedenken, welche Konsequenzen das für die Betroffenen hat. Das ist unsozial, und das ist unverantwortlich! Das wird für bestimmte Gruppen verheerende Konsequenzen haben – auch wenn diese Gruppen nicht groß sind.

Ein anderes Beispiel aus dem Bereich der Freigrenzen – und das ist meiner Ansicht nach eigentlich eines der bezeichnendsten –: die Tagesmütter. Es ist kein Zufall, daß wir in Zukunft mit fünf, sechs oder sieben verschiedenen Varianten von Tagesmüttern zu tun haben können. Schließen die Eltern mit der Tagesmutter einen privaten Vertrag ab, wie es in Niederösterreich und auch in anderen Bundesländern teilweise empfohlen wird, dann fällt überhaupt keine Sozialversicherung an. Schließt eine Organisation den Vertrag mit den Eltern beziehungsweise mit dem betroffenen Werkvertragsnehmer, dann gibt es in Zukunft die Möglichkeit von drei verschiedenen Arten von Werkverträgen, ja sogar vier.

Wenn die betreffende Tagesmutter noch einen anderen Hauptberuf hat, einen Werkvertrag, bis zu 3 600 S Freigrenze, wenn sie keinen anderen Beruf hat, dann darf sie bis zu 7 000 S in ihrer Tätigkeit als Tagesmutter verdienen, allerdings ohne Sozialversicherung – das ist ein großer sozialpolitischer "Erfolg" der Sozialdemokratie, daß die Tagesmütter in Werkverträge abgedrängt werden, wo sie keine Sozialversicherung haben –, und wenn der Werkvertrag über 7 000 S ausmacht, dann ist sie zwar zwischen 7 000 S und 8 000 S sozialversichert, braucht aber noch keine Steuer zu zahlen. Wenn jedoch die Tagesmutter das Pech hat, drei Kinder betreuen zu müssen und unter Umständen über 8 000 S hinauszukommen, dann fällt die Quellensteuer an, und das bedeutet zumindest bis zum Zeitpunkt des Einkommensteuerausgleiches eine Belastung, die das Einkommen der betroffenen Tagesmutter erheblich schmälern wird.

Dann gibt es natürlich auch noch die Möglichkeit der Beschäftigung der Tagesmutter in einem geringfügigen Beschäftigungsverhältnis: Bis zu 3 600 S hat sie keine soziale Sicherung, aber immerhin einen Unfallschutz. Außerdem gibt es in den meisten Bundesländern, ausgenommen in Wien, die Möglichkeit – diese wird in Zukunft vermutlich kaum jemand mehr nutzen –, in ein ordentliches Anstellungsverhältnis mit einem Verdienst von über 3 600 S zu treten. Diese Schiene hin zu ungesicherten Werkverträgen haben Sie, meine Damen und Herren, geschaffen. Ich halte es für unverantwortlich, daß Sie, ohne darüber nachzudenken, hier eine Gesetzesänderung beschließen, die verschiedene Leute völlig ungeschützt läßt (Zwischenruf des Abg. Dr. Leiner ), die niemandem tatsächlich weiterhelfen, sondern zu weiteren Umgehungsmöglichkeiten führen wird.

Herr Abgeordneter Leiner! Reden Sie doch mit Steuerberatern, reden Sie doch mit Unternehmensberatern! Hören Sie sich doch an, was die dazu sagen! Selbstverständlich werden in jedem Magazin in Österreich Tips gegeben, wie man die neuesten Werkvertragsrochaden, die Sie beschließen, wieder umgehen kann. Selbstverständlich lebt dieses Gesetz nur davon, daß es umgangen wird, weil es ein nicht administrierbares Gesetz ist, weil es Unklarheiten beläßt, weil es Unsicherheiten erzeugt, weil es derzeit niemanden in Österreich gibt, der dieses Gesetz tatsächlich beherrschen würde. (Widerspruch des Abg. Dr. Leiner. )

Meine Damen und Herren! Das ist die Verantwortung, die Sie zu tragen haben! Auf der einen Seite schreien Sie – gerade Sie von der ÖVP –: Kampf der Gesetzesflut! Mit dem Banner steht


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