Nationalrat, XX.GP Stenographisches Protokoll 70. Sitzung / Seite 102

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sagen der Zug schon beinahe abgefahren sei, daß es so etwas wie ein Tor zur NATO gebe, das sich nur zu bestimmten Zeitpunkten und für bestimmte Länder öffne.

Möglicherweise trifft das auf die Osterweiterung zu. Sie wissen aber selbst, Herr Kollege Scheibner, daß das sicherlich nicht auf Länder wie Schweden oder Österreich zutrifft. Das haben führende Vertreter Ihnen und uns gegenüber mehrmals bestätigt. Mein Verdacht ist: Es geht Ihnen mehr um eine Positionierung, da Sie wissen, daß im Regierungsübereinkommen klar verankert ist, wie und wann – nämlich im Herbst und im Frühjahr nächsten Jahres – diese Frage behandelt werden wird. Es steht auch drin, daß alle weiterführenden Optionen ernsthaft beraten werden, und das ist nicht mit überkreuztem Finger gesagt, sondern ernstgemeint, von beiden Seiten. Ich vermute, daß Sie sich schnell noch positionieren und ein Wettrennen unter jenen gewinnen wollen, die hoffen, daß die Geschichte sie einmal als Vorreiter bezeichnen wird. (Abg. Scheibner: Wir sind da schon längst am Ziel!)

Ich gebe zu, Herr Kollege, ich bin kein Kavallerieexperte. Aber ich bezweifle, daß jemand, dem entweder das Pferd durchgeht oder der vorschnell und unkontrolliert weggaloppiert, in der Fachsprache als Vorreiter bezeichnet wird. (Beifall bei der SPÖ und bei Abgeordneten der ÖVP.)

Wir brauchen eine ernsthafte Debatte, in der alle entscheidenden Grundlagen auf dem Tisch liegen. Wir müssen wissen, welche innerstaatlichen Fragen behandelt werden, und wir müssen wissen, wie hoch die Kosten eines NATO-Beitrittes sind. Das wird, wie Sie wissen, nicht nur der Mitgliedsbeitrag zum gemeinsamen Budget der Allianz und die Einmalzahlung sein, durch die wir nominell Miteigentümer der Fazilitäten werden, sondern dabei geht es auch um die Kompatibilität des NATO-Telekommunikationssystems, die Integration des Luftüberwachungssystems, die Verknüpfung der Datenverarbeitung mit dem NATO-System und der Flugsicherungsmaßnahmen mit dem IFF-System, Waffensystemebezug et cetera. Diese Informationen, auch jene über die anzupassende Organisationsform des Heeres, müssen in diesem Zusammenhang vor der Entscheidung als Entscheidungsgrundlagen auf dem Tisch liegen.

Vor allem aber ist es wichtig, in diesem dynamischen Prozeß den richtigen Zeitpunkt zu wählen. (Abg. Jung: Das wird davon abhängig sein!) Ich gestehe Ihnen zu, daß ich mit vielen der Analysen in Ihrem Antrag übereinstimme. Aber Sie sagen nicht, warum es so rasch sein muß. (Abg. Scheibner: Rasch? Sechs Jahre haben wir schon verloren!) Viel vernünftiger sind die Beratungen auf der Linie der Regierung. Wenn man weiß, wie das Ergebnis der EU-Regierungskonferenz lautet, was das NATO-Gipfeltreffen gebracht hat und wie das Abkommen mit Rußland finalisiert wurde, wird ein weit besserer Zeitpunkt sein, in diesem dynamischen Prozeß alles zu bewerten und die Entscheidung zu treffen.

Meine Damen und Herren! Der Antrag geht überhaupt nicht auf das Spannungsverhältnis zwischen NATO-Beitritt und Neutralität ein. Er tut so, als ob es die Neutralität nicht mehr gäbe. (Abg. Jung: Sie schaffen sie eh morgen ab!) Sie wissen wahrscheinlich nicht, daß die Neutralität verfassungsrechtlich und völkerrechtlich verankert ist.

Freilich ist eine Debatte darüber zulässig, auch wenn wir den Zeitpunkt jetzt nicht für geeignet halten. Aber unzweifelhaft ist, daß die Mitgliedschaft in der NATO, wie sie sich heute darstellt, mit der Neutralität und dem Neutralitätsgesetz nicht vereinbar ist. Ich spreche dabei nicht von der Truppenstationierung. Diese wäre in einem eigenen Vertrag zu regeln, und dafür fänden wir sicherlich eine geeignete Lösung. Ich meine auch nicht die Frage der Stationierung von Atomwaffen, denn diese sind luft- oder seegestützt, und so etwas wird niemand von uns verlangen. Wohl aber spreche ich von dem, was sich mit der Neutralität, auch in ihrer Reduktion auf den inneren Kern, schlägt: Das ist Artikel 5 in Verbindung mit Artikel 6 des NATO-Vertrages, nämlich die Beistandspflicht im Sinne einer Selbstverteidigung nach Artikel 51 der Satzung der Vereinten Nationen, also Maßnahmen vor einem Beschluß des Sicherheitsrates.

Präsident Dr. Heinz Fischer: Ich bitte um den Schußsatz!

Abgeordneter Peter Schieder (fortsetzend): Ein NATO-Beitritt unter den derzeitigen Militärpaktbedingungen der NATO ist mit der Neutralität nicht vereinbar. Deshalb wollen wir uns nicht


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