Nationalrat, XX.GP Stenographisches Protokoll 76. Sitzung / Seite 87

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Sehr geschätzter Herr Bundesminister! Das ist schon jahrelang in Diskussion. Als ich gerade zu studieren begonnen habe, haben die "kritischen Mediziner" den Fall Gross an die Öffentlichkeit gebracht. Wenn man, wie Sie das jetzt bestätigt haben und was in der Öffentlichkeit auch bekannt ist, 1981 nichts tut und 1995 diese Schlüsse zieht, die Volker Kier vorhin hier erörtert hat, dann, Herr Bundesminister, hätte ich in dieser Situation im Jahr 1997, wo es in der Öffentlichkeit eine weit höhere Sensibilität gibt, was die NS-Zeit in Österreich und was Schuld und Mitschuld von Österreicherinnen und Österreichern zur damaligen Zeit angeht, im ausgehenden Jahrtausend eine weit höhere Sensibilität als noch in den achtziger Jahren, erwartet, daß Sie sich jetzt an die Spitze derer stellen, die alles tun, damit hier nicht weiter vertuscht wird, nichts weiter verschwindet und man nicht weiter inaktiv bleibt – ganz im Gegenteil.

Herr Bundesminister! Ich bekomme viele Briefe aus dem "Häfen", denn sehr, sehr viele, die in Österreich einsitzen, wenden sich an die Justizsprecher und wollen Hilfe. Ich habe auch jetzt, nachdem in den Zeitungen von der Aktivität meines Kollegen Öllinger berichtet wurde, Briefe bekommen, nämlich von Häftlingen, deren Gutachter Herr Dr. Gross war.

Einer schreibt mir – ich habe in der Geschwindigkeit nur einen Brief hergeholt –: Ja, Frau Abgeordnete, ich bin ein Verbrecher. Ich habe gestohlen, betrogen und in meinem Alkoholdusel auch geraubt. Aber wo führt es hin, daß die Justiz seit 50 Jahren weiß – er meint jetzt die Justiz, die Politik insgesamt –, wer dieser Heinrich Gross ist, daß diese Justiz zahlreiche Anzeigen zurückgestellt hat, daß diese Justiz es zwar nicht zuläßt, daß ein Vorbestrafter Straßenkehrer und Kanalräumer wird, einen Mann, der wohl den Tod von mehr als 200 Kindern auf dem Gewissen hat, aber als Gerichtssachverständigen heranzieht, der zu entscheiden hat, ob ein Dieb, Räuber et cetera alle Sinne beisammen hat, und der über Schuldausschließungsgründe wesentliche Grundlagen liefert? – Das sind die entscheidenden politischen Fragen, Herr Bundesminister!

Wir – speziell Karl Öllinger – werden nicht lockerlassen. Wir werden diese Fragen, die Sie nicht beantwortet haben, immer wieder stellen. Wir werden die Forderung nach einem zeitgeschichtlichen, nach einem medizinhistorischen Gutachten, um in dieser Sache weiter verfahren zu können, immer wieder stellen. Wir werden auch die Frage weiter relevieren, wie man 1997 in Österreich behaupten kann, es ist die NS-Gesetzgebung zur Anwendung gekommen, und wir das formal zur Kenntnis nehmen müssen.

Herr Bundesminister! Es ist mir zu wenig, wenn Sie fordern, daß die Präparate "Am Spiegelgrund" jetzt nicht entfernt werden, nicht verschwinden – was immer damit geschieht. Alles, was vom "Spiegelgrund" noch da ist, ist sicherzustellen. Es geht nicht nur um die Kindereuthanasie. Es geht dort auch um das Jugendlichen-Euthanasieprogramm. Es geht um das Unrecht, das dort passiert ist. Es geht um die Verpflichtung, die wir heute haben.

Ich möchte im Anschluß an die Ausführungen von Frau Primaria Dr. Pittermann noch hinzufügen: Ich bin überzeugt davon, daß Ärzte eine große, eine größere Verantwortung haben, aber für mich als Politikerin ist es jetzt angebracht, zu sagen, daß es nicht allein um die Verantwortung von Ärzten geht, sondern mir geht es darum, daß wir, die wir heute aktive Politikerinnen und Politiker sind, uns nicht einmal den Vorwurf machen lassen müssen, daß wir nicht nach dem Grundsatz "Niemals vergessen!" gehandelt haben. (Beifall bei den Grünen, der SPÖ und dem Liberalen Forum.)

15.10

Präsident MMag. Dr. Willi Brauneder: Zu Wort ist nun niemand mehr gemeldet. Die Debatte ist damit geschlossen.

Anträge auf Einsetzung von Untersuchungsausschüssen

Präsident MMag. Dr. Willi Brauneder: Wir gelangen nunmehr zur Verhandlung über den Antrag der Abgeordneten Dr. Schmidt und Genossen auf Einsetzung eines Untersuchungsausschusses zur Überprüfung der politischen Verantwortlichkeit der Bundesregierung – insbesondere des Bundesministers für auswärtige Angelegenheiten, des Bundesministers für Inneres und des Bundesministers für Justiz – sowie vermuteter rechtswidriger Einflußnahme durch


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