Nationalrat, XX.GP Stenographisches Protokoll 139. Sitzung / 52

sehr viel Diskretion reden, sie einschätzen, beurteilen. Aber gerade in der Frage der Kunst, die genauso gelernt, studiert und erarbeitet, durchdrungen und durchdacht werden muß, habe ich in der letzten Zeit den Eindruck, noch nie soviel Unverschämtheit und Überheblichkeit gehört und beobachtet zu haben wie zuletzt. (Zwischenrufe bei den Freiheitlichen.) Ich nehme niemanden aus, aber die FPÖ hat sicher die Nase vorn. (Beifall bei der ÖVP. – Abg. Dr. Graf: Die FPÖ hat die Nase immer vorn! Sie tragen die Nase zu hoch, wir haben sie vorn!)

Ich erinnere mich in diesem Zusammenhang an den wirklichen Doyen der Wiener Moderne der Nachkriegszeit, Monsignore Otto Mauer, der gesagt hat, Kunst ist das, was Kenner dafür halten. Das sollten sich einige hinter die Ohren schreiben, ganz besonders in Ihrem (in Richtung der Freiheitlichen) Sektor.

Drittes "K": Kunden. Kunst lebt von der Auseinandersetzung; das ist ganz richtig. Keine Kunst will ins Depot, kein Gedicht, kein Theaterstück ist für die Ablage, für das Archiv geschrieben worden, keine Oper ist dazu komponiert worden, daß sie keiner hört, kein Fresko erarbeitet, keine Skulptur gegossen worden, um nicht gesehen zu werden. Aber: Wir brauchen Kompetenzen, siehe Umgehen mit anderen Expertenprodukten.

Das ist jetzt nicht ein Vorwurf Ihnen gegenüber, Herr Staatssekretär, daß es ein Versäumnis erst der jüngsten Zeit wäre, daß sich diese Kompetenz der Rezeption so wenig entfaltet, und es ist auch nicht nur eine Angelegenheit der Schule. Ich denke, wenn lebenslanges Lernen, lebenslange Auseinandersetzung ernst gemeint ist, dann betrifft es auch den Umgang mit Kunst.

Ich verweise als gutes Beispiel auf eine Initiative hin, die sich in Wien gerade gegründet hat, die sich nennt: "Von klein auf Kunst". Sechs Kultur- und Kunsteinrichtungen bewerben mittels einer Imagekampagne das, was hochqualitative Kunst und Vermittlungsarbeit ist, und wir sollten uns ein Beispiel nehmen, wir sollten die Erfahrungen genau beobachten, und wir sollten uns überlegen, welche Lehren wir auch für Kunstförderung, einschließlich ihrer Vermittlung, daraus ziehen können. Oft ist es so, daß gerade mit Kunst und Kindern und Kunst und Heranwachsenden das Wort- und Gedankenpaar "minderjährig ist gleich minderwertig" verbunden ist. Also: Lernen von Minderjährigen, Auseinandersetzung mit Kunst darf nicht mit minderwertig in Verbindung stehen.

Kunst lernen ist natürlich nicht dasselbe wie Vokabel oder Wurzelziehen lernen, aber es hat auch etwas mit Wissen und Können zu tun. Und wenn heute Menschen, vor allem junge, kein Bibelwissen mehr haben, dann können sie Jahrhunderte oder Jahrtausende alte Tafelbildkunst nicht mehr verstehen. Wenn sie die klassische Mythologie nicht wenigstens in Ansätzen beherrschen, verstehen sie die Renaissance nicht, ja sie können nicht einmal durch das Parlament führen. Wer glaubt, daß er moderne Kunst nicht lernen müsse – darin liegt, so glaube ich, der größte Irrtum –, der liegt falsch, und dann kommt statt Lernen, kompetenter Aussagen und eines fachmännischen Urteils eben die Veranstaltungsordnung.

Einer der wenigen kunstsinnigen Politiker, einer der letzten "Museumsminister", es war Erhard Busek, hat zu einem FPÖ-Mandatar – ich denke, es war John Gudenus – in diesem Zusammenhang einmal gesagt: Besinnen Sie sich! Wenn wir alle so wenig Sinn und Verständnis für moderne Kunst aufbrächten wie Sie, säßen wir zusammen mit Ihren Vorfahren noch auf den Bäumen. – Ich glaube, das ist uns ein wesentlicher Auftrag. (Abg. Mag. Posch: Es war der Gudenus!) Es ging damals um das Museumsquartier und moderne Kunst.

Kunst lebt von kompetenten Rezipienten: zuhören, lesen, betrachten, aktiv mitmachen. Wenn wir wollen, daß Kunst weiterlebt, dann brauchen wir ausreichend Mittel zur Vermittlung. Ich bitte, Herr Staatssekretär, wenn möglich auch in Ihrer Wortmeldung darauf einzugehen, wie sich dies weiter entwickelt.

Ich schließe mit einem Wort, das ich beim größten Maler des Altertums gefunden habe, der gesagt hat: Schuster, bleib bei deinem Leisten! Er sagte das, weil ein vorbeigehender Schuster auf einem Bild eine Sandale entdeckt hatte, an der ein Nagel fehlte. Auf den Stolz hin, daß er diesen fehlenden Nagel entdeckt und den Fehler richtiggestellt hatte, entwickelte er auch noch weitere Begehrlichkeiten, die Wade und den Schenkel auch malen und verbessern zu wollen. Daraufhin


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