Nationalrat, XX.GP Stenographisches Protokoll 142. Sitzung / 54

gen? Gibt es bei euch das Einheitsprinzip, das Führerprinzip? (Abg. Dr. Rasinger: Die werden ausgeschlossen! – Abg. Schwarzenberger: Wenn einer eine andere Meinung hat, wird er von der Partei ausgeschlossen!) – Eben.

Anläßlich dieser Gesetzesänderung und Beschlußfassung des Ärztegesetzes 1998 möchte ich doch einige Worte über die Kammer als solche verlieren, denn es wird die Kammer immer wieder in Frage gestellt. (Abg. Meisinger: Nicht die Kammer, die Zwangsmitgliedschaft!) Es wird die Pflichtmitgliedschaft immer wieder in Frage gestellt. Ich möchte doch einige Gedanken – und vielleicht hören Sie jetzt ein wenig zu, dann bekommen Sie ein bißchen Nachhilfeunterricht! – hier zur Überlegung vorbringen. Ich bringe sie nur zur Überlegung, und wenn Sie dann noch Einwände haben, dann sagen Sie es mir.

Erstens: Man hat den Eindruck, daß auch heute mitunter Demokratie nur im Antagonismus von Individualitäten und dem Staat gesehen wird. Insbesondere sogenannte freiheitliche Ideologien lassen sich oft auf den vereinbarten Nenner zurückführen: hier der Bürger und dort der Staat. Aber das ist nicht die ganze Wahrheit! Die ganze Wahrheit ist – und das wissen wir –, daß es zwischen den einzelnen Bürgern als Individualitäten und der Summe der Bürger als einheitlicher Staatswille noch etwas anderes gibt und letztlich im Interesse der Freiheit der Bürger auch geben muß. Wir können einfach nicht leugnen, daß es auch legitime Teilinteressen gibt, deren Verfolgung und Integration eine Staatsaufgabe ist. Die Gesellschaft kann nicht nur vom Staat her, sie muß auch nach ihrer Interessengliederung verstanden und repräsentiert werden.

Wir wissen seit langem – die grundlegenden Forschungen eines Lorenz von Stein stammen aus der Mitte des 19. Jahrhunderts –, daß das Interesse ein Strukturelement der Gesellschaft ist. Interessengegensätze sind der modernen Gesellschaft wesenseigen, sie zählen zu den stärksten Antriebskräften des wirtschaftlichen und sozialen Fortschritts – eine Einsicht, die wir sowohl von Theoretikern der Sozialdemokratie als auch von solchen der katholischen Soziallehre formuliert finden. Es gibt nicht ein Volksinteresse, sondern unterschiedliche Interessen in der Gesellschaft, auch wenn das von bestimmten Ideologien her nur sehr schwer verständlich sein mag.

Zweitens: Sie wissen, daß wir in Österreich neben den privatrechtlich organisierten Verbänden zur Interessenvertretung auch gesetzliche Interessenvertretungen kennen, die als Selbstverwaltungskörper eingerichtet sind. Das bedeutet, daß sie vom Staat durch Hoheitsakt eingerichtet sind, daß man ihnen ex lege angehört, daß ihre Organe aus der Mitte der Selbstverwaltungsangehörigen bestellt werden, daß sie im Prinzip aus Mitteln der Selbstverwaltungsangehörigen finanziert werden, daß sie eine Kompetenz zur Erfüllung öffentlicher Aufgaben übertragen haben und Hoheitsgewalt besitzen, daß sie relativ unabhängig sind, weisungsfrei gegenüber dem Staat, aber an die staatliche Aufsicht gebunden.

Man muß sich der Unterschiedlichkeit gegenüber den Interessenverbänden durch private Verbände bewußt sein: Private Verbände beruhen auf der Vereinsfreiheit, Selbstverwaltungskörper beruhen auf der Organisationsgewalt des Staates. Private Verbände sind eine freie Schöpfung der Bürger, Selbstverwaltungskörper sind eine Schöpfung des Staates.

Die berufliche und wirtschaftliche Selbstverwaltung dient also einerseits der Wahrnehmung bestimmter öffentlicher Aufgaben und andererseits der umfassenden Interessenvertretung, dem Interessenausgleich unter Einbeziehung möglichst aller relevanten Einzelinteressen. (Abg. Gaugg: Wer hat Ihnen denn das aufgeschrieben?) Damit erfüllt sie die Aufgabe und die Realisierung des Gemeinwohls in einer pluralistisch interessenmäßig gegliederten Gesellschaft. Selbstverwaltung aber bedarf – das ist an sich eine Selbstverständlichkeit – auch der Pflichtmitgliedschaft. Die spezifischen Funktionen von Gemeinden, Kammern und anderen Selbstverwaltungseinrichtungen sind durch Verbände, die auf freiwilliger Mitgliedschaft beruhen, nicht zu leisten. Auch das ist natürlich denkbar, daß man hier ... (Abg. Gaugg: Demokratie ist nicht durchführbar ...!)

Sie verstehen es noch immer nicht! Sie verstehen noch immer nicht, daß freiwillige Vereine das nicht leisten können. Das wäre unsolidarisch! Man kann darüber diskutieren, aber es wäre


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