Nationalrat, XX.GP Stenographisches Protokoll 146. Sitzung / 50

Es ist die Verpflichtung, sich mit diesem Teil unserer Geschichte und letztlich auch meiner Geschichte zu beschäftigen. Es ist die Verpflichtung, sich mit den Folgen dieser Zeit, mit den Spuren, die diese Zeit hinterlassen hat, die heute noch deutlich, spürbar und greifbar immer präsent sind, zu beschäftigen.

Auch wenn man erst eineinhalb Jahrzehnte nach diesem monumentalsten Verbrechen der Geschichte geboren wurde und dadurch anders dazu steht – das Wort "Unbefangenheit" sehe ich diesbezüglich nicht unkritisch –, wenn man in seinem Freundeskreis beispielsweise nicht eigentlich und direkt betroffene Opfer hat, sondern vor allem Betroffene der zweiten und dritten Generation, wenn man die Auseinandersetzung mit diesem schwierigen Thema also sozusagen aus dieser Sicht erlebt, muß man trotzdem sagen, daß es die Opfer viel Kraft kostet, da es immer wieder Enttäuschungen gab und gibt.

Leute wie ich kennen aus ihrer Erfahrungswelt nicht direktes Leid und direkte Betroffenheit als physische Person, sondern nur durch ihre Familien. Darum scheinen mir als Politikerin die Gesetze heute eine ganz wesentliche Aufgabe zu sein – nicht deshalb, weil ich einer Partei angehöre, die, weil sie erst in den achtziger Jahren entstanden ist, nicht in diesen Diskussionsprozeß einbezogen werden kann, was Herr Kollege Krüger gesagt hat. Er hat vieles gesagt, was wahr ist, er hat aber, was ihm eigen ist, immer nur einen einseitigen Blick gehabt – eine sehr subjektiv gefärbte Sicht der Geschichte. In solchen Reden sind die Weglassungen das Wesentliche und nicht das, was gesagt wird, auch wenn es richtig ist.

Ich habe das Privileg, einer Partei anzugehören, die diese Geschichte nicht hat. Würde ich einer Partei angehören, die eine längere Geschichte hätte, dann hätten wir Grünen sicherlich auch in diesen Fragen eine Geschichte. Darum habe ich die spezielle Verpflichtung, jetzt ein besonderes Augenmerk auf diese Dinge zu legen. Daher kann über die Politik Österreichs im Zusammenhang mit den Opfern des NS-Regimes in den letzten Jahrzehnten nicht genug geredet und geforscht werden, und es wird, wie wir sehen, auch nie zu spät sein. Aber die Zeit, meine sehr geehrten Damen und Herren, läuft uns davon, und sie läuft im wahrsten Sinn des Wortes davon – nicht mir, nicht Ihnen, aber den Opfern, die auf Gesten warten.

Wir haben im Rahmen der Diskussion bei der Einrichtung des Nationalfonds gesehen, wie die Zeit läuft und wie sehr das Motto "Wer schnell hilft, hilft am besten, und wer sofort handelt, handelt am besten!" in der Politik auf diesem Feld gilt, wiewohl es auch in anderen Feldern gelten sollte.

Darum, meine sehr geehrten Damen und Herren, bin auch ich, so wie Frau Dr. Schmidt vorher ausgeführt hat, froh, daß heute drei Gesetze geändert werden. Die Grünen geben ihre Zustimmung – selbstverständlich, so würde ich fast sagen –, und zwar der Tatsache, daß sich der Nationalrat damit beschäftigt, wiewohl ich natürlich manche Dinge ein wenig anders einschätze, unter anderem, warum der Nationalrat jetzt handelt. Wenn Herr Dr. Khol in seinen Ausführungen davon gesprochen hat, daß die Frau Bundesministerin ganz ohne Druck und ganz auf ihre eigene Initiative hin die Provenienzforschung begonnen hat, dann, so muß ich sagen, ist das eine subjektive Wahrnehmung seinerseits. Denn es ist sicherlich kein Zufall, daß Anfang Jänner dieses Jahres wertvolle Bilder in New York beschlagnahmt wurden. Es war fraglich, wann sie wieder nach Österreich zurückkommen werden; und kurze Zeit später begann die Provenienzforschung in Österreich. Frau Bundesministerin! Sicherlich ist kein persönlicher Druck auf Sie ausgeübt worden, aber es kann doch wohl kein Zufall sein, daß man genau in diesem Moment begann, etwas an die Öffentlichkeit zu bringen – ich schätze die Arbeit, die getan wurde, ganz ohne Zweifel –, als im Ausland die Diskussion begonnen hat.

Diese Art der Vorgangsweise zieht sich wie ein roter Faden durch die ganze Restitutions-, Entschädigungs- und Wiedergutmachungsfrage in Österreich. Ich habe jetzt wieder das Privileg, in einer Zeit im Nationalrat Abgeordnete zu sein, in der tatsächlich etwas passiert ist. Erinnern Sie sich an die Rede von Bundeskanzler Vranitzky 1991, die ein einschneidendes Ereignis in bezug auf das Einbekennen der Mitverantwortung betreffend Verbrechen zur Zeit des NS-Regimes in Österreich gewesen ist. Wir im Nationalrat haben seinerzeit diesen Worten von Dr. Vranitzky weit weniger Bedeutung beigemessen, weil es dabei um eine ganz andere Diskussion gegangen


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