Nationalrat, XX.GP Stenographisches Protokoll 146. Sitzung / 52

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Auch wenn man in der Schule nie Geschichte gelernt hat, so weiß man doch – und es ist nichts mindestens so präsent in Österreich wie diese Tatsache –, daß es in Österreich Zwangsarbeiter gegeben hat. Es muß nur jeder an seine eigene Familiengeschichte denken oder sich in seiner Umgebung umblicken. 35 Prozent dieser fast 600 000 Menschen, nämlich 180 000 Menschen, waren in Österreich in der Landwirtschaft, in der Gärtnerei und in der Tierzucht beschäftigt. Das sind nicht die großen Betriebe, die jetzt auch in Diskussion stehen, bei denen die Drohung von Sammelklagen im Raum steht. Das waren Leute, die bei Bauern, bei kleinen Betrieben, bei Gärtnereien oder in der Landwirtschaft beschäftigt waren, und diese sind nicht organisiert und können keine Sammelklagen einbringen.

Mir geht es in der ganzen Überlegung, in deren Rahmen wir uns mit dieser Opfergruppe beschäftigen, auch um diese Opfer, darum, daß diese eine Möglichkeit bekommen, diese "Geste" zu empfangen. Denn die Republik hat diese Mitverantwortung einbekannt. Die Zeit ist nun hoffentlich vorbei, in der es in Österreich üblich oder Praxis war, sich auf die Moskauer Deklaration zu beziehen, laut der Österreich erstes Opfer war, und in der man natürlich immer – ich sage jetzt: absichtlich – unterlassen hat, zu sagen, daß Österreich zwar ein – nach der Moskauer Deklaration – erstes Opfer war, aber dort selbstverständlich genauso festgelegt ist, daß Österreich auch Mitverantwortung hatte. Das wurde aber jahrzehntelang weggelassen.

An wen sollen sich – jetzt komme ich auf das Thema Zwangsarbeiter zurück – diese Menschen, die heute noch leben, wenden, wenn nicht an die Verantwortlichen dieser Republik? – Darum sind die Abänderungsanträge, die Dr. Kier und ich gemeinsam heute einbringen, auch in erster Linie diesen Opfergruppen sozusagen gewidmet, um die Möglichkeit zu schaffen, diese "Geste" in Empfang zu nehmen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sie wissen, daß man auf Leistungen aus dem Nationalfonds keinen Rechtsanspruch hat, daß diese Leistung eine Geste gegenüber den Opfern darstellt, und genau um diese Geste dieser Opfergruppe gegenüber geht es. Deshalb bringe ich Ihnen einen kurzen Text zur Verlesung, mit dem man diese Möglichkeit schaffen könnte:

Abänderungsantrag

der Abgeordneten Mag. Terezija Stoisits, Dr. Kier, Freundinnen und Freunde

Der Nationalrat wolle beschließen:

Das Bundesgesetz über den Nationalfonds der Republik Österreich für die Opfer des Nationalsozialismus, BGBl. Nr. 432/1995, wird wie folgt geändert:

Nach § 2 Abs. 1 wird folgender Abs. 1a eingefügt:

"Abs. 1a

Der Fonds erbringt Leistungen an Personen, die vom nationalsozialistischen Regime zur Zwangsarbeit auf dem Gebiet der heutigen Republik Österreich angehalten wurden."

*****

Mit dieser Einfügung bestünde die Möglichkeit, Zwangsarbeiter als Opfer anzuerkennen. Das ist überhaupt noch kein Präjudiz dafür, wieviel sie bekommen. Wir wußten auch damals, als das Gesetz für den Nationalfonds beschlossen wurde, noch nicht, wie hoch die einzelnen Leistungen sein werden. Da plädiere ich massiv dafür, daß man diesen Weg des Konsenses beibehält. Aber dafür braucht man diese Möglichkeit.

Jetzt komme ich zum zweiten Teil dieser Überlegungen, zu den aktuellen Diskussionen. Sie wissen selbstverständlich, daß Sammelklagen gegenüber Banken und Unternehmungen aus dem Ausland im Raum stehen. Ich vermeide das Wort "Androhung" von Sammelklagen von Zwangsarbeitern gegenüber Firmen und Unternehmen in Österreich. Die Idee, die wir damit verfolgen,


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