Nationalrat, XX.GP Stenographisches Protokoll 165. Sitzung / 95

14.48

Abgeordneter Dr. Alfred Gusenbauer (SPÖ): Herr Präsident! Herr Staatssekretär! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn in der gesamten Debatte über die kriegerischen Auseinandersetzungen im Kosovo nach Alternativen, Ursachen und weiteren Vorgangsweisen gesucht und darüber diskutiert wird, dann sollte man sich zwei Dinge überlegen.

Punkt eins: Ich habe große Hochachtung vor der Aussage "Nie wieder Auschwitz!", und davor, daß man einen derartigen systematischen Völkermord kein zweites Mal zulassen kann. Dieser Haltung entspringen sehr viele der Aktivitäten in der Europäischen Union.

Zweitens muß man sich aber, wie ich meine, auch die Frage stellen: Wie können demokratische Staaten durch ihre Politik verhindern, daß noch einmal in der Geschichte jemand in eine Position kommt, wie sie Hitler vor dem Zweiten Weltkrieg in Deutschland innehatte – oder wie sie jetzt ganz offensichtlich Milošević im ehemaligen Jugoslawien einnimmt? – Dieser sieht sich keiner sehr starken inneren Opposition gegenüber, sondern ganz im Gegenteil: seine Position der Intensivierung der sehr aggressiven serbischen Linie trifft trotz seiner ansonsten sehr bescheidenen Politikergebnisse offensichtlich auf Unterstützung.

Es stellt sich natürlich schon die Frage: Wäre es zu verhindern gewesen, daß ein gesamtes Land jemandem wie Herrn Milošević folgt? – In diesem Zusammenhang ist vor allem ein zentraler Punkt zu beachten: War der serbische Nationalismus am Balkan der einzige aggressive Nationalismus – oder hat es nicht auch andere aggressive Nationalismen gegeben, denen der Westen allerdings neutral gegenüber gestanden ist? Und hat dieses unbeteiligte Gegenüberstehen anderen Nationalismen gegenüber erst dazu geführt, daß sich die Milošević-Politik in Jugoslawien so durchsetzen konnte?

Weiters: Wo war die Internationale Staatengemeinschaft, als es darum gegangen ist, eine demokratische Opposition in Serbien zu unterstützen, die nicht nur eine gewisse Stärke auf der Straße erreicht hatte, sondern auch bei Kommunalwahlen, und eine Alternative zu Herrn Milošević und seinem Regime hätte darstellen können? – In all diesen Bereichen hat es Versäumnisse und Versagen gegeben.

Ich möchte auch noch hinzufügen, daß ich mich genau daran erinnern kann, als wir hier im Hohen Hause das Dayton-Abkommen diskutiert haben, und ich habe damals gesagt: Dieses Abkommen trägt den Keim des nächsten Krieges in sich, weil nämlich zu guter Zeit keine Vereinbarung über den Kosovo getroffen wurde und in den amerikanischen und auch anderen Medien Milošević als – unter Anführungszeichen – ”Friedensstifter” gefeiert wurde.

Jahrelang ist nichts passiert. Und jetzt wird mit Mitteln agiert, die als massive zu bezeichnen sind. Über die humanitären und sonstigen Auswirkungen des Krieges brauche ich nicht mehr weiter zu sprechen; diese sind heute bereits zur Genüge dargestellt worden. Auch die ökonomischen Auswirkungen sind bereits erwähnt worden. Und man hat schon den Eindruck, daß es ein gewisses Mißverhältnis der Mittel gibt, daß in der Vergangenheit wenig, nichts oder das Falsche gemacht wurde und jetzt sehr massiv mit Bomben versucht wird, die Fehler der Vergangenheit zu korrigieren. – Da stellt sich allerdings die Frage: Ist das überhaupt möglich?

Es waren Leute wie Henry Kissinger und andere, die absolut keine Ahnungslosen der Außenpolitik sind, die bemängelt haben, daß hinter diesen Bombardements keine geeignete politische Strategie steckt. Denn es erhebt sich die Frage: Wie soll die Neuordnung des Balkans aussehen?

Glaubt irgend jemand, daß es möglich ist, zum Status quo ante zurückzukehren, wie es selbst noch in Rambouillet möglich gewesen wäre, daß nämlich der Kosovo Teil der Bundesrepublik Jugoslawien bleibt, oder daß sich die UÇK mit den dort getroffenen Autonomieregeln zufrieden geben wird? – Das heißt, die Frage, was dort geschehen soll, ist in einem hohen Maße offen und nicht beantwortbar.

Bei vielen der öffentlichen Äußerungen, die jetzt von verschiedenen Leuten getroffen werden, habe ich manchmal den Eindruck, daß es gar nicht mehr darum geht, diese humanitäre Kata


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