Nationalrat, XXI.GP Stenographisches Protokoll 77. Sitzung / Seite 69

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Augen verschließen. Wir sind in dieses 21. Jahrhundert nach den Schrecknissen des Zeitalters der Extreme, des 20. Jahrhunderts, mit der Hoffnung auf eine bessere Welt gegangen.

Wir hatten die Zuversicht, dass konventionelle Kriege zwischen Staaten, dass Massenmord und Diktatur in der zivilisierten Welt Geschichte sind. Aber es war uns nicht ausreichend bewusst, dass wir es heute mit ganz neuen Formen der Bedrohung zu tun haben, und zwar einer Bedrohung für uns alle, überall auf der Welt.

Widersprüchliche Gefühle haben Menschen auf der ganzen Welt in den letzten Tagen bewegt: Trauer und Verzweiflung, Wut und Vergeltung, Stolz und Trotz. Das kann gefährlich sein, das kann aber auch einen neuen Weg aufzeigen. Es ist kaum vorstellbar, dass aus einem derartigen Schrecken etwas Gutes erwachsen kann, aber das beste Gedenken an jene, die auf so schreckliche Weise ermordet wurden, ist unser Bemühen um eine Welt, die sicherer und vernünftiger ist.

Diese Hoffnung ist nicht unerfüllbar. Das hat die beispiellose Solidarität mit den angegriffenen Vereinigten Staaten gezeigt. Mehr als 180 Staaten, darunter Russland, China und viele arabische Staaten, haben Einigkeit bei der Bekämpfung des Terrorismus bekundet. Das ist eine globale Allianz, wie es sie in dieser Form in der Geschichte überhaupt noch nie gegeben hat. (Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP.)

Auch Österreich hat seinen selbstverständlichen Platz in dieser Solidaritätsgruppe eingenommen. Das gilt für unsere humanitäre Hilfe ebenso wie für unser Angebot, die Katastrophenschutzeinheit des österreichischen Bundesheeres für den Einsatz in New York zur Verfügung zu stellen, und natürlich auch für Überflugsgenehmigungen im Rahmen der UNO-Beschlüsse.

Das berührt in keiner Weise die österreichische Neutralität, um das ganz deutlich zu sagen. Ich halte es daher auch nicht für zweckmäßig, das Bemühen um weltweite Zusammenarbeit bei der Bekämpfung des Terrorismus in eine innerösterreichische Neutralitätsdebatte umzufunktionieren. (Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP.)

Diese Diskussion aus einer Emotion heraus zu führen wäre ebenso falsch wie die vage Hoffnung, wenn man sich aus allem heraushielte, wäre das gleichbedeutend mit Sicherheit. Terrorbekämpfung ist in unserem ureigensten Interesse. In den Netzwerken des internationalen Terrors sind keine Inseln der Seligen vorgesehen. Auch Österreich musste das in der Vergangenheit schon schmerzhaft erkennen, nämlich bei der Ermordung von Stadtrat Heinz Nittel, bei den Anschlägen auf die jüdische Synagoge und auf die OPEC-Zentrale in Wien und auf dem Flughafen Schwechat.

Wegschauen ist keine Garantie, dass man über uns hinwegsieht. Ich verstehe voll und ganz, dass das Wort "Krieg", das in den letzten Tagen so oft zu hören und zu lesen war, schlicht und einfach Angst auslöst – Angst bei jener Generation, die die furchtbaren Schrecken des Krieges selbst erlebt hat, aber auch bei jenen, die in dem Bewusstsein aufgewachsen sind, so etwas nie erleben zu müssen. Diese Angst ist verständlich, aber sie ist unbegründet. Kein einziger österreichischer Soldat wird sich an einem Krieg beteiligen. Das steht überhaupt nicht zur Diskussion, und es wäre im höchsten Maße unverantwortlich, die österreichische Sicherheitsdiskussion auf dieser Ebene zu führen. (Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP.)

Genauso abstrus sind aber in den letzten Tagen zunehmende anti-amerikanische Ressentiments; ich denke, dass man auch das offen ansprechen sollte. Vernehmlich stärker ist seit Tagen der Vorwurf zu hören, die amerikanische Politik sei verantwortlich für den Hass, der die Täter zu ihren schrecklichen Taten getrieben habe. Von dieser Behauptung bis zur Feststellung, die USA hätten eine Demütigung verdient, ist es nur ein kurzer und absolut inakzeptabler Weg.

Sonderbare Allianzen zwischen ganz Links und ganz Rechts tun sich in dieser Frage auf. Wenige Tage nach dem tausendfachen Mord ist in einer österreichischen Tageszeitung ein Kommentar des EU-Abgeordneten Hans-Peter Martin erschienen, und zwar unter dem Titel: "Der Terror als Chance für Europa ... ... sich vom US-Leitbild im Globalisierungsprozess zu emanzipieren".


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