Nationalrat, XXI.GP Stenographisches Protokoll 107. Sitzung / Seite 56

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Sozialstaat!): die ÖVP, die FPÖ, Grüne und SPÖ und jene, die es unterstützt haben, natürlich sowieso.

Ab dem Tag nach dem Volksbegehren gab es dann eine Sozialschmarotzer-Serie in der "Kronen Zeitung", an der sich die Regierungsparteien durchaus propagandistisch und mit Applaus beteiligt haben.

Heute Vormittag diskutieren wir das Sozialstaat-Volksbegehren, und in unterschiedlichem Ausmaß – manchmal schon ziemlich tief, aber trotzdem – gibt es so etwas wie einen Konsens darüber, dass es den Sozialstaat schon geben soll. Heute Nachmittag diskutieren wir dann über die – unter Anführungszeichen – "Sozialschmarotzer" –, eine Diskussion, die wieder Sie eingefordert haben. Da muss dann wieder kriminalisiert und bestraft werden, in diesem Fall die Frühpensionisten und Frühpensionistinnen bei der Post, der Telekom und der Bahn. Es ist ein eigenartiger Kontrast, dass für Sie der Begriff "Sozialstaat" auf der einen Seite in Sonntagsreden durchaus noch vorkommt, auf der anderen Seite aber konkret nur mehr dazu verwendet wird, um im Sinne einer billigen, bösartigen Sozialschmarotzer-Debatte politisches Kleingeld zu machen.

Und da machen wir Grünen mit Sicherheit nicht mit! Das halte ich wirklich für unerträglich. (Beifall bei den Grünen und bei Abgeordneten der SPÖ.)

Meine Damen und Herren! Es ist von einem Redner der ÖVP, vom Kollegen Spindelegger, der Vorschlag, den Sozialstaat in die Verfassung aufzunehmen, ablehnend beschieden worden. Das ist Ihr gutes Recht, Herr Kollege Spindelegger, nur bitte ich Sie, eines zu bedenken: Es gibt kaum eine Rechtsmaterie in Österreich, die so gröblich missachtet und in solchem Maße nicht umgesetzt wird wie das Sozial- und Arbeitsrecht. Mehr Missachtung von konkreten Rechten gibt es in keinem anderen Bereich. (Beifall bei den Grünen.)

Kollege Spindelegger! Versetzen Sie sich einmal in die Lage von jemandem, der Sozialhilfe beantragt, weil er arm ist und unter bestimmten Voraussetzungen ja einen Anspruch darauf hat, Sozialhilfe zu erhalten: Glauben Sie, dass irgendeiner von jenen, die Sozialhilfe beantragen, die Ablehnung seines Antrages auf Sozialhilfe als Bescheid erhält? Glauben Sie, dass wir in Österreich irgendwo in einer sozialrechtlichen Materie, was die konkreten Rechte betrifft, wirklich so gut abgesichert sind? – Wir hatten ja zuletzt bei der Ambulanzgebühr die Situation, dass sich die Regierungsparteien sogar darüber aufgeregt haben und es als einen Missbrauch dargestellt haben, wenn man über die vorgeschriebene Ambulanzgebühr beziehungsweise im Zusammenhang mit einem Einspruch gegen deren Vorschreibung die Ausstellung eines Bescheides verlangt.

Das ist keine Frage der Regierung von ÖVP und FPÖ alleine, das ist eine Frage des Sozialstaats insgesamt. Das ist es auch, was ich den Betreibern des Sozialstaat-Volksbegehrens so hoch anrechne: dass sie sich nämlich nicht auf die Polemik, ob das die ÖVP, die FPÖ, die SPÖ oder die Grünen gemacht oder zu verantworten haben, eingelassen haben, dass sie sich nicht auf dieses Niveau begeben haben, auf dem wir in dieser Debatte schon wieder angelangt sind.

Aber glauben Sie – um auf die Frage der Verankerung des Sozialstaats in der Verfassung zurückzukommen –, dass wir bei der Durchsetzung von sozialen Rechten wirklich so gut sind? Sprechen Sie mit den Experten, mit den Expertinnen, die damit zu tun haben, wie es mit der Durchsetzung von sozialen Rechten aussieht! – Schlecht, nach wie vor schlecht!

Ich nenne noch ein anderes Beispiel: Glauben Sie wirklich, dass es verfehlt wäre, eine Sozialverträglichkeitsprüfung etwa bei der Stiftungssteuer durchzuführen? Es wäre spannend, die Stiftungssteuer einer Sozialverträglichkeitsprüfung zu unterziehen. (Abg. Dolinschek: Sehr aufwendig, Herr Kollege!) Derjenige oder diejenige, der oder die ein Sparbuch hat, muss sich die Zinserträge mit 25 Prozent besteuern lassen. Derjenige oder diejenige, der oder die eine Stiftung hat, kommt jedoch mit ein paar Prozent auf die Zinserträge davon. Glauben Sie wirklich, Herr Abgeordneter Khol, dass das sozial verträglich und ausgewogen ist?


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