Nationalrat, XXII.GP Stenographisches Protokoll 86. Sitzung / Seite 107

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Konsenses im Gesundheitswesen, nämlich dass alle, unabhängig von Alter und Ein­kommen, in den Genuss eines hohen Niveaus an Gesundheitsversorgung kommen sollen. Das ist nicht selbstverständlich, dass wir heute in der EU auf dem zweiten Platz in diesem Bereich liegen. Wahrscheinlich liegen wir sogar auf dem ersten Platz ange­sichts der Verhältnisse in Finnland.

Es geht darum, dass wir durch unsere Gesundheitsreform weder ein offenes noch ein verdecktes Rationieren in diesem Land fördern wollen. (Beifall bei der ÖVP.)

In England werden zum Beispiel Raucher bei Bypass-Operationen hinten angereiht, in Österreich nicht. In Oregon, aber zum Teil auch in der Schweiz bekommt man ab 5 Prozent Heilungschance die Kosten für die Behandlung von der Krankenversiche­rung nicht ersetzt. Ich möchte sehen, was in Österreich los wäre, wenn Sie jemandem, der vielleicht eine dreiprozentige Heilungschance hat, eine teurere Behandlung verwei­gern.

Die Faktoren sind überall gleich, in Österreich wie international: Die Lebenserwartung der Menschen nimmt zu. Seit 1970 haben wir zehn Jahre an Lebenserwartung zuge­legt. Der 75-Jährige hat vier bis fünf Diagnosen, vier bis fünf Medikamente, der 80-Jährige verursacht elfmal mehr Kosten im Gesundheitswesen als ein 20-Jähriger.

Ich habe heute eine Arbeit gelesen, aus der Folgendes hervorgegangen ist: Im Rehabi­litationsbereich war es früher ausgeschlossen, dass Sie zum Beispiel einen 90-jährigen Schlaganfall-Patienten rehabilitiert haben. Wissen Sie, was man heute erreicht? – Man erreicht bei 40 Prozent der Schlaganfall-Patienten, die rehabilitiert werden, dass sie nicht ins Pflegeheim müssen. Das heißt, Sie sparen ökonomisch woanders Kosten, nämlich Pflegeheimkosten – und vor allem ist es menschlich, wenn einer dann mit sei­nem Leben gerade noch irgendwie umgehen kann. Aber die Rehabilitation dauert statt vier Wochen sechs Wochen. Diese Arbeit ist heute ganz neu herausgekommen. Wie überhaupt der Fortschritt eigentlich die haupttreibende Kraft im Gesundheitswesen ist, gar nicht so sehr die Überalterung.

Vor 15 Jahren war die Kernspin-Tomographie in Österreich de facto eine Neulandtech­nologie. Internationale Gesundheitsökonomen haben gesagt, das ist alles Larifari, das braucht man nicht. Vor 15 Jahren hatte mein Bruder starkes Kopfweh. Er war Klinik­assistent und der Erste, der eine Kernspin-Tomographie in Deutschland über sich er­gehen lassen musste, weil er plötzlich bewusstlos geworden ist. Er hat einen Hirntumor gehabt und ist dann an den Folgen gestorben.

Wir mussten damals die Patienten nach München bringen, und die Geräte haben da­mals eine Genauigkeit gehabt, wie wenn Sie durch eine Milchglasscheibe schauen würden. Wenn Sie heute eine Kernspin-Tomographie bei jemandem machen, der län­ger als 14 Tage oder vier Wochen durchgehend Kopfweh hat, ist es ein Kunstfehler. 999 von 1 000 werden mit Sicherheit keinen Tumor haben, aber allein das Beruhigen ist wichtig, und wehe dem Klinikarzt, der den einen von 1 000 übersieht.

Das heißt, im Gesundheitswesen agieren wir mit der 100-Prozent-Technologie, und das macht das ganze System so teuer, aber wahrscheinlich auch zu Recht teuer. Es ist immer die Frage zu stellen: Können wir uns das leisten?

Oder: Früher war es de facto überhaupt nicht möglich, exakt einen Bandscheibenvorfall zu diagnostizieren. Heute können wir sagen, wo er ist, wie er ausschaut, wie groß er ist, ob man operieren muss, ja oder nein, wie die Prognose ist. Wir wissen, dass dieser Fortschritt uns sogar Probleme macht: 20 Prozent der Kernspin-Tomographien erge­ben Bandscheibenvorfälle, obwohl die Patienten keine Beschwerden haben. Trotzdem ist das eine wichtige Information, und wir können den Patienten helfen.

 


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