Nationalrat, XXII.GP Stenographisches Protokoll 161. Sitzung / Seite 42

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noch. – Danke für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei den Grünen sowie bei Abgeord­neten der SPÖ.)

9.55


Präsident Dr. Andreas Khol: Zu Wort gemeldet hat sich Herr Bundeskanzler Dr. Schüssel. Seine Redezeit: vereinbarungsgemäß 12 Minuten. – Herr Bundeskanz­ler, Sie sind am Wort.

 


9.55.09

Bundeskanzler Dr. Wolfgang Schüssel: Hohes Haus! Die Kärntner Geschichte des vergangenen Jahrhunderts spiegelt die gesamte Geschichte Europas mit allen Höhen und Tiefen wider. Das muss man an dieser Stelle, glaube ich, schon hinzufügen. Und sie zeigt genau jene Wunden auf, die die europäische Geschichte im größeren Rahmen kennt: Deportationen, Vertreibungen, in Kärnten allein die Aussiedlung von über 1 000 Slowenen während der Nazi-Zeit, dann die Deportation von über 100 Kärnt­nern durch Tito-Partisanen und die Ermordung eines großen Teils von ihnen nach Kriegsende; der blutige Kampf um die Südgrenze, die 1919 neu gezogen wurde, zweimalige – das soll auch erwähnt werden – territoriale Gebietsansprüche gegenüber Kärnten durch den jugoslawischen Staat; das Aufreißen tiefer Gräben in den Beziehungen der Menschen untereinander; der Ortstafelsturm im Jahre 1972, nachfolgende mühsame Regelungen, begleitet von Anschlägen und Gewaltakten.

Ich sage das deswegen hier, damit man auch ein bisschen ein Gefühl dafür entwickelt, wie sensibel diese Frage ist. Und sosehr es berechtigt ist, 1 : 1 die Umsetzung des Staatsvertrages zu erwarten und zu verlangen – das tun wir –, genauso muss aber auch die Sensibilität auf der Seite der Mehrheitsbevölkerung gesehen werden und in einer breiten Einbindung, in einem Konsens aller relevanten Kräfte eine Lösung gesucht werden – und nicht mit einem Gewaltakt, einzelne Regelungen zu erzwingen. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen – BZÖ.)

Meine Damen und Herren! Wir stehen heute, glaube ich, tatsächlich vor einer Richtungsentscheidung, wie wir diese schwierige, aber lösbare Aufgabe – den Spagat zwischen der Erfüllung der Minderheitenrechte auf der einen Seite und der Sensibilität gegenüber der Mehrheitsbevölkerung – bewältigen können.

Der Staatsvertrag – Professor Van der Bellen weiß das genau, er hat ihn ja auch gelesen – ist sehr unbestimmt. Er ist ja keine Handlungsanleitung! Es steht ja nur etwas drinnen von „Gebieten mit gemischter Bevölkerung“, slowenischer oder kroati­scher Bevölkerung. Dies zu definieren, ist zunächst einmal nach 1955 einfach hinausgeschoben worden. Man hatte andere Prioritäten; was ich sehr bedauere. Erst im Jahre 1972 hat dann Bruno Kreisky mit dem Ortstafelgesetz – ein Initiativantrag übrigens, der mit den Stimmen der SPÖ beschlossen wurde und der am 28. Juni in Kraft getreten ist – einiges in diese Richtung in Bewegung gesetzt.

Und das hat sofort, weil eben die Einbindung der Bevölkerung nicht ausreichend gegeben war, zu massiven Gegenaktionen geführt: Es kam zu Schmieraktionen, am 3. Oktober 1972 – in St. Kantzian übrigens – zu einem organisierten Ortstafelsturm, der am 9. Oktober 1972, am Vorabend des Gedenktages der Volksabstimmung 1920, seinen Höhepunkt erreichte. Im Jänner 1973 ist alles abgesagt worden – die abmon­tierten Tafeln wurden nicht mehr erneuert.

Dann hat Bruno Kreisky meiner Meinung nach etwas sehr Kluges gemacht: Er hat eine Ortstafel-Kommission eingesetzt, in die sowohl die politischen Vertreter als auch Experten eingebunden wurden und die den Auftrag hatte, Lösungsvorschläge zu erarbeiten.

 


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