Stenographisches Protokoll

609. Sitzung des Bundesrates der Republik Österreich

 

 

Donnerstag, 29. Februar 1996

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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Stenographisches Protokoll

609. Sitzung des Bundesrates der Republik Österreich

Donnerstag, 29. Februar 1996

Dauer der Sitzung

Donnerstag, 29. Februar 1996: 9.06 – 17.21 Uhr

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Tagesordnung

1. Bericht des EU-Ausschusses über den Bericht des Bundeskanzlers und des Bundesministers für auswärtige Angelegenheiten Österreich-EU: Vorbereitung der Regierungskonferenz 1996; Leitlinien zu den voraussichtlichen Themen der Regierungskonferenz 1996

2. Beschluß des Nationalrates vom 31. Jänner 1996 betreffend ein Bundesgesetz über die Wahl der von Österreich zu entsendenden Abgeordneten zum Europäischen Parlament (Europawahlordnung – EuWO)

3. Beschluß des Nationalrates vom 31. Jänner 1996 betreffend ein Bundesgesetz über die Führung ständiger Evidenzen der Wahl- und Stimmberechtigten bei Wahlen zum Europäischen Parlament (Europa-Wählerevidenzgesetz – EuWEG)

4. Beschluß des Nationalrates vom 31. Jänner 1996 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Rechnungshofgesetz 1948 geändert wird

5. Selbständiger Antrag der Bundesräte Bieringer, Konečny, Dr. Kapral betreffend ein Bundesverfassungsgesetz, mit dem das Bundes-Verfassungsgesetz in der Fassung von 1929 geändert wird

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Inhalt

Bundesrat

Schreiben der Ersten Präsidentin des Wiener Landtages betreffend Mandatsveränderung im Bundesrat 6

Angelobung der Bundesräte Karl Drochter und Michaela Rösler 7

Antrag der Bundesräte Dr. Peter Kapral und Kollegen, dem Sozialausschuß zur Berichterstattung über den Bericht des Bundesministers für Arbeit und Soziales über die soziale Lage 1994 (III-143-BR/96) gemäß § 45 Abs. 3 der Geschäftsordnung eine Frist bis zum 18. 3. 1996 zu setzen 9

Verlangen auf Durchführung einer Debatte gemäß § 49 Abs. 3 GO-BR –


Bundesrat
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609. Sitzung / Seite 2

Ablehnung 9

Ablehnung 84

Personalien

Krankmeldungen 6

Entschuldigung 6

Nationalrat

Beschlüsse und Gesetzesbeschlüsse 8

Bundesregierung

Vertretungsschreiben 7

Ausschüsse

Zuweisungen 8

Dringliche Anfrage

der Bundesräte Dr. Peter Kapral, Dr. Reinhard Eugen Bösch und Kollegen an den Bundeskanzler betreffend Aushöhlung des Föderalismus (1164/J-BR/96)

Begründung: Dr. Peter Kapral 87

Beantwortung:


Bundesrat
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609. Sitzung / Seite 3

Staatssekretär Mag. Karl Schlögl 90

Redner:

Dr. Reinhard Eugen Bösch 95

Jürgen Weiss 96

Stefan Prähauser 98

Engelbert Weilharter 101

Dr. Drs h. c. Herbert Schambeck 102

Gottfried Jaud 104

Verhandlungen

(1) Bericht des EU-Ausschusses über den Bericht des Bundeskanzlers und des Bundesministers für auswärtige Angelegenheiten Österreich-EU: Vorbereitung der Regierungskonferenz 1996; Leitlinien zu den voraussichtlichen Themen der Regierungskonferenz 1996 (III-145 und 5135/BR d. B.)

Berichterstatter: Anton Hüttmayr 10

(Antrag, der Bundesrat wolle den Bericht des Bundeskanzlers und des Bundesministers für auswärtige Angelegenheiten Österreich-EU: Vorbereitung der Regierungskonferenz 1996; Leitlinien zu den voraussichtlichen Themen der Regierungskonferenz 1996 zur Kenntnis nehmen und die beigedruckte Entschließung annehmen)

Redner:

Albrecht Konečny 11

Dr. Milan Linzer 16

Dr. Peter Kapral 20

Staatssekretärin Dr. Benita Maria Ferrero-Waldner 23 und 38

Karl Drochter 27

Dr. h. c. Manfred Mautner Markhof 30

Staatssekretär Mag. Karl Schlögl 33

Dr. Reinhard Eugen Bösch 36

Irene Crepaz 38

Ing. Johann Penz 41

Jürgen Weiss 45

Erhard Meier 48

Dr. Drs h. c. Herbert Schambeck 51

Dr. Michael Rockenschaub 60


Bundesrat
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609. Sitzung / Seite 4

Annahme des Antrages des Berichterstatters, der Bundesrat wolle den Bericht des Bundeskanzlers und des Bundesministers für auswärtige Angelegenheiten Österreich-EU: Vorbereitung der Regierungskonferenz 1996; Leitlinien zu den voraussichtlichen Themen der Regierungskonferenz 1996 zur Kenntnis nehmen und die beigedruckte Entschließung annehmen, mit den Stimmen der Bundesräte der ÖVP und der SPÖ, gegen die Stimmen der Bundesräte der Freiheitlichen 61

Entschließungsantrag der Bundesräte Dr. Reinhard Eugen Bösch, Dr. Peter Kapral und Kollegen betreffend Regierungskonferenz 1996 38

Ablehnung 62

Gemeinsame Beratung über

(2) Beschluß des Nationalrates vom 31. Jänner 1996 betreffend ein Bundesgesetz über die Wahl der von Österreich zu entsendenden Abgeordneten zum Europäischen Parlament (Europawahlordnung – EuWO) (18 und 28/NR sowie 5128 und 5131/BR d. B.)

(3) Beschluß des Nationalrates vom 31. Jänner 1996 betreffend ein Bundesgesetz über die Führung ständiger Evidenzen der Wahl- und Stimmberechtigten bei Wahlen zum Europäischen Parlament (Europa-Wählerevidenzgesetz – EuWEG) (19 und 29/NR sowie 5129 und 5132/BR d. B.)

Berichterstatter: Ludwig Bieringer 62

[Antrag, zu (2) und (3) keinen Einspruch zu erheben]

Redner:

Anna Elisabeth Haselbach 63

Dr. Günther Hummer 65

DDr. Franz Werner Königshofer 68

Dr. Peter Kapral 71

einstimmige Annahme des Antrages des Berichterstatters, zu (2) und (3) keinen Einspruch zu erheben 72

(4) Beschluß des Nationalrates vom 31. Jänner 1996 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Rechnungshofgesetz 1948 geändert wird (16 und 27/NR sowie 5133/BR d. B.)

Berichterstatterin: Ilse Giesinger 73

(Antrag, keinen Einspruch zu erheben)

Redner:

Mag. Dieter Langer 73 und 81

Stefan Prähauser 76

Dipl.-Ing. Richard Kaiser 77

Dr. Kurt Kaufmann 79 und 81

Annahme des Antrages der Berichterstatterin, keinen Einspruch zu erheben, mit den Stimmen der Bundesräte der ÖVP und der SPÖ, gegen die Stimmen der Bundesräte der Freiheitlichen 82

(5) Selbständiger Antrag der Bundesräte Bieringer, Konečny, Dr. Kapral betreffend ein Bundesverfassungsgesetz, mit dem das Bundes-Verfassungsgesetz in der Fassung von 1929 geändert wird (91/A-BR/96 und 5134/BR d. B.)

Berichterstatterin: Ilse Giesinger 82

(Antrag, der Bundesrat wolle gemäß Artikel 41 Abs. 1 B-VG dem Nationalrat den Gesetzesvorschlag zur geschäftsordnungsmäßigen Behandlung unterbreiten)

Redner:

Albrecht Konečny 83

Ludwig Bieringer 83

Dr. Peter Kapral 84

einstimmige Annahme des Antrages der Berichterstatterin, der Bundesrat wolle gemäß Artikel 41 Abs. 1 B-VG dem Nationalrat den Gesetzesvorschlag zur geschäftsmäßigen Behandlung unterbreiten 84

Eingebracht wurden

Berichte

50-2486-EU über Vorhaben im Rahmen der Europäischen Union gemäß Artikel 23e B-VG

Bericht der Bundesregierung über die innere Sicherheit in Österreich (Sicherheitsbericht 1994) (III-147-BR/96)

Antrag

der Bundesräte Ludwig Bieringer, Albrecht Konečny und Dr. Peter Kapral betreffend ein Bundesverfassungsgesetz vom ..., mit dem das Bundes-Verfassungsgesetz in der Fassung von 1929 geändert wird (91/A-BR/96)

Anfragen

der Bundesräte Ing. Walter Grasberger und Kollegen an den Bundesminister für öffentliche Wirtschaft und Verkehr betreffend Einstellung der Postautolinie Lilienfeld – Ramsau (1162/J-BR/96)

der vom Vorarlberger Landtag entsandten Bundesräte Jürgen Weiss, Ilse Giesinger und Dr. Reinhard Eugen Bösch an den Bundesminister für Finanzen betreffend Bereitstellung von Förderungsmitteln der EU (1163/J-BR/96)

der Bundesräte Dr. Peter Kapral, Dr. Reinhard Eugen Bösch und Kollegen an den Bundeskanzer betreffend Aushöhlung des Föderalismus (1164/J-BR/96)

der Bundesräte Karl Pischl und Kollegen an den Bundesminister für Inneres betreffend Maßnahmen im Zusammenhang mit Sekten, pseudoreligiösen Gruppierungen, Vereinigungen und Organisationen sowie destruktiven Kulten (1165/J-BR/96)

der Bundesräte Karl Pischl und Kollegen an den Bundesminister für Justiz betreffend Maßnahmen im Zusammenhang mit Sekten, pseudoreligiösen Gruppierungen, Vereinigungen und Organisationen sowie destruktiven Kulten (1166/J-BR/96)


Bundesrat
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609. Sitzung / Seite 5

der Bundesräte Alfred Gerstl und Kollegen an den Bundesminister für Justiz betreffend Medienrecht (1167/J-BR/96)

Zurückgezogen wurde

die Anfrage der Bundesräte Jürgen Weiss, Ilse Giesinger und Dr. Reinhard Eugen Bösch an den Bundeskanzler betreffend Behandlungen von Anregungen des Ideenwettbewerbes "Effizienzpreis 1994" der Industriellenvereinigung Vorarlberg (1160/J-BR/96)

Anfragebeantwortungen

des Bundesministers für Inneres auf die Frage der Bundesräte Dr. Herbert Schambeck und Kollegen (1066/AB-BR/96 zu 1153/J-BR/95)

der Bundesministerin für Gesundheit und Konsumentenschutz auf die Frage der Bundesräte Dr. Peter Kapral, Mag. Dieter Langer und Kollegen (1067/AB-BR/96 zu 1149/J-BR/95)

des Bundesministers für Inneres auf die Frage der Bundesräte Dr. Herbert Schambeck und Kollegen (1068/AB-BR/96 zu 1152/J-BR/95)

des Bundesministers für auswärtige Angelegenheiten auf die Frage der Bundesräte Albrecht Konečny und Genossen (1069/AB-BR/96 zu 1159/J-BR/96)

des Bundesministers für Finanzen auf die Frage der Bundesräte Jürgen Weiss und Kollegen (1070/AB-BR/96 zu 1154/J-BR/96)


Bundesrat
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609. Sitzung / Seite 6

Beginn der Sitzung: 9.06 Uhr

Präsident Johann Payer: Ich eröffne die 609. Sitzung des Bundesrates.

Das Amtliche Protokoll der 608. Sitzung des Bundesrates vom 25. Jänner 1996 ist aufgelegen, unbeanstandet geblieben und gilt daher als genehmigt.

Krank gemeldet haben sich die Mitglieder des Bundesrates Grete Pirchegger, Farthofer, Dr. Harring und Ing. Kerschbaumer.

Entschuldigt hat sich das Mitglied des Bundesrates Dr. Paul Tremmel.

Mandatsverzichte und Angelobungen

Präsident Johann Payer: Eingelangt ist ein Schreiben der Ersten Präsidentin des Wiener Landtages betreffend Mandatsveränderung im Bundesrat.

Ich ersuche die Frau Schriftführerin um Verlesung dieses Schreibens.

Schriftführerin Helga Markowitsch: " Sehr geehrter Herr Präsident!

Frau Dr. Elisabeth Hlavac hat auf ihr Mandat als Mitglied des Bundesrats mit Wirkung vom 14. Jänner 1996 verzichtet.

Frau Abgeordnete Ilse Forster und Herr Ing. Rolf Huber haben auf ihre Funktion als Ersatzmitglieder verzichtet.

Auf Vorschlag der Sozialdemokratischen Fraktion im Wiener Landtag und Gemeinderat wurde in der Sitzung des Wiener Landtags vom 26. Jänner 1996 Herr Karl Drochter zu einem Mitglied des Bundesrats, Frau Michaela Kauer, Herr Abgeordneter Heinz Vettermann, Frau Dr. Irmtraud Karlsson und Herr Fritz Strobl zu Ersatzmitgliedern gewählt.

In gleicher Sitzung wurden ebenfalls auf Vorschlag der Sozialdemokratischen Fraktion Herr Albrecht


Bundesrat
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609. Sitzung / Seite 7

Karl Konečny an die 2. Stelle, Herr Karl Drochter an die 6. Stelle und Herr Dr. Michael Ludwig an die 10. Stelle der Liste der Mitglieder des Bundesrats gereiht und Frau Michaela Kauer an die 2. Stelle, Herr Abgeordneter Heinz Vettermann an die 6. Stelle, Frau Dr. Irmtraud Karlsson an die 8. Stelle und Herr Fritz Strobl an die 10. Stelle der Ersatzmitglieder des Bundesrats gereiht.

Mit vorzüglicher Hochachtung

Ingrid Smejkal

Erste Präsidentin des Wiener Landtages"

Präsident Johann Payer: Herr Bundesrat Karl Drochter und Frau Bundesrätin Michaela Rösler, die bei der letzten Sitzung am 25. Jänner 1996 entschuldigt war und daher nicht angelobt werden konnte, sind im Hause anwesend. Ich werde daher sogleich deren Angelobung vornehmen.

Nach Verlesung der Gelöbnisformel durch die Frau Schriftführerin wird die Angelobung mit den Worten "Ich gelobe" zu leisten sein.

Ich ersuche die Frau Schriftführerin um Verlesung der Gelöbnisformel und anschließend um den Namensaufruf.

Schriftführerin Helga Markowitsch: "Sie werden geloben unverbrüchliche Treue der Republik Österreich, stete und volle Beobachtung der Verfassungsgesetze und aller anderen Gesetze sowie gewissenhafte Erfüllung Ihrer Pflichten."

Karl Drochter.

Bundesrat Karl Drochter (SPÖ): Ich gelobe.

Schriftführerin Helga Markowitsch: Michaela Rösler.

Bundesrätin Michaela Rösler (SPÖ): Ich gelobe.

Präsident Johann Payer: Ich begrüße Herrn Bundesrat Karl Drochter und Frau Bundesrätin Michaela Rösler recht herzlich in unserer Mitte. (Allgemeiner Beifall.)

Einlauf und Zuweisungen

 

Präsident Johann Payer: Eingelangt sind weiters zwei Schreiben des Bundeskanzleramtes betreffend Ministervertretungen.

Ich ersuche die Schriftführung um Verlesung dieser Schreiben.

Schriftführerin Helga Markowitsch: " An den Präsidenten des Bundesrates

Der Herr Bundespräsident hat am 22. Februar 1996, Zl. 800.420/21/96, folgende Entschließung gefaßt:

Auf Vorschlag des Bundeskanzlers betraue ich für die Dauer der Verhinderung des Bundesministers für auswärtige Angelegenheiten Vizekanzler Dr. Wolfgang Schüssel am 28. und 29. Februar 1996 sowie am 3. März 1996 die Staatssekretärin im Bundesministerium für auswärtige Angelegenheiten Dr. Ferrero-Waldner sowie den Bundesminister für Landesverteidigung Dr. Werner Fasslabend am 1. und 2. März 1996 mit der Vertretung.

Hievon beehre ich mich, mit dem Ersuchen um gefällige Kenntnisnahme Mitteilung zu machen."

"An den Präsidenten des Bundesrats

Sehr geehrter Herr Präsident!

Ich beehre mich Ihnen mitzuteilen, daß ich mich vom 28. Februar bis 3. März 1996 im Ausland aufhalten werde.

Da sich der gemäß Artikel 69 Abs. 2 Bundes-Verfassungsgesetz zu meiner Vertretung berufene Vizekanzler an diesen Tagen ebenfalls im Ausland aufhalten wird, kann er meine Vertretung nicht wahrnehmen.

Aus diesem Grund habe ich dem Herrn Bundespräsidenten vorgeschlagen, gemäß Artikel 69 Abs. 2 Bundes-Verfassungsgesetz für den Fall der gleichzeitigen Verhinderung des Bundeskanzlers und des Vizekanzlers innerhalb des Zeitraums vom 28. Februar bis 3. März 1996 den Bundesminister für Wissenschaft, Forschung und Kunst Dr. Rudolf Scholten mit meiner Vertretung zu betrauen.

Mit den besten Grüßen

Vranitzky"

Präsident Johann Payer: Diese Schreiben dienen zur Kenntnis.

Eingelangt sind ferner fünf Anfragebeantwortungen, die den Anfragestellern übermittelt wurden.

Die Anfragebeantwortungen wurden vervielfältigt und auch an alle übrigen Mitglieder des Bundesrates verteilt.


Bundesrat
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609. Sitzung / Seite 8

Gemäß § 59 Abs. 8 der Geschäftsordnung gebe ich bekannt, daß die Vorarlberger Bundesräte Jürgen Weiss, Ilse Giesinger und Dr. Reinhard Eugen Bösch ihre Anfrage 1160/J zurückgezogen haben.

Den eingelangten Bericht der Bundesregierung über die innere Sicherheit in Österreich (Sicherheitsbericht 1994) habe ich dem Rechtsausschuß zugewiesen.

Eingelangt ist weiters ein Beschluß des Nationalrates vom 31. Jänner 1996 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das BIG-Gesetz, BGBl. Nr. 419/1992, geändert wird.

Dieser Beschluß unterliegt im Sinne des Artikels 42 Abs. 5 Bundes-Verfassungsgesetz nicht dem Einspruchsrecht des Bundesrates. Eine weitere geschäftsordnungsmäßige Behandlung des vorliegenden Beschlusses durch den Bundesrat ist daher nicht vorgesehen.

Eingelangt sind ferner Berichte (50 bis 2486-EU) über Vorhaben im Rahmen der Europäischen Union gemäß Artikel 23e Bundes-Verfassungsgesetz. Diese Berichte habe ich dem EU-Ausschuß zugewiesen.

In Anbetracht des Umfanges habe ich gemäß § 18 Abs. 2 Geschäftsordnung des Bundesrates nach Rücksprache mit den Vizepräsidenten angeordnet, daß eine Vervielfältigung und Verteilung zu unterbleiben hat, alle Vorlagen jedoch in der Parlamentsdirektion zur Einsichtnahme aufliegen.

Ankündigung einer dringlichen Anfrage

Präsident Johann Payer: Es liegt mir ein Verlangen in Sinne des § 61 Abs. 3 auf dringliche Behandlung der schriftlichen Anfrage der Bundesräte Dr. Kapral, Dr. Bösch und Kollegen an den Bundeskanzler betreffend Aushöhlung des Föderalismus vor.

Im Sinne des § 61 Abs. 4 verlege ich die Behandlung an den Schluß der Sitzung, aber nicht über 16 Uhr hinaus.

Einlauf und Zuweisungen

Präsident Johann Payer: Eingelangt sind jene Beschlüsse des Nationalrates, die Gegenstand der heutigen Tagesordnung sind.

Ich habe diese Beschlüsse sowie den Selbständigen Antrag der Bundesräte Bieringer, Konečny und Dr. Kapral den in Betracht kommenden Ausschüssen zur Vorberatung zugewiesen.

Die Ausschüsse haben darüber sowie über den Bericht des Bundeskanzlers und des Bundesministers für auswärtige Angelegenheiten Österreich-EU ihre Vorberatungen abgeschlossen und schriftliche Ausschußberichte erstattet.

Absehen von der 24stündigen Aufliegefrist

Präsident Johann Payer: Im Hinblick darauf sowie mit Rücksichtnahme auf einen mir zugekommenen Vorschlag, von der 24stündigen Aufliegefrist Abstand zu nehmen, habe ich alle diese Vorlagen auf die Tagesordnung der heutigen Sitzung gestellt.

Ich bitte jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die mit der Abstandnahme von der 24stündigen Aufliegefrist der gegenständlichen Ausschußberichte einverstanden sind, um ein Handzeichen. – Das ist Stimmeneinhelligkeit.

Der Vorschlag ist mit der nach § 44 Abs. 3 der Geschäftsordnung des Bundesrates erforderlichen Zweidrittelmehrheit angenommen.


Bundesrat
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609. Sitzung / Seite 9

Fristsetzungsantrag gemäß § 45 Abs. 3 GO-BR

Präsident Johann Payer: Wird zur Tagesordnung das Wort gewünscht? – Das ist der Fall. Bitte, Herr Dr. Kapral.

9.16

Bundesrat Dr. Peter Kapral (Freiheitliche, Wien): Herr Präsident! Frau Staatssekretärin! Herr Staatssekretär! Hohes Haus! Im Hinblick auf die heutige Tagesordnung und die besondere Aktualität, die der Frage der Arbeitsmarktpolitik und den sozialen Komponenten in der gegenwärtigen Zeit zukommt, zu einem Zeitpunkt, in dem Österreich mit einer Rekordarbeitslosigkeit und einer Rekordverschuldung konfrontiert ist, stelle ich den

Antrag

Der Bundesrat wolle beschließen:

Dem Sozialausschuß wird gemäß § 45 Abs. 3 Geschäftsordnung des Bundesrates zur Berichterstattung über den Bericht des Bundesministers für Arbeit und Soziales über die soziale Lage 1994 (III-143 BR/96) eine Frist bis zum 18. 3. 1996 gesetzt.

Gleichzeitig beantrage ich, über diesen Fristsetzungsantrag eine Debatte abzuführen.

9.18

Präsident Johann Payer: Meine Damen und Herren! Sie haben den Fristsetzungsantrag gehört. Ich werde über ihn gemäß § 45 Abs. 3 Geschäftsordnung nach Erledigung der Tagesordnung abstimmen lassen.

Darüber hinaus ist die Durchführung einer Debatte beantragt, und darüber lasse ich sofort abstimmen.

Wer damit einverstanden ist, daß eine Debatte durchgeführt werden soll, den bitte ich um ein Handzeichen. – Das ist die Minderheit.

Es findet daher keine Debatte statt.

Behandlung der Tagesordnung

Präsident Johann Payer: Aufgrund eines mir zugekommenen Vorschlages beabsichtige ich, die Debatte über die Punkte 2 und 3 der Tagesordnung zusammenzufassen.

Wird dagegen eine Einwendung erhoben? – Dies ist nicht der Fall. Ich werde daher in diesem Sinne vorgehen.

1. Punkt

Bericht des EU-Ausschusses über den Bericht des Bundeskanzlers und des Bundesministers für auswärtige Angelegenheiten Österreich-EU: Vorbereitung der Regierungskonferenz 1996; Leitlinien zu den voraussichtlichen Themen der Regierungskonferenz 1996 (III-145 und 5135/BR der Beilagen)

Präsident Johann Payer: Wir gehen nunmehr in die Tagesordnung ein und gelangen zum 1. Punkt der Tagesordnung: Bericht des EU-Ausschusses über den Bericht des Bundeskanzlers und des Bundesministers für auswärtige Angelegenheiten Österreich-EU: Vorbereitung der Regierungskonferenz 1996; Leitlinien zu den voraussichtlichen Themen der Regierungskonferenz 1996.

Die Berichterstattung hat Herr Bundesrat Anton Hüttmayr übernommen. Ich bitte um den Bericht.


Bundesrat
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609. Sitzung / Seite 10

Berichterstatter Anton Hüttmayr:
Herr Präsident! Frau Staatssekretärin! Herr Staatssekretär! Hoher Bundesrat! Der in Artikel N des EU-Vertrages enthaltene Beschluß auf Einberufung einer Regierungskonferenz im Jahr 1996 ist politisch darauf zurückzuführen, daß im Zuge der Vertragsverhandlungen über eine Reihe von Punkten, denen verschiedene Mitgliedsstaaten großes Gewicht zumaßen, keine Einigung erzielt werden konnte und somit die neuerliche Behandlung dieser Fragen in naher Zukunft zu einem wesentlichen Teil des Kompromißpaktes von Maastricht wurde.

Aufgrund des verzögerten Inkrafttretens des Europavertrages am 1. November 1993 wird die Regierungskonferenz zu einem Zeitpunkt stattfinden, zu dem nur beschränkte Erfahrungen mit dem Funktionieren dieses Vertrages vorliegen. Zahlreiche Bestimmungen sind noch nicht voll umgesetzt. In anderen Bereichen sind die Schwierigkeiten der Anlaufphase noch nicht überwunden. Dazu kommt, daß bei einer Reihe der im Vertrag vorgesehenen Themenstellungen die bei den Verhandlungen im Jahr 1991 aufgetretenen Gegensätze bis heute nicht ausgeräumt werden konnten.

Die Bedeutung der Regierungskonferenz geht jedoch über eine bloße Überprüfung von einzelnen Vertragsbestimmungen des EU-Vertrages hinaus. Österreich sieht in ihr eine weitere wichtige Etappe in der Weiterentwicklung der Integrationspolitik und in der Anpassung der EU an die tiefgreifenden Veränderungen der politischen Realitäten Europas. Um die Regierungskonferenz zum Erfolg zu führen, müssen die richtigen Lehren aus den Erfahrungen mit der Umsetzung des EU-Vertrages gezogen werden. Insbesondere gilt es aber, die richtigen Antworten auf die seit der letzten Regierungskonferenz neu hinzugekommenen beziehungsweise stärker hervorgetretenen Herausforderungen zu finden:

Erstens: Demokratie und Bürgernähe,

zweitens: innere und äußere Sicherheit der Union,

drittens: Erweiterung und Funktionsfähigkeit,

viertens: Modelle differenzierter Integration,

fünftens: Arbeitslosigkeit und Umwelt.

Die Regierungskonferenz 1996 ist die erste wichtige Weichenstellung im Integrationsprozeß, an der Österreich teilnehmen wird. In ihr manifestiert sich erstmals die durch den EU-Beitritt gewonnene Möglichkeit, für die Zukunft Gesamteuropas wesentliche Entscheidungen gleichberechtigt mitzugestalten. In vollem Bewußtsein der schwierigen Ausgangsposition der Regierungskonferenz glaubt Österreich doch, daß die Aufgaben, mit denen sich die Union in den nächsten Jahren konfrontiert sehen wird, wesentliche Fortschritte in der Europäischen Integration erfordern. Es wird daher darum gehen, Positionen zu entwickeln, die in ihren Ambitionen diesen Herausforderungen gerecht werden, die gleichzeitig aber auch den Aspekt der Realisierbarkeit und der Konsensfähigkeit der EU berücksichtigen.

Ein aktives Engagement für ein signifikantes Ergebnis der Regierungskonferenz entspricht dem Interesse Österreichs an einer handlungsfähigen und bürgernahen Union.

Der gegenständliche Bericht gliedert sich in vier Schwerpunkte. Während als erster Themenkreis die Politikbereiche der ersten Säule behandelt werden, widmet sich ein weiterer Schwerpunkt den institutionellen und finanziellen Fragen der Gemeinschaft. Als drittes Thema wird die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik diskutiert, und zuletzt wird die Zusammenarbeit in den Bereichen Justiz und Inneres erörtert.

Der EU-Ausschuß hat den vorerwähnten Bericht in seiner Sitzung vom 5. Juli 1995 in Verhandlung genommen und die Beratungen darüber am 25. Jänner 1996 und am 28. Februar 1996 fortgesetzt.


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609. Sitzung / Seite 11

Die Beratungen des EU-Ausschusses waren nach den vorgenannten vier Schwerpunkten des Berichtes gegliedert.

Als Ergebnis seiner Beratungen stellt der EU-Ausschuß somit den Antrag, der Bundesrat wolle

1. den Bericht des Bundeskanzlers und des Bundesministers für auswärtige Angelegenheiten Österreich-EU: Vorbereitung der Regierungskonferenz 1996; Leitlinien zu den voraussichtlichen Themen der Regierungskonferenz 1996 zur Kenntnis nehmen und

2. die beigedruckte Entschließung annehmen.

Abschließend habe ich noch eine Druckfehlerberichtigung bekanntzugeben, welche nachträglich als Zu 5135 der Beilagen zu den Stenographischen Protokollen des Bundesrates verteilt wird.

Der von den Bundesräten Ing. Johann Penz, Albrecht Konečny und Kollegen eingebrachte Entschließungsantrag war wie folgt begründet:

Am 29. März 1996 wird in Turin die Regierungskonferenz der Europäischen Union eröffnet. Die Konferenz hat die Aufgabe, die vertraglichen Grundlagen der Union, ihre institutionellen Strukturen und Arbeitsweisen so zu verändern beziehungsweise der Union jene Instrumente in die Hand zu geben, die es ermöglichen, gemeinsam die bestehenden wirtschaftlichen und politischen Probleme zu bewältigen. Gleichzeitig soll der innere Zusammenhalt der Europäischen Union und ihrer Mitgliedsstaaten nicht gefährdet werden.

Österreich sollte diese erste wichtige Weichenstellung im Integrationsprozeß, an der es gleichberechtigt mitwirken kann, bestmöglich nutzen und sich für substantielle Fortschritte in Richtung Demokratie, Transparenz, Bürgernähe, Entscheidungsfreudigkeit und Effizienz der Union einsetzen. Mit der Regierungskonferenz müssen die Voraussetzungen geschaffen werden, daß Europa der wachsenden Arbeitslosigkeit, den verschärften Umweltproblemen, der steigenden internationalen Kriminalität und den Herausforderungen im Bereich der Sicherheitspolitik effektiver begegnen kann. Neben der Vertiefung der Europäischen Integration müssen aber auch die Grundvoraussetzungen für eine baldige Erweiterung der Union geschaffen werden.

Präsident Johann Payer: Ich danke dem Herrn Berichterstatter für seine Ausführungen.

Wir gehen in die Debatte ein.

Zu Wort gemeldet hat sich Herr Bundesrat Albrecht Konečny. Ich erteile dieses.

9.25

Bundesrat Albrecht Konečny (SPÖ, Wien): Herr Präsident! Frau Staatssekretärin! Herr Staatssekretär! Meine Damen und Herren! Wir werden heute sicherlich eine Debatte haben, in der viele Detailfragen im Zusammenhang mit der Regierungskonferenz und der Weiterentwicklung der Europäischen Union in gebührender Weise angesprochen werden. Wir werden all jenes EU-Esperanto hier verwenden, durch dessen Kenntnis sich Europapolitiker vom Rest der Menschheit unterscheiden. Wir werden uns für eine erneuerte COSAC, für eine vielleicht reduzierte Rolle von COREPER und für viele andere durch treffliche Kürzel bezeichnete Einrichtungen aussprechen.

Ich sehe darin einen Teil des Problems, das wir nicht nur in Österreich, sondern in allen Mitgliedsstaaten der Union haben, nämlich die Akzeptanz dieses Projekts bei der Bevölkerung. Wir tragen, so wichtig diese Auseinandersetzungen und Diskussionen sind, damit dazu bei, daß tatsächlich im Wald die Bäume nicht zu sehen sind – oder umgekehrt. Wir verirren uns in viele wichtige Details, aber wir machen das Projekt nicht sichtbar, um das es eigentlich geht.

Bevor wir uns in jene – ich sage es noch einmal – sehr wichtigen Detailfragen vertiefen, sollten wir uns am Beginn einer solchen Debatte in Erinnerung rufen, worum es denn bei diesem europäischen Projekt eigentlich geht. Denn nur dann, wenn wir das Projekt klar vor Augen haben, gewinnen diese technischen und politischen Detailfragen die richtige Dimension. Nur


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609. Sitzung / Seite 12

wenn wir wissen, wohin wir wollen, können wir einen Weg als Umweg, aber doch zielführenden Umweg definieren, können wir Verzögerungen als Verzögerungen wahrnehmen.

Worum geht es also bei diesem großen europäischen Projekt? – Ich meine, daß es zunächst einmal ein Projekt des Friedens ist, ein Projekt, das den Mitgliedsstaaten der Union und dem europäischen Kontinent Frieden, Stabilität und Sicherheit bringen soll. Vergessen wir nicht, aus welcher Wurzel die Europäische Union entstanden ist, vergessen wir nicht, daß an dem Punkt, zu dem sie begründet wurde, die Erinnerung an die Katastrophe des Zweiten Weltkrieges eine noch sehr viel lebendigere war, als sie es vielleicht heute sein mag. Vergessen wir nicht, daß es auch die Ost-West-Konfrontation war, die im Moment der Gründung dieser Union der dominierende Hintergrund aller politischen Entscheidungen war.

Es ist keine Frage, daß die Union auf diesem Gebiet – gerade auf diesem Gebiet – eine eindrucksvolle Erfolgsbilanz aufweist. Daß es zwischen den Mitgliedsstaaten der Union Konflikte, Interessendivergenzen gibt, das ist keine Frage. Aber es hat allemal noch Wege gegeben, diese Divergenzen, diese Konflikte in einer Form auszutragen, die unserem heutigen Verständnis entspricht.

Ich merke als bedeutungsvoll an, daß dieser entscheidende Beitrag zum Frieden auf unserem Kontinent nicht darin bestand, daß die Europäische Union ein waffenstarrendes Militärbündnis gewesen wäre. Wir sollten uns das in Erinnerung rufen, wenn wir über die Gestaltung einer Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik reden.

Zum zweiten: Dieses Projekt ist ein Projekt des sozialen Ausgleichs und des Wohlstandsausgleichs – innerhalb dieses Kontinents und darüber hinaus. Man braucht kein sehr weitsichtiger Prognostiker zu sein, um sich der Überzeugung anzuschließen, daß es nicht in einem Meer von Elend und Hunger Wohlstandsinseln geben kann. Die Wohlstandsinseln mag es ja geben, aber an ihre Ufer brandet dann dieses Elend, und die Konsequenz, die wir durchaus kennen, ist eine moderne Völkerwanderung.

Innerhalb der Union hat die Politik großen Wert auf diesen Ausgleich gelegt. Die am schwächsten entwickelten Gebiete der Mitgliedsländer stehen im Vordergrund einer gezielten Förderungs- und Entwicklungspolitik. Auch Österreich, und insbesondere ein Bundesland, kommt in den Genuß dieser Förderung. Es ist keine Frage, daß hier gewaltige Fortschritte beim Einebnen von Unterschieden erreicht wurden.

Aber ebenso ist richtig, daß diese Politik des Wohlfahrtsausgleiches nicht an den Grenzen der Union haltmachen kann, damit eben hier nicht die Küste entstehen kann, an die diese Wellen des Elends branden, sondern sie muß die Staaten Osteuropas einbeziehen, jene, die Mitglieder in naher Zukunft sein könnten, und jene, für die das eine fernere oder überhaupt keine Perspektive ist, aber genauso die Staaten des Mittelmeerraumes, die im heutigen Zeitalter unsere Anrainer, unsere unmittelbaren Nachbarn geworden sind, und ebenso die Staaten jenes Bereiches, den man mit einem zunehmend unzutreffenden Ausdruck "Dritte Welt" nennt, weil auch hier die Verbindung eine enge geworden ist, die Nachbarschaft eine nahe.

Zum dritten: Wir müssen dieses Projekt als ein Projekt der Förderung des gemeinsamen Wohlstands, der wirtschaftlichen und industriellen Entwicklung sehen. Die Union hat ein hohes Maß an Verantwortung für die Wirtschafts- und Industriepolitik aller Mitgliedsstaaten übernommen, und es ist keine Frage, daß angesichts des Zusammenwachsens und des gewollten Zusammenwachsens von Wirtschaftsräumen diese wirtschaftliche Führungsrolle der Union gestärkt werden muß. Aber die Union hat ein massives Defizit dort, wo es darum geht, wirtschaftliche Offensive durch soziale Standards abzusichern. Jacques Delors hat gestern in dieser Stadt betont, daß das, was am ehesten das ehrgeizige Projekt der Wirtschafts- und Währungsunion, der Weiterentwicklung der Integration zu Fall bringen könnte, das Fehlen der sozialen Dimension sein könnte. Diese Gefahr sehe auch ich.

Ein Kontinent, so wirtschaftlich potent er sein mag, so industriell fortschrittlich er hoffentlich ist, kann nicht wirtschaften, kann nicht gerecht sein, kann nicht sozial sein, kann sich nicht entwickeln, wenn nicht auch innerhalb seiner Mitgliedsstaaten, in seinem gesamten Gebiet, eine


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klare soziale Offensive stattfindet, weitestgehend einheitliche Standards erreicht werden und insbesondere sichergestellt wird, daß der Entkoppelung von wirtschaftlichem Wachstum und Beschäftigung ein Riegel vorgeschoben wird.

Wir können nicht glauben, daß es der wahrhaftige Qualifikationsbeweis eines Managers ist, daß er die Beschäftigtenzahlen seines Betriebes ins Bodenlose schrumpft. Wir Sozialdemokraten können nicht glauben, daß Wirtschaftswachstum nach oben geht, während Beschäftigung nach unten geht. Wir meinen, daß Arbeit ein konstitutives Element dieser Gesellschaft ist, ein Element, über das sich Menschen in ihrem Selbstwert definieren. Und deshalb muß diese Union alle Anstrengungen unternehmen, alle Ressourcen bündeln, um unionsweit ein Projekt der Beschäftigung einzuleiten, neue Impulse zu geben und dafür zu sorgen, daß die bedrohlich angestiegenen Arbeitslosenzahlen wieder reduziert werden können, daß junge Menschen, die am Beginn ihrer Berufslaufbahn stehen, tatsächlich eine Perspektive auf einen Beruf gewinnen. (Beifall bei der SPÖ.)

Dieses Projekt Europa ist darüber hinaus auch ein Projekt der Demokratie, der Bürgerrechte und der vernünftigen Verteilung von Aufgaben auf die einzelnen Ebenen der einzelnen Staaten und dieses gemeinschaftlichen Verbundes.

Wir übersehen, wenn wir die billigen Schlagworte über die "Bürokraten in Brüssel" nachplappern, daß es ein hohes Maß an zusätzlicher Rechtssicherheit, auch für den einzelnen, auf der europäischen Ebene gibt, daß die Wahl von Abgeordneten zum Europäischen Parlament – wir werden uns heute noch damit zu beschäftigen haben – eine zusätzliche demokratische Dimension in das Bouquet von Möglichkeiten der Bürgerinnen und Bürger einbringt.

All diese Elemente des Projekts Europa sind das Entscheidende, sind die Zielsetzung, die wir sehen müssen. Und erst dann – ich sage es noch einmal –, wenn wir diese klar vor uns haben, können wir die wichtigen Fragen, über die wir heute zu diskutieren haben, in ihrer richtigen Dimension erkennen.

Nur dann, wenn wir diese klare Zielsetzung dem Bürger nahebringen, werden wir ihn auch für dieses Projekt gewinnen und begeistern können. Die Sachinformation darüber, wie Institutionen der Union zu gestalten sind, welche Einzelmaßnahmen notwendig sind, wollen wir ihm deshalb nicht vorenthalten, ganz im Gegenteil, aber sie müssen in diesem Zusammenhang gesehen werden.

Wenn in einem Monat in Turin die Arbeiten der Regierungskonferenz beginnen, kann sie sich auf eine Fülle von Vorarbeiten stützen, die freilich die Probleme nicht kleiner gemacht und das Ausmaß an Konvergenz nicht gerade erhöht haben.

Wir werden heute einen Entschließungsantrag – so nehme ich doch an – annehmen, in dem wir unsere Vorstellungen als Bundesrat an die Bundesregierung als Anregung für ihre Verhandlungsführung im Rahmen der Regierungskonferenz definieren.

Ähnliche Initiativen haben sicher alle Parlamente aller Mitgliedsstaaten unternommen. Das Europäische Parlament arbeitet – und wird diese Arbeit Mitte März abschließen – an einer sehr intensiven Auseinandersetzung mit der künftigen Entwicklung der Union. Die Reflexionsgruppe hat in einer langwierigen und durch viele Querverbindungen bereicherten Arbeit ein Dokument hergestellt, das bei dieser Regierungskonferenz den Rahmen setzt.

Aber es ist schon klar, daß es angesichts dieser Fülle von Anregungen nicht leicht ist, den Erwartungen, die an diese Konferenz gerichtet werden, Rechnung zu tragen.

Klar ist, daß es darum geht, die schwierige Aufgabe, die Union handlungsfähiger, leistungsfähiger, effizienter zu machen, mit der Perspektive auf eine Erweiterung – also die Aufnahme neuer Mitglieder – zu verbinden – das betrifft zwei quantitativ maßvolle Fälle im Mittelmeerraum und die wirtschaftlich und sozial sich am raschesten entwickelnden Staaten Mittel- und Osteuropas.


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Es ist keine Frage, daß es legitim ist, in diesen Prozeß auch klare nationale Interessen einzubringen, und es ist keine Frage, daß Österreich als eines der kleinen Mitgliedsstaaten der Union Modellen, bei denen die großen Mitgliedsstaaten sozusagen in den Vordergrund treten würden, nichts abgewinnen kann. Weder das Modell einer kollektiven Präsidentschaft, bei dem – um es wienerisch zu sagen – die kleineren Mitgliedstaaten nur als "Beiwagerln" bei einem großen mitlaufen könnten, ist für uns akzeptabel, noch die völlige Aufgabe von qualifizierten Mehrheiten im Rat, was die Kleinen ihrer Mitbestimmungsmöglichkeit vielleicht nicht berauben, aber sie doch stark herabsetzen würde.

Ich sage sehr ehrlich dazu: Auch dort, wo es um die Übertragung von Rechten auf das Parlament geht, werden wir uns in wohlerwogenem österreichischen Interesse nicht von der Begeisterung mitreißen lassen dürfen, denn es ist keine Frage, daß wir im Rat ein proportional höheres Mitbestimmungsrecht haben, als dies unseren 3 Prozent Stimmenanteilen im Parlament entspricht.

Ich sage das auch bewußt an dieser Stelle, weil mit Schlagworten allein nicht erfolgreich Politik gemacht werden kann. "Demokratisierung der EU" klingt hervorragend, wenn es auf irgendeinem Marktplatz der Republik gesagt wird, aber es muß auch ausgesprochen werden, daß das eine Reduzierung unserer Mitbestimmungsrechte bedeutet, wenn bestimmte Aufgaben dem Parlament übertragen werden, weil wir dort nur mit 21 Personen vertreten sind. Das spricht nicht gegen einen stärkeren parlamentarischen Einfluß, wahrlich nicht. Wir sprechen uns dafür aus, die Bundesregierung hat sich dafür ausgesprochen. Aber wo und in welchen Fällen, das muß wohl überlegt werden.

Ein drittes: Wir finden ein unendlich komplexes Verfahren der Entscheidung in der Europäischen Union vor. Die Aufgabenbereiche der Union sind in Säulen unterteilt, und in jeder dieser Säulen laufen die Entscheidungsmechanismen anders – einfach sind sie nicht. Da ist eine Straffung im Interesse einer höheren Transparenz des politischen Prozesses in Europa notwendig, da ist eine Straffung im Interesse einer effizienteren und rascheren Reaktionsmöglichkeit der Union erforderlich. Diese Straffung, diese Klärung institutioneller Fragen, zu denen heute sicher noch eine Menge gesagt werden wird, ist auch eine entscheidende Voraussetzung dafür, daß die Union fähig wird, neue Mitglieder aufzunehmen und dennoch ihre institutionelle Kraft zu bewahren.

Es ist an dieser Stelle – wir sprechen auch das in unserer Entschließung an – besonders Wert darauf zu legen, gerade aus dem österreichischen Staatsverständnis heraus, daß die Europäische Union zwar ein Verbund von Nationalstaaten ist, aber die Gliederung mit der nationalstaatlichen Ebene ja nicht zu Ende ist, sondern daß unsere föderalistische Struktur, die nicht in allen Mitgliedsländern eine Entsprechung findet, für uns wichtig ist und, wie wir glauben, auch eine Bereicherung des europäischen Prozesses darstellt.

Ich sage aber an dieser Stelle dazu, daß es eine Illusion wäre – keine Illusion, eine gefährliche Illusion –, zu glauben, den ohnehin komplizierten Entscheidungsprozeß der Europäischen Union um eine weitere Dimension bereichern und etwa für die Regionen oder für wen auch immer zusätzliche Entscheidungsebenen einbauen zu können. Dieses De-facto-Zweikammersystem – wenn wir den Rat als eine quasi parlamentarische, wenn auch sehr starke Kammer in Brüssel betrachten – durch eine dritte und vierte Kammer zu komplizieren, wäre undenkbar. Wir müssen in Wirklichkeit versuchen, das umzusetzen, was in unserem eigenen Land im Bereich der Sozialpartner so hervorragend funktioniert und wofür es in Brüssel mit dem Wirtschafts- und Sozialausschuß auch eine sehr eindrucksvoll wirkende Institution gibt, sozusagen eine Regionalpartnerschaft, wenn ich das so sagen darf, mit der Einfluß genommen wird, Stellung genommen wird, die aber nicht den stromlinienförmiger werden müssenden Entscheidungsprozeß noch einmal um einen barocken Schnörkel bereichert.

Wir müssen uns – und ich spreche auch das an – sehr ernsthaft mit der Frage auseinandersetzen – gerade im Zusammenhang mit dem, was ich über die soziale Dimension und die Beschäftigungspolitik gesagt habe –, was Subsidiarität eigentlich heißen kann und soll. Wir bekennen uns auch in diesem Entschließungsantrag zu diesem für die EU zentralen Prinzip.


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Aber Subsidiarität kann nicht bedeuten, daß wir das Projekt europäischer Vereinheitlichung preisgeben. Es kann nicht bedeuten, daß die Union darauf verzichtet, sich auch neue Bereiche zu erschließen, wenn das im Interesse der Bürger erforderlich ist.

In unserem eigenen Land – Beispiel Finanzausgleich – leben wir existentiell davon, daß reiche Regionen dieses Landes etwas abgeben, um anderen bei ihrer Entwicklung zu helfen. Unser Steuerrecht lebt davon, daß Menschen, die mehr Einkommen haben als andere, über den Weg der Steuer etwas abgeben, um anderen das Überleben zu ermöglichen. Das ließe sich nicht aufrechterhalten, wenn wir es in kleine Zellen unterteilen, hier brauchen wir einen globalen Zuschnitt. Diesen globalen Zuschnitt brauchen wir in vielen Bereichen auch in Europa. Wir werden daher Subsidiarität nicht so definieren können, daß wir sagen, wir wollen das Spektrum an Aufgaben der Europäischen Union reduzieren, aber wir werden darauf drängen, daß das, was wir innerstaatlich Rahmengesetzgebung nennen – die Möglichkeit, eine große Skizze vorzugeben und diese dann auf lokaler oder regionaler Ebene auszufüllen –, in der europäischen Politik eine größere Rolle zu spielen beginnt.

Dabei spielt insbesondere die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik eine schwierige und, wie wir wissen, auch innerstaatlich durchaus umstrittene Rolle. Die Haltung oder teilweise auch Nicht-Haltung der EU gegenüber einer verheerenden Entwicklung auf dem Gebiet des ehemaligen Jugoslawien hat die Schwächen der Europäischen Union auf diesem Feld in dramatischer Weise akzentuiert. Es ist keine Frage, daß wir ein höheres Maß an gemeinschaftlichem Auftreten der Union nach außen brauchen, daß die Union dafür Instrumente braucht.

Die Idee der Planungszelle, die die Europäische Union gewissermaßen auch ein wenig unabhängig vom diplomatischen Dienst des jeweiligen Präsidentenstaates machen soll, ist eine gute Idee. Das ist ein erster Schritt, aber es muß uns schon klar sein, auch im wohlverstandenen eigenen Interesse, daß das nicht die Übertragung der außenpolitischen Kompetenz von den Mitgliedsstaaten an die Union sein kann und darf. Aber Abstimmung, Vereinheitlichung, entschlossenes und gemeinsames Auftreten nach außen sollte für die Europäische Union charakteristisch werden. Ich möchte jedoch mit großem Nachdruck sagen, daß es schon einzelne Mitgliedsstaaten im besonderen Maße sind, die es so schwierig machen, auf einen gemeinsamen Nenner zu kommen.

Ich habe im Europäischen Parlament – das ist nur eine Randglosse, die nicht zum Kernthema gehört – das zweifelhafte Vergnügen, miterleben zu dürfen, wie der wirtschaftlich vermutlich am besten entwickelte Staat unter den potentiellen Mitgliedern, Slowenien, von einem Mitgliedsland, das eine gemeinsame Grenze mit Slowenien hat und nicht Österreich ist, auf Armlänge gehalten wird unter zum Teil absurden Vorgaben, Vorwürfen und Vorwänden, und es ist schmerzlich, feststellen zu müssen, daß keine wirkliche Eingriffsmöglichkeit besteht. Es gibt allenfalls die Möglichkeit zu vermitteln, Vorschläge zu machen, ein entsprechendes Klima zu schaffen. Das schmerzt, ich sage es ehrlich, und es gibt andere Beispiele hiefür, die mir nicht so nahegehen. Ich meine, daß innerhalb der Europäischen Union, zwischen den Mitgliedstaaten der Union, ein gemeinsames Verständnis davon entwickelt werden muß, was legitim ist, um verständliche nationale Anliegen in diesen Gemeinschaftsprozeß einzubringen.

Es ist keine Frage, daß eine Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik auch über die Instrumente verfügen muß, um in humanitären Hilfsaktionen all das tun zu können, was wir in unserer Entschließung aufzählen, um rasch reagieren zu können. Dazu gehört eine operationale Kapazität. Sie gilt es, aufzubauen.

Es ist auch keine Frage, daß die Europäische Union in hohem Maße dazu legitimiert ist, zum Kernpunkt dessen zu werden, was wir immer ein "europäisches Sicherheitssystem" nennen. Aber ich glaube, daß es nicht der richtige Weg wäre, gewissermaßen die Europäische Union selbst zu einem Militärblock zu entwickeln, sie – gestützt auf einer Politik der wirtschaftlichen und militärischen Stärke – zum Dominator des Kontinents zu machen. Ein europäisches Sicherheitssystem muß, wenn es funktionieren soll, über die Grenzen der EU hinausreichen, es muß ein mehrstufiges System, das die zu Unrecht beiseite geschobene OSZE miteinschließt, geben, in dem die EU eine zentrale und wichtige, aber nicht die alleinige Rolle spielt.


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Das ist der Grund – ich sage es sehr klar –, warum auf unserer Seite ein hohes Maß an Zurückhaltung gegenüber voreiligen Festlegungen und Vorleistungen unsererseits besteht. Wir sind bereit und willens, an der Entwicklung einer solchen europäischen Sicherheitsarchitektur mitzuwirken, auch phantasievoll mitzuwirken, aber wir sollten uns anschauen, wie dieses System aussehen kann, bevor wir unsere staatlichen und vor allem innerstaatlichen Entscheidungen treffen.

Meine Damen und Herren! Österreich ist seit eineinviertel Jahren Mitglied der Europäischen Union, gestützt auf eine überwältigende Meinungsäußerung der österreichischen Bevölkerung. Diese relativ kurze Zeit ist ein schwacher Ansatzpunkt, um ein Resümee zu ziehen, aber zwei Dinge möchte ich festhalten: Österreich hat sich in den Institutionen und in den Entscheidungsstrukturen der Europäischen Union als ein vollwertiges Mitglied eingeführt, und unser Beitrag bei dieser Regierungskonferenz ist zweifellos ein vollwertiger und voll von den anderen Partnern anerkannter. Wir haben zum zweiten den richtigen Weg eingeschlagen, um die Möglichkeiten zu nutzen, die die Europäische Union wirtschaftlich, in der Förderungspolitik und in vielen anderen Bereichen für unser Land bietet.

Österreich ist in vielfacher Hinsicht geistig mit am Beginn eines Prozesses der europäischen Einigung und Zusammenarbeit gestanden, dessen heutiger Ausdruck die Europäische Union ist. Österreich hat darum gerungen – noch als besetztes Land –, dem Europarat beitreten zu können und zu dürfen. Österreich hat in einer Vielfalt von Verträgen damals als Nichtmitglied seine Partnerschaft mit der EU herausgebildet. Österreich hat auf die Entwicklung des – wenn auch kurzlebigen – Europäischen Wirtschaftsraumes einen zentralen Einfluß genommen. Wir sind nun eben auch Mitglied geworden, ein spätes Mitglied, aber ein Mitglied, das seine initiative Rolle nützen wird.

Ich würde mir wünschen, daß die Regierungskonferenz und die Rolle, die Österreich bei den Arbeiten dieser Regierungskonferenz spielt, etwas von dem wiederbeleben können, was für die Menschen in unserem Land im besonderen, aber auch für alle anderen Europäer, wo immer sie leben, am Beginn dieses europäischen Projektes gestanden ist: die Überzeugung, daß das Zusammenstehen der Staaten Europas unsere Kräfte verstärkt und uns einen neuen Horizont eröffnet. Für diese Überzeugung sollten und wollen wir arbeiten! (Beifall bei der SPÖ sowie bei Bundesräten der ÖVP.)

9.58

Präsident Johann Payer: Zu Wort gemeldet hat sich Herr Bundesrat Dr. Milan Linzer. Ich erteile dieses.

9.58

Bundesrat Dr. Milan Linzer (ÖVP, Burgenland): Herr Präsident! Frau Staatssekretärin! Herr Staatssekretär! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gleich als Vorbemerkung: Ich möchte zum Ausdruck bringen, daß ich mich freue, daß ich eigentlich in fast allen Passagen meinem Kollegen und Vorredner Konečny zustimmen kann. (Bundesrat Dr. Prasch: Das ist ein Zufall! – Bundesrat Konečny: Ich glaube, ich habe etwas Falsches gesagt!)

Fassen Sie es nicht als Provokation auf, wenn ich sage, daß das vor einigen Jahren, etwa vor zehn Jahren, nicht möglich gewesen wäre, denn da gab es noch deutliche Auffassungsunterschiede über die Einigungsziele auf der einen Seite und die nationalen Zielen auf der anderen Seite. Aber immerhin, das ist Geschichte, das ist Schnee von gestern.

Ich möchte aber zu verstehen geben, daß ich in einigen Punkten nicht ganz Ihrer Meinung bin, und zwar im Hinblick auf Ihre zwar etwas abgeschwächte, aber vorhandene Kritik an der Sozialpolitik der Europäischen Union. Es ist auch gestern bei den Beratungen im Ausschuß angeklungen, daß die Europäische Union hinsichtlich der Sozialpolitik Nachholbedarf hat. Natürlich ist nichts so gut, als daß es nicht noch besser sein könnte – ein alter Grundsatz –, aber ich möchte doch daran erinnern – Sie haben es ja selbst erwähnt –, daß die Europäische Union gerade in dieser Frage wirklich vorbildlich agiert. Sie hat als ein Dogma die Solidarität der Mitgliedsstaaten untereinander und die Solidarität der Union mit jedem einzelnen Staat fest


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geschrieben – ich möchte dann noch darauf zurückkommen –, und ich sage daher, daß ich Ihre diesbezügliche Kritik nicht ganz teilen kann.

Letztlich freue ich mich, daß unsere beiden Fraktionen zu einem gemeinsamen Entschließungsantrag gekommen sind. Damit versucht die Länderkammer, der Bundesregierung die Intentionen und Vorschläge, die natürlich vor allem im Interesse der Länder zum Ausdruck gebracht werden, auf den Weg mitzugeben.

Meine Damen und Herren! 40, 50 Jahre Frieden und weitestgehender Wohlstand in Europa können nicht darüber hinwegtäuschen, daß es doch eine gewisse Unzufriedenheit gibt, Unzufriedenheit, was den wirtschaftspolitischen, den sozialen, aber auch den institutionellen Bereich betrifft. Wir könnten es uns leichtmachen. Wir sind jetzt das zweite Jahr in der EU und haben durchaus Vorteile lukriert. Ich denke nur an die zusätzlichen Auslandsinvestitionen aufgrund des bevorzugten Wirtschaftsstandortes in der Größenordnung von etwa 28 Milliarden Schilling, an die vielen Preisvorteile und vieles andere mehr. Ich möchte aber keine Schönfärberei betreiben, denn tatsächlich sind auch bei uns ein gewisser Unmut, eine gewisse Besorgtheit und eine Ungeduld festzustellen. Ungeduld ist in weiten Kreisen der gesamten Union festzustellen. Wodurch ist diese entstanden? – In erster Linie zweifellos durch die europaweite, fast möchte ich sagen, weltweite wirtschaftliche Rezession und die damit verbundene Arbeitslosigkeit – etwa 18 Millionen Menschen in den EU-Ländern sind arbeitslos –, ferner durch die Umweltproblematik und letztlich auch durch die mangelnde Information der Bürger.

Meine Damen und Herren! Für mich steht das Dogma fest, eine gut funktionierende Union, eine volle Integration, ein voller innerer Zusammenhalt in der Union, das kann es nur geben, wenn in der Union mit dem Bürger und für den Bürger gearbeitet wird. Arbeiten für den Bürger bedeutet, daß das gesamte Aufbauwerk – wir befinden uns ja noch mitten im Aufbau der Union – immer wieder auf die besonderen Probleme – Arbeitslosigkeit et cetera – eingeht und daß die Union bereit ist, mehr als das bisher der Fall war, mit dem Bürger zu agieren.

Was heißt "mit dem Bürger"? Wir kennen alle die Schlagwörter "mehr Demokratie", "Subsidiarität", "mehr Zusammenarbeit mit den Regionen". Wir haben hier in der Länderkammer immer wieder betont, wie wichtig Subsidiarität für uns ist.

Draußen vor Ort, in Brüssel, auch im Europäischen Parlament, das sich ja als eine volle demokratische Einrichtung betrachtet, klingen immer wieder die zentralistischen Züge einiger Länder durch, weil eben die Verfassung in diesen Ländern zentralistisch ist; ich will keine Namen nennen. Wir befinden uns immer irgendwo in einem Spannungsfeld.

Es wurde hier die regionale Struktur, der Ausschuß der Regionen angesprochen. Ich teile diesbezüglich völlig Ihre Meinung, wir müssen diesen Ausschuß der Regionen aufwerten, wir müssen ihn systemisieren, ohne ihn zu einer eigenen Länderkammer – zumindest derzeit ist das nicht spruchreif – aufzuwerten.

Meine Damen und Herren! Es kann eine Integration nicht stattfinden, wenn wir nicht unsere Städte und Gemeinden einbinden. Ich darf Ihnen in meiner Eigenschaft als Mitglied der Eurokommunalpolitischen Vereinigung sagen, daß wir in diesem Bereich noch völlig in den Kinderschuhen stecken. Die Informationen, die von der EU zu den Gemeinden und damit auch zu den einzelnen Bürgern durchdringen, sind noch sehr bescheiden.

Auf diese Thematik der Regionalisierung beziehungsweise der Demokratie, Subsidiarität et cetera werden sicherlich noch meine Fraktionskollegen zurückkommen.

Ich möchte an dieser Stelle aber mit aller Vehemenz und in aller Deutlichkeit sagen: Zu einer Steigerung der Demokratieeffizienz gehört vor allem auch das verstärkte Bekenntnis zu den Grund- und Menschenrechten. Wir haben auch in diesem Bereich einen Nachholbedarf. Es ist jetzt vorgesehen, daß die Union nach der Regierungskonferenz eine Mitgliedschaft im Europarat bei der Europäischen Menschenrechtskonvention begründet. Ich teile auch diese Ansicht. Wir müssen hier vorankommen, und wir müssen vorankommen auch auf dem Gebiet der Bekämpfung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit. Es werden mannigfach Vorlagen, Richtlinien der


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Kommission zu diesem Thema ausgearbeitet, aber ich muß bekennen, daß die Erfolge auf diesem Gebiet sehr mager sind.

Wir kennen ja die Problematik in der Union. Es gibt überall, außer in Portugal, Minderheiten- beziehungsweise Nationalitätenprobleme. Wenn es zu einer Erweiterung im Mittelmeerraum oder in Mittel- und Osteuropa kommen soll, so müssen wir dieses Problem in einer noch vehementeren, effizienteren Form regeln beziehungsweise bekämpfen.

Meine Damen und Herren! Ich habe eingangs erwähnt, Probleme der Bürger sind zu lösen. Keine Frage. Das vordringlichste Problem in der Union ist derzeit die relativ hohe Arbeitslosigkeit. Ich darf hier einen Terminus zitieren, den Kollege Konečny immer wieder gebraucht – wir stimmen heute ständig überein; ich finde das eigentlich ganz angenehm –, er hat immer wieder den Terminus "Kräfteparallelogramm" verwendet, aber eher in der Außenpolitik, wie ich glaube. Dieser Ausdruck ist gerade bei dem Thema Beschäftigung und Hintanhaltung der Arbeitslosigkeit wahnsinnig wichtig.

Die Union hat sich die Behandlung dieses Themas nicht nur auf dem Papier vorgenommen und an vorderste Stelle gereiht, sondern es nimmt derzeit schon in ihrer Arbeit großen Raum ein. Natürlich wird es ein vordringliches Thema bei der Regierungskonferenz sein. Sie hat aber bisher schon gezeigt, daß mit den vielen Programmen, die bereits laufen oder in Vorbereitung sind – zuständig dafür ist Kommissar Padraig Flynn –, wirksam der Arbeitslosigkeit gegengesteuert wird. Ich darf nur erwähnen, daß auch die Wirtschafts- und Währungsunion eine Grundlage, eine Basis ist, um ein gesundes Wirtschaftsklima zu schaffen, ein Wirtschaftsklima, das essentiell ist, um mehr Beschäftigung zu bringen.

Wir kennen die verstärkte Förderung der KMUs, der Klein- und Mittelbetriebe, die nach wie vor einen Großteil der Arbeitsplätze in der Union bringen. Wir kennen die Bemühungen bezüglich der transeuropäischen Netze in der Union. Es gibt eine Initiative bezüglich Verkehr, Telekommunikation und Energie, mittels der wir durch die Errichtung von Infrastruktur zusätzliche Arbeitsplätze – nicht nur durch die sich unmittelbar daraus ergebende Arbeit, sondern eben durch die Gründung neuer Betriebe – schaffen.

Und nicht zuletzt werden mit Mitteln aus dem Sozialfonds verstärkt – das ist ganz wichtig, und das ist auch bei uns national ein besonderer Schwerpunkt – die Ausbildung und Bildung gefördert, wodurch eine höhere Qualifikation erreicht wird.

Das sind nur einige Ansätze zu dieser Thematik, wobei ich auch erwähnen möchte, daß die nationalen Bemühungen davon völlig unberührt bleiben; sie sollen nur dazu dienen, daß die Initiativen gegenseitig verstärkt werden. Wenn diese Initiativen national und auf der EU-Ebene in dieser Form zum Tragen kommen, dann bin ich überzeugt, daß wir auch die Arbeitslosigkeit, vor allem für die Jugend und die Langzeitarbeitslosen, etwas mildern können. Die anderen EU-Länder kämpfen so wie wir mit der Jugendarbeitslosigkeit und allen daraus resultierenden Folgen.

Damit komme ich zum Thema Sicherheit. Sie haben es schon angesprochen, Herr Kollege Konečny, aber ich möchte vor allem die innere Sicherheit hier erläutern. Ursache für diese Ungeduld, diese gewisse Unzufriedenheit mit der Union ist auch die schleppende Institutionalisierung der verschiedenen Einrichtungen, die damit beschäftigt sein sollen, die innere Sicherheit zu stärken, das heißt, die europaweit organisierte Kriminalität zu bekämpfen. Ich meine hier vor allem die europäische Drogeneinheit, die an sich funktioniert, allerdings in einem sehr beschränkten Ausmaße, und letztlich das Europäische Polizeiamt, Europol.

Es gibt Staaten, die diesbezüglich gewisse Bedenken haben und meinen, die Souveränität wäre dadurch in Gefahr, aber wenn wir uns die Fakten ansehen, so müssen wir eines bekennen: Der Einwanderungsdruck in der Union aus dem Osten – zweifellos ein negativer Aspekt von Perestrojka und Glasnost –, aber auch der Einwanderungsdruck aus dem Mittelmeerraum sind bedeutend. Und wir stehen nicht an einzugestehen, daß sich die Kriminalität beziehungsweise der Kriminaltourismus in den letzten Jahren verstärkt hat. Wir müssen ihn natürlich zweifach be


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kämpfen, auf der einen Seite durch entsprechende Einrichtungen, wie gesagt, Europol, und auf der anderen Seite durch das Schengener Abkommen.

Das Schengener Abkommen soll natürlich nicht dazu dienen – das gilt gerade für uns Österreicher –, hier eine zweite Mauer nach dem Osten aufzustellen – ganz im Gegenteil! Aber wir haben natürlich die Grundsätze der Grundfreiheiten, die vier Säulen in der Europäischen Union, den freien Personenverkehr für die EU-Mitgliedsländer, aber auch den freien Personenverkehr für Drittländer, soweit sie einen Aufenthaltstitel in den EU-Ländern haben, durchzusetzen. Wir haben daher zu gewährleisten, daß dieser freie Personenverkehr ohne entsprechende Einschränkung auch funktioniert. Da gibt es noch verschiedenes zu tun, zweifellos ist dieser freie Personenverkehr eine unumgängliche Voraussetzung für die völlige Durchführung des Binnenmarktes.

Meine Damen und Herren! Es ist wiederholt geäußert worden, daß kein Land in der Union Sicherheit zum Nulltarif genießen kann. Niemand wird sozusagen aus der Loge, vom Zuschauerraum aus zusehen können, wie Sicherheit gewährleistet wird.

Kollege Konečny hat es schon angedeutet. Ich glaube, Neutralität ist für uns ein kostbares Gut zum einen, zum anderen aber müssen wir doch einbekennen, daß wir aus dem Titel der Solidarität natürlich auch Verpflichtungen werden ableiten müssen, Verpflichtungen, unsere Bereitschaft zu erklären, am Aufbau der europäischen Sicherheitsarchitektur mitzuarbeiten. Ich will da jetzt keine Details nennen, ich bin nur persönlich der Meinung, daß eben die Petersberg-Missionen, humanitäre Friedenssicherung et cetera zunächst eine Basis bilden, auf der man dann eben durch Diskussion und Verhandlungen zu einer Lösung kommen muß. Und gerade in dieser Hinsicht ist die Erwartungshaltung unserer Bevölkerung sehr groß, denn wir haben seinerzeit – das müssen wir zugeben; Hand aufs Herz! – in der Diskussion anläßlich der Volksabstimmung erklärt, daß wir bei der Entwicklung der europäischen Sicherheitsarchitektur, der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik mitarbeiten und mitgestalten wollen.

Stichwort "mitgestalten": Ich bin auch der Meinung, daß wir nunmehr im zweiten Jahr der Mitgliedschaft bei der Union feststellen können, daß wir uns durch unsere nationalen Institutionen, durch unsere gemeinsame Arbeit in aller Bescheidenheit Respekt und Anerkennung verschaffen konnten. Ich glaube, daß es aber notwendig sein wird, in Zukunft noch geschlossener aufzutreten. Jetzt bei der Regierungskonferenz haben wir erstmalig die Gelegenheit, zu zeigen, daß wir auch gestaltend und visionär etwas beizutragen haben.

Gerade auch der vorliegende Entschließungsantrag gibt Gelegenheit, die Dinge in Erinnerung zu rufen, die uns und auch unserer Bevölkerung am Herzen liegen. Ich wiederhole noch einmal: die Demokratisierung aller Institutionen insoweit, als die Union als ein supranationales Gebilde derzeit noch in den Köpfen unserer Bevölkerung verankert ist. Wir müssen das Ganze transparenter, aber auch effizienter gestalten.

Meine Damen und Herren! Es haben sich längst die Meinung und die Überzeugung in der Union gefestigt, daß die politische Stabilität in Europa erst dann gegeben sein werden, wenn wir eine sinnvolle Erweiterung durchgeführt haben, eine Erweiterung nach dem Süden – gedacht ist an Malta und Zypern –, aber auch eine Erweiterung nach dem Osten. Verschiedene Assoziationsverträge laufen ja bereits, die Kommission prüft derzeit, inwieweit die Demokratisierung, sprich: politische Stabilität, in den Assoziierungsländern gegeben ist, wieweit die wirtschaftliche Entwicklung voranschreitet, wieweit die Bereitschaft vorhanden ist, den Acquis Communautaire zu übernehmen.

Für uns Österreicher ist es natürlich von großer Wichtigkeit, daß wir quasi als Brücke von Ost nach West aktiv daran teilnehmen, ohne zu vergessen, festzustellen, was machbar ist und was nicht machbar ist.

Die Union hat sich zur Aufgabe gestellt, bei der Regierungskonferenz entsprechende interne Vorbereitungshandlungen zu treffen, was den organisatorischen Bereich betrifft. Wir haben ja in den Institutionen – Rat, Kommission, vor allem im Europäischen Parlament – mit den derzeitigen Mitgliedern mehr oder minder den Plafond erreicht. Wie das dann aufgrund der Erweiterung


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organisatorisch funktionieren soll, das, wie gesagt, wird nicht nur ein Thema bei der Regierungskonferenz sein müssen, sondern auch in der Folge.

Soweit derzeit der Zeitplan absehbar ist, sollen etwa ein halbes Jahr nach der Regierungskonferenz Beitrittsverhandlungen beginnen. Wenn Sie daran denken, daß die Verhandlungen mit Österreich doch auch einige Jahre gedauert haben, obwohl wir den EWR fertig verhandelt hatten, so können Sie sich vorstellen, daß das Ziel – oder eines der Ziele – der beitrittswilligen Länder im Osten, den Beitritt 2005 zu erreichen, durchaus als realistisch angesehen werden kann.

Meine Damen und Herren! Ich darf zusammenfassend sagen: Frieden und Wohlstand müssen wir uns weiterhin erarbeiten, und zwar weiterhin – wie ich angemerkt habe – erarbeiten mit dem Bürger. Alle, die wir an dieser und in dieser Union arbeiten, müssen dessen eingedenk sein, daß wir noch am Beginn stehen. Wir befinden uns in einem lebenden Unternehmen. Die Überzeugungsarbeit fordert von uns sehr viel. Wir müssen, wie erwähnt, die inneren Herausforderungen der Union erkennen, aber natürlich auch die äußeren Herausforderungen aus dem Osten und aus dem Süden zum Thema Erweiterung.

Wenn wir versuchen, an einem Strang zu ziehen, wenn wir das Positive erkennen, ohne unkritisch zu sein, dann bin ich überzeugt davon, daß wir dieses Europa zu einem Europa aller Bürger, die den Frieden suchen, formen können. – Danke für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei ÖVP und SPÖ.)

10.23

Präsident Johann Payer: Zu Wort gemeldet hat sich Herr Bundesrat Dr. Peter Kapral. Ich erteile ihm dieses.

10.23

Bundesrat Dr. Peter Kapral (Freiheitliche, Wien): Herr Präsident! Frau Staatssekretärin! Herr Staatssekretär! Hohes Haus! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir diskutieren heute über den Bericht des Ausschusses über die Leitlinien zur Regierungskonferenz, und zwar auf den Tag genau vier Wochen vor dem Beginn der Regierungskonferenz, die ja seinerzeit in Maastricht I vereinbart wurde und die im Zeitraum der italienischen Ratspräsidentschaft am 29. März in Turin beginnen wird. Wir diskutieren hier im Bundesrat darüber, und soweit ich weiß, ist es das erste Mal, daß ein gesetzgebendes Gremium über die Vorbereitungsarbeiten zu dieser Regierungskonferenz aus österreichischer Sicht und über die von der Bundesregierung seinerzeit, nämlich schon im Frühjahr 1995, beschlossenen Leitlinien zu den voraussichtlichen Themen dieser Regierungskonferenz diskutiert.

Die Beratungen des EU-Ausschusses haben demgemäß auch im Juli des vergangenen Jahres begonnen, wurden heuer fortgesetzt und gestern abgeschlossen, und es liegt uns nunmehr der Bericht über diese Ausschußtätigkeit vor, der – ich habe das gestern mit Bedauern auch im Ausschuß selbst festgestellt – sich doch – fast bin ich geneigt, zu sagen: zwangsläufig – darauf beschränken muß, jene Überlegungen und jene Vorschläge in knappester Form zusammenfassend wiederzugeben, wie sie in den Leitlinien selbst aufscheinen. Es ist unbefriedigend, daß aufgrund des parlamentarischen Mechanismus jene Entwicklungen, die im Laufe der letzten Monate eingetreten sind, in den Diskussionsbeiträgen über diesen Bericht nur unterstrichen und dargelegt werden können und es nicht möglich ist, im Bericht selbst darauf einzugehen, weil ja diese zwischenzeitig erfolgten Weiterverfolgungen weiterer Darlegungen nicht Gegenstand der Beratungen sein konnten.

Damit ist, was die Dokumentation anlangt, natürlich auch die österreichische Position in dieser Regierungskonferenz unklar geblieben, auch wenn – ich möchte das schon herausstreichen – in der gestrigen Diskussion im Ausschuß durch die Darlegungen der Frau Staatssekretärin und des Sektionschefs Stacher aus dem Kanzleramt einige Dinge in die Beratungen miteinbezogen werden konnten, die von Aktualität sind und zweifelsohne auch die Haltung der österreichischen Seite in der Regierungskonferenz bestimmen werden – wobei dies ja keine Konferenz im technischen Sinn ist, sondern eine Beratung, die sich über einen längeren Zeitraum erstrecken wird. Aller Voraussicht nach wird diese Diskussion noch bis ins Jahr 1997 unter weiteren zwei


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Ratspräsidentschaften geführt werden, und auch wenn sie – aber das entspricht wieder der Art und Weise, wie die EU selbst über diese Dinge verhandelt – nicht als Revision des Maastricht-Vertrages bezeichnet wird, wird es letztendlich darauf hinauslaufen, daß es zu einer solchen Revision kommen wird und kommen muß.

Das zeigt aber jetzt auf der anderen Seite natürlich die große Bedeutung dieser Regierungskonferenz und des Inhaltes und der Beratungspunkte, die dort behandelt werden, weil es ja erstens einmal darum geht, den gemeinsamen Markt, also die erste Säule, durch die Schaffung einer Wirtschafts- und Währungsunion weiterzuentwickeln und auf eine noch breitere und sicherlich aus wirtschaftlicher Sicht bedeutende Dimension zu stellen. Darüber hinaus geht es aber natürlich auch darum, jene Bereiche, die in Maastricht I zwar angetönt und angesprochen, nicht jedoch schon im Detail ausgeführt und in der Zwischenzeit auch nicht sehr viel weitergebracht wurden, nämlich die zweite und dritte Säule, also die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik und die Zusammenarbeit auf dem Gebiet der inneren Sicherheit und der Justiz, weiter voranzutreiben.

Im Vordergrund unserer Beratungen hier im Bundesrat sollte – das ist auch in den Ausführungen meines Vorredners schon angeklungen – jedenfalls die Position der Länder und der Kommunen stehen, die im Zusammenhang mit dem Einzug einer weiteren Ebene ja eine sehr heikle geworden ist – dies vor allem auch deshalb, weil aus innerstaatlichen Gründen die ursprünglichen Zusagen, daß gleichzeitig mit dem Vollzug des Beitritts und der Realisierung verschiedenster gesetzlicher Voraussetzungen für den EU-Beitritt auch eine umfassende Bundesstaatsreform Platz greifen würde, bis heute nicht verwirklicht wurden.

Diese Position der Länder und diese Position der Städte und Gemeinden sind nach Meinung meiner Fraktion in der Dokumentation der Ergebnisse der Beratungen zu kurz gekommen, auch wenn in dem Entschließungsantrag, der jetzt von den Vertretern der beiden möglicherweise zukünftigen Regierungsparteien eingebracht wurde, durch eine Umstellung der Punktation diesem Aspekt, der ja für den Bundesrat ein sehr maßgebender sein sollte, doch etwas besser Rechnung getragen wird.

Aber für uns als freiheitliche Fraktion ist insgesamt gesehen – und das zeigt ja, daß das Selbstverständnis dieses Gremiums nicht immer und überall so präsent ist, wie es sein sollte – der Aspekt der Ländermitwirkung, der Länderrechte, der Länderinteressen – das gilt aber genauso-gut auch für die Kommunen – doch zu kurz gekommen.

Darüber hinaus sollte es natürlich Aufgaben dieser Leitlinien sein, klare Zielsetzungen zu formulieren und die Standpunkte zu den einzelnen Politikbereichen festzulegen. Ich möchte nicht abstreiten, daß wir zu den einzelnen Punkten sicherlich sehr interessante und auch hochstehende Diskussionen im Ausschuß geführt haben, muß aber doch sagen, letztendlich bleibt das Ergebnis unbefriedigend. Aus dieser Erkenntnis, aus diesen Überlegungen heraus ist meine Fraktion zu dem Entschluß gekommen, diesem Bericht, wie er heute zur Diskussion steht, und auch dem Entschließungsantrag, der als Ergänzung dieses Berichtes anzusehen ist, nicht zuzustimmen. (Vizepräsident Dr. Schambeck übernimmt den Vorsitz.)

Wenn man etwas hinaushört in die Welt, und zwar nicht nur in die große Welt, sondern in die etwas kleinere Welt der EU-Mitgliedsländer, so zeigt sich, daß dort die Themen der Regierungskonferenz sehr viel intensiver, aber auch extensiver, was den Umfang der möglichen Diskussionsgegenstände anlangt, diskutiert wurde und diskutiert wird und auch in der Öffentlichkeit mehr Beachtung findet, als das in Österreich der Fall ist. Es würde den Rahmen der heutigen Diskussion sprengen, wollte ich im einzelnen darauf eingehen, wie und welche Punkte eigentlich einer Diskussion bedürften, aber die Zeit seit Maastricht I hat doch gezeigt, daß man von einem teilweisen Scheitern der Vereinbarungen, wie sie in Maastricht I getroffen wurden, sprechen muß und man das daher in die weitergehenden Überlegungen einbeziehen muß und daß vor allem auch die Bestimmungen über die Wirtschafts- und Währungsunion und deren Realisierung sicherlich noch Gegenstand von eingehenden Diskussionen sein werden, wobei natürlich diese Wirtschafts- und Währungsunion ein sehr kritischer Punkt im Zusammenhang mit der


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vollständigen Realisierung des gemeinsamen Marktes darstellt und die Diskussion darüber einen hohen Grad an Sensibilität erfordert.

Dies ist ebenso der Fall – und das ist ein sehr wesentlicher Punkt der Regierungskonferenz 1996 – bei der Frage der Erweiterung der Europäischen Union, wobei die beiden Kandidaten, die sozusagen an der Spitze der Kandidatenliste stehen, nämlich Zypern und Malta, nicht die gleichen Probleme aufwerfen wie jene Beitrittskandidaten, die sich aus den Ländern Mitteleuropas und Osteuropas zusammensetzen.

Und all das konkurriert natürlich auch mit der Frage der sogenannten Vertiefung, nämlich der Reform im institutionellen Bereich, wobei in all diesen Bereichen, in all diesen Fragen die Bewahrung der Handlungsfähigkeit der Europäischen Union die vordringliche Aufgabe ist.

Ein weiteres Problem, das ich kurz anreißen möchte – es ist auch bei den Vorrednern schon angeklungen –, ist natürlich, daß die Akzeptanz bei den Bürgern durch Mängel in der Transparenz, in der Transparenz der Verfahrenstechniken eher schwach ist. Ich habe mir unlängst sagen lassen, daß es insgesamt im Augenblick 22 unterschiedliche Möglichkeiten der Verfahrensregelung, die zwischen dem Rat und dem Parlament Platz greifen, gibt und daß es auch eine wesentliche Zielsetzung sein muß, hier eine Strukturvereinfachung in die Wege zu leiten, um die gewünschte Bürgernähe zu zeigen.

Hier kommt natürlich auch dem in Maastricht I formulierten Ziel einer subsidiären Betrachtungsweise, einer subsidiären Vorgangsweise eine große Bedeutung zu. Ich kann daher Herrn Bundesrat Konečny in seinen Ausführungen nicht folgen. (Bundesrat Konečny: Gott sei Dank!) Es freut mich, Ihren Zwischenruf laut zu wiederholen: Gott sei Dank. Aber vielleicht werden Sie etwas anderes denken, wenn Sie meine Begründung, warum ich Ihnen da nicht folgen kann, hören, denn die hat nämlich mit irgendwelchen parteipolitischen Überlegungen herzlich wenig zu tun, sondern basiert darauf, daß ich in diesem Begriff "Subsidiarität" doch einen sehr wesentlichen Aspekt der Bürgernähe sehe. Es ist dies ein Anliegen, glaube ich, das allen drei hier im Haus vertretenen Fraktionen ein sehr naheliegendes ist.

Ein globaler Zuschnitt, das heißt, eine Regelung der Materien im Gesamtrahmen aller Mitgliedsländer in Brüssel, ist sicherlich dann erforderlich, wenn es darum geht, das Funktionieren des gemeinsamen Marktes aufrechtzuerhalten und sicherzustellen. Das gilt jedenfalls für den Bereich der ersten Säule. Aber zumindest eine Quelle des Mißbehagens ist, daß sich die Kommission und der Rat, nicht immer aus eigenem Antrieb, sondern oft auch getrieben von vorgeblichen und vermeintlichen Anliegen der Mitgliedsländer, in Materien verzetteln, die keinesfalls wirklich Anliegen sind, die im Zusammenhang mit dem Funktionieren des gemeinsamen Marktes von Bedeutung sind. Gerade hier – und da müssen auch die Mitgliedsländer ein entsprechendes Verantwortungsbewußtsein zeigen – muß die Subsidiarität greifen. Es darf nicht der von den Bürokraten, wo auch immer sie sitzen, gebrauchte Vorwand Platz greifen, daß man nur deswegen agiere und deswegen eine Regelung vorbereite und eine Regelung treffe, weil es doch gelte, den Bürger zu schützen, und weil es notwendig ist, dem Bürger hier Vorteile zu verschaffen. Auf der einen Seite wird immer vom mündigen Bürger gesprochen, der in der Lage und imstande ist, seine Entscheidungen aus freiem Antrieb zu fällen, auf der anderen Seite wird jedoch alles getan, um diesen Bürger zu bevormunden, und dieser Geist hat auch vor Brüssel – was immer das ist – nicht haltgemacht.

Die Reduzierung dieses sehr vielschichtigen Verfahrenskonvoluts, wie es sich zwischen Rat und Parlament eingespielt hat, sollte auf nur drei Verfahren zurückgeführt und auch ergänzt werden dadurch, daß jenen Beratungen im Rat, die letztlich in Gesetzgebungsakte münden, die Öffentlichkeit zuerkannt wird; die Öffentlichkeit zumindest in der Form, daß man nachvollziehen kann, welche Beschlußerwägungen und welche Abstimmungsergebnisse im Rat für die Entscheidung maßgebend waren.

Abgerundet und ergänzt – darüber, so muß ich sagen, geben jedenfalls im Augenblick die uns vorliegenden Leitlinien der österreichischen Position keine Auskunft – müßte das Ganze werden durch einen Grundrechtskatalog, durch klare Vorstellungen hinsichtlich der Rechts- und Innen


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politik, die Übertragung in den Gemeinschaftspfeiler und auch die Haltung hinsichtlich der Entscheidungsgrundlagen, das heißt Mehrheitsentscheidungen auf dem Gebiet der Außen- und Sicherheitspolitik.

Insgesamt stellten sich als die wichtigsten Forderungen: Erhöhung der Transparenz, Erhöhung der Effizienz der Tätigkeit der Organe und Ausbau der demokratiepolitischen Ausrichtung.

Ich möchte noch kurz auf das Kapitel Erweiterung und Funktionsfähigkeit eingehen, vor allem deswegen, weil die sogenannte Osterweiterung der Gemeinschaft kürzlich auch Gegenstand der Diskussion im Bundesland Wien war, dessen Landtag mich in den Bundesrat entsandt hat, und – das habe ich schon ausgeführt – die Wünsche der Länder für die Grundhaltung unserer Diskussion hier von Bedeutung sein sollten.

Von seiten der Wiener Landespolitik wurde kürzlich die Frage der Ostöffnung der EU thematisiert und darauf hingewiesen, daß man – und das liegt unter anderem in der strategischen Lage der Stadt und damit auch des Landes Wien begründet – dieser Ostöffnung positiv gegenüberstehe und auch der Meinung ist, daß diese zügig vorangehen solle, daß man aber an diese Frage mit Bedacht herangehen müsse, um unerwünschte Auswirkungen auf das Land, aber natürlich auch auf die ganze Region – letztlich gilt das dann für alle Bundesländer, für Österreich insgesamt – hintanzuhalten. Als Beispiel hiefür wurde die Sensibilität der Frage der Freizügigkeit der Person genannt – sicher ein äußerst heikles Thema, da die Freizügigkeit der Person ein Grundpfeiler des Binnenmarktes ist.

Es ist notwendig, daß in Vorbereitung der Entscheidung, die aufgrund der wirtschaftlichen Situation der Ost-Länder nicht so bald zu erwarten ist – aber man wird die Frage der Ostöffnung zumindest in Form von Assoziierungsübereinkommen mit einer schrittweisen Annäherung sicher nicht mehr lange hinausschieben können –, der Freizügigkeit der Person entsprechende Aufmerksamkeit geschenkt wird, um nicht eine Flut von Einwanderungswilligen hereinbrechen zu lassen. Es ist notwendig, daß sich Österreich als eines der wahrscheinlich erstbetroffenen Länder in diesem Bereich der Zusammenarbeit, der Unterstützung anderer EU-Länder versichert. Weiters ist es notwendig, diese Vorarbeiten möglichst bald in Angriff zu nehmen, damit eine breite Basis des Verständnisses geschaffen wird für berechtigte Anliegen im Interesse der Länder und der Kommunen.

Mir war es ein Anliegen, diesen Aspekt besonders zu unterstreichen, weil ich glaube, daß hier im Bundesrat solche Dinge zur Sprache kommen und diskutiert werden sollen, um zu zeigen, daß es notwendig ist, auch die Interessen der Teilgebietskörperschaften in allen Fragen der Weiterentwicklung des europäischen Einigungsprozesses und des gemeinsamen Marktes entsprechend zu berücksichtigen. – Danke vielmals. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

10.46

Vizepräsident Dr. Drs h.c. Herbert Schambeck: Zu Wort gemeldet ist Frau Staatssekretärin Dr. Ferrero-Waldner. Ich erteile es ihr.

10.46

Staatssekretärin im Bundesministerium für auswärtige Angelegenheiten Dr. Benita Maria Ferrero-Waldner: Sehr geehrter Herr Präsident! Hohes Haus! Wir haben es heute schon gehört: Wir stehen mit der kommenden Regierungskonferenz wieder vor einer großen Herausforderung, und zwar müssen wir auf der einen Seite Maastricht I neu sehen, den Prozeß, der mit Maastricht I begonnen und nicht abgeschlossen wurde, weiterführen, auf der anderen Seite aber – das wurde von Bundesrat Konečny hier gerade sehr schön gesagt – müssen wir weiterhin auf die Positionen unserer Bürgerinnen und Bürger eingehen und dürfen kein EU-Esperanto aufkommen lassen. Es muß den Bürgern die Europäische Union in Zukunft mehr unter die Haut gehen. – Das ist natürlich ein echtes Dilemma, denn einerseits müssen wir die institutionelle Debatte, die ich mit "Weiterführung von Maastricht I" gemeint habe, unbedingt ansprechen, denn sie ist die Grundvoraussetzung für die Möglichkeit einer Erweiterung – auch das wurde natürlich von allen Vorrednern erwähnt –, andererseits müssen wir das einbringen, was heute hier auch schon angesprochen wurde, nämlich mehr Transparenz, mehr Bürgernähe, mehr Subsidiarität.


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Ich möchte hier kurz Jean Monnet zitieren; er hat gesagt: "Nichts geht ohne große Persönlichkeiten, nichts bleibt ohne effektive Institutionen!" – Das heißt, wir müssen uns auch dem Thema der Institutionen verschreiben.

Bevor ich jetzt in die Details eingehe, die ich hier noch einmal vorstellen möchte, möchte ich noch folgendes erwähnen: Gestern abend war ich bei einem Abendessen mit Jacques Delors eingeladen. Er hat zur sozialen Offensive, die auch hier angesprochen wurde, gesagt: Nicht wegen der Europäischen Union haben wir Beschäftigungslosigkeit, sondern wegen unseres hohen europäischen Zivilisationsstandes, der dem Phänomen Arbeitslosigkeit in gewisser Weise Vorschub leistet.

Wir müssen aber – ich glaube, diesbezüglich sind wir in den Regierungsparteien uns einig – die Beschäftigungspolitik durchaus ansprechen, weil sie ein wirkliches und ganz wesentliches Anliegen des Bürgers ist, ebenso wie die hier bereits kurz erwähnte Sozialpolitik und die noch nicht erwähnte Umweltpolitik, auf die ich in meinen Ausführungen noch zu sprechen kommen werde.

Lassen Sie mich jetzt kurz auf die einzelnen Positionen eingehen, danach komme ich noch einmal auf allgemeine Dinge zurück.

Wie Sie wissen, sind wir gerade dabei, unter Einbindung der zuständigen Ressorts, der Länder, der Gemeinden und der Sozialpartner an einer Neuformulierung der österreichischen Position zu arbeiten. Diese wird sich im großen an den Leitlinien orientieren, aber es gibt eben durch die letzte Diskussion einen Aktualisierungsbedarf.

Ich habe bereits gestern im Ausschuß ausgeführt, daß wir hier mit dem Parlament durchaus eng zusammenarbeiten werden – das habe ich auch gestern versucht zu zeigen. Wir werden das auch in Zukunft machen. Und ich möchte hier, Herr Bundesrat Dr. Kapral, noch einmal unsere Bereitschaft erwähnen, dem Parlament zur Information wirklich zur Verfügung zu stehen.

Nun zu den wesentlichen grundsätzlichen österreichischen Positionen.

Das österreichische Engagement in der Regierungskonferenz muß, so glaube ich, von der Grundüberlegung ausgehen, daß unser Land an allen Kernbereichen der Integration, das heißt einerseits an der Wirtschafts- und Währungsunion, die ja nicht Thema der Regierungskonferenz sein wird, die aber natürlich im Raum steht und sehr wesentlich ist, andererseits an den Positionen der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik, an neuen Positionen im Bereich der inneren Sicherheit – Schengen, Europol – von Anfang an teilzunehmen und zu ihrer Entwicklung beizutragen hat.

Wie ich schon erwähnt habe, wird dabei die zentrale Herausforderung sein, gleichzeitig die Akzeptanz der Union bei ihren Bürgern zu stärken und dazu beizutragen, die Kluft zwischen EU-Institutionen und den Bürgern zu verringern und mehr demokratische Legitimität der Union hereinzubringen.

Dies soll die Regierungskonferenz sicherstellen durch die Schaffung optimaler Voraussetzungen für die effektive Einbindung der nationalen Parlamente – dies vor allem auch durch rechtzeitige Information, rechtzeitige Übermittlung von Dokumenten zum Beispiel –, durch den schrittweisen Ausbau der Legislativ- und Kontrollbefugnisse des Europäischen Parlaments, durch die Stärkung der Zuständigkeiten und der Stellung des Ausschusses der Regionen – auf diesen will ich später noch eingehen – und durch eine effektivere Umsetzung des Subsidiaritätsprinzips.

Lassen Sie mich mit dem für Österreich so vorrangigen Thema der Beschäftigung beginnen; übrigens ein Thema, das Österreich gemeinsam mit einigen wenigen anderen Staaten, darunter auch Schweden, in die Diskussion eingebracht hat.

Die Regierungskonferenz muß auf die konkreten Anliegen der Bürger reagieren. Dabei ist natürlich der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, die im EU-Durchschnitt bei 10 Prozent liegt, ein besonders hoher Stellenwert zuzumessen. Es geht dabei nicht um eine Übertragung von Kompeten


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zen nach Brüssel – die primäre Verantwortung für den Arbeitsmarkt und die Arbeitsmarktpolitik muß auf nationaler Ebene bleiben –, sondern es geht um die Schaffung eines institutionellen Rahmens, der es der EU ermöglicht, sich mit diesem Thema effektiver zu befassen. Wir werden daher im Rahmen der Regierungskonferenz folgende Punkte fordern:

Erstens: Aufwertung der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit in den Zielbestimmungen des EG-Vertrages, das heißt in Artikel 2.

Zweitens: Die Schaffung eines gemeinsamen Überwachungsmechanismus der Mitgliedsstaaten und der Kommission, in dem folgende Elemente enthalten sein sollten: Erstellung beschäftigungspolitischer Leitlinien auf EU-Ebene, Erstellung nationaler Programme unter Einbindung der Sozialpartner, gemeinsame Beurteilung und Überwachung der Zielerfüllung, auf EU-Ebene, politische Kontrolle und Vorschläge im Falle von Abweichungen.

Und schließlich drittens: Einbeziehung des Sozialprotokolls in den EG-Vertrag.

Lassen Sie mich nun zum nächsten, für Österreich doch sehr wichtigen inhaltlichen Thema kommen, das heute erstaunlicherweise noch nicht angesprochen wurde, zum Umweltschutz.

Ein weiteres zentrales Thema der Bürger – gerade der Österreicher – ist es, wirksames Handeln auf europäischer Ebene im Bereich des Umweltschutzes zu ermöglichen. Deshalb sollte der Umweltschutzgedanke in die verschiedenen Bereiche der Politik der Union einbezogen werden, zum Beispiel Landwirtschafts- und Verkehrspolitik. Es sollten aber auch Verfahren im Umweltschutzbereich weiterentwickelt werden. Höhere nationale Standards sollten abgesichert werden – auch da nimmt Österreich eine Vorreiterrolle ein – und eine Umweltverträglichkeitsprüfung sollte für alle Kommissionsvorschläge eingeführt werden.

Darüber hinaus – ich glaube, das paßt hier – wird Österreich für die vertragliche Verankerung des Tierschutzes eintreten.

Das dritte wesentliche Thema, meine sehr geehrten Damen und Herren, ist – ich habe es am Anfang bereits angesprochen – die Erweiterung; sie wurde auch hier von allen Vorrednern erwähnt. Das Dilemma dabei ist, einerseits eine Vertiefung zur Stärkung der Handlungsfähigkeit der Institutionen durchzuführen und andererseits – beinahe parallel – eine Erweiterung vorzubereiten. Das sind ganz wesentliche Aufgaben, die selbstverständlich in wechselseitigem Zusammenhang stehen.

Österreich hat aus seiner geopolitischen, aus seiner historischen Bedeutung heraus, aus dem, was wir auch schon in unseren Beitrittsverhandlungen in die Gemeinschaft einzubringen versucht haben, ganz besonders großes Interesse daran, daß die Verhandlungen mit den mittel- und osteuropäischen Staaten möglichst rasch nach der Regierungskonferenz beginnen.

Wie Sie wissen, ist ja die Position des Europäischen Rates von Madrid diejenige, daß sechs Monate nach Beendigung der Regierungskonferenz – genauso wie mit Zypern und Malta – die Aufnahme der Beitrittsverhandlungen erfolgen soll; allerdings je nach Erfüllung der Beitrittskriterien und individuell mit unterschiedlicher Intensität geführt.

Ich glaube, mit Freude sagen zu können, daß gerade unsere Nachbarstaaten diesbezüglich sehr gut liegen, um als einige der ersten Kandidaten dann aufgenommen zu werden. Ich meine, es ist sehr wichtig, daß wir das immer wieder herausstreichen, denn der Sicherheits-Stabilitätsgedanke ist enorm wichtig; auch der Gedanke, daß wir die Migration aus diesen Ländern dadurch hintanhalten, daß sie selbst stabile Verhältnisse bekommen.

Wir sehen in diesem Zusammenhang – das möchte ich auch nicht verhehlen – eine Notwendigkeit für folgende institutionelle Anpassungen: Derzeit gibt es über 20 Entscheidungs- und Gesetzgebungsverfahren auf Unionsebene – das betrifft das Schlagwort "Transparenz". Sicher muß man da eine Straffung der Verfahren durchführen. Wir stellen uns vor, daß man auf drei Grundtypen kommt: Mitentscheidung, Zustimmung, Konsultation.


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Gleichzeitig müssen in Zukunft – das wurde heute kurz, aber noch nicht sehr ausführlich erwähnt – mehr Entscheidungen mit qualifizierter Mehrheit getroffen werden. Nur in besonders sensiblen Bereichen, in Bereichen, die uns besonders wichtig sind, wird auch in Zukunft das Einstimmigkeitserfordernis erhalten bleiben. Ich spreche hier nur militärische Sicherheit, Eigenmittel und EU-Beitrittsverträge an.

Weiters möchte ich sagen, daß es ein besonderes österreichisches Anliegen ist, die Rolle der Europäischen Kommission als Motor im Integrationsprozeß zu erhalten. Dies gilt vor allem im Bereich der ersten Säule, aber auch im Bereich der dritten Säule. Wir hoffen, entweder einen Teil, nämlich zum Beispiel Visapolitik oder Asylpolitik, von der dritten Säule in die erste Säule zu bringen, um hier die Gemeinschaftsverfahren anwenden zu können, oder aber, wenn dies nicht gelingt, der Kommission wenigstens doch stärkere Rechte einräumen zu können.

Bereits angesprochen wurde und für uns ganz wesentlich ist die Aufrechterhaltung der starken Stellung der kleineren und mittleren Staaten – dies insofern, als wir das überproportionale Stimmgewicht im Rat so weit als möglich erhalten sollen –, unsere Präsenz in der Kommission – das heißt, jeder Staat soll zumindest einen Kommissär haben – und die gleichberechtigte Beteiligung der kleineren und mittleren Staaten an der Präsidentschaft; auch da wollen wir uns keineswegs zurückstellen lassen.

Ich darf jetzt zur dritten Säule gehen und komme dann auf zweite Säule, die GASP, zurück.

Innere Sicherheit und Justiz sind ganz wesentliche Bereiche, die für den Bürger Nähe bedeuten. Das heißt, in diesem Bereich werden wir besonders ansetzen müssen – da ist auch noch sehr wenig geschehen, da besteht also wirklich Nachholbedarf. Ich denke dabei beispielsweise an die Bereiche Kriminalitäts-, Drogenbekämpfung und Migration – Visapolitik und Asylpolitik habe ich bereits erwähnt.

Leider sind auch die Mechanismen, die jetzt vorhanden sind, keineswegs sehr effizient. Ich glaube, das erste, was man tun kann, ist, diese Mechanismen effizienter zu machen. Es gibt hier fünf verschiedene Arbeitsebenen, die man zumindest auf drei beschränken kann. Außerdem müßte man versuchen, die Kommission – wie ich bereits erwähnte – stärker einzubinden. Eine mögliche Überführung eines Teiles dieser dritten Säule in die erste zur Gemeinschaft würde helfen. Außerdem sollte – das ist der letzte Punkt in diesem Zusammenhang – die Kontrollfunktion des Europäischen Gerichtshofes gestärkt werden.

Lassen Sie mich nun, sehr geehrte Damen und Herren, auch kurz auf die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik eingehen. Die bisherige Bilanz – das wurde hier auch angesprochen – der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik – das hat sich natürlich am besten in Ex-Jugoslawien gezeigt – ist nicht befriedigend. Deshalb ist es gerade Österreichs Anliegen, signifikante Fortschritte in der Wirksamkeit der GASP zu erreichen. Gleichzeitig muß aber auch eine geeignete Basis für die volle Mitwirkung unseres Landes an den zukünftigen österreichischen Sicherheitsstrukturen geschaffen werden.

Wir sind in diesem Zusammenhang – die Kommission spielt hier keine beziehungsweise eine sehr geringe Rolle – für den Ausbau dieser außen- und sicherheitspolitischen Planungs- und Analysekapazität, damit der Präsidentschaft hier von seiten des Rats eine starke Zelle beigegeben wird, die mehr Initiativrechte hat. Wir sind auch hier für einen graduellen Übergang zu Entscheidungen mit qualifizierter Mehrheit. Weiters sollte die operationale Kapazität von EU und WEU in erster Linie auf dem Gebiet Krisenmanagement, Friedenserhaltung, Katastrophenhilfe und humanitäre Aktionen ausgebaut werden.

Sehr geehrte Damen und Herren! Wir haben uns bereits beim Beitritt zur EU zum Ziel der gemeinsamen Verteidigungspolitik bekannt – wir haben dies auch in einem Referendum abgesichert. Dies ist natürlich ein längerfristiger Prozeß, und diese Regierungskonferenz – darüber müssen wir uns auch jetzt schon im klaren sein – wird nur eine Etappe, nur ein Schritt in diesem Prozeß sein.


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Trotzdem ist es wesentlich, daß das im Aufbau befindliche Potential der WEU für die Europäische Union voll genützt wird. Die europäische Sicherheit beruht nämlich auf dem Zusammenwirken von mehreren Organisationen: der EU, der WEU, der NATO und der OSZE. Österreich hat großes Interesse, in Zusammenarbeit mit all diesen Institutionen zum Aufbau einer europäischen Sicherheitsordnung beizutragen.

Im Lichte dieser europäischen Entwicklungen müssen die entsprechenden Schlußfolgerungen, sehr geehrte Damen und Herren, so glaube ich, auch für die europäische und für die österreichische Sicherheitspolitik gezogen werden. Denn fest steht, daß unter den Bedingungen des heutigen Europa Sicherheit nicht mehr von den einzelnen Staaten gewährleistet werden kann, sondern nur durch gemeinsame Aktionen im Rahmen von gemeinsamen Institutionen. Und wer den Beistand der anderen für seine Sicherheit sucht, der muß auch seinen Beitrag zur Sicherheit anderer leisten. (Beifall bei der ÖVP.) Auch wir haben daher großes Interesse daran, daß eine verläßliche und glaubwürdige Solidarität immer mehr zur Grundlage der europäischen Sicherheitspolitik wird.

Lassen Sie mich jetzt vielleicht noch ein paar Worte zu einigen hier angesprochenen Punkten sagen. Es wurde hier im Bundesrat selbstverständlich der Ausschuß der Regionen erwähnt. Ich darf auch noch einmal betonen, was ich gestern schon ausgeführt habe, nämlich daß Österreich aufgrund seiner bundesstaatlichen Struktur für die Weiterentwicklung des Konzeptes für den Ausschuß der Regionen zur Verfügung steht und diesen Dingen sehr positiv gegenübersteht.

Insbesondere stellen wir uns vor, daß der Ausschuß der Regionen organisatorisch und haushaltstechnisch mehr Selbständigkeit haben soll, dann wäre auch die Möglichkeit gegeben – so hoffen wir –, daß ein Klagerecht bei Eingriffen beim Europäischen Gerichtshof möglich ist und auch die Frage der Subsidiarität beim Europäischen Gerichtshof geprüft werden kann.

Zur Subsidiarität möchte ich vielleicht nur einen Satz anfügen, den Jacques Santer, der EU-Kommissionspräsident, geprägt hat: Nicht mehr, sondern eher weniger, aber das besser. – Dies sollte auch das Leitmotiv dieser Regierungskonferenz sein. (Beifall bei ÖVP und SPÖ.) Man muß aber trotzdem sagen, daß das Subsidiaritätsprinzip natürlich nicht als Hebel benutzt werden darf, das bisher Erreichte – also den Acquis – kaputtzumachen oder zurückzudrängen.

Es wurde hier auch der Grundrechtekatalog angesprochen. Ich möchte hiezu sagen, daß wir Österreicher dem Begriff der Menschenrechte natürlich sehr positiv gegenüberstehen. Wir sind noch nicht sicher, welche Ausformung es schließlich geben wird, vielleicht den Beitritt zur Europäischen Menschenrechtskonvention. Ich möchte sagen, daß wir natürlich auch in diesem Zusammenhang die Verankerung des gleichberechtigten Zuganges für Frauen zu Entscheidungsprozessen mitverfechten werden. (Beifall bei ÖVP und SPÖ.)

Ich glaube, ich habe im wesentlichen alles erwähnt. – Ich danke herzlich. (Neuerlicher Beifall bei ÖVP und SPÖ.)

11.07

Vizepräsident Dr. Drs h.c. Herbert Schambeck: Zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Drochter. Ich erteile es ihm.

11.07

Bundesrat Karl Drochter (SPÖ, Wien): Herr Präsident! Frau Staatssekretärin! Herr Staatssekretär! Liebe Kolleginnen und Kollegen des Bundesrates! Die Frau Staatssekretärin hat erfreulicherweise besonders darauf Bezug genommen und hingewiesen, daß die österreichische Delegation am 29. März in Turin der Beschäftigungs- und Sozialcharta besondere Bedeutung zumessen wird. Ich möchte mich in meinem Beitrag auf drei Schwerpunkte beschränken: Demokratie, Solidarität und Arbeit.

Arbeit – das ist schon angeklungen – ist in Europa Mangelware. Es klingt zwar ganz gut – weniger für die Betroffenen –, daß Österreich eine wesentlich geringere Arbeitslosigkeit hat, als der europäische Durchschnitt ausweist. Ich muß aber darauf hinweisen, daß auch bei uns arbeitsmarktpolitische und beschäftigungspolitische Maßnahmen zu setzen sind, weil wir ein


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Land sind, das sehr viele seiner Produkte und Dienstleistungen in die EU exportiert. Es ist daher für uns nicht ohne Bedeutung, wie sich Wirtschaft und Beschäftigung auch in Europa entwickeln. Dazu kommt, daß wir als Österreicherinnen und Österreicher sehr stark vom Tourismus abhängig sind, also von jenen Gästen, die überwiegend auch aus dem europäischen Raum kommen.

Die Zahl 18,5 Millionen Arbeitslose in Europa, das sind 10 Prozent, beinhaltet sicherlich nicht die Anzahl jener Kolleginnen und Kollegen, die verdeckt arbeitslos sind. Das sind nämlich auch noch einige Millionen in Europa, die von dieser Arbeitslosigkeit betroffen sind, auch wenn sie in sinnvolle Umschulungsmaßnahmen eingegliedert sind.

Wir dürfen nicht unterschätzen, daß es in Europa Regionen gibt, wo die Arbeitslosigkeit bedauerlicherweise weit über 20 Prozent liegt. Wir wissen auch, daß es in Österreich selbst sehr große Unterschiede in der Beschäftigung gibt.

Daher kann ich verstehen – ich bin darüber erfreut und nehme das gerne zur Kenntnis –, wenn die Frau Staatssekretärin einleitend gemeint hat, die EU muß den Bürgern "unter die Haut gehen". Ich darf das vielleicht mit einer persönlichen Anmerkung ergänzen: Die EU und ihre Mitgliedsländer haben auch die Verpflichtung, ihren Bürgern, ihren Arbeitnehmern mehr Arbeit zu bieten als bisher.

Zweifelsohne haben diese Mängel, die ich hier angedeutet habe, dazu beigetragen, daß die Europäische Union seit Jahren in einer für viele sichtbaren Phase der Unsicherheit steckt. Wir alle sollten dazu beitragen, daß diese Phase der Unsicherheit so rasch wie möglich überwunden wird, wenn wir eine positive Zukunft der EU gesichert haben wollen.

Die nach unserer Auffassung vorliegende mangelnde Glaubwürdigkeit der Europäischen Integration birgt längerfristig die große Gefahr einer Legitimitätskrise in sich. Angesichts dieser Feststellung sind wir als österreichische Arbeitnehmerorganisation – als Gewerkschaftsbund, Arbeiterkammern oder aber auch darüber hinaus als Europäischer Gewerkschaftsbund – der Auffassung, daß sich die Regierungskonferenz 1996 nicht nur mit minimalistischen und institutionellen Reformen auseinandersetzen darf, sondern daß sie in der Lage sein muß, auf die berechtigten Erwartungen der Arbeitnehmer und Bürger zu reagieren, um zu demonstrieren, daß deren Sorgen ernst genommen werden. Die Union muß insgesamt dazu beitragen, den Menschen beziehungsweise den Arbeitnehmern ihre externe und interne Sicherheit zu gewährleisten.

Ich möchte heute aber darauf hinweisen, daß in Österreich die Neutralität einen besonderen Stellenwert hat. Wenn wir über externe Sicherheit diskutieren, kann man spüren, daß den Österreicherinnen und Österreichern die Neutralität noch immer sehr stark am Herzen liegt, und wir sollten diese nicht so leichtfertig aufgeben. Das heißt also für uns, daß am 29. März in Turin der Beschäftigung, der Solidarität und der Demokratie in Europa von der Europäischen Union viel mehr Gewicht beigemessen werden muß, um einen ausgeglichenen Aufbau in Europa zu gewährleisten. Denn derzeit kann man ohne weiteres den Eindruck haben – bei den Arbeitnehmern verfestigt sich dieser Eindruck –, daß währungspolitische Fragen ein Übergewicht haben. Wir befinden uns in Österreich derzeit in einer solchen Diskussion, wobei wir aber die Bedeutung unserer Währung und die Stabilität eines ausgeglichenen Budgets nicht unterschätzen.

Wir glauben aber, daß der Demokratie, der Solidarität, der Beschäftigung beziehungsweise der Arbeit mehr Bedeutung zugemessen werden muß. Meine Damen und Herren! Ich glaube, daß es ein ernstes Anliegen sein soll – auch in der Union, nicht nur in Österreich und den nordischen Ländern –, der Beschäftigung eine größere Bedeutung beizumessen. Ich glaube, wir sollten als Österreicher auch in den anderen Ländern Verbündete suchen, weil die Beschäftigung für die Europäerinnen und Europäer eine wesentliche Voraussetzung für soziale und politische Stabilität ist. Der künftige Vertrag muß nach unserer Auffassung unbedingt den bestehenden Widerspruch zwischen den vielen und oft geäußerten feierlichen Versprechungen in bezug auf die Beschäftigung und der praktizierten und erlebten Politik aufheben, denn bisher ist es nicht gelungen, die Arbeitslosigkeit in Europa in den Griff zu bekommen.


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Ich glaube, die Union selbst sollte mehr Zuständigkeiten, mehr Instrumente, aber auch mehr Mittel zur Verfügung haben. Es muß auch möglich sein, eine europaweit koordinierte Wirtschaftspolitik zu konzipieren und die notwendigen Strategien zu entwickeln, um damit den sozialen Zusammenhalt in Europa verstärken zu können. Dazu trägt sicher die Schaffung zukunftsorientierter Arbeitsplätze bei.

Daher sollten wir uns stärker als bisher dem Ziel der Vollbeschäftigung, dem Ziel der hochqualitativen und hochwertigen Arbeit in der Produktion und im Dienstleistungsbereich widmen. Es ist auch zu überlegen, ob es nicht sinnvoll wäre, in der Europäischen Union auch einen Beschäftigungsausschuß einzurichten, der dem Währungsausschuß gleichgestellt wird.

Der europäische Gipfel in Essen definierte beschäftigungspolitische Ziele. Ich glaube, daß die Ziele, die dort definiert worden sind, stark erweitert werden müssen und daß es auch möglich sein sollte, Kontrollverfahren einzurichten, die die Umsetzung dieser Maßnahmen begleiten und überprüfen können.

Wenn man insgesamt – ich glaube, das ist notwendig – die europäischen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer für das gemeinsame Europa gewinnen will, ist das bestehende Gefälle zwischen wirtschaftlicher und sozialer Dimension in eine Parität, eine Ausgeglichenheit zu bringen. Das ist momentan – ich habe es schon vorhin gesagt – umso dringlicher, weil die Bürger und vor allem auch die Arbeitnehmer den Eindruck haben, daß der Europäischen Union und den meisten ihrer Mitgliedsländer Währungsfragen wichtiger sind als Beschäftigungsfragen. Ich glaube, daß es unbedingt notwendig ist, dieses verzerrte Bild durch Aktivitäten, die auch spürbar sind, wieder ins Lot zu bringen.

Ich habe schon eingangs gesagt – die Frau Staatssekretärin hat es auch angedeutet –, daß sich die österreichische Regierungsdelegation dafür einsetzen wird, daß die Gemeinschaftscharta für soziale Grundrechte in den Vertrag aufgenommen wird.

Ich glaube, daß diese Forderung unabdingbar ist, um der Union ein erkennbares stärkeres soziales Profil zu geben.

Ich möchte aber auch hier darauf aufmerksam machen und zumindest erwähnen, daß im Vertrag Anmerkungen zu treffen sind, daß auch grenzüberschreitende Rechte, wie zum Beispiel das Recht auf freien Zusammenschluß, auf Vereinbarung von gewerkschaftlichen Aktionen einschließlich von Solidaritätsaktionen, anerkannt werden sollten. Das sollte auch kurzfristig geschehen können.

Ein soziales Europa ist auch ein Europa, das sowohl wirtschaftliche als auch soziale Demokratie weiterentwickeln kann und auch muß. Dazu ist es aber notwendig – so wie ich vorhin gesagt habe –, daß es den sozialen Handlungsträgern möglich gemacht wird, tatsächlich Aktivitäten zu setzen. Daher sollten wir, glaube ich, sehr bestimmt die Aufnahme des Protokolls über die Sozialpolitik in den Vertrag verlangen, wodurch es möglich werden würde, den bisherigen Alleingang Großbritanniens zu beenden.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die erst vor kurzem erzielte Einigung der Sozialpartner über den Elternurlaub hat sehr deutlich vor Augen geführt, daß auch die europäischen Sozialpartner in der Lage sind, das soziale Protokoll konkret anzuwenden. Es ist von allen meinen Vorrednern darauf hingewiesen worden, daß am 29. März in Turin das Thema "weitere Öffnung", "Osterweiterung" behandelt werden soll. Ich möchte es heute, vor dieser Regierungskonferenz in Turin, nicht verabsäumen, auch hierzu einige Anmerkungen zu machen und darauf hinzuweisen, daß in den beitrittswilligen ost- und mitteleuropäischen Ländern bezüglich der wirtschaftlichen Lage noch immer sehr große Unterschiede bestehen, was eher dafür spricht, daß es auch unterschiedliche Beitrittstermine geben sollte, die sich aber an der Erfüllung der wirtschaftlichen, politischen, aber auch sozialen Rahmenbedingungen in diesen Ländern zu orientieren haben.


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In einer Übergangsphase ist, meine sehr geehrten Damen und Herren, auch ein besonderes Augenmerk auf die laufende weitere Verbesserung der Rechtssicherheit zu legen. Das ist, glaube ich, für einen EU-Beitritt unverzichtbar.

Unverzichtbar aus unserer Sicht und auch aus der Sicht der Sozialpartner ist die weitere Förderung und Schulung und eine bessere Koordination der Interessenvertretungen, und zwar sowohl jener der Arbeitnehmer als auch jener der Arbeitgeber, aber auch anderer Interessenvertretungen.

Um auch die zu erwartenden und nicht ausbleibenden negativen Begleiterscheinungen des sozialen und wirtschaftlichen Wandels möglichst hintanzuhalten, sind geeignete Maßnahmen vorzubereiten. Es ist auch zu gewähren, daß die unterschiedlichen und zusätzlichen Belastungen in diesen ost- und mitteleuropäischen Nachbarländern abgefedert werden.

Ein ganz wichtiges Ziel für Österreich muß es aber sein, dafür Sorge zu tragen, daß durch den EU-Beitritt dieser Nachbarländer keine allzu großen Wanderungsbewegungen ausgelöst werden. Wir Österreicher sind nämlich aufgrund unserer geopolitischen Lage, aber auch aufgrund unserer kulturellen Nähe zu diesen Ländern als erstes Land von diesen Wanderungsbewegungen mit Sicherheit ganz besonders betroffen. Daher sind wir gut beraten, wenn wir diese weiteren Integrationsschritte und deren Auswirkungen auf den österreichischen Arbeitsmarkt schon heute genau analysieren. Unter den derzeit erkennbaren Bedingungen erscheint uns auf jeden Fall ein freier Zugang zum österreichischen Arbeitsmarkt von Kolleginnen und Kollegen aus diesen Ländern nicht realisierbar.

Ich glaube, daß es auch wesentliche Beiträge zur Demokratisierung der Union geben muß: Es ist hier schon vieles genannt worden: mehr Transparenz, mehr Vereinfachung, bessere Verständlichkeit der Beschlüsse, die in der Union gefaßt werden. Es gibt ein besonderes Bedürfnis nach Information. Ich glaube auch, daß dem Europäischen Parlament eine stärkere zentrale Rolle zukommen sollte, und die Abstimmungen mit qualifizierter Mehrheit sollen – das ist hier auch schon angedeutet worden – neben dem sozialen Bereich auch den umweltpolitischen Bereich mit einschließen.

Ich glaube, daß auch mehr Grundsätze für die Gleichberechtigung von Frau und Mann in den zu revidierenden Vertrag aufgenommen werden müßten. Es müßte die Europäische Union – darauf hat Kollege Linzer in seinem Beitrag bereits hingewiesen – auch mehr Befugnisse zu einer effizienteren Bekämpfung von Fremdenhaß, Rassismus, Antisemitismus oder anderen unerträglichen Formen der Diskriminierung bekommen.

Ich glaube aber, insgesamt doch festhalten zu können, daß für die Menschen – auch für die Österreicherinnen und Österreicher – noch nicht alle Erwartungen durch den Beitritt zur Europäischen Union erfüllt worden sind. Ich glaube jedoch, daß es nur ganz wenige sind, die diesen Beitritt für nicht richtig halten. Um diese positive Grundstimmung weiter ausbauen und festigen zu können, müßten einige wichtige Anregungen und Vorschläge – vor allem im Sinne einer größeren Beschäftigungsdichte – kurz- und mittelfristig realisiert werden – in unser aller Interesse! Es steht außer Zweifel, daß wir in der Europäischen Union tätig sein wollen, uns dort besonders engagieren wollen. Ich nehme das für unsere Regierung als gegeben an, weil es sehr viele Anzeichen dafür gibt. So will sich unsere Regierungsdelegation im besonderen darum bemühen, den sozialen Aspekten, die ja bisher in der Europäischen Union eher vernachlässigt wurden beziehungsweise unterbelichtet gewesen sind, besondere Bedeutung beizumessen. – Danke. (Beifall bei der SPÖ.)

11.30

Vizepräsident Dr. Drs h.c. Herbert Schambeck: Zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Dr. Manfred Mautner Markhof. Ich erteile es ihm.

11.30

Bundesrat Dr. h.c. Manfred Mautner Markhof (ÖVP, Wien): Herr Präsident! Frau Staatssekretärin! Herr Staatssekretär! Hoher Bundesrat! Im Vorfeld der am 29. März in Turin beginnenden EU-Regierungskonferenz befasse ich mich heute mit den Leitlinien zu den voraussichtlichen


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Themen dieser Konferenz. Dabei möchte ich gleich vorausschicken, daß ich mich aufgrund der Themenfülle und in Anbetracht der begrenzten Redezeit natürlich nur auf bestimmte, mir besonders wichtige Schwerpunkte konzentrieren kann.

Die bevorstehende EU-Regierungskonferenz bietet Österreich die Gelegenheit, seine aktive Rolle beim europäischen Integrationsprozeß unter Beweis zu stellen. Wenngleich man von derartigen Großkonferenzen sicherlich kein Wunder – wenn ich es so salopp formulieren darf – erwarten kann, so steht dennoch außer Frage, daß die Europäische Union unmittelbar vor ihrem größten Reformprozeß steht und daß die Diskussion über das sogenannte Maastricht II entscheidende Weichenstellungen über das zukünftige Aussehen der Union bringen wird.

Als erstes möchte ich mich dem Themenkreis "Demokratie und Bürgernähe" widmen, der in meinen Augen besondere Priorität genießt. Die Stärkung der demokratischen Legitimität, der Bürgernähe und der Transparenz sowie die Weiterentwicklung und die konsequente Umsetzung des Subsidiaritätsprinzips in der EU sind meiner Ansicht nach aus vielerlei Gründen notwendig.

Erster und wichtigster Grund: Die Europäische Union kann à la longue nur in dem Maße funktionieren, als sie von den Bürgerinnen und Bürgern akzeptiert und unterstützt wird, denn der europäische Integrationsprozeß kann ja nicht Selbstzweck sein, sondern soll und muß von der Bevölkerung mitgetragen werden.

Aber leider mußte man in der Vergangenheit so manches Mal konstatieren, daß dies nicht im wünschenswerten Ausmaß gegeben ist. Ich erinnere zum Beispiel an die seinerzeitigen Krisen im Zusammenhang mit der Ratifizierung des EU-Vertrages, was ja auch in der EU zu einem gewissen Wachrütteln geführt hat, aber auch an das nicht allzu erfreuliche Ergebnis der Europawahl im Neo-Mitgliedsland Schweden.

Unter diesem Aspekt und in Anbetracht der im Oktober in Österreich stattfindenden Europawahl erscheint es mir deshalb außerordentlich wichtig, den Österreicherinnen und Österreichern die Dimension und die Stellung des Bürgers in der EU nahezubringen und immer wieder das große Ziel des europäischen Einigungswerkes vor Augen zu führen, das letztlich für alle nur von Vorteil sein kann.

Denn so großartig das Ergebnis des EU-Referendums im Juni 1994 ausgefallen ist, so bedenklich sollte uns die nunmehrige Stimmungslage in der Bevölkerung in Sachen EU stimmen. Das bedeutet, daß wir unserer Aufgabe nach Informationstätigkeit verstärkt nachkommen müssen und daß wir die Gespräche mit unseren Mitbürgern und Mitbürgerinnen intensivieren müssen. Ich bin auch völlig davon überzeugt, daß die Art und Weise, wie sich unser Land bei der EU-Regierungskonferenz präsentieren wird, das Meinungsklima in Österreich deutlich beeinflussen wird.

Nun aber wieder zurück zum bereits eingangs erwähnten Punkt, zum Subsidiaritätsprinzip. Österreich hat ja – nicht zuletzt aufgrund seiner föderalen Struktur – eine ausgeprägt positive Einstellung zum Subsidiaritätsprinzip und steht einer weiteren vertraglichen Ausgestaltung dieses Prinzips in seiner positiven Umsetzung in der EU natürlich positiv gegenüber. Das bedeutet keinesfalls, daß Österreich für eine Rückgängigmachung oder Verringerung von Integrationsschritten eintritt, wie heute schon erwähnt wurde. Ganz im Gegenteil: Aus unserer Sicht ist das Subsidiaritätsprinzip ein Instrument zur Optimierung der Aufgabenverteilung zwischen europäischen, nationalen und regionalen Ebenen. Integration kann sicherlich nicht bedeuten, daß alles und jedes, und sei es das kleinste, nur eine Region betreffendes, Detail in Brüssel geregelt wird.

An dieser Stelle möchte ich kurz auch auf die des öfteren erhobenen Vorwürfe eingehen, wonach es sich bei der EU um eine Ansammlung von Bürokraten handle, die in ihrer Reglementierungswut jede lächerliche Kleinigkeit in Vorschriften gießen. Eine gestrige Meldung im Fernsehen über eine weitere Reglementierung könnte einem in Erinnerung gerufen werden, die vielleicht in diese Überlegungen noch ein bißchen einfließt.

Meine Damen und Herren! Es drängt sich mir in diesem Zusammenhang folgende Frage auf: Sollten diesbezüglich nicht etliche Kritiker ihr eigenes Gewissen erforschen? Ist es nicht so, daß


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etliche Wünsche nach Reglementierung aus mehr oder weniger durchsichtigen Motiven an Brüssel herangetragen werden? Ich meine auch, daß gerade wir in Österreich uns in punkto Forderungen nach Deregulierung auf EU-Ebene oft päpstlicher als der Papst verhalten. Denn wer hindert uns beispielsweise daran, die Gesetzesflut und Überreglementierung in unserem eigenen Land doch etwas abzubauen? Ein Vorstoß in diese Richtung würde nicht nur positive Auswirkungen auf den Wirtschaftsstandort bringen, sondern auch die oft genannte Bürgernähe forcieren.

Nun möchte ich mich, meine Damen und Herren, dem im Zuge der EU-Konferenz zu erörternden Thema "Institutionenreform" widmen, das im wesentlichen drei Dimensionen hat: erstens die institutionellen Konsequenzen einer zukünftigen EU-Erweiterung, zweitens das Verhältnis des Einflusses von großen, mittleren und kleinen EU-Staaten und drittens den Bereich supranationale Strukturen versus intergouvernementale Zusammenarbeit.

Was die zukünftige EU-Erweiterung betrifft, so öffnet sich in dieser Perspektive aus heutiger Sicht diese für zwölf Staaten. Eine rein arithmetische Anpassung der jetzigen EU-Strukturen auf 27 Mitgliedstaaten würde folgendes bedeuten: eine Kommission mit 32 Mitgliedern, ein Europäisches Parlament mit 800 Abgeordneten, die Sitzungen der EU-Organe müßten in zwanzig Sprachen stattfinden, und ein Mitgliedstaat würde die Präsidentschaft nur alle vierzehn Jahre ausüben.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Auswirkungen auf Komplexität und Dauer der Entscheidungsprozesse in der EU kann sich unter diesen Gesichtspunkten wohl jeder ausmalen.

Was nun die Kommission betrifft, so hat Österreich, das ja einerseits Befürworter der schrittweisen EU-Erweiterung ist, andererseits aber auch ein manifestes Interesse an einer handlungsfähigen Union hat, keinen Einwand gegen eine Verkleinerung beziehungsweise Straffung dieses Gremiums. Allerdings ist am Recht jedes Mitgliedstaats, ein Mitglied zu nominieren, unter den derzeitigen Voraussetzungen unbedingt festzuhalten.

Kein Zweifel besteht daran, daß aus unserer Sicht die relativ starke Stellung der kleineren und mittleren Staaten im EU-Entscheidungsprozeß erhalten bleiben muß.

Gestatten Sie mir aber, meine Damen und Herren, an dieser Stelle eine Bemerkung zu machen: Mir ist zwar durchaus bewußt, daß in Österreich – aber nicht nur in Österreich – gegenüber der Idee, ein Zweikammernsystem für die Union zu schaffen, eine skeptische Haltung eingenommen wird, meine aber, daß der Gedanke an ein Zweikammernsystem, wobei die eine Kammer proportional die jeweilige Bevölkerungsgröße und die andere Kammer die Mitgliedstaaten gleichberechtigt repräsentieren würde, interessante Aspekte zu bieten hat. In diesem Zusammenhang sei aber zugleich vermerkt, daß hier nicht einer Ausweitung von EU-Gremien das Wort geredet wird, sondern eine Anpassung an zukünftige Entwicklungen überlegt werden soll.

Zum Europäischen Parlament möchte ich festhalten, daß schon im Weißbuch der Bundesregierung festgehalten ist, daß Österreich einer stufenweise Ausweitung der Mitwirkungs- und Kontrollrechte des Europäischen Parlaments durchaus aufgeschlossen gegenübersteht. Hier wird des öfteren ins Treffen geführt, daß eine Aufwertung des Europäischen Parlaments zugleich eine Abwertung der nationalen Parlamente bedeuten würde. Der Ausgleich findet derzeit mehr oder minder im EU-Ministerrat statt, der, wenn er einen echten legislativen Charakter hätte, das Gremium sein könnte, das auf gleichberechtigter Basis die jeweiligen nationalen Parlamente repräsentieren könnte.

Diese Gedanken finden sich in den diesbezüglichen Überlegungen des französischen Senatspräsidenten Monory beziehungsweise des Vorsitzenden des Auswärtigen Ausschusses des französischen Senats, Senator Guena, die einen auf gleichberechtigter Basis – zum Beispiel je zwei Senatoren für jedes Land – bestellten EU-Senat in einer Konsultativfunktion zum EU-Ministerrat sehen möchten. Wie mir bekannt ist, sind dies Überlegungen, die in den offiziellen Vorschlägen der französischen Regierung für die Turiner Konferenz zwar nicht enthalten sind, in den französischen politischen Kreisen aber eingehendst diskutiert werden.


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Ich glaube, daß damit ein außerordentlich interessanter Weg im Hinblick auf die von uns allen angestrebte Erweiterung der Europäischen Union skizziert wird. Wie schon erwähnt, könnte damit Hand in Hand eine verkleinerte und noch effizientere EU-Kommission ihre Funktion erfüllen.

Nun möchte ich aber zu einem anderen Themenkreis kommen, nämlich zur Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik der EU. Meine sehr geehrten Damen und Herren! Österreich hat schon allein aufgrund seiner relativ exponierten Lage massivstes Interesse daran, daß die EU ihre Rolle als Stabilitätsfaktor für Gesamteuropa wirksam wahrnehmen kann. Abgesehen davon, daß die Sicherung des Friedens in Europa der Beweggrund schlechthin für den Beginn des europäischen Einigungsprozesses war, muß der Beitrag zur Friedenssicherung in Europa auch heute Aufgabe jeder Regierung sein.

Angesichts der vielfältigen Risken der Gegenwart – ich nenne hier zum Beispiel regionale militärische Konflikte, internationale Kriminalität und Terrorismus –, angesichts dieser Risken also ist das Streben nach einer funktionierenden, handlungsfähigen und effizienten GASP daher keine Glaubensfrage, sondern eine Notwendigkeit von höchster Priorität.

Wenn wir uns heute mit dem Thema EU befassen, möchte ich es nicht verabsäumen, auch einige Worte zur Wirtschafts- und Währungsunion zu sagen. Die Europäische Währungsunion mit dem EURO wird kommen, meine Damen und Herren, und Österreich muß alles unternehmen, um von Beginn an daran teilzunehmen. Ich persönlich bin optimistisch, daß wir mit den bereits eingeleiteten Budgetkonsolidierungsschritten den Weg dorthin nun zügig beschreiten werden.

An dieser Stelle möchte ich eindringlich hervorheben, daß die jetzige Budgetsanierung nicht nur wegen des EURO notwendig ist, sondern in erster Linie deshalb, um wieder einen größeren Spielraum für eine offensive, zukunftsorientierte Wirtschaftspolitik zu gewinnen. Gerade im Hinblick auf die im Herbst stattfindende Europawahl warne ich davor, die unumgängliche Sanierung des österreichischen Staatshaushaltes als Folge des EU-Beitritts darzustellen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Damit möchte ich schon zum Abschluß meiner Ausführungen kommen und meiner Zuversicht Ausdruck verleihen, daß Österreich bei der in wenigen Wochen beginnenden EU-Regierungskonferenz seine Rolle als aktives und kreatives Mitglied der Europäischen Union unter Beweis stellen wird. – Danke. (Beifall bei ÖVP und SPÖ.)

11.44

Vizepräsident Dr. Drs h.c. Herbert Schambeck: Zu Wort gemeldet ist Herr Staatssekretär Mag. Schlögl. Ich erteile es ihm.

11.44

Staatssekretär im Bundeskanzleramt Mag. Karl Schlögl: Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Staatssekretärin! Liebe Mitglieder des Bundesrates! Ich möchte mich bei Ihnen für die bisherige Diskussion sehr herzlich bedanken.

Aus meiner Sicht war diese Diskussion bisher von sehr hohem Niveau getragen. Sie ist sehr konstruktiv und vor allem sehr sachpolitisch gewesen, sie war aber auch vom Bekenntnis des gemeinsamen Handelns in Sache Europäischer Union getragen. Sogar bei der kritischen Wortmeldung von Herrn Dr. Kapral von der freiheitlichen Partei habe ich das Gefühl gehabt, daß der Geist des Konstruktiven, der Geist der Zusammenarbeit eher im Vordergrund gestanden ist als der Geist der Kritik und der Auseinandersetzung. Ich halte das deshalb für sehr wichtig und notwendig, weil Österreich als kleines Land, als eines der 15 Mitgliedstaaten in der Europäischen Union unbedingt mit einer Zunge sprechen muß. Parteipolitische Auseinandersetzungen sollten gerade für die kommenden Aufgaben eher in den Hintergrund gedrängt werden.

Die zweite Bemerkung ist für mich auch sehr wichtig und dokumentiert eigentlich sehr deutlich, wie notwendig und wichtig es gewesen ist, daß wir der Europäischen Union beigetreten sind. Es ist die Tatsache, daß eigentlich heute der Herr Bundeskanzler und der Herr Vizekanzler mit Ihnen die Debatte hier führen hätten sollen, beide aber nicht da sind, weil sie in Thailand sind,


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weil sie im Auftrag der Europäischen Union an einem gemeinsamen Treffen der asiatischen und europäischen Regierungschefs teilnehmen.

Wenn man bedenkt, daß der südostasiatische Raum für uns ein sehr wichtiger Markt ist, und zwar ein Wirtschaftsmarkt, der in den letzten Jahren viel zu wenig genützt worden ist, und wenn man ferner bedenkt, daß viele Probleme, die es in dem einen oder anderen Bereich gibt, nur durch eine stärkere Exportoffensive Österreichs gelöst werden können, so zeigt dies, daß es notwendig und richtig ist, daß unser Regierungschef und der Vizekanzler an dieser Konferenz nicht nur als gleichberechtigter Partner, sondern sogar als führender Partner teilnehmen und so neue Perspektiven, Hoffnungen und Exportchancen für Österreich mitbringen.

Das dritte, was für mich sehr wichtig ist, und was mir vorhin sehr gut gefallen hat, wenn ich das werten darf, war in der Wortmeldung des Herrn Bundesrates Konečny enthalten, der gemeint hat, wir müssen wissen, wohin wir wollen. Er hat außerdem drei Projekte vorgestellt, die Europa darstellen soll: das Projekt des Friedens, das Projekt des Sozial- und Wohlfahrtsausgleiches und das Projekt der wirtschaftlichen Entwicklung. – Drei Projekte, die ich nur unterstreichen kann, die ich aber auch um zwei Projekte ergänzen möchte, die mir mindestens genauso wichtig erscheinen.

Das eine Projekt ist die Sicherung und Erhaltung unserer Umwelt, unserer Natur. Die Frau Staatssekretärin hat sich in ihrer Wortmeldung damit bereits intensiv beschäftigt. Ich glaube, es ist für das Überleben kommender Generationen ganz wichtig und entscheidend, daß wir uns damit stärker auseinandersetzen und unsere Erfahrungen, unsere Vorteile und unsere Vorreiterrolle als kleines Land in der Umweltpolitik auch in Zukunft einbringen.

Der zweite Gedanke, das zweite Projekt, das ich hinzufügen möchte, ist das Projekt der Regionen in Europa. Gerade angesichts der Diskussion hier im Bundesrat sage ich, daß ich es für notwendig und wichtig halte, daß die Bewohner dieser unterschiedlichen Regionen in Europa zusammenleben, daß diese Völkervielfalt und die kulturelle Vielfalt in dieser Einheit Europa stärker gefördert wird als das bisher der Fall gewesen ist, und daß dieses Europa in der Vielfalt zu einer Einheit zusammenwächst. Das ist ein sehr wichtiges und notwendiges Projekt. Ich halte dieses von Herrn Bundesrat Konečny verwendete Sinnbild für sehr wichtig und gut.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Regierungskonferenz 1996 bietet Österreich erstmals die Gelegenheit, als Mitgliedstaat an einer Grundsatzentscheidung des europäischen Integrationsprozesses mitzuwirken. Die österreichische Bundesregierung hat deshalb sehr frühzeitig die ersten Leitlinien zu den voraussichtlichen Themen der Regierungskonferenz 1996 beschlossen. Sie erläutern grundsätzliche Problemstellungen des bevorstehenden Reformprozesses und dienen auch als Orientierungsrahmen für die österreichische Vorbereitung.

Die Regierungskonferenz bietet meiner Ansicht nach wesentliche Herausforderungen für Österreich. Ich möchte nur ganz kurz zu dem, was bereits gesagt worden ist, einige Gedanken hinzufügen.

Ich glaube, das grundlegende Ziel der Europäischen Integration muß es sein, daß die Union jene Politikbereiche wirksam wahrnehmen kann, für die auf europäischer Ebene effizientere, umfassendere und breitere Lösungen zu erzielen sind als auf mitgliederstaatlicher Ebene.

Österreich hat bereits bei seinem Beitritt sein starkes Interesse an einer weiteren Verstärkung der gemeinschaftlichen Handlungsfähigkeit bewiesen. Meiner Ansicht nach bedarf es nun weiterer Schritte, um durch eine Verstärkung der demokratischen Legitimation, der Transparenz und der Bürgernähe, die Lösungskapazität und damit die Akzeptanz der Europäischen Union zu erhöhen.

Neben Verbesserungen des Entscheidungssystems sind aber auch neue Antworten auf die veränderten ökonomischen Bedingungen der neunziger Jahre erforderlich. Substantielle europäische Impulse werden erwartet, um die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, der fortschreitenden Umweltzerstörung oder der internationalen Kriminalität zu verstärken und damit die Union stabiler zu gestalten, als sie es bisher ist.


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In Sachen Demokratie und Bürgernähe meine ich, daß die Verwirklichung von Demokratie erfordert, daß es in der Union einen anderen Ansatz als im Nationalstaat gibt. So wie die Unionsbürgerschaft zur Staatsbürgerschaft hinzutritt und diese nicht verdrängen wird, bedarf es neben der direkten Vertretung der Unionsbürger im Europäischen Parlament künftig auch einer stärkeren Repräsentation der Mitgliedstaaten in der Gesetzgebung. Das föderale Prinzip erfordert, daß den kleinen und mittleren Mitgliedstaaten dabei weiterhin ein überproportionales Gewicht zukommt. Zudem erscheint es mir sehr wichtig, daß die Regionen, die Städte und die Gemeinden stärker dazu beitragen, als das bisher der Fall gewesen ist, und daß die Akzeptanz des Integrationsprozesses gerade in diesen Gebietskörperschaften sehr stark forciert wird. Ihnen kommt deshalb in Österreich eine sehr wichtige Rolle im Rahmen der Mitwirkung an der mitgliedsstaatlichen Europapolitik zu.

Der zweite Bereich, der für mich sehr wichtig ist, ist die gesamte Beschäftigungs-, Sozial- und Umweltproblematik. Wenn ich bedenke, daß in der Europäischen Union derzeit eine durchschnittliche Arbeitslosigkeit von fast 11 Prozent besteht, wenn ich ferner bedenke, daß der Bogen der einzelnen Mitgliedstaaten sehr breitgefächert ist – Österreich ist das Land, das mit knapp 3,8 Prozent die geringste Arbeitslosigkeit hat; Spanien ist das Land der höchsten Arbeitslosigkeit von 22 Prozent –, so muß ich sagen, bedarf es wirklich wirkungsvoller Maßnahmen, um gemeinsam Schritte zu setzen, um die Arbeitslosigkeit zu vermeiden, zu verhindern und zu beseitigen. Ich halte den Kampf gegen die Arbeitslosigkeit und eine aktive Beschäftigungspolitik für die größte Herausforderung, die dieses gemeinsame Europa in den nächsten Jahren haben wird.

Die dritte Aufgabe ist, daß die ökologische Ausrichtung der Gemeinschaftspolitik stärker als bisher vorangetrieben wird und daß die Länder, die in der Umweltpolitik eine Vorreiterrolle spielen – wie es gerade Österreich als kleines Land tut –, beziehungsweise daß die hohen Umweltstandards dieser Länder beziehungsweise Österreichs in der Europäischen Union Einzug halten und Einklang finden.

Wichtig und notwendig erscheint mir auch, daß wir kritisch darüber diskutieren, wie die Erweiterung der Union aussieht. Ich habe mit großem Interesse die Ausführungen von Herrn Bundesrat Mautner Markhof gehört. Ich persönlich glaube auch, daß dieser Erweiterungsprozeß ein notwendiger und wichtiger ist. Ich glaube aber auch, daß das ein sehr sensibler Prozeß ist und daß wir in unserem eigenen Interesse – aber auch im Interesse der Entwicklung der Union – diesen Prozeß sehr behutsam und vorsichtig einleiten sollten. Ich bin davon überzeugt, daß die Erweiterung notwendig ist und daß sie auch kommen wird. Sie sollte aber gerade im Interesse Österreichs in einer notwendigen Etappenplanung nicht das vorrangige Ziel sein, sondern es ist vorrangig viel wichtiger, daß die bisherigen Staaten stärker zusammenwachsen, als das bisher der Fall gewesen ist, und daß die Kriterien und Ziele von Maastricht vorrangig erfüllt werden. Erst danach steht die Erweiterung im Vordergrund. Ich glaube, wenn wir Österreicher in diesem Sinne vorgehen, dann werden wir wahrscheinlich sehr gut beraten sein.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zusammengefaßt: Wir sind seit 1995 Mitglied der Europäischen Union. Wir sind, ohne sehr euphorisch zu sein, bisher damit sehr gut gefahren. Ich glaube, daß auch wir in diese Europäische Union sehr viel eingebracht haben und daß wir daher sehr selbstbewußt auch in Zukunft als kleines Land in dieser Europäischen Union wirken sollten.

Wir waren in unserer Geschichte und durch unsere geographische Lage immer ein Kernland Europas. Wir sollten uns dazu bekennen und die Herausforderung, die dieses neue Europa für uns bietet, annehmen. Ich bin davon überzeugt, daß wir in Zukunft eine sehr aktive und eine sehr hervorragende Rolle in Europa spielen werden. (Beifall bei SPÖ und ÖVP.)

11.54

Vizepräsident Dr. Drs h.c. Herbert Schambeck: Zu Wort gemeldet ist weiters Herr Bundesrat Dr. Reinhard Bösch. Ich erteile es ihm. (Vizepräsidentin Haselbach übernimmt den Vorsitz.)


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11.55

Bundesrat Dr. Reinhard Eugen Bösch (Freiheitliche, Vorarlberg): Frau Vizepräsidentin! Frau Staatssekretärin! Herr Staatssekretär! Bei allem Verständnis für Ihr Harmoniebedürfnis, Herr Staatssekretär Schlögl, müssen Sie die eine oder andere kritische Bemerkung der Opposition schon noch gestatten.

Meine Damen und Herren! Die Leitlinien zur EU-Regierungskonferenz 1996 befassen sich unter V auch mit der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik. Die Frau Staatssekretärin und andere Vorredner sind darauf in Ansätzen schon eingegangen. In der Einleitung dazu heißt es: In den eineinhalb Jahren ihres Bestehens hat die GASP nicht überzeugt. Bei allen Mitgliedsstaaten herrscht Unzufriedenheit, und zwar betreffend Inhalt, Effizienz, institutioneller Durchführung und Sichtbarkeit. Eine effiziente GASP zu konzipieren und durchzusetzen ist letztlich eine Funktion des politischen Willens der Mitgliedstaaten.

Meine Damen und Herren! Was den politischen Willen in Österreich anlangt, so bietet diese Bundesregierung in dieser wesentlichen Frage, einer Säule des EU-Vertrages, nach wie vor ein Bild des Jammers! Die Sicherheits- und wehrpolitische Diskussion wird von den unterschiedlichen Standpunkten der beiden Regierungsparteien hinsichtlich der Neutralität, des Zeitpunkts des Vollbeitrittes zur WEU, der Form der Gestaltung der Partnerschaft für den Frieden und eines eventuellen Beitritts zur NATO beherrscht. Eine klare und einheitliche Linie ist weit und breit nicht sichtbar. Die Erfahrungen, die die Europäer seit Inkrafttreten des Vertrages von Maastricht mit der GASP gemacht haben, sind mehr als enttäuschend. Für die Außenpolitik besteht derzeit höchstens ein vager Rahmen und für die Sicherheitspolitik bestenfalls eine Option. Umso wichtiger wäre es, daß die einzelnen Mitgliedsländer klare Positionen beziehen, um in der heurigen Regierungskonferenz mit einer einzigen und klar verständlichen Zunge zu reden. Die Hilflosigkeit gegenüber dem Krieg im ehemaligen Jugoslawien und auch die Uneinigkeit im Verhalten den Kriegsparteien gegenüber haben dies ernüchternd deutlich gemacht.

Meine Damen und Herren! Die Herausforderungen sind da, und zwar unmittelbar in unserer Nachbarschaft. Letztlich muß es darum gehen, wie sich die Union am effizientesten für die Sicherheit ihrer Bürger im Inland und nach außen einsetzt. Die Stärkung dieser zweiten Säule des Maastricht-Vertrages gehört zu den wesentlichen Herausforderungen der Regierungskonferenz in Turin. Dabei wird sich die Frage stellen, ob die 1998 vertraglich auslaufende WEU aufgelassen, weiterentwickelt, zum europäischen Pfeiler der NATO ausgebaut oder in die EU integriert werden soll. Zu diesem Thema, meine Damen und Herren, ist von seiten der Bundesregierung leider keine klare Haltung erkennbar. Die ÖVP schlug ein Solidaritätsgesetz vor, mit dem eine Teilnahme an allen sicherheitspolitischen Schritten der EU unter Beibehaltung der Neutralität möglich gemacht werden sollte. – Die ÖVP will zugleich Jungfrau bleiben und schwanger werden. Das ist die "Überregierungskunst", meine Damen und Herren! Dazu gratuliere ich Ihnen ganz herzlich. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Die SPÖ, die einzige verläßliche strukturkonservative Partei in diesem Lande, hat Ihren Vorschlag in Bausch und Bogen verworfen und stattdessen die Einführung eines sogenannten Sicherheitsrates urgiert. Als ob wir das nicht schon hätten, meine Damen und Herren! Als ob die Ausschüsse des Nationalrates und die Räte, die die Bundesregierung eingesetzt hat, diese Themen nicht schon längst abdecken würden!

Meine Damen und Herren der SPÖ! Ihr Nein war aber sicherlich ein effizientes, denn die ÖVP brach auch in diesem Punkt zusammen, und ihr Klubobmann im Nationalrat hatte das Vergnügen, den Kniefall coram publico in aller Öffentlichkeit zu zelebrieren.

Der Verteidigungsminister dieser Bundesregierung darf noch ein bißchen seine Interessen vertreten – wir haben das gestern im Nationalrat gehört –, muß aber dann sehr stark eingebremst werden, damit er mit den Leuten, die in Permanenz das Bundesheer abschaffen wollen und die er deshalb zu Recht als staatsgefährdend bezeichnet hat, wieder in Ruhe an einem Regierungstisch zusammensitzen kann.


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Meine Damen und Herren! Somit ist gewährleistet, daß diese Bundesregierung weiterhin in der EU eine Rosinenpolitik betreiben und die Überraschte spielen wird, wenn ihr die EU auf die Schultern klopfen und sie daran erinnern wird, daß Österreich den Maastrichter Vertrag mit allen Rechten und Pflichten unterzeichnet hat.

Daß Sie vor der Volksabstimmung, meine Damen und Herren der Regierungsparteien, der Bevölkerung nur etwas von den Rechten, aber nichts von den Pflichten gesagt haben, ist Ihr Problem. Und die GASP, die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik, ist ein Teil des Maastricht-Vertrages, der vor allem für ein kleines Land wie Österreich, das in einer 40jährigen Entwicklung leider bewiesen hat, daß es nicht in der Lage ist, seine Sicherheitspolitik und in letzter Konsequenz seine Landesverteidigung effizient zu organisieren, von Bedeutung ist.

Jetzt wäre es nach unserer Ansicht an der Zeit, daß die Regierungsparteien der Realität ins Auge schauen und nicht darauf warten, bis ihnen die EU mit ihren Institutionen ihre rosaroten Brillen herunterreißt, und das wird sie tun. Genauso wie bei der Brenner-Maut, bei den anonymen Sparbüchern und beim Postenschacher, den Sie auf EU-Ebene einführen wollten, wird es auch in der Sicherheitspolitik eine Ernüchterung geben, weil die EU zu Recht Vertragstreue und Verteidigungsanstrengungen von allen verlangt. Jetzt, meine Damen und Herren, wäre es an der Zeit, gestaltend mitzuarbeiten an der Stärkung der Sicherheit der Union und ihrer Mitgliedsstaaten in all ihren Formen, wie es auch in den Leitlinien zur Regierungskonferenz von Ihnen geschrieben wird.

Sicherheitspolitik ist nicht ausschließlich Militär, das ist schon klar, aber in der letzten Konsequenz halt auch. Die EU steht noch ohne Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik da. Am schnellsten angepaßt an die geänderten Verhältnisse hat sich die zweifellos viel bescholtene NATO – durch den NATO-Kooperationsrat und durch die Partnerschaft für den Frieden –, wobei die politische und militärische Zusammenarbeit mit den ehemaligen Feinden des Warschauer Paktes versucht wird. Zusammen stehen nun die Truppen der einstigen Gegner unter NATO-Oberkommando am Balkan, auch die Österreichs.

Das EU-Mitglied Österreich wird sich mit dem Hinweis auf seine Neutralität nicht länger um die europäische Mitverantwortung herumdrücken können. Österreich muß aufgrund seiner geopolitischen Situation größtes Interesse daran haben, jeden Schritt zu einer Europäischen Sicherheitspolitik voll mitzumachen. Es muß den Vollbeitritt zur WEU und NATO anstreben und seine Landesverteidigung grundsätzlich reformieren und endlich den neuen Verhältnissen angepaßt aufbauen. Das Bundesheer ist mit einem starken Berufsanteil auszustatten, unterstützt durch eine effiziente Miliz und abgestützt auf eine allgemeine Dienstpflicht.

Die Außen- und Verteidigungspolitik unserer Republik ist endlich europareif zu machen. Statt dessen streiten sich unsere Regierungsmitglieder darüber, wer denn eigentlich welche Kompetenzen auf europäischer Ebene haben wird. Ihre Regierungsverhandlungen kreisen nur mehr um dieses Problem. Ein schwacher Kanzler will mit einem EU-Staatssekretär Stärke zeigen, ein aufgrund des Wahlausganges beleidigter Außenminister braucht einen kleinen Erfolg, um innerparteilich seinen Kopf über die nächsten Jahre hinwegzuretten – und somit ist eine nahtlose Fortsetzung der Peinlichkeiten von Korfu sichergestellt. Das internationale Ansehen unserer Republik scheint Ihnen, meine Damen und Herren von den Regierungsparteien, nicht allzuviel wert zu sein. (Bundesrat Prähauser: Das internationale Ansehen der Freiheitlichen!)

Wir Freiheitlichen jedenfalls, wir Freiheitlichen werden nicht lockerlassen, diese Regierung in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik zum Regieren aufzufordern.

Meine Damen und Herren! Sie haben gestern im Ausschuß einen Antrag eingebracht, den wir Freiheitlichen nicht mittragen werden. Die Frau Staatssekretärin ließ gestern im Ausschuß und heute in ihren Äußerungen auch durchklingen, daß die Bundesregierung ja schon viel weitergehende Überlegungen angestellt hat, als sie in den Leitlinien vorliegen.

Wir Freiheitlichen erlauben uns deshalb, einen


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Entschließungsantrag mit folgendem Wortlaut einzubringen:

Entschließungsantrag

der Bundesräte Dr. Bösch, Dr. Kapral und Kollegen betreffend Regierungskonferenz 1996

Der Bundesrat wolle beschließen:

"Die Bundesregierung wird ersucht, im Lichte der jüngsten Erkenntnisse, überarbeitete ,Leitlinien zur Regierungskonferenz 1996’ dem Bundesrat jeweils vor der Behandlung in der Regierungskonferenz zur Stellungnahme vorzulegen. Aus diesen möge klar hervorgehen, wie sie die Rolle der Länder nach erfolgter Bundesstaatsreform im Rahmen der europäischen Entscheidungsfindung auf nationaler Ebene sicherstellen, vor allem aber auf der europäischen Ebene des Ausschusses der Regionen und im Sinne des Subsidiaritätsprinzips weiterentwickeln will."

Danke. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

12.05

Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Der von den Bundesräten Dr. Bösch, Dr. Kapral und Kollegen eingebrachte Entschließungsantrag betreffend Regierungskonferenz 1996 ist genügend unterstützt und steht demnach zur Verhandlung.

Es hat sich Frau Staatssekretärin Dr. Ferrero-Waldner zu Wort gemeldet. Ich erteile ihr dieses.

12.06

Staatssekretärin im Bundesministerium für auswärtige Angelegenheiten Dr. Benita Maria Ferrero-Waldner: Hohes Haus! Ich wollte nur ganz kurz einen Satz zu den Ausführungen des Herrn Bundesrates Bösch sagen: Wir sind nach wie vor in Regierungsverhandlungen, in Koalitionsverhandlungen, noch gibt es keine neue Bundesregierung. Natürlich ist die Europapolitik dabei ein ganz wesentlicher Punkt, der noch nicht ausverhandelt ist. Wir wollen etwas weitergehen als unser Koalitionspartner, aber wir sind sicher, wir haben beide dasselbe Ziel im Auge, und es wird eine entsprechende Lösung gefunden werden. Deshalb, so glaube ich, ist Ihre Kritik hier etwas verfrüht. Wenn man in Verhandlungen steht, kann man noch keine vollständige Position haben. – Ich danke. (Beifall bei der ÖVP und bei Bundesräten der SPÖ.)

12.07

Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Als nächste zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Crepaz. Ich erteile ihr dieses.

12.07

Bundesrätin Irene Crepaz (SPÖ, Tirol): Frau Präsidentin! Frau Staatssekretärin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In meiner Rede werde ich mich im Hinblick auf die bevorstehende Regierungskonferenz 1996 vor allem mit drei Aspekten befassen: mit der Beschäftigungspolitik, mit der Sozialpolitik und mit der Frauenpolitik in der Europäischen Union. Dabei werde ich die Schwierigkeiten und Herausforderungen darstellen, denen sich die Europäische Union und die Mitgliedsstaaten in diesen Bereichen stellen müssen, auch vor dem Hintergrund meiner Erfahrungen als Europaparlamentarierin.

Die andauernd hohe Arbeitslosigkeit in Europa stellt zurzeit sicherlich das größte interne Problem dar, mit dem die Europäische Union und die Mitgliedstaaten konfrontiert sind. Europaweit sind heute – das haben wir schon gehört – rund 18,5 Millionen Menschen ohne Arbeit, wobei Frauen nach wie vor besonders betroffen sind: Die Arbeitslosigkeit der Frauen war und ist höher als der Durchschnitt.

Wir müssen uns dessen bewußt sein, daß Arbeitslosigkeit für die Betroffenen, besonders für junge Menschen und Langzeitarbeitslose, in erster Linie auch eine enorme psychische Belastung ist. Das herrschende Ausmaß an Arbeitslosigkeit stellt aber auch eine Bedrohung für den sozialen Zusammenhalt der Europäischen Union dar. Die wirtschaftliche und soziale Stabilität und auf längere Sicht unser demokratisches Regierungssystem könnten in Gefahr geraten, sollte dieses Problem nicht gelöst werden. Das muß uns bewußt sein.


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Ich glaube, die EU und ihre Mitgliedstaaten sind sich dessen bewußt, daß ihre Hauptaufgabe darin besteht, die Arbeitslosigkeit zu senken, indem das Wirtschaftswachstum und die Beschäftigung verbessert werden.

Welchen Beitrag kann nun die Regierungskonferenz 1996 dazu leisten? – Bundeskanzler Franz Vranitzky hat in seinem Report zur Sozialverträglichkeit der Wirtschafts- und Währungsunion kritisiert, daß die Zielsetzung einer aktiven Beschäftigungspolitik in den Europäischen Grundverträgen eindeutig unterrepräsentiert sei. Gleichzeitig hat er auch die Position der sozialdemokratischen Regierungschefs im Hinblick auf die Regierungskonferenz 1996 festgelegt. Es herrscht Einigkeit, daß die beschäftigungspolitischen Zielsetzungen stärker in den Verträgen verankert werden sollten.

Die Regierungskonferenz 1996 sollte es ermöglichen, daß durch Verfassungsänderungen die Leistungsfähigkeit der EU gestärkt wird, daß die Mitgliedstaaten koordinierte Strategien entwickeln, um die Arbeitslosigkeit wirksam zu bekämpfen.

Wie das geschehen kann, hat das schwedische Mitglied der Reflexionsgruppe vorgezeigt. Allan Larson hat vorgeschlagen, daß als Ergänzung zur Wirtschafts- und Währungsunion eine europäische Beschäftigungsunion geschaffen wird. Das Wesen einer europäischen Beschäftigungsunion liegt in einer gemeinsamen Strategie, in der die Grundziele sowie die sozialen Mindeststandards festgelegt werden, die für die Mitgliedstaaten verbindlich sein sollten. Darauf aufbauend sollen nationale und regionale Programme erarbeitet werden. Weiters ist ein Überwachungsprozeß für die Entwicklung der nationalen und regionalen Beschäftigungspolitik vorgesehen. Darüber hinaus sollte auch der soziale Dialog gestärkt werden, indem die Sozialpartner stärker in Entscheidungen betreffend Beschäftigungsfragen eingebunden werden.

Uns muß klar sein, daß mit Blick auf die Wirtschafts- und Währungsunion das Beschäftigungsziel so definiert werden muß, daß es mit den strengen europäischen Defizitkriterien vereinbar ist. Zusätzlich muß eine so hohe Produktivität erreicht werden, daß einheitliche soziale Standards erfüllt werden können und gleichzeitig inflationärem Druck begegnet werden kann.

Zu meiner Freude rückt das Thema Beschäftigungspolitik europaweit immer mehr in den Vordergrund. Auch wenn einzelne Staaten Maßnahmen im sozialen Bereich zu blockieren versuchen, müssen sie doch langsam erkennen, daß die Idee der Europäischen Union von den Menschen nur dann akzeptiert wird, wenn Themen und Probleme in den Vordergrund gestellt werden, die die Menschen direkt betreffen.

Neben der Beschäftigungspolitik, meine Damen und Herren, muß daher als einer der wichtigsten Ansatzpunkte in der europäischen Sozialpolitik das europäische Sozialmodell wieder mit Leben erfüllt werden. Es ist klar, daß zu diesem Zweck alle Mitgliedstaaten das Sozialprotokoll umsetzen müssen.

Der Abstand zwischen Armen und Reichen innerhalb der EU muß verringert werden. Dazu muß die Sozialcharta aus dem Jahre 1989 in die EU-Grundverträge aufgenommen werden. Bis jetzt wurde die Sozialcharta vom Vereinigten Königreich noch nicht unterzeichnet. Laut Information des Vertreters des Europäischen Parlaments in der Reflexionsgruppe wird von allen Seiten großer Druck auf die britische Regierung ausgeübt, sich in die europäische Sozialpolitik zu integrieren. In diesem Fall sind sich Arbeitnehmer und Arbeitgeber einig. Erstere finden das Ausscheren aus der Sozialcharta für sozial unzumutbar, die anderen sehen darin einen ungerechtfertigten Wettbewerbsvorteil für britische Unternehmer. In diesem Punkt kann man mit großer Wahrscheinlichkeit mit Veränderungen rechnen.

Auch in bezug auf die Gleichstellungspolitik ist die Regierungskonferenz 1996 gefordert. Die Fragen der Gleichbehandlung stützen sich in der EU auf Artikel 119 des EG-Vertrages, eine 1976 beschlossene Richtlinie und das bereits erwähnte Sozialprotokoll.

Ich möchte kurz darlegen, welche Schwierigkeiten sich daraus für uns Frauen ergeben.


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Erstens: Artikel 119 beschränkt sich auf die Sicherung gleichen Entgelts für Männer und Frauen bei gleicher Arbeit. Er kann aber in Fragen der Beförderung nicht als Rechtsgrundlage herangezogen werden.

Zweitens: Die erwähnte Richtlinie zielt einerseits auf die Verwirklichung des Gleichbehandlungsgrundsatzes ab, andererseits schließt sie jede Diskriminierung aufgrund des Geschlechts aus, und sie betont, daß sie den Maßnahmen zur Förderung der Chancengleichheit durch Beseitigung der tatsächlich bestehenden Ungleichheiten, die die Chancen der Frauen beeinträchtigen, nicht entgegensteht.

Drittens: Das Sozialprotokoll ist dem EU-Vertrag nur angeschlossen. Im Protokoll heißt es, daß Mitgliedstaaten nicht daran gehindert werden, zur Erleichterung der Berufstätigkeit der Frauen oder zur Verhinderung von Benachteiligungen spezifische Vergünstigungen beizubehalten oder zu beschließen. Doch der Europäische Gerichtshof muß dieses Protokoll zur Beurteilung nicht heranziehen.

Gerade das kam ja im vergangenen Jahr im Fall Kalanke zum Tragen. In der Entscheidung des EuGH heißt es, daß ein nationales Gesetz, das bei einer Beförderung den Frauen automatisch den Vorrang erteilt, nicht mit dem EU-Recht vereinbar sei. Eine solche Regelung bewirke eine Diskriminierung der Männer aufgrund des Geschlechts, was wiederum die bereits erwähnte Richtlinie verbietet.

Als sozialdemokratische Frauenpolitikerin erwarte ich mir von der Regierungskonferenz 1996 einiges in bezug auf die europäische Gleichstellungspolitik, einerseits eine Änderung der Richtlinie, und andererseits muß die Gleichstellungspolitik sowie die Möglichkeit von positiven Maßnahmen zugunsten von Frauen im neuen EU-Vertrag festgeschrieben werden.

Ein Mitglied der Reflexionsgruppe hat mir bereits versichert, daß das Thema auf der Regierungskonferenz 1996 behandelt werden soll. Auch Bundeskanzler Franz Vranitzky sicherte mir volle Unterstützung zu. Er hat zu meiner Freude darauf hingewiesen, daß er auch seine skandinavischen Kolleginnen und Kollegen auf das Problem aufmerksam gemacht hat.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Uns muß klar sein, daß die Beschäftigungs-, die Sozial- und die Frauenpolitik natürlich nicht die einzigen Themen der bevorstehenden Regierungskonferenz 1996 sind. Bei der Regierungskonferenz geht es um eine umfassende Bewertung der Maastricht-Verträge, der rechtlichen Grundlagen und der zukünftigen Gestaltung der Europäischen Union.

Vor allem die anstehende Osterweiterung stellt die EU vor große institutionelle und finanzielle Herausforderungen. Die reichen Länder der EU – dazu gehört nun einmal Österreich – müssen zu beträchtlichen finanziellen Beiträgen bereit sein, um die mittel- und osteuropäischen Länder zunächst an den Binnenmarkt heranzuführen, damit in späterer Folge an eine Vollmitgliedschaft der Länder Mittel- und Osteuropas gedacht werden kann. – Diese Heranführung wird nicht gerade dadurch erleichtert, daß in den nächsten Jahren von der EU auch der Wiederaufbau Exjugoslawiens mitfinanziert werden muß.

Die umfassenden Vorgaben und die Tatsache, daß zwischen den einzelnen Mitgliedstaaten in vielen Punkten keine Übereinstimmung herrscht, lassen darauf schließen, daß europäische Lösungen für die anstehenden Probleme bis weit in das Jahr 1997 verhandelt werden.

An dieser Stelle möchte ich betonen, wie wichtig es für die Interessen und Anliegen der Österreicherinnen und Österreicher ist, daß wir als voll- und gleichberechtigtes Mitglied an der Regierungskonferenz 1996 teilnehmen. Gerade die Tatsache, daß in weiten Bereichen der Meinungsbildungsprozeß unter den Mitgliedern noch nicht abgeschlossen ist, und gerade die Tatsache, daß noch nicht alle Weichen für die Zukunft Europas gestellt worden sind, bieten unseren Vertretern bei der Regierungskonferenz 1996 große Möglichkeiten.


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Uns muß bewußt sein, daß uns viele Staaten, die noch nicht Mitglied bei der Europäischen Union sind, um diese Chance beneiden. Ich hoffe sehr, daß unsere Vertreter diese Chance bei der Regierungskonferenz 1996 nützen werden.

Im Bereich der Beschäftigungspolitik, in der Sozialpolitik und in der Frauenpolitik werden wir, die europäischen Sozialdemokraten, ein gewichtiges Wort mitreden. Davon werden vor allem diejenigen Österreicherinnen und Österreicher profitieren, die auf unseren Einsatz und auf unsere Solidarität angewiesen sind. – Danke. (Beifall bei SPÖ und ÖVP.)

12.18

Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Als nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Ing. Penz. – Bitte.

12.18

Bundesrat Ing. Johann Penz (ÖVP, Niederösterreich): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Frau Staatssekretärin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Österreich ist nunmehr seit 14 Monaten Mitglied der Europäischen Union, und die erste Begeisterung über den außenpolitischen Erfolg des EU-Beitrittes ist mittlerweile der Alltagsroutine gewichen.

Viele unserer Mitbürger stellen nämlich überraschend fest, daß sich in ihrem Leben viel weniger geändert hat seit dem historischen Schritt des 1. Jänner 1995, als manche prophezeit oder manche auch angekündigt haben. Herr Mag. Langer, ich denke also nur an Schildläuse und Wasserführungen in den Süden und ähnliches mehr. (Bundesrat Mag. Langer: Was haben Sie versprochen, was nicht eingetroffen ist!)

Aber die kurze Bilanz der ersten zwölf Monate soll deshalb auch die grundlegenden Vorteile in Erinnerung rufen, die der Status als EU-Mitgliedsland mit sich bringt und die in der politischen Diskussion immer wieder vergessen werden und schnell vergessen werden.

Viele wirtschaftliche Vorteile der Mitgliedschaft werden natürlich nicht sofort, sondern längerfristig, manche erst in vielen Jahren klar erkennbar sein, während sich die Umstellungsprobleme natürlich sofort bemerkbar und in einigen Bereichen sogar sehr einschneidend bemerkbar gemacht haben.

Dennoch gibt es aber bereits klare Zeichen dafür, daß auch die wirtschaftlichen Argumente für unseren EU-Beitritt richtig waren. So ist im Oktober des vergangenen Jahres die Inflationsrate erstmals seit sieben Jahren wieder unter die 2 Prozent-Marke gefallen. (Bundesrat Mag. Langer: Dafür ist die Arbeitslosenrate gestiegen!) Auch das Investitionsvolumen ausländischer Unternehmer in Österreich hat 1995 etwa 8 Prozent betragen. Das beweist auch, wie wichtig die EU-Mitgliedschaft für die zukünftige Positionierung unseres Landes im europäischen und auch im weltweiten Wettbewerb eigentlich ist.

Es ist selbstverständlich, daß Österreich als Wirtschaftspartner seit 1. Jänner 1995 an Attraktivität weiter zugenommen hat. Schon das erste halbe Jahr der EU-Mitgliedschaft hat auch die Struktur unserer Agrar- und Lebensmittelexporte nach Italien völlig verändert. Auch im Bereich der Regional- und Strukturpolitik sind die Vorteile der EU-Mitgliedschaft augenfällig. Es wurden heute bereits in den Diskussionsbeiträgen Beispiele dafür genannt, und es kommt nicht von alleine, und es ist keine Selbstverständlichkeit, daß rund 70 Prozent des österreichischen Territoriums mit einem Bevölkerungsanteil von 41 Prozent von den EU-Förderungen profitieren werden – als Beispiel sei nur das Burgenland erwähnt und hervorgehoben, das als Ziel-1-Gebiet anerkannt wurde. Der Gesamtförderungsbetrag der Union für das Burgenland wird in den kommenden Jahren etwa 2,5 Milliarden Schilling betragen, und es ist unsere Aufgabe und unsere Verpflichtung, die notwendigen Programme dafür zu erarbeiten und zu erstellen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist aber heute schon beinahe selbstverständlich, daß Österreich in allen Gremien – Frau Bundesrätin Crepaz hat das auch gesagt – der Europäischen Union Sitz und Stimme hat. Das war in der Tat auch eines der Hauptargumente für einen EU-Beitritt, nämlich unserem Land die Möglichkeit zur aktiven Mitbestimmung und auch zur aktiven Mitgestaltung zu eröffnen.


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Österreich hat nun die Möglichkeit, die spezifischen Interessen und Anliegen in die Meinungsbildung der Union einzubringen und damit auch gleichberechtigt die europäische Politik mitzugestalten. Die Einflußmöglichkeiten unseres Landes haben sich auch in den vergangenen Monaten beziehungsweise in den letzten 14 Monaten deutlich erhöht. Im Meinungsbildungsprozeß der Europäischen Union gelang es durch unser Engagement, unsere Position betreffend die Finanzierung des Kernkraftwerkes Mochovce – ein wichtiger Beitrag im Bereich der Umweltpolitik, von der heute auch schon gesprochen wurde – durchzusetzen.

Österreich ist nunmehr Teil der wichtigsten weltpolitischen Akteure, und damit steht auch die österreichische Politik vor völlig neuen Herausforderungen. Es geht nicht mehr darum, unsere Position gegenüber der Europäischen Union zu vertreten, sondern es geht, wie bereits gesagt, darum, das Wirken der Union von innen her mitzugestalten und hier mitzuarbeiten, denn auch die Entwicklungen in den letzten Jahren haben uns deutlich vor Augen geführt und eigentlich klargemacht, daß kein Staat allein die wirtschaftlichen, die politischen und auch die sozialen Probleme bewältigen kann, sondern daß es viel einfacher ist, in einem Staatenbund mitzuwirken.

Die Bedeutung der EU-Regierungskonferenz 1996 liegt für Österreich zunächst einmal im politischen Bereich. Österreich wird, wie es bereits mehrmals gesagt wurde, als gleichberechtigter Partner über die konkrete Gestaltung des europäischen Integrationsweges mitentscheiden. Diese Tatsache verdeutlicht auch den Quantensprung, den unser Land bezüglich seines politischen Stellenwertes durch den EU-Beitritt erfahren hat.

Die Tatsache, gleichberechtigt mitentscheiden zu können, bringt aber auch die Verpflichtung mit sich, eigene konkrete Vorstellungen in den Entscheidungsprozeß miteinzubringen. Dies erfordert unsererseits, daß wir uns mit den anstehenden Problemen auseinandersetzen und die innenpolitische Entscheidungsfähigkeit aufbringen, österreichische Positionen auf europäischer Ebene auch klar zu artikulieren. Nur eine Regierung, die weiß, was sie will, wird bei den Verhandlungen einen entsprechenden Erfolg haben.

Inhaltlich hat Österreich äußerstes Interesse daran, ein substantielles Ergebnis bei dieser Regierungskonferenz zu erreichen. Der besondere Stellenwert der Regierungskonferenz 1996 ergibt sich daraus, daß sich in Europa integrationspolitisch sehr viel bewegt und sich vielleicht auch die Europäische Union integrationspolitisch auf einem Scheideweg befindet. Es wird immer wieder behauptet, daß die Europäische Union, der Weg nach einem gemeinsamen Europa irreversibel wäre. Es gibt aber durch den Wegfall der Ost-West-Bedrohung nicht mehr so sehr das Bedürfnis nach einer Integration, und es ist auch klar – das wurde heute bereits mehrmals angesprochen –, daß Europa und Brüssel in der Öffentlichkeit ein Imageproblem haben.

Aber der Vertrag von Maastricht, meine sehr geehrten Damen und Herren, bringt eine besondere Dynamik mit sich. Durch ihn wurde die Europäische Union gegründet, die auf der Grundlage des Subsidiaritätsprinzips dem Bürger näherkommen soll. Trotz dieser Bemühungen aber ist die Identität zwischen der Europäischen Union und den Bürgern geringer geworden. Und ich bedauere auch, meine sehr geehrten Damen und Herren, daß wir in Österreich aufgrund der letzten Umfragen nicht mehr jene Zustimmung haben, die wir im Juni 1994 gehabt haben. Es sagen nur mehr 40 Prozent der Österreicher, ja, sie sind für eine Mitgliedschaft bei der Europäischen Union, und leider nur 30 Prozent der Österreicher meinen, sie haben auch einen Nutzen von der Europäischen Union. Diese Umfrage, die von der Europäischen Union durchgeführt wurde, ist aber in anderen europäischen Ländern ähnlich und vergleichbar, teilweise sogar noch schlechter, wenn ich beispielsweise Schweden hernehme, wo die Zustimmung in der Zwischenzeit nur bei 28 Prozent liegt.

Das heißt, es ist bei dieser Regierungskonferenz, bei der es um eine Weiterentwicklung des Maastrichter Vertrages geht und die unter dem Prätext Versöhnung der Bürger mit der Europäischen Union steht, auch für uns innerhalb von Österreich sehr viel zu tun, und wir müssen uns in vielen Bereichen sehr anstrengen. Wir haben auch hier in dieser Diskussion gesehen, was alles von dieser Regierungskonferenz, die am 29. März in Turin beginnen soll, erwartet wird, was alles hineininterpretiert wird. Es ist nicht nur die Frage der Beschäftigung angespro


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chen worden, im Rahmen der die Europäische Union interessanterweise heute keine Kompetenz, sondern eher die Schuld hat, und es wird erwartet, daß man mit einer Regierungskonferenz all die Probleme lösen wird können. Das wird nicht gehen – das ist nur ein Beispiel von vielen!

Ich glaube, auch wir in Österreich sollten einen gesunden Realismus an den Tag legen und die Erwartungen nicht zu hoch schrauben und nicht glauben, diese Regierungskonferenz sei die letzte Entscheidung vor dem Jüngsten Gericht, und wir haben keine Chancen mehr, irgendwelche Veränderungen in der Europäischen Union zu erreichen. Es ist ein wichtiger Baustein und ein wichtiger Bestandteil der Weiterentwicklung der Europäischen Union, die wir nützen sollten.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Mit der bevorstehenden Erweiterung, die heute auch schon angesprochen wurde, steht die Europäische Union vor einer der größten Herausforderungen, es geht darum, sich von 15 vielleicht auf 20, 25 oder 27 Staaten zu erweitern. Es ist eine Herausforderung insbesondere an das strukturelle Gefüge, denn die Europäische Union wurde für sechs gegründet, und die Institutionen sind den Erweiterungen, die es in der Zwischenzeit gegeben hat, nicht angepaßt worden. Wir brauchen neben der Institutionenreform, bedingt auch durch die Osterweiterung, eine Neukonzeption in vielen Politikbereichen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist die Frage der Effizienz, die Frage der Vereinfachung der Entscheidungsprozesse bereits angesprochen worden, und symptomatisch dafür mag vielleicht sein, daß zwischen dem Rat und dem Europäischen Parlament verschiedene Formen der Kooperationen bestehen. Herr Bundesrat Kapral hat sie mit 22 bezeichnet, offiziell sind es 23. Ich habe aber bei einem Vortragszyklus, den die Mission gemacht hat, gehört, daß es 25 sein sollen. Das ist auch symptomatisch dafür, daß man in manchen Bereichen nicht mehr weiß, was sich tatsächlich tut. Wir brauchen daher eine Vereinfachung.

Ich glaube auch, daß wir alle einer Meinung sind, daß das Europäische Parlament mehr Rechte braucht und daß eine schrittweise Erweiterung der Rechte des Europäischen Parlaments notwendig ist, wohl wissend, daß das Europäische Parlament eine tatsächliche Legislativfunktion sicher erst zu einem späteren Zeitpunkt bekommen wird, aber den Grundstein dafür und dazu sollten wir jetzt legen.

Es ist heute auch schon die Frage des Rates angesprochen worden. Das System der sechsmonatigen Präsidentschaft des Rates bedarf natürlich auch einer Diskussion und einer Veränderung, aber ich glaube, uns muß klar sein, daß wir als kleines Land auch Interesse an dieser halbjährigen Vorsitzführung haben müssen, denn es wurde heute schon einmal gesagt, es kann doch nicht Sinn und Zweck sein, daß ein Land nach 14 Jahren oder, wenn das auf ein Jahr verlängert wird, möglicherweise nach 25 oder nach 27 Jahren den Vorsitz im Rat haben kann. Das ist auch psychologisch wichtig für solch ein Land wie Österreich, und daher, so glaube ich, sollten wir mit großer Sorgfalt an die Reform der Präsidentschaft herangehen.

Wir sind einer Meinung, was die Frage der Rolle der Kommission betrifft. Die Ausweitung der Motorfunktion der Europäischen Kommission auch auf die zweite und dritte Säule wird unbedingt erforderlich sein.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Osterweiterung ist heute mehrmals angesprochen worden. Auch ich habe gesagt, daß diese Osterweiterung eine Riesenherausforderung ist und damit auch die Grundlage für die Institutionenreform darstellt, aber wir haben heute auch über eine behutsame Vorgangsweise diskutiert. Es ist davon gesprochen worden, daß wir die Osterweiterung zwar wollen, aber daß die Beschäftigten oder die Arbeitnehmer nicht auf den österreichischen Markt kommen dürfen. Herr Kollege Drochter! Ich habe mit großem Interesse eine neue Arbeitnehmersolidarität hier herausgehört. (Bundesrat Drochter: Schrittweise!) Ich glaube, wir sollten auch aus österreichischer Sicht sehr wohl Interesse an einer Aufnahme der osteuropäischen Länder, an einer Erweiterung haben, und zwar nicht nur weil wir an der unmittelbaren Grenze liegen. Ich glaube, wir sollten Interesse daran aus Gründen der Sicherheit haben. Je weiter die Grenzen der Europäischen Union in den Osten hineingehen, desto mehr kommen wir


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in den Mittelpunkt und umso sicherer werden wir. Andererseits sollten wir auch aus wirtschaftlichen Gründen Interesse daran haben, meine Damen und Herren, denn je wirtschaftlicher und intensiver die Wirtschaften in den Ostländern entwickelt werden, desto weniger werden uns diese Länder konkurrenzieren, sie werden Partner sein für unsere Produkte und auch für unseren Arbeitsmarkt.

Die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik hat die Frau Staatssekretärin in großartiger Weise dargestellt, und ich möchte mich, Frau Staatssekretärin, auch sehr herzlich für das Bekenntnis, das gestern im EU-Ausschuß abgegeben wurde, bedanken, daß wir seitens des Außenministeriums auch von Ihnen ständig über die Weiterentwicklung, die es geben wird, über die Fortschritte, die auch bei den Verhandlungen in Turin gemacht werden, informiert werden. Das gibt uns auch als Bundesrat die Möglichkeit, diese Fragen im Ausschuß zu diskutieren und zu konkreten Punkten dann jeweils auch Stellung zu nehmen. Ich glaube, das ist das Wichtige. Daher verstehe ich den Entschließungsantrag des Kollegen Dr. Bösch in keiner Weise, der eigentlich dem nachhinkt, was wir gestern beschlossen haben und zu dem wir uns auch festgelegt haben. (Bundesrat Eisl: Wir verlangen es eh nicht! – Bundesrat Dr. Bösch: Dann können Sie ja zustimmen!) Ich brauche nicht zuzustimmen, Herr Kollege Dr. Bösch! Wir haben das gestern festgelegt, Sie waren dankenswerterweise im Ausschuß mit dabei, daher konnten Sie auch mithören, was unsere Intention war und wie wir unsere Aufgabe – im Bundesrat als Länderkammer – ernst nehmen, um die Fragen der Länderinteressen zu vertreten.

In diesem Zusammenhang ist mir das Subsidiaritätsprinzip etwas sehr Wichtiges und Wertvolles, weil es nämlich das wesentliche ordnungspolitische Instrument der Europäischen Union zur Optimierung der Aufgabenverteilung zwischen der europäischen, der nationalen und der regionalen Ebene darstellt. Diese Kurzfassung, die wir heute von der Frau Staatssekretärin gehört haben, die, wie Herr Präsident Santer gesagt hat, "nicht mehr, sondern weniger, aber das dafür intensiver", findet völlig unsere Zustimmung.

Das, was wir aber vielleicht brauchen und wozu wir vielleicht auch als Länderkammer einen sehr wichtigen Beitrag leisten können, wäre doch die Erstellung eines Kompetenzkataloges, damit auch einmal die Aufgaben zwischen der europäischen Ebene, der nationalen und der regionalen Ebene abgegrenzt werden. Es gab schon einmal einen Ansatz in der Kommission, die versucht hat, die Grundsätze der Subsidiarität zu umschreiben, und ich glaube, es wäre unsere Aufgabe, diese Ideen, die vor Jahren gemacht wurden, auch weiterzuentwickeln. Wenn es nämlich zu einer Kompetenzabgrenzung kommt und wenn der Ausschuß der Regionen gestärkt wird – das hat heute schon dankenswerterweise die Frau Staatssekretärin gesagt – und damit unter Umständen auch die Möglichkeit bestünde, daß Kompetenzüberschreitungen beim Europäischen Gerichtshof angefochten werden könnten, dann könnten wir als Österreicher beziehungsweise als Bundesrat für die Europäische Union einen sehr wichtigen Beitrag leisten.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte mich aber abschließend auch sehr herzlich für die Mitarbeit im Ausschuß bedanken. Es wurde heute schon gesagt, daß dort sehr qualifiziert diskutiert und auch versucht wurde, die österreichische Position zu diskutieren. Ich bin auch dankbar, daß in dem nunmehr vorliegenden Entschließungsantrag über die Leitlinien, die die Bundesregierung im Sommer des vergangenen Jahres erstellt hat, auch die Positionen der Länder enthalten sein wird, wobei unsere Position in unserem Entschließungsantrag sehr deutlich zum Ausdruck kommt.

Bundesrat Dr. Kapral hat namens seiner Fraktion erklärt, daß er mit diesem Entschließungsantrag nicht mitgehen kann, weil er viel zu allgemein ist. Ich möchte mich hier nicht rechtfertigen, sondern nur sagen, es wäre doch um Gottes willen völlig falsch, da die Regierungskonferenz noch nicht einmal begonnen hat, im Detail jede Position endgültig festzuschreiben und keinen Spielraum mehr für Verhandlungen zu haben. Es ist doch viel gescheiter und viel besser, auch für uns als Länderkammer interessanter, anhand der jeweiligen Tagesordnungspunkte aktuell und ganz spezifisch Stellung zu nehmen.

Ich möchte ihm ein Zitat von Victor Hugo, das mir bei seiner Wortmeldung eingefallen ist, in Erinnerung rufen. Victor Hugo meinte: Die Zukunft hat viele Namen: Für die Schwachen ist sie


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das Unerreichbare, für die Furchtsamen das Unbekannte, für die Tapferen bedeutet die Zukunft aber Chance. – Und wir wollen zu den Tapferen gehören! (Beifall bei der ÖVP und bei Bundesräten der SPÖ.)

12.41

Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Als nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Jürgen Weiss. – Bitte.

12.42

Bundesrat Jürgen Weiss (ÖVP, Vorarlberg): Frau Präsidentin! Frau Staatssekretärin! Hohes Haus! Wenn wir heute nach umfangreichen Beratungen im EU-Ausschuß des Bundesrates abschließend über die Leitlinien der Bundesregierung für die Regierungskonferenz 1996 beraten, so soll nicht unerwähnt bleiben, daß über den Inhalt und das Zustandekommen dieser Leitlinien damals keineswegs allseitige Zufriedenheit festzustellen war. Neben den Ländern haben besonders pointiert der Österreichische Städtebund und der Österreichische Gemeindebund in einem Brief vom 9. Juni 1995 an den Herrn Bundeskanzler folgendes festgehalten – ich darf einige Sätze zitieren, Frau Präsidentin, wenn Sie gestatten –: Nunmehr müssen der Österreichische Städtebund und der Österreichische Gemeindebund mit Befremden feststellen, daß die Bundesregierung zwar die Leitlinien für die Regierungskonferenz am 30. Mai 1995 festgelegt, jedoch weder die beiden Gemeindebünde zu den Beratungen zugezogen noch die schon seinerzeit geäußerten Anliegen inhaltlich berücksichtigt hat.

Die abschließende Feststellung "Ganz im Gegenteil" hat der diesen Brief unterzeichnende Bürgermeister Dr. Häupl von Wien sogar noch mit einem Rufzeichen versehen.

Nun ist über die damalige Situation die Entwicklung in einer durchaus erfreulichen Weise fortgeschritten. Ich möchte ausdrücklich anerkennen, daß der österreichische Vertreter in der Reflexionsgruppe zur Vorbereitung der Regierungskonferenz, der sehr verdienstvolle Botschafter Dr. Manfred Scheich, diese nachträglich von den Ländern und Gemeinden dargelegten Positionen engagiert vertreten hat. Das wird nicht nur deutlich, wenn man den Schlußbericht der Reflexionsgruppe liest, sondern ich weiß das auch aus Berichten seiner Kollegen, die durchaus registriert haben, mit welchem Einsatz er die Interessen der Länder und Gemeinden vertreten hat.

Daran wird also deutlich, daß die Leitlinien kein abgeschlossenes Papier sind, sondern – wie die Europäische Integration insgesamt – ein dynamischer Prozeß. Ich möchte ausdrücklich anerkennen, daß man aus der seinerzeitigen Kritik der Länder und Gemeinden die entsprechenden Lehren gezogen hat. Ich bin auch nach den Ausführungen der Frau Staatssekretärin gestern im Ausschuß und heute hier im Plenum wesentlich beruhigter, als ich es vorher war, weil ich auch sehe, daß das auch politisch mitgetragen wird.

Zum Entschließungsantrag der von den Freiheitlichen namhaft gemachten Bundesräte, soweit es mir gelungen ist, ihn stenographisch mitzuschreiben und somit ein bißchen beurteilen zu können – schriftlich haben wir ihn ja nicht bekommen, weder vorher noch jetzt, daher ist es ein bißchen schwierig zu entscheiden, ob man ihm zustimmen kann oder nicht, aber das ist die formale Seite; wesentlicher ist die inhaltliche –, muß ich sagen, die Bundesregierung hat deutlich gemacht, daß faktisch erfüllt ist und erfüllt wird, was gefordert wird. Ich glaube, das ist das Wesentliche.

Bereits vor dem Beitritt Österreichs zum Europäischen Wirtschaftsraum, aber erst recht dann natürlich vor dem Beitritt zur Europäischen Union wurden sowohl auf Bundesebene als auch dann auf Landesebene verschiedene Instrumente geschaffen, um für die Länder, die Gemeinden und die gesetzgebenden Körperschaften auf Bundes- und Landesebene eine entsprechende Information und eine entsprechende Beteiligung an der integrationspolitischen Willensbildung der Bundesvertreter in Brüssel zu verankern.

Nach einem Jahr ist es sicherlich zweckmäßig, Bilanz zu ziehen, wie diese Instrumente in der Praxis funktioniert haben – ohne Kritik, sondern damit man in Zukunft manches beachten kann –, eine Schwachstellenanalyse vorzunehmen, zu der ich von vornherein sagen muß, daß die


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Tücke des Objekts ganz beachtlich ist und vieles, was da und dort noch als Mangel angesehen wird, nicht mit mangelndem Willen zu tun hat. Wir haben nämlich genau dieselben Probleme, die die Bundesrepublik Deutschland und andere Gründungsmitglieder der Europäischen Union eben auch noch haben.

Da ist zum einen die Vertretung der Bundesländer und auch – wenn sachgerecht notwendig – der Gemeinden in Verhandlungsdelegationen. Das funktioniert im großen und ganzen, wie auch die Einbindung der Bundesländer und der Gemeinden in die Beitrittsverhandlungen, ganz hervorragend. Es gibt aber immer noch Probleme, etwa dann, wenn sich zwei Ministerien nicht einigen können, wer denn nun Österreich dort vertritt. Und dann werden kurzerhand beide Österreich zustehenden Sitze von Ministerialvertretern in Anspruch genommen, und man geht darüber hinweg, daß man eigentlich einen dieser beiden Sitze, wenn es sich um Landeszuständigkeiten handelt, mit einem Vertreter der Länder besetzen sollte, wie das auch in Deutschland gang und gäbe und problemlos möglich ist. Das ist auch in Österreich inzwischen im großen und ganzen kein Problem.

Ein Problem könnte es dann werden, wenn sich die Rechtsansicht des Herrn Bundeskanzlers durchsetzen sollte, der in einer Anfragebeantwortung zu einem solchen konkreten Thema gemeint hat, es genüge, daß in diesem Fall die Ministerienvertreter die Länder informieren würden und daß man innerstaatlich ohnedies koordiniere. – Das ist nicht die befriedigende Ausgangslage, wie Länderinteressen in Delegationen zu vertreten sind.

Das Zweite ist die schon etwas schwierigere Frage der Informationspflicht über alle Vorhaben der EU. Die Bundesregierung hat sowohl die Länder, wenn sie betroffen sind, als auch die gesetzgebenden Körperschaften auf Bundesebene über alle Vorhaben der Europäischen Integration zu informieren. Nun gibt es nicht unbeachtliche Meinungsunterschiede darüber, was denn nun solche Vorhaben wären. Wir haben uns im Wege einer Anfrage erkundigt, warum die Leitlinien zur Regierungskonferenz nicht vorher diesem Stellungnahmeverfahren unterzogen wurden. Das hat dann auch diese zitierte Kritik ausgelöst. Vom Herrn Bundeskanzler kam darauf die Antwort, dabei handle es sich um eine innerösterreichische Angelegenheit und nicht um ein Vorhaben der Europäischen Union.

Nun ist die Regierungskonferenz natürlich ein Vorhaben schlechthin der Europäischen Union. Selbst wenn man sich auf den formalen Gesichtspunkt zurückzieht, der seinerzeit in der Regierungsvorlage angesprochen war, daß für die Erarbeitung innerösterreichischer Positionen andere Koordinierungsinstrumente zur Verfügung stünden, nämlich der Rat für Angelegenheiten der Europäischen Integration, so muß man sich fragen, ob es eine zweckmäßige Vorgangsweise ist, wenn man hier auf zwei verschiedenen Ebenen koordiniert und verhandelt. Aber selbst wenn das zutreffend wäre, bleibt doch das Problem, daß auch der Rat für Integrationsangelegenheiten mit den Leitlinien nicht befaßt worden ist.

Man sollte, glaube ich, für die Zukunft eine weniger formalistische Betrachtungsweise wählen, wenn es um die Beurteilung der Frage geht, was alles Vorhaben der Europäischen Union wären.

Wir haben in diesem Zusammenhang auch die bemerkenswerte Situation, daß wir jetzt abschließend über die Leitlinien diskutieren – sie wurden dem Bundesrat auch ausdrücklich vom Herrn Bundeskanzler und vom Herrn Außenminister im Frühsommer des vergangenen Jahres zugeleitet –, daß wir also darüber diskutieren, mit welchen Aufträgen der österreichische Vertreter in der Reflexionsgruppe versehen war. Es war auch ein Ziel dieser Leitlinien, ihm eine Orientierungshilfe zu geben.

Nicht Beratungsgegenstand des Bundesrates, wohl auch nicht des Nationalrates, weil nicht übermittelt, sind hingegen der Bericht dieser Reflexionsgruppe, der nun abschließend vorliegt, und auch die Schlußfolgerung des Vorsitzes des Europäischen Rates Madrid vom 15., 16. Dezember 1995. Das sind nicht unwesentliche Dokumente in der Vorbereitung der Regierungskonferenz, die jedenfalls bis gestern dem Bundesrat noch nicht offiziell zugeleitet waren. Der Herr Vorsitzende des EU-Ausschusses, Kollege Penz, war so freundlich, sie, nachdem er sie in Brüssel von einem Kollegen bekommen hat, mitzubringen und den Mitgliedern des EU-Aus


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schusses und den anderen interessierten Mitgliedern des Hauses zur Verfügung zu stellen. Das ist aber sicherlich nicht der Weg, auf dem man den Bundesrat in Kenntnis solcher Dokumente setzen soll.

Dazu kommt, daß sich Landtage sehr wohl mit diesen Berichten der Reflexionsgruppe und auch mit der Schlußfolgerung des Vorsitzes befassen. So hat sich beispielsweise, nachdem sich schon der Salzburger Landtagspräsident zu Wort gemeldet hat, gestern der EU-Ausschuß des Vorarlberger Landtages einstimmig – mit den Stimmen aller vier Parteien – mit einer Entschließung befaßt, in der verschiedene Erwartungen an die österreichische Verhandlungsposition ausgedrückt und verschiedene Klarstellungen erbeten werden. – Ich glaube, es ist jetzt nicht unwichtig, das ganz kurz hier zu erwähnen, weil aus der Sicht der Länder sowohl zu der Reflexionsgruppe als auch zu den Schlußfolgerungen des Vorsitzes durchaus einiges zu sagen oder zu hinterfragen ist.

Das ist einmal die Bekräftigung des Anliegens – darin sind wir mit der Bundesregierung völlig einig –, daß die Länder, die Gemeinden, die Regionen schlechthin einen entsprechenden Stellenwert in der Rechtsordnung der EU und in der Frage, wie die Rechtsordnung der EU zustande kommt, haben sollen, daß das Subsidiaritätsprinzip im Vertrag gefestigt, präziser gefaßt werden soll, daß Transparenz und Bürgernähe in der Europäischen Union verstärkt werden sollen und daß es für die an sich durchaus wünschenswerte Ausweitung von Mehrheitsentscheidungen, damit der dynamische Prozeß der EU in Gang gehalten werden kann, auch inhaltliche Schranken gibt, in welchen Bereichen mit Mehrheit entschieden werden kann. Das ist eine sehr sensible Frage, die an das Problem rührt, in welchen Bereichen die Europäische Union tatsächlich tätig werden kann und in welchen nicht. Sie hat keinen klaren Zuständigkeitskatalog. Sie hat auch ein nicht ganz unbeachtliches Schlupfloch, um sich neue Zuständigkeiten aneignen zu können, weil es für die Vollendung des Binnenmarktes notwendig ist.

All das sind offene, fließende Grenzen der Zuständigkeiten, die geklärt werden sollten, wenn man verstärkt – das ist im Interesse der EU selbst und auch in unserem Interesse ohne Frage notwendig – zu Mehrheitsentscheidungen übergeht. Das sind grundsätzliche Anliegen, die mit den Länderpositionen, damit, was Österreich in der Reflexionsgruppe vertreten hat, durchaus übereinstimmen.

Ein weiterer Gesichtspunkt wurde durch den Bericht der Reflexionsgruppe angesprochen, nämlich daß die nationalen Parlamente im Rechtssetzungsverfahren der Europäischen Union frühzeitig eingebunden und informiert werden sollen – nicht im Sinne der Mitentscheidung, aber im Sinne der frühzeitigen Information und der Möglichkeit, auf Probleme aufmerksam machen zu können.

Nun wird es sicherlich eine Diskussion darüber geben, was denn nationale Parlamente sind. Ich möchte nur von vornherein klarstellen, das kann für Österreich wohl nicht nur der Nationalrat allein sein, sondern das wird auch den Bundesrat miteinschließen müssen. (Beifall bei der ÖVP und Beifall des Bundesrates Konečny. )

Wir sollten nicht unerwähnt lassen, daß es über den Nationalrat und Bundesrat hinaus in Österreich auch noch neun weitere Gesetzgeber, neun weitere Parlamente gibt, nämlich die Landtage, die von Rechtssetzungsmaßnahmen der EU durchaus wesentlich betroffen sein können. Nun weiß ich schon, das sind nach dem Sprachgebrauch der EU keine nationalen Parlamente, das sind regionale Parlamente. Aber es soll die Notwendigkeit verdeutlichen, innerstaatlich Vorsorge zu treffen, daß in solchen Fragen auch die Landtage entsprechend eingebunden werden – im Wege des Bundesrates, aber auch auf eigenständige Art und Weise. Das ist also ein Anliegen für den Rechtssetzungsprozeß der EU, das sich aus dem Bericht der Reflexionsgruppe ergibt.

Es gibt dann noch einige offene Fragen aus den Schlußfolgerungen des Vorsitzes, die vom EU-Ausschuß des Vorarlberger Landtages eher im Sinne einer Frage, mit dem Ersuchen um Klarstellung angesprochen wurden. In den Schlußfolgerungen ist davon die Rede, daß es zu einer


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ausgewogenen Raumordnungspolitik in der EU kommen solle. Das ist nun mit dem Anliegen verbunden, daß das die Zuständigkeit der Landtage und Gemeinden beachten müsse.

Das heißt, was wir aus Landes- und Gemeindesicht sicherlich nicht wollen, ist eine die Flächenwidmungspläne, die Raumordnungsgesetze durchbrechende europäische Raumordnung – insbesondere dann nicht, wenn sie über die Köpfe der Länder und Gemeinden hinweg erfolgen würden. Das Anliegen des EU-Ausschusses von Vorarlberg war also eine entsprechende Klarstellung, was gemeint und was nicht gemeint ist.

Das Zweite, das in den Schlußfolgerungen des Vorsitzes angesprochen wird, ist, daß ein legistischer Rahmen für die transeuropäischen Netze, insbesondere natürlich auch für die Verkehrswege, wünschenswert wäre. Das kann nun mancherlei heißen. Es könnte bedeuten – ich weiß nicht, ob das gemeint ist, daher formuliere ich es vorsichtig –, daß ein legistischer Rahmen auf eine gewisse Verbindlichkeit und Durchsetzungsfähigkeit abzielt. Das ist – ich nenne nur das Stichwort Alpentransversale – ein sehr sensibles Problem, bei dem es, glaube ich, gut wäre, Befürchtungen zu zerstreuen und klarzustellen, was man meint und was nicht.

Das Dritte: Es ist die Rede davon, wie auch schon in Ausschüssen des Europäischen Parlaments, daß ein integrales und umweltpolitisches Konzept angestrebt wird, das Wasser nicht nur hinsichtlich der Wasserqualität und der Reinheit des Trinkwassers und des Badewassers zu beurteilen, womit sich die EU schon beschäftigt, sondern das Wasser nur als begrenzt verfügbare Wirtschafts- und Umweltressource zu sehen. Wenn man daneben hält, was in den Unterlagen des Europäischen Parlaments schon zu lesen ist – nicht in Beschlüssen, aber in Vorschlägen und Entwürfen –, dann könnte das auch heißen, daß auf eine europäische Wasserbewirtschaftung hingearbeitet wird.

Das ist ein Thema, das in der Öffentlichkeit schon verschiedentlich als Befürchtung dargestellt wurde, und daher ist es, glaube ich, angeraten, um eine Klarstellung zu bitten, was man meint und was nicht. – Ich wollte das alles am Schluß nur sagen, damit nicht der Eindruck entsteht, daß es zum Bericht der Reflexionsgruppe und zu den Schlußfolgerungen des Vorsitzes nichts zu sagen gäbe.

Ich möchte mit einem Dank an den Vorsitzenden und seine Stellvertreter des Ausschusses für europäische Angelegenheiten hier im Hause schließen, die mit ihren Funktionen wahrlich keine leichte Aufgabe übernommen haben und die wir bei ihrer Arbeit nach Bemühen unterstützen sollten. Gerade wenn man hier sozusagen gehen lernt – das tun ja alle diese Organe, wir tun das insgesamt in der EU –, dann ist es besonders notwendig, daß man sich gegenseitig stützt.

Ich denke, wenn wir diesen Weg der parteiübergreifenden Zusammenarbeit fortsetzen, werden wir auch im Bundesrat einen guten Beitrag zu einem guten Ergebnis der Regierungskonferenz leisten können. (Beifall bei ÖVP und SPÖ.)

13.00

Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Als nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Erhard Meier. Ich erteile es ihm.

13.00

Bundesrat Erhard Meier (SPÖ, Steiermark): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Frau Staatssekretärin! Sehr geehrte Damen und Herren des Bundesrates! Lassen Sie mich mit einer kurzen Replik auf die Ausführungen des Herrn Bundesrates Dr. Bösch beginnen.

Erstens glaube ich, daß bei seiner Kritik an den in Koalitionsverhandlungen stehenden Parteien Wehmut darüber herauszuhören war, daß er und seine Gruppe nicht an solchen Regierungs- und Parteienverhandlungen teilnehmen können.

Zweitens glaube ich, daß jemand, der gegen die EU ist, jetzt nicht dieser und uns die besten Ratschläge erteilen kann, wie sich die EU zu verhalten habe und wie unsere Zusammenarbeit erfolgen sollte. (Bundesrat DDr. Königshofer: Er hat dafür gestimmt!)


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Drittens: Wenn gesagt wurde, daß unsere internationale Reputation durch unsere Politik leidet, dann kann ich nur hinzufügen: Wenn man irgendwo in Europa Ihren Namen erwähnt, dann kennt man Sie entweder nicht, oder Sie werden sicherlich nicht als Synonym für positive österreichische Reputation angesehen, das möchte ich hier besonders herausstreichen. (Beifall bei der SPÖ und bei Bundesräten der ÖVP. – Bundesrat Dr. Prasch: Nur nicht polemisch werden! – Bundesrat Eisl: Herr Kollege Meier! Sie bringen einen echten Frust zum Ausdruck!)

In diesem Lichte ist auch der von Ihnen vorgetragene Entschließungsantrag zu sehen, dessen Inhalt ja ohnehin bereits realisiert wird. Sie wollen damit nur auf einen fahrenden Zug aufspringen. Meine Fraktion und ich sehen daher keinen Grund – dies haben bereits meine Vorredner betont –, diesem Entschließungsantrag zuzustimmen.

Zur Debatte stehen die Regierungskonferenz und die Haltung Österreichs dazu. Ich möchte vorausschicken, es handelt sich um eine Regierungskonferenz. Die Regierungsvertreter der 15 europäischen Staaten werden, wie es im Vertrag von Maastricht bereits festgelegt wurde, die Diskussion über noch offene Punkte in den Verhandlungen in Turin im März 1996 fortführen. Ich treffe diese Aussage auch als Parlamentarier. Wie Sie wissen, ist von den Institutionen her das Europäische Parlament nicht mit den nationalen Parlamenten vergleichbar. Auch unsere Bürger wissen das sehr oft nicht und meinen, sie könnten Wünsche, wie sie an Nationalräte oder Landtagsabgeordnete zuweilen herangetragen werden, auch an europäische Parlamentarier herantragen, und das werde nun direkt in Brüssel erledigt. Wir wissen, daß finanzielle Förderprogramme die Etappen Land, Bund, Brüssel und wieder zurück zu durchlaufen haben. Außerdem hat das Europäische Parlament derzeit noch kein Initiativrecht, kann also noch keine Gesetzesvorschläge einbringen. Damit bin ich eigentlich schon mitten in dieser institutionellen Debatte.

Das Europäische Parlament hat, um dem Bürger Informationen über diese Regierungskonferenz zu vermitteln, zwei große Hearings veranstaltet. Eines fand im Oktober 1995 statt, und es meldeten sich dort 300 Non Government Organisations, und zwar nicht parteipolitischer Prägung, um ihre Meinung zu den Fragen der Europäischen Union zur Regierungskonferenz vorzutragen, sodaß man sich verpflichtet fühlte, ein zweites solches Hearing durchzuführen, das diese Woche stattgefunden hat. Es ist interessant, welche Erwartungen die Vertreter der verschiedensten Organisationen in die Europäische Union setzen und was sie alles wünschen. Es sind dies Dinge, die durch keinerlei Verträge der EU abgedeckt sind.

Auf der anderen Seite gab es aber eine ganze Reihe von Punkten, die immer wiederkehren und die für alle wichtig sind. An vorderster Stelle dieser Punkte steht die Transparenz, die Forderung nach Information darüber, wie die EU-Richtlinien, also Gesetze, zustande kommen und welche Punkte von der EU getragen und voll verhandelt werden können.

Ich meine, daß sich die Europäische Union – dies haben heute auch schon Vorredner betont – mit grundsätzlichen Fragen beschäftigen sollte, etwa mit Fragen der Friedenserhaltung, mit Wirtschaftsförderung, sozialen Komponenten, Menschenrechten und dergleichen. So werden auch in dieser Regierungskonferenz – wir sollten die Erwartungen nicht zu hoch spannen, um letztendlich niemanden zu enttäuschen – kontroversielle Dinge zur Diskussion stehen.

Diskutiert wird sicher über die europäische Verfassung, auch wenn vielleicht dieser Begriff nicht expressis verbis genannt wird, denn die Verfassung sind eben die Verträge, weiters über die Annäherung der Gegenpole Staatenbund und Bundesstaat, über die Gegenpole Pfeilerstruktur und Vergemeinschaftung, also über das Zusammenfügen dieser Pfeiler. Weiters wird über das Thema Einstimmigkeit und qualifizierte Mehrheit im Rat, über die Belange zwischen den größeren Staaten und den kleineren Staaten und am Rande auch über die Amtssprachen der Europäischen Union diskutiert werden. Ein wichtiger Punkt scheint die Erweiterung der EU und deren Vertiefung zu sein. Denn sehr oft wird behauptet – und ich glaube, daß das auch richtig ist –, daß eine Erweiterung, die Erfolg bringen soll, nicht ohne vorherige Vertiefung stattfinden kann und umgekehrt.

Bei dieser Regierungskonferenz gibt es eine klare Liste von Verhandlungspunkten. Die Frau Staatssekretärin hat schon gesagt, die Wirtschafts- und Währungsunion, also der EURO, sind


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nicht Verhandlungspunkte der Regierungskonferenz. Die drei Etappen, zu denen man sich bekennt, das Grünbuch zur Währungsunion, werden sicher auch in Diskussion stehen, aber nicht der eigentliche Vertrag.

Es geht also ganz konkret darum, wer die Mitentscheidung trägt, um die Verteidigungspolitik, die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik, die Pfeilerstruktur und die Hierarchie der Gemeinschaftsgesetze. Dazu kommen dann noch institutionelle Fragen wie etwa die Zahl der Kommissare, die Stimmgewichtung, die Sperrminorität im Rat und die Reform der Institutionen zwecks Vorbereitung auf die Erweiterung. Das sind die Hauptthemen dieser Regierungskonferenz, und es liegen uns auch die Leitlinien der österreichischen Bundesregierung vor. Inzwischen tagte auch die Reflexionsgruppe.

Alle europäischen Institutionen, sowohl Rat, Kommission als auch das Parlament, werden Stellungnahmen vor Beginn der Regierungskonferenz abgeben. Das Parlament wird es in seiner Sitzung im März tun. Wir haben auch alle den Wunsch – das hat auch Herr Bundesrat Weiss gesagt –, daß wir auch während der Regierungskonferenz über die etappenweise erzielten Ergebnisse informiert werden. Das muß nun durch die Vertreter der Regierung selbst geschehen, wird aber auch dadurch möglich sein, daß aller Voraussicht nach – es ist noch nicht beschlossen – zwei Vertreter des Europäischen Parlaments als Beobachter an dieser Konferenz teilnehmen, allerdings nicht vollberechtigt wie bei der Reflexionsgruppe, das ist ein Unterschied. Während diese Regierungskonferenz tagt, werden auch einige wenige größere Konferenzen des Parlamentes mit den anderen Organisationen stattfinden, in denen Vertreter der Regierungskonferenz über die Entwicklung und den Fortgang informieren werden. (Präsident Payer übernimmt den Vorsitz.)

Meine Damen und Herren! Kollegin Crepaz und ich sind heute von Brüssel kommend mit dem Taxi vom Flughafen zum Parlament gefahren. Die erste Aussage des Taxichauffeurs, der wußte, daß wir aus Brüssel kamen und ins Parlament wollten, war eine sehr negative über die EU, wie wir sie sehr oft hören.

Die Meinung eines Taxifahrers wird oft als Parameter angesehen und läßt auf die Meinung breiter Bevölkerungskreise schließen. Dieser Taxifahrer war also kein Freund der EU. Als wir ihn dann fragten, ob er aufgrund des EU-Beitrittes Österreichs Nachteile habe, sagte er, daß er überhaupt keine Nachteile habe. Natürlich haben wir weitergebohrt und gefragt, wie er zu seiner ersten Aussage gekommen sei. Da meinte er – ich will das nur kurz hier vortragen –, die Lebensmittel seien überhaupt nicht billiger geworden.

Nun haben wir natürlich versucht, ihn zu informieren. Aber schließlich kam eine Aussage von ihm, die mir doch zu denken gab. Er sagte: Ihr Politiker müßt durchgreifen, ihr müßt die Preise bestimmen, ihr müßt Richtlinien machen. – Ich habe dann eingeworfen, daß das den Interessen der Bürger zuwiderlaufen würde, wenn man so handeln würde. – In diesem Zwiespalt bewegt sich offensichtlich die öffentliche Diskussion. Ich glaube, wir hätten noch länger im Taxi fahren müssen, um den Taxifahrer doch von diesem oder jenem zu überzeugen.

Was ich also damit sagen will: Regierungskonferenz, nationale Parlamente, Landtage müssen zur EU beitragen, informieren und auch die Bürger informieren. Wie oft haben wir schon Zeit für Einzelgespräche, wie oft kann man Information, die zweifellos auch eine Holschuld ist, wirklich geben?!

Wir sollten auch keine Versprechungen in diesem Zusammenhang machen, die nicht erfüllbar sind. Die Europäische Union ist eine neue Ebene. Denken wir daran, wie oft Gemeinden, aber auch Gemeinderäte nicht mit den Entscheidungen ihrer Landtage einverstanden sind. Auch die Föderalismusdiskussion zeigt ja, daß auch zwischen den Bundesländern und dem Bundesstaat Meinungsverschiedenheiten bestehen. Und nun kommt eine neue europäische Ebene dazu, die sicherlich auch all jene Reibungspunkte beinhalten wird, wie das auch auf anderen Ebenen der Fall ist.

Ich glaube, daß es eine eingehende Information über die Möglichkeiten und jene Dinge, die nicht möglich sind, geben wird müssen, um alle Österreicherinnen und Österreicher in kritischer


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Weise mit dem Problem der Europäischen Union zu konfrontieren. Die Regierungskonferenz bietet dafür den entsprechenden Anlaß. Aber es wird auch diese Regierungskonferenz nur eine Etappe auf dem weiteren Entwicklungsweg sein, und die Regierungskonferenz wird auch noch vieles offenlassen. Wir haben heute ja schon gehört, wenn die Neubeitritte kommen, wird es 30 Kommissare, 900 Parlamentarier, 25 Amtssprachen und so weiter geben. Auch das wird neben anderen wichtigen Dingen gelöst werden müssen, wobei ich meine, um abschließend noch ein Thema zu behandeln, daß Wirtschaft und Beschäftigungspolitik, soziale Anliegen, aber auch kulturelle Anliegen im weitesten Sinne gemeinsam gesehen werden müssen. Es gibt keine Wirtschaft ohne soziale Basis, ohne gute Beschäftigungspolitik, aber auch Soziales und Beschäftigung müssen aus der Wirtschaft heraus kommen. Sehen wir doch beides im gesamten!

Präsident Santer hat gestern bei einem Bericht der Kommission an das Parlament gesagt, derzeit habe die Beschäftigungspolitik erste Priorität neben den anderen.

Mit dem Wunsch, das Gesamte im Auge zu haben, möchte ich schließen und dieser Regierungskonferenz und der gesamten Entwicklung der Europäischen Integration im Sinne der europäischen Bürger recht viel Erfolg wünschen. – Danke. (Beifall bei SPÖ und ÖVP.)

13.14

Präsident Johann Payer: Zu Wort gemeldet hat sich Herr Bundesrat Dr. Herbert Schambeck. Ich erteile ihm dieses.

13.14

Bundesrat Dr. Drs h. c. Herbert Schambeck (ÖVP, Niederösterreich): Herr Präsident! Frau Staatssekretärin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Hoher Bundesrat! In Zeiten wie diesen gibt es selten einen Tagesordnungspunkt, bei dem wir so fraktions- und auch bundesländerübergreifend die politische Verantwortung haben wie gerade im Zusammenhang mit der Europäischen Integration.

Die heutige Aussprache ist für uns von mehrdimensionaler Bedeutung. Der Anlaßfall ist die Vorbereitung der Regierungskonferenz in Turin, also Maastricht II. Darüber hinaus aber, so glaube ich, sagen zu können, handelt es sich um die Verantwortung der Neuordnung Europas und mit Europa der internationalen Friedensordnung, denn niemand, der transkontinental zu denken und zu sehen versteht, würde leugnen, daß Europa auch 1996 für die ganze Welt Vorbildfunktion hat.

Ich habe selbst Gelegenheit gehabt, vergangenes Jahr im Mai an der Hochschule für internationale Beziehungen in Peking über Österreich und über die Neuordnung Europas zu sprechen. Ein Beitrag darüber ist vor wenigen Tagen in einer chinesischen Zeitschrift – ich kann allerdings nicht die Güte der Übersetzung überprüfen – erschienen. Die Fragen, die mir dort gut vorbereitete Studentinnen und Studenten gestellt haben, habe ich auch heute in der Debatte des Bundesrates wieder gehört. Ganz konkret hat man mir zum Beispiel an diesem Nachmittag damals in Peking vorgehalten, daß nur 30 Prozent der Österreicher positiv zur EU stünden, und mich gefragt, was ich dazu sage, und vieles andere mehr.

All das, meine sehr Verehrten, zeigt, daß auch Europa Gegenstand der öffentlichen Meinungs- und Willensbildung in der Welt ist.

Herr Kollege Meier! Ich kann nicht Auto fahren – das ist mein Beitrag zur Verkehrssicherheit – und fahre daher auch sehr viel mit Taxis. Gestern nacht habe ich meinen Wintermantel in einer Botschaft vergessen und benötigte ein Taxi, um nach Hause zu fahren. Da habe ich auch bemerkt, welche Einstellung man einem gegenüber hat, wenn man vom Parlament abgeholt wird. Wenn man inkognito in einem öffentlichen Verkehrsmittel sitzt, kann man sich beiläufig auch die Themen aussuchen, und ich gebe zu, daß es unterschiedliche Meinungen bezüglich des Neuen, das uns erwartet, gibt.

Wir dürfen allerdings im Jahr der Millenniumsfeier Österreichs nicht vergessen, daß dieses Österreich im Laufe seiner Geschichte – und das verdichtet sich in diesem Hause besonders – ein Europa im Kleinen gewesen ist. Im Reichsrat waren acht Nationalitäten vertreten! Der Staat


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hieß damals "die im Reichsrate vertretenen Königreiche und Länder". Wir können daher von Österreich und seiner Geschichte sehr viel mit einbringen in die Regierungskonferenz von Turin und in die Ausführung von Maastricht I, was eigentlich bisher immer zu wenig betont wurde.

Meine Damen und Herren! Die Grundrechte, die wir in der europäischen Verfassung erwarten, wurden hier bereits 1867 in der Dezemberverfassung beschlossen. Ich wünsche der heutigen Staatenpluralität, daß sie das Nationalitätenrecht und den Minderheitenschutz haben möge, den es schon damals gegeben hat und den wir – ich darf einem qualifizierten Minderheitenvertreter, Herrn Bundesrat Dr. Milan Linzer, gegenüberstehen – im Staatsvertrag von Saint Germain 1919 und im Staatsvertrag von Wien/Belvedere 1955 zu erreichen versucht haben. Ich möchte heute nicht an einer Europadebatte im Hohen Haus teilnehmen, ohne einen großen Kämpfer für das Nationalitätenrecht und den Minderheitenschutz zu nennen, der auf dem Weg dazu sein Leben gelassen hat, nämlich Herrn Professor Dr. Felix Ermacora.

Meine sehr Verehrten! Auf dem Gebiet des Minderheitenschutzes besitzt Österreich personell und von der Sache her ein hohes Maß an Glaubwürdigkeit. Ich möchte auch nicht unerwähnt lassen, daß es eine Vielzahl von Rechtslehrern in Österreich gegeben hat, die schon vorbereitend zu diesem Rechtsdenken, zu dieser Einheit des rechtlichen Weltbildes das Ihre beigetragen haben. Ich möchte die Namen Alfred Verdross und Stefan Verosta nennen, meine sehr Verehrten, die auch Mitglied der Law-Commission der Vereinten Nationen gewesen sind und die bis heute – hier möchte ich auch den Kollegen Franz Matscher nennen – auf europäischer Ebene Bedeutendes auf dem Weg zur europäischen Verfassung beitragen, wenngleich ich Ihnen als Staatsrechtslehrer sagen möchte, der Weg wird noch ein sehr weiter sein. Ich darf Ihnen ehrlich sagen, wir in Österreich sind jetzt, vier Jahre vor dem Jahr 2000, noch nicht imstande, trotz aller Bemühungen, für die der Herr Bundeskanzler Dr. Klaus schon eine Grundrechtekommission eingesetzt hat, jetzt die Grundrechte neu zu kodifizieren, sodaß praktisch heute noch die Grundlage der Rechtsprechung, und zwar einer höchst beachtenswerten Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes, das darstellt, was die damaligen Liberalen einem seinerzeit absolutistisch denkenden Monarchen abgetrotzt haben, als unsere politischen Parteien noch auf dem Weg zur parlamentarisch-demokratischen Staatswillensbildung waren, denn 1867 hat es noch kein Parlament im heutigen Sinn gegeben!

So sind die Damen, Frau Staatssekretärin, ja erst als "Morgengabe der Republik" nach Ausrufung der Republik in der Wahlordnung zur Wahl der konstituierenden Nationalversammlung aktiv und passiv wahlberechtigt geworden.

Die erste Frau, die Bundesminister wurde – wir wollen sie nie vergessen –, war die Frau Bundesminister Grete Rehor in einem Kabinett Dr. Josef Klaus. Die Sozialisten sind uns darin dann später, im Jahre 1970, mit Frau Dr. Hertha Firnberg gefolgt.

Hier möchte ich Ihnen sagen, meine Damen und Herren, sind wir mit ein Teil einer europäischen Entwicklung, und diese europäische Entwicklung ist gerade für Österreich von Wichtigkeit, weil wir, geopolitisch im Herzen Europas gelegen, gegenüber Mittel- und Osteuropa eine enorme Schaufensterfunktion zu erfüllen haben.

Ich bedauere es außerordentlich, daß es 1995, obwohl die Österreichische Volkspartei das unentwegt – wie eine tibetanischen Gebetsmühle – wiederholt hat, nicht zu einer Neukodifikation des Bundes-Verfassungsgesetzes kommen konnte, sodaß aufgrund dieser Streulage, die sich in unserem Verfassungsrecht findet – Kollege Klecatsky spricht nicht zu Unrecht in einem von mir 1980 herausgegebenen Buch über "Das Bundes-Verfassungsgesetz und seine Entwicklung" von der "Ruinenhaftigkeit" des österreichischen Verfassungsrechtes –, auch kaum ein Verfassungsbewußtsein zustande kommt.

Daher spielen sich auch die politischen Parteien, auch die, die wir hier zu vertreten haben, indem sie auch Verfassungsbestimmungen in einfache Gesetze aufnehmen, sie auf Zeit in Geltung setzen und manches der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs entziehen, weil sie es gleich in den Verfassungsrang erheben, damit es unkontrollierbar bleibt. Die Wähler honorieren ihnen das nicht und die Juristen noch weniger.


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Meine sehr Verehrten! Hier befinden wir uns meiner Meinung nach in einer Entwicklungsphase der Rechtsstaatlichkeit in Österreich und in Europa, die uns zu denken geben soll, sind wir doch, vor allem als Niederösterreicher, einige Wochen und Monate vor der Millenniumsfeier Österreichs, und wir sollten uns überlegen, was wir in Europa, was wir in Österreich und mit Europa und Österreich in der Welt eingebracht haben.

Vergessen wir auch nicht, daß der Vater des Entwurfes zum Bundes-Verfassungsgesetz 1920, Hans Kelsen, auch der Schöpfer eines bedeutenden Kommentars zur Charta der Vereinten Nationen gewesen ist. Als ich das erstemal in New Delhi war, 1979, hat mir der damalige indische Senatspräsident gesagt, Österreich ist mir geläufig von Kelsen, weil er bei der UNO war und dort den Kommentar zur Charta der Vereinten Nationen gelesen hatte. – Die Frau Staatssekretärin hat Bedeutendes bei der UNO geleistet und wird das, glaube ich, auch bestätigen können.

Meine sehr Verehrten! Daher ist der Beitrag zur Europäischen Integration, den wir in Turin leisten sollen und jetzt in der EU als Mitglied seit 1. Jänner 1995 schon zu erbringen suchen, nicht ein Beitrag, den man im nachhinein leistet als jemand, der auf einen schon fahrenden Zug aufgesprungen ist, sondern als jemand, der mitgestalten möchte. Ich habe die Ehre, mit meinen Kollegen aus der Österreichischen Volkspartei hier eine Partei repräsentieren zu können, die sich schon immer für die Europäische Integration ausgesprochen hat, die anderen haben sich hier dazugesellt. Denn es gibt ja auch Damen und Herren Bundesräte, die diesem Haus auf Seite der jetzigen Sozialdemokratischen Partei angehören, die, als sie der Sozialistischen Partei angehörten, dieses Bemühen um die Europäische Integration noch nicht an den Tag gelegt haben.

Sie haben einen kontradiktorischen anderen Gegensatz zum Tragen gebracht. Allerdings ist, wie Konrad Adenauer sagte, niemand daran gehindert, sich auch weiterzubilden und sich zu verbessern. Ich gratuliere Ihnen, daß Sie sich Konrad Adenauer angeschlossen haben. Nur: Wir von der ÖVP wollen nicht vergessen, daß wir Europapartei waren, sind und bleiben, meine Damen und Herren! (Beifall bei der ÖVP.)

Hohes Haus! Wir sind aber auch gerne bereit, die freiheitliche Partei, Kollegen Dr. Kapral, an diesem Werdensprozeß zu beteiligen. Ihr Vorsitzender – Sie merken, ich spreche nicht vom "Führer", weil ich andere Leute verbal nicht reizen möchte – und einige andere Leute sind durch die Länder gezogen und haben gegen die Europäische Integration gesprochen – mit nuancierter Lust, je nachdem, wo man sich aufgehalten hat und was man erwartet hat, während man jetzt, so nach dem Motto "Haltet den Dieb!", das monieren will, was die anderen schon getan haben oder wollten und man selbst zu verhindern suchte.

Hier, glaube ich, sollte man zur Glaubwürdigkeit zurückkehren, und man sollte auch diese gesamte Entwicklung vor Augen haben. Die Damen und Herren Vorredner haben das ja bereits angeschnitten; lassen Sie mich darauf näher eingehen.

Die Europäische Union, meine sehr Verehrten, geht zurück auf eine wirtschaftspolitische Zweckgemeinschaft, die sich ursprünglich auf Kohle und Stahl bezogen hat. Das ist eine Entwicklung, die in Maastricht eine Ausformung in einer Politischen Union gefunden hat, die einen wirtschaftspolitischen Binnenmarkt eingeschlossen hat und eine Sozial-, Sicherheits- und Verteidigungsgemeinschaft geworden ist, nämlich die EU.

Es muß sich aber auch jeder fragen, meine Damen und Herren, was er mehr leisten kann zur Sicherheitsgemeinschaft oder zur Verteidigungsgemeinschaft. Als Jurist, der weiß, daß die österreichische Neutralität in einem Bundesverfassungsgesetz verankert ist – wobei man über Gesetze mehr oder weniger sprechen kann, aber solange ein Gesetz gilt, gilt’s –, weiß ich auch, wir werden gegenwärtig sicherlich mehr zur Sicherheitsgemeinschaft als zur Verteidigungsgemeinschaft beitragen können. Ich freue mich hier aber sehr über die Bundesregierung, und mein Respekt gilt hier auch der Landesverteidigung – ich habe jahrelang in der Landesverteidigungsakademie das Meine zur Ausbildung der Generalstabsoffiziere beigetragen –, daß wir jetzt beim Jugoslawien-Einsatz – unter Anführungszeichen – "auch unseren Anteil dazu leisten". Ich


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stimme mit der Frau Staatssekretärin auch in dem Punkt völlig überein, daß man nicht von den anderen Hilfe erwarten kann, wenn man selbst keine Hilfe leistet.

Die Äußerung der Frau Staatssekretärin steht 100prozentig im Einklang damit, was, von Leopold Figl angefangen bis herauf, immer auch die zuständigen Außenminister und Bundeskanzler erklärt haben: daß wir die Neutralität niemals als Neutralismus und niemals als Non-alignment aufgefaßt haben, sondern vielmehr immer als Gegenstand einer aktiven Außenpolitik und damit auch einer aktiven Neutralitätspolitik. Ich möchte mich jetzt nicht bei den Sozialisten respektive Sozialdemokraten mit einem Kreisky-Zitat revanchieren, weil dazu kein Anlaß ist, nachdem Sie ja niemanden von uns zitieren, aber wir kriegen trotzdem keine Minderwertigkeitskomplexe. Dr. Kreisky hat sich aber zu dieser aktiven Neutralitäts- und Außenpolitik immer bekannt, außer nach dem Tode Titos. Ich war übrigens die darauffolgende Woche 1980 in Bonn und habe ihm dort diesbezüglich gleich widersprochen. Da hat er so eine Anwandlung gehabt, die Führerrolle bei den Blockfreien zu übernehmen, aber nach 14 Tagen hat er das ad acta gelegt. In meinem Vortrag anläßlich unseres Staatsvertragsjubiläums im Bonner Außenamt im Jahre 1980 – alles nachlesbar – habe ich ihm damals gleich widersprochen.

Meine sehr Verehrten! Wir waren immer für eine aktive Außenpolitik, und ich bin der Frau Staatssekretärin sehr dankbar dafür, daß sie das heute auch zum Ausdruck gebracht hat. Denn, meine Damen und Herren, die EU-Verantwortung ist eine primäre Verantwortung des Bundesministeriums für auswärtige Angelegenheiten! (Beifall bei der ÖVP.) Die heutige Präsenz der Frau Staatssekretärin im Außenministerium ist ein Beweis dafür.

Es ist heute auch Herr Staatssekretär Mag. Schlögl da, der auch ein Altbundesrat ist und viele Reden hier gehalten hat, zu denen ich Ihnen sagen möchte – auch Ihnen, Herr Bundesminister des Inneren, sie sind nicht alle nachlesbar, erstens einmal weil sie nicht existiert haben, zweitens einmal, weil sie sich widersprechen, und drittens, weil die Realität sich anders entwickelt, als Sie gesagt haben –, daß man Herrn Staatssekretär Schlögl nachlesen kann, und man sollte die Kontinuität dabei beachten.

Es ist von größter Wichtigkeit, meine Damen und Herren, daß wir diese Außenpolitik in einer koordinierten Form unterstützen und daß auch niemand im Inland oder im Ausland eine Erklärung abgibt, die diese einheitliche Außenpolitik für Österreich und die Bemühungen der österreichischen Bundesregierung in irgendeiner Weise gefährden würde.

Meine sehr Verehrten! Der Weg nach Turin ist nicht ein Weg zu einer Etappe, die abschließbar ist, sondern das ist eine offene Entwicklung. Der Vorsitzende des EU-Ausschusses, Ing. Penz, hat ja schon darauf hingewiesen, welche Verantwortung wir gegenüber dieser Regierungskonferenz von Turin haben, weil sie ein Teil einer Entwicklung ist.

Ich darf Ihnen mitteilen – weil wir im Rahmen dieser aktiven Außenpolitik das auch immer wieder betont haben –, daß wir uns freuen, daß diese Europäische Integration auch begleitet ist von einer Befriedungsaktion von Jahrzehnten. Denn auf dem Weg der Europäischen Integration ist der jahrhundertealte Gegensatz von Frankreich und Deutschland weggefallen, können wir feststellen, daß unter dem Dach des integrierten Europas die Wiedervereinigung Deutschlands möglich wurde; sie wäre niemals so schnell erfolgt, wenn nicht diese EG bestanden hätte. Und wir können auch feststellen, daß die Teilung Europas in freie und unfreie Staaten weggefallen ist.

Nur eines möchte ich hinzufügen, und ich glaube, da sind wir alle einer Meinung, und ich freue mich, daß ich nach dem Alt- und Jung-Bundesrat Drochter das auch sagen und unterstreichen kann, was die Frau Staatssekretärin schon gesagt hat: daß wir nämlich auch nicht wollen, daß nach der Teilung in freie und unfreie Staaten in Europa eine Teilung in reiche und arme Staaten in Europa eintritt, meine sehr verehrten Damen und Herren! Daher ist auch für uns die Entwicklung von Maastricht nach Turin eine Frage auch der Solidargemeinschaft der europäischen Staaten. Ich bin sehr dankbar, daß die Frau Staatssekretärin in ihren Ausführungen schon im EU-Ausschuß und auch heute hier darauf hingewiesen hat, und auch der Herr Staatssekretär Mag. Schlögl hat das unterstrichen.


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Wir befinden uns hier in einer enormen Entwicklung, zu der die EU beigetragen hat. Und glauben Sie mir: Wenn die EG nicht so erfolgreich gewesen wäre, wäre nicht nur die Teilung Europas weggefallen, sondern auch COMECON hätte nicht zu bestehen aufgehört, ebenso der Warschauer Pakt. Jetzt, da es die NATO gibt, die Partnerschaft für den Frieden – danke dem Vizekanzler für diese Unterzeichnung; das wollen wir nicht unerwähnt lassen, obwohl Dank nicht eine Kategorie des politischen Lebens ist –, möchte ich auch den Namen des Dr. Alois Mock in den Raum stellen. Jetzt, wo die Polarität weggefallen ist und die EU in dieser Stärke dasteht, auch die NATO, auch die WEU, auch die Partnerschaft für den Frieden, müssen wir uns bei einer EU-Debatte auch vor Augen führen, welche Verantwortung die EU hat und welche der Staaten mit der EU. Wir wollen dabei nicht übersehen, daß die EU noch nicht das gesamte Europa ist und daß wir daher hier sehr vieles einzubringen haben, was die Effizienz dieser Europäischen Union auch ausmachen soll.

Meine sehr Verehrten! Gerade diese Entwicklung, die ich skizziert habe, von freien und unfreien Staaten früher – und heute soll es nicht eine sein von reichen und armen Staaten –, zeigt unsere große sozial- und wirtschaftspolitische Verantwortung. Das, was wir zu Jubiläen mannigfacher Art begehen dürfen, war doch nur möglich, weil wir uns anstelle der Konfrontation in der Zwischenkriegszeit, sei es Wien oder die übrigen Bundesländer, sei es von Arbeitgeber- oder Arbeitnehmerseite, zur Koordination und somit auch zum partnerschaftlichen Prinzip bekannt haben. Die Verbindungsstelle der Bundesländer, die Landeshauptmännerkonferenz und die Wirtschafts- und Sozialpartnerschaft haben wir als Errungenschaft miteingebracht. Ich glaube, wir sollten uns bei einer weiteren Entwicklung der Europäischen Union auch bemühen, daß das Prinzip der Partnerschaft, wo immer es geht, der Sozialpartnerschaft, der Arbeitgeber- und der Arbeitnehmervertreter, hier Platz greift.

Glauben Sie mir, das ist für mich keine Gelegenheitsäußerung. Als ich in meinem Leben meinen ersten Lehrstuhl übernehmen durfte – das war 1966 an der Universität Innsbruck –, habe ich als Thema meiner Antrittsvorlesung gewählt: "Bild und Recht des Menschen in der Europäischen Sozialcharta"; das ist dann ein Jahr später in Berlin als eigenes Buch erschienen bei Dunker & Humblot. Warum sage ich das heute? – Weil in Turin einstens die Europäische Sozialcharta zustande gekommen ist, und ich wünsche, daß dieser Geist von Turin, der den Geist der Römischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten ergänzt, auch jetzt bei der Europäischen Regierungskonferenz als soziale Verantwortung miteinfließen kann.

Meine Damen und Herren! Wir sollten uns daher bemühen, bei einer künftigen europäischen Verfassung – Herr Notar Dr. Linzer hat schon treffend darauf hingewiesen – unsere Erfahrung mit der sozialen Partnerschaft, mit der sozialen Marktwirtschaft und mit dem sozialen Rechtsstaat miteinfließen zu lassen. Wobei ich als juristische Fußnote bezüglich der Entwicklung der Grundrechte in Europa noch hinzusetzen möchte: Es gibt verschiedene Formen von Grundrechten und verschiedene Aufgaben für die Grundrechte, die liberalen Grundrechte, die demokratischen Grundrechte, die sozialen Grundrechte und die existentiellen Grundrechte, nämlich den Umweltschutz.

Meine Damen und Herren! Denn welchen Sinn hätte es, wenn wir für mehr Freiheit und für mehr demokratische Mitbestimmung sind, diese Freiheit aber nicht als gesunde Menschen nutzen können? – Der Umweltschutz ist ein existentielles Grundrecht. Man kommt mit der Länderkompetenz alleine nicht aus – denken Sie nur an die Gefahr durch Atomstrahlung –, sie hört nicht an der Grenze eines Staates auf zu existieren. Daher ist es auch notwendig, hier kooperativ zusammenzuarbeiten.

Meine sehr Verehrten! Wir müssen auch wissen aus unserer Sozialverantwortung heraus, daß man nur das verteilen kann, was man vorher erwirtschaftet hat. Ich habe den Vorzug, bereits seit 20 Jahren zu Regierungserklärungen zu sprechen. Ich habe daher zu den Regierungserklärungen Kreisky, Sinowatz, Vranitzky gesprochen. Das letzte Mal habe ich gesagt: Herr Bundeskanzler, ich glaube, das ist jetzt meine letzte Rede zu einer Regierungserklärung. Aber das ist nicht Fall, mit Gottes Hilfe rede ich das nächste Mal wieder dazu. Ich


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freue mich schon darauf, meine sehr verehrten Damen und Herren! (Heiterkeit.) Meine heutigen Ausführungen sind ein Impromptu dazu oder Prolegomena, je nachdem, wie Sie das wollen.

Meine Damen und Herren! Wir sollen aus unserer Geschichte lernen. Ich sage Ihnen – auch im Hinblick auf die treffenden Ausführungen des Kollegen Drochter; ich freue mich, daß Sie wieder unter uns sind, weil Sie ein prominenter Vertreter des Österreichischen Gewerkschaftsbundes sind; Herr Kollege Drochter, auch als Sie nicht da waren, habe ich oft an Sie gedacht, wie Sie hier früher auf diesem Platz gesessen sind –, ich sage es Ihnen auch heute: Wir sollten uns bemühen, daß wir eine Arbeitsplatzsicherung zustande bringen, ohne die Staatsschulden zu vermehren. Denn ich sage Ihnen auch, das, was uns mit dem Belastungspaket jetzt auferlegt worden ist, ist durch eine falsche Wirtschaftspolitik zustande gekommen – zu einer Zeit, als meine Partei in der Opposition gewesen ist. (Beifall bei der ÖVP.)

Daher, meine sehr Verehrten, meine ich, wir sollten unsere österreichische Erfahrung einfließen lassen, damit uns eine schlechte, derartige Entwicklung in Europa erspart bleibt. (Bundesrat Dr. Kapral: Diese Zeit hat aber 1986 geendet!) Jawohl! Aber Sie waren konkerbant dabei mit der freiheitlichen Partei, denn Sie waren nämlich, was Sie vergessen, Koalitionspartner bis 1986, wogegen wir aufgetreten sind. (Beifall bei der ÖVP. – Zwischenrufe bei den Freiheitlichen.)

Es ist aber erfreulich, aus diesen Zwischenrufen und Reaktionen erstens festzustellen, daß trotz der fortgeschrittenen Zeit niemand ermüdet ist – das spricht für unsere Jugendlichkeit, ohne daß man deshalb als spätpubertär gelten müßte –, und zweitens: Es ist erfreulich, weil ich sehe, welche Anerkennung unsere Verantwortung für wirtschaftliches Wachstum, soziale Sicherheit und kulturellen Fortschritt findet.

Den Ausführungen des Herrn Bürgermeisters Meier habe ich entnommen – und ich freue mich sehr, daß Sie uns auch im europäischen Raum vertreten –, daß die ideologischen und weltanschaulichen Gegensätzlichkeiten und Unterschiedlichkeiten in der Europapolitik immer mehr und mehr zurücktreten und immer mehr ein sachintegratives Denken in den Vordergrund tritt. Das habe ich auch gestern bemerkt, als sich Herr Bundesrat Konečny im EU-Ausschuß zu Wort gemeldet hat, in den ganzen Diskussionen um das Zustandekommen dieser Resolution, für deren Initiative ich auch den Herrn Vorsitzenden des EU-Ausschusses, Bundesrat Ing. Penz, danken möchte.

Das, was sich nach 1945 auf Länderebene gezeigt hat, daß die Objektivität und die Sachlichkeit, die Natur der Sache stärker wirkt als das parteipolitisch Ideologische, das können wir jetzt in der Europapolitik in einem zunehmenden Maße feststellen, und das soll man auch positiv zeichnen.

Herr Bundesrat Meier hat beim Herfahren mit einem Taxifahrer über die EU gesprochen. Es ist ja schön, daß sich einer darüber Gedanken macht, denn es gibt ja in Österreich viele, die die Travnicek-Mentalität haben, weniger die Taxifahrer, aber andere. Er hat sich also Gedanken gemacht, was man alles politisch tun kann, aber auch, was man politisch nicht tun kann. Es gibt sehr viele, die in der Vorbereitung der EU-Volksabstimmung gesagt haben, mit dem Ja zur Europäischen Integration werden nicht die Eigenstaatlichkeit Österreichs, die Regional- und die Länderverantwortung ausgelöscht – im Gegenteil, wir haben eine vermehrte Verantwortung, weil zu der des Ortes, des Landes und des Bundes noch die Verantwortung für Europa tritt.

Es war das Bundesverfassungsgericht der Bundesrepublik Deutschland in Karlsruhe, das den treffenden Ausdruck für diese EU gebraucht hat: Staatenverbund. Dieser Ausdruck wurde, nebenbei bemerkt, das erste Mal von meinem lieben Freund und Kollegen, dem Heidelberger Ordinarius Kirchhof in einer Abhandlung verwendet. Ich habe mich damit in meinem Beitrag zur letzten Mock-Festschrift näher auseinandergesetzt und werde das demnächst auch in der Österreichischen Juristenzeitung wieder tun.

Meine Damen und Herren! Ich möchte Ihnen sagen, die Europäische Union kann nur dann als Staatenverbund weiterbestehen, wenn die einzelnen Mitgliedsstaaten imstande sind, eigenstaatlich das Ihre zu dieser weiteren Entwicklung der europäischen Rechtsordnung beizutragen.


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Nur möchte ich erneut – ich habe das schon mehrmals getan – heute davor warnen, das Bild des demokratischen Rechtsstaats, das Bild des demokratischen Verfassungsstaates – ich nenne etwa das Werk von Carl Joachim Friedrich über den demokratischen Verfassungsstaat oder das, was Hans Kelsen schon 1927 geschrieben hat, in zweiter Auflage im Jahr 1928 auch schon ins Japanische übersetzt, "Vom Wesen und Wert der Demokratie" – auf die Rechtsordnung der Europäischen Union zu übertragen.

Meine Damen und Herren! Wir würden frustriert nach Hause gehen, mißverstanden werden! Wenn die Europäischen Gemeinschaften so organisiert gewesen wären wie die Staaten, dann wären wir bei der Integration noch lange nicht so weit. Das ist eben der Preis dafür. Schauen Sie, es ist genauso, wenn jemand heiratet: Er ist zweifellos vorher verliebt, und er gibt wegen einer Person alle anderen Personen auf, weil er ein besonderes Treueverhältnis eingeht – nicht alle halten das durch, wie ein Drittel der geschiedenen Ehen zeigt. Aber ich darf Ihnen ehrlich sagen: Wer den Weg der Europäischen Integration beschreitet, der muß gleichzeitig wissen, daß er für den Erfolg dieser Europäischen Integration etwas zu bezahlen hat. Es gibt nichts umsonst. Der Preis für das Leben ist der Tod, und wer etwas sehen will, der muß fliegen, auch wenn es nicht angenehm ist – ich nehme immer ein Schlafpulver, da endet mein Heldentum, soweit ich ein solches mein eigen nennen darf. Aber ich möchte Ihnen ehrlich sagen: Wir müssen genau wissen, was im Zuge der Europäischen Integration auf uns zukommt, in bezug auf die Exekutivlastigkeit und in bezug auf das sogenannte Demokratiedefizit.

Glauben Sie mir, meine Damen und Herren, da hat sich wenig geändert, denn die Herren beziehungsweise jetzt auch Dame – wir sind stolz darauf –, Altbundesrätin Kollegin Klasnic, die uns jetzt als Landeshauptfrau in Brüssel, oder wo immer der Regionalausschuß tagt, vertritt, das sind Exekutivspitzenorgane. Da besteht wenig Unterschied zwischen einem Bundesminister oder einem Landeshauptmann. Das sind oberste Vollzugsorgane, Exekutivorgane. Und daneben befinden sich auch Vertreter des Gemeinde- und Städtebundes, das sind aber ebenfalls Repräsentationsfiguren der Exekutive. Daß wir uns da keiner falschen Illusion hingeben: Auch dort, im vielzitierten sogenannten Regionalausschuß, sitzen nicht die Landtagspräsidenten, sondern die Exekutivvertreter.

Wir haben allerdings – und in diesem Zusammenhang möchte ich Kollegen Walter Strutzenberger nennen, den ich noch öfters zitieren werde, nicht heute, aber die Gelegenheit ergibt sich, und ich möchte Bundesrat Jürgen Weiss danken, der damals Föderalismusminister war – schon ein Gremium gehabt. Die drei Bundesratspräsidenten sind mit den Landtagspräsidenten und den Landeshauptleuten in einer Integrationskonferenz der Länder beisammengesessen, wobei nur die Landeshauptleute ein Stimmrecht gehabt haben, aber wir sind mit ihnen gemeinsam gewesen.

Ich möchte Ihnen sagen, daß die Entwicklung der EU natürlich eine Auseinandersetzung mit der Exekutivlastigkeit und mit dem Demokratiedefizit mit sich bringt, aber glauben Sie mir: Wenngleich die EU demokratiefern ist, so ist sie nicht demokratiefeindlich, denn die Leute, die dort als Exekutivvertreter auftreten, benötigen die demokratische Legitimation durch ihren allgemeinen Vertretungskörper.

Meine sehr Verehrten! Wir müssen wissen, daß mit Integration auch Zentralismus dabei verbunden ist, und wir haben uns damit auseinanderzusetzen.

Meine sehr Verehrten! Ich habe das heute so schön gehört: Wir sind für die Erweiterung der Mitgliedszahl der Europäischen Union. Das klingt dramatisch. Ich bin zwar versehen mit einer burgenländischen Großmutter, aber ich vertrete nicht das Bundesland Burgenland, sondern Niederösterreich, das ist auch an der Grenze gelegen, aber die Burgenländer erfahren dies vielleicht noch mehr, und sie haben Großes dabei geleistet in der Geschichte, Herr von Weizsäcker weiß das immer dankbar aus deutscher Sicht zu betonen. Es ist eine große Sache von Österreich aus, zu sagen, wir sind für die Aufnahme der Staaten in Mittel- und Osteuropa, damit wir nicht EU-Außengrenze sind.


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Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bitte Sie nur zu bedenken, daß zur Mitgliedschaft bei der EU für einen Staat auch eine bestimmte innere, wirtschaftliche, soziale und politische Reife gehört, daß man den Staaten von Mittel- und Osteuropa helfen muß, diesen Entwicklungsstand zu finden, um dann entsprechend vollberechtigte und vollverpflichtete EU-Mitglieder sein zu können, daß mit der Vermehrung der Zahl der Mitgliedstaaten der EU, wenn jedes EU-Mitglied auch einen Sitz in der Kommission haben soll, die Zahl der Kommissionsmitglieder zunimmt und man sich dann fragen muß, wieweit diese Europäische Union noch regierbar ist.

Die Frau Staatssekretärin hat schon treffend darauf hingewiesen: Es gibt auch die Frage der Mehrstimmigkeit, aber wo kommt es auf die Einstimmigkeit an? – Frau Bundesrätin Ilse Giesinger – nicht daß Sie glauben, ich möchte jetzt jeden zitieren, der im Raum ist, da könnten wir noch morgen hier sitzen, es kommt immer nur darauf an, wer dazu sachkompetent ist –, die Jeanne d’Arc des Föderalismus, als die ich Frau Bundesrätin Ilse Giesinger immer empfinde, hat bei einer Besprechung für heute treffend darauf hingewiesen – man sollte nirgends unvorbereitet hingehen, auch nicht seelisch unvorbereitet, weder zu einem Rendezvous noch zu einer solchen Verabredung –, daß wir allen Männern und Frauen versprochen haben: Wer Österreich erlaubt, Mitglied der EG zu sein, der soll wissen, daß er nicht einer Staatengemeinschaft angehört, in der man überstimmt wird, das heißt, in der die anderen über unser Schicksal verfügen. Ich möchte daher all jene daran erinnern, die für die Mehrstimmigkeit in der EU-Kommission sind, daß es dann passieren kann, daß man überstimmt wird. Also diese Abgrenzung, was mehrstimmig ist, was einstimmig ist, sollte man sich genau überlegen.

Meine sehr Verehrten! Kollege Azizi hat kürzlich auch ein Interview gegeben. Es ist so schön, daß sich jetzt alle dazu äußern, was für ein Verhältnis aus ihrer EU-Funktion heraus sie zu ihrer Heimat haben, das bestätigt natürlich auch die Theorie des Karl Marx, daß die wirtschaftlichen Bedingungen beziehungsweise die Funktionen das Bewußtsein der Menschen prägen. Man muß natürlich auch sagen: Wer jemanden zur EU entsendet, muß sich dessen bewußt sein, daß dieser, wenn er eine EU-Funktion erfüllt, zwar nicht vergessen soll, wo er herkommt, aber dort die Interessen der Europäischen Union zu vertreten hat, ob in der Rechtssetzung, der Exekutive oder auf dem Gebiete der Gerichtsbarkeit. Es soll ja keine Schizophrenie entstehen, aber man sollte sich das ganz klar vor Augen halten, sonst erlebt man Überraschungen, so wie Thomas Beckett zum König von England gesagt hat: "Mach mich nicht zum Erzbischof von Canterbury, denn ich kann nicht mehr dein Freund sein." – Sie wissen, wie das geendet hat.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich meine, man sollte sich auch über das Rollenverständnis im klaren sein. Ich möchte Ihnen allerdings auch hier in der Länderkammer sagen: Übersehen wir eines nicht: In der Staatengemeinschaft der Europäischen Union sind nur drei Staaten echte Föderalstaaten, nämlich die Bundesrepublik Deutschland, aus nationalitätenpolitischen Gründen Belgien – und Österreich. Früher, vor dem 1. Jänner 1995, war in der EG nur die Bundesrepublik Deutschland ein Föderalstaat.

Ich habe als Bundesratspräsident im Jahre 1992 in unser Haus zu einer europäischen Konferenz, nämlich einer Bundesratsenquete über "Föderalismus und Regionalismus im integrierten Europa" eingeladen – das ist nachlesbar, ich habe alle Senatspräsidenten und Länderkammerpräsidenten Europas eingeladen, auch Giovanni Spadolini, der leider nicht mehr lebt, war hier. Wenn Sie das Protokoll – ich empfehle das auch dem Außenministerium, wir lesen gegenseitig, soweit uns etwas zugänglich ist –, dann werden Sie ganz deutlich sehen, daß die Unterschiede im Rechtscharakter der Staaten herausgearbeitet wurden, wie drüben im Budgetsaal, wo die Wappen der Kronländer der Monarchie in 22karätigem Gold repräsentiert sind und die Voraussetzungen des Föderalstaates zeigen.

Meine Damen und Herren! Man darf eines nicht vergessen: Frankreich ist ein dezentralisierter Einheitsstaat, Italien hat einen abgestuften Regionalismus – in der Festschrift für Rudolf Stadler habe ich meine römische Gastvorlesung über Föderalismus in Österreich und Regionalismus in Italien veröffentlicht, dort nachlesbar, jetzt fehlt die Zeit dazu –, die autonomen Gemeinschaften Spaniens wieder haben einen anderen Rechtscharakter als die Regionen Italiens. Und wenn Sie die Föderalstaaten vergleichen, nämlich die Kantone der Schweiz – die sind aber nicht Mitglied der EU – oder die Bundesländer Deutschlands und die Bundesländer Österreichs, dann werden


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Sie sehen, daß es staatsrechtliche Unterschiede gibt. Ein Landeshauptmann und ein Ministerpräsident sind zwar in derselben Protokollhöhe, aber sie haben nicht dieselben Kompetenzen.

Meine Damen und Herren! Ich meine, wir sollten uns bemühen, das, was die Europäische Union von uns in Turin verlangt, selbst in Österreich zu tun.

Bevor die Frau Staatssekretärin, der Herr Staatssekretär und der Innenminister Empfehlungen aussprechen, möchte ich Sie wirklich bitten, in der Länderkammer zur Kenntnis zu nehmen – davon ist meiner Ansicht nach heute zu wenig gesprochen worden, obwohl direkt wie ein vereister Kanonenschuß noch eine dringliche Anfrage das unterstreichen will –, daß wir diese 67 Prozent Ja-Stimmen zur Europäischen Union bei der Volksabstimmung deshalb erreicht haben, weil versprochen wurde, daß mit der EG-Mitgliedschaft Österreichs in unserem Land eine Bundesstaatsreform verbunden wird. Ich bitte, Herrn Staatssekretär Mag. Schlögl, wenn Herr Bundeskanzler Dr. Vranitzky wohlbehalten mit dem Herrn Vizekanzler von Bangkok zurückkehrt, folgendes auszurichten: Ich freue mich, daß sie dorthin fahren, ich habe schon vor Jahren in Bangkok an dortigen Universitäten Gastvorlesungen gegeben – Sie werden es nicht glauben, auch das kann man in Bangkok machen – und weiß, wie aufgeschlossen man dort gegenüber der österreichischen Rechtsordnung ist, und daher sage ich, daß wir hier im Bundesrat darauf warten, daß das, was Landeshauptmann Ludwig als damaliger Vorsitzender der Landeshauptmännerkonferenz im Herbst 1992 ausverhandelt hatte – Jürgen Weiss war damals Bundesminister für Föderalismus und hat das Seine bedeutend dazu beigetragen – und Bundeskanzler Dr. Vranitzky unterschrieben hat, verwirklicht wird, welches heute noch für uns gilt. Herr Bundeskanzler Dr. Vranitzky hat auch bei seiner Regierungserklärung – und dafür danke ich ihm – gesagt, er stehe zu seiner Unterschrift. Hohe Länderkammer! Sie wissen: Dieses Erfüllungsversprechen steht noch im Raum. Und daher glaube ich, daß es unsere Aufgabe ist, von der EU etwas zu verlangen, gleichzeitig aber auch von uns selbst, meine Damen und Herren: nämlich nicht darauf zu vergessen, daß die Subsidiarität verschiedene Seiten hat. (Beifall bei der ÖVP.)

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Unser Augenmerk liegt selbstverständlich – und da stimme ich mit der Frau Staatssekretärin überein – auf der Stärkung der Handlungsfähigkeit, der Festigung der demokratischen Legitimität, der Transparenz der EU-Verfahren und natürlich – an Stelle der vielen Verfahren drei Verfahren – auf der inhaltlichen Ausgestaltung des Subsidiaritätsprinzips, der Weiterentwicklung der Rolle der Gemeinden und Regionen und selbstverständlich auch auf der entsprechenden Erweiterung der Kompetenzen des Regionalausschusses.

Meine Damen und Herren! Glauben Sie bitte ja nicht – und ich habe vor einiger Zeit mit einem früheren EG-Präsidenten in einer nicht schlechten Gegend ein Wochenende verbracht, da hat er mir seine Erfahrungen als EG-Präsident geschildert –, daß all die Exekutivrepräsentanten in der EU dafür rennen werden, daß eine Länderkammer auf europäischer Ebene geschaffen wird. Ich habe noch keinen getroffen, weder in Österreich noch im Ausland, aber vielleicht verkehre ich mit den falschen Personen.

Ich würde daher meinen, daß man auf dem Boden der Realität bleiben und die Möglichkeiten des Regionalausschusses weiterentwickeln sollte, allerdings gleichzeitig – das möchte ich auch sagen – mit der Rückkoppelung an jene, die Verantwortung tragen gegenüber dem Nationalrat und dem Bundesrat, gegenüber den Landtagen und außerdem in den Bereichen des Gemeinde- und Städtebundes, für die wir uns ja dafür eingesetzt haben, daß diese in die Verfassung aufgenommen wurden, was ja damals nicht alltäglich gewesen ist. Da haben sie gesehen, wo sie ihre echten Freunde haben! Ich hoffe, daß das bei einer Bundesstaatsreform und Erweiterung des Zustimmungsrechtes des Bundesrates nicht vergessen wird.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich glaube, daß dieser Wunsch nach einer Verbesserung der Rechtssituation und auch der politischen Situation zum richtigen Zeitpunkt zustande gekommen ist – das war nicht bestellt, aber das ist eine schöne Fügung –, nämlich nach dem Jubiläumsjahr des B-VG 1995, vor der Millenniumsfeier Österreichs 1996 und, meine sehr verehrten Damen und Herren, noch dazu in einer Zeit einer umfassenden Neuordnung Europas


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und der Friedensbemühungen in der Welt – und ich möchte nicht neben der Frau Staatssekretärin stehen, ohne darauf hinzuweisen: auch nach einem Jubiläum der Vereinten Nationen, weil sie ja zu diesem Jubiläum in ihrer früheren Verwendung Bedeutendes vorbereitend beigetragen hat.

Meine Damen und Herren! Das wird aber nur möglich sein, wenn wir nicht allein normieren, sondern auch motivieren und wenn wir die Leute rechtzeitig darüber informieren, worum es in Europa geht. Die Bundesregierung und alle, die sie da vertreten mit Rang eines Bundeskanzlers, Vizekanzlers, Ministers, Staatssekretärs, sollten eines bedenken: Das Schöne an der demokratischen Republik ist ja, daß alle Funktionen Durchlaufposten sind, und jeder sollte daran denken, wie es ist, wenn er nicht mehr Subjekt, sondern Objekt ist, wenn wir gemeinsam die politische Verantwortung tragen.

Heute ist schon so viel zitiert worden. Ich möchte daher nicht zurückstehen, damit ich halbwegs mit Ihnen Schritt halten kann. Die Frau Staatssekretärin hat, genauso wie ich, zu Spanien eine besondere Beziehung. Ortega y Gasset hat einmal diesen wunderbaren Ausspruch getan: Politik ist im höchsten Sinne Leben, Leben ist Politik. Jeder mag wollen oder nicht, er ist Glied dieses Kampfgeschehens, als Subjekt oder Objekt. Etwas Drittes gibt es nicht.

Meine Damen und Herren! Ich wünsche mir, daß die Ergebnisse von Turin so sind, daß wir uns weniger als Objekt erleben müssen, sondern Subjekt sein können. Dazu ist es notwendig, daß unser Heimat-, unser Landes- und unser Staats- und Europabewußtsein eine Einheit bilden und daß es uns gelingt, die Menschen zu einem vermehrten Heimat-, Staats- und Verantwortungsbewußtsein zu erziehen.

Glauben Sie mir: Bei der Wahl zum Europäischen Parlament in diesem Jahr wird hinsichtlich der Höhe der Wahlbeteiligung, der Art und Weise, wie wer gewählt wird, Österreich eine Visitenkarte für Europa abgeben können. Ich lade Sie, meine Damen und Herren, ein, mit dem heutigen Tag, wo immer wir stehen, ob wir in Taxis, ob wir auf der Straße sind oder eine Versammlung abhalten, zu dieser europäischen Verantwortung das Unsere beizutragen. Ich wünsche mir, daß uns die Bundesregierung und das verantwortliche Außenministerium immer rechtzeitig die entsprechenden Papiere übermittelt, damit wir gemeinsam Verantwortung ausüben können.

Der Frau Staatssekretärin sei herzlich gedankt für ihre Ausführungen im EU-Ausschuß und für ihr Ausharren hier. Herr Staatssekretär, wir wissen auch Ihr Kommen entsprechend einzuschätzen. Wir hoffen, daß nach den Regierungsbildungsverhandlungen auch hier der Weg in klarer Verantwortung fortgesetzt werden kann. (Beifall bei ÖVP und SPÖ.)

13.57

Präsident Johann Payer: Weiters zu Wort gemeldet hat sich Herr Bundesrat Rockenschaub. Ich erteile dieses.

13.57

Bundesrat Dr. Michael Rockenschaub (Freiheitliche, Oberösterreich): Hohes Haus! Sehr geehrte Damen und Herren! In der durchaus interessanten und teilweise sehr emotional vorgetragenen Rede meines Zuhörers, meines Vorredners waren (allgemeine Heiterkeit – Bundesrat Konečny: Jetzt ist er Ihr Zuhörer!) – mein Gott, auch mir ist ein Versprecher erlaubt, und ich glaube, hämisches Lachen ist da nicht angebracht – einige unnötige Spitzen gegen unsere Fraktion dabei.

Wenn Professor Schambeck unsere dringliche Anfrage zum Föderalismus genau am heutigen Tag als vereisten Kanonenschuß bezeichnet, dann muß ich wirklich sagen: Herr Professor! Jemand wie Sie, der seit Jahren sehr viel zum Föderalismus spricht, immer dringendste Appelle in diese Richtung ausstößt, Beschwörungen hier in diesem Haus von sich gibt und im Grunde seit dem EU-Beitritt und die Jahre vorher nichts zusammengebracht hat, sollte mit Verhöhnungen in bezug auf Föderalismus etwas zurückhaltender sein. Darum möchte ich Sie in Zukunft ersuchen. (Beifall bei den Freiheitlichen.)


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So leicht, wie Sie jetzt versucht haben, sich von der Schuldenpolitik zu absentieren, bin ich fast versucht, zu sagen: Ich nehme zur Kenntnis, daß Sie die letzten zehn Jahre nicht an der Regierung waren – Sie persönlich nicht, Ihre Partei auch nicht –, weil Sie sind ja nicht verantwortlich für die Schulden. Den Eindruck, daß es sich in den letzten Jahren mehr oder weniger um eine sozialdemokratische Alleinregierung gehandelt hat, haben ja nicht nur wir gehabt, auch viele andere. (Beifall bei den Freiheitlichen. – Zwischenruf des Bundesrates Dr. Schambeck .)

Und wenn Sie die Glaubwürdigkeit – ich glaube, so haben Sie das gemeint – der freiheitlichen EU-Politik eingefordert beziehungsweise kritisiert haben, sie sei nicht vorhanden, dann bitte ich Sie, uns, den Freiheitlichen, zuzugestehen, daß unsere Einschätzungen so falsch nicht waren.

Auch wir haben uns geirrt – "Schildlaus" wurde uns heute schon vorgehalten –, das gebe ich zu. Aber haben Sie, Ihre Fraktion und die Regierungsvertreter, sich nicht auch gewaltig geirrt in so manchen Einschätzungen? Nicht wir, die Opposition, haben den Euro-Schmäh verbreitet. Das waren andere. Und denken Sie an die Überschriften: Steuern, Arbeitsplätze, Neutralität, Transit, Anonymität der Sparbücher, 1 000 S mehr Einkommen im Monat für jede Familie sollte herauskommen. Ja wie sieht denn die Realität demnächst und in der nächsten Zeit aus? Sie sieht ganz anders aus als viele, viele Ankündigungen und Versprechungen, die vor der Volksabstimmung zur EU 1994 getätigt wurden.

Und deswegen darf ich Sie ersuchen ... (Bundesrat Dr. Schambeck : Jetzt verdient er es, daß Sie die Nationalratsrede zitieren, denn er war in euren Geschichten damals ...!) S elbstverständlich. Wir brauchen jetzt nicht auf die Debatte zurückzukommen. Wir waren immer für den EG-Beitritt und immer gegen den Geist von Maastricht. (Bundesrat Dr. Linzer: Das ist mir aber neu!) Na, selbstverständlich!

Diese Debatte können wir gerne führen. Das ist nachzulesen. – Genauso wie die Sozialdemokraten immer gegen den EG-Beitritt und für den Geist von Maastricht waren (Bundesrat Dr. Schambeck: Immer ist übertrieben!), weil eben sehr viel sozialistische Konzeption drinsteckt.

Wir können gegenseitige Irrtümer aufrechnen, niemand sollte anstehen, es zuzugeben, sich geirrt zu haben, aber ich darf Sie ersuchen, Vorwürfe gegenüber der Opposition, was irrtümliche Einschätzungen hinsichtlich des EU-Beitrittes betrifft, keinesfalls pauschal zu machen, sondern etwas zu differenzieren, denn – seien Sie ehrlich! – diesbezüglich gibt es genügend vor Ihren eigenen Türen zu kehren. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

14.01

Präsident Johann Payer: Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.

Wünscht noch jemand das Wort? – Es ist dies nicht der Fall.

Die Debatte ist geschlossen.

Wird von der Berichterstattung ein Schlußwort gewünscht? – Dies ist ebenfalls nicht der Fall.

Wir kommen zur Abstimmung.

Ich bitte jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, den vorliegenden Bericht zur Kenntnis zu nehmen, um ein Handzeichen. – Es ist dies Stimmenmehrheit.

Der Antrag auf Kenntnisnahme des Berichtes ist somit angenommen.

Ich lasse nunmehr über die dem Ausschußbericht beigedruckte Entschließung betreffend die EU-Regierungskonferenz 1996 abstimmen.

Ich bitte jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Entschließungsantrag zustimmen, um ein Handzeichen. – Es ist dies Stimmenmehrheit.

Der Entschließungsantrag ist somit angenommen.


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Weiters liegt ein Antrag der Bundesräte Dr. Bösch, Dr. Kapral und Kollegen auf Fassung einer Entschließung betreffend Regierungskonferenz 1996 vor. Ich lasse auch über diesen Entschließungsantrag abstimmen.

Ich bitte jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die diesem Antrag zustimmen, um ein Handzeichen. – Es ist dies Stimmenminderheit .

Der Antrag auf Fassung einer Entschließung betreffend Regierungskonferenz 1996 ist daher abgelehnt .

2. Punkt

Beschluß des Nationalrates vom 31. Jänner 1996 betreffend ein Bundesgesetz über die Wahl der von Österreich zu entsendenden Abgeordneten zum Europäischen Parlament (Europawahlordnung – EuWO) (18 und 28/NR sowie 5128 und 5131/BR der Beilagen)

3. Punkt

Beschluß des Nationalrates vom 31. Jänner 1996 betreffend ein Bundesgesetz über die Führung ständiger Evidenzen der Wahl- und Stimmberechtigten bei Wahlen zum Europäischen Parlament (Europa-Wählerevidenzgesetz – EuWEG) (19 und 29/NR sowie 5129 und 5132/BR der Beilagen)

Präsident Johann Payer: Wir gelangen nun zu den Punkten 2 und 3 der Tagesordnung, über welche die Debatte unter einem abgeführt wird.

Es sind dies: ein Bundesgesetz über die Wahl der von Österreich zu entsendenden Abgeordneten zum Europäischen Parlament (Europawahlordnung) und ein Bundesgesetz über die Führung ständiger Evidenzen der Wahl- und Stimmberechtigten bei Wahlen zum Europäischen Parlament (Europa-Wählerevidenzgesetz).

Die Berichterstattung über die Punkte 2 und 3 hat Herr Bundesrat Ludwig Bieringer übernommen. Ich bitte Sie, Herr Bundesrat, um die Berichterstattung.

Berichterstatter Ludwig Bieringer: Herr Präsident! Herr Bundesminister! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich erstatte den Bericht über den Beschluß des Nationalrates vom 31. Jänner 1996 betreffend ein Bundesgesetz über die Wahl der von Österreich zu entsendenden Abgeordneten zum Europäischen Parlament (Europawahlordnung).

Im gegenständlichen Gesetzesbeschluß des Nationalrates soll im Einklang mit der Richtlinie 93/109/EG des Rates vom 6. Dezember 1993 für die Wahl zum Europäischen Parlament (Europawahl) ein Wahlrecht geschaffen werden, das von folgenden Grundsätzen geprägt ist:

Das Bundesgebiet ist ein einheitlicher Wahlkreis.

Die zu vergebenden Mandate werden mittels des d’Hondtschen Verfahrens ermittelt.

Analog zur Nationalrats-Wahlordnung 1992, BGBl. Nr. 471, ist eine Sperrklausel (4 Prozent) vorgesehen.

Vorzugsstimmen können durch Eintragung auf dem Stimmzettel vergeben werden. Für eine Vorreihung ist das Erreichen der (mit dem d’Hondtschen Verfahren ermittelten) Wahlzahl erforderlich.

Für Europawahlen werden keine eigenen Wahlbehörden gebildet. Als Wahlbehörden fungieren die aufgrund der letzten Nationalratswahl gebildeten Behörden.

Wahlvorschläge können durch Unterschriften von mindestens drei Abgeordneten zum Nationalrat, durch Unterschrift von mindestens einem von Österreich entsandten Abgeordneten zum


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Europäischen Parlament oder durch Beibringung von 2 600 Unterstützungserklärungen eingebracht werden.

Der Wahltag ist ein Sonn- oder ein öffentlicher Ruhetag.

Die Gemeinden erhalten die Kosten der Wahl zu einem Drittel ersetzt, die Kosten für Drucksorten zur Gänze.

Seinem Aufbau nach orientiert sich die vorliegende Europawahlordnung nach der geltenden Nationalrats-Wahlordnung. Gewisse Bereiche (amtlicher Stimmzettel, Vorzugsstimmen) entsprechen den Regelungen der Nationalrats-Wahlordnung 1971. Die Auswertung der Wahlkartenstimmen wiederum wurde der Auswertung der Wahlkartenstimmen bei Bundespräsidentenwahlen, Volksabstimmungen oder Volksbefragungen angeglichen, weil der Umstand, daß es bundesweit nur einen Wahlkreis gibt, eine kompliziertere Auszählungslogistik der Wahlkarten entbehrlich macht. Im Interesse einer einwandfreien Lesbarkeit und um allfällige Auslegungsprobleme hintanzuhalten, wurde auf Verweisungen auf die genannten Gesetze im allgemeinen verzichtet.

Der Ausschuß für Verfassung und Föderalismus stellt nach Beratung der Vorlage am 28. Februar 1996 mit Stimmeneinhelligkeit den Antrag, keinen Einspruch zu erheben.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich erstatte weiters den Bericht des Ausschusses für Verfassung und Föderalismus über den Beschluß des Nationalrates vom 31. Jänner 1996 betreffend ein Bundesgesetz über die Führung ständiger Evidenzen der Wahl- und Stimmberechtigten bei Wahlen zum Europäischen Parlament (Europa-Wählerevidenzgesetz – EuWEG).

Der gegenständliche Gesetzesbeschluß sieht im Einklang mit der Richtlinie 93/109/EG des Rates vom 6. Dezember 1993 für die Wahl zum Europäischen Parlament die Schaffung einer Europa-Wählerevidenz vor. In diese sind neben Österreichern mit einem Hauptwohnsitz in Österreich andere Unionsbürger mit Hauptwohnsitz in Österreich aufzunehmen, wenn sie eine Erklärung im Sinn der zitierten Richtlinie des Rates abgeben. Überdies sind Auslandsösterreicher einzutragen; leben diese in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union jedoch nur aufgrund einer förmlichen Erklärung, in Österreich wählen zu wollen.

Im Sinne des Artikels 13 der zitierten Richtlinie des Rates sieht der Gesetzesbeschluß zur Durchführung des wechselseitigen Informationsaustausches mit anderen Mitgliedstaaten die Einrichtung einer zentralen Europa-Wählerevidenz vor, durch welche individuelle Auskünfte über Auslandsösterreicher und Unionsbürger mit Hauptwohnsitz in Österreich, die nicht österreichische Staatsbürger sind, erteilt werden können.

Der Ausschuß für Verfassung und Föderalismus stellt nach Beratung der Vorlage am 28. Februar 1996 mit Stimmeneinhelligkeit den Antrag, keinen Einspruch zu erheben.

Präsident Johann Payer: Ich danke dem Herrn Berichterstatter für seine Ausführungen.

Wir gehen in die Debatte ein, die über die zusammengezogenen Punkte unter einem abgeführt wird.

Zu Wort gemeldet hat sich Frau Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach. Ich erteile dieses.

14.09

Bundesrätin Anna Elisabeth Haselbach (SPÖ, Wien): Herr Präsident! Herr Bundesminister! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! (Ein Handy läutet im Saal.) Mit den vorliegenden Gesetzesbeschlüssen des Nationalrates liegen uns zwei Materien vor, deren Handhabung keine Probleme verursachen dürfte, vor allem nicht die Europawahlordnung – im Gegensatz zur Handhabung von Handys, die offensichtlich wirklich ein Problem ist, weil niemand imstande ist, es abzuschalten.

Die Europawahlordnung ist in ihren Bestimmungen so eng als möglich an die Nationalrats-Wahlordnung angelehnt. Meine Damen und Herren! Ich meine, das ist ein Aspekt, der


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hervorzuheben ist, denn nichts ist wichtiger als die Gewährleistung eines leicht handhabbaren, verständlichen Verfahrens für die Ausübung demokratischer Rechte.

Die freie, geheime und allgemeine Wahl ist ein kostbares Gut, das in der Geschichte hart erkämpft werden mußte. Der Weg von der Magna Charta bis zum heutigen Verständnis von Freiheitsrechten, die eben auch im demokratischen Parlamentarismus ihren Ausdruck finden, war unendlich schwierig. Erst das jetzt zu Ende gehende Jahrhundert anerkennt uneingeschränkt den demokratischen Parlamentarismus als die Form staatlicher Willensbildung, die im Einklang mit den Menschenrechten steht. Auch Österreichs Weg in diesem Jahrhundert zu einer offenen, demokratischen Gesellschaft war von schmerzlichen Rückschlägen überschattet.

Umso erfreulicher ist es, wenn wir heute sagen können, die Regelungen, die wir für die Wahl unserer Vertreter im innerstaatlichen Bereich geschaffen haben, sind ein geeignetes Vorbild für die Regelungen, die notwendig sind, um gleichberechtigt in den europäischen Institutionen mitzuwirken. – So weit zum Generellen.

Nun im speziellen zu einer Frage, die natürlich bei allen Wahlordnungen auftaucht, nämlich die Frage nach der Gerechtigkeit, die ein Verfahren bringt. Zum Beispiel zur Frage des sogenannten Einerwahlkreises: Hier gehen die Meinungen auseinander, und wenn ich die Diskussionen darüber richtig interpretiert habe, hätten die Freiheitlichen lieber mehrere Wahlkreise gehabt. – Eine Meinung, die meine Fraktion nicht teilt. Alle Fragen in bezug auf demokratische Regeln müssen doch im Zusammenhang mit der gestellten Aufgabe gesehen werden.

Österreich hat für das Europäische Parlament 21 Abgeordnete zu wählen. Das – unter Anführungszeichen – "kleine" Österreich mit seiner Vielfalt und fest verankerten föderalen Prägung soll doch auch im supranationalen Bereich diese Vielfalt einbringen. Das heißt aber, auch das kleinste Bundesland soll die Chance haben, einen Vertreter entsenden zu können. Diese Chance, meine Damen und Herren, erscheint uns im Einerwahlkreissystem gegeben. (Bundesrat Dr. Prasch: Wie?) – Wissen Sie nicht, wie Listen erstellt werden? Ich nehme an, auch Ihrer Partei ist das klar. (Bundesrat Prähauser: Nein, da ist es anders! Da bestimmt einer!) Da gibt es einen, der bestimmt, das wissen wir schon, aber auch der erstellt dann eine Liste und hätte die Möglichkeit, auch kleine Bundesländer zu berücksichtigen.

Meine Damen und Herren! Um dem demokratischen Prinzip gerecht zu werden, damit alle wahlwerbenden Gruppen ihre Kandidaten und Programme der Bevölkerung in angemessener Form nahebringen können, gibt es auch eine klare Regelung für die Rückerstattung von entstehenden Wahlkampfkosten. Diese Regelungen sind so wie alle anderen Regelungen in der Europawahlordnung klar und einfach festgelegt. Ein einigermaßen des Lesens kundiger Bevollmächtigter müßte diese bürokratische Hürde mühelos überspringen können. Ich hoffe daher, daß wir nach geschlagener Wahl nicht wieder irgendwelche wehleidigen Erklärungen vorgesetzt bekommen, warum zustehende Rechte nicht zum Tragen kommen können.

Zum zweiten zur Debatte stehenden Gesetzesbeschluß des Nationalrates, nämlich zum Europa-Wählerevidenzgesetz, möchte ich festhalten, daß hier ein guter Weg gefunden wurde, um den Wahlberechtigten die Ausübung ihres Wahlrechts zu garantieren. Es bedarf großer verwaltungstechnischer Fähigkeiten, um die Schwierigkeiten zu meistern, die aus unserem erst kürzlich erfolgten Beitritt zur Union resultieren, weil wir nämlich nicht so wie die anderen Mitgliedstaaten der Union zum selben Zeitpunkt das Parlament gewählt haben. Für die Bewältigung der Verwaltungsarbeit, um die Wahl ordnungsgemäß durchzuführen, ist ausreichend Zeit gegeben. Der Wahltermin 13. Oktober 1996 ist daher ein sinnvoller Termin.

Natürlich ist es auch für mich ein Wermutstropfen, daß die österreichische Übergangsphase hin zur Direktwahl der EU-Abgeordneten so lange gedauert hat, aber wir können sagen, die Regelungen, die gefunden wurden, sind ordentlich durchdacht und in ihrer Anwendbarkeit problemlos.

Unsere Aufgabe als Politiker ist es jetzt, die Wahlberechtigten von der Notwendigkeit zu überzeugen, ihr demokratisches Recht auf freie und direkte Wahl auch in Anspruch zu nehmen.


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Es gilt nicht zuletzt, alles zu unternehmen, um den vorhandenen Euroskeptizismus zu entkräften. Wenn wir uns die im Oktober 1995 von der Generaldirektion X der Europäischen Kommission veröffentlichten Umfrage ansehen, erkennen wir bei den befragten Österreichern eine große Widersprüchlichkeit. Viele Österreicher halten das Europäische Parlament zwar für wichtig, wollen es aber nicht unbedingt stärken. Stellt man aber dann Einzelfragen, dann würden sie wiederum Machtbefugnisse gerne ausgebaut sehen.

Überdurchschnittlich viele Befragte meinten, über die EU gut informiert zu sein. In vielen wichtigen Fragen wurde aber dann keine Meinung abgegeben beziehungsweise hat ein hoher Anteil mit "weiß nicht" geantwortet.

Der Schluß, der aus dieser Befragung gezogen werden muß, ist, daß die Österreicher leider ein mangelhaftes EU-Fachwissen haben und daher der EU – wie allem, das unbekannt ist – eine ordentliche Portion Mißtrauen entgegenbringen.

Meine Damen und Herren! Die österreichische Seele ist zwar ein weites Land, aber dieses weite Land ist uns ja nicht ganz unbekannt, erforschen müssen wir es nicht erst. Wir müssen daher rasch darangehen, Informationsdefizite zu beseitigen. Es ist eine Vertrauensbasis von uns zu schaffen; eine Vertrauensbasis, die unumgänglich notwendig ist, um in allen Bürgern den Wunsch zu wecken, demokratische Rechte selbstbewußt und selbstverständlich in Anspruch zu nehmen. Ich schließe mich daher den Unkenrufen, die eine niedrige Wahlbeteiligung prophezeien, nicht an, sondern ich glaube an die demokratische Reife der Österreicher.

Bei der Handhabung und Vollziehung dieser beiden Gesetzesbeschlüsse kommt es sicher zu keinerlei Behinderung, diese demokratische Reife auch unter Beweis zu stellen. Meine Fraktion wird daher den Anträgen, keine Einsprüche zu erheben, gerne zustimmen. (Beifall bei der SPÖ.)

14.19

Präsident Johann Payer: Zu Wort gemeldet hat sich Herr Bundesrat Dr. Günther Hummer. Ich erteile dieses.

14.19

Bundesrat Dr. Günther Hummer (ÖVP, Oberösterreich): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr verehrter Herr Bundesminister! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zur Debatte stehen eine Europawahlordnung und ein Europa-Wählerevidenzgesetz. Vorweg drei Bemerkungen: Es ist angenehm und erfreulich, daß diesen beiden Gesetzen ein Inhaltsverzeichnis vorangestellt ist. Das ist eine Forderung, die in den legistischen Richtlinien des Bundes seit vielen Jahren enthalten ist, der aber selten entsprochen wird und die sicherlich dem gern zitierten Zugang des Bürgers zum Recht entspricht.

Als Zweites sei vermerkt, daß eine Europa-Wählerevidenz zu schaffen ist, die ihre Grundlage im Rahmen der Gemeinden haben und in einer zentralen Wählerevidenz beim Bundesminister für Inneres eine Zusammenfassung, Aufbereitung und Koordinierung mit den übrigen EU-Staaten finden soll.

Zu Zeiten, in denen ein Sparpaket geschnürt wird, sei nur vermerkt – ohne daß dem besondere Bedeutung anhaftet –, daß eine solche Evidenz natürlich einen Mehraufwand bedingt. Es ist kein besonderer, es ist kein dramatischer Mehraufwand, es ist ein unverzichtbarer Mehraufwand, weil wir eben der Europäischen Union angehören und unsere Abgeordneten nach Straßburg entsenden wollen und dürfen. Aber wenn immer davon gesprochen wird, man solle bei den Beamten einsparen, dann müssen wir uns gerade im Bundesrat dessen bewußt sein, daß wir in Zukunft allen Gesetzesbeschlüssen, die zu uns kommen, ein ganz besonderes Augenmerk zuwenden müssen, ob damit nicht ein personeller Mehraufwand verbunden ist. Es sollen ja bekanntlich nicht nur beim Bund viele tausend Dienstposten eingespart werden, sondern ähnliches soll sich auch bei den Ländern und Gemeinden vollziehen. Das ist begrüßenswert, aber die erste Adresse, daß solches möglich wird, sind wir.

Ich weiß nicht, ob sich der Bürger, ob sich die Menschen, die gewissermaßen mit Vergnügen den Medien entnehmen, daß es in Zukunft weniger Beamte geben wird, dessen bewußt sind,


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was das eigentlich für sie bedeuten wird. Wir haben, meine sehr verehrten Damen und Herren, nicht zuletzt deshalb einen hohen Verwaltungsaufwand, weil das Sicherheitsbedürfnis des Menschen im weitesten Sinn des Wortes in den letzten Jahren ungeheuer angestiegen ist. Wenn wir alle persönlichen Risken auf die öffentliche Hand überwälzen wollen, dann dürfen wir uns nicht wundern, daß der Aufwand dieser öffentlichen Hand ununterbrochen dramatisch im Steigen begriffen ist. – Dies als eine kleine Vorbemerkung.

Es mutet doch merkwürdig – fast könnte man sagen, erheiternd – an, was ein leitender Beamter im Land Oberösterreich kürzlich zu mir gesagt hat. Er meinte: Wir kämen eigentlich mit unserer Arbeit recht gut über die Runden, wenn wir nicht so viel Mehraufwand mit der Verwaltungsvereinfachung und Deregulierung hätten. Das erinnert mich an den alten Scherz, wonach es einen Sektionschef im Ruhestand gegeben haben soll, der über nichts mehr lachen konnte als über das Wort "Verwaltungsvereinfachung".

Ein weiteres Reizwort als Vorbemerkung sei der Datenschutz. Wir werden uns recht bald wieder mit dem sogenannten Lauschangriff, der Kronzeugenregelung und ähnlichem beschäftigen und werden alle versichern, daß uns die persönliche Sphäre, das persönliche Datum, die persönlichen Daten heilig sind und daß der Staat hier so wenig wie möglich Einblick und Zugriff bekommen soll.

Nun wird – man stelle sich das vor – eine Wählerevidenz, eine europaweite Wählerevidenz angelegt werden, in der jeder Wahlberechtigte mit seinem Vor- und Zunamen, mit seinem Geburtsdatum, mit seinem Hauptwohnsitz, vielleicht mit anderen Anknüpfungspunkten erfaßt wird, und diese Wählerevidenz wird nicht etwa nur den Behörden zugänglich sein, sondern buchstäblich jedem Unionsbürger. Das muß man sich vorstellen: jedem Unionsbürger! Dieser muß, wenn er – wo immer im Bereich der Europäischen Union – Einblick nimmt, in keiner Weise irgendein Interesse darlegen, etwa daß er zu Zwecken der Wahlwerbung in diese Wählerevidenz Einblick nehmen möchte, sondern er kann einfach Einblick nehmen. Die Begrenzung liegt nur in den Dienststunden der Gemeinden begriffen. Daß wir damit einen Schritt weiter in Richtung des europaweiten "gläsernen" Menschen gehen, muß uns – nolens volens, es sei nur vermerkt – dabei schon bewußt sein.

Wir haben über eine Europawahlordnung, über eine Europa-Wählerevidenz zu beraten. Das könnte nahelegen, daß wir es mit europäischem Recht zu tun hätten. Selbstverständlich wird hier im Bundesrat und hier in diesem Hohen Haus nur österreichisches Recht in das Stadium der Geltung gesetzt, aber wir können sagen, daß wir damit europäisches Recht, europäisches Primärrecht – im konkreten Fall den EG-Vertrag – und eine Richtlinie der Europäischen Union sozusagen zum Leben, zur praktischen Anwendung in unserem Bereiche bringen. Wir dürfen uns vergegenwärtigen, daß diese Richtlinien der EU nicht, wie es uns in letzter Zeit das eine oder andere Mal vorgespiegelt wurde, etwa unverbindliche Empfehlungen sind, sondern daß natürlich die Pflicht der EU-Staaten besteht, dieses Recht, diese Richtlinien zu vollziehen und durch innerstaatliches Recht zum Leben und zur Geltung zu bringen.

Meine verehrten Damen und Herren! Wir dürfen uns nicht nur Staatsbürger nennen und damit unsere besondere Verbindung zu unserem Heimatstaat zum Ausdruck bringen, sondern auch Unionsbürger. Wir gehören einer Union an. Wir könnten sagen, ein Band umschlingt 15 Staaten und bringt sie in ein Naheverhältnis zueinander. Ich glaube, wir sollten eigentlich froh sein, daß in einer Union die Nähe zum Nachbarn intensiver und dichter gewirkt ist. Wir dürfen froh sein, daß wir heute nicht mehr irgendeinem Pakt angehören, irgendeiner Achse, irgendeinem Dreier-, Vierer-, Fünfer- oder Sechserpakt, sondern einer Union.

Es ist – und das wird uns so selten bewußt; auch Menschen, die sehr viel in der Europäischen Union zu tun haben – eine bedrohte Union und keine selbstverständliche, und diese Bedrohung kommt gewiß auch von einer Spezies von Menschen, die man heute die Euroskeptiker nennt und von denen so viele fast stolz darauf sind, sich dieser Gattung zuordnen zu dürfen. Der Union wird so gerne die Rolle des Sündenbocks zugewiesen, eines Sündenbocks, der für unsere wirtschaftlichen Probleme, für unsere gesellschaftlichen Probleme und für alles, was uns in diesem Staat Kopfzerbrechen und Ungemach bereitet, verantwortlich gemacht wird. Wir


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wissen – unseligen Angedenkens –, daß immer wieder versucht worden ist, irgendeinem Teil – irgendeinem Teil der Gesellschaft, bestimmten Einrichtungen – die Verantwortung für alles, was im Staate anscheinend schiefläuft, zuzuordnen.

Es sei hier nur eine der ganz klassischen Verhaltensweisen herausgegriffen, wie sich diese Euroskeptiker verhalten: So hat man auf der einen Seite, etwa im Fall des Bosnien-Konfliktes, immer wieder verlangt, es solle die Europäische Union ihre Muskeln spielen lassen und Problemlösungskapazität zeigen, gleichzeitig hat man aber immer die Befürchtung, es könnte diese Europäischen Union allzu mächtig sein, an die Wand gemalt. Mit einem Worte: Man hat Unmögliches, Absurdes, in sich Widersprüchliches mit einer Zunge verlangt.

Haben sich diese Euro-Skeptiker nicht doch schon das eine oder andere Mal die Frage gestellt, ob der europäische Friede, dessen wir uns seit mehr als 50 Jahren erfreuen dürfen, nicht doch etwas mit dem genialen Gedanken zu tun hat, den Robert Schuman entwickelt hat, daß wir die Waffen abgeben und einer gemeinsamen Union überantworten, wodurch es möglich geworden ist, einen dritten Weltkrieg zu vermeiden, an dem wir in den fünfziger, sechziger Jahren so oft glaubten, nicht vorbeikommen zu können? Haben sie bedacht, daß es im Grund genommen der Geist Robert Schumans und seiner Anhänger gewesen ist, der uns allen dieses furchtbare Schicksal erspart hat?

Gefahr droht der Union natürlich auch von den Zentralisten. Der Gedanke, alles möglichst zentral regeln zu müssen, daß es sozusagen in einer Gemeinschaft nur eine Sonne, nur ein Licht, nur einen Frieden geben könne, daß an die Stelle der Pax Romana jetzt gewissermaßen eine Pax Brüssel zu treten habe, birgt viele Gefahren in sich. Dieses Bedürfnis, alles und jedes bis ins letzte Detail zu regeln, ist sicherlich auch eine der großen Gefahren, der die Union ausgesetzt ist, sozusagen der Überdruß einer sich überall einmischenden Union, die zum Schluß schon vermessen will, wie groß die Löcher im Käse sein dürfen, wie stark die Bananen gekrümmt sind und dergleichen mehr.

Übersehen wir bei all dem aber nicht, daß doch die Eigenbrötelei, der Glaube, mit Separatismus irgendwie in Europa über die Runden kommen zu können, der Glaube an die Möglichkeit, mit einem neuen Nationalismus mit den Problemen, mit den Herausforderungen der Zukunft fertigzuwerden, noch gefährlicher sind.

Wir dürfen stolz sein auf unser Österreich, auf unsere Nation, auf unsere schöne Tradition, die wir jetzt mit 1 000 Jahren betitelt und mit einer Etikette versehen haben, aber die Welt von heute hat nur dann eine reale Überlebenschance, wenn wir das weltweite und vor allem zunächst europaweite Miteinander pflegen, wenn wir im föderalistischen Sinne kooperieren, wenn wir den Respekt vor der Gleichwertigkeit des anderen pflegen. Ich möchte deshalb sagen: Stoppen wir die allzu Eifrigen, denn auch das allzu schnelle Vorwärtspreschen könnte das Werk der Union in Gefahr bringen!

Wir können also feststellen, daß nicht nur wir Österreicher – diesmal wir Österreicher, die wir hier in Österreich unseren Hauptwohnsitz haben – zu den Wahlurnen gerufen sind, nicht nur die Österreicher, die ihren Hauptwohnsitz andernorts – etwa im Bereich der Union – haben und dort erklärt haben, daß sie unsere österreichischen Abgeordneten wählen wollen, sondern daß auch Unionsbürger, die hier bei uns in Österreich ihren Hauptwohnsitz haben und erklären, daß sie unsere österreichischen EU-Abgeordneten wählen wollen, zu den Wahlberechtigten zählen und daß natürlich auch Unionsbürger, die nicht österreichische Staatsangehörige sind, wählbar geworden sind.

Dies ist sicherlich ein sehr wichtiger Fortschritt, aber es ist auch ein sehr erwägenswerter Gedanke bei der künftigen Gestaltung unseres gesamten Wahlrechtes, wieweit von uns nicht nur Unionsbürger, sondern alle Ausländer, die hier bei uns an der Gestaltung und an der Erarbeitung unseres Sozialprodukts mitwirken, in das aktive und passive Wahlrecht miteinbezogen werden müssen, wenn wir uns nicht vor ihnen schuldig machen wollen.

In diesem Zusammenhang wird oft gerügt, daß das Europäische Parlament demokratisch zu wenig legitimiert sei und daß es eigentlich gar kein echtes Parlament sei, weil ihm Gesetz


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gebungsbefugnisse nur in sehr eingeschränktem Ausmaß zu Gebote stünden. Beiden Einwürfen kann eine Prise Wahrheit nicht abgesprochen werden, aber sie provozieren zwangsläufig eine Gegenfrage. Soll Europa eine Union miteinander verflochtener Staaten sein oder wollen wir einen Europäischen Bundesstaat? In letzterem Falle wären die Einwürfe zutreffend. Aber wollen wir das wirklich? Wer will das wirklich? Also bleiben wir doch auf dem Boden der Realitäten!

Kritisiert wird an der vorliegenden Wahlordnung, daß sie nur einen Wahlkreis kennt, also das Bundesgebiet einen einzigen einheitlichen Wahlkörper bildet. Man muß sich schon einmal die Anzahl der zu wählenden Abgeordneten vor Augen führen. Es sind 21, die in einem Verhältnis von 8: 6: 5: 1: 1 zurzeit in Brüssel, in Straßburg österreichische Interessen vertreten, sodaß sich mehrere Wahlkreise schon unter diesem Gesichtspunkt nicht unbedingt als länderfreundlich erweisen würden.

Ein Wahlvorschlag muß von wenigstens drei Abgeordneten zum Nationalrat oder von einem Europaabgeordneten oder von 2 600 Wahlberechtigten unterfertigt sein. Die Regierungsvorlage hat noch von fünf Abgeordneten zum Nationalrat beziehungsweise zwei Europaabgeordneten gesprochen. Der Verfassungsausschuß des Nationalrates hat sich zu dieser zweifellos auch minderheitenfreundlichen Änderung durchgerungen.

Abgeordnete, die nicht wenigstens 4 Prozent der abgegebenen gültigen Stimmen erzielen können, haben keinen Anspruch auf ein Mandat. Ich glaube, daß wir auch mit dieser Sperrklausel durchaus einem internationalen und minderheitenfreundlichen Standard entsprechen.

Vorzugsstimmen zählen nur dann, wenn sie ein Ausmaß von mindestens 7 Prozent der auf ihre Parteiliste entfallenden gültigen Stimmen erreicht haben. In der Regierungsvorlage meinte man noch, es müßte die Wahlzahl erreicht werden, das heißt also die 21. Zahl, die sich nach dem d’Hondtschen Verfahren ergibt.

In der Wahlordnung wird noch klargestellt, daß die Durchführung der Europawahl gleichzeitig mit anderen allgemeinen Wahlen zulässig ist.

Die vorliegenden Beschlüsse des Nationalrates umfassen auch Novellierungen und Anpassungen der Nationalrats-Wahlordnung, des Wählerevidenzgesetzes, des Parteiengesetzes und des Klubfinanzierungsgesetzes.

Ich beantrage namens meiner Fraktion, gegen die vorliegenden Beschlüsse des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben. (Beifall bei der ÖVP sowie Beifall des Bundesrates Prähauser .)

14.38

Präsident Johann Payer: Zu Wort gemeldet hat sich DDr. Franz Werner Königshofer. Ich erteile dieses.

14.38

Bundesrat DDr. Franz Werner Königshofer (Freiheitliche, Tirol): Herr Präsident! Herr Bundesminister! Meine Damen und Herren! Wir haben heute eine ganze Reihe von wunderschönen EU-Reden gehört, und wenn nicht Donnerstag wäre, könnte man sogar von Sonntagsreden sprechen, die hier in diesem Hause gehalten wurden. (Bundesrat Eisl: Das kann man wohl sagen!)

Vor allem wurde auf die Regierungskonferenz in Turin eingegangen, und da hat man uns erklärt, daß man in Zukunft ganz besonders darauf achten wolle, die Bürgernähe der EU und die Transparenz der Entscheidungsfindung in der EU herauszuarbeiten. Die Frau Staatssekretärin, die mittlerweile schon weggegangen ist, hat auch davon gesprochen, die EU müsse den Bürgern unter die Haut gehen. Ich kann Ihnen nur eines sagen: Die EU ist schon sehr vielen Bürgern in diesem Land unter die Haut gegangen, und zwar schon sehr tief, bis an die Nerven, zumindest an den wirtschaftlichen Lebensnerv so manchen Bürgers. (Bundesrat Eisl: Bis an die Knochen!) Das möchte ich hier einmal feststellen. (Beifall bei den Freiheitlichen.)


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Wenn Herr Dr. Hummer als mein Vorredner gesagt hat, es gibt auch sehr viele Euroskeptiker, mit denen man diskutieren muß, so bekenne ich mich dazu, ein solcher Euroskeptiker zu sein, und das guten Gründen.

Meine Damen und Herren! Wenn wir uns einmal die Grundstrukturen dieser EU anschauen und sie durchleuchten, so sehen wir, daß die EU im wesentlichen auf vier Grundfreiheiten aufbaut: auf der Freiheit des Personverkehrs, auf der Freiheit des Güter- und Warenverkehrs, auf der Freiheit des Dienstleistungsverkehrs und auf der Freiheit des Kapitalverkehrs. Das ist eigentlich der Kern der Grundverfassung dieser EU.

Jetzt müssen wir uns doch die Frage stellen: Wer profitiert denn am meisten von diesen Grundfreiheiten? – Ich bin der Meinung – das sage ich jetzt auch zu den Sozialdemokraten, die im wesentlichen Euphoriker sind –, daß von diesen Grundfreiheiten hauptsächlich die internationalen, die multinationalen Großkonzerne profitieren, die in einem rücksichtslosen, ja ruinösen Wettbewerb diese Freiheiten ausnützen. Die Auswirkungen sehen wir heute schon vielfach nach dem Beitritt zur EU. Woher kommen denn, meine Damen und Herren, die steigenden Insolvenzzahlen?

Wenn wir uns die Zahlen der letzten Jahre anschauen ... (Bundesrat Prähauser: Glauben Sie, Maculan wäre ohne EU nicht in Konkurs gegangen?) Ja, ich sage es Ihnen. Ich komme jetzt gleich darauf zu sprechen, Herr Kollege! Wenn man sich die Insolvenzzahlen anschaut (Bundesrat Prähauser: Wo haben Sie den Beweis, daß es anders gewesen wäre ohne EU? Wo ist der Beweis, daß es anders gewesen wäre?) – ich werde gleich darauf zu sprechen kommen –, so sieht man, daß es im Jahre 1994 in Österreich 1 999 Insolvenzfälle mit einem Gesamtpassivum von 34 Milliarden Schilling gegeben hat, 1995 bereits 2 043 Fälle mit 63,1 Milliarden Schilling, wobei darin die 25 Milliarden Passiva des "Konsums" enthalten sind.

Im Jahr 1996 werden noch mehr Insolvenzfälle erwartet. Und die Gesamtpassiva werden kaum zurückgehen, weil jetzt wieder eine große Insolvenz ins Haus steht, eine Baufirma, deren Namen ich hier nicht zitieren möchte, Sie kennen sie alle. (Bundesrat Prähauser: Nicht wegen der EU!)

Jetzt frage ich Sie: Wer ist daran schuld, daß so viel kleine und mittlere Betriebe in Österreich – und nicht nur in Österreich, sondern in ganz Europa – zugrunde gehen? Wer ist denn an diesen Pleiten schuld? Sie sagen, das stimmt einfach nicht. Aber irgend etwas, irgend jemand wird ja daran auch Schuld tragen oder dafür verantwortlich sein.

Ich meine doch, daß es die bereits angesprochenen Freiheiten dieser Großkonzerne sind, die in rücksichtsloser Weise einen ruinösen Wettbewerb betreiben. Reden Sie doch mit Gewerbetreibenden! Reden Sie doch mit Handelstreibenden! (Bundesrat Prähauser: Welcher Großkonzern hat die Schifabrik Atomic in den Ruin getrieben?) Das können wir dann draußen weiterdiskutieren, ich glaube nicht, daß ich Ihnen das jetzt hier erläutern sollte. Natürlich gehen auch Großbetriebe pleite, das bewirkt ja der ruinöse Wettbewerb, daß auch das eine oder andere Flaggschiff sinkt. Das hat man auch beim "Konsum" gesehen oder bei der österreichischen Bauindustrie. Das ist ja eine Auswirkung dieses Wettbewerbs. (Bundesrat Prähauser: Da war aber nicht die EU schuld, sondern der "Konsum"!)

Das nächste, was ich Sie fragen möchte: Woher kommen denn die steigenden Arbeitslosenzahlen in Europa? Welche Unternehmen sind es denn, die Hunderte oder Tausende Arbeitskräfte auf einmal entlassen? Der kleine Gewerbebetrieb, der kleine Handelsbetrieb kann gar nicht so viele Beschäftigte freisetzen. Es sind die multinationalen Konzerne, die mit dem Produktionsfaktor Arbeit – der Ihnen ja ein Begriff ist – so leichtfertig umgehen.

Wer ist es denn in Europa, der die größten Subventionsbetrügereien mit EU-Geldern betreibt? Ein kleiner Betrieb kann nicht Hunderte Millionen Mark falsch oder entgegen der Intention der EU verwenden.


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Schauen Sie nach Bremen und schauen Sie sich die Mittelverwendung bei der Bremer Vulkan an. Ein Kleinbetrieb kann das gar nicht machen. Die größten Subventionsbetrügereien werden eben von den Multis begangen.

Und jetzt sage ich Ihnen folgendes: Das spüren die Bürger. Das spüren die kleinen Gewerbetreibenden, das spüren die kleinen Händler, das spüren die Bauern im Lande. Und deshalb kommt Skepsis gegenüber dieser EU und ihren Einrichtungen auf. (Bundesrat Prähauser: Und das wäre alles anders, wenn wir nicht dabei wären!) Das müssen Sie auch einmal beweisen! Das kann ich genauso wenig wie Sie, sondern ich sage nur: Faktum ist, daß die vier Grundfreiheiten der EU diese Möglichkeiten schaffen. (Bundesrat Prähauser: Eine Behauptung!) Die Tatsache bleibt bestehen, ob wir dabei sind oder nicht.

Ich meine, daß es deshalb sehr wichtig ist, das Europäische Parlament zu stärken, weil hier vielleicht noch die Interessen der Bürger, der Kleinunternehmer, der kleinen und mittleren Betriebe, der Bauern wahrgenommen werden könnten. Ich sage das einmal konjunktivisch, weil man das heute auch noch nicht endgültig feststellen kann.

Jetzt zur EU-Wahlordnung. Bei dieser geht es ja um die Wahl der Abgeordneten zum Europäischen Parlament. Dazu muß ich sagen: Endlich liegt eine solche Wahlordnung, ein Gesetz vor. Lange mußten wir darauf warten. Wenn man zwei Jahre zurückblendet, dann erinnert man sich daran, daß uns – und auch den Bürgern – schon vor der EU-Abstimmung im Jahr 1994 versprochen wurde, daß sehr bald nach dem Beitritt im Jahre 1995 die Wahl, die Volkswahl, für das EU-Parlament stattfinden wird. Kaum waren wir Mitglied, hat man diese Wahl hinausgeschoben auf Herbst 1995, später auf Frühjahr 1996. Und jetzt sind wir endlich dort angelangt, daß ein Wahlgesetz vorgelegt wird, das eine Wahl am 13. Oktober dieses Jahres ermöglicht.

Ich habe schon im letzten Jahr – der Herr Minister wird sich daran erinnern können – hinterfragt, wer denn schuld sei oder woran es denn liege, daß bis dahin noch kein Wahlgesetz vorgelegt wurde. Der Herr Minister hat gesagt, sein Ministerium hat bereits einen Entwurf eingebracht, der liege im Parlament. Offensichtlich ist im Verfassungsausschuß dieser Gesetzentwurf liegengeblieben. Dann trifft aber auch wieder Sie der Vorwurf, denn der Obmann dieses Verfassungsausschusses ist niemand geringerer als Dr. Peter Kostelka, Ihr Klubobmann im Nationalrat.

Trotzdem, das Gesetz ist nun beschlossen, es liegt heute im Bundesrat, und wir werden diesem Gesetz unsere Zustimmung geben, obwohl wir doch auch einige Mängel daran finden und deshalb Kritik üben werden.

Eines möchte ich noch sagen: Ein anderer EU-Mitgliedstaat, der gleichzeitig wie wir der EU beigetreten ist, nämlich Schweden, war schneller. Oder war die schwedische Regierung mutiger, ein solches Wahlgesetz schneller zu beschließen und die Wahlen früher durchzuführen.

Auf jeden Fall ist dieses zweijährige Provisorium, das wir Österreicher nun als Mitglied der EU mit unseren provisorisch delegierten EU-Abgeordneten erleben, sicher kein Ruhmesblatt für den österreichischen Parlamentarismus und für die demokratische Kultur im Lande.

Die erste Kritik an diesem Gesetzentwurf – die Vorrednerin hat das auch schon angesprochen – ist der Einerwahlkreis, an dem sie nichts zu kritisieren findet, ich als Mitglied der Länderkammer des Parlaments aber sehr wohl. Als Föderalist kann man doch nicht damit einverstanden sein, daß ganz Österreich einen einheitlichen Wahlkreis bildet und es der Disposition der jeweiligen wahlwerbenden Gruppe überlassen bleibt, wen sie an welcher Stelle kandidiert. Theoretisch wäre es aufgrund dieses Gesetzes auch möglich, daß eine Partei zum Beispiel zehn Angehörige oder zehn Bürger eines Bundeslandes an die erste Stelle setzt und somit kein anderer Vertreter dieser Partei in das Europäische Parlament kommt.

Ich glaube, es wäre vernünftiger gewesen, eine entsprechende gesetzliche Regelung mit Wahlkreisen zu schaffen, vielleicht neun Wahlkreise, in denen zumindest jeweils ein Grundmandat vergeben wird, sodaß gesetzlich sichergestellt wäre, daß jedes Bundesland in Brüssel


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auch mit einem Parlamentarier vertreten ist, und dann in einem zweiten Wahlermittlungsverfahren die weiteren Mandate vergeben werden. Aber das haben Sie nicht gemacht, und deshalb wird sich der Bürger die Frage stellen: Wer vertritt mich denn eigentlich in diesem Europäischen Parlament? Wer ist jetzt mein Vertreter, wenn ich diese oder jene Partei gewählt habe, die vielleicht aus seinem Bundesland gar keinen Vertreter in Brüssel hat, so wie es der ÖVP gehen wird. Kollege Jaud lacht, aber ich habe gehört, die ÖVP wird einen Westkandidaten aufstellen, der wahrscheinlich kein Tiroler sein wird. Dann werden sich die Tiroler fragen: Wer ist denn mein Vertreter in Brüssel? Ich glaube, daß es doch wichtig ist, daß eine Identität hergestellt wird zwischen Mandant und Mandatar. Das ist das Wesen der Demokratie. Der Wähler, der Bürger, soll in einer modernen Demokratie wissen: Wer vertritt mich in welchem Gremium? Und das wird durch den Einerwahlkreis sehr aufgeweicht und ist meiner Meinung nach nicht gewährleistet. Ich hätte es viel besser gefunden, wenn man Österreich mit seinen Bundesländern wiederum in mehrere Wahlkreise aufgeteilt hätte.

Das zweite, was mir bedenklich erscheint, ist die Vorzugsstimmenregelung. Kollege Hummer hat es schon angesprochen. Wenn jemand 7 Prozent der von seiner Gruppe erzielten Wählerstimmen als Vorzugsstimmen erreicht, dann wird er als Vorzugsstimmenkandidat ein Mandat erhalten. (Bundesrat Prähauser: Wenn die Gruppe ein Mandat erreicht hat!) – Wenn die Gruppe ein Mandat erreicht, selbstverständlich.

Es wird dann zu Ungleichgewichten bei den einzelnen Parteien kommen. Nehmen wir an, die Sozialdemokraten erzielen zwei Millionen Wählerstimmen. Dann könnte ein Sozialdemokrat mit 7 Prozent, sprich mit 140 000 Vorzugsstimmen, hineinkommen, auch wenn er weiter hinten gereiht ist. Die Ungerechtigkeit sieht man, wenn man sich eine kleinere Partei anschaut, wie das Liberale Forum oder die Grünen zum Beispiel, die vielleicht 200 000 Stimmen erreichen. 7 Prozent davon sind 14 000 Stimmen. Es könnte also jemand von einer kleineren Partei mit 14 000 Vorzugsstimmen ins Europaparlament einziehen. Bei einer größeren Partei würde ein Kandidat mit 100 000 Vorzugsstimmen aber noch immer scheitern.

Ich bin nicht ganz überzeugt davon, daß das dem Gleichheitsgrundsatz entspricht. Ich fürchte, daß im Zuge der Wahlen oder der Wahlauszählung entsprechende Anfechtungen kommen könnten. Und so mancher Sozialdemokrat könnte sich dann sagen: Meine 90 000 Vorzugsstimmen sind nicht so viel wert wie die 15 000 des Kandidaten der Grünen oder des Liberalen Forums.

Das wären meine Kritikpunkte. Trotzdem sind wir froh, daß nunmehr ein Gesetz vorliegt. Wir werden deshalb diesem Gesetzesbeschluß unsere Zustimmung geben. – Danke. (Beifall bei den Freiheitlichen sowie Beifall des Bundesrates Prähauser .)

14.52

Präsident Johann Payer: Zu Wort gemeldet hat sich Herr Bundesrat Dr. Peter Kapral. Ich erteile dieses.

14.52

Bundesrat Dr. Peter Kapral (Freiheitliche, Wien): Herr Präsident! Herr Bundesminister! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich darf Sie noch kurz mit den beiden vorliegenden Gesetzesbeschlüssen des Nationalrates und meiner Stellungnahme dazu aufhalten.

Die Materie ist – das ist heute schon gesagt worden – in der letzten Legislaturperiode im zuständigen Nationalratsausschuß fast ein Jahr schubladisiert worden. Jetzt drängt die Zeit, weil wir uns dem Ende der Übergangsperiode, die uns die EU für die Direktwahl gestellt hat, nähern.

Die Begründungen, warum die Materie in der letzten Legislaturperiode nicht weiter behandelt wurde, sind sicherlich alle nicht wirklich zutreffend. Wenn von Journalisten behauptet wurde – von böswilligen Journalisten; Journalisten sind ja im Prinzip gar nicht böswillig –, daß die Regierungsparteien, die altkoalitionären Regierungsparteien, Angst vor einer EU-Wahl hätten, so ist das sicherlich nicht zutreffend. Aber jetzt zeigt sich, daß die Wahl zwangsläufig zu einem Zeitpunkt stattfinden wird müssen, da die EU-Müdigkeit der österreichischen Bürger und Bür


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gerinnen durch verschiedenste Dinge, die auch heute hier gezeigt wurden, im Steigen begriffen ist.

Ich möchte nur noch zusätzlich auf einen Aspekt hinweisen, und zwar auf die jetzt laufende, eher unglücklich laufende Diskussion über die Anonymität, bezüglich der ja von österreichischer Seite her auch der EU die Schuld gegeben wird, obwohl die Rechtslage doch ziemlich eindeutig und klar ist, wenn man sich die entsprechende Richtlinie anschaut und beachtet, daß Österreich sowohl bei den Beitrittsverhandlungen zum EWR als auch zur EU selbst keinerlei Einsprüche und Vorbehalte diesbezüglich gemacht hat. Die Stimmung ist sicherlich nicht die allerbeste, wenn wir im Herbst diese EU-Wahl durchführen.

In einem Punkt möchte ich aber der Koalition schon Respekt zollen, und zwar hinsichtlich der Frage des Wahltermines. Es ist wirklich sehr erfreulich, daß der Vorschlag, der vom Wiener freiheitlichen Landesobmann gekommen ist, EU-Wahlen und Wiener Landtags- beziehungsweise Gemeinderatswahlen zusammenzulegen, aufgegriffen wurde und über Antrag des sozialdemokratischen Abgeordneten Schieder im Nationalrat beschlossen wurde, als Wahltermin den 13. Oktober festzulegen.

Möglicherweise war der Wiener Landeshauptmann und Bürgermeister Häupl nicht allzu glücklich über diese Entscheidung, die noch dazu auf die Initiative seines Wiener Parteifreundes Schieder zurückgeht. Er hat sich ja die längste Zeit mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln gegen eine solche Zusammenlegung gesträubt, weil er fürchtet, von einer pessimistischen Grundhaltung, die sich ja in Sachen EU breitmacht, mitgerissen zu werden.

Aber es ist sicherlich im Sinne der Klugheit und der Sparsamkeit richtig, diese beiden großen Wahlgänge des heurigen Herbstes an ein und demselben Tag abzuführen, und von meiner Seite her kann ich diesem Vorhaben nur Respekt zollen. – Danke vielmals. (Beifall bei den Freiheitlichen sowie Beifall des Bundesrates Prähauser .)

14.57

Präsident Johann Payer: Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.

Wünscht noch jemand das Wort? – Es ist dies nicht der Fall.

Die Debatte ist geschlossen.

Wird von der Berichterstattung ein Schlußwort gewünscht? – Dies ist ebenfalls nicht der Fall.

Die Abstimmung über die vorliegenden Beschlüsse des Nationalrates erfolgt getrennt.

Wir kommen zur Abstimmung über den Beschluß des Nationalrates vom 31. Jänner 1996 betreffend ein Bundesgesetz über die Wahl der von Österreich zu entsendenden Abgeordneten zum Europäischen Parlament (Europawahlordnung).

Ich bitte jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, gegen den vorliegenden Beschluß des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben, um ein Handzeichen. – Dies ist Stimmeneinhelligkeit .

Der Antrag, keinen Einspruch zu erheben, ist somit angenommen .

Wir kommen zur Abstimmung über den Beschluß des Nationalrates vom 31. Jänner 1996 betreffend ein Bundesgesetz über die Führung ständiger Evidenzen der Wahl- und Stimmberechtigten bei Wahlen zum Europäischen Parlament (Europa-Wählerevidenzgesetz).

Ich bitte jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, gegen den vorliegenden Beschluß des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben, um ein Handzeichen. – Es ist dies Stimmeneinhelligkeit .

Der Antrag, keinen Einspruch zu erheben, ist somit angenommen .


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4. Punkt

Beschluß des Nationalrates vom 31. Jänner 1996 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Rechnungshofgesetz 1948 geändert wird (16 und 27/NR sowie 5133/BR der Beilagen)

Präsident Johann Payer: Wir gelangen nun zum 4. Punkt der Tagesordnung: Bundesgesetz, mit dem das Rechnungshofgesetz 1948 geändert wird.

Die Berichterstattung hat Frau Bundesrätin Ilse Giesinger übernommen. Ich bitte um den Bericht, Frau Bundesrätin.

Berichterstatterin Ilse Giesinger: Herr Präsident! Herr Minister! Sehr geehrte Damen und Herren! Wegen der Bundes-Verfassungsgesetz-Novelle 1994 ist eine Anpassung des Rechnungshofgesetzes erforderlich geworden. Daher sieht der gegenständliche Gesetzesbeschluß eine Ergänzung des Rechnungshofgesetzes durch Vorschriften über die Kontrolle der gesetzlichen beruflichen Vertretungen sowie die Beseitigung der Hinweise auf den Vizepräsidenten des Rechnungshofes vor.

Der Ausschuß für Verfassung und Föderalismus stellt nach Beratung der Vorlage am 28. Februar 1996 mit Stimmenmehrheit den Antrag , keinen Einspruch zu erheben.

Präsident Johann Payer: Ich danke der Frau Berichterstatterin für ihre Ausführungen.

Wir gehen in die Debatte ein.

Zu Wort gemeldet hat sich Herr Bundesrat Mag. Dieter Langer. Ich erteile ihm dieses.

15.00

Bundesrat Mag. Dieter Langer (Freiheitliche, Wien): Herr Präsident! Herr Staatssekretär! Hohes Haus! Sehr geehrte Damen und Herren! Die vorliegende Novelle zum Rechnungshofgesetz ist die direkte Umsetzung der Bundes-Verfassungsgesetz-Novelle des Jahres 1994. Und diese wiederum ist der unmittelbare Ausfluß eines Teils der Ereignisse des Jahres 1994. Ich meine, es ist wichtig, daß wir uns an einige dieser Begebenheiten des Jahres 1994 erinnern.

Wahl des Rechnungshofpräsidenten. Wer sich noch einigermaßen daran erinnert, weiß, wie spannend diese gewesen ist. Es wurden verschiedene Kandidaten ins Spiel gebracht, die Kooperation zwischen den gestaltenden Kräften dieses Hauses wechselte, und es kam zu einem Ergebnis, das offenbar nicht zur Zufriedenheit eines maßgeblichen Teiles der Herrschaften in diesem Hohes Hause ausfiel.

Aus Angst vor der eigenen Courage – so möchte ich fast sagen – hat man dann beschlossen, diesen Nervenkitzel, diese Ungewißheit – es könnte ja vielleicht wieder ein Vertreter der Opposition ins Präsidium des Rechnungshofes einziehen – zu beenden, und hat eine politische Entscheidung getroffen. Man hat beschlossen, die Position des Vizepräsidenten des Rechnungshofes nicht mehr zu besetzen, ja überhaupt abzuschaffen. (Ruf bei der ÖVP: Aus Sparsamkeit!) Da hätte man das anderswo auch machen können.

Wir meinen, daß es der Bedeutung des Rechnungshofes in unserem Staatswesen nicht gerecht wird, wenn die Funktion des Vizepräsidenten abgeschafft wird. Nach Vorstellung der Freiheitlichen hätte der Vizepräsident auf Vorschlag des Bundesrates gewählt werden sollen. Der Rechnungshof als wichtigstes Kontrollorgan hat in der heutigen Zeit, in der Kontrolle immer notwendiger wird, einen besonderen Stellenwert. Daher meine ich, daß man ihn nicht auf diese Art und Weise beschneiden soll.

Es gibt im Zusammenhang mit der Abschaffung der Position des Vizepräsidenten noch ein weiteres Problem, nämlich die Frage der Vertretung des Präsidenten im Verhinderungsfalle, und zwar bei einer länger andauernden Verhinderung. Letztlich ist das so geregelt, daß der älteste Beamte die Vertretung des Präsidenten übernimmt.


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Selbstverständlich kann durchaus ein Beamter der Vertreter des Präsidenten sein – ich gebe das schon zu, denn ich habe nichts gegen Beamte und schon gar nichts gegen die Beamten des Rechnungshofes, denn diese liefern wirklich gute und unabhängige Arbeit, womit ich aber nicht sagen möchte, daß andere Beamte nicht auch gute und unabhängige Arbeit liefern –, da aber gesagt wurde, die Vertretung durch einen Beamten könnte auch auf längere Zeit erfolgen, stellt sich nach den Beratungen im Ausschuß doch eine Frage nach dem Grund: Es muß doch einen Grund dafür geben, daß man in der Verfassung niedergeschrieben hat, daß der Präsident, der die Leitung des Rechnungshofes innehat, über Vorschlagsrecht des Parlaments bestellt und dort gewählt wird. – Das muß einen besonderen Grund haben, denn wenn es egal wäre, ob das ein durch das Parlament Gewählter oder ein bestellter Beamter, der den Rechnungshof leitet, ist, hätte man gleich von vornherein bestimmen können, daß die Leitung des Rechnungshofes ein Beamter zu übernehmen hat. So hätte man sich auch die Position des Präsidenten erspart. Aber das, sehr geehrten Damen und Herren, war wohl nicht der Wille des Verfassungsgesetzgebers, und darum haben wir eben die bisher gültige Vorgangsweise.

Es gibt nun einen gewählten Präsidenten, aber es gibt keine gewählte Stellvertretung, sondern eine bestellte, dekretierte. Insofern ist daher die Argumentation nicht stimmig und nicht in sich schlüssig. Ich denke, man versucht, eine politische Entscheidung, die sich ursprünglich gegen die Opposition gerichtet hatte, zu vertuschen. Man tut dem Rechnungshof damit aber sicher keinen guten Dienst.

Ich komme noch einmal auf das Jahr 1994 zurück, auf die unmittelbaren Ereignisse vor Beschlußfassung der Bundes-Verfassungsgesetz-Novelle 1994. Es waren dies Ereignisse, die sich kurz vor der Nationalratswahl und auch danach abgespielt haben. Man hat versucht, der Stimmungslage in der Bevölkerung und dem Druck der öffentlichen Meinung auszuweichen.

Es wäre ganz gut, sich daran zu erinnern, was damals geschah: Die Kammern, die Zwangsmitgliedschaft, die Gebarung der Kammern, die Bezüge waren seit Jahren in Diskussion – dieses Thema ist ja bereits seit den achtziger Jahren auf dem Tapet. Dieses Thema hat im Zuge der Nationalratswahl 1994 besondere Aktualität, aber auch Brisanz erhalten. Es war Jörg Haider – Sie erinnern sich vielleicht noch daran –, der mit Hilfe eines Taferls die Bezüge eines Angestellten der Arbeiterkammer, des Kammerdirektors Zacharias, bekanntgegeben hat. Schon vorher hatten wir über den Fall Rechberger im Bereich der Arbeiterkammer einiges gehört.

Die Opposition hatte es also gewagt, in der Öffentlichkeit Mißstände in einem geschützten Bereich aufzuzeigen. Diese Mißstände haben in der Bevölkerung berechtigten Unmut und bei den Wählern Unruhe hervorgerufen und den Wunsch nach Kontrolle laut werden lassen. Der Druck wurde groß und ist noch gewachsen, als der völlig von der Basis abgehobene Arbeiterkammerpräsident Vogler nach einer vernichtenden Niederlage und einer blamablen Wahlbeteiligung versuchte, das Ergebnis der Arbeiterkammerwahlen als Sieg zu verkaufen. Vogler mußte gehen – ich glaube, er begreift bis heute nicht, warum –, aber die Organisationsstruktur der Kammer hat sich nicht geändert. Auch nicht die Stimmungslage, sonst hätte es dieselbe Arbeiterkammer nicht notwendig gehabt, sozusagen im Vorlauf zur sogenannten Urabstimmung mit einer Fragestellung, die am wesentlichen vorbeigeht, mit einem riesigen Werbeaufwand und mit Inseraten die sogenannten Sozialpartner, nämlich die Arbeitgeber und die Unternehmer, "kübelweise anzuschütten", um diesen wienerischen Ausdruck zu verwenden.

Aus welchen Gründen auch immer, aber die Fortsetzung der bisherigen Taktik – und ausnahmsweise wird mir da auch Kollege Dr. Kaufmann recht geben – ist so, daß die Arbeiterkammer immer dann die Sozialpartnerschaft aufs Tapet bringt, wenn es um Belastungen für die Wirtschaft geht, wenn es darum geht, die Unternehmer zu diffamieren – global oder branchenweise –, oder wenn sie eigene Profilierungsnöte und einen Existenznachweis notwendig hat.

Der Unmut der Bevölkerung des Herbstes 1994 führte auch bei der Regierungskoalition zur Erkenntnis, es gäbe – wie es so schön heißt – Handlungsbedarf. Es mußte also ein Zeichen gesetzt werden. Von den vielen Dingen, die man hätte tun können, hat man sich offensichtlich jenes ausgesucht, welches am wenigsten weh tat, noch dazu in der Form eines Feigenblattes – wie wir sehen werden: eines teuren Feigenblattes für die Größe dessen, was vorliegt.


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Es wird der Rechnungshof bevollmächtigt, beauftragt, von Gesetzes wegen die Kammern zu prüfen. Doch wie sieht diese Prüfung aus? – Der Rechnungshof ist befugt, die Gebarung auf die ziffernmäßige Richtigkeit, die Übereinstimmung mit den bestehenden Vorschriften, ferner auf die Sparsamkeit und Wirtschaftlichkeit zu überprüfen. Und dann kommt es: "Diese Überprüfung umfaßt jedoch nicht die für die Gebarung in Wahrnehmung der Aufgaben als Interessenvertretung maßgeblichen Beschlüsse der zuständigen Organe der gesetzlichen beruflichen Vertretungen."

Was das heißt, ist wohl klar: Er hat zu überprüfen, ob die Addition richtig ist, ob die Summe stimmt, ob die Belege richtig eingetragen wurden, ob da nicht ein Irrtum vorliegt und ob die Kontoführung sparsam und wirtschaftlich war. (Bundesrätin Kainz: Die Gesetzmäßigkeit haben Sie vergessen!) Wir kommen schon noch darauf zu sprechen, was alles dazugehört. Daß er natürlich auch die Gesetzmäßigkeit der Beschlüsse zu prüfen hat und ob der Beschluß von einem zuständigen Organ gefaßt wurde, ist, glaube ich, nicht das wesentliche Kriterium bei einer Kontrolle der Kammern. (Bundesrätin Kainz: Die Gesetzmäßigkeit ist unwesentlich – das ist erstaunlich!)

Die Kosten in der Höhe von 12,7 Millionen Schilling im Jahr, wobei zwei Abteilungen beschäftigt werden, sind beachtlich. Der Reisekostenaufwand ist beträchtlich, weil dezentrale Organisationsstrukturen vorherrschen. – Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht naß!

Damit aber auch der übereifrigste Beamte des Rechnungshofes begreift, was er nicht darf, gibt es im Ausschußbericht noch ein Klarstellung: Er kann prüfen, ob ein für die Gebarung maßgeblicher Beschluß vorliegt, dieser Beschluß von einem zuständigen Organ gefaßt wurde und bei der Durchführung dieses Beschlusses die Grundsätze der ziffernmäßigen Richtigkeit, der Übereinstimmung mit den bestehenden Vorschriften und der Sparsamkeit und Wirtschaftlichkeit eingehalten wurden.

Und dann heißt es – ich zitiere wörtlich –: "Dagegen ist die Frage, ob eine vom zuständigen Organ beschlossene interessenpolitische Maßnahme als solche sparsam oder wirtschaftlich ist, nicht Gegenstand der Rechnungshofkontrolle."

Nach unserem Dafürhalten und unserem Antrag hätte zumindest die Zweckmäßigkeit noch hineingehört, denn im Handelskammergesetz steht auch, wie die Gebarung zu führen ist.

Wenn man das betrachtet, muß man sich fragen: Welche Angst muß wohl vorherrschen in den obersten Kammeretagen, wenn man sich nicht getraut, den Rechnungshof, das oberste Kontrollorgan dieser Republik, die Zweckmäßigkeit prüfen zu lassen, aber auch die Sparsamkeit, Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit der den Aktionen der Kammern zugrunde liegenden Beschlüsse.

Was bedeutet das im Klartext, jetzt einmal übertragen auf unseren Fall Zacharias, den ich schon erwähnt habe? (Zwischenruf des Bundesrates Dr. Kaufmann. )

Herr Zacharias in der Arbeiterkammer könnte heute mit einem Beschluß des Präsidiums oder des Vorstandes auch 300 000 S verdienen, denn diese Beschlüsse, deren Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit dürfen ja nicht überprüft werden. Da kann der Rechnungshof bestenfalls kommen und überprüfen, ob die Überweisung dieses Geldbetrages sparsam und wirtschaftlich erfolgte – und das Ganze um 12,7 Millionen Schilling.

Das bedeutet, es ändert sich praktisch nichts. Der Bevölkerung weismachen zu wollen, daß es sich hierbei um eine echte und effiziente Kontrolle handelt, ist eine Roßtäuscherei. Mir ist eine Behauptung unverständlich, wonach die Kontrolle durch den Rechnungshof, die auch Zweckmäßigkeit und anderes umfaßt, die maßgeblichen Beschlüsse, die Unabhängigkeit und Autonomie der Interessenvertretung gefährden kann. Ich hätte wirklich keine Angst davor, Herr Dr. Kaufmann. Diese Kontrolle kann man doch ohne weiteres vornehmen lassen.

Eine umfassende Rechnungshofkontrolle zeigt meines Erachtens das Verantwortungsbewußtsein im Umgang mit den anvertrauten Mitgliedsbeiträgen und würde auch das Vertrauen der


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Mitglieder in die Kammern erhöhen. Doch die vorliegende verwaschene und nicht einmal achtelherzige Lösung ist nicht geeignet, die notwendige Stärkung der Vertrauensbasis herzustellen. Und das ist etwas, was mir als Mitglied, aber auch als Kammerfunktionär weh tut. Meine Damen und Herren! Wenn Kontrolle durch den Rechnungshof, dann sinnvoll, ordnungsgemäß und in einer Form, die dem Rechnungshof angepaßt ist – dann sind auch wir dafür. Für solch eine teure Augenauswischerei stehen wir Freiheitlichen jedoch nicht zur Verfügung. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

15.17

Präsident Johann Payer: Zu Wort gemeldet hat sich Herr Bundesrat Stefan Prähauser. Ich erteile ihm dieses.

15.17

Bundesrat Stefan Prähauser (SPÖ, Salzburg): Herr Präsident! Herr Staatssekretär! Hoher Bundesrat! Ein lang gehegtes öffentliches Verlangen wird mit der heute hier zu behandelnden Gesetzesnovelle erfüllt. Der Rechnungshof bekommt Prüfungskompetenz für Kammern übertragen.

Der Nationalrat hat am 31. 1. mit einer Änderung des Rechnungshofgesetzes das Ausführungsgesetz für die Prüfung der Kammern beschlossen. Ausgenommen von der Prüfungskompetenz sind jene Beschlüsse, die Kammern als Selbstverwaltungskörper im eigenen Wirkungskreis fassen.

Überdies wird mit der Novelle die Funktion des Vizepräsidenten de facto abgeschafft. Alle Hinweise auf ihn wurden aus dem Rechnungshofgesetz gestrichen. Die Funktion war nach der Wahl des früheren Vizepräsidenten Franz Fiedler zum Präsidenten im Sommer 1992 nicht mehr nachbesetzt worden.

Mit der B-VG-Novelle 1994 waren die beiden Änderungen bereits auf Verfassungsebene beschlossen worden. Die Bundes-Verfassungsgesetz-Novelle 1994 hat die gesetzlichen beruflichen Vertretungen in die Rechnungshofkontrolle einbezogen und das Amt des Vizepräsidenten des Rechnungshofes abgeschafft, dementsprechend ist das Rechnungshofgesetz 1948 anzupassen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Diese Novelle wird – wie wir gehört haben – die Zustimmung der Freiheitlichen, der F, nicht finden. Sie befürchtet, durch die Abschaffung der Funktion des Vizepräsidenten sei der Rechnungshof geschwächt worden. Sie meint, der Vizepräsident sollte für Auskünfte und Koordination mit den Ländern zuständig sein. Da der Präsident des Rechnungshofes nicht immer und nicht gleichzeitig alle Aufgaben wahrnehmen könne, ergäben sich jetzt von der großen Koalition durchaus gewollte Querläufe und minimierte Kontrolltätigkeit.

Diese Angst ist meines Erachtens unbegründet. Es gibt im Rechnungshof eine Vielzahl von kompetenten Persönlichkeiten, die den Herrn Präsidenten nach Wunsch entlasten können und damit die von den Freiheitlichen befürchteten Querläufe verhindern werden.

Die Qualität einer Kontrolle von einem etwaigen Vizepräsidenten ableiten zu wollen, werte ich ganz einfach als absurd. Viel abgewinnen kann ich jedoch dem F-Vorschlag, den Rechnungshof als kollegiales Organ zu installieren. In diesem Zusammenhang verweise ich auf oftmalige Forderungen der Sozialdemokraten, die eben in dieselbe Richtung zielen. Eine Mehrheit haben wir für diesen Vorschlag aber bisher nicht bekommen. Auch von den Freiheitlichen war dafür keine Unterstützung zu erhalten.

Hinsichtlich der zu erwartenden Mehrkosten wird davon ausgegangen, daß die Überprüfung der gesetzlichen beruflichen Vertretung in vertretbaren Zeitabständen die Personalkapazität von zwei Prüfungsabteilungen binden wird.

Angesichts der weitgehend dezentralen Organisationsstrukturen der zu prüfenden Einrichtungen ist auch nicht mit einem beträchtlichen Reisekostenaufwand zu rechnen. Daraus ergeben sich


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nach Berechnungen des Rechnungshofes die im Vorblatt genannten jährlichen Kosten von rund 10,5 Millionen Schilling und 2,2 Millionen Schilling für den Sachaufwand. Dieses Geld halte ich im Sinne einer gewünschten Ausweitung des Prüfungsumfanges für gut angelegt.

Ich darf bei der Gelegenheit auch anmerken, daß allein durch die Einsparung des Vizepräsidenten 5 Millionen Schilling an Personalaufwand wegfallen, also die Hälfte dessen, was eine Mehrarbeit letztendlich kosten würde. Ich glaube, hier kann man noch einmal verstärkt sagen, dieses Geld ist gut angelegt, und die Befürchtungen der freiheitlichen Partei, daß die Kontrollmechanismen nicht ausreichen, die Qualität nicht dem entsprechen wird, was man erwartet, muß ich und darf ich auch hier guten Gewissens zerstreuen.

Hoher Bundesrat! Meine Fraktion nimmt diese Gesetzesnovelle mit Zustimmung zur Kenntnis und wird sie nicht beeinspruchen. – Ich danke Ihnen. (Beifall bei der SPÖ.)

15.22

Präsident Johann Payer: Zu Wort gemeldet hat sich Herr Bundesrat Dipl.-Ing. Richard Kaiser. Ich erteile ihm dieses.

15.22

Bundesrat Dipl.-Ing. Richard Kaiser (ÖVP, Niederösterreich): Herr Präsident! Herr Staatssekretär! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Bundes-Verfassungsgesetz-Novelle 1994 hat die gesetzlich berufenen Vertretungen in die Rechnungshofkontrolle einbezogen. Das Rechnungshofgesetz 1948 wurde nun vom Nationalrat entsprechend angepaßt und wird diesbezüglich dem Bundesrat zur Genehmigung vorgelegt.

Die Kammern, so glaube ich, scheuen diese Kontrolle nicht, denn schon in der Vergangenheit hat es – zumindest im Bereich der Landwirtschaftskammern – Kontrollen gegeben, allerdings nur für den Bereich, in dem die Kammern etwa Bundesmittel verwaltet oder Förderungsmaßnahmen abgewickelt haben. Die vorliegende Novelle erweitert nun die Prüfungsrechte auch auf die Arbeit der Kammern selbst. Diese haben nichts zu verbergen und verfügen schon bisher über ein umfangreiches Prüf- und Kontrollsystem.

Zu dem Zwischenruf, der vorhin gemacht wurde: Natürlich hat es da und dort Entwicklungen gegeben, die die ganze Situation erschüttert haben, aber da, so glaube ich, ist es eher an der Ineffizienz beziehungsweise der Durchführung des Prüfsystems gelegen. Die Kammern sind nicht irgendwelche freiwillige Vereinigungen besonderer Interessen von Reicheren, sondern sind gesetzlich beauftragte Selbstverwaltungskörper.

Ich kenne mich ein wenig bei der Niederösterreichischen Landwirtschaftskammer aus, die im Jahr 1922 gegründet wurde. Vorher gab es sehr wohl auch Interessenvertretungen auf Vereinsbasis, aber die haben sich nur für Großbauern, für Gutsbewirtschafter beziehungsweise für Großgrundbesitzer eingesetzt, während die kleineren Bauern überhaupt keine Stütze gehabt haben, und sie waren auch nicht in der Lage, sich einen Apparat aufzubauen.

Die Kammern haben ihre Vollversammlungen, die in Urwahlen gewählt werden, wobei die gleichen Regeln gelten wie etwa bei der Nationalrats- oder Landtagswahl. In den Kammergesetzen sind auch die Organe festgelegt. Oberstes Organ ist die Vollversammlung; sie wählt das Präsidium oder in einigen Bundesländern den Vorstand. Für alle Bereiche gibt es Ausschüsse, in denen – wie im Parlament – die Aufgaben intensivst beraten werden. In allen Kammern gibt es Kontrollausschüsse, in denen die Minderheitsfraktionen vertreten sind. Bei der Niederösterreichischen Landwirtschaftskammer sieht das Gesetz sogar vor, daß die Funktion des Kontrollausschuß-Vorsitzenden der kleinsten Fraktion zusteht und alle Fraktionen, egal wie stark sie sind, im Kontrollausschuß vertreten sind.

Die Bundeskammern unterliegen überdies der Aufsicht des zuständigen Ministers, die Landeskammern jener des zuständigen Landesrates. Ich möchte mich in dem Zusammenhang nicht besonders über die Pflichtmitgliedschaft auslassen, aber ich meine doch, man sollte zur Kenntnis nehmen, daß die ganze Diskussion zu Urabstimmungen geführt hat, und diese Urabstimmungen haben durchwegs zu Zustimmung bei 80 beziehungsweise 100 Prozent der


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betroffenen Mitglieder geführt – genauer gesagt: 80 und 97,9 Prozent, damit das exakt der Wahrheit entspricht. (Beifall bei der ÖVP.)

Die Pflichtmitgliedschaft bewirkt, daß in den betroffenen Kammern die Interessen aller Mitglieder – ich möchte das noch einmal festhalten – wahrgenommen werden, also auch jener, die sich eine Vertretung ihrer speziellen Interessen nicht leisten können. Die jeweilige Kammer spricht daher auch im Namen aller ihrer Mitglieder und kann sich Entscheidungen nicht leichtmachen. An den Entscheidungsprozessen nehmen alle gewählten Fraktionen – allerdings entsprechend ihrer Stärke – teil, im Fall der Kontrolle, wie ich erwähnt habe, sogar überproportional.

Ich glaube, daß die Kammern auch zu keiner Machtkonzentration, wie das manchmal behauptet wird, führen. Die Alternative dazu wäre nämlich die widerspruchslose Allmacht des Staates, in dem sich wieder nur einige Lobbys Gehör verschaffen können. Unsere Sozialpartnerschaft findet in West und Ost größtes Interesse und ist der Schlüssel zum sozialen Frieden. Gerade in den letzten Monaten hat die Sozialpartnerschaft wieder gezeigt, welcher Stabilisierungseffekt und welche Leistungsfähigkeit in Richtung gerechter Verteilung von Lasten oder Erträgen in ihr steckt.

Die Kontrolle des Rechnungshofes ist eine logische Folge der verfassungsrechtlichen Änderungen. Es ist sicher wichtig, daß die Prüfergebnisse den obersten Organen, nämlich den Vollversammlungen und Kontrolleinrichtungen der Selbstverwaltungskörper, übermittelt werden und nicht – wie das gefordert wird – auch dem Parlament. Ich glaube, damit soll auch sichergestellt sein, daß die Prüfergebnisse nicht für tagespolitisches Hickhack verwendet werden, sondern zur Optimierung der Arbeit in den Kammern selbst beitragen. Den einzelnen Fraktionen werden sie im übrigen bekanntgegeben. Hiebei ist festzuhalten, daß die Arbeiterkammer unter Bedachtnahme auf ihre Zuständigkeiten, Aufgaben und Beschlüsse zu prüfen ist.

Die Kammern und ihre Vollversammlungen müssen die Zweckmäßigkeit ihrer Beschlüsse selbst tragen. Es ist sicher nicht Aufgabe des Rechnungshofes, Wertungen über die Inhalte der Beschlüsse wahrzunehmen, insbesondere bei speziellen Agenden dieser gesetzlichen Interessenvertretungen. Ich sage dazu nur ein paar Stichworte: In bezug auf Steuerfragen könnte man sagen, es wäre für den Staat billiger, wenn die Interessenvertretungen in diesem Bereich nicht tätig werden. Das gleiche gilt für Einkommenspolitik, Preiserhebungen oder zum Beispiel für die heute schon erwähnte Frage der Weitergabe von EU-Preisermäßigungen bei Lebensmittel, PKWs, Produktionsmittel und so weiter, oder etwa Beschlüsse von Maßnahmen hinsichtlich des Umweltschutzes beziehungsweise die Vorbereitung und Begutachtung von Gesetzen.

Ich glaube, daß es richtig ist, daß die Prüfergebnisse den zuständigen Gremien zur Verfügung gestellt werden. Zu den Kosten möchte ich nur sagen: Ich glaube, daß man mit ihnen leben kann; wenn zwei Abteilungen damit beschäftigt sind, kann man das durchaus akzeptieren.

Ich möchte nur zum Schluß noch festhalten: Man kann zur Frage: "Vizepräsident – ja oder nein" verschiedener Meinung sein. Trotzdem glaube ich, daß in dem Gesetz jemand festgelegt sein soll, der befugt ist, Entscheidungen zu treffen. Auch die Beamten des Rechnungshofes unterliegen der Eidespflicht; das heißt, sie sind vereidigt auf Einhaltung der Gesetze und auf Unparteilichkeit. Wenn tatsächlich der Präsident einmal verhindert wäre und der ranghöchste Sektionschef in seinem Namen oder als sein Nachfolger in diesem Fall Entscheidungen trifft, dann trifft er sie nicht als Person oder als Mann, der vielleicht auch eine politische Einstellung hat, sondern in seiner Funktion als vereidigter höchster Beamter. Ich glaube, daß hier nicht die geringste Gefahr besteht, daß irgendwann einmal eine Entscheidungslücke gegeben wäre.

Also alles in allem glaube ich, dort, wo es Schwierigkeiten gegeben hat, hoffe ich, daß die Neuregelung Besserung bringt, und dort, wo es immer schon in Ordnung war, stellt sie eine zusätzliche Kontrolle dar, die niemandem schadet. – Danke schön. (Beifall bei der ÖVP.)


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15.30

Präsident Johann Payer: Zu Wort gemeldet hat sich Herr Bundesrat Dr. Kurt Kaufmann. Ich erteile es ihm.

15.30

Bundesrat Dr. Kurt Kaufmann (ÖVP, Niederösterreich): Herr Staatssekretär! Herr Präsident! Hoher Bundesrat! Die Vorgeschichte zur heutigen Novelle zum Rechnungshofgesetz 1988 wurde hier schon hinlänglich erläutert. Es geht vor allem um ein Ausführungsgesetz zur Bundes-Verfassungsgesetz-Novelle 1994. Wenn man sich auf die Rechnungshofkontrolle bei den Kammern bezieht, geht die heutige Novelle auf gewisse Mißstände in der Steirischen Arbeiterkammer zurück, die dazu geführt haben, daß nun sämtliche Kammern der Rechnungshofkontrolle unterworfen werden.

Ich glaube, mit dieser Bestimmung, die heute zur Diskussion steht, wird das Kind mit dem Bade ausgegossen. Es hätte genügt, daß auch in der Arbeiterkammer entsprechende Kontrolleinrichtungen geschaffen worden wären. Sie sind ja auch 1992 – das muß man hier ordnungshalber sagen – eingeführt worden.

Meine Damen und Herren! Natürlich reizt es, wenn Mag. Langer hier zu den Interessenvertretungen spricht, etwas dazu zu sagen – vor allem wenn Sie einerseits Krokodilstränen weinen, was die Rechnungshofkontrolle kostet, und andererseits Angst haben, daß die Kontrolle nicht die entsprechende Effizienz hat.

Ich glaube, hier geht es um eine grundsätzliche Frage; es geht um die freien Berufsvertretungen in diesem Staate. Meine Damen und Herren! Unsere Bundesverfassung folgt einem föderalistischen Prinzip – das betone ich bewußt hier in der zweiten Kammer des Parlaments –, einem föderalistisches Prinzip, das sich nicht nur darauf bezieht, daß wir territoriale Gliederungen in Gebietskörperschaften haben – seien es Bundesländer und Gemeinden –, sondern wir haben auch Gliederungen nach Berufsständen. Diese Gliederungen sind unabhängige Institutionen, die zur Vertretung der verschiedensten Interessen der Bevölkerung gegenüber dem Staat dienen.

Es wurde heute schon erwähnt: Nicht umsonst wurden im Zeitalter des Liberalismus vor mehr als 100 Jahren die Handelskammern geschaffen – damals als unabhängiges Bollwerk gegen den staatlichen Einfluß, als unabhängige Standesvertretungen. Und durch die Bundes-Verfassungsgesetz-Novelle und durch das heutige Gesetz besteht natürlich die Gefahr oder die Angst, daß die Unabhängigkeit dieser beruflichen Interessenvertretungen eingeengt wird oder verlorengeht.

Meine Damen und Herren! Ich möchte sagen, die Wirtschaftskammern Österreichs brauchen sich vor dieser Kontrolle des Rechnungshofes in keiner Weise zu fürchten. Die Kammern sind bereits im Zusammenhang mit dem Außenhandelsförderungsbeitrag immer der Rechnungshofkontrolle unterlegen. Es wurden auch immer wieder Mißstände, die dort und da aufkommen – dort, wo Menschen sind, kann natürlich in gewissen Bereichen immer wieder etwas passieren –, aufgezeigt.

Meine Damen und Herren! Die Wirtschaftskammern haben als erste Kammern im Jahr 1946 im § 58 Handelskammergesetz einen unabhängigen Kontrollausschuß verankert, einen Kontrollausschuß, der von einem Leiter mit sieben Prüfern begleitet wird, der aus 15 Personen besteht und in dem aufgrund der letzten Kammergesetznovelle die zweitstärkste Gruppierung den Vorsitz führt. Dieser Kontrollausschuß hat nun schon 50 Jahre effizient und sparsam die Kammern überprüft. Es erhebt sich nunmehr die Frage, ob der bürokratische und finanzielle Aufwand nicht in einem krassen Widerspruch zu dem erklärten Willen aller Parteien, Kosteneinsparungen im Bundesbudget zu erreichen, stehen.

Es waren nicht nur die Wirtschaftskammern; auch die Kammern der freien Berufe hatten sich zur Kontrolle unabhängiger Wirtschaftsprüfer bedient. Auch in diesen Kammern hat es Kontrollausschüsse gegeben, und über diesen steht noch die Aufsichtsbehörde. Das heißt, unser Kammersystem war schon bisher einer entsprechenden Kontrolle unterworfen, und man hätte diese Einrichtungen in dem einen oder anderen Fall entsprechend effizienter gestalten können, um vielleicht solche steirischen "Rechbergereien" hintanzustellen.

Es geht auch noch um eine zweite Frage, die Mag. Langer angeschnitten hat, und zwar um den Prüfungsauftrag, den der Rechnungshof bei den Kammern hat. Für die Kammer ist es zuviel,


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was hier geprüft wird. Für die Freiheitlichen ist es naturgemäß zuwenig. Das war mir bei dieser Formulierung eigentlich klar. Es wird aber sicherlich genügend Anlaß zu Streitereien und Abgrenzungsschwierigkeiten geben, weil nach dem vorliegenden Gesetzentwurf nur die Sparsamkeit und die Wirtschaftlichkeit geprüft werden sollen, nicht aber die Gebarung der Interessenvertretung in Wahrung ihrer Aufgaben.

Diesbezüglich gibt es eine Reihe von Gutachten von Universitätsprofessoren – ich möchte nur Professor Korinek zitieren, der immer wieder darauf hingewiesen hat, daß ein Prüfungsauftrag eine Einheit zwischen Sparsamkeit, Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit ist und daß man diese drei Tatbestände nicht trennen kann. Das heißt also, wenn die Wirtschaftlichkeit und die Sparsamkeit überprüft werden, dann wird natürlich auch automatisch die Zweckmäßigkeit überprüft. Darin sehe ich heute schon eine Gefahr für die Unabhängigkeit der Kammern.

Da immer wieder kritisiert wird, daß diese Kontrollberichte nur den jeweiligen Organen vorzulegen sind und nicht dem Parlament und den Landtagen, möchte ich betonen, daß auch diese Organe dafür zuständig sind. In diesen Organen sind sämtliche Wählergruppen vertreten. Es sind also durchaus die richtigen Organe, denen die Berichte vorgelegt werden. Stellen Sie sich nur vor, die Kürschnerinnung macht eine Werbeaktion für Pelze, und dann wird der Bericht dem Nationalrat vorgelegt, dort gibt es aufgebrachte Grüne, die hysterische Tierschützer sind und nun gegen den Pelzhandel vorgehen.

Das heißt also, wir wollen bewußt die Tagespolitik aus diesem Bereich heraushalten. Das ist einer der Gründe, warum wir gesagt haben, daß, wenn schon die Kontrolle durch den Rechnungshof erfolgen soll, diese Berichte auch den entsprechenden Organen vorzulegen sind, deren Vorsitzende aufgrund des Gesetzes verpflichtet sind, dann für die entsprechende Publizierung zu sorgen. Ähnliches erfolgt bei den Gemeinden, wo – auch wenn der Rechnungshof prüft – die entsprechenden Kontrollberichte nur der Gemeinde vorgelegt werden.

Kollege Langer erzählt immer wieder von der Zwangsmitgliedschaft bei den Kammern. Ich glaube, Kollege Langer, Sie haben wohl ganz übersehen beziehungsweise nicht registriert, daß wir in den letzten Wochen und Monaten Mitgliederbefragungen gehabt haben und daß diese Mitgliederbefragungen bei der Landwirtschaftskammer, bei den Ärztekammern und bei den Wirtschaftskammern ein überwältigendes positives Ergebnis gebracht haben. (Bundesrat Eisl: Herr Kollege! Da war die Fragestellung wie bei der EU! Darum ist es ja denen gegangen!)

Meine Damen und Herren! Regen Sie sich nicht auf! Es war ein überwältigendes Ergebnis, das erzielt wurde. Ich hoffe nur, daß es auch bei den Arbeiterkammern ein positives Ergebnis geben wird, denn eine Sozialpartnerschaft kann nur aus den vier Bereichen bestehen.

Natürlich ist mir die Kritik des Herrn Kollegen Langer bewußt: Es ist nicht gut für die Arbeiterkammern, übers Ziel zu schießen und wenn eine Kammer ihre Machtpotentiale ausspielt. Die Sozialpartnerschaft hat sich in Österreich bewährt; sie kann nur bestehen, wenn diese vier Bereiche zusammenarbeiten. Daher, so glaube ich, ist das Ergebnis dieser Abstimmungen ein Beweis dafür, daß die Mitglieder der Kammern sehr wohl wissen, was sie an den Kammern und an den Standesvertretungen haben. (Beifall bei ÖVP und SPÖ. – Zwischenruf.)

Herr Kollege! Ich kann es Ihnen im Detail sagen, damit Sie ungefähr wissen, wie die Ergebnisse aussehen, denn anscheinend sind sie Ihnen vielfach nicht bekannt.

Ich bleibe noch bei den Ärztekammern: in Salzburg 87 Prozent positiv, in Oberösterreich 87 Prozent, in der Steiermark 87 Prozent, in Vorarlberg 84 Prozent, in Kärnten 87 Prozent, in Tirol 84 Prozent positiv für die Kammern. (Bundesrat Eisl: Es sind die Funktionäre hingegangen! – Bundesrat Prähauser: Bekannt wird es der F schon sein, aber unangenehm!) Ich wollte es hier sagen, damit es auch in den Parlamentsprotokollen dokumentiert ist.

Bei den Wirtschaftskammern: im Burgenland 88,8 Prozent, in Vorarlberg 85 Prozent, in Oberösterreich 85 Prozent, in Wien 84 Prozent, in Niederösterreich 82 Prozent, in Kärnten 82 Prozent, in Tirol 80 Prozent, in Salzburg 79 Prozent, in der Steiermark 74 Prozent.


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In den Landwirtschaftskammern waren über 90 Prozent, 91 Prozent, bei der Niederösterreichischen Landwirtschaftskammer; Tirol 98 Prozent und in der Steiermark eine Zweidrittelmehrheit.

Es war notwendig, das auch einmal hier zu zitieren, damit die F endlich einmal aufhört, dauernd von der Zwangsmitgliedschaft zu reden, als ob das eine Zwangsbeglückung wäre. (Bundesrat Eisl: Das haben wir nicht gewußt! Jetzt wissen wir es!)

Werte Kollegen! Wir haben eine gesetzliche Mitgliedschaft in der Bundesverfassung verankert, und unsere Mitglieder sind sehr wohl zufrieden damit.

Ich glaube, daß es nach wie vor die wichtigste Aufgabe der sozialpartnerschaftlichen Politik ist, den sozialen Frieden in diesem Lande zu erhalten, und das ist nicht nur von wirtschaftlicher, sondern auch von innenpolitischer Bedeutung. Die Sozialpartnerschaft stellt den Garant des sozialen Friedens in Österreich dar, und viele Länder in Europa wären froh, wenn sie etwas ähnliches wie unsere Sozialpartnerschaft hätten.

Meine Damen und Herren! Trotz aller Kritik an dieser Rechnungshofgesetz-Novelle wird unsere Fraktion dieser Novelle ihre Zustimmung erteilen. (Beifall bei ÖVP und SPÖ.)

15.42

Präsident Johann Payer: Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.

Wünscht noch jemand das Wort? – Bitte, Herr Kollege Bundesrat Langer.

15.42

Bundesrat Mag. Dieter Langer (Freiheitliche, Wien): Herr Präsident! Herr Staatssekretär! Sehr geehrte Damen und Herren! – Herr Dr. Kaufmann! Ich bin froh, daß Sie uns die Ergebnisse der Kammerwahlen – das waren eigentlich gar keine Kammerwahlen, das war auch keine Urabstimmung, sondern eine Mitgliederbefragung – zur Kenntnis brachten. Aber Sie haben dabei eines vergessen, nämlich die magere Beteiligung der Mitglieder an diesen Befragungen bekanntzugeben. Ich kann Ihnen aber auch sagen, warum das so war.

Ihr Wirtschaftsminister Johannes Ditz hat in einer Anfragebeantwortung erklärt – ich zitiere; das ist eine Zusammenfassung seiner Antwort –: Nein, die Wirtschaftskammern befragen lediglich ihre Mitglieder über die Akzeptanz ihrer Interessenvertretung, nicht jedoch über deren Abschaffung oder die Abschaffung der Pflichtmitgliedschaft. (Zwischenruf bei der ÖVP.) Sie hätten sich wirklich nicht fürchten müssen, die richtige Fragestellung zu wählen. (Weitere Zwischenrufe bei der ÖVP.) Das glaube ich nicht.

Denn wenn Sie hätten wissen wollen, was die Mitglieder wirklich haben wollen, dann hätten Sie nämlich die Frage folgendermaßen gestellt: Sind Sie für eine freiwillige Mitgliedschaft in einer leistungsorientierten Kammer? – Das wäre die richtige Fragestellung gewesen! Dann hätten die Mitglieder eine Alternative gehabt. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

15.45

Präsident Johann Payer: Es liegt mir eine weitere Wortmeldung vor. – Dr. Kaufmann, bitte.

15.45

Bundesrat Dr. Kurt Kaufmann (ÖVP, Niederösterreich): Die dringliche Anfrage fängt ohnehin erst um 16 Uhr an, also habe ich noch ein paar Minuten Zeit.

Kollege Langer! Sie haben nur die Hälfte zu diesem Thema gesagt. Die Beschlüsse über die Fragestellung bei der Mitgliederbefragung sind in den Kammervorständen gefaßt worden. Ich kann mich noch sehr gut daran erinnern, daß die niederösterreichischen Kollegen Ihrer Fraktion ursprünglich dieser Fragestellung zustimmen wollten – in Tirol haben sie es ja sogar gemacht, einer hat zugestimmt, und einer war dagegen –, und erst als sie hinausgegangen sind und sich vom höheren Meister die Order haben geben lassen, haben sie dagegengestimmt. Sie wollten lieber hinausgehen. Ihnen war das Ganze unangenehm, denn sie sind heute sehr wohl in allen Bereichen in der Kammer verankert, sie haben die Möglichkeit der Kontrollfunktionen, und sie


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wissen auch, welche Funktion die Kammer heute hat. Das heißt: Es haben die freiheitlichen Kollegen durchaus die Möglichkeit gehabt, da mitzumachen.

Weil Sie sagen, Herr Kollege, es seien wenig Leute zu dieser Abstimmung gegangen, so kann ich genauso den Umkehrschluß ziehen, daß jene, die nicht hingegangen sind, für die Kammern sind. Sie hätten ja die Gelegenheit gehabt, Ihre angeblichen Massen, jede Menge an Kollegen, die Sie haben, die gegen dieses Kammersystem sind, hinzubringen. Das ist Ihnen offenbar nicht gelungen, und daher ist dieses Ergebnis zustande gekommen, und wir sind froh darüber, daß wir dieses Ergebnis erreicht haben. (Beifall bei der ÖVP.)

15.46

Präsident Johann Payer: Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.

Wünscht noch jemand das Wort? – Es ist dies nicht der Fall.

Die Debatte ist geschlossen.

Wird von der Berichterstattung ein Schlußwort gewünscht? – Dies ist nicht der Fall.

Wir kommen zur Abstimmung.

Ich bitte jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, gegen den vorliegenden Beschluß des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben, um ein Handzeichen. – Es ist dies Stimmenmehrheit.

Der Antrag, keinen Einspruch zu erheben, ist somit angenommen.

5. Punkt

Selbständiger Antrag der Bundesräte Bieringer, Konečny, Dr. Kapral betreffend ein Bundesverfassungsgesetz, mit dem das Bundes-Verfassungsgesetz in der Fassung von 1929 geändert wird (91/A-BR und 5134/BR)

Präsident Johann Payer: Wir gelangen nun zum 5. Punkt der Tagesordnung: Selbständiger Antrag der Bundesräte Bieringer, Konečny, Dr. Kapral betreffend ein Bundesverfassungsgesetz, mit dem das Bundes-Verfassungsgesetz in der Fassung von 1929 geändert wird.

Die Berichterstattung hat Frau Bundesrätin Ilse Giesinger übernommen. Ich bitte um den Bericht.

Berichterstatterin Ilse Giesinger: Die Bundesräte Bieringer, Konečny und Dr. Kapral haben am 19. Feber 1996 den Antrag 91/A-BR/96 eingebracht und wie folgt begründet:

Mit der vorgeschlagenen Verfassungsbestimmung soll analog dem Hauptausschuß des Nationalrates auch einem EU-Ausschuß des Bundesrates die selbständige Erledigung von Stellungnahmen gemäß Artikel 23e B-VG anstelle des Bundesrates ermöglicht werden.

Der Ausschuß für Verfassung und Föderalismus hat diesen Antrag in seiner Sitzung am 28. Feber 1996 in Verhandlung genommen.

Bei der Abstimmung wurde mit Stimmeneinhelligkeit beschlossen, dem Hohen Hause die Annahme des gegenständlichen Antrages zu empfehlen.

Als Ergebnis seiner Beratung stellt der Ausschuß für Verfassung und Föderalismus somit den Antrag, der Bundesrat wolle gemäß Artikel 41 Abs. 1 B-VG dem Nationalrat den nachstehenden Gesetzesvorschlag zur geschäftsordnungsmäßigen Behandlung unterbreiten:

Der Bundesrat wolle beschließen:


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Gemäß Artikel 41 Abs. 1 B-VG in Verbindung mit § 21 der Geschäftsordnung des Bundesrates wird dem Nationalrat der nachstehende Gesetzesantrag zur geschäftsordnungsmäßigen Behandlung unterbreitet:

Der Nationalrat wolle beschließen:

Bundesverfassungsgesetz vom ..., mit dem das Bundes-Verfassungsgesetz in der Fassung von 1929 geändert wird.

Der Nationalrat hat beschlossen:

Das Bundes-Verfassungsgesetz in der Fassung von 1929, zuletzt geändert durch das Bundesverfassungsgesetz, BGBl. Nr. 1013/1994, wird wie folgt geändert:

In Artikel 23e Abs. 6 wird folgender letzter Satz angefügt:

"Dabei kann insbesondere geregelt werden, inwieweit für die Behandlung von Vorhaben im Rahmen der Europäischen Union anstelle des Bundesrates ein hiezu bestimmter Ausschuß zuständig ist und die Wahrnehmung der Zuständigkeiten gemäß dem ersten Absatz und diesem Absatz dem Bundesrat selbst vorbehalten ist."


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Präsident Johann Payer:
Ich danke der Frau Berichterstatterin für ihre Ausführungen.

Wir gehen in die Debatte ein.

Zu Wort gemeldet hat sich Herr Bundesrat Albrecht Konečny. – Ich mache darauf aufmerksam, daß ich pünktlich um 16 Uhr die dringliche Anfrage aufrufen werde.

15.51

Bundesrat Albrecht Konečny (SPÖ, Wien): Herr Präsident! An mir wird es nicht liegen, ob das möglich ist oder nicht. – Der Antrag und der Bericht des Ausschusses sprechen für sich. Dieser gemeinsame Antrag soll in unserer Wahrnehmung von Mitsprachemöglichkeiten in Fragen der EU ein höheres Maß an Flexibilität und Reaktionsmöglichkeit erreichen, indem wir analog zum Hauptausschuß des Nationalrates einen Ausschuß des Bundesrates, den EU-Ausschuß, wie ich doch annehmen darf, mit dieser Aufgabe betrauen wollen.

Ich glaube, daß wir damit nichts an den Möglichkeiten des Plenums des Bundesrates preisgeben, daß wir aber gerade angesichts der Sitzungsrhythmik des Bundesrates eine erhöhte Flexibilität und eine geringere Reaktionszeit möglich machen, und ich darf Sie daher ersuchen, so wie die Bundesräte meiner Fraktion diesem Antrag Ihre Zustimmung zu geben. (Beifall bei der SPÖ.)

15.52

Präsident Johann Payer: Zu Wort gemeldet hat sich Herr Bundesrat Ludwig Bieringer. – Bei ihm erspare ich mir diesmal diesen Beisatz. (Heiterkeit.) – Bitte.

15.52

Bundesrat Ludwig Bieringer (ÖVP, Salzburg): Herr Präsident! Herr Staatssekretär! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Bereits bei der 601. Sitzung des Bundesrates am 14. Juni 1995 haben wir diesen Antrag eingebracht. Aufgrund der Auflösung des Nationalrates war es nicht mehr möglich, daß der Nationalrat diesen Antrag behandelt hat. Ich würde daher genauso wie mein Vorredner bitten, daß wir diesem Antrag die Zustimmung erteilen, weil ich glaube, daß es unbedingt notwendig ist, daß sich analog zum Nationalrat auch beim Bundesrat ein eigener Ausschuß mit den Geschäftsstücken der EU befaßt. Wenn man bedenkt, daß etwa 30 000 Geschäftsstücke mit etwa 100 000 Blättern jährlich von der EU kommen, dann wird man einsehen, daß es unbedingt notwendig ist, daß so wie im Nationalrat auch im Bundesrat ein eigener Ausschuß damit befaßt wird.

In diesem Sinne wird meine Fraktion selbstverständlich diesem Dreiparteienantrag die Zustimmung erteilen. (Beifall bei ÖVP und SPÖ.)

15.53

Präsident Johann Payer: Weiters zu Wort gemeldet hat sich Herr Bundesrat Dr. Peter Kapral. Ich erteile dieses.

15.53

Bundesrat Dr. Peter Kapral (Freiheitliche, Wien): Herr Präsident! Herr Staatssekretär! Sehr geehrte Damen und Herren! In seltener Einmütigkeit darf ich mich dem Appell meiner beiden Vorredner, diesem Antrag Ihre Zustimmung zu geben, anschließen. Wie schon ausgeführt, handelt es sich hiebei nur um die Wiedervorlage eines in der letzten Legislaturperiode dem Nationalrat übermittelten Antrages, der dort nicht erledigt wurde.

Aber quasi als Ceterum censeo: Es geht nicht nur um die Frage der Enderledigung von EU-Beschlüssen durch einen bereits existierenden Ausschuß, wozu eben diese Bestimmung notwendig ist, sondern es geht auch darum, daß in der Geschäftsordnung des Bundesrates für die Behandlung dieser EU-Geschäftsstücke einige Vorkehrungen zu treffen sind. Ich darf die Gelegenheit hier nutzen, um an die Vertreter der beiden anderen Fraktionen die Bitte zu richten – so wie ich dies in der letzten Sitzung des Bundesrates getan habe –, dieser Frage Aktualität zuzumessen und Gespräche über solche Ergänzungen der Geschäftsordnung aufzunehmen, weil ich glaube, daß es dem Nationalrat gegenüber von Wirkung sein könnte, wenn der Bundesrat jene Fragen, die im Zusammenhang mit der Tätigkeit des EU-Ausschusses stehen, die er in eigener Wirksamkeit erledigen kann, erledigt und damit dem Nationalrat kundtut, daß auch er gefordert ist, da möglichst bald eine Entscheidung zu treffen. – Danke. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

15.56

Präsident Johann Payer: Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.

Wünscht noch jemand das Wort? – Es ist dies nicht der Fall.

Die Debatte ist geschlossen.

Wird von der Berichterstattung ein Schlußwort gewünscht? – Dies ist nicht der Fall.

Wir kommen zur Abstimmung über den vorliegenden Gesetzesantrag 91/A-BR/96.

Ich bitte nunmehr jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag des Ausschusses für Verfassung und Föderalismus auf Annahme des Gesetzesantrages und Vorlage an den Nationalrat zustimmen, um ein Handzeichen. – Es ist dies Stimmeneinhelligkeit.

Der Antrag auf Annahme des Gesetzesantrages und Vorlage an den Nationalrat ist somit angenommen.

Der Gesetzesantrag wird gemäß Artikel 41 Abs. 1 Bundes-Verfassungsgesetz dem Nationalrat zur geschäftsordnungsmäßigen Behandlung unterbreitet.

Die Tagesordnung ist erschöpft.

Abstimmung über Fristsetzungsantrag

Präsident Johann Payer: Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Bundesräte Dr. Kapral, Dr. Bösch und Kollegen, gemäß § 45 Abs. 3 der Geschäftsordnung des Bundesrates dem Sozialausschuß zur Berichterstattung betreffend den Bericht des Bundesministers für Arbeit und Soziales über die soziale Lage 1994 eine Frist bis zum 18. März 1996 zu setzen.

Ich ersuche jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem genannten Antrag zustimmen, um ein Handzeichen. – Das ist die Minderheit. Der Antrag ist somit abgelehnt.


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Stenographisches Protokoll
609. Sitzung / Seite 85

Dringliche Anfrage

der Bundesräte Dr. Peter Kapral, Dr. Reinhard Eugen Bösch und Kollegen an den Bundeskanzler betreffend Aushöhlung des Föderalismus (1164/J-BR/96)

Präsident Johann Payer: Wir gelangen nunmehr zur Verhandlung der dringlichen Anfrage Nr. 1164/J-BR/96 der Bundesräte Dr. Kapral, Dr. Bösch und Kollegen an den Herrn Bundeskanzler betreffend Aushöhlung des Föderalismus.

Da diese inzwischen allen Bundesräten zugegangen ist, erübrigt sich eine Verlesung durch die Schriftführung.

Die dringliche Anfrage hat folgenden Wortlaut:

Die von der Bundesregierung seit 1989 angestrebte Teilnahme Österreichs an der Europäischen Integration hat in den mit 1. Jänner 1995 erfolgten Beitritt Österreichs zur Europäischen Union gemündet. Seit Beginn der Integrationsbemühungen war unbestritten, daß die damit verbundene Verlagerung von Kompetenzen an Unionsorgange auch eine zeitgemäße Neuordnung der innerstaatlichen Kompetenzverteilung zwischen dem Bund und den Ländern nach sich ziehen müsse. Im sogenannten Perchtoldsdorfer Übereinkommen vom Oktober 1992 wurden deshalb zwischen dem Bundeskanzler als Vertreter des Bundes und dem damaligen Landeshauptmann von Niederösterreich als Vertreter der Länder eine "große Bundesstaatsreform" paktiert und in der Folge eine entsprechende Regierungsvorlage (14 NR der Beilagen, XIX. GP, Bundes-Verfassungsgesetz-Novelle 1994) sowie entsprechende Änderungen des Finanz-Verfassungsrechtes (15 NR der Beilagen, XIX. GP) ausgearbeitet.

Im Zuge der parlamentarischen Beratungen wurde die Bundesstaatsreform durch föderalismusfeindliche Anreicherungen geradezu ein Modell zentralistischer Staatsvorstellungen, weshalb die Länder ihre ursprüngliche Zustimmung zurückzogen. In der Sitzung des Verfassungsausschusses des Nationalrates vom 14. Dezember 1994 wurde die Beratung über die Bundesstaatsreform daher vertagt und während der gesamten XIX. Gesetzgebungsperiode nicht wiederaufgenommen.

In der nunmehrigen XX. Gesetzgebungsperiode des Nationalrates wurden die erwähnten Gesetzesanträge von der Bundesregierung neuerlich eingebracht. Der Bundeskanzler hat in der Beantwortung der schriftlichen parlamentarischen Anfrage 503/J erklärt, daß die Fragestellung von der unzutreffenden Auffassung ausgehe, daß es Sache der Vollziehung sei, einen Konsens "über einen neuen Entwurf einer Bundesstaatsreform herzustellen" und allenfalls "die Oppositionsparteien bereits im vorparlamentarischen Raum in die Beratungen einzubeziehen." Demgegenüber erinnere er daran, daß die Regierungsvorlage betreffend eine derartige Bundes-Verfassungsgesetz-Novelle dem Nationalrat bereits zur verfassungsmäßigen Behandlung vorliege und damit grundsätzlich der Ingerenz der Vollziehung entzogen sei.

Dieser Aussage ist zu entnehmen, daß der Bundeskanzler ungeachtet des Umstandes, daß der vorliegende Entwurf einer Bundesstaatsreform als gescheitert zu betrachten ist, nicht bereit ist, diesbezüglich neue Initiativen zu ergreifen.

Der Beitritt Österreichs zur Europäischen Union hat tatsächlich zu einer Verlagerung zahlreicher und erheblicher Gesetzgebungs- und Vollziehungskompetenzen an deren Organe bewirkt. Davon sind insbesondere die Gesetzgebungskompetenzen sowohl des Bundes als auch der Länder betroffen.

Vor dem Hintergrund des Umstandes, daß die Gesetzgebungskompetenzen der Länder bereits in der Vergangenheit bei Novellierungen der Bundesverfassung oftmals eingeschränkt wurden, verstärkt der neuerliche Kompetenzverlust eine Entwicklung, die das bundesstaatliche (föderalistische) Prinzip der Bundesverfassung aushöhlt und in der Lehre als schleichende Gesamtänderung der Verfassung bezeichnet wird (vgl. auch Walter-Mayer, "Grundriß des österreichischen Bundesverfassungsrechts", 7. Auflage, Seite 68). Es ist nicht zu bezweifeln, daß Österreich bereits jetzt ein relativ schwach ausgebildeter Bundesstaat ist, da der Bund ein


Bundesrat
Stenographisches Protokoll
609. Sitzung / Seite 86

erhebliches Übergewicht an Kompetenzen aufweist und der Einfluß des Bundesrates auf die Bundesgesetzgebung gering ist.

Um eine weitere Aushöhlung des bundesstaatlichen Prinzips der Bundesverfassung zu verhindern, sollten daher auf Regierungsebene die Beratungen über die Bundesstaatsreform auf der Grundlage der zwischen Bund und Ländern bereits vereinbarten Grundsätze möglichst rasch wiederaufgenommen werden. Ziel der Beratungen muß dabei eine eindeutige Stärkung der Länderrechte sein, wie sie etwa jüngst auch von Landeshauptmann Dr. Purtscher wieder eingefordert wurde. Als wesentliche Gesichtspunkte sind dabei zu nennen:

Mitspracherecht bei Bundesgesetzen, die die Landesfinanzen belasten;

Abschaffung der mittelbaren Bundesverwaltung;

Einführung von Verwaltungsgerichten der Länder;

Aufhebung des Harmonisierungsgebotes des Artikels 21 B-VG;

Inkorporationsgebot im B-VG;

Bereinigung von Kompetenzzersplitterungen;

Mitwirkungsrechte bei der Bestellung der Richter des Verfassungs- und Verwaltungsgerichtshofes;

Kompetenzaufteilung unter den Aspekten der Bürgernähe und der Verwaltungsvereinfachung.

Im Gegensatz zu den Bestrebungen zur Stärkung der Länderrechte stehen verschiedene Äußerungen von Regierungsseite, die im Zuge der Verhandlungen über das Belastungspaket erfolgten. Demnach bestehen Überlegungen, die Finanzautonomie der Länder tendenziell einzuschränken und insbesondere die Gesetzgebungskompetenzen betreffend das Dienst- und Besoldungsrecht der Länder – zumindest befristet – in die Kompetenz des Bundes zu übertragen.

Auch Erwägungen, die eine Übertragung von Koordinierungskompetenzen zwischen Bund und Ländern an neu zu schaffende Gremien anregen, werden von manchen Experten der Koalitionsparteien angestellt. Eine derartige Entwicklung hätte eine De-facto-Abwertung der Bundesländer und des Bundesrates zur Folge.

Das Belastungspaket, das zweifellos auch bedeutende Auswirkungen auf die Länderhaushalte haben wird, sowie die Debatte über die Konvergenzkriterien zur Teilnahme an der Währungsunion werden offensichtlich für den Versuch mißbraucht, in Länderrechte einzugreifen. Eine Information des Bundesrates über die diesbezüglichen Absichten der Bundesregierung erscheint daher dringend erforderlich.

Die unterfertigten Bundesräte richten daher an den Bundeskanzler folgende

dringliche Anfrage:

1. Werden Sie über die vorliegende Regierungsvorlage hinaus Initiativen setzen, um die geplante Bundesstaatsreform voranzutreiben?

Wenn ja, welche konkreten Maßnahmen sind wann geplant?

Wenn nein, warum nicht?

2. Besteht seitens der Bundesregierung ein Konsens darüber, daß das seinerzeit im Perchtoldsdorfer Paktum zwischen Bund und Ländern vereinbarte Paket über den Ausbau des Föderalismus weiterhin verbindlich ist?


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609. Sitzung / Seite 87

Wenn ja, inwieweit?

Wenn nein, warum nicht?

3. Sind seitens der Bundesregierung außerhalb der Bundesstaatsreform andere Maßnahmen geplant, die eine Stärkung der Länderrechte zum Ziele haben?

Wenn ja, welche Maßnahmen sind konkret wann geplant?

4. Durch welche Maßnahmen wird die Bundesregierung die Bemühungen der Länder unterstützen, ihre Verschuldung zu vermindern?

5. Welche Auswirkungen wird das Belastungspaket auf die Haushalte der Länder haben?

6. Plant die Bundesregierung im Zuge der Verwirklichung des Belastungspaketes die Übertragung von Länderkompetenzen an den Bund?

Wenn ja, welche Maßnahmen sind geplant?

7. Besteht seitens der Bundesregierung die Absicht, im Zuge der Verwirklichung des Belastungspaketes in die Länderkompetenzen betreffend das Dienst- und Besoldungsrecht der Länder einzugreifen?

Wenn ja, welche Maßnahmen sind konkret geplant?

8. Besteht von seiten der Bundesregierung die Absicht, die unzeitgemäßen Regelungen des Artikels 21 B-VG, die die Gesetzgebungskompetenzen der Länder hinsichtlich des Dienst- und Besoldungsrechtes ihrer Bediensteten einschränken, aufzuheben oder abzuändern?

Wenn ja, welche Maßnahmen sind konkret geplant?

Wenn nein, warum nicht?

9. Wird die Bundesregierung Maßnahmen im Sinne des Perchtoldsdorfer Paktums setzen, die eine Stärkung des Bundesrates zum Ziele haben?

Wenn ja, welche konkreten Maßnahmen sind wann geplant?

Wenn nein, warum nicht?

10. Besteht seitens der Bundesregierung die Absicht, Überlegungen, die die Übertragung von Kompetenzen an die Landeshauptmännerkonferenz oder andere neu zu schaffende Koordinierungsgremien zum Ziel haben, zu unterstützen?

Wenn ja, aufgrund welcher Erwägungen?

In formeller Hinsicht wird verlangt, diese Anfrage im Sinne des § 61 GO-BR dringlich vor Eingang in die Tagesordnung zu behandeln und dem Erstunterzeichner Gelegenheit zur Begründung zu geben.

*****

Präsident Johann Payer: Ich erteile Herrn Bundesrat Dr. Kapral als erstem Fragesteller zur Begründung der Anfrage das Wort.

15.59

Bundesrat Dr. Peter Kapral (Freiheitliche, Wien): Herr Präsident! Herr Staatssekretär! Sehr geehrte Damen und Herren! Hohes Haus! Die Notwendigkeit, einen Ausweg aus dem überbordenden Dilemma des Budgetdefizits der letzten Jahre zu finden und den sich daraus ergebenden Rekordschuldenstand der öffentlichen Haushalte einzudämmen, hat bekanntlich,


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609. Sitzung / Seite 88

und zwar im Zuge der Regierungsverhandlungen zwischen den altkoalitionären Parteien, zur Ausarbeitung eines Belastungspaketes geführt, das seinesgleichen sucht.

Im Zuge der Diskussion darüber wurde auch die Einbindung und die Mitwirkung der Bundesländer an dieser Sanierungsaktion angeschnitten. Die Vorschläge, die von seiten des Bundes gemacht wurden, sind, gelinde gesagt, sehr weitgehend. So werden die ohnehin für einen föderalen Bundesstaat geringen Kompetenzen der Länder in Frage gestellt, und es wird gefordert, man müsse den Ländern zumindest zeitweise die Kompetenz für die Bezügeregelung der Landesbediensteten entziehen. Vom Bund wird und wurde nicht einmal der Versuch gemacht, auf der Ebene eines gemeinsam erarbeiteten Konsenses eine Lösung dieses Problems zu finden.

Im Bereich des Bundes driften die Probleme auseinander, siehe den Gehaltsabschluß der Eisenbahner, siehe die Sonderwünsche der Post, die in der jüngsten Zeit diskutiert wurden, aber gegenüber den Ländern glaubt man, mit dem Stellwagen agieren zu müssen. Es ist also durchaus angebracht, von einer Aushöhlung des Föderalismus zu sprechen.

Wie katastrophal muß die Lage der Staatsfinanzen sein, wenn sie sich zu Beginn dieses Jahres für die Bürger und Bürgerinnen, die keinen Einblick in alle Details haben, in einer Arbeitslosenzahl von mehr als 300 000 Männern und Frauen dokumentiert, was dazu geführt hat, daß bereits jeder fünfte Österreicher fürchtet, er könne seinen Arbeitsplatz verlieren? Wie katastrophal muß die Lage sein, wenn man glaubt, in dieser Weise mit der Verfassung umspringen zu müssen?

Heute sind Details des sogenannten Budgetbegleitgesetzes bekannt geworden. Es ist damit ein neuer Beweis dafür geliefert worden, daß die Verfassung und die darin gewährleisteten Rechte der Staatsbürger kaum mehr das Papier wert sind, auf das sie gedruckt wurden. Rund 100 Verfassungsbestimmungen enthält diese Regierungsvorlage. Auf Regierungsseite fürchtet man die Kontrolle dieser Bestimmungen durch die Höchstgerichte, weil man in den einzelnen Bestimmungen großzügig darüber hinweggeht, daß so wesentliche Grundsätze wie das Gleichheitsprinzip oder die Rückwirkung von Maßnahmen, die finanzielle Belastungen zur Folge haben, beziehungsweise die Untersagung, solche Rückwirkungen festzulegen, in Frage gestellt werden. Wenn die neue altkoalitionäre Regierung tatsächlich diesen Weg gehen will und sich hier im Hohen Haus – und zwar nicht nur hier im Bundesrat, sondern auch im Nationalrat, da doch diesen beiden Gremien namhafte Rechtsprofessoren angehören – nicht echter Widerstand formiert, dann bedarf es künftig keiner Schreiben mehr aus dem Ausland, wie sie von Generalsekretär Stummvoll kürzlich zitiert wurden, um darzutun, daß es sich bei Österreich um eine "Bananenrepublik" handelt und daß das Politikerwort, mit dem man um ausländische Investoren wirbt, nicht viel wert ist.

Der Höhepunkt der Unverfrorenheit ist es dann, daß sich Politiker, die große Schuld an der Malaise haben, jetzt als die großen Sanierer aufspielen und jeden Einwand gegen all das, was jetzt geschieht und die Wirtschaft – das sind nicht nur die Arbeitgeber, sondern vor allem auch die Arbeitnehmer – belastet, mit der Behauptung, es gehe um die Sicherung des Wirtschaftsstandortes Österreich, einfach vom Tisch wischen.

Ich darf an dieser Stelle auf Professor Schambeck und auf seine Ausführungen anläßlich der Diskussion des Berichts des EU-Ausschusses zurückkommen und möchte ihn an folgende Daten erinnern:

Im Jahre 1986 – wenn ich mich richtig erinnere, war das jenes Jahr, in dem die große altkoalitionäre Regierungsform wieder tätig wurde – hat der Budgetabgang des Bundes rund 73 Milliarden Schilling betragen. Wenn die endgültigen Zahlen für das Jahr 1995 vorliegen, dürfte sich dieser Betrag 1995 zwischen 110 und 115 Milliarden Schilling bewegen, während es in der Zwischenzeit gelungen war – das muß man den Altkoalitionären anrechnen –, die Abgänge auf rund 63 Milliarden Schilling abzusenken, und zwar in den Jahren 1989, 1990 und 1991. 1993 ist dann die große Explosion erfolgt, aber es stimmt nicht – das hat uns auch schon die OECD in ihrem Prüfbericht bescheinigt –, daß es damals nur darum ging, konjunkturelle


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Einbrüche durch eine expansive Ausgabenpolitik des Bundes hintanzuhalten. Nein! Es ist ihnen damals etwas passiert, was sicherlich nicht von Weitblick zeugt: Es wurde einfach mit vollen Händen aus dem vollen geschöpft – in der Annahme, es ginge alles in der gleichen Weise weiter.

Daß eine solche Entwicklung nicht von Dauer sein kann, zeigt die Entwicklung der Staatsschulden: Wenn wir im Jahr 1986 noch Staatsschulden in der Höhe von rund 700 Milliarden Schilling ausgewiesen haben, so ist der Betrag bis zum Jahre 1995 auf 1 250 Milliarden Schilling angestiegen. – Diese Zahl muß man sich erst einmal vor Augen führen, um ihre Höhe tatsächlich zu erkennen.

Aber wenn ich hier schon dabei bin, diese nicht ganz fundierten wirtschaftspolitischen Aussagen etwas zu kritisieren, lassen Sie mich noch auf etwas anderes zu sprechen kommen, was uns in die letzte Sitzung dieses hohen Gremiums zurückführt.

In dieser Sitzung hat Herr Bundesrat Professor Schambeck davon gesprochen, daß es sich beim Kraftwerk Lambach um das billigste Kraftwerk handelt, das seit 40 Jahren in Österreich errichtet wurde. Nein, nicht einmal die OKA behauptet das. Sie spricht in ihren Unterlagen nur davon, daß es sich um eines der billigsten Kraftwerke handelt, die in den letzten zehn Jahren errichtet wurden. Aber ich gebe gerne zu, daß man natürlich im Temperament seiner Ausführungen manchmal etwas über das Ziel schießen kann und daß dieses Über-das-Ziel-Schießen dann zu Aussagen führt, die eigentlich auch dem Laien sagen müßten, daß sie nicht ganz richtig sind. (Bundesrat Konečny: Ist das eine dringliche Berichtigung oder eine dringliche Anfrage?)

Zurück zur dringlichen Anfrage: Auch die Länder selbst und ihre obersten Repräsentanten, die Landeshauptmänner, agieren in einer Art, die Zweifel aufkommen läßt, wie ernst ihnen föderalistische Anliegen sind. So hat der Landeshauptmann eines südlichen Bundeslandes kürzlich versucht, sich mit einem Vorschlag zu profilieren, wobei er sich nicht einmal bemüht hat, den Bundesrat einzuschalten, sondern schon von vornherein dessen Bedeutungslosigkeit vorausgesetzt und darauf hingewiesen hat, daß dem Bundesrat einfach das Recht fehlt, hier entsprechende Maßnahmen im Interesse der Länder zu setzen. Er hat dabei gar nicht die Überlegung angestellt, ob es nicht richtig wäre, dem Bundesrat als jenem Gremium, das in der Bundesgesetzgebung die Länderinteressen mitzuvertreten hat, jene Rechte einzuräumen, die er braucht, um diese Interessen entsprechend wahrzunehmen. Es handelt sich dabei um die Einräumung eines Vetorechtes der Länder in dem Falle, daß durch die Bundesgesetzgebung Rechte der Länder verletzt werden.

Der Bund beziehungsweise die Bundesregierung hat zu Beginn der jetzigen Legislaturperiode neuerlich eine Vorlage zur Novellierung des Finanz-Verfassungsgesetzes im Nationalrat eingebracht. Auch darin wird vorgeschlagen, ein neues Gremium zu schaffen, das zur gegenseitigen Abstimmung der Gesetzgebung des Bundes und der Länder mit Auswirkungen auf die finanziellen Interessen der Gebietskörperschaften konsultiert werden soll. Nicht einmal dann, wenn der Bundesrat gegen eine solche Materie Einspruch erhebt, ist eine Mitwirkung von Vertretern des Bundesrates in diesem Gremium vorgesehen.

All das zeigt, daß der Föderalismus hier in Österreich doch von ganz unterschiedlichen Blickwinkeln betrachtet wird. (Vizepräsident Dr. Schambeck übernimmt den Vorsitz.)

Da sich in der letzten Zeit diese Vorschläge häufen, gleichzeitig aber auch – ich erinnere dabei an vorangegangene Debatten im Hohen Haus – von einer Stärkung des Bundesrates und einer Stärkung des Föderalismus durch eine umfassende Bundesstaatsreform gesprochen wird, ist eine rasche Klarstellung über die Haltung der Bundesregierung zu Fragen des Föderalismus wünschenswert beziehungsweise notwendig. – Danke. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

16.1


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1

Vizepräsident Dr. Drs. h.c. Herbert Schambeck: Zur Beantwortung hat sich der Herr Staatssekretär im Bundeskanzleramt Mag. Karl Schlögl zu Wort gemeldet. Ich erteile es ihm.

16.12

Staatssekretär im Bundeskanzleramt Mag. Karl Schlögl: Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die dringliche Anfrage der Bundesräte Dr. Kapral, Dr. Bösch und Kollegen wurde mit dem Titel "Aushöhlung des Föderalismus" versehen. Ich darf diese Anfrage in Vertretung des Herrn Bundeskanzlers beantworten und möchte einleitend zu den Bemerkungen und Feststellungen des Herrn Dr. Kapral Stellung nehmen.

Erstens glaube ich, daß es heute nicht darum geht, über eine etwaige Aushöhlung des Föderalismus in Österreich zu diskutieren. Allein aus Ihrer Anfragebegründung geht deutlich hervor, daß es Ihnen im wesentlichen darum geht, daß Sie darüber diskutieren wollen, was im Parlament am Dienstag schon mit sehr mäßigem Erfolg von der freiheitlichen Partei versucht wurde, nämlich darüber zu diskutieren, inwieweit dieses Sparpaket der Bundesregierung, das demnächst dem Parlament vorgelegt wird, sinnvoll, sozial ausgewogen und gerechtfertigt ist.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich darf einleitend zusätzlich noch feststellen, daß die Kritik an der hohen Staatsverschuldung und den Staatsschulden ohne Zweifel gerechtfertigt ist. Wir müssen uns dessen bewußt sein, daß wir gemeinsam versuchen müssen, hier gegensteuernd zu wirken.

Es gibt aber auch berechtigte Gründe und Erklärungen dafür, wieso gerade in den letzten Jahren die Staatsverschuldung deutlich gestiegen ist. Dazu möchte ich einmal feststellen, daß wir 1987 eine ähnliche Situation gehabt haben. Auch die damalige Bundesregierung hat 1987 Maßnahmen eingeleitet, die dazu geführt haben, daß wir 1992 alle Konvergenzkriterien der EU erfüllt haben, obwohl wir damals noch nicht Mitglied der Europäischen Union gewesen sind. Wir wären damals ein Land gewesen, das alle Bedingungen erfüllt hätte.

Das hat sich 1993, 1994 und 1995 geändert. Es hat sich deshalb geändert, weil wir 1993 und 1994 eine beginnende Wirtschaftskrise gehabt haben, gegen die diese Bundesregierung sehr viele Maßnahmen gesetzt, sehr viele Strukturmittel eingesetzt hat, die dazu geführt haben, daß wir im internationalen Vergleich heute bedeutend besser liegen als viele andere Staaten. Es ist ja nicht so, daß Österreich eine Insel der Negativa ist, daß es nur in Österreich hohe Budgetdefizite und Verschuldungen gibt. Österreich bewegt sich vielmehr international gesehen im Durchschnitt. Wenn Sie sich die Probleme in anderen Staaten anschauen – innerhalb der EU oder in den Vereinigten Staaten –, dann sehen Sie, daß deren Probleme mindestens genauso gewaltig, wenn nicht noch viel schwieriger als unsere Probleme sind.

Die Gründe dafür, daß wir dieses hohe Budgetdefizit erwirtschaftet haben, sind mannigfaltig. Ich möchte fünf hervorstreichen. Der erste Grund ist der, daß die gegensteuernden Maßnahmen, die dazu geführt haben, daß die österreichische Arbeitslosigkeit im internationalen Vergleich unbestritten eine äußerst niedrige ist, ohne Zweifel sinnvoll waren. (Bundesrat Dr. Prasch: Die höchste Arbeitslosigkeit seit Kriegsende!)

International gesehen ist es eine der niedrigsten. Wir alle müssen gemeinsam versuchen, Maßnahmen und Vorhaben zu treffen, damit diese Arbeitslosigkeit, die mit fast 300 000 im Jänner 1996 zugegebenermaßen eine hohe ist, vermieden wird, und versuchen, neue Arbeitsplätze zu schaffen. Wir müssen aber gleichzeitig auch sehen, daß die Beschäftigung in Österreich mit über 3,1 Millionen unselbständig Beschäftigten auch sehr hoch ist.

Zweiter Grund ist, daß wir seit 1991 zwei Steuerreformen durchgeführt haben, die sowohl den Arbeitnehmern in Österreich als auch den Wirtschaftstreibenden massive Entlastungen gebracht haben, Steuerreformen, die den österreichischen Staat insgesamt fast 50 Milliarden Schilling gekostet haben. Wenn ich zum Beispiel daran denke, daß die Vermögensteuer abgeschafft worden ist, daß die Gewerbesteuer – diese unsägliche Gewerbesteuer! – abgeschafft worden ist, wenn ich daran denke, daß der Spitzensteuersatz reduziert worden ist, oder wenn ich daran denke, daß eine Art Negativsteuer für die kleinen Einkommen eingeführt wurde, dann zeigt das doch, daß da sehr viel geschehen ist, und das hat uns auch viel gekostet.

Drittens: Wir haben den Beitritt zur Europäischen Union vollzogen, und es war dabei jedem klar, daß, wenn wir Mitglied der Europäischen Union werden, wir ein Land sind, das in diesen Topf


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bedeutend mehr hineinzahlt, als es am Anfang herausbekommt. Wir gehören Gott sei Dank zu den reichen Ländern auf diesem Kontinent, und wir werden gemeinsam versuchen, auch in Zukunft innerhalb der Europäischen Union einen sozialen, einen wirtschaftlichen Ausgleich zu schaffen. Österreich zahlt mehr ein, als es herausbekommt, das hat unser Budget auch belastet. (Vizepräsidentin Haselbach übernimmt den Vorsitz.)

Viertens hat uns belastet, daß wir das zweite Karenzurlaubsjahr eingeführt haben, das uns allein im Jahr 1995 7 bis 8 Milliarden Schilling gekostet hat. Auch wenn dieses zweite Karenzurlaubsjahr wahrscheinlich durch einen Beschluß des Nationalrates in seiner Form geändert wird, ist es noch immer eine sehr familienfreundliche Ausstattung im Vergleich zu anderen Ländern, die diese Maßnahme nicht kennen.

Schlußendlich möchte ich auch noch die Pflegevorsorge hervorheben, die uns 1995 fast 20 Milliarden Schilling gekostet hat, eine Pflegevorsorge, die nicht nur für alte und pflegebedürftige Menschen in unserem Lande da ist, sondern die auch für behinderte Menschen ab dem dritten Lebensjahr da ist und die in verschiedenen Stufen den behinderten Menschen zusätzlich zwischen 2 600 und 21 000 S bringt. Dies hat meiner Meinung nach sehr viel dazu beigetragen, daß besonders das Alt-Werden in Würde durch den Staat erleichtert wird. Diese Ausgaben in der Höhe von 20 Milliarden Schilling pro Jahr sind meiner Meinung nach gerechtfertigt, haben aber auch zu diesem Defizit beigetragen. (Bundesrat Ing. Penz: 21 Milliarden, die den Bund neu betroffen haben!) – Nicht neu betroffen. Ich habe nicht von neu betroffen gesprochen, sondern ich habe gesagt: 20 Milliarden Schilling hat es gekostet. Neu betroffen wird es wahrscheinlich 7 bis 8 Milliarden Schilling haben, weil der alte Hilflosenzuschuß ungefähr 12 Milliarden Schilling ausgemacht hat.

Das zweite, was ich deutlich hervorheben möchte, ist etwas, wovon ich mich distanziere, und zwar ist das die Kritik von Dr. Kapral, daß diese provisorische Bundesregierung den Ländern in Sachen Sparpaket "mit dem Stellwagen ins Gesicht gefahren" ist. – Bitte, das stimmt einfach nicht! Das ist eine Behauptung, die in keiner Weise den Wahrheitsbeweis antreten könnte. Ich möchte Ihnen nur sagen, daß Mitglieder der Bundesregierung, nämlich Klima und Ditz, dieses Sparpaket gemeinsam mit zwei wichtigen Ländervertretern erarbeitet haben, und zwar mit dem burgenländischen Landeshauptmann Stix, der auch der Vorsitzende der Landeshauptleutekonferenz ist, und mit dem Vorarlberger Landesstatthalter Sausgruber, und daß das in engster Kooperation geschehen ist. Ich darf dazu den Beschluß der Landeshauptleutekonferenz vom 9. Februar 1996 zitieren, der lautet:

"Die Landeshauptleutekonferenz ist der Ansicht, daß das von der Budgetarbeitsgruppe erarbeitete Konsolidierungsprogramm des Bundes für die Jahre 1996 bis 1999 eine erfolgversprechende Grundlage zur Sanierung des Bundeshaushaltes darstellt. Die Landeshauptleutekonferenz vertritt nach einer ersten Prüfung auch die Auffassung, daß dieses Programm auf einer nach den Grundsätzen der Gleichheit, der Leistungsfähigkeit des einzelnen und der sozialen Ausgewogenheit ausgelegten Verteilung der Lasten beruht." – Wenn das festgestellt wird, kann man wirklich nicht behaupten, daß der Bund mit den Landeshauptleuten und den Ländern "Schlitten fährt".

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich glaube deshalb, daß es notwendig und wichtig ist, daß wir uns mit dem Föderalismus auseinandersetzen. Ich glaube auch, daß gerade die Vorgangsweise in den letzten Wochen und Monaten deutlich signalisiert hat, daß diese Bundesregierung wirklich ernsthaft bereit ist, gemeinsam mit den Ländern und Gemeinden Maßnahmen zu treffen, die in die Richtung führen, daß die staatliche Verwaltung in den einzelnen Gebietskörperschaften noch effizienter gestaltet wird, als das bisher der Fall ist.

Ich möchte aber auch darauf verweisen, daß diese provisorische Bundesregierung, die erst seit dem 15. Jänner mit der Regierungstätigkeit betraut ist, am 15. Jänner die Regierungsvorlage für eine Bundes-Verfassungsgesetz-Novelle betreffend eine Strukturreform des Bundesstaates dem Parlament übermittelt hat. Die Regierungsvorlage beruht auf dem sogenannten Perchtoldsdorfer Übereinkommen vom Oktober 1992. Allein die Tatsache, daß die Bundesregierung noch nicht fix installiert ist, aber trotzdem bereits dieses Perchtoldsdorfer Übereinkommen


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609. Sitzung / Seite 92

wieder dem Parlament zugewiesen hat, zeigt, daß für uns der Föderalismus und die Umsetzung des Perchtoldsdorfer Abkommens sehr wichtig und notwendig sind.

Die Fragesteller haben in dieser Einleitung zu einigen Punkten Stellung genommen, zu denen ich gerne, bevor ich die Fragen beantworte, noch meine Meinung sagen möchte. Das erste betrifft die Frage des Mitspracherechtes bei Bundesgesetzen, die die Landesfinanzen belasten. Das ist meiner Ansicht nach ein Problem, das sehr wichtig und entscheidend ist. Ich habe deshalb bereits im September und Oktober des vorigen Jahres gemeinsam mit den Ländern einen sogenannten Konsultationsmechanismus ausgearbeitet, der den Sinn hat, daß keine Gebietskörperschaft zu Lasten von anderen Gebietskörperschaften Gesetze beschließen kann, die in finanzieller oder personeller Hinsicht diese Gebietskörperschaft belasten. – Dieser Konsultationsmechanismus wurde in der letzten Sitzung der Finanzausgleichspartner verhandelt, und es wurde auch darüber weitgehend Einigung erzielt.

Das zweite Problem ist die Abschaffung der mittelbaren Bundesverwaltung. Dies ist für mich ein sehr wichtiges Problem, und ich bin überzeugt davon, daß, wenn die Bundesstaatsreform noch in diesem Jahr – so hoffe ich – im Parlament beschlossen wird, das ein Kernpunkt ist. Allerdings möchte ich auch dazu sagen, es kann nicht so sein, daß das zum Nulltarif sein wird. Herr Bundesminister außer Dienst Ferdinand Lacina hat den Ländern als Ersatz einen bestimmten Geldbetrag angeboten, ich glaube, es waren in etwa 270 Millionen Schilling. Und es ist bis heute noch keine Einigung darüber erzielt worden, wenn diese mittelbare Bundesverwaltung an die Länder übertragen wird, in welcher Form dann die finanzielle Ausstattung erfolgen wird. Es wird daher wichtig und notwendig sein, diesbezüglich eine finanzielle Einigung zu erzielen.

Genauso ist es bei den Verwaltungsgerichten. Wir bekennen uns dazu, daß neun Landesverwaltungsgerichte eingeführt werden sollen. Ich halte das für eine unbedingte Notwendigkeit, um auch unseren Verwaltungsgerichtshof zu entlasten. Ich glaube auch, daß wir ein eigenes Bundesverwaltungsgericht installieren sollten. Es werden aber dadurch enorme Kosten entstehen, sowohl in personeller als auch in finanzieller Hinsicht. Und hier bedarf es auch einer gerechten Aufteilung zwischen Bund und Ländern, und darüber müssen wir Einigung erzielen.

Schlußendlich bin ich der Ansicht, daß man bezüglich der Aufhebung des Homogenitätsgebotes sehr vorsichtig vorgehen sollte. Gerade in wirtschaftlichen Sanierungszeiten, wie es heute der Fall ist, erscheint es mir notwendig und wichtig, daß zwischen dem Bund, den Ländern und den Gemeinden im Dienstrecht und im Pensionsrecht eine einheitliche Vorgangsweise gewählt wird. Das haben wir auch so beschlossen, und ich halte es auch für wichtig und notwendig, daß das in Zukunft so der Fall ist.

Bezüglich der Bestellung der Richter des Verfassungs- und Verwaltungsgerichtshofs möchte ich darauf hinweisen, daß der Bundesrat als Länderkammer bereits jetzt das Recht hat, Richter für den Verfassungsgerichtshof zu bestellen.

Auf die Frage Neuaufteilung der Kompetenzen werde ich in der konkreten Anfragebeantwortung näher eingehen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich komme nun zur konkreten Beantwortung der einzelnen Fragen.

Ich habe mir erlaubt, die Fragen 1 und 2 in einem zu beantworten.

Am 15. Jänner 1996 wurde die Regierungsvorlage zur Bundesstaatsreform neuerlich in den Nationalrat eingebracht. Deshalb ist es nicht sinnvoll und zweckmäßig, neue Initiativen in die Wege zu leiten, bevor diese Regierungsvorlage überhaupt in Beratung gezogen wird. Vielmehr könnte das dazu führen, daß die parlamentarischen Beratungen über die Bundesstaatsreform behindert werden.

Darin, daß mit der soeben erwähnten Regierungsvorlage eine Bundesstaatsreform vorgeschlagen wird, der auch seinerzeit in der Fassung dieser Regierungsvorlage die Landeshaupt


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männerkonferenz zugestimmt hat, wird deutlich, daß die Bundesregierung bereit ist, die politische Perchtoldsdorfer Vereinbarung weiterhin durchzuführen.

Zur Beantwortung der Frage 3:

Wie bereits ausgeführt wäre zunächst die Bundesstaatsreform umzusetzen. Erst dann ist es zweckmäßig, allenfalls weitere Maßnahmen für eine Stärkung der Länderrechte zu erörtern. Ich möchte hinzufügen, daß es mittelfristig nicht ausgeschlossen ist, in eine Überprüfung der gesamten Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern mit dem Ziel einzugehen, eine Neuverteilung der Kompetenzen zwischen den Gebietskörperschaften nach den Gesichtspunkten der Zweckmäßigkeit und der Sparsamkeit zu erreichen.

Ich halte solch eine Neuverteilung der Kompetenzen zwischen den einzelnen Gebietskörperschaften für dringend notwendig. Diese Neuverteilung der Kompetenzen kann aber nicht innerhalb kürzester Zeit beschlossen werden. Hier bedarf es umfangreicher Gespräche zwischen den Gebietskörperschaften. Eine Neuverteilung der Kompetenzen darf aber die jetzt notwendige Bundesstaatsreform nicht zeitlich nach hinten schieben, darum ist ein Stufenplan vorgesehen. Es gibt sowohl den Beschluß über diese Bundesstaatsreform, so wie es ausverhandelt worden ist, als auch die Zusage der Bundesregierung und begleitend damit ein langfristiges Konzept einer umfassenden Reform der Aufgabenteilung der einzelnen Gebietskörperschaften.

Zu den Fragen 4 und 5:

Bei den Verhandlungen über das aktuelle Sparpaket hat meiner Ansicht nach die Bundesregierung unter Beweis gestellt, daß sowohl die Länder- als auch die Gemeindeinteressen bei ihren Überlegungen eine sehr maßgebliche Rolle spielen. Dies wurde auch dadurch dokumentiert, daß in das engste Verhandlungsgremium zur Erstellung des Maßnahmenpaketes zwei Ländervertreter miteinbezogen wurden.

Durch das angesprochene Maßnahmenpaket werden, falls die entsprechenden Beschlüsse im Parlament gefaßt werden, den Ländern und Gemeinden ein großes Ausmaß an neuen Geldmitteln zur Verfügung gestellt. Die Länder werden inklusive der Wohnbauförderung 1996 3,5 Milliarden Schilling zusätzlich an Einnahmen lukrieren können und die Gemeinden 2,1 Milliarden Schilling. Für das Jahr 1997 werden die Länder inklusive Wohnbauförderung 7,4 Milliarden zusätzlich erhalten, die Gemeinden fast 4 Milliarden Schilling zusätzlich. Und das wird die Finanzsituation der Länder und Gemeinden, die zugegebenermaßen schwierig ist, doch in den nächsten Jahren deutlich verbessern.

Darüber hinaus wurde anläßlich einer Besprechung mit den Landesfinanzreferenten sowie den Vertretern des Österreichischen Städtebundes und des Gemeindebundes unter dem Vorsitz des Finanzministers am 22. Februar vereinbart, daß die Länder und Gemeinden die vom Bund in Aussicht genommenen Einsparungsmaßnahmen auf dem personalwirtschaftlichen Sektor des öffentlichen Dienstes in ihrem Bereich selbständig umsetzen werden.

Durch diese beiden Maßnahmen, durch die Erschließung von neuen Einnahmen und durch das Paket öffentlicher Dienst, das dem Bund 16 Milliarden Schilling Einsparungen bringen wird und eine sehr moderate Gehaltsrunde und ein Pensionsreformkonzept beinhaltet, wird auch ein wesentlicher Beitrag dazu geliefert, daß die Personalausgaben der Länder und Gemeinden in den nächsten Jahren deutlich gesenkt werden. Ich bin überzeugt davon, daß es mit diesen beiden Maßnahmen gelingen wird, das Konvergenzkriterium der Verschuldung von 3 Prozent des Bruttoinlandsproduktes zu erreichen, daß der Bund nicht mehr als 2,7 Prozent und die Länder und Gemeinden zusammen nicht mehr als 0,3 Prozent haben werden.

Zur Frage 6:

Eine Übertragung von Länderkompetenzen an den Bund im Zusammenhang mit dem Maßnahmenpaket der Bundesregierung ist nicht geplant. Allfällige Kompetenzänderungen sollten nicht im Rahmen von Einzelaktionen erfolgen, sondern im größeren Rahmen der zur Diskussion stehenden Bundesstaatsreform und sollten allenfalls auch umgesetzt werden.


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Zur Frage 7:

Die derzeit in Begutachtung befindlichen Gesetzentwürfe, die den Beitrag des öffentlichen Dienstes zum Konsolidierungsprogramm der Bundesregierung zum Inhalt haben, sehen keinen Eingriff in die Länderkompetenzen betreffend das Dienst- und Besoldungsrecht vor. Ein solcher Eingriff war auch deshalb nicht notwendig, weil die Länder, Städte und Gemeinden im Verhandlungsausschuß der Dienstgeberseite vertreten waren und auf diese Weise von Anfang an in allen Verhandlungen eingebunden waren und diese auch unterstützt und mitgetragen haben. Die Landeshauptleutekonferenz hat am 9. Februar, wie ich bereits zitiert habe, die volle Unterstützung all dieser Konsolidierungsmaßnahmen der Bundesregierung zugesagt.

Zur Frage 8:

Die Frage der Neuordnung des Artikels 21 Bundes-Verfassungsgesetz ist auch Gegenstand der Bundesstaatsreform. Diese Frage soll deshalb in Form von parlamentarischen Beratungen geklärt werden.

Zur Frage 9:

Im Zuge der Verhandlungen über die Durchführung des Perchtoldsdorfer Abkommens war man übereingekommen, die Frage einer Stärkung des Bundesrates, der Initiative des Bundesrates selbst und den Ländern zu überlassen. Im Sinne dieses seinerzeitigen Konsenses besteht derzeit keine Absicht, in dieser Frage eine Initiative zu ergreifen.

In diesem Zusammenhang möchte ich aber trotzdem darauf hinweisen, daß der Bundesrat von sich aus bereits in den letzten Jahren eine Reihe von Maßnahmen zur Stärkung seiner Stellung innerhalb des österreichischen Parlamentes gesetzt hat, und ich schätze diese Maßnahmen sehr und glaube, daß auch die kürzlich vorgenommene Änderung der Geschäftsordnung des Bundesrates Gelegenheit bietet, diese Stellung noch stärker hervorzuheben.

Ich glaube aber auch, daß gerade die heutige Diskussion im Bundesrat über die Europäische Union gezeigt hat, daß der Bundesrat in die Gesetzgebung sehr stark miteingebunden ist und daß die Bedeutung des Bundesrates in Fragen der Europäischen Integration das Selbstverständnis des Bundesrates erheblich gesteigert hat.

Zum Abschluß zur Frage 10:

Es besteht derzeit nicht die Absicht, meine sehr geehrten Damen und Herren, Kompetenzen der Landeshauptleutekonferenz zu übertragen. Auch im Rahmen der Ausarbeitung der Bundesstaatsreform wurde grundsätzlich davon ausgegangen, daß die Landeshauptmännerkonferenz kein Staatsorgan werden soll. Für mich persönlich hat die Landeshauptleutekonferenz vor allem die Aufgabe, ein internes Koordinierungsgremium und Koordinierungsorgan zwischen den Ländern zu sein.

Was andere neuzuschaffende Koordinierungsgremien anlangt, so bestehen Überlegungen, ein solches hinsichtlich der finanziellen Auswirkung von Gesetzen und Verordnungen zu schaffen. Der sogenannte Konsultationsmechanismus könnte in die Beratungen über die Bundesstaatsreform einbezogen werden. Auf jeden Fall, meine sehr geehrten Damen und Herren, wird der Konsultationsmechanismus ein wesentlicher und wichtiger Bestandteil des Budgets 1996 und 1997 sein. (Beifall bei SPÖ und ÖVP.)


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16.33

Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Ich danke dem Herrn Staatssekretär für die Beantwortung.

Wir setzen nunmehr die Debatte fort. Ich mache darauf aufmerksam, daß gemäß § 61 Abs. 7 der Geschäftsordnung die Redezeit jedes Bundesrates mit insgesamt 20 Minuten begrenzt ist.

Zu Wort gemeldet hat sich Dr. Reinhard Eugen Bösch. Ich erteile ihm dieses.

16.33

Bundesrat Dr. Reinhard Eugen Bösch (Freiheitliche, Vorarlberg): Frau Vizepräsidentin! Herr Staatssekretär! Ich darf Ihnen für die Beantwortung unserer dringlichen Anfrage danken. Sie haben in einem recht: Das Motiv zu dieser Anfrage liegt tatsächlich in den gegenwärtigen Verhandlungen zu einer Regierungsbildung beziehungsweise in den Verhandlungen der provisorischen Bundesregierung zur Erstellung eines Budgets.

Die Motive liegen auch darin, daß in bezug auf die Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern nicht alles so glattgelaufen sein kann, wie Sie das hier behauptet haben, sonst hätte es in der Presse nicht Überschriften gegeben, die gelautet haben: "Neues Kräftemessen ums Sparpaket – Länder, zeigt dem Bund die Zähne!" oder "Oberösterreich gegen Diktat Wiens" und so weiter.

Im Rahmen des Sparpakets herrschte die falsche Meinung vor, daß mit den Einsparungen dieser 100 Milliarden Schilling die finanzielle Lage Österreichs und damit auch die finanzielle Lage der Länder ausgeglichen sein werde. – Was ja nicht stimmt, denn dadurch wird ausschließlich das Defizit auf jährlich 70 Milliarden Schilling heruntergedrückt, und von den 3 Prozent Maastricht-Neuverschuldung – Sie haben das schon erwähnt, Herr Staatssekretär – kann der Bund in etwa 70 Milliarden Schilling für sich in Anspruch nehmen. Die Länder und Gemeinden müssen mit einer Neuverschuldung von 0,3 Prozent – das wären zirka 7 Milliarden Schilling – auskommen.

Auch wenn die Länder – Sie haben es erwähnt – aus dem Sparpaket mit Mehreinnahmen in der Höhe von etwa 3 oder 4 Milliarden Schilling rechnen dürfen, wird der Bedarf an Neuverschuldung dieser Ebenen für die nächsten Jahre deutlich höher sein. Deshalb stellte sich natürlich die Frage nach den strukturellen Änderungen und nach der Vorgangsweise, die von seiten der Bundesregierung beziehungsweise von seiten der Verhandlungspartner geplant ist.

Es ging uns in dieser Anfrage im wesentlichen um zwei Ebenen: Die erste Ebene sollte klären, ob die Bundesregierung in Zusammenarbeit mit der Landeshauptleutekonferenz oder in der Viererrunde geplant hat, daß die Bundesebene vorhat, in die Personalhoheit der Länder verfassungsmäßig über einen bestimmten Zeitraum einzugreifen. Sie haben diese Frage verneint – wir nehmen das zur Kenntnis.

Die zweite Frage ist institutionell: Wir wollen wissen, welches Gremium in Zukunft die Interessen von Bund und Ländern koordinieren wird, und hier haben Sie bestätigt, daß es zwischen der Bundesregierung und der Landeshauptleutekonferenz bereits eine Absprache gibt, die ein derartiges Konsultationsgremium einrichten will. Die Länder sollten in bezug auf dieses Gremium bei all jenen Bundesgesetzen, die für sie nachweisbar deutlich finanzielle Auswirkungen hätten, ein Vetorecht haben. Weil der Bundesrat, so wird von den Landeshauptleuten argumentiert, hier zu geringen Einfluß und nur hemmende Wirkung habe, sollte die Vetofunktion von einem eigenen Konsultativgremium wahrgenommen werden.

Wir Freiheitlichen sind der Ansicht, daß dieses Konsultativgremium – wie auch immer es dann gestaltet werden sollte – im wesentlichen unnötig ist, weil es nur darum gehen kann, den Bundesrat in seiner jetzt bestehenden Form zu reformieren und jene Vorschläge, die wir auch im Rahmen der Bundesstaatsreform zur Reform des Bundesrates gemacht haben – nicht nur wir Freiheitlichen im Bundesrat, sondern auch Kollegen von seiten der ÖVP-Fraktion –, ernsthaft zu debattieren, die in die Richtung gehen, den Bundesrat tatsächlich zu einer Länderkammer umzuformen, die in der Lage ist, die Interessen der Bundesländer, nicht nur der Legislative, sondern auch der Exekutive, effizient zu vertreten. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Eine weitere Ebene bildet die Bundesstaatsreform. Sie haben in Ihrer Beantwortung sehr geschickt das Thema "Bundesstaatsreform" auf die legislative Ebene weitergeschoben. Wir wissen, daß diese Vorlage wieder im Ausschuß des Nationalrates liegt, wir erkennen aber auch die Realverfassung in unserer Republik, die ja davon ausgeht, daß Gesetze nicht so sehr in den dafür vorgesehenen Parlamenten verbindlich besprochen werden, sondern daß es darum geht,


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in den verschiedenen Parteien- und Regierungsverhandlungen die Grundsätze, die darin enthalten sein sollen, im vorhinein zu regeln und diese festzulegen.

Deshalb sind wir auch an Sie mit der Frage herangetreten, ob Sie im Rahmen der neuen Regierungsbildung die Absicht haben, diese Bundesstaatsreform tatsächlich zu realisieren. Sie haben diese Frage mit Ja beantwortet; wir werden Sie, Herr Staatssekretär, auch in diesem Bereich beim Wort nehmen und werden uns erlauben, unsere Vorschläge zur Bundesstaatsreform bei passender Gelegenheit wieder einzubringen. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

16.39

Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Als nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Jürgen Weiss. Ich bitte ihn, das Wort zu nehmen.

16.39

Bundesrat Jürgen Weiss (ÖVP, Vorarlberg): Frau Präsidentin! Herr Staatssekretär! Meine Damen und Herren! Auf den ersten Blick wäre man versucht zu meinen, daß nach mehreren Anläufen den freiheitlichen Bundesräten endlich einmal der Versuch geglückt ist, Wissenswertes mit Dringlichkeit zu vereinen. Hinsichtlich jener Auswirkungen auf das Dienstrecht und auf andere Bereiche als Folge der Budgetsanierung konnte man tatsächlich aufgrund der Medienberichte eine Zeitlang den Eindruck haben, daß hier an eine verfassungsrechtliche Durchbrechung von Landeszuständigkeiten gedacht wäre.

Wenn Sie sich aber die Mühe gemacht hätten – ich habe sie mir gemacht –, den jedenfalls seit gestern vorliegenden Begutachtungsentwurf für diesen Bereich durchzusehen, dann hätten Sie relativ einfach und ohne Dringlichkeit feststellen können, daß von diesen Befürchtungen aber auch gar nichts in diesen Entwürfen enthalten ist. Ich begrüße das und sage das zur Relativierung der Dringlichkeit und des Wissenswertens des Anfragegegenstandes.

Eine Anmerkung möchte ich zum Begutachtungsentwurf aber doch machen: (Bundesrat Dr. Kapral: Das ist das Vorrecht der Regierungsparteienvertreter, daß Sie alle solche einen Tag vorher bekommen!) Wieso? (Bundesrat Dr. Kapral: Ich habe es heute auch gesehen, aber das war erst nach Einbringung!) – Ich habe es auch so wie alle anderen aus dem Kreis der mit den Begutachtungsentwürfen Beteilten bekommen. (Bundesrat Eisl: Vielleicht hat das die Dringliche bewirkt!) Immerhin hatte man seit gestern Gelegenheit, das zu lesen, wenn man wollte, und wenn das Thema tatsächlich so dringlich ist, wie Sie geschildert haben, aber das nur nebenbei. (Bundesrat Waldhäusl: Es sind nicht alle gleich in diesem Haus!)

Die Begutachtung ist ausgefertigt mit 23. Februar, aber erst gestern, Donnerstag, am 28., in Vorarlberg eingetroffen. Die Begutachtungsfrist ist mit Montag, 4. März, bemessen. Das halte ich – mit Verlaub gesagt – nicht für den Beginn einer neuen Gesetzgebungskultur, den wir uns vorgenommen haben.

Dazu gehört auch, daß zwar das Bundeskanzleramt seine Vorstellungen präsentiert hat, daß aber wesentliche Teile des Budgetsanierungsprogramms und der Begleitgesetze, die da notwendig sind, noch keineswegs im Begutachtungsverfahren vorliegen. Ich denke nur an den gesamten Bereich des Sozial- und Steuerrechtes.

Ich möchte Sie, Herr Staatssekretär bitten, darauf einzuwirken – ich weiß, das liegt außerhalb Ihres unmittelbaren Wirkungsbereiches –, daß die neue Gesetzgebungskultur ordentlich beginnt und nicht in einer Art und Weise, daß sie schon wieder beendet ist, bevor sie überhaupt begonnen hat.

Hinsichtlich der Bundesstaatsreform, meine Damen und Herren von den Freiheitlichen, ist Ihre Ungeduld verständlich. Auch die Landeshauptmänner haben bei ihrer letzten Konferenz wieder darauf gedrängt, daß aufbauend auf dem Paktum von Perchtoldsdorf die Bundesstaatsreform in Form der vorliegenden Regierungsvorlage beschlossen werden soll. (Bundesrätin Dr. Riess-Passer: Die sind aber mehr an sich selbst als am Bundesrat interessiert, die Landeshauptleute!)


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Wenn Sie, Herr Kollege Kapral, monieren, daß eine Klarstellung der Bundesregierung notwendig wäre, dann können Sie doch wohl nur die neubestellte Bundesregierung meinen, nicht eine übergangsweise mit der Fortführung der Geschäfte der alten Bundesregierung betrauten Regierung. Da müssen Sie sich mit Ihrer Anfrage dann neuerlich bemerkbar machen, wenn die Bundesregierung, von der Sie etwas wissen wollen, tatsächlich im Amt ist.

Auch der Bundeskanzler als Organ gesehen scheint mir nicht ganz die richtige Adresse zu sein. Was hat der Herr Bundeskanzler in der politischen Vereinbarung von Perchtoldsdorf zugesagt? – Daß vor der Volksabstimmung eine Regierungsvorlage eingebracht wird. – Das ist knapp genug, aber immerhin vereinbarungsgemäß geschehen.

Es hat sich dann abgezeichnet, daß das nicht zuletzt auch in seiner Parlamentsfraktion Widerstände findet, und es ist nicht dazu gekommen, das in der laufenden Gesetzgebungsperiode abzuschließen. Es gab dann eine Vereinbarung, auch mit der Unterschrift des Bundeskanzlers, daß die Regierungsvorlage unverändert nach der Wahl 1994 neuerlich eingebracht wird. Das ist auch als erledigt abzuhaken.

Darüber hinaus hat es auch nach dieser Nationalratswahl, obwohl das nicht mehr von den früheren Zusagen eingeschlossen gewesen wäre, neuerlich eine Regierungsvorlage, freundlicherweise mit derselben Beilagennummer, gegeben, die jetzt wieder Beratungsgegenstand des Nationalrates ist.

In der Anfragebegründung führen Sie selbst aus, daß der Kompromiß, der mit den Oppositionsparteien im Nationalrat gefunden werden konnte, glücklicherweise nicht beschlossen wurde. Daher können Sie natürlich dann auch nicht dem Bundeskanzler vorwerfen, daß es nicht dazu gekommen ist, sondern das ist eine Kritik, die an die Mehrheitsverhältnisse und an die Mehrheitsentscheidungen – in dem Fall waren es negative Entscheidungen – im Nationalrat zu richten gewesen wäre.

Ich habe es sehr begrüßt, daß die Regierungsvorlage sofort wieder eingebracht wurde. Ich habe jetzt auch gehört, daß Sie, Herr Staatssekretär, sich auch dazu bekennen, daß sie so beschlossen werden soll. Das schließt dann natürlich aus, daß man noch alles mögliche mit hineinpackt. Sie haben am Rande gesagt: Allfällige weitere Zuständigkeitswünsche des Bundes können jetzt nicht im Zuge dieser Budgetbegleitgesetze erledigt werden, sondern im Rahmen der ohnedies zu beratenden Bundesstaatsreform. – Das klingt natürlich so, wie es früher auch schon oft geklungen hat, daß viele Vorbehalte damit verbunden sein könnten. Ich will jetzt aber nicht näher darauf eingehen, sondern lasse mich davon überzeugen, daß das jetzt tatsächlich in der auch mit den Ländern vereinbarten Form beschlossen wird. – Sie haben also an sich mit Ihrer Anfrage den Adressaten nicht ganz richtig getroffen, wenn Sie den Bundeskanzler fragen. (Bundesrat Dr. Prasch: Den Föderalismusminister gibt es nicht mehr!)

Etwas anderes ist es natürlich, wenn man diese Appelle an den Vorsitzenden der Sozialdemokratischen Partei richtet, weil es immerhin bemerkenswert ist, daß es ihm seine eigene Fraktion bis heute verunmöglicht hat, eine vertragliche Zusage an die Länder durch Jahre hindurch einlösen zu können. Das ist eine berechtigte Kritik an der mangelnden Durchsetzungsfähigkeit (Bundesrat Dr. Schambeck: Leider wahr! Miterlebt in Demutsübung!), wobei ich hoffe, daß sie sich durch das Wahlergebnis gestärkt darbietet.

Die Stärkung der Länderrechte war ein wichtiger Beitrag bei dieser verheißenden Bundesstaatsreform, nämlich daß der Beitritt zum Europäischen Wirtschaftsraum und der Beitritt zur Europäischen Union nicht ohne oder gar womöglich gegen die Länder vollzogen wurden, sondern mit ihnen. Gemeinsam ist man diesen Weg gegangen, weil man auch auf diese gemeinsame Vereinbarung vertraut hat.

Wir wären, glaube ich, gut beraten – das richtet sich jetzt an alle, die guten Willens sind –, daß wir vor der EU-Wahl dieses Jahres informieren sollten, daß die vor dem Beitritt seinerzeit gemachten Zusagen auch tatsächlich inzwischen eingelöst wurden. Ich denke, daß wir nicht mit der Hypothek uneingelöster Zusagen in die Informationskampagne zur EU-Wahl gehen sollten. (Beifall bei der ÖVP.)


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Dazu kommt ein neuer Gesichtspunkt. Man kann oft den Eindruck haben, die Bundesstaatsreform sei etwas, was man den Ländern und Gemeinden zum Gefallen mache – natürlich auch, damit erfüllt man wesentliche Teile ihrer Forderungen. Es ist inzwischen aber verstärkt als früher deutlich geworden, daß wesentliche Teile dieser Reform auch unerläßliche Voraussetzung für eine Strukturreform auf Bundesebene sind.

Wir alle reden davon, daß Verwaltungsverfahren vereinfacht, zusammengelegt, beschleunigt werden sollten. Da wäre die Übertragung der mittelbaren Bundesverwaltung und die Vereinheitlichung unter dem Dach der Zuständigkeit der Landesregierung eine ganz wesentliche Voraussetzung dafür, das einfach und rasch bewerkstelligen zu können.

Es ist schon darauf hingewiesen worden, wie notwendig Landesverwaltungsgerichte wären und welche Probleme damit verbunden sind. Das ist auch unerläßlich, wenn wir die Standortqualität Österreichs als Anbieter öffentlicher Dienstleistung im internationalen Wettbewerb verbessern wollen.

Der Herr Staatssekretär hat zu Recht darauf hingewiesen, daß das, was für die Sanierung des Budgets und für die Beständigkeit der österreichischen Budgetpolitik notwendig ist, im engen Einvernehmen mit den Ländern gemacht wurde – als Ausdruck eines neuen kooperativen Föderalismus und einer gesamtwirtschaftlichen Beurteilung auch des Bundesbudgets und der Landes- und der Gemeindebudgets.

Ich denke, daß wir bei dieser neuen Form der Kooperation nicht auf dem halben Weg der Budgetsanierung stehenbleiben sollten, sondern auch fortschreiten sollten zu dem, was wir den Ländern schon lange zugesagt haben, nämlich ihre Rechte zu stärken. Hier auf halben Wege stehenzubleiben, wäre in Wirklichkeit ein Rückschritt. – Danke. (Beifall bei der ÖVP.)

16.49

Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Als nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Stefan Prähauser. – Bitte.

16.50

Bundesrat Stefan Prähauser (SPÖ, Salzburg): Frau Präsidentin! Herr Staatssekretär! Hohes Haus! Wir erleben heute wieder einen Aufguß der F, die dringliche Anfragen zu diesem Themenbereich mit einer gewissen Regelmäßigkeit einbringt. Sehen Sie bitte darin keine Kritik, nein, im Gegenteil, ich bin durch die Entwicklung in den letzten Wochen äußerst zufrieden über diese dringliche Anfrage, um den Standpunkt der sozialdemokratischen Bundesratsfraktion aktuell formulieren zu können.

Zunächst zu der dem Perchtoldsdorfer Paktum zugrunde liegenden Überlegung: die Kompetenzbereinigung.

Die Zustandserhebung der österreichischen Kompetenzsituation durch Politik und Wissenschaft ist sicher richtig. Die Kompetenzen sind aufgesplittert, die Kompetenzverteilung ist unübersichtlich und in vielen Bereichen sicher nicht mehr zeitgemäß. Konnte diese Situation im Jahre 1992 bei Abschluß des Perchtoldsdorfer Paktums noch unter hauptsächlich föderalistischen Ansätzen betrachtet und beschrieben werden, so ist nunmehr verstärkt in der letzten Zeit eine neue Grundüberlegung dazugekommen.

Die budgetäre Situation hat die Bundesregierung dazu gezwungen, ein umfassendes Sparpaket zu schnüren, welches alle Bevölkerungsgruppen tiefgreifend trifft. Es wäre daher vermessen, die Bereinigung der Kompetenzen in Gesetzgebung und Vollziehung nicht auch primär unter diesem Aspekt zu sehen. Es geht also darum, durch Schaffung einer neuen Kompetenzsituation einen möglichst großen verwaltungsreformatorischen Ansatz zu realisieren, dadurch Kosten für die Budgets des Bundes und der Länder zu minimieren.

Daher müssen die Kompetenzen vereinfacht werden, was gleichzeitig für die Bürgerin und den Bürger mehr Übersichtlichkeit bedeutet. Mehr Übersichtlichkeit bedeutet aber auch mehr Bürgernähe, und vereinfachte Verfahren bedeuten mehr Bürgerfreundlichkeit, also ein Weg in


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die richtige Richtung. Obwohl dieser Ansatz sehr einfach erscheint, habe ich manchmal das Gefühl, daß diese Überlegungen nicht immer unbedingt im Vordergrund stehen, sondern auch Überlegungen wie Prestige bei den Verhandlungen eine gewisse Rolle spielen.

Die sozialdemokratische Bundesratsfraktion unterstützt daher alle Maßnahmen, die zu einer Förderung der Übersichtlichkeit von Zuständigkeiten führen, die Verwaltungsverfahren vereinfachen, die Kosten minimieren und für die BürgerInnen Transparenz schaffen.

Lassen Sie mich aber nunmehr zu einem zweiten Thema kommen: Wie können die Kosten von legislativen Maßnahmen optimiert werden?

Eine kritische Beleuchtung der Gesetzgebungsaktivitäten von Bund und Ländern zeigt deutlich auf, daß bei der Beschlußfassung von Gesetzen auf die daraus entstehenden Kosten zuwenig Augenmerk gelegt wird.

Ein erster Schritt in diesem Bereich wäre – ich werde nachher erklären, warum ich im Konjunktiv formuliere –, daß alle Gesetzentwürfe im Vorblatt beziehungsweise in den Erläuterungen darzustellen haben, welche Kosten dadurch für Bund, Länder, aber auch Gemeinden entstehen. Sieht man sich einige Regierungsvorlagen, Initiativanträge und andere Gesetzentwürfe an, so fällt auf, daß bei zirka einem Drittel überhaupt keine Kostenschätzung vorgenommen wird, beim nächsten Drittel eine Kostenschätzung dargestellt wird, die auf einen Blick als falsch oder nur als schlampig bezeichnet werden kann, und nur beim letzten Drittel eine Kostenschätzung beigegeben wurde, die zumindest auf den ersten Blick realistisch erscheint. Das bedeutet aber noch lange nicht, daß sie auch einer genaueren Beleuchtung durch Sachverständige und Experten standhalten würde.

Nun zum Konjunktiv: Warum ich diesen gewählt habe, ist ganz einfach. Das ist alles schon geltendes Recht. Man müßte sich also die Frage stellen, warum dieser wichtige Ansatz bisher nicht realisiert wurde.

Die sozialdemokratische Bundesratsfraktion hat schon vor zwei Jahren auf die Einhaltung dieser Bestimmungen gedrungen und mit Entschließungsantrag die Bundesregierung aufgefordert, bei Regierungsvorlagen insbesondere die Kosten für die Länder und die Gemeinden umfassend darzustellen. Erst aufgrund dieser Kostenschätzung kann dann ein vernünftiger Konsultationsmechanismus zwischen Bund und Ländern organisiert werden, der bei Unstimmigkeiten ausgelöst werden soll.

Es hat am 9. Februar 1996 eine Landeshauptmännerkonferenz stattgefunden, die sich auch mit diesem Thema befaßte. Der Beschluß der Landeshauptmännerkonferenz selbst stimmt mich zwar nicht glücklich, ist aber von Sicht des Bundesrates aus meiner Meinung nach gerade noch zu akzeptieren. Was jedoch bedenklich erscheint, ist eine Aussage von Landeshauptmann Zernatto zu diesem Thema. Er meint, daß der Bundesrat zu geringen Einfluß habe und deshalb die Vetofunktion von einem eigenen Konsultativgremium wahrgenommen werden soll. Dieses soll aus Vertretern der Länder, des Städte- und Gemeindebundes bestehen. (Bundesrat Eisl: Das heißt im Klartext, Zernatto will den Bundesrat abschaffen!) – Ich komme noch dazu, Herr Kollege Eisl!

Wie ich mir in der Zwischenzeit laut Aussage von ÖVP-Landesleuten 100prozentig sicher bin, bedeutet Vertreter der Länder die Landeshauptmännerkonferenz. Das bedeutet also, daß bei allen Bundesgesetzen, die finanzielle Auswirkungen haben – das sind beinahe alle –, die Landeshauptmännerkonferenz in Zukunft die Rechte der Länder wahrnehmen wird und dem Bundesrat ein Beobachterstatus zukommt. Der Bundesrat darf dann nur mehr bei Einzelgesetzen, nämlich jenen, die keine finanziellen Auswirkungen haben, mitreden.

Hoher Bundesrat! Meine Damen und Herren! Das ist eine Entwicklung, die von der sozialdemokratischen Bundesratsfraktion mit Sicherheit nicht mitgetragen wird. (Beifall bei der SPÖ und bei den Freiheitlichen.)


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Diese Entwicklung steht aber auch im Gegensatz dazu, was Repräsentanten aus der ÖVP-Bundesratsriege in ihren Reden ausdrücken. Ich darf das auch bestätigen. Ich habe aus ihrem Mund noch nie anderes gehört, aber die Landeshauptleute sprechen eben mit anderer Zunge. – Ich ersuche Sie, Herr Professor Schambeck, und Ihre Kollegen seitens der ÖVP um klärende Aussagen zu diesen Äußerungen des Landeshauptmannes Zernatto.

Lassen Sie mich aber nun zu einem dritten Punkt kommen, der die Effektivität einer "landeshauptmännerkonferenzähnlichen Einrichtung" darstellt.

Der Beitritt Österreichs zur EU führt unbestrittenerweise zu einer Delegierung von Gesetzgebungskompetenzen des Bundes und der Länder nach Brüssel. Um den Einfluß der Parlamente dennoch in – wenn auch beschränktem Ausmaß – zu sichern, wurden die sogenannten Mitwirkungsverfahren eingeführt. Der Nationalrat wirkt durch seinen EU-Hauptausschuß, der Bundesrat durch seinen EU-Ausschuß an EU-Vorhaben mit, die bundesgesetzliche Maßnahmen betreffen. Der Nationalrat hat sich mit einer Menge von Verhandlungsgegenständen in 14tägigen Sitzungen herumgeschlagen und immerhin 18 bindende Stellungnahmen in zirka sechs Monaten Tätigkeit beschlossen.

Wir müssen selbstkritisch anmerken, daß der Bundesrats-EU-Ausschuß bei einzelnen Verhandlungsgegenständen noch keine analoge Aktivität aufgenommen hat, dafür aber immerhin unter Mitwirkung fast aller wesentlichen Regierungsmitglieder die österreichische Stellung zur Regierungskonferenz 1996 in drei Sitzungen abgehandelt hat und heute der daraus resultierende Bericht im Bundesrat breit diskutiert wurde. – Eine hämische Anmerkung: Der Nationalrat hat sich mit dieser Angelegenheit bisher noch nicht befaßt.

Vielleicht ist es auch gar keine unglückliche Aufgabenteilung, daß sich der Nationalrat verstärkt um die Einzelvorhaben und der Bundesrat um die sogenannten großen Würfe kümmert. Jedenfalls haben beide Kammern Aktivitäten im Bereich der EU-Vorhaben gesetzt.

Vor zirka drei Jahren hat die sozialdemokratische Bundesratsfraktion vorgeschlagen, daß der Bundesrat oder sein EU-Ausschuß auch die Interessen der Länder im Bereich der EU-Vorhaben wahrnimmt. Dies wurde jedoch weder von den Ländern noch von der ÖVP-Bundesratsfraktion unterstützt. Es kam daher in Folge zur Einrichtung der sogenannten Integrationskonferenz der Länder, die sich aus den neun Landeshauptleuten mit Stimmrecht und den neun Landtagspräsidenten zusammensetzt. Gnädigerweise hat das Bundesratspräsidium ein Beobachtungsrecht bekommen.

Analysiert man nun ein Jahr nach EU-Beitritt die Aktivitäten der Integrationskonferenz der Länder, so sieht man, daß sich die Länder durch die Schaffung dieses zwar hochrangigen, aber sonst äußerst unflexiblen Gremiums ihrer Mitwirkungsrechte begeben haben. Es wurden keine Stellungnahmen beschlossen. Die Länder haben an EU-Vorhaben nicht mitgewirkt.

Auch hier hämisch angemerkt: Hätte man das Modell der sozialdemokratischen Bundesratsfraktion gewählt, daß nämlich der EU-Ausschuß des Bundesrates die Interessen der Länder wahrnehmen soll, wäre das Ergebnis jedenfalls besser gewesen, da es unmöglich ist, ein schlechteres als die Integrationskonferenz der Länder zu erzielen.

Was ich damit sagen möchte, ist: Es reicht nicht aus, mehr Rechte für die Länder zu fordern. Man muß sich dabei auch überlegen, wie diese bestmöglich wahrgenommen werden sollen. Und die letzte Analyse – Mitwirkung bei EU-Vorhaben – hat gezeigt, daß landeshauptmännerkonferenzähnliche Einrichtungen nicht unbedingt der Weisheit letzter Schluß sein mögen.

Ich appelliere daher an die Länder, dem Bundesrat mehr Vertrauen entgegenzubringen. Ich bin überzeugt, daß in unserer Kammer sehr viel Potential steckt, mit welchem wir die Länder in vielen Angelegenheiten unterstützen und die Interessen der Länder vertreten könnten. (Beifall bei der SPÖ und Beifall des Bundesrates Eisl. )

Ich ersuche auch jede Bundesrätin und jeden Bundesrat, also Sie, geschätzte Kolleginnen und Kollegen, diesen Appell in Ihrem jeweiligen Bundesland zu unterstützen. Die Länder sollen dem


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Bundesrat eine Chance geben und den Bundesrat nicht durch die Landeshauptmännerkonferenz mittelfristig in Frage stellen. – Ich danke Ihnen. (Beifall bei SPÖ und ÖVP und bei Bundesräten der Freiheitlichen.)

17.00

Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Als nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Weilharter. Ich bitte ihn, das Wort zu nehmen.

17.00

Bundesrat Engelbert Weilharter (Freiheitliche, Steiermark): Frau Präsidentin! Herr Staatssekretär! Meine Damen und Herren! Der Herr Staatssekretär hat uns in seinen globalen Einbegleitungen und in der Anfragebeantwortung mitgeteilt, daß das Sparpaket mit den Ländervertretern ausgehandelt und ausverhandelt wurde. Er nannte die Namen der Landeshauptmänner Stix und Sausgruber aus Vorarlberg. Das ist richtig, wir wissen das, wir nehmen das zur Kenntnis.

Herr Staatssekretär! Ich glaube aber, Sie haben die falschen Adressaten, die falschen Personen zum Verhandeln erwischt, denn die Budgetkompetenz, die Budgethoheit liegt per Landesverfassung beim Landtag und nicht bei den Entsandten der Länder. Und die Probleme bei der Erfüllung der Konvergenzkriterien wird nicht Herr Landeshauptmann Stix und nicht Herr Sausgruber haben, sondern die haben die jeweiligen Landtage. Und ich bezweifle, daß es aufgrund dieses Sparpaketes zur Erfüllung der Konvergenzkriterien kommen wird.

Daher, Herr Staatssekretär – nicht an Ihre Adresse ad personam, aber an die Regierung –, würde ich ersuchen, daß man sich in Hinkunft bei solchen Entscheidungen schon vorweg erkundigt und informiert, wer sich mit diesem Problem zu beschäftigen hat, denn die Länderbudgets sind ja auch mehr als angespannt, und letztlich wird es wieder die Bürger in den einzelnen Ländern treffen. (Bundesrat Rauchenberger: Die Realverfassung kennen Sie aber nicht, gelt?)

Meine Damen und Herren! Was die Realverfassung betrifft, so ist es völlig klar, daß wir d’accord sind. Aber es gilt die geschriebene Landesverfassung. Die Realverfassung ist wahrscheinlich nach Ihrer Interpretation von Land zu Land unterschiedlich, je nachdem, wie stark Ihre Fraktion ist. Wir haben auch in den letzten Tagen im Bereich der Unvereinbarkeit beziehungsweise der Immunität gemerkt, wie Sie es mit der Verfassung halten.

Meine Damen und Herren! Nun ein paar Worte zur Bundesstaatsreform. Mittlerweile bekommt man als Ländervertreter das Gefühl, wenn es um berechtigte Anliegen der Länder geht, wird von seiten des Bundes immer wieder auf die sogenannte Bundesstaatsreform verwiesen. Für mich stellt in der Tat dieser Begriff "Bundesstaatsreform" beinahe schon so quasi eine Länderbeschwichtigung dar. Es ist ja nicht neu hier in diesem Haus, und es ist nicht neu in den Ländern, daß das Verlangen nach einer Bundesstaatsreform gegeben ist.

Warum sage ich: In der Tat ist es eine Form von Länderbeschwichtigung? Seit Jahren verlangen die Länder berechtigterweise, daß ihre unterschiedlichen Interessen zur Kenntnis genommen werden, und seit Jahren werden die Länder mit dem Begriff der Bundesstaatsreform vertröstet. Wenn die Länder eine klare Kompetenzaufteilung fordern, dann wird immer wieder der Begriff der Bundesstaatsreform verwendet.

Meine Damen und Herren! Wenn es darum geht, über die sogenannte mittelbare Bundesverwaltung den Ländern die Vollziehung zu übertragen, dann ist die Bundesregierung rekordverdächtig, rekordverdächtig in der Form, daß sie einfach den Ländern viele Aufgaben überträgt und gleichzeitig wiederum erklärt: Selbstverständlich wird dann der Druck von den Ländern in der Form genommen, wenn wir die Bundesstaatsreform ausverhandeln und die Bundesstaatsreform beschließen. (Präsident Payer übernimmt den Vorsitz.)

Das ist für mich, meine Damen und Herren, der derzeitige Zustand der Verhandlungen um die Bundesstaatsreform. Die Länderkammer, der Bundesrat, müßte viel mehr darauf dringen, die Interessen der Länder im Bereich der Bundesstaatsreform in verstärktem Ausmaß wahrzu


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nehmen, wie zum Beispiel das Mitspracherecht bei den Bundesgesetzen, die die Finanzsituation der Länder betreffen.

Es kann nicht so sein – und erlauben Sie mir ein Beispiel – wie etwa beim Wasserrecht. Jahrelang haben Gemeinden und Länder in den Wasserwirtschaftsfonds hineinbezahlt. Als es dann per Gesetz zur Wasserbewirtschaftung in den Ländern gekommen ist, war kein Geld mehr im Wasserwirtschaftsfonds. Der Wasserwirtschaftsfonds wurde umgeschichtet, um nicht zu sagen, ausgeräumt, und die Länder und die Gemeinden zahlen bei der Bewirtschaftung ein zweites Mal.

Meine Damen und Herren! Daher muß es Ziel der Länderkammer sein, daß wir bemüht sind, unsere Anstrengungen dahin gehend zu richten, daß wir eine Abschaffung der mittelbaren Bundesverwaltung und die Übertragung dieser Angelegenheiten in die Vollziehung der Länder verlangen, nicht nur – wie bereits erwähnt – beim Wasserrecht, sondern auch im Bereich des Forstrechtes bis hin zum Gewerberecht. Es kann nicht sein – die Länder werden es finanziell nicht länger aushalten –, daß die Aufgaben einfach den Ländern übertragen werden, die Finanzierung von den Ländern durchgeführt wird, noch dazu, da die Steuerkompetenzen und Zuständigkeiten der Länder mehr als gering, wenn überhaupt gegeben sind.

Meine Damen und Herren! Es muß eine Forderung des Bundesrates sein, daß wir von der Bundesregierung, vom Parlament eine zeitgemäße, moderne Bundesstaatsreform bekommen, und in dieser Bundesstaatsreform muß vor allem auch eine Trennung, eine klare Kompetenztrennung der Aufgaben zwischen den einzelnen Gebietskörperschaften gegeben sein.

Derzeit ist folgende Situation gegeben: Derzeit gibt es keine wesentliche Verteilung der Kompetenzen zwischen den Gebietskörperschaften, sondern die Kompetenzen, von denen die Bundesverfassung spricht, ermächtigt lediglich im hoheitlichen Bereich zu Regelungen, wenn es um den Begriff eines Gegenstandes geht. Daher, meine Damen und Herren, muß es auch Ziel der Bundesstaatsreform sein, daß in diesem Bereich eine Aufgabenteilung zwischen den Gebietskörperschaften vorgenommen wird.

Es muß uns als Vertreter einer Länderkammer auch bewußt sein, daß es neben diesen Forderungen – es ließe sich diese Liste noch fortsetzen, in der Präambel, in der Einbegleitung dieser dringlichen Anfrage ist einiges angeführt – eine unabdingbare Forderung ist, daß eine klare Kompetenzverteilung zwischen den Ländern und dem Bund im Bereich der Gebietskörperschaften gegeben ist, daß neben einer Klärung der Finanzautonomie auch die Entscheidung beinhaltet sein muß, ob die Länder eine Finanzautonomie bekommen, das heißt, daß die Länder auch eine Steuerhoheit, ein Steuerrecht bekommen. Es kann nicht so sein, daß die Länder Bundesaufgaben durchführen und dann im Finanzausgleich als Bittsteller beim Bund vorstellig werden.

Meine Damen und Herren! Daher lade ich Sie ein, in diesem Bereich unsere Forderungen zu unterstützen, denn es geht nicht nur um die Interessen der Länder, um die berechtigten, legitimen Interessen, sondern diese Debatte ist für mich auch eine Frage des Selbstwertgefühls dieses Hauses. Wenn wir unsere Aufgabe als Ländervertreter, als Bundesräte ernst nehmen, dann, meine Damen und Herren, müssen Sie unsere Forderung nach einer zeitgemäßen, ausgewogenen Bundesstaatsreform unterstützen, die vor allem das Ziel hat, daß es zu einer Kompetenzentflechtung im Sinne einer echten Ländervertretung kommt. (Beifall bei den Freiheitlichen sowie Beifall des Bundesrates Prähauser .)

17.09

Präsident Johann Payer: Als nächster zu Wort gemeldet hat sich Herr Vizepräsident Professor Schambeck. Ich erteile dieses.

17.09

Bundesrat Dr. Drs h. c. Herbert Schambeck (ÖVP, Niederösterreich): Herr Präsident! Sehr verehrter Herr Staatssekretär! Meine Damen und Herren! Es kann doch eigentlich nur ein gutes Omen sein, daß wir am Ende der heutigen Sitzung, wenn auch von verschiedenen Standpunkten und Aktionen ausgehend, alle gemeinsam in dem Haus, der Länderkammer, in Anwe


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senheit des Staatssekretärs des Bundeskanzleramtes ja zu einer Bundesstaats- und ja zu einer Bundesratsreform sagen. Denn wenn wir uns das nächste Mal sehen – wenn ich mich nicht irre, verkündet der Herr Präsident den 19. März; wir alle müssen schauen, daß wir inzwischen gesund bleiben und daran teilnehmen können; das ist heutzutage keine Selbstverständlichkeit; man weiß nie, was einem im nächsten Moment passieren kann, und keiner weiß, wie spät es ist, meine sehr Verehrten –, dann haben wir als Thema die Regierungserklärung, dann werden wir uns als Länderkammer damit auseinandersetzen, welche Aufgaben sich die Bundesregierung und auch in bestimmter Weise der Erstgesetzgeber, der Nationalrat für die nächsten vier Jahre stellen. Ich glaube, dazu könnten wir wirklich viel einbringen, wobei wir das, wozu wir uns schon bisher bereit erklärt haben, ja nur zu wiederholen bräuchten.

Darf ich Ihnen sagen, daß Kollege Strutzenberger und ich selbst schon Initiativen vorbereitet haben, die beschlossen waren. Ich bin erstaunt, von SPÖ-Seite zu hören, daß man zu dem, was Kollege Strutzenberger schon vorbereitet und mit mir eingebracht hat, nicht steht.

Herr Kollege Prähauser! Ich kann Ihnen nur folgendes sagen: Ihr braucht nur den Weg von Walter Strutzenberger und den der letzten Initiativen Schambeck/Strutzenberger zu gehen und dazu zu stehen, aber nicht über Klubsekretäre ausrichten zu lassen, daß man nicht mehr zu dem steht, was man vorher mit dem damaligen Klubobmann hier eingebracht hat.

Herr Staatssekretär Schlögl! Ich bin Ihnen gegenüber wirklich nicht mißtrauisch, im Gegenteil, ich bin optimistisch, daß Sie an uns Bundesräte denken werden, weil Sie ein Mann sind, der weiß, wo er hergekommen ist, und weil Sie eine kontinuierliche Entwicklung als Föderalist hinter sich haben. Sie müssen aber mein Erstaunen verstehen, wenn Sie in einem Brief, den Sie namens des Bundeskanzleramtes an den Landesstatthalter Dr. Sausgruber nach Bregenz gerichtet haben, diesen Konsultationsmechanismus vorstellen und der Bundesrat darin aber nicht vorkommt. Wir würden uns sehr freuen, wenn der Bundesrat in dem, was auch von Ihnen für diesen Konsultationsmechanismus vorbereitet wurde, vorkäme, denn dann kann man gleich sagen: Hic Rhodos, hic salta. Hier können wir uns gleich unter Beweis stellen.

Hier kann ich mich zitieren, ich habe Jahre hindurch, leider Gottes muß ich schon sagen, Jahrzehnte hindurch, immer wieder gesagt: Ich bin dafür, daß das Zustimmungsrecht des Bundesrates auf den Finanzausgleich und auf alle Gesetze, die die Länder belasten, erweitert wird.

Dazu darf ich Ihnen sagen, Herr Kollege Prähauser: Diese pointierte Äußerung, die mein Freund, Landeshauptmann von Kärnten Dr. Zernatto, gemacht hat, auf die Sie sich dankenswerterweise bezogen haben, ist ja nichts anderes als eine nähere Konkretisierung oder Ausparaphierung dessen, was hier als Konsultationsmechanismus vorgesehen ist. Daher habe ich allen Herren Landeshauptleuten mit persönlichen Zeilen expreß – ohne ihre Autographensammlung vermehren zu wollen – geschickt – alle Initiativen, die wir im Bundesrat in der letzten Periode des Nationalrates in diese Richtung schon eingebracht haben.

Herr Landeshauptmann Dr. Wendelin Weingartner, ehemaliger Hörer von mir in Innsbruck, hat gestern in einem sehr freundlichen Brief bestätigt, daß er das von mir bekommen hat. Ich darf Ihnen sagen: Wir haben im Bundesrat schon Initiativen ergriffen. Es wäre nur wertvoll, wenn das, was verdienstvollerweise auch Ihr Fraktionsobmann und Vizepräsident Walter Strutzenberger mit mir – teilweise hat auch die freiheitliche Partei zugestimmt – schon in der letzten Legislaturperiode des Nationalrates initiiert hat, weiter vom Bundesrat fortgesetzt werden würde. Es geht nicht an, daß man Mentalreservationen hört oder daß gesagt wird: Das, was Strutzenberger gemeint und mitformuliert hat, gilt heute nicht mehr!

Es wäre wirklich wertvoll, wenn man das, was man jetzt in einem Arbeitspapier zum Föderalismus vorbereitet, was auch im Perchtoldsdorfer Abkommen die Unterschrift des Bundeskanzlers hat, einer Konkretisierung zuführen würde.

Ich für meine Person darf Ihnen sagen: 21 Jahre Fraktionsobmann im Bundesrat und wechselnd Präsident oder Vizepräsident sind mehr als zwei Jahrzehnte Demutsübungen und Vorzimmergymnastik, und ich lernte die Taktik von Leuten, die nicht ernstlich bereit waren – von SPÖ-Seite, sage ich Ihnen, damit Sie nicht überlegen, wen ich meine –, Handlungen für den


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Bundesstaat und Bundesrat zu setzen, kennen. Das möchte ich Ihnen sagen. Das habe ich erlebt. En detail werden Sie es in meinen Memoiren lesen. Aber man kann sich nicht darauf ausreden, daß wir irgend etwas vergessen hätten.

Ihnen von der freiheitlichen Partei sage ich im Hinblick auf Bundesratseinsprüche: Sie sind hier die Nachfolge – ich sage nicht Epigonen; Sie sind die Nachfolge – von Leuten wie Herrn Dr. Broesigke – das ist ein bedeutender Jurist und auch ein bedeutender Humanist – und so weiter. Diese haben aber das föderalistisch Initiierte abgeschmettert. Lesen Sie bitte nach, was Ihre Parteivertreter im Nationalrat über Bundesratseinsprüche gesagt und diesbezüglich getan haben. Katastrophal! Sie stehen in einem kontradiktorischen Gegensatz zu Ihnen. Sie haben sich daher die Koalitionsrolle mit der SPÖ bis 1986 wahrlich verdient, meine sehr Verehrten!

Dazu sage ich Ihnen jetzt: Im Jahre 1996 sollten wir wirklich bei diesem Ja zum Föderalismus bleiben, Herr Staatssekretär, beginnend mit dem Konsultationsmechanismus, fortsetzend mit den Initiativen, die notwendig sind. Denn ich sage Ihnen: Wenn der erste Bundesgesetzgeber, nämlich der Nationalrat, nicht bereit ist, auch für die Länderkammer entsprechende Kompetenzen vorzusehen, dann darf er sich nicht wundern, wenn sich die politische Willensbildung über das Haus der Bundesgesetzgeber hinaus so entwickelt, daß man den Eindruck haben muß, das österreichische Parlament ist ein Ratifikationsorgan von dem, was sich außerparlamentarisch ereignet hat, meine sehr Verehrten! (Beifall bei ÖVP und den Freiheitlichen.) Zu dem Zweck fahren wir aber nicht nach Wien ins Parlament.

Daher glaube ich, daß es für jeden Nationalrat und Bundesrat von Interesse sein müßte, als Mindestmaß der Achtung einer demokratischen Republik für vermehrte Rechte des Bundesrates und für ausgeübte Rechte des Nationalrates zu sein. Man müßte – und damit schließe ich – im Jubiläumsjahr der Republik Österreich den Eindruck haben, Artikel 1 lautet: Österreich ist eine demokratische Republik, ihr Recht geht vom Volk aus!, und nicht: Es wäre an seinen Bundesländern und seinem Föderalismus und damit am Volk ausgegangen. – Ich danke Ihnen. (Beifall bei ÖVP und den Freiheitlichen.)

17.16

Präsident Johann Payer: Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.

Wünscht noch jemand das Wort? – Herr Bundesrat Jaud.

17.16

Bundesrat Gottfried Jaud (ÖVP, Tirol): Sehr geehrter Herr Präsident! Hoher Bundesrat! Ich möchte nur kurz zu Kollegen Prähauser Stellung nehmen.

Ich unterstreiche alles, was Sie gesagt haben. Jedoch müssen wir hier in der Länderkammer auch die Voraussetzung dazu schaffen, daß der Bundesrat seiner Aufgabe nachkommen kann.

Die Sozialdemokraten haben derzeit in der Präsidiale die Mehrheit, und der Präsident trägt dafür Verantwortung, daß die Termine so gesetzt sind, daß die Arbeit ordnungsgemäß erfolgen kann.

Ich muß feststellen, daß bei den wichtigen Gesetzen, den Begleitgesetzen zu dem Budget, die Terminsetzung so getroffen wurde, daß weder wir hier im Bundesrat noch die Bundesratsdirektion ihrer Aufgabe entsprechend nachkommen kann.

In der 16. Woche – so wurde uns heute mitgeteilt – wird der Nationalrat die Begleitgesetze beschließen, und wir sollen dann in der 17. Woche diese Gesetze absegnen. Das ist dann nichts mehr anderes als ein Absegnen dieser Gesetze.

Die Bundesratsdirektion hat nicht mehr die Möglichkeit, diese Beschlüsse dann den Ländern mitzuteilen, damit die sich die Beschlüsse des Nationalrates ansehen können, sie begutachten können und uns mitteilen können, ob ihnen das paßt.

Wenn wir in der Zukunft so vorgehen – diese Vorgangsweise setze ich praktisch mit der Ausschaltung des Bundesrates gleich, weil wir eben nicht die nötige Sorgfalt an den Tag legen können –, dann brauchen wir uns darüber nicht zu wundern, wenn uns die Länder nicht ernst


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nehmen, weil sie von uns nichts hören und weil wir dann auch in der Zukunft unserer Aufgabe nicht nachkommen können.

Vielleicht wäre es noch möglich, sehr geehrter Herr Präsident, diese Termine der 17. Woche auf die 18. Woche zu verlegen, damit wir das wirklich ordnungsgemäß behandeln können, denn das sind Rahmengesetze, die für die nächsten vier Jahre gelten. Und die sind es wohl wert und würdig, daß wir sie entsprechend beraten.

Falls das aber nicht möglich ist, dann bitte ich Sie, wenigstens in der Zukunft dafür Sorge zu tragen, daß wir unserer Aufgabe nachkommen können. (Beifall bei der ÖVP und bei Bundesräten der Freiheitlichen.)

17.19

Präsident Johann Payer: Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.

Wünscht noch jemand das Wort? – Es ist dies nicht der Fall.

Die Debatte ist geschlossen.

Ich gebe noch bekannt, daß seit der letzten beziehungsweise in der heutigen Sitzung insgesamt sechs Anfragen, und zwar mit den Nummern 1162/J bis 1167/J, eingebracht wurden.

Meine Damen und Herren! Ich erlaube mir, von dieser Stelle aus unserem Kollegen, Herrn Bundesrat Ing. Georg Leberbauer, der heute von diesem Haus ins Spital gebracht wurde, in Ihrem Namen und in meinem Namen gute Besserung zu wünschen. (Allgemeiner Beifall.)

Die Einberufung der nächsten Sitzung des Bundesrates wird auf schriftlichem Wege erfolgen. Als Sitzungstermin ist Dienstag, der 19. März 1996, 10 Uhr, in Aussicht genommen.

Für die Tagesordnung dieser Sitzung kommen jene Vorlagen in Betracht, die der Nationalrat bis dahin verabschiedet haben wird, soweit sie dem Einspruchsrecht beziehungsweise dem Zustimmungsrecht des Bundesrates unterliegen.

Es ist in Aussicht genommen, daß – soferne bis dahin die Regierungsbildung erfolgt ist – der Bundeskanzler um 13.30 Uhr eine Erklärung der Bundesregierung abgibt und darüber eine Debatte stattfindet.

Die Ausschußvorberatungen sind für Montag, den 18. März 1996, ab 14 Uhr vorgesehen.

Die Sitzung ist geschlossen .

Schluß der Sitzung: 17.21 Uhr