Nationalrat, XX.GP Stenographisches Protokoll 95. Sitzung / Seite 47

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Präsident Dr. Heinrich Neisser: Zu Wort gelangt nunmehr Herr Abgeordneter Öllinger. – Bitte, Herr Abgeordneter.

11.23

Abgeordneter Karl Öllinger (Grüne): Werter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren auf der Ministerbank! Hohes Haus! Anders als Kollege Kier das noch versucht hat – mit dem Trick, zunächst lediglich die Vorteile der Reform zu nennen –, werde ich nicht mit den Vorteilen dieser Pensionsreform beginnen, sondern ich werde versuchen, einmal zusammenzufassen, was wir als Problem bei dieser Pensionsreform sehen.

Aus der Sicht der Grünen ist diese Pensionsreform perspektivlos und unsolidarisch, sie stößt an die Systemgrenzen, die durch das ASVG gesetzt sind, sie hat eine komplizierte Legistik noch komplizierter gemacht, sie ist ungerecht gegenüber den Jungen, und sie hat kein differenziertes Konzept für die Beschäftigungs- und Arbeitsmarktpolitik zur Grundlage. Ich werde Ihnen das im Detail zu erklären versuchen. (Abg. Auer: Das wird beim jämmerlichen Versuch bleiben!)

Diese Pensionsreform ist perspektivlos, weil ihr kein Entwurf zugrunde liegt, wie die Gesellschaft, wie die Wirtschaft im Jahre 2030 – und Sie geben ja vor, daß diese Pensionsreform im Jahrzehnt 2020/2030 zum Tragen kommen soll – beschaffen sein wird. (Abg. Dietachmayr: Wissen Sie das?) Nein, aber ich habe eine Vorstellung davon, in welche Richtung die derzeitige Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt geht, und diese Vorstellung bereitet mir Sorgen, da Sie mit Ihrem Entwurf dieser Entwicklung nicht Rechnung tragen. Denn eines ist erkennbar, Kollege Dietachmayr: Die Arbeitsverhältnisse werden immer prekärer. Immer häufiger müssen wir – und das betrifft nicht uns hier im Hohen Haus, sondern die Jugend draußen – damit rechnen, daß die Jugend keine kontinuierliche Erwerbsbiographie haben wird, daß man mit 15 oder 20 Jahren in einem Betrieb zu arbeiten anfängt und mit 60 oder 65 Jahren aus dem Erwerbsleben ausscheidet. Das ist sicher, das kann ich erkennen, dazu brauche ich kein Hellseher zu sein, Kollege Dietachmayr, um dies zu wissen. Ich brauche lediglich die entsprechenden Statistiken auszuwerten und die Stellungnahmen der Sozialwissenschaftler zu hören, um das feststellen zu können. (Abg. Verzetnitsch: Was spricht dann dagegen, genau diese Entwicklung bei der Pension zu berücksichtigen?)

Diese Entwicklung, Kollege Verzetnitsch, findet sich in dieser Pensionsreform nicht wieder (Widerspruch des Abg. Verzetnitsch ), und ich werde versuchen, das ganz kurz zu erklären. Diese Entwicklung findet sich in dieser Pensionsreform deswegen nicht wieder – und damit bin ich bei der Kritik an Herrn Professor Rürup, der ja die Grundlage dafür geliefert hat –, weil das Gutachten, von dem ich meine, daß es sowohl aus Versicherungssicht als auch aus finanzwissenschaftlicher Sicht ein ausgezeichnetes Gutachten ist – dafür steht Herr Professor Rürup –, keine Einbettung in die Sozialpolitik, keine Einbettung in ein tiefergehendes Verständnis davon, in welcher Gesellschaft wir im Jahr 2020 oder 2030 leben werden, enthält. Das Problem besteht darin – damit bin ich bei der Kritik am Kollegen, besser gesagt: an Herrn Professor Rürup, denn ich bin nicht sein Kollege –, daß er im Prinzip davon ausgeht, daß es eine Verstärkung des Erwerbs- und Versicherungsprinzips geben soll, ja geben muß. (Abg. Koppler: Schau dir doch die Entwicklung im ASVG an!)

Da bin ich wahrscheinlich im Dissens mit vielen Kolleginnen und Kollegen aus der sozialdemokratischen Fraktion, aus der Gewerkschaft: Sie gehen im Prinzip davon aus, daß die Sozialversicherung dieses Erwerbs- und Versicherungsprinzip verstärken muß. Aber ich sage Ihnen: Das soziale Prinzip muß verstärkt werden! Wir haben – das sehen wir ja derzeit schon bei der Betrachtung des Pensionssystems – folgendes zur Kenntnis zu nehmen: Immer mehr Personen – und dies, obwohl wir ein relativ teures Pensionssystem, eigentlich ein sehr teures Pensionssystem haben, und zwar in der Summe, wenn wir alle Pensionssysteme einbeziehen – erhalten trotz dieses sehr teuren Pensionssystems Pensionen, die am Rande der Armutsgrenze liegen.

Wenn zwei Drittel der Menschen, die nach dem ASVG versichert sind, etwa 10 000 S an Pension erhalten – und das ist die Realität! –, dann kann man sich nicht auf die Schulter klopfen und


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