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9. Sitzung des Nationalrates der Republik Österreich

 

XXI. Gesetzgebungsperiode

 

Mittwoch, 9., und Donnerstag, 10. Feber 2000

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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9. Sitzung des Nationalrates der Republik Österreich

XXI. Gesetzgebungsperiode

Mittwoch, 9., und Donnerstag, 10. Feber 2000

 

Dauer der Sitzung

Mittwoch, 9. Feber 2000: 9.03 – 24.00 Uhr

Donnerstag, 10. Feber 2000: 0.00 – 0.30 Uhr

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Tagesordnung

Erklärung der Bundesregierung

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Inhalt

Personalien

Verhinderungen 8

Ordnungsrufe 137, 218

Geschäftsbehandlung

Redezeitbeschränkung nach Beratung in der Präsidialkonferenz gemäß § 57 Abs. 3 Z. 2 der Geschäftsordnung 9

Wortmeldung des Abgeordneten Dr. Peter Kostelka betreffend Gesamtredezeit für die Redner der SPÖ-Fraktion 9

Feststellung des Präsidenten Dr. Heinz Fischer im Zusammenhang mit der von Abgeordnetem Dr. Peter Kostelka angesprochenen Aufteilung der Gesamtredezeit 9

Feststellung des Präsidenten Dr. Werner Fasslabend betreffend Diskussionsstil im Plenum des Nationalrates 36

Antrag der Abgeordneten Mag. Ulrike Lunacek und Genossen auf Einsetzung eines Untersuchungsausschusses zur Untersuchung der Gründe, Ursachen, zeitlichen Abfolge und politischen Verantwortlichkeit für die außenpolitische Isolation Österreichs gemäß § 33 Abs. 1 der Geschäftsordnung 220


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9. Sitzung / Seite 2

Bekanntgabe 67

Verlangen gemäß § 33 Abs. 2 der Geschäftsordnung auf Durchführung einer kurzen Debatte im Sinne des § 57a Abs. 1 GOG 68

Redner:

Mag. Ulrike Lunacek 221

Dr. Alfred Gusenbauer 222

Dr. Harald Ofner 223

Wolfgang Großruck 224

Dr. Evelin Lichtenberger 225

Ablehnung des Antrages 226

Wortmeldungen im Zusammenhang mit der Beantwortung der Dringlichen Anfrage durch Bundesministerin Dr. Elisabeth Sickl:

Karl Öllinger 101, 102

Ing. Peter Westenthaler 102, 103

Dr. Peter Kostelka 102, 103

Dr. Andreas Khol 102

Feststellung des Präsidenten Dr. Werner Fasslabend im Zusammenhang mit § 93 Abs. 4 der Geschäftsordnung 104

Unterbrechung der Sitzung 216

Ausschüsse

Zuweisungen 8

Dringliche Anfrage

der Abgeordneten Eleonora Hostasch und Genossen an die Bundesministerin für Arbeit, Gesundheit und Soziales betreffend massive Verschlechterungen für ArbeitnehmerInnen, Pensionisten und sozial Schwache durch das FPÖ/ÖVP-Belastungspaket im Bereich der Pensionen und der gesetzlichen Krankenversicherung (332/J) 89

Begründung: Eleonora Hostasch 94

Bundesministerin Dr. Elisabeth Sickl 97

Debatte:

Annemarie Reitsamer 104

Reinhart Gaugg 106

Dr. Gottfried Feurstein 108

Karl Öllinger B> 110, 128

Bundesminister Dr. Martin Bartenstein 113

Heidrun Silhavy 115

Mag. Herbert Haupt 118

Mag. Dr. Josef Trinkl 119

Dr. Kurt Grünewald 121

Bundesministerin Dr. Elisabeth Sickl 123

Mag. Brunhilde Plank 123

Harald Fischl 125

Karl Donabauer 126

Dr. Alois Pumberger 129


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9. Sitzung / Seite 3

Verhandlungen

Erklärung der Bundesregierung

Bundeskanzler Dr. Wolfgang Schüssel 9

Verlangen auf Durchführung einer Debatte gemäß § 81 der Geschäftsordnung 9

Redner:

Dr. Peter Kostelka 24

Ing. Peter Westenthaler 27

Dr. Alexander Van der Bellen 32

Dr. Andreas Khol 36

Mag. Barbara Prammer 40

Vizekanzlerin Dr. Susanne Riess-Passer 42

Mag. Gilbert Trattner 46

MMag. Dr. Madeleine Petrovic 49

Dr. Helene Partik-Pablé (tatsächliche Berichtigung) 53

Dkfm. Dr. Günter Stummvoll 53

Bundesministerin Elisabeth Gehrer 57

Friedrich Verzetnitsch 58

Mag. Herbert Haupt 61

Dr. Peter Pilz 64

Bundeskanzler Dr. Wolfgang Schüssel 68

Rudolf Schwarzböck 69

Bundesminister Herbert Scheibner 72

Rudolf Edlinger 75

Dr. Helene Partik-Pablé 79

Dr. Evelin Lichtenberger (tatsächliche Berichtigung) 84

Dr. Eva Glawischnig 84

Mag. Karl Schweitzer (tatsächliche Berichtigung) 87

Dr. Michael Spindelegger 87, 131

Bundesminister Mag. Wilhelm Molterer 132

Mag. Karl Schlögl 134

Reinhart Gaugg 136

Mag. Terezija Stoisits 139

Dr. Michael Spindelegger (tatsächliche Berichtigung) 141

Dkfm. Dr. Günter Puttinger 142

Wolfgang Jung (tatsächliche Berichtigung) 144

Bundesminister Mag. Karl-Heinz Grasser 144

Peter Schieder 147

Theresia Zierler 149

Dieter Brosz 151

Mag. Dr. Maria Theresia Fekter 154

Bundesminister Dr. Martin Bartenstein 156

Dr. Caspar Einem 158

Dr. Martin Graf 160

Dr. Gabriela Moser 162

Georg Schwarzenberger 163

Bundesminister Dr. Michael Krüger 165

Dr. Ilse Mertel 169

Dipl.-Ing. Maximilian Hofmann 171

Dipl.-Ing. Wolfgang Pirklhuber 173

Günther Platter 175

Bundesminister Dr. Ernst Strasser 177

Dr. Josef Cap 179

Edith Haller 182


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9. Sitzung / Seite 4

Karl Öllinger (tatsächliche Berichtigung) 184

Mag. Ulrike Lunacek 184

Dr. Gertrude Brinek 186

DDr. Erwin Niederwieser 187

Helmut Haigermoser 189

Theresia Haidlmayr 190

Mag. Herbert Haupt (tatsächliche Berichtigung) 192

Dr. Gerhart Bruckmann 193

Kurt Eder 193

Mag. Karl Schweitzer 195

Ridi Steibl 195

Dr. Johannes Jarolim 196

Dr. Harald Ofner (tatsächliche Berichtigung) 199

Wolfgang Jung 199

Mag. Andrea Kuntzl 200

Jakob Auer 202

Dipl.-Ing. Dr. Peter Keppelmüller 203

Mag. Reinhard Firlinger 204

Emmerich Schwemlein 205

Mag. Walter Tancsits 206

Günter Kiermaier 206

Dipl.-Ing. Leopold Schöggl 209

Dr. Dieter Antoni 210

Doris Bures 211

Inge Jäger 214, 219

Dr. Harald Ofner 216

Mag. Christine Muttonen 217


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9. Sitzung / Seite 5

Entschließungsantrag der Abgeordneten Dr. Ilse Mertel und Genossen betreffend Berufstätigkeit der Frauen – Ablehnung 179, 219

Entschließungsantrag der Abgeordneten DDr. Erwin Niederwieser und Genossen betreffend Aufrechterhaltung des freien Hochschulzugangs in Österreich – Ablehnung 189, 219

Entschließungsantrag der Abgeordneten Kurt Eder und Genossen betreffend die Abschaffung der Eintragungsgebühren in der Wirtschaftskammer – Ablehnung 194, 219

Entschließungsantrag der Abgeordneten Dr. Johannes Jarolim und Genossen betreffend § 209 StGB – Ablehnung 198, 219

Entschließungsantrag der Abgeordneten Dr. Johannes Jarolim und Genossen betreffend die Gleichstellung von Lebensgefährten gleichen Geschlechts beim Eintrittsrecht nach dem Mietrechtsgesetz – Ablehnung 198, 219

Entschließungsantrag der Abgeordneten Dr. Ilse Mertel und Genossen betreffend Wiedereinstiegshilfen für Frauen – Ablehnung 201, 219

Entschließungsantrag der Abgeordneten Anton Leikam und Genossen betreffend Novelle zum Waffengesetz – Ablehnung 208, 219

Entschließungsantrag der Abgeordneten Ludmilla Parfuss und Genossen betreffend budgetäre, organisatorische sowie personelle Vorkehrungen zur Schaffung eines Bundestierschutzgesetzes im Sinne des von 460 000 Österreicherinnen und Österreichern unterzeichneten Volksbegehrens – Ablehnung 208, 220

Entschließungsantrag der Abgeordneten Heinz Gradwohl und Genossen betreffend Vorlage von Modulationsvorschlägen zur gerechteren und ökologischeren Verteilung von Agrarförderungen durch den Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft bis Ende März 2000 – Ablehnung 209, 220

Entschließungsantrag der Abgeordneten Doris Bures und Genossen betreffend Einschränkungen der Befristungsmöglichkeiten im Mietrechtsgesetz – Ablehnung 213, 220

Entschließungsantrag der Abgeordneten Doris Bures und Genossen betreffend Mietensenkung durch Begrenzung der Zuschläge zum Richtwert – Ablehnung 213, 220

Entschließungsantrag der Abgeordneten Doris Bures und Genossen betreffend Streichung der Verrechnung fiktiver Hausbesorgerkosten an die MieterInnen – Ablehnung 213, 220

Entschließungsantrag der Abgeordneten Doris Bures und Genossen betreffend Senkung der Immobilienmaklerprovisionen und Festlegung der Höchstsätze im Konsumentenschutzgesetz – Ablehnung 213, 220

Entschließungsantrag der Abgeordneten Dr. Ilse Mertel und Genossen betreffend Umsetzung der Forderungen des Frauen-Volksbegehrens – Ablehnung 215, 220

Eingebracht wurden

Anträge der Abgeordneten

Dr. Dieter Antoni und Genossen betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Schulunterrichtsgesetz 1986 geändert wird (86/A)

DDr. Erwin Niederwieser und Genossen betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Hochschülerschaftsgesetz geändert wird (87/A)

Anfragen der Abgeordneten

Eleonora Hostasch und Genossen an die Bundesministerin für Arbeit, Gesundheit und Soziales betreffend massive Verschlechterungen für ArbeitnehmerInnen, Pensionisten und sozial Schwache durch das FPÖVP-Belastungspaket im Bereich der Pensionen und der gesetzlichen Krankenversicherung (332/J)

Mag. Brunhilde Plank und Genossen an den Bundesminister für Wissenschaft und Verkehr betreffend Fehlen von Infrastrukturmaßnahmen im FPÖVP-Regierungsprogramm (333/J)

Helmut Dietachmayr und Genossen an die Bundesministerin für Arbeit, Gesundheit und Soziales betreffend Kieferorthopädie (334/J)

Mag. Brunhilde Plank und Genossen an den Bundesminister für wirtschaftliche Angelegenheiten betreffend Fehlen von Infrastrukturmaßnahmen im FPÖVP-Regierungsprogramm (335/J)

MMag. Dr. Madeleine Petrovic und Genossen an die Bundesministerin für Arbeit, Gesundheit und Soziales betreffend Gewährung einer Kinderbetreuungsbeihilfe durch das AMS (336/J)


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9. Sitzung / Seite 6

Ing. Peter Westenthaler und Genossen an den Bundesminister für Inneres betreffend Aufforderung zum Attentat auf die Person von Dr. Jörg Haider (337/J)

Ing. Peter Westenthaler und Genossen an den Bundesminister für Justiz betreffend Aufforderung zum Attentat auf die Person von Dr. Jörg Haider (338/J)

Dr. Gabriela Moser und Genossen an den Bundesminister für wirtschaftliche Angelegenheiten betreffend Lebensmittelzusatzstoffe (339/J)

Dr. Gabriela Moser und Genossen an den Bundesminister für Wissenschaft und Verkehr betreffend die am 14.01.2000 der Öffentlichkeit von Seiten des Verkehrsministeriums vorgestellte Studie zur "Exposition der Allgemeinbevölkerung durch hochfrequente elektromagnetische Felder – Plausibilität der gesundheitlichen Unbedenklichkeit" durch GSM-Basisstationen (340/J)

Dr. Gabriela Moser und Genossen an den Bundesminister für wirtschaftliche Angelegenheiten betreffend Sicherheitsstandards von Waren (341/J)

Dr. Gabriela Moser und Genossen an den Bundeskanzler betreffend Sicherheitsstandards von Waren (342/J)

Heinz Gradwohl und Genossen an den Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft betreffend konkrete Umsetzung der Dienstleistungsrichtlinie (343/J)

Heinz Gradwohl und Genossen an den Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft betreffend ÖPUL 2000 (344/J)

Mag. Ulrike Sima und Genossen an den Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft betreffend Sortenzulassungen gentechnisch veränderter Pflanzen in Österreich (345/J)

Mag. Ulrike Sima und Genossen an den Bundesminister für wirtschaftliche Angelegenheiten betreffend die Umsetzung der so genannten EU-Patent-Richtlinie (Richtlinie zum Schutz biotechnologischer Erfindungen) (346/J)

Mag. Ulrike Sima und Genossen an den Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft betreffend das Forschungsprojekt der Universität für Bodenkultur über eine virusresistente Marille (347/J)

Mag. Ulrike Sima und Genossen an den Bundesminister für Wissenschaft und Verkehr betreffend das Forschungsprojekt der Universität für Bodenkultur über eine virusresistente Marille (348/J)

Dipl.-Ing. Wolfgang Pirklhuber und Genossen an den Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft betreffend Strategie bei den WTO-Verhandlungen (349/J)

Johannes Schweisgut und Genossen an den Bundesminister für wirtschaftliche Angelegenheiten betreffend die Sanierung der Inntal Autobahn (350/J)

Johannes Schweisgut und Genossen an den Bundeskanzler betreffend die Förderung der "Tiroler Festspiele Erl" (351/J)

Mag. Johann Maier und Genossen an den Bundesminister für Finanzen betreffend Geburtstagsfeier LH Jörg Haider – schenkungssteuerpflichtig? (352/J)

Mag. Johann Maier und Genossen an den Bundesminister für Justiz betreffend Geburtstagsfeier LH Jörg Haider – verbotene Geschenkannahme? (353/J)

Anfragebeantwortungen

des Bundesministers für auswärtige Angelegenheiten auf die Anfrage der Abgeordneten Dr. Gerhard Kurzmann und Genossen (160/AB zu 114/J)

der Bundesministerin für Unterricht und kulturelle Angelegenheiten auf die Anfrage der Abgeordneten Ing. Peter Westenthaler und Genossen (161/AB zu 137/J)


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9. Sitzung / Seite 7

des Bundesministers für Umwelt, Jugend und Familie auf die Anfrage der Abgeordneten Dr. Gerhard Kurzmann und Genossen (162/AB zu 123/J)

des Bundesministers für Umwelt, Jugend und Familie auf die Anfrage der Abgeordneten Ing. Peter Westenthaler und Genossen (163/AB zu 136/J)

des Bundesministers für Umwelt, Jugend und Familie auf die Anfrage der Abgeordneten Rüdiger Schender und Genossen (164/AB zu 173/J)

des Bundesministers für Inneres auf die Anfrage der Abgeordneten Mag. Terezija Stoisits und Genossen (165/AB zu 140/J)

der Bundesministerin für Arbeit, Gesundheit und Soziales auf die Anfrage der Abgeordneten Karl Öllinger und Genossen (166/AB zu 143/J)

des Bundesministers für wirtschaftliche Angelegenheiten auf die Anfrage der Abgeordneten Mag. Herbert Haupt und Genossen (167/AB zu 184/J)

des Bundesministers für wirtschaftliche Angelegenheiten auf die Anfrage der Abgeordneten Dipl.-Ing. Leopold Schöggl und Genossen (168/AB zu 217/J)

des Bundesministers für wirtschaftliche Angelegenheiten auf die Anfrage der Abgeordneten MMag. Dr. Madeleine Petrovic und Genossen (169/AB zu 238/J)

 

 


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9. Sitzung / Seite 8

Beginn der Sitzung: 9.03 Uhr

Vorsitzende: Präsident Dr. Heinz Fischer, Dritter Präsident Dr. Werner Fasslabend.

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Präsident Dr. Heinz Fischer: Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich darf Sie herzlich einladen, die Plätze einzunehmen, und ich eröffne die 9. Sitzung des Nationalrates, die für heute Mittwoch, den 9. Februar, 9 Uhr einberufen wurde.

Ich begrüße sehr herzlich Herrn Bundespräsidenten Dr. Thomas Klestil, der in unserer Mitte weilt. Herzlich willkommen! (Allgemeiner Beifall.)

Ich darf bekannt geben, dass die Abgeordneten Dr. Rada, Mag. Klima und der Zweite Präsident Dipl.-Ing. Prinzhorn für die heutige Sitzung als entschuldigt gemeldet sind.

Einlauf und Zuweisungen

Präsident Dr. Heinz Fischer: Hinsichtlich der eingelangten Verhandlungsgegenstände und deren Zuweisungen darf ich nach § 23 Abs. 4 der Geschäftsordnung auf die im Sitzungssaal verteilte schriftliche Mitteilung verweisen.

Die schriftliche Mitteilung hat folgenden Wortlaut:

A) Eingelangte Verhandlungsgegenstände:

Anfragebeantwortungen: 160/AB bis 169/AB.

B) Zuweisungen in dieser Sitzung:

zur Vorberatung:

Budgetausschuss:

Gesetzliches Budgetprovisorium 2000 (40 der Beilagen);

Verfassungsausschuss:

Antrag 85/A der Abgeordneten Dr. Andreas Khol, Ing. Peter Westenthaler und Genossen betreffend Bundesministeriengesetz-Novelle 2000;

Verkehrsausschuss:

Antrag 84/A (E) der Abgeordneten Dr. Gabriela Moser und Genossen betreffend Erstellung einer fundierten Studie über die Einführung einer Verkehrserregerabgabe;

Ausschuss für Wissenschaft und Forschung:

Bundesgesetz über das Verbot des Inverkehrbringens von kosmetischen Mitteln, die im Tierversuch überprüft worden sind (22 der Beilagen).

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Ankündigung einer Dringlichen Anfrage

Präsident Dr. Heinz Fischer: Ich gebe Folgendes bekannt: Die Abgeordneten Hostasch und Genossen haben das Verlangen gestellt, die vor Eingang in die Tagesordnung eingebrachte


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9. Sitzung / Seite 9

schriftliche Anfrage, 332/J, der Abgeordneten Hostasch und Genossen an die Bundesministerin für Arbeit, Gesundheit und Soziales betreffend massive Verschlechterungen für ArbeitnehmerInnen, Pensionisten und sozial Schwache durch das FPÖVP-Belastungspaket im Bereich der Pensionen und der gesetzlichen Krankenversicherung dringlich zu behandeln.

Nach den einschlägigen Bestimmungen der Geschäftsordnung wird die Dringliche Anfrage heute um 15 Uhr zum Aufruf gelangen.

Wir gehen nunmehr in die Tagesordnung ein.

Redezeitbeschränkung

Präsident Dr. Heinz Fischer: In der Präsidialkonferenz wurde Konsens über die Dauer der heutigen Debatte wie folgt erzielt: Es wurde eine Tagesblockzeit von 10 Stunden vereinbart, aus der sich folgende Redezeiten ergeben: SPÖ 170 Minuten, Freiheitliche und ÖVP je 160 sowie Grüne 110 Minuten. (Abg. Dr. Kostelka: Zur Geschäftsbehandlung!)

Herr Klubobmann Dr. Kostelka hat sich zur Geschäftsordnung zu Wort gemeldet. – Bitte.

9.06

Abgeordneter Dr. Peter Kostelka (SPÖ) (zur Geschäftsbehandlung): Herr Präsident! Es ist eine Redezeit von 195 Minuten vereinbart worden, resultierend aus der Redezeitvereinbarung zu den "Wiener Stunden", und ich bitte, das auch so zu enunzieren. (Abg. Dr. Khol: Da hat er Recht!)

9.06

Präsident Dr. Heinz Fischer: Ja, da hat er Recht. Das ist die Regelung der Klubdirektoren, die allerdings noch nicht in der Präsidialkonferenz behandelt wurde. Aber es besteht Konsens über diese Redezeit. – Bitte um etwas Geduld; ich muss nur addieren, ob die Summe der mir jetzt genannten Zeiten tatsächlich 600 Minuten sind. – Das stimmt so.

Dann schlage ich dem Nationalrat im Rahmen einer Gesamtredezeit von 10 "Wiener Stunden" folgende Redezeiten vor: SPÖ 195 Minuten, ÖVP und Freiheitliche je 145 Minuten und die grüne Fraktion 115 Minuten.

Die letzte Entscheidung darüber obliegt dem Hohen Hause.

Gibt es dagegen Einwendungen? – Das ist nicht der Fall. Dann sind die Redezeiten so festgelegt.

Erklärung der Bundesregierung

Präsident Dr. Heinz Fischer: Wir gelangen nun zum einzigen Punkt der Tagesordnung: Erklärung der Bundesregierung.

Im Anschluss an diese Erklärung wird im Sinne des § 81 der Geschäftsordnung entsprechend dem vorliegenden Verlangen von fünf Abgeordneten eine Debatte stattfinden.

Ich darf nun Herrn Bundeskanzler Dr. Wolfgang Schüssel das Wort zur Regierungserklärung erteilen. – Bitte, Herr Bundeskanzler.

9.07

Bundeskanzler Dr. Wolfgang Schüssel: Hohes Haus! Herr Präsident! Herr Bundespräsident! Meine Herren Altpräsidenten! Ich darf Sie sehr herzlich begrüßen. Diese Rede richtet sich an Sie, an die Österreicherinnen und Österreicher, an unsere Partner in Europa und in der ganzen Welt. Diese Rede richtet sich natürlich auch an die Kritiker der letzten Tage. (Ironische Heiterkeit bei Abgeordneten der SPÖ.)


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Diese Rede ist die erste Gelegenheit dieser Regierung, Stellung zu nehmen und zu sagen, wofür wir stehen und was wir tun werden.

Mit dem Jahr 2000 hat eine neue Epoche begonnen, und wir Österreicherinnen und Österreicher können am Beginn des 21. Jahrhunderts stolz sein: Es gab noch nie so gute Voraussetzungen für unser Land. Wir sind wirtschaftlich stark und wohlhabend. Die Demokratie steht auf einem festen Fundament, und wir können den Bürgerinnen und Bürgern eine hohe soziale Sicherheit anbieten. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen. – Zwischenrufe bei der SPÖ.)

Das ist wichtig, denn jede demokratische und offene Gesellschaft braucht sichere Verhältnisse (Rufe bei der SPÖ: Ja, ja!), und Österreich ist eine stabile Demokratie.

Die Republik Österreich ist von sehr schwierigen Anfängen nach dem Zweiten Weltkrieg zu einem wirtschaftlichen Musterland aufgestiegen. Die Österreicherinnen und Österreicher haben durch ihren Fleiß und ihren Einsatz dieses Land zum Blühen gebracht. Die Wirtschaft nützt heute ihre Chancen in Europa und weltweit. Unsere Arbeitslosenrate sinkt und zählt zu den niedrigsten in ganz Europa. Noch nie waren in Österreich so viele Menschen erwerbstätig wie heute. Die Prognosen für Wachstum sind günstig und die Preise stabil wie nie zuvor.

Unser Land lernt immer besser, sich den neuen Anforderungen des weltumspannenden Wirtschaftens zu stellen. Unsere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sind gut ausgebildet und weltweit geschätzt. Das ist unsere ökonomische Erfolgsbilanz. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

Österreich ist heute eine stabile Demokratie. Unser Gemeinwesen funktioniert; unsere demokratische Reife drückt sich nicht zuletzt durch hohe Wahlbeteiligungen – verglichen mit anderen Ländern – aus.

Trotz der Demonstrationen in diesen Tagen sind radikale Auswüchse, wie sie in vielen anderen Ländern auf der Tagesordnung stehen, in der Geschichte der Zweiten Republik ebenso selten wie große Streikbewegungen oder Konflikte mit Minderheiten. Unser gesellschaftlicher Konsens, Polarisierung abzulehnen, und die Überzeugung, dass der demokratische Dialog zu den besten Lösungen führt, sind jener Boden, auf dem Österreich gut gewachsen ist. (Beifall bei der ÖVP, den Freiheitlichen sowie bei Abgeordneten der SPÖ.) Und dies ist unsere demokratische Erfolgsbilanz. (Neuerlicher Beifall bei der ÖVP, den Freiheitlichen sowie bei Abgeordneten der SPÖ.)

Es ist das selbstverständlich eine gemeinsame Bilanz, eine Bilanz, die ich nicht für irgendwelche Parteien vereinnahmen möchte. Es ist das ein gemeinsamer Boden, den wir erarbeitet haben. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

Meine Damen und Herren! Unser Land zeichnet sich auch durch gelebte Solidarität aus. In seiner jüngeren Geschichte hat Österreich im Umgang mit Schwächeren, Hilfesuchenden, politisch Verfolgten und Opfern von Krieg und Vertreibung immer wieder sein soziales Gewissen gezeigt und die Menschenrechte in die Tat umgesetzt. Österreich war immer ein offenes Land – und wird es auch in Zukunft bleiben.

Wir haben nach unserer großen Aufnahmebereitschaft in den fünfziger und sechziger Jahren für Ungarn beziehungsweise Tschechen und Slowaken, später während des Kriegsrechtes in Polen, auch in den neunziger Jahren während der Kriege in Südosteuropa, große humanitäre Verantwortung übernommen, und mehr als in anderen Ländern haben die Menschen in unserem Lande die Türen für Flüchtlinge aufgemacht. Nicht nur das: Auch die eigenen finanziellen Mittel haben Österreicherinnen und Österreicher – auch in Zeiten, in denen es uns noch nicht so gut ging wie heute – in selbstverständlicher Solidarität mit Hilfesuchenden geteilt. Papst Johannes Paul II hat Österreichs Spendenbereitschaft als beispielgebend bezeichnet.

Österreich zeichnet sich durch höchste humanitäre Standards aus. Nie hat die Republik Österreich nach dem Zweiten Weltkrieg politische, demokratische oder humanitäre Prinzipien verletzt. Und niemand soll daran zweifeln, dass wir uns glaubhaft zu Toleranz, Offenheit und zur


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Wahrung der Menschenrechte bekennen. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.) Das sind und bleiben unverrückbare Elemente unseres Selbstverständnisses.

Die Österreicherinnen und Österreicher nehmen ihre Pflichten auch innerhalb des Generationenvertrages wahr. Das ist die seit Jahrzehnten gelebte – und auch belastbare – Solidarität zwischen Jung und Alt.

Wir verfügen über hohe Standards bei der Altersvorsorge, und wir haben ein im internationalen Vergleich wirklich gut funktionierendes Gesundheits- und Pflegesystem. Natürlich dürfen wir nie vergessen, dass es noch immer Armut in unserem Lande gibt, aber trotzdem wissen wir, dass noch nie in der Geschichte Österreichs so viele von uns in Wohlstand und sozialer Sicherheit gelebt haben. Dies ist unsere soziale, gemeinsame Erfolgsbilanz. (Allgemeiner Beifall.)

Meine Damen und Herren! All dies ist nicht patriotische Schönfärberei, sondern die realistische Beschreibung des Zustandes unserer Republik am Beginn des 21. Jahrhunderts. Dieses Österreich – ich sage das mit aller Deutlichkeit – hat sich in den vergangenen Tagen nicht verändert. Bei manchen in- und ausländischen Beobachtern hat sich aber der Blickwinkel auf unser Land gewandelt; Österreich muss sich Vorwürfen und Ängsten mit aller Offenheit stellen.

Viele Österreicherinnen und Österreicher haben auf Grund von Demonstrationen und medialer Berichterstattung plötzlich den Eindruck, die Welt sieht uns ganz anders, als wir uns selbst sehen – vielleicht auch selbst sehen wollen. (Abg. Dr. Mertel: Ja, ja, Selbstbild und Fremdbild!) Unsere europäischen Partner und andere Länder nehmen Anstoß an der Regierungsbeteiligung der Freiheitlichen Partei. Von 15 Mitgliedstaaten der EU haben 14 beschlossen, die bilateralen Kontakte zum Partnerland Österreich einzufrieren. – Härte, Ausmaß, Geschwindigkeit dieser Maßnahmen und die Art des Vorgehens haben Österreich schockiert. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

Hohes Haus! Vieles von dem, was jetzt über Österreich berichtet wird, ist nicht gerechtfertigt. Vieles wird undifferenziert dargestellt. Und dieser überzogenen Kritik halte ich entgegen: Alle in diesem Hause vertretenen Parteien stehen zu den Grundwerten der Demokratie. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

Ich möchte aber nicht verschweigen, dass es ein Problem der Worte, der Sprache, der Tonlage gibt. Es gilt für uns alle, in Zukunft wesentlich mehr Sensibilität in unseren Äußerungen walten zu lassen und mehr Feingefühl gegenüber anderen zu zeigen. Und jeder muss und soll bei sich selbst anfangen. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

Die Kritik des Auslandes hat bisher leider nach diesen Worten – und nicht nach besseren Taten geurteilt.

Meine Damen und Herren! Es ist Zeit, die Skeptiker im In- und Ausland durch eine Politik der richtigen Taten und der richtigen Worte zu überzeugen. Ich fordere alle Kritiker im Inland und auch die europäischen und transatlantischen Partner auf, ihre Vorurteile und vorgefassten Meinungen im Lichte der österreichischen Wirklichkeit zu überdenken. Ich erwarte mir eine Abrüstung in Worten, Fairness in der Beurteilung und die Rückkehr zur Verhältnismäßigkeit politischer Aktionen. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

Die bilateralen Maßnahmen der 14 Länder finden weder im Geist noch im Wortlaut der europäischen Verträge ihre Deckung.

Natürlich akzeptieren wir, wenn sich Europäer Sorgen machen. Auch viele Österreicher sind verunsichert und haben Angst vor dem Neuen. Sie wissen nicht genau, was jetzt kommt. Diese Ängste, diese Sorgen und ehrliche Kritik nehme ich sehr ernst. Das ist für mich und mein Team ein Auftrag zu mehr Sensibilität und Dialogbereitschaft. Wir haben auf Vorurteile mit umfassender Information zu antworten und Vorverurteilungen mit ehrlichem Dialog zu begegnen. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)


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Daher haben wir auch das an sich Selbstverständliche in einer gemeinsamen Erklärung zum Regierungsprogramm festgelegt, und diese Präambel könnte, richtig verstanden, auch ein Angebot für einen neuen gesellschaftlichen Grundkonsens sein.

Hohes Haus! Mit Beginn dieses neuen Jahrhunderts hat sich auch die politische Landschaft in Österreich verändert: Die Wähler haben sich am 3. Oktober für einen Wandel entschieden. Es gibt erstmals drei annähernd gleich große Parteien in unserem Lande. (Ironische Heiterkeit und Zwischenrufe bei der SPÖ.) Zwei davon haben sich zu einem gemeinsamen Bündnis gefunden. – In der Demokratie muss ein friedlicher Wandel möglich sein. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

Zum Grundverständnis der parlamentarischen Demokratie gehört es, Wahlergebnisse anzuerkennen. Der Machtwechsel, der in diesen Tagen erfolgte, ist legitim. (Neuerlicher Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

Da die Sozialdemokraten Koalitionsgespräche mit der Freiheitlichen Partei ausgeschlossen haben und allein keine stabile Regierung zustande gebracht hätten, wären Neuwahlen in absehbarer Zeit unausweichlich gewesen. Deshalb hat die Österreichische Volkspartei die Einladung der SPÖ zu einer möglichen Bildung einer neuen Regierung angenommen, und wir haben ernsthaft daran gearbeitet (Ruf bei der SPÖ: Ernsthaft wirklich nicht!), das bisherige Bündnis auf eine neue Basis zu stellen. Dieser Versuch ist aber gescheitert.

Um die Regierbarkeit unseres Landes nicht zu gefährden – die einzige Alternative wäre die Auflösung des gerade neu und demokratisch gewählten Nationalrates gewesen (Abg. Parnigoni: Das hättet ihr euch aber nicht getraut!)  –, hat die ÖVP, nach dem Abbruch der Gespräche durch die SPÖ, Verhandlungen mit den Freiheitlichen aufgenommen und ein Koalitionsabkommen geschlossen.

Auf Basis dieses gemeinsamen Programms von ÖVP und Freiheitlichen hat Bundespräsident Dr. Thomas Klestil mich mit der Führung dieser Regierung beauftragt und auf meinen Vorschlag diese neue Regierung angelobt. (Ruf bei der SPÖ: Ohne Regierungsbildungsauftrag, bitte!)

Meine Damen und Herren! Ich werde dieses Amt des Bundeskanzlers der Republik Österreich mit höchster Sensibilität und Verantwortung gegenüber den Menschen in diesem Land ausfüllen, denn diese Regierung hat einen Auftrag vom Volk. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen. – Zwischenrufe bei der SPÖ.)

Diese Regierung von ÖVP und FPÖ verfügt mit 104 Mandaten über eine Mehrheit und damit über einen soliden Rückhalt im Nationalrat. Und diese Unterstützung ist auch notwendig, um jene Reformen und gesetzlichen Maßnahmen umzusetzen, die für Österreich zukunftsentscheidend sind.

Hohes Haus! Wir stehen vor echten Herausforderungen. Unsere lokale Welt verändert sich zu einer globalen Gesellschaft, und wenn wir international mithalten und die österreichische Erfolgsgeschichte fortschreiben wollen, dann müssen wir vieles erneuern.

Auch wenn ich zu Beginn meiner Rede ein sehr positives Bild der Situation Österreichs gezeichnet habe: Es werden doch konsequente Reformschritte notwendig sein, um in Zukunft das Gute zu bewahren, aber auch das notwendige Neue zuzulassen und zu gestalten.

Viele erstarrte Strukturen müssen aufgebrochen werden. Wir brauchen weniger Vorschriften und mehr Freiheit. Der Staat muss schlanker, die Verwaltung effizienter werden und näher zum Bürger rücken.

Wir wollen die Wirtschaft von bürokratischen Fesseln befreien, Proporz und Parteibuchwirtschaft abschaffen und den Menschen mehr Mitentscheidung geben. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen. – Ruf bei der SPÖ: Wie in Niederösterreich! – Weitere Zwischenrufe bei der SPÖ.)


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Wir wollen ein Österreich, das seine Chancen für die Bürgerinnen und Bürger aktiv, selbstbewusst und zukunftsorientiert nützt.

Wir werden Österreich neu regieren. (Ironische Heiterkeit bei der SPÖ.)

Diese Bundesregierung hat ein Erneuerungsprogramm für Österreich erarbeitet, mit dem der Wohlstand erhalten, Zukunftschancen eröffnet und soziale Sicherheit gewährleistet werden.

Leitlinien unserer Politik sind: Mehr Mut zur Zukunft – statt Klammern am Althergebrachten! Mehr Freiheit – statt staatlicher Gängelung! Mehr Eigenverantwortung – statt Bevormundung von oben! Mehr Anerkennung der individuellen Leistung – statt Gleichmacherei! (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen. – Abg. Leikam: Hat Ihnen das der Haider aufgeschrieben?)

Österreich neu regieren heißt: Europa erweitern und die Welt mitgestalten.

Unser Regierungsprogramm enthält ein nachdrückliches Bekenntnis zu Europa und zu den Grundwerten, die das neue Europa ausmachen. Wir sind Österreicher und Europäer – und sind stolz darauf. Das hat die österreichische Bevölkerung vor fünf Jahren auch mit der höchsten Zustimmung für den EU-Beitritt zum Ausdruck gebracht, die je in einem Mitgliedsland erreicht wurde.

Zum eingeschlagenen Weg der Integration in die Europäische Union gibt es keine Alternative!

Die Teilnahme an der Europäischen Währungsunion war der letzte große Schritt. In nicht ganz zwei Jahren werden wir überall in Europa – von Lissabon bis Kopenhagen – mit dem Euro zahlen können.

Österreich hat jetzt wieder eine solche große historische Chance durch die Erweiterung der Europäischen Union. Unser Land liegt eben geographisch im Schnittpunkt zwischen Ost und West. Unsere Nachbarn, mit denen uns eine gemeinsame, lange und reiche Geschichte verbindet, kehren nun nach einer Übergangsperiode – nach 40 Jahren kommunistischer Diktatur und Unterdrückung – wieder nach Europa, in die gemeinsame Heimat zurück. Wir wollen, dass Sie auch in unserem gemeinsamen Europa mit dabei sind. Nur das sichert Friede und Stabilität. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

Meine Damen und Herren! Eine EU-Erweiterung bringt uns sowohl ökonomische Vorteile als auch neue gesellschaftliche und kulturelle Bereicherungen. Es gilt, das Friedens-, Stabilitäts- und Sicherheitsprojekt Europa aktiv mitzugestalten. Der Beitritt der Kandidaten ist in unserem eigenen Interesse. Vernünftige Übergangsregelungen werden dafür sorgen, dass es zu keinen Härtefällen oder Wettbewerbsnachteilen für Österreich kommt. Wir werden konsequent für österreichische Anliegen zum Schutz der Arbeitsplätze, der Landwirtschaft, der Umwelt eintreten. Nachdrücklich werden wir darauf achten, dass Atomkraftwerke zu keiner Gefahr für unsere Bevölkerung werden.

Innerhalb der Europäischen Union werden wir die Institutionen- und Demokratiereform forcieren. Es geht darum, die Entscheidungs- und Handlungsfähigkeit der künftig größeren Staatengemeinschaft zu sichern. Wir werden auch darauf achten, dass die Dynamik der Europäischen Union nicht durch Bürokratie oder Verwaltungshemmnisse gebremst wird. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

Die Bundesregierung, meine Damen und Herren, bekennt sich zu einer gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Friede in Europa ist für uns die allerhöchste Verpflichtung. Wir treten daher für die Schaffung einer europäischen Friedens- und Verteidigungsgemeinschaft ein. Österreich wird sich an einem gemeinsamen europäischen Sicherheitssystem – einschließlich einer Beistandsgarantie – beteiligen.

Wir wollen unsere Beziehungen zur NATO vertiefen (Abg. Schwemlein: Wer will das? Das österreichische Volk?), um die Möglichkeit einer späteren Mitgliedschaft offen zu halten. Über


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die Weiterentwicklung der österreichischen Sicherheitspolitik aber wird letztlich das österreichische Volk entscheiden. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

Wir werden auch unser Engagement innerhalb der Vereinten Nationen und der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa verstärken. Österreich wird entschlossen, so wie bisher, für Abrüstung, Rüstungskontrolle und gegen die Verbreitung von Kernwaffen eintreten. Die Teilnahme an internationalen Hilfs- und Solidaraktionen ist für uns selbstverständlich. Es ist die Verantwortung eines reichen und wirtschaftlich entwickelten Landes, zur Linderung der Not nicht nur bei uns, sondern auch zur Linderung von Not und Elend in der Welt beizutragen. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

Hohes Haus! Österreich braucht ein stabiles Budget. Warum ist die Stabilität des Staatshaushaltes die Kernaufgabe dieser Bundesregierung? – Weil die Schulden von heute die Steuern von morgen sind und weil wir die Verpflichtung haben, unseren Kindern ein geordnetes Haus zu übergeben. Niemand kann auf Dauer mehr ausgeben als er einnimmt. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

Ein ausgeglichener Bundeshaushalt ist nicht zuletzt eine Verpflichtung gegenüber Europa und der gemeinsamen Währung, dem Euro. Wir wollen daher das Budgetdefizit bis zum Jahre 2005 auf 1,5 Prozent des Bruttoinlandsproduktes senken. Maßnahmen werden größtenteils durch Einsparungen erfolgen, und wir fangen bei uns selbst an: Wir werden unsere Kosten bei den Ermessensausgaben, der Öffentlichkeitsarbeit, der Repräsentation deutlich senken.

Die öffentliche Verwaltung muss effizienter, schlanker, sparsamer und innovativer werden, damit das Geld der Steuerzahler besser und verantwortungsbewusster eingesetzt wird. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

Mir ist durchaus bewusst, dass es nicht leicht sein wird, dieses Ziel zu erreichen. Vieles von dem, was heute von manchen als Bedrohung gesehen wird, muss durch Dialogfähigkeit und Überzeugungsarbeit beider Seiten – Betroffene und Regierung – zu einem guten Ergebnis führen. Leistungsbereitschaft muss ein wichtiger Bestandteil einer modernen öffentlichen Verwaltung sein. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

Das Budget wird nachhaltig entlastet. Jeder 15. Posten im Bundesdienst – ausgenommen der Bildungsbereich – wird eingespart. Sinnvolle Ausgliederungen, etwa die Universitäten, werden vorgenommen. Mit den Personalvertretern und Sozialpartnern sollen vernünftige Gehaltsrunden und neue Jahresarbeitszeitmodelle ausverhandelt werden.

Zum Stil dieser neuen Regierung gehört es aber auch, offen zu sagen, dass wir ohne neue Einnahmen nicht auskommen werden. Es wird notwendig sein, die Tabaksteuer anzuheben, die Elektrizitätsabgabe um 10 Groschen pro Kilowattstunde zu erhöhen und die motorbezogene Versicherungssteuer anzupassen. Die Anhebung der LKW-Maut und der Vignettenpreise brauchen wir zum Ausbau und zur Modernisierung der Infrastruktur unserer Straßen und Autobahnen. Insgesamt jedoch wollen wir die Bürgerinnen und Bürger entlasten und nicht belasten. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

Vergessen wir nicht: Die Steuer- und Familienreform bringt seit 1. Jänner dieses Jahres jedem Haushalt mehr Einkommen von im Durchschnitt etwa 10 000 S pro Jahr. Zusätzlich wollen wir durch eine Senkung der Mieten und durch eine Liberalisierung des Strommarktes – und damit folgend eine Senkung der Strompreise – die Einkommen der Familien und Haushalte weiter erhöhen. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

Österreich neu regieren, heißt aber auch: den Verwaltungsstaat zum Bürger- und Leistungsstaat hin entwickeln. Seit vielen Jahren – um nicht zu sagen: Jahrzehnten – wird eine Neuorganisation der Bundesministerien diskutiert, und eigentlich ist sie nie wirklich gelungen. Die neue Bundesregierung wird als eine ihrer ersten Maßnahmen eine ziemlich umfassende Bereinigung der Ministerienkompetenzen vornehmen. Aufgaben werden zusammengefasst, damit bessere Verwaltungsabläufe ermöglicht werden und politische Entscheidungen effizient umsetzbar sind.


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Seit 30 Jahren, meine Damen und Herren, gibt es jetzt erstmals wieder ein integriertes Bildungsministerium! (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

Zum ersten Mal überhaupt gibt es ein lang gefordertes Ministerium für Infrastruktur, in dem Schiene, Straße, Wasserwege, Telefon zusammengefasst sind. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

Einer langjährigen Forderung nach Zusammenfassung von Forschung und Technologie in einer Hand sind wir ebenfalls nachgekommen. Wirtschafts- und Arbeitswelt stehen erstmals nicht mehr in Konkurrenz zueinander, sondern sind in einem Verantwortungsbereich zusammengefasst. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

Die Anliegen aller Generationen, unter Einschluss von Themen wie Pensions- und Krankenversicherung, werden künftig in einem Ressort wahrgenommen.

Und die Kunstschaffenden Österreichs haben zum ersten Mal einen der Ihren als kompetenten Ansprechpartner in der Regierung. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

Wir haben ein Ministerium weniger. Jeder Staatssekretär bekommt einen Verantwortungsbereich; für den Tourismus ist erstmals ein eigener Staatssekretär zuständig, was nicht unterschätzt werden darf. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

Meine Damen und Herren! Der Staat muss sich konsequent von Tätigkeiten und Kosten trennen, die nicht zu seinen Kernaufgaben gehören. Aus diesem Grund ist ein höchst ambitioniertes Privatisierungsprojekt im Regierungsprogramm festgeschrieben. Staatsbetriebe müssen marktfähig werden. Die ÖIAG erhält deshalb den Auftrag, so rasch wie möglich ein professionelles Privatisierungskonzept für Staatsdruckerei, Dorotheum, Printmedia, Flughafen Wien, P.S.K., Telekom und Austria Tabak zu entwickeln und die Bundesanteile zu veräußern. Dies soll professionell und politikfern geschehen. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

Aber ich sage auch sehr klar: Der Steuerzahler darf nie mehr belastet werden. (Neuerlicher Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.) Die Privatisierungserlöse werden daher nicht nur zur Schuldentilgung – das vor allem –, sondern darüber hinaus auch für Zukunftsinvestitionen verwendet werden. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

Österreich muss aus seiner "Verstaatlichten"-Vergangenheit lernen. Kein Steuerschilling darf künftig in Unternehmen investiert werden, wo der Markt bessere und wirtschaftlichere Lösungen anbietet. Die in der Verfassung verankerten Prinzipien der wirtschaftlichen Freiheit sind unsere Richtschnur für die Gestaltung des Wirtschaftslebens. Dies ist auch in einer eigenen "Charta der wirtschaftlichen Freiheit" festgeschrieben.

Neu regieren heißt aber auch: Demokratie stärken und Verantwortung wahrnehmen. Hohes Haus! Diese Bundesregierung bekennt sich zu mehr Mitbestimmung und mehr Rechten für die Bürgerinnen und Bürger. Größere Rechtssicherheit, Schutz für die Minderheiten, eine objektive Personalpolitik im öffentlichen Dienst sind die Ziele, die wir konsequent verfolgen werden. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

Wenn Volksbegehren in Hinkunft mehr als 15 Prozent der Stimmberechtigten erreichen und vom Nationalrat nicht entsprechend behandelt werden, dann soll es künftig zur Entscheidung eine Volksabstimmung geben. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.) So können Bürgeranliegen noch direkter in die politische Diskussion eingebracht werden.

Wir werden überdies, wie in vielen anderen europäischen Ländern, die Briefwahl einführen und die Rechte für die Volksanwaltschaft ausweiten. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

Was die Zukunft der Jungen angeht, so müssen wir ihnen auch etwas ganz Wesentliches mit auf den Weg geben: das Wissen um die Geschichte unseres Landes. Österreichs NS-Vergangenheit erfordert eine besonders wache und kritische Auseinandersetzung und die notwendige Sensibilität für die Strukturen und die Mechanismen des nationalsozialistischen Unrechts


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systems. Dieses Wissen und diese Sensibilität müssen wir den künftigen Generationen als Mahnung für die Zukunft weitergeben. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

Einige sehr wichtige Schritte wurden gerade in den letzten Jahren bereits gesetzt. Jetzt geht es darum, dass die Bundesregierung im Lichte des Zwischenberichts der österreichischen Historikerkommission die ehemaligen NS-Zwangsarbeiter unter Berücksichtigung der Verantwortung der betroffenen Unternehmen rasch entschädigt. (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der Freiheitlichen.)

Die neue Bundesregierung wird darauf drängen, dass die ehemaligen NS-Zwangsarbeiter, die ja auch schon einer Altersgruppe angehören, wo man dringend rasche Hilfe braucht, zu ihrem Recht kommen.

Ich habe gestern die Zusage erhalten – das steht nicht im Text, ich möchte es dem Hohen Haus aber an dieser Stelle zur Kenntnis bringen –, dass als neue Regierungsbeauftragte, die sich umfassend und kompetent um diese Fragen kümmern wird, voll ausgestattet mit einer Infrastruktur im Außenministerium, voll unterstützt von allen Mitgliedern dieser Bundesregierung, die frühere Gouverneurin oder Präsidentin der Oesterreichischen Nationalbank, Maria Schaumayer, zur Verfügung stehen wird. Sie wird das gut und mit der notwendigen Sensibilität machen, und ich bitte sehr um Kooperation. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

Die Bundesregierung wird sich in diesem Zusammenhang auch für eine Lösung der übrigen noch offenen Fragen einsetzen. Zwar werden erst nach Vorliegen des Endberichtes der Historikerkommission alle Fakten darüber auf dem Tisch liegen, wie diese Republik nach dem Krieg mit den von den Nazis geraubten Vermögenswerten umgegangen ist und inwieweit die gesetzten Maßnahmen ausreichend waren, im Interesse der noch lebenden Opfer werden wir aber vor allem jenen Überlebenden des Holocaust, die von den bisherigen Maßnahmen nicht oder nur ungenügend erfasst waren und heute in schwierigen finanziellen Verhältnissen leben, rasch entsprechende Hilfe zukommen lassen. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.).

Neu regieren heißt: die Zusammenarbeit von Bund, Ländern und Gemeinden zeitgemäß gestalten. Europa hat die historische Rolle von Bund, Ländern und Gemeinden auf eine neue Basis gestellt und verfolgt das Ziel, den Regionen neue Handlungs- und Gestaltungsspielräume zu geben. In Zeiten des globalen Wettbewerbs wird für die Menschen die unmittelbare Umgebung und ihre Region immer wichtiger. Daher müssen die Stimmen der Länder und Regionen besser gehört werden. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

Die Gemeinden sind jener Ort, wo die Bürgerinnen und Bürger Heimat finden. Daher ist auch die Erhaltung und Stärkung der Finanzkraft der Gemeinden für uns ein besonderes Anliegen. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

Dabei müssen unnötige und teure Doppelgleisigkeiten abgeschafft werden. Der Bundesrat wird reformiert, wobei diese wichtige Institution für den notwendigen Föderalismus in Österreich zu einer echten Länderkammer aufgewertet werden soll.

Hohes Haus! Neu regieren heißt: soziale Gerechtigkeit schaffen. Österreich braucht ein leistungsfähiges, gerechtes und treffsicheres Sozialsystem, das Benachteiligte und Bedürftige schützt und fördert. Der Missbrauch staatlicher Transferleistungen ist jedoch unsozial und unsolidarisch und muss konsequent abgestellt werden. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

Die Absicherung und Weiterentwicklung unseres Sozialsystems ist eine unserer vordringlichsten Aufgaben: Jeder, der Sozialleistungen braucht, soll diese schnell, sicher und in ausreichendem Maß erhalten. Es gilt, innerhalb des bewährten Sozialsystems eine verbesserte Aufgabenverteilung zwischen Privat und Staat zu finden. Wir wollen neben dem Wohlfahrtsstaat eine leistungsstarke und lebendige Wohlfahrtsgesellschaft etablieren. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)


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Verantwortungsbewusst Politik machen, heißt, für unsere Kinder eine gerechte und sichere Zukunft schaffen. Die Sicherung der Altersvorsorge muss mit Weitblick auf die nächsten Generationen über den Horizont der heutigen Pensionsleistungen hinausgehen. Die Bundesregierung wird auf Basis eines auf drei Säulen beruhenden Systems ein flexibles, modernes und leistbares Pensionssystem entwickeln. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

Dieses Drei-Säulen-Modell heißt, dass wir eine starke und stabile gesetzliche, staatliche Pensionsversicherung haben, zusätzlich ein Betriebspensionsmodell, über das ich später noch reden werde, und die individuelle Vorsorge durch eigene Sparleistungen für den eigenen Lebensabend.

Die Lebensarbeitszeit sinkt, die Lebenserwartung steigt. – Das ist eine sehr positive Entwicklung, aber weil wir diese Entwicklung so positiv sehen, müssen wir unser Pensionssystem den geänderten Voraussetzungen anpassen. Österreich zählt jetzt zu den Ländern mit dem niedrigsten – vor allem vorzeitigen – Pensionsantrittsalter. In ganz Europa wurde das Pensionsantrittsalter bereits angehoben. Über die notwendige Anpassung sollte eigentlich auch in Österreich Parteienkonsens bestehen, denn auch in den Verhandlungen mit der SPÖ wurde vom damaligen Finanzminister die Notwendigkeit einer Anpassung und Anhebung des Pensionsantrittsalters um zwei Jahre bei den Frühpensionen vorgeschlagen.

Um soziale Härtefälle möglichst zu vermeiden, soll die Anhebung schrittweise um je zwei Monate erfolgen, bis schließlich 18 Monate erreicht sind. Lange Versicherungszeiten bleiben von der Anhebung ausgenommen, und gleichzeitig wird ein Bonus-Malus-System vereinbart, um die Leistungsfähigen und die Leistungswilligen nicht um ihre wohlerworbenen Rechte zu bringen. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

Für uns hat eine aktive Arbeitsmarktpolitik einen ganz besonderen Stellenwert. Die neue Bundesregierung wird die Arbeitslosigkeit konsequent bekämpfen. Wir sehen den Wert der Arbeit auch in der Entfaltung der Persönlichkeit des Menschen entsprechend seiner Würde. Alle Interessengruppen in diesem Land sind aufgerufen, Maßnahmen zu setzen, die jüngeren Menschen neue Chancen auf dem Arbeitsmarkt eröffnen, aber auch älteren Arbeitnehmern die Möglichkeit geben, länger im Arbeitsprozess zu verbleiben. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

Wir werden das Arbeitsrecht und die sozialen Schutzfunktionen den neuen Entwicklungen im Arbeitsleben anpassen, und wir wollen auch Schrittmacher bei der wirkungsvollen Beseitigung der Probleme auf dem Arbeitsmarkt in der Europäischen Union sein.

Um die Mobilität in der Arbeitswelt zu erhöhen und den Berufswechsel zu erleichtern, wird ein neues Abfertigungsmodell geschaffen. Denn heute existiert eine große Ungerechtigkeit: Nicht einmal jeder Zweite bekommt im Laufe seines Arbeitslebens eine Abfertigung – andere hingegen bekommen mehrere Abfertigungen. Bei diesem neuen, gerechten, fairen Modell, das auf einem Pensionskassensystem beruht, soll der Arbeitnehmer selbst bestimmen können, ob er seine Ansprüche zur Aufbesserung seiner künftigen Pension anspart oder sich im Fall der Kündigung diese in Form eines größeren Betrages auszahlen lässt.

Dieses neue Modell entspricht der modernen Arbeitswelt: Es ist leistungsfähiger und gerechter – sowohl für Arbeitgeber als auch für Arbeitnehmer. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

Mehr Fairness und besseres Service sind die Leitlinien unserer sozialpolitischen Vorhaben. Mehr Fairness heißt für mich zum Beispiel, dass es im Krankheitsfall und bei Dienstverhinderung die gleiche Entgeltfortzahlung oder Absicherung für Angestellte und Arbeiter geben wird. Besseres Service heißt, dass es künftig nur mehr eine einzige soziale Servicestelle auf Bezirksebene gibt.

Hohes Haus! Ein modernes Arbeitsmarktservice muss viel, viel mehr sein als die Verwaltung von Arbeitslosigkeit. Die Bundesregierung hat sich zum Ziel gesetzt, den Zugang zum Arbeitsmarkt für Arbeitsuchende besser zu organisieren. Wir wollen den Abbau von Barrieren für private Arbeitsvermittler und eine konsequente Modernisierung und Marktorientierung des


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Arbeitsmarktservice, damit Arbeitslose schneller und erfolgreicher wieder Arbeit finden. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

Um Langzeitarbeitslose wieder rascher in einen sinnvollen Arbeitsprozess integrieren zu können, sollen sie zu einer verpflichtenden Tätigkeit im gemeinnützigen Bereich herangezogen werden können. (Abg. Öllinger: Zwangsarbeit!)

Controlling ist in einem modernen Unternehmen selbstverständlich. Dieses Instrument wollen wir in der Verwaltung einsetzen, um die Treffsicherheit der politischen Entscheidungen zu garantieren und Fehlentwicklungen rechtzeitig gegensteuern zu können.

In den Sozialversicherungen fallen derzeit rund 10 Milliarden Schilling an Verwaltungskosten an. Da sind natürlich Einsparungen möglich. Ich weiß, einiges ist schon eingeleitet worden, aber es gibt noch viel zu tun. Modernität ist auch in der Sozialversicherung gefragt, und die Chip-Karte, die sich als Instrument vielfältiger Informationen eignet und in anderen Ländern erfolgreich eingesetzt wird, soll die kostenintensive und altmodische Krankenscheinbürokratie ablösen. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

Modernität muss auch hier einziehen. Moderate Selbstbehalte wird es nur dort geben – das sage ich denen, die jetzt schon die Milliarden an die Wand malen und sich vor allem fürchten –, wo nicht sozial Schwächere betroffen sind. Sie werden auch nicht zentral oder politisch verordnet, sondern von den Krankenkassen – und damit von den Sozialpartnern – selbst entschieden, verantwortet und gelten nicht für Krankenhausaufenthalte. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

Neu regieren, heißt: nicht in Legislaturperioden, sondern für die nächsten Generationen denken. Drehscheibe der Generationensolidarität ist für uns die Familie. Sie braucht aus diesem Grund auch unsere ganz besondere Unterstützung. Nicht nur die Pflege der Kinder, auch die Pflege der älteren Generation wird immer wichtiger. Wir werden daher die Aus- und Weiterbildung für pflegende Angehörige fördern. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

Wir bekennen uns dazu, die Leistungen, die von den Familien für die Gesellschaft erbracht werden, ideell und materiell stärker anzuerkennen. Niemand will und darf Frauen zurück an den Herd drängen. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen. – Ironische Heiterkeit bei der SPÖ.)

Ganz im Gegenteil: Wir wollen die Wahlfreiheit der Frauen stärken. Die überwältigende Mehrheit der Frauen ist heute berufstätig. Jede Frau soll frei entscheiden können, ob sie nach der Geburt ihres Kindes für einige Zeit – materiell abgesichert – aus dem Arbeitsprozess aussteigt. Wenn sie das tut und die so wichtige Aufgabe der Kindererziehung leistet, ist es uns ein Anliegen, sie dabei finanziell zu unterstützen (Beifall und Bravo!-Rufe bei der ÖVP und den Freiheitlichen) und vor allem jenen, die sozial schwächer sind und heute keinen Anspruch haben, den gleichen Anspruch zuzubilligen – also Bäuerinnen, Hausfrauen, Studentinnen.

Wir wissen, dass diese sozialpolitische Maßnahme Mehrkosten mit sich bringt, aber diese neue Form des Kinderbetreuungsgeldes soll das Kindererziehen erleichtern und materiell unabhängig stellen. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

Dass die Betreuung des Kindes bis inklusive des dritten Lebensjahres besonders wertvoll ist, ist uns natürlich bewusst. Wir werden daher den Familien bei einer partnerschaftlichen Aufteilung der Karenzzeit mit einer Verlängerung um weitere zwölf Monate deutlich entgegenkommen. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

Hatten wir bisher für einen Partner – meist für die Mütter – 18 Monate Karenzzeit und sechs Monate für den anderen Partner, so werden das jetzt 24 Monate und 12 Monate für den Partner sein können. Damit ist die Forderung nach zwei Jahren durchgängiger Karenzzeit für einen Partner voll erfüllt und das dritte Jahr für den Partner möglich gemacht. Dies ist ein weltweit einzigartiges System. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)


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Überdies werden wir das Karenzgeld ab dem 1. Jänner 2002 erhöhen. Von der Erhöhung soll ein Teil in die Pensionsversicherung fließen und damit Pensionsversicherungszeiten in voller Höhe ermöglichen. Außerdem fällt das Berufsverbot beim Karenzgeldbezug künftig weg. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

Natürlich weiß ich, dass Geld allein nicht ausreicht – wirklich nicht ausreicht! –, ein Kind zu erziehen. Es müssen auch die vielfältigsten Angebote für die Kinderbetreuung zur Verfügung stehen. Dazu werden die Bundesregierung, vor allem aber auch die Länder und Gemeinden ihre Beiträge leisten.

Ich weiß natürlich auch, dass Frauenpolitik nicht Familienpolitik ist. (Zwischenruf der Abg. Dr. Mertel.  – Weitere Zwischenrufe bei der SPÖ.) Die gesetzliche Gleichstellung der Frauen in Österreich ist längst erfüllt, die faktische Benachteiligung besteht aber bis heute. Wir bekennen uns daher zur gleichberechtigten Partnerschaft zwischen Mann und Frau. Ich habe mich immer dafür eingesetzt, Frauen im öffentlichen Leben zu fördern. (Ruf bei der SPÖ: Haha!) Diese Bundesregierung wird die Gleichrangigkeit zwischen Mann und Frau auf allen Ebenen unterstützen. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

Wir haben konkrete Maßnahmen zur Förderung von Frauen und Mädchen im Schul- und Universitätsbereich festgeschrieben. Besondere Hilfestellungen für Unternehmensgründerinnen sind vorgesehen. Wir werden Frauen den Wiedereinstieg ins Berufsleben erleichtern, die Möglichkeit zur Telearbeit forcieren und flexible Arbeitszeiten begünstigen. (Zwischenruf des Abg. Dietachmayr. )

Hohes Haus! Die Bundesregierung bekennt sich zu Toleranz, Offenheit und Wahrung der Menschenrechte. Dies sind die unverrückbaren Eckpfeiler unserer Demokratie. Diese humanitäre Grundhaltung ist in der Präambel zum Regierungsprogramm festgehalten.

In Österreich ist das Asylrecht garantiert. Das war immer so und wird auch in Zukunft so bleiben. (Zwischenruf des Abg. Öllinger. )

Bei neuer Zuwanderung haben Integration und Familienzusammenführung Vorrang. (Abg. Öllinger: Gilt nicht für Saisonarbeiter!) Bessere Integration ist eine Herausforderung, die die Politik aber nicht allein lösen kann. Vorurteile und Berührungsängste müssen abgebaut werden. Voraussetzung dafür ist die Bereitschaft jedes Einzelnen, sich mit diesem Thema offen auseinander zu setzen.

Die Bundesregierung wird diesen Prozess erleichtern. Wir werden bessere Hilfestellungen und zahlreiche Maßnahmen anbieten, damit ein friedliches Zusammenleben von Menschen unterschiedlichster Herkunft gewährleistet ist. Sprachförderung soll in den Kindergärten und in den Schulen ausgebaut werden, damit die erste Integrationshürde – die andere, die fremde Sprache – so rasch wie möglich abgebaut werden kann.

Neu regieren, heißt: größtmögliche Sicherheit schaffen. Im Bereich der inneren Sicherheit legen wir den Schwerpunkt auf die Bekämpfung der organisierten Kriminalität, der Drogenkriminalität, des Schlepperunwesens. Auf Grund seiner geographischen Lage kann Österreich einen besonders wertvollen Beitrag dazu leisten, hier die organisierten Verbrechensstrukturen zu bekämpfen.

Wir schaffen die gesetzliche Basis für moderne Ermittlungsmethoden. Zur Eindämmung des Schlepperunwesens wird es zur konsequenten Verfolgung und zu schärferen Strafen kommen. Wir werden die gesetzlichen Möglichkeiten zur Bekämpfung des Drogenhandels ausschöpfen und entschieden gegen jede Form der Drogenkriminalität vorgehen. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

Ein einheitliches Ausbildungskonzept wird unserer Exekutive die Arbeit dabei erleichtern.


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Aber auch das österreichische Bundesheer, meine Damen und Herren, ist ein unverzichtbares, notwendiges Element, um Frieden, Stabilität und Freiheit in Österreich zu garantieren. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

Österreich braucht ein zeitgemäßes und voll ausgerüstetes funktionsfähiges Bundesheer. Eine Expertenkommission wird die Entscheidungsgrundlagen für die Umstellung auf ein Freiwilligenheer mit Milizkomponente und freiwilligen Zivildienst ausarbeiten. Das österreichische Bundesheer muss für Katastrophenhilfe, für internationale Solidareinsätze und Assistenzhilfe bestmöglich ausgerüstet sein. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

Die Anschaffung und kostengünstige Beschaffung von Flugzeugen für die Luftraumüberwachung steht außer Streit. Dafür sind die finanziellen Mittel zur Verfügung zu stellen. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

Neu regieren, das heißt aber auch: konsequente Wettbewerbs- und Standortpolitik betreiben. Österreich ist ein exportorientiertes Land, und unsere Wirtschaft steht im internationalen Konkurrenzkampf. Daher ist es eine wichtige wirtschaftspolitische Entscheidung der Bundesregierung, zur Entlastung und zur Sicherung der Arbeitsplätze die Lohnnebenkosten nachhaltig zu senken. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

Das beinhaltet zahlreiche Maßnahmen: Die Aliquotierung des Urlaubs, den Entfall des bezahlten Postensuchtages im Falle der Selbstkündigung durch den Arbeitnehmer, die Senkung der Beiträge für Insolvenzfonds, Unfall- und Arbeitslosenversicherung bei Aufrechterhaltung der Leistung. Damit soll bis zum Ende der Legislaturperiode insgesamt eine Entlastung bei den Kosten für Arbeitsplätze von bis zu 15 Milliarden Schilling erreicht werden. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

Die Attraktivität des Standortes wird aber auch durch eine moderne Steuerpolitik unterstützt. Neben der mittelfristigen Senkung der Abgabenquote gilt es, bei aller Komplexität des modernen Wirtschaftslebens, eine Vereinfachung des Systems, eine Vereinfachung der Steuererhebung umzusetzen und den Rechtsschutz zu verbessern. Klar ist aber auch, dass Steuerpolitik im Rahmen der budgetären Möglichkeiten gesellschaftspolitische Anliegen unterstützen soll, etwa durch mehr Anreize für die Altersvorsorge, durch neue Absetzmöglichkeiten von Förderungen für die Unterstützung von Kunst und Kultur, aber auch durch neue Bedingungen für die Institutionen der Bürgergesellschaft. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

Ein neues Unternehmensrecht muss Vereinfachungen für zeitgemäße Berufsrechte wie etwa für Steuerberater, Rechtsanwälte und Ärzte schaffen. Es soll zur Erleichterung einer "zweiten Chance" für Unternehmer, die sich mit einer Geschäftsidee nicht durchsetzen konnten, kommen. Konkurs darf keine gesellschaftliche Ächtung mehr bedeuten. (Zwischenruf bei der SPÖ.)

Wir brauchen einen einfachen und unkomplizierten Zugang zur Selbständigkeit durch umfassende Reformen des Unternehmensrechts und durch zentrale Anlaufstellen für alle bürokratischen Erfordernisse. Alle Institutionen sind aufgerufen, ein optimales Umfeld zu schaffen, damit neue Unternehmen und neue Arbeitsplätze entstehen können. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

Ein weiterer Liberalisierungsschub bei den Öffnungszeiten, beim Arbeitszeitrecht sowie bei Strom- und Gasmärkten soll ein flexibles, kundennahes und erfolgreiches Wirtschaften ermöglichen. Fairer Wettbewerb senkt die Preise für die Konsumenten.

Zur optimalen Anbindung des Wirtschaftsstandortes auf Straße, Schiene, am Wasser, im Flugverkehr sowie entlang der Daten- und Energienetze müssen wir unsere Infrastruktur ausbauen und modernisieren, denn dies ist einer der entscheidendsten Standortfaktoren für die Zukunft.

Die Verbesserung des Kartellrechtes, die Schaffung eines längst überfälligen modernen, einheitlichen Betriebsanlagenrechtes soll so rasch wie möglich umgesetzt werden. Wir legen ein klares Bekenntnis zu einem konsequenten Rückzug der Politik aus der Wirtschaft und aus den


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Märkten ab. Das bedeutet auch eine Liberalisierung des Kapitalmarktes und eine Entpolitisierung der Aufsichtsräte der staatsnahen Betriebe. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

Die Spekulationssteuer wird, wie gesetzlich vorgesehen, bis Oktober 2001 aufgeschoben, und es wird darüber hinaus ihre Abschaffung geprüft.

Mehr betriebliche Mitbestimmung statt starrer überbetrieblicher Regelungen soll die Flexibilität an den Wirtschaftsstandorten und damit eine rasche Anpassung an die sich schnell ändernden Bedingungen des Marktes ermöglichen.

Meine Damen und Herren! Der Reichtum Österreichs liegt auch und vor allem in der Schönheit unseres Landes. Wir wollen daher die Naturräume erhalten, den ländlichen Raum stärken und eine nachhaltige und wettbewerbsfähige Landwirtschaft gewährleisten. Förderungen für die Landwirte müssen sozial gerecht und treffsicher gestaltet und abgesichert sein. Um den Landwirten bestmögliche Rahmenbedingungen zu gewährleisten und faire Wettbewerbsbedingungen zu schaffen, streben wir eine Preissenkung für landwirtschaftliche Betriebsmittel an. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

Damit das Unternehmen Bauernhof neue Zukunftsmärkte erschließen kann, wird die Bundesregierung Investitionen in nachwachsende Rohstoffe, wie etwa den Biodiesel, unterstützen. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

Damit der ländliche Raum, aber auch der Tourismus jene Arbeitskräfte bekommt, die er braucht, wird eine unbürokratische Regelung für Saisonniers und Erntehelfer kommen. Auf europäischer Ebene ist es das Ziel, die optimale Umsetzung der Agenda 2000 sicherzustellen und die EU-Agrarpolitik gemeinsam mit unseren europäischen Partnern weiterzuentwickeln.

Grundlage der österreichischen Umweltpolitik ist das Leitbild der ökosozialen Marktwirtschaft. Weil Schadstoffe und Umweltrisken keine Grenzen kennen, muss die Umweltpolitik weit über die Staatsgrenzen hinaus betrieben werden.

Österreich hat diesbezüglich seit langem eine Vorreiterrolle in Europa. Wir werden auch künftig Maßnahmen setzen, um Schadstoffe in Treibstoffen und Ozon-Vorläufersubstanzen zu reduzieren, etwa durch die Förderung neuer Motortechnologien.

Diese Forcierung von Umwelttechnologien, erneuerbaren Energieträgern und Energieeffizienz ist ja nicht nur für eine Verbesserung der Umweltsituation erforderlich, sondern auch ein sehr wichtiger Beitrag dazu, dass sich Österreich in diesem Bereich zum internationalen Markt- und Technologieführer entwickeln kann.

Was die Gentechnik anlangt, so werden wir den bewährten Weg der sorgfältigen Beurteilung von Produkten und Neuentwicklungen weitergehen, damit es keine Gefahren für die österreichischen Konsumenten gibt.

Neu regieren, das heißt: Bildung als Rohstoff des 21. Jahrhunderts zum Mittelpunkt machen. Ein Staat, der in Bildung, in "brain-power", investiert, sichert die Lebens- und Arbeitschancen der Menschen und stärkt die Wirtschaft. Wir werden uns deshalb mit aller Kraft der Sicherung der Qualität und der Weiterentwicklung der Bildungsangebote widmen.

Die Ressourcen für Bildung und Wissenschaft müssen effizient eingesetzt werden, um weitere Internationalisierung und eine Technologieoffensive zu ermöglichen. (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der Freiheitlichen.)

Unsere Jugend soll durch besonders gute Fremdsprachenvermittlung und durch eine "Computermilliarde" die Voraussetzungen dafür erhalten, ihre späteren Arbeitsmarktchancen zu verbessern.

Qualifizierte Mitarbeiter, Facharbeiter, Absolventen der höheren und mittleren Schulen sind eine der größten Stärken der österreichischen Wirtschaft. Deshalb setzt sich diese neue Bundesre


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gierung das klare Ziel, gemeinsam mit den jungen Menschen in den Lehrberufen und gemeinsam mit den Unternehmen und Schulen für die bestmögliche Ausbildung zu sorgen. Wir wollen sorgsam mit der Lebenszeit und Ausbildungszeit junger Menschen umgehen und bereits erworbenes Wissen für weiterführende Ausbildungen voll anerkennen.

Die Bedeutung des lebensbegleitenden Lernens für die berufliche Sicherheit und Weiterentwicklung wird immer wichtiger. Deshalb wollen wir mit einer umfassenden Regierungsoffensive den Erwachsenen- und Weiterbildungsbereich fördern und innovative Formen der Weiterbildung gerade in neuen Berufsfeldern unterstützen. (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der Freiheitlichen.)

Meine Damen und Herren! Unsere Universitäten erbringen international anerkannte Leistungen auf höchstem Niveau. Wir wollen sie zu einer echten Selbständigkeit mit mehrjährigen Leistungsverträgen führen. Sie sollen künftig ihre Budget- und Personalgestaltung völlig eigenständig vornehmen können. Mit einem modernen, leistungsorientierten Dienstrecht wollen wir jungen Akademikern zusätzliche Chancen bieten und die Mobilität zwischen den Berufsfeldern fördern.

Eine der wichtigsten Innovationen – vielleicht sogar die wichtigste Innovation – der letzten Jahre in der Bildungspolitik war der Aufbau von Fachhochschulen. Unser Ziel – ein ambitioniertes Ziel – ist es, dass künftig ein Drittel aller Erststudenten ein Fachhochschulstudium belegt. (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der Freiheitlichen.)

Durch eine umfassende Strukturreform und durch Reformen im Studienangebot sowie durch den Einsatz moderner Technologien wollen wir die Verkürzung der Studiendauer wirksam vorantreiben. Verwaltungsvereinfachungen, auch Entbürokratisierungen sollen den Studierenden helfen, Zeit zu sparen.

Weltklasseforschung und Spitzentechnologie sind die Basis für Innovationskraft und Erfolge auf den Märkten von morgen. Wir haben uns daher das Ziel gesetzt – auch ein ambitioniertes Ziel, aber ein erreichbares –, die Forschungsquote bis zum Jahre 2005 auf 2,5 Prozent des Volkseinkommens anzuheben. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

Mit der Einrichtung eines Rates für Forschung und Technologieentwicklung werden wir die Festlegung von nationalen Schwerpunkten im Forschungsbereich ermöglichen und verstärkt wirtschaftliche Entwicklungseffekte stimulieren.

Hohes Haus! Neu regieren, das heißt: Kunst und Kultur nicht vereinnahmen. Bildung, Wissenschaft und Kultur schaffen die Grundlagen für unsere Zukunft. Eine gemeinsame Zielsetzung für diese Bereiche sind Vielfalt und Autonomie, Offenheit und Internationalität.

Kunst und Kultur haben bei uns immer schon einen besonderen Stellenwert gehabt. Wir bekennen uns zur Freiheit, zur vollen Freiheit der Kunst. Niemand muss befürchten, wegen seiner Gesinnung oder wegen seiner Arbeit verfolgt zu werden. (Ruf bei der SPÖ: Das wäre ja noch schöner!) Künstler brauchen keine politische Bevormundung, sondern stimulierende Rahmenbedingungen für ihr Schaffen. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen. – Abg. Dr. Kostelka: Das ist ja eine Selbstverständlichkeit!)

Wir wollen daher die Kulturarbeit durch mehrjährige Förderverträge mit regelmäßiger Evaluierung besser planbar und sicherer machen und die regionale Verteilung – auch das ist wichtig – der Kunstförderung ausgewogener gestalten.

Zur besseren Sicherung, Pflege und Präsentierbarkeit des österreichischen Kulturgutes ist eine österreichische Nationalstiftung geplant. Gemeinsam mit der Digitalisierung des kulturellen Erbes Österreichs und der Modernisierung unserer Museen wird sichergestellt, dass Kunst und Kultur einem breiteren Publikum zugänglich gemacht werden. Wir wollen Architekturschwerpunkte im Wohnbau und bei öffentlichen Bauten setzen. Kunst und Kultur gehören allen! (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen. – Zwischenruf des Abg. Parnigoni. )


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In unserem Bemühen, Österreichs Geschichte und ihre Konsequenzen für Gegenwart und Zukunft breitenwirksam aufzuarbeiten und darzustellen, wollen wir die vorliegenden Konzepte – sehr interessante Konzepte – für ein "Haus der Geschichte der Republik Österreich" und ein "Haus der Toleranz" zusammenführen.

Als Zukunftsthemen im Kulturbereich sehen wir die Stärkung des Filmstandortes Österreich und die Bereitstellung von Risikokapital für Österreichs Kreativwirtschaft. Wir werden endlich die notwendige Künstlersozialversicherung einführen und die steuerliche Absetzbarkeit bei Kunst- und Kulturinvestitionen durchsetzen. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

Liberalisierung ist auch im Mediensektor unumgänglich. Dafür werden wir die gesetzlichen Rahmenbedingungen rasch und wirksam schaffen. Um den technologischen Entwicklungen im Medienbereich Rechnung zu tragen, wird es eine unabhängige Einrichtung für Telekommunikation und Informationstechnologie geben. Sie wird unter anderem auch sämtliche technischen Lizenzen und Programmlizenzen für flächendeckendes Privatfernsehen und Privatradio erteilen. (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der Freiheitlichen.)

Neu regieren, heißt: Gesundheit fördern und die medizinische Qualität sichern. Damit die Qualität der Gesundheitsversorgung erhalten und neue medizinische Kenntnisse rasch berücksichtigt werden können, wollen wir auch unser Gesundheitssystem "fit" für die Anforderungen der Zukunft machen.

Wir werden sicherstellen, dass es für alle Bürger den gleichen Zugang zu allen medizinischen Leistungen gibt und dass die Patientenrechte gestärkt werden. Zu einem leistungsstarken Gesundheitssystem zählt auch die Information der Patienten über die medizinische Leistungserbringung. (Zwischenruf bei der SPÖ.) Damit wollen wir Transparenz und Kostenbewusstsein für die Leistungen der sozialen Krankenversicherung schaffen.

Damit Österreichs Patienten optimal versorgt sind, soll es ein verpflichtendes Qualitätssicherungssystem für das gesamte Gesundheitswesen geben und in der ärztlichen Grundausbildung der Patientenbezug erhöht werden. Um die Position in der internationalen Forschung zielgerichtet weiterzuentwickeln, soll es zur Bildung von Forschungsschwerpunkten kommen.

Um Krankheitsrisken und damit verbundene Kosten soweit wie möglich zu senken, wird ein nationaler Plan zur Gesundheitsförderung und -vorsorge entwickelt. Mehr Vorsorgemedizin schafft bessere Lebensqualität! (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

Deshalb ist es der Bundesregierung auch ein besonderes Anliegen, den Sport in Österreich zu fördern. Es sind mehr Sportangebote für Kinder und Jugendliche vorgesehen. Bewegungserziehung wird künftig bereits im Kindergarten verankert.

Hohes Haus! Wir wollen dieses Regierungsprogramm mit einem mutigen Erneuerungsprojekt für Österreich starten. (Die Abgeordneten der Grünen halten jeweils einen Schlüsselbund in die Höhe, den sie geräuschvoll schütteln.) Wir wollen Österreich neu regieren, um für alle Österreicherinnen und Österreicher die beste Voraussetzung für ihre Zukunft zu schaffen. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen. – Abg. Ing. Westenthaler  – auf die Bankreihen der Grünen weisend –: Herr Präsident! – Präsident Dr. Fischer gibt das Glockenzeichen.)

Ja, unser Programm ist der Schlüssel zur richtigen Zukunft! (Anhaltender Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen. – Heiterkeit bei den Grünen und der ÖVP. – Bravo!-Rufe bei der ÖVP.)

Alle Bürgerinnen und Bürger haben das Recht auf eine Regierung, die nicht nur verwaltet (Abg. Öllinger: ... Abstellkammerl!), sondern auch die Zukunft aktiv gestaltet. Daher wollen wir die Probleme offen ansprechen, richtige Lösungen entwickeln und Maßnahmen rasch umsetzen. Wir brauchen eine neue politische Kultur des rechtzeitigen und offenen Agierens. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

Neu regieren, das heißt für uns: den Dialog mit den Bürgern und allen Interessengruppen im Land zu suchen. Neu regieren heißt: Politik transparenter und kontrollierbarer zu machen. Eine


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lebendige Demokratie lebt von der Balance zwischen Regierung und Opposition. Ich möchte Sie ausdrücklich zu diesem Dialog einladen. In der Diskussion der politischen Konzepte und im Wettstreit unserer Argumente entstehen, so meine ich, die besten Lösungen für unser Land. Die Kultur unserer gemeinsamen Politik wird auch daran gemessen werden, wie wir einen neuen Stil in den Debatten hier in diesem Hause einleiten. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

Neu regieren heißt, dass wir uns gemeinsam – Regierung, Regierungsparteien und Oppositionsparteien – um eine politische Kultur bemühen müssen, die das Konstruktive und das Gemeinsame in der Diskussion sucht, die das Wohl des Staates vor das Wohl der Personen oder Parteien stellt (Ruf bei der SPÖ: Haha!) und die unserer Verantwortung für die Zukunft Österreichs gerecht wird. Wir sind dazu bereit! (Die Abgeordneten von ÖVP und Freiheitlichen erheben sich von ihren Plätzen und spenden stehend lang anhaltenden Beifall.)

10.15

Präsident Dr. Heinz Fischer: Ich danke dem Herrn Bundeskanzler für seine Ausführungen.

Diese stehen nunmehr zur Diskussion. Das heißt, wir gehen in die Debatte über die Regierungserklärung ein.

Die Gesamtredezeiten haben wir bereits vor der Regierungserklärung festgelegt. Die Einzelredezeit beträgt maximal 20 Minuten pro Redner.

Erster Redner ist Herr Abgeordneter Dr. Peter Kostelka. – Bitte, Herr Abgeordneter. (Abg. Mag. Kukacka: Das wird jetzt schwer, Kostelka! – Heiterkeit bei der ÖVP.)

10.16

Abgeordneter Dr. Peter Kostelka (SPÖ): Sehr verehrter Herr Bundespräsident! Herr Bundeskanzler! Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Hohes Haus! Die Erwartungen in diese Regierungserklärung waren groß – die Enttäuschung ist es nicht minder! (Beifall bei der SPÖ und den Grünen. – Zwischenruf des Abg. Schwarzenberger. )

Diese Regierungserklärung lässt Konkretheit dort vermissen, wo Klarheit notwendig gewesen wäre. Sie ist widersprüchlich, sie ist nicht sonderlich seriös, und sie ist ein Zeugnis von Ratlosigkeit und Wehleidigkeit. (Abg. Haigermoser: Wo ist denn Herr Klima?)

Ich werde Ihnen das begründen: Wo immer Sie, meine Damen und Herren, Ängste in der Bevölkerung hätten nehmen können (Abg. Dr. Puttinger: Dort haben wir sie genommen!)  – im Bereich der Pensionen, bei den Selbstbehalten in den Krankenversicherungen, bei der Arbeitsmarktpolitik –, sind Sie in plakativen, oberflächlichen Erklärungen verblieben. Dort aber, wo es um Ihre Klientelpolitik geht, waren Sie sehr konkret. – Das ist die erste Enttäuschung. (Beifall bei der SPÖ.)

Die zweite Enttäuschung ist die Widersprüchlichkeit. Sie erklären, dass Sie für Treffsicherheit bei den Sozialleistungen sorgen werden. – Gut. Wir sind durchaus für eine solche Diskussion. Was mich in diesem Zusammenhang jedoch sehr nachdenklich macht, ist der Umstand, dass Sie genau wissen, wie viel das budgetär bringen wird. Die Maßnahmen sind Ihnen noch nicht bekannt, aber das Einsparungspotential von 3 Millionen Schilling, das haben Sie bereits definiert. (Abg. Auer: 3 Millionen?) Daher geht es Ihnen in diesem Zusammenhang nur um eines, meine Damen und Herren: um Sozialabbau! Dieses Wort werden Sie noch öfter hören! (Beifall bei der SPÖ.)

Ich habe auch von Widersprüchlichkeit gesprochen: Widersprüchlich ist es in meinen Augen, für Treffsicherheit bei den Sozialleistungen zu sorgen, gleichzeitig aber auch eine riesengroße Gießkanne zu nehmen und Förderungen jenen zu zahlen, die sie offensichtlich nicht brauchen – so bei der Karenz, so bei der Aufhebung der Sozialstaffel beim Mehrkinderzuschlag, aber auch beim Dienstleistungsscheck und einer Reihe von anderen Leistungen. Meine Damen und Herren! Das ist Widersprüchlichkeit, die im Grunde genommen nur eine Ursache hat, nämlich Ihre Klientelpolitik! (Beifall bei der SPÖ.)


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Ich habe gesagt: "unseriös" – und ich stehe dazu –: Unseriös, meine Damen und Herren von der Österreichischen Volkspartei und von der Freiheitlichen Partei, ist es nämlich, wenn Sie sich mutig zu jenen Zielen von Maastricht bekennen, die geltendes EU-Recht sind. Das ist keine Zielsetzung, der Sie sich entziehen könnten! Das steht im EU-Recht! Aber Sie sagen kein Wort darüber, wie Sie eine Reduktion der Budgetverschuldung auf 1,5 Prozent bis zum Jahre 2005 erreichen wollen. Diese Antwort werden Sie am heutigen Tag und in den nächstfolgenden Plenarsitzungen noch zu geben haben! (Abg. Jung: Die Edlinger-Schulden!)

Ratlosigkeit und Wehleidigkeit sind im Zusammenhang mit ausländischen Reaktionen zu bemerken.

Es ist der Satz zu lesen: Härte, Ausmaß und Geschwindigkeit der Maßnahmen und Art des Vorgehens haben Österreich schockiert. – Das ist durchaus richtig, aber, meine Damen und Herren, wie reagieren Sie darauf? (Abg. Mag. Kukacka: Ihr habt ja mitgewirkt dabei!) – Die einzige Antwort in diesem Zusammenhang ist, dass Sie auf Zeit spielen. Ist es wirklich Außenpolitik, dann, wenn man uns die Vordertür versperrt, zu versuchen, irgendwann einmal durch die Hintertür ins Haus zu kommen? (Abg. Edlinger: Unterirdisch! – Abg. Dr. Mertel: Unterirdisch!)  – Das ist nicht unsere Auffassung von Europapolitik! (Beifall bei der SPÖ.)

Aber es gibt in Ihrer Rede, sehr verehrter Herr Bundeskanzler, durchaus auch Passagen, denen ich zustimmen kann. Sie begannen Ihre Ausführungen mit einem Bekenntnis zur sozialen, zur ökonomischen, zur demokratischen Erfolgsbilanz, und wir haben – ich meine, zu Recht – bei dieser Passage applaudiert, weil wir in den 55 Jahren der Zweiten Republik einen wesentlichen Beitrag dazu geleistet haben. (Beifall bei der SPÖ.)

Sie haben mit Recht davon gesprochen, dass Österreich ein höchst erfolgreiches Land ist, ein wirtschaftliches Musterland. (Zwischenruf des Abg. Grabner. )

Meine Damen und Herren von FPÖ und ÖVP! Das, was Sie in diesem Zusammenhang hier gehört haben, ist Ihre Eröffnungsbilanz. Und der Sinn einer Eröffnungsbilanz ist, eine Vergleichbarkeit der Leistungen am Beginn einer Zeitperiode und am Ende derselben Zeitperiode zu ermöglichen.

In den letzten 55 Jahren, in denen Sozialdemokraten Regierungsverantwortung getragen haben (Abg. Schwarzenberger: Nur 51 Jahre!), sind die wirtschaftliche Entwicklung, die soziale Entwicklung, die politische Entwicklung, unser Ansehen in Europa, in der Welt schräg nach oben gestiegen. Sie werden erst beweisen müssen, dass unter Ihrer Regierung eine ähnliche Entwicklung überhaupt möglich ist. (Beifall bei der SPÖ.)

Sie haben von einer Wende gesprochen. Die Wende-Bilanz der letzten fünf, sechs Tage ist beachtlich: Die Bevölkerung ist in höchstem Maße durch die Pensionskürzung verunsichert, und darüber hinaus gibt es Diskussionen über die soziale Sicherheit, den wirtschaftlichen Aufschwung, und wir haben auch in der Völkerfamilie offensichtlich Probleme.

Meine Damen und Herren! In nur wenigen Tagen haben Sie es fertig gebracht, aus dem positiven Begriff "Wende", der Hoffnung vermittelt hat, einen Begriff der Angst zu machen. (Beifall bei der SPÖ.)

Lassen Sie mich noch kurz bei den Problemen, die Österreich in Europa hat, verweilen. Herr Bundeskanzler! Sie selbst haben diese Probleme artikuliert, Sie haben davon gesprochen, dass es Probleme des Wortes, der Sprache und der Tonlage gibt. Ich glaube, das ist eine sehr unzulässige Vereinfachung, und zwar deshalb, weil Sie sich mit einem Koalitionspartner zusammengetan haben, der nicht nur Probleme mit den Worten, der Sprache und der Tonlage, sondern auch mit seiner Politik hat.

Herr Bundeskanzler! Ihr Koalitionspartner hat in den letzten Jahren ein Volksbegehren "Ausländer raus!" oder "Österreich zuerst!", wie er es genannt hat, und ein Volksbegehren gegen den Euro gestartet. Das sind nicht irgendwelche politischen Aktionen aus der Vergangenheit, denn – ich habe nachgesehen –: Wissen Sie, wer beim Euro-Volksbegehren die Zustellungsbe


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vollmächtigten waren? – Ihre Vizekanzlerin und der Klubobmann der zweiten Regierungspartei waren die beiden Zustellungsbevollmächtigten! Genauso war es beim "Österreich raus!"-Volksbegehren. (Bundesminister Scheibner: "Österreich raus!", Herr Kollege?) " Ausländer raus!" oder "Österreich zuerst!" (Ruf bei den Freiheitlichen: Woher nehmen Sie denn so etwas?)  – Wissen Sie, wer da die Zustellungsbevollmächtigten waren? – Ihr Verteidigungsminister und jene Person, die Sie gerne als Verteidigungsminister gehabt hätten, die aber der Herr Bundespräsident nicht akzeptiert hat.

Meine Damen und Herren! So schaut es aus. Das ist Ihre Politik, und das ist die aktuelle Situation! (Beifall bei der SPÖ und bei Abgeordneten der Grünen.)

Wenn Sie wirklich eine Versachlichung der Politik haben wollen, dann gibt es ein probates Mittel dafür: Sorgen Sie, Herr Bundeskanzler, dafür, dass diese lächerlichen Gerüchte und diese lächerlichen Versuche, der Sozialdemokratie für die Probleme in Europa die Schuld zu geben, aufhören! Sie wissen, dass das nicht stimmt!

Sie werden in den nächsten zwei, drei Tagen einer Entscheidung der Europäischen Demokratischen Union entgegenbangen, nämlich ob Ihre Partei, die Österreichische Volkspartei, auf Antrag von vier konservativen Parteien tatsächlich ausgeschlossen wird. (Abg. Dr. Spindelegger: Machen Sie sich keine Sorgen!) Ich hoffe im Interesse Österreichs, dass das nicht der Fall sein wird, aber ich glaube, Sie haben allen Grund, eine Gegenstrategie zu entwickeln, und wir sind bereit, gemeinsam mit Ihnen in diesem Zusammenhang unseren Beitrag zu leisten. (Beifall bei der SPÖ.)

Alles, was bisher an Strategie entwickelt wurde, meine Damen und Herren, ist jedenfalls nicht dazu angetan, tatsächlich Abhilfe zu schaffen. Sie haben auf der einen Seite – das zur Widersprüchlichkeit – bekundet, dass die Repräsentationsaufwendungen, aber auch Aufwendungen für die Öffentlichkeitsarbeit wesentlich reduziert werden, auf der anderen Seite aber haben Sie heute und morgen, wie ich höre, Ihre "Deklaration" im "Herald Tribune" um 660 000 S veröffentlicht.

Meine Damen und Herren! Das, was in diesem Zusammenhang besonders interessant ist, ist, wer als Unterfertigter der Deklaration angeführt ist. Wenn ich es richtig verstehe, handelt es sich dabei um die Präambel der Regierungserklärung der Regierung Schüssel/Riess-Passer. Aber wissen Sie, was druntersteht? – "Dr. Wolfgang Schüssel", "Dr. Jörg Haider"! (Zwischenrufe bei der SPÖ.) – Ist das die Demonstration dessen, dass nicht der Kanzler und die Vizekanzlerin für diese Regierung stehen, sondern in Wirklichkeit der Kanzler und sein "Überkanzler" aus Kärnten? (Abg. Parnigoni: Die Frau Vizekanzler gibt es gar nicht! Warum sitzen Sie oben, Frau Riess-Passer? – Weitere Zwischenrufe bei der SPÖ und den Freiheitlichen. – Präsident Dr. Fischer gibt das Glockenzeichen.)

Meine Damen und Herren! Ich fordere Sie auf: Nehmen Sie den Menschen die Angst im sozialen Bereich, und machen Sie deutlich, worum es geht! Sie sprechen von "Pensionsanpassungen" und es soll, wie wir hören, Reduktionen bei Pensionen von bis zu 20 Prozent geben. Wie wir hören, haben Sie ein Bonus-Malus-System entwickelt, bei dem es einen Bonus für 5 Prozent und einen Malus für 95 Prozent der Pensionisten geben wird. Darüber hinaus gibt es auch eine Reihe von Unklarheiten im Zusammenhang mit den Selbstbehalten bei der Krankenversicherung. Wir haben daher heute dazu eine Dringliche Anfrage eingebracht, um das zu klären.

Wenn wir schon von "Anpassung" sprechen, meine Damen und Herren: Das wird ein neusprachlicher Begriff für drastische Veränderung. Sie wollen in diesem Zusammenhang auch das Arbeitsrecht "anpassen", wie Sie so schön sagen: "anpassen an die neuen Entwicklungen des Arbeitslebens". – Das ist eine gefährliche Drohung. Wir wissen, was Sie meinen! (Beifall bei der SPÖ.)

Noch zwei Bemerkungen. Sie erklären, den Frauen die Wahlfreiheit geben zu wollen, ob sie Beruf und Familie miteinander vereinbaren oder ausschließlich im Haushalt verbleiben wollen. (Abg. Öllinger: "Unternehmen Haushalt"!) Sie geben in diesem Zusammenhang durchaus eine beträchtliche Summe aus, die zwar erst finanziert werden muss – aber ich anerkenne, dass es


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sich dabei um eine beträchtliche finanzielle Leistung handelt –, aber wo bleibt Ihre Unterstützung, wenn sich die Frau für Beruf und Familie entscheidet? – Bei der Kinderbetreuungseinrichtung ist nebulos von einem Beitrag der Bundesregierung die Rede, zur Teilzeit gibt es null an Bemerkungen, bei der Flexibilität ist bestenfalls von Anreizen die Rede – jeder, der Sie kennt, weiß, dass das zu Lasten der Frauen geht –, und bei der Behaltefrist schweigen Sie zurückhaltend.

Meine Damen und Herren! Das ist Ihre Antwort: Sie wollen die Frauen zurück an den Herd bringen und Ihnen nicht wirklich die Möglichkeit des Arbeitsplatzes schaffen. (Beifall bei der SPÖ und bei Abgeordneten der Grünen.)

Sie bekennen sich zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit. Aber womit denn? Die Mittel für die produktive Arbeitsmarktfürsorge, aber auch für den Nationalen Beschäftigungsplan sind weitgehend zusammengestrichen. Das ist ein Bekenntnis, hinter dem vor allem keine Zahlen stehen – und das ist eine Politik, die die Sozialdemokratie genauso ablehnt wie Ihre Kunstpolitik.

Beim Lesen des Vorausexemplars habe ich mir gedacht, meine Damen und Herren: Den Satz wird er nicht sagen!, nämlich den Satz, dass sich im Zusammenhang mit der Kulturpolitik niemand fürchten muss, verfolgt zu werden. (Abg. Dr. Khol: Richtig!)

Meine Damen und Herren! Die zeitgenössische Kunst als Förderungsobjekt kommt überhaupt nicht vor! (Zwischenrufe bei der ÖVP.) Man muss sich das vorstellen! In meinen Augen ist Kunstpolitik dafür da, Neues zu ermöglichen, jungen Künstlern das Hineingehen in ein berufliches Schaffen als Künstler zu ermöglichen, aber die neue Frau Kunstministerin sieht ihre Aufgabe nur darin, dass sie die Verfolgung als eine Art zweiter Innenminister verhindert. (Abg. Dr. Khol: Krokodilstränen sind das!)

Meine Damen und Herren! Wir alle müssen uns fürchten – nicht vor Verfolgung, davor wird uns der Rechtsstaat schützen, aber vor der Politik dieser Regierung! (Anhaltender Beifall bei der SPÖ sowie des Abg. Dr. Grünewald. )

10.31

Präsident Dr. Heinz Fischer: Nächster Redner ist Herr Abgeordneter Ing. Westenthaler. Gleiche Redezeit. – Bitte.

10.31

Abgeordneter Ing. Peter Westenthaler (Freiheitliche): Herr Präsident! Herr Bundeskanzler! Und erlauben Sie mir an dieser Stelle einen kleinen Einschub, eine expandierte Anrede: Sehr geehrte erste Frau Bundeskan... (Zwischenrufe bei der SPÖ), Vizekanzler der Republik Österreich! (Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP.) Meine sehr geehrten Damen und Herren Bundesminister und Staatssekretäre! Es ist ein erhebender Moment, diese neue Regierung vor dem Nationalrat zu sehen; eine neue Regierung, die ihre Arbeit sehr dynamisch begonnen hat, hier im Parlament aber auf Ihre Fundamental-Opposition stößt.

Herr Kollege Kostelka! Ich verstehe es, wenn Sie hier sagen, Sie seien sehr enttäuscht, angesichts des Wahlergebnisses vom 3. Oktober sei diese Enttäuschung heute noch groß – ich verstehe das –, auch Ihre Fraktion sei enttäuscht. Aber diese Enttäuschung kann doch nicht so weit gehen, dass Sie sich jetzt wirklich gemeinsam mit den Grün-Alternativen in Fundamental-Opposition begeben. Diese Enttäuschung kann doch nicht so weit gehen, Herr Kollege Edlinger, Herr Kollege Schlögl, Herr Kollege Einem, Frau Kollegin Hostasch und wie Sie alle hier sitzen, dass Sie Ihre Verantwortung für Österreich an den Ausgangstüren der Ministerien abstreifen! (Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP.)

Sie sollten zurückkehren zum Grundkonsens, zu einer konstruktiven Art und Weise auch der Opposition, und Sie sollten vor allem dieser Regierung eine Chance geben und sie nicht von vornherein wie viele Unkritische und viele, die ihre Kritik nicht hinterfragen, derart massiv bekämpfen. (Abg. Dr. Gusenbauer: Worin besteht der Grundkonsens?) Ich glaube, das wäre wichtig.


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Da Sie hier ein Inserat angesprochen haben, das nur zu einer offensiven Information im Ausland dient (Abg. Dr. Mertel: Traurig genug!), und kritisieren, dass solche Inserate gemacht werden, gleichzeitig aber internationale Aufklärungsarbeit einfordern, sage ich Ihnen: Ich möchte diese wichtige Aufklärungsarbeit für Österreich im Ausland nicht mit so mancher Werbekampagne Ihrer Bundesminister, Werbekampagnen, die mir und auch den Österreichern noch im Ohr klingen, vergleichen: "Schiene statt Verkehrslawine", "Und aus!" und so weiter. – Das war Steuergeldverschwendung, aber nicht die Aufklärung für Österreich, Herr Kollege Kostelka! (Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP.)

Sie haben auch von Europa und von internationalen Ambitionen gesprochen, jetzt die Deeskalation voranzutreiben. Das begrüße ich, aber beginnen Sie bitte auch damit, Ihre Funktionäre, Ihre sozialistischen Abgesandten in den internationalen Organisationen über diese Deeskalationen zu unterrichten, und beginnen Sie, sie einzubinden. (Abg. Dr. Gusenbauer: Dazu brauche ich nicht Ihre Aufforderung! Das machen wir allein! Nehmen Sie sich zurück, jede Aussage von Ihnen verschärft es!) Es ist nicht richtig, dass höchste sozialistische Funktionäre in wichtigen Gremien Europas beginnen, auf internationaler Ebene dem Ausland Tipps dahin gehend zu geben, was man noch alles gegen Österreich unternehmen kann, Herr Kollege Gusenbauer!

Ich zitiere aus dem "WirtschaftsBlatt" vom 4. Februar 2000, in dem der Vizepräsident der Europäischen Invesitionsbank, Ewald Nowotny – wir alle kennen ihn, langjähriger sozialistischer Abgeordneter und Finanzsprecher –, Tipps gibt, einen Rat gibt, wie man Österreich wirtschaftlich schlechter stellen kann. (Abg. Dr. Gusenbauer: Ach so? Lesen Sie es vor!) Das muss man sich vorstellen! (Ruf bei der ÖVP: Unerhört! – Weitere Zwischenrufe.)

Herr Nowotny sagte laut "WirtschaftsBlatt" – hören Sie zu! –:

Rein theoretisch, sagt Vizepräsident Ewald Nowotny, könnte die Europäische Investitionsbank österreichischen Unternehmen Darlehen verweigern. – Zitatende.

Das hat noch niemand vor ihm gesagt. (Rufe der Abgeordneten Dr. Gusenbauer und Schieder: Weiterlesen! Weiterlesen!) Er gibt also Tipps, wie die österreichische Wirtschaft geschädigt werden kann. Das verurteilen wir auf das Allerschärfste, Herr Kollege Gusenbauer. (Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP. – Rufe der Abgeordneten Dr. Gusenbauer und Schieder: Weiterlesen! Weiterlesen!)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Souverän, der Wähler, hat am 3. Oktober ein deutliches Signal für politische Veränderung, für Erneuerung gegeben. (Abg. Dr. Gusenbauer: Lesen Sie den ganzen Satz vor! – Weitere Zwischenrufe. – Präsident Dr. Fischer gibt das Glockenzeichen.)

Ich weiß, dass es ein wirklich ungutes Gefühl ist, bei einer solch guten Regierungserklärung, bei so vielen Reformvorhaben und so viel Erneuerung auf der Oppositionsbank zuhören zu müssen. (Abg. Dr. Gusenbauer: Weiterlesen! Den ganzen Satz!) – Herr Kollege Gusenbauer! Wissen Sie, warum Ihnen Gott nur einen Mund, aber zwei Ohren gegeben hat? – Damit Sie besser zuhören können und nicht so viel zwischenrufen, Herr Kollege Gusenbauer! (Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP. – Abg. Dr. Gusenbauer: Wir wollen den ganzen Satz hören! – Abg. Schieder: Weiterlesen!)

Der Wähler hat am 3. Oktober ein deutliches Signal für politische Veränderung, Erneuerung und einen Wechsel gegeben. Jetzt, vier Monate später, ist es so weit, der Wählerwille wurde umgesetzt: Das Zeitalter der rot-schwarzen Stillstandskoalition ist zu Ende, und heute präsentiert sich eine neue Reformregierung aus Volkspartei und FPÖ – mit hervorragenden Persönlichkeiten, mit richtungweisenden Programmen und Inhalten, mit einer fundierten, sehr detaillierten, richtungweisenden Regierungserklärung und vor allem mit dem festen Willen, für Österreich eine bessere Zukunft zu gestalten! – Kollege Gusenbauer, das sollten Sie sich auch merken. (Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP.)


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Es war kein leichter Start für diese Regierung. Es wurde alles unternommen, um Barrieren gegen diese Regierung aufzubauen, ob international oder auf der Straße in Österreich. Es gilt nun, falsche Vorurteile – und solche waren es – abzubauen, das schnelle falsche Vorurteil durch ein richtiges Urteil über den Inhalt des Regierungsprogramms und das Regierungshandeln zu ersetzen (Abg. Edlinger: Das wird ja noch schlimmer!); dafür werden wir sorgen, darüber werden wir entsprechend informieren. Wir wollen Barrieren abbauen und anstelle dieser Barrieren ein Fenster des Optimismus, des Muts zu Neuem errichten. Das ist notwendig. Nach dem Stillstand der sozialistischen Politik ist es notwendig, Optimismus und Mut für die Zukunft zu beweisen. (Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP. – Abg. Dr. Gusenbauer: Wenn Sie das Gesicht des Optimismus sind, Herr Westenthaler, dann ist das eine matte Angelegenheit!)

Trotz der massiven Kritik, auch internationalen Kritik, trotz Ihrer Fundamental-Opposition, in die Sie sich nun begeben haben, hat diese junge Erneuerungsregierung die ersten Hürden bereits gemeistert (Abg. Dr. Gusenbauer: Welche Hürden?) und steht jetzt auch auf Grund Ihrer Fundamental-Opposition noch vereinter, noch motivierter und entschlossener da, um diesen Auftrag für Österreich, den wir vom Wähler bekommen haben, entsprechend zu erfüllen. (Beifall bei Abgeordneten der Freiheitlichen.) Und zur Erfüllung dieses Auftrages wünsche ich Ihnen, meine Damen und Herren Bundesminister, sehr geehrter Herr Bundeskanzler, sehr geehrte Frau Vizekanzler, viel Erfolg und alles Gute seitens der freiheitlichen Parlamentsfraktion. (Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP.)

Wir haben eine Budgetsanierung durchzuführen – es gab 30 Jahre lang sozialistische Finanzminister –, wir haben einen Sanierungsbedarf von 235 Milliarden Schilling bis zum Jahr 2003. (Abg. Dr. Gusenbauer: Zählen kann er auch nicht! – Weitere Zwischenrufe bei der SPÖ.) Das war Ihre Budgetpolitik. Wir müssen das Budget sanieren. (Abg. Edlinger: Wenn man vier Jahre nichts tut, dann kommt das!)

Wir wollen soziale Gerechtigkeit in einer neuen sozialen Partnerschaft zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern. (Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP.) Wir wollen den Wirtschaftsstandort Österreich sichern. Wir wollen eine verlässliche Außenpolitik. Wir wollen eine starke Demokratie, einen leistungsfähigen Staat, freie Kunst und freie Künstler, größtmögliche innere Sicherheit und bestmögliche Bildung. Das sind im Wesentlichen die Grundsäulen der politischen Erneuerung, die sich diese Reformpartnerschaft vorgenommen hat. (Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP.)

Das hat sich die Reformpartnerschaft vorgenommen in einem sehr ambitionierten Programm unter dem Titel: "Österreich neu regieren." Es handelt sich dabei nicht nur um irgendein Programm, nicht nur um irgendein Koalitionsübereinkommen, nicht nur um irgendeine Regierungserklärung, sondern wir fassen das als einen Vertrag mit den Österreichern und Österreicherinnen auf, als einen Vertrag für eine bessere Zukunft für unser Land Österreich. (Abg. Dr. Gusenbauer: Hat aber kein Einziger unterschrieben von der Bevölkerung!)

Die Ausgangssituation ist ja nicht leicht: Wir müssen ja dieses Erbe, das Sie uns hinterlassen haben, sanieren. (Zwischenrufe bei der SPÖ.) Und wir werden Sie als Erblasser dieses schweren Erbes sicher nicht aus der Verantwortung entlassen, sondern in diese Verantwortung einbinden. Sie können sich nicht vor der Verantwortung dafür drücken, dass Sie 30 Jahre lang eine falsche Budgetpolitik gemacht haben. Das können Sie nicht, das werden Sie auch nicht! (Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP.)

Wir haben ein klares Bekenntnis – ich erachte das für sehr wichtig – auch zu den Grundsätzen des Artikels 6 des EU-Vertrages – den wir übrigens auch in unser EU-Programm übernommen haben – abgegeben. Ich finde es richtig, dass man die Grundsätze der Freiheit, der Demokratie, der Achtung der Menschenrechte und der Rechtsstaatlichkeit auch aufschreibt und auch dazu steht. (Abg. Dr. Gusenbauer: Eine erstaunliche Aussage für Sie!) Ich verstehe aber Ihre Kritik nicht, da Sie zwar immer wieder das Bekenntnis zu diesen Grundsätzen fordern, aber dann, wenn man es tut, sagen: Das ist ja eine Selbstverständlichkeit, warum muss eine Regierung das in eine Präambel schreiben? (Zwischenrufe der Abgeordneten Dr. Gusenbauer und Edlinger. )  – Weil wir dazu stehen, weil wir zu diesem Rechtsstaat und dieser Demokratie stehen und


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weil wir die Politik in diesem Sinne auch umsetzen werden, meine Damen und Herren von der Opposition. (Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP.)

Es gibt ein Kapitel "starke Demokratie": Wir wollen einen neuen Patriotismus fördern für demokratisches Engagement der Bevölkerung, für mehr Mitbestimmung, für mehr Mitverantwortung, auch für das Gemeinwohl der Bürger. Wir haben erstmals auch eine Objektivierung vorangetrieben mit einer eigenen Charta der Objektivierungsbestrebungen etwa im Schulbereich. Wir haben uns auf die Briefwahl geeinigt, die wichtig ist, da immer wieder Probleme – das wissen Sie – etwa auch bei den Auslandsösterreichern auftreten, sodass diese ihr demokratisches Recht wahrnehmen und die Wahl durchführen können. Wir werden in diesem Bereich eine Vereinfachung durchführen: Wir ersetzen die Wahlkarte im Sinne der Briefwahl.

Wir werden weiters – auch das ist sehr wichtig und war immer ein Punkt, den wir eingemahnt haben – das Volksbegehren und die anderen Instrumente der direkten Demokratie aufwerten. Das Volksbegehren soll in dem Sinn weiterentwickelt werden, dass es, wenn es von 15 Prozent der Bevölkerung unterstützt wird, zu einer Volksabstimmung kommt. Diese muss dann durchgeführt werden. – Ein wirklicher Ausbau der direkten demokratischen Mitteln. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Wir wollen die Rechte der Volksanwaltschaft erweitern. Wir wollen – das ist sehr wichtig im Sinne der Arbeitnehmer – eine direkte Wahl, eine Demokratisierung bei den Sozialversicherungsanstalten erreichen, eine direkte Wahl der Arbeitnehmer- und Arbeitgebervertreter in den Sozialversicherungsanstalten. Und wir haben – ich unterstreiche das, was auch der Bundeskanzler ausgeführt hat – in diesem Kapitel selbstverständlich auch ein Bekenntnis zur Wiedergutmachung bei den Zwangsarbeitern, Kriegsgefangenen und Vertriebenen. (Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP. – Abg. Öllinger: Sagenhaft! Das ist ja "unglaublich"!)

Meine Damen und Herren! Wenn man sich dieses Kapitel genau ansieht und es einer genauen Prüfung unterzieht, dann wird man zur Auffassung kommen, dass diese Demokratie nicht nur lebt, sondern dass diese Bundesregierung diese Demokratie auch weiterhin stärkt und festigt. Das ist wichtig im Sinne einer demokratischen Entwicklung – auch international. (Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP.)

Wir haben aber auch einen völlig neuen sozialen Gesellschaftsvertrag definiert, der Fairness und soziale Gerechtigkeit enthält, vor allem aber auch soziale Treffsicherheit – was uns sehr wichtig erscheint. Wir haben den Kampf gegen die Arbeitslosigkeit definiert und auch aufgenommen, indem wir etwa den Nationalen Aktionsplan für Beschäftigung evaluieren wollen. Wir wollen – der Herr Bundeskanzler hat das ausgeführt – ein Abfertigungssystem schaffen, das mittlerweile von allen Kommentatoren und Experten als wesentliche Besserstellung für Arbeitnehmer gewertet wird und es auch bei Selbstkündigung und kurzer Arbeitszeit ermöglicht, die Abfertigung mitzunehmen.

Das ist eine wirkliche Reform, bis hin zu den Sozialversicherungsreformen – Zusammenlegung –, zur Änderung des Pensionssystems. Dazu möchte ich Folgendes definieren und klar feststellen – weil Sie immer sagen, es käme hier zu Pensionsverschlechterungen –: Es gibt keinen Eingriff in bestehende Pensionen, sondern eine Sicherung der bestehenden Pensionen durch diese Bundesregierung! (Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP.)

Es gibt nur eine Änderung beim Frühpensionsalter. Und auch da haben wir Ihren – Ihren! – Pakt und Ihren Vorschlag, Herr Exfinanzminister Edlinger ... (Zwischenruf des Abg. Edlinger. ) Sie haben zuerst die massiven Verschlechterungen vor allem für die Arbeitnehmer auch bei den Frühpensionen ins Spiel gebracht. Sie wollten das Frühpensionsalter um zwei Jahre hinaufsetzen, Sie wollten ganz massive Nachteile vor allem für Arbeitnehmer, die lange im Arbeitsprozess stehen, und für Frauen einführen. (Abg. Edlinger: Sie nehmen den Leuten ein Fünftel der Pension weg! Ein Pensionsdemolierer sind Sie!) Wir haben Ihrem – Ihrem! – "Vorschlag der Grauslichkeiten" die Zähne gezogen und eine Verbesserung für die österreichischen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer erreicht. (Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP. – Abg. Edlinger: Sie nehmen den Leuten ein Fünftel der Pension!)


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Zum Beispiel jung eingestiegene Arbeitnehmer – wenn heute einer mit 15, 16 Jahren eine Lehre beginnt, lange im Beruf steht – können natürlich sehr früh in Pension gehen oder durch das Bonus-Malus-System eine bessere Pension bekommen, wenn sie länger arbeiten. (Zwischenrufe bei der SPÖ.) Das ist ein Anreiz, und das ist doch wirklich eine Verbesserung!

Auch für die Frauen kommt es zu Verbesserungen: Kindererziehungs-Ersatzzeiten werden in Zukunft voll angerechnet. Das ist eine wesentliche Verbesserung für die Frauen in Österreich. Wir bekennen uns dazu. (Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP.)

Weiters wollen wir es so halten, dass die Pensionserhöhung in Zukunft nicht quer über alle Schichten hinweg prozentuell durchgeführt wird, sondern dass die Anhebung durch Sockelbeträge erfolgt. Auch das ist eine wesentliche Verbesserung, vor allem für die Bezieher niedriger Pensionen, die auf diese Art die gleiche Erhöhung erhalten und nicht durch eine prozentuelle Erhöhung schlechter gestellt werden, wodurch ja Besserverdienende mehr erhalten würden als die Bezieher niedriger Pensionen.

Wir werden die Ruhensbestimmungen abschaffen – es kann dazuverdient werden –, und wir werden auf ein Drei-Säulen-Modell übergehen, damit das Pensionssystem in Zukunft gesichert bleibt, finanziert werden kann und nicht außer Rand und Band gerät, wie das unter sozialistischer Führung passiert wäre, meine Damen und Herren! (Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP. – Abg. Edlinger: Es muss dazuverdient werden, sonst können die Leute dann nicht mehr leben!)

Wir haben aber auch sonst im Sinne der österreichischen Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen viele Verbesserungen für die Familien und vor allem auch für die "kleinen" Leute in Österreich in diese neue soziale Partnerschaft mit den Arbeitgebern eingebracht, etwa ein Programm zur Mietensenkung, zur Strompreissenkung durch die vorzeitige Liberalisierung, bis hin zur Lohnnebenkostensenkung in der Höhe von 15 Milliarden Schilling. Und wir wollen auch – das ist ein klares Bekenntnis dieser Bundesregierung – in dieser Legislaturperiode auf der steuerlichen Seite eine Entlastung bringen und eine Steuerreform durchführen, damit die Österreicherinnen und Österreicher entsprechend entlastet werden (Abg. Edlinger: Das schaue ich mir an!) und endlich von Ihrer Belastungspolitik wegkommen. – Das ist eines unserer Angebote. (Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP.)

Es wird Ihnen nicht gelingen – auch nicht durch Horrormeldungen, die Sie jetzt über die eine oder andere Maßnahme verbreiten wollen –, zu verunsichern. Es ist einfach nicht richtig – das sei auch einmal deutlich gesagt –, wenn Sie jetzt überall sagen: Jetzt kommt der Selbstbehalt, wenn man im Spital liegt! – Es wird ja immer dasselbe Beispiel herumgereicht, Sie setzen in Ihrer Informationskampagne offensichtlich immer dieses eine Beispiel ein. Sie sagen: Wenn man eine teure Hüftoperation durchführen lassen muss, die 300 000 S kostet, dann muss man 20 Prozent Selbstbehalt bezahlen. – Das steht, bitte, nirgends! Das ist völlig falsch! (Abg. Reitsamer: Aber es steht nirgends, dass es nicht so ist!) Es gibt überhaupt keinen Selbstbehalt für einen Krankenhausaufenthalt oder für Operationen, und es gibt auch keinen Selbstbehalt – und auch das erscheint mir wichtig – für die sozial Schlechtergestellten in dem System (Abg. Reitsamer: Wer beurteilt, wer das ist?), für Pensionisten und für jene, die es sich nicht leisten können.

Wir haben auch im Bereich der Gesundheit und der Krankenversicherer die schützende Hand über die "kleinen" Leute gelegt, wir werden sie nicht im Stich lassen, dessen können Sie sich sicher sein. (Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP.)

Wer sagt, dass überhaupt ein Selbstbehalt kommt? – Es obliegt den Krankenversicherungen, ihr Defizit, das unter Ihrer Führung in die Milliarden gewachsen ist, abzubauen. Ob sie das machen durch Verwaltungseinsparungen oder durch die ohnehin bestehende Krankenscheingebühr oder über die Rezeptgebühr oder – das Wichtige ist "oder" – über Selbstbehalte nur beim Arztbesuch, ist eine Entscheidung der Krankenversicherer. Wir werden gespannt darauf warten, wie dieses Defizit abgebaut wird; aber es muss abgebaut werden, dazu bekennen wir uns ganz entschieden. (Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP. – Zwischenrufe bei der SPÖ.)


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Wir haben auch – das ist auch für die jungen Menschen sehr interessant – darauf Wert gelegt, dass wir im neuen Informations- und Kommunikationszeitalter hier nicht stehen bleiben, sondern den weiteren Entwicklungen Rechnung tragen.

Es ist meiner Überzeugung nach auch bedeutend, dass wir in dieses Regierungsübereinkommen auch geschrieben haben – dazu bekennen wir uns; das ist für das Technologiezeitalter auch sehr wichtig, keine Utopie mehr, sondern eine Vision für die nächsten ein, zwei, drei Jahre –: Wir wollen mehr Information, mehr Technologie, und zwar für jeden! Etwa unter dem Motto: E-Mail und elektronische Unterschrift für jeden Österreicher. – Das ist ein Bekenntnis zur Technologie, zur weiteren Entwicklung und auch zur Informationsgesellschaft in Österreich. (Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP.)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir haben so etwas – ich habe das immer wieder gesagt – wie einen New Deal für Österreich entwickelt, eine zukunftsgerichtete, programmatische Ausgestaltung für eine wirklich bessere Zukunft in diesem Lande. Wir sagen mit dieser neuen Regierung: mehr Freiheit statt Bevormundung, mehr Selbstbestimmung statt Dirigismus, mehr soziale Partnerschaft statt Klassenkampf, mehr soziale Gerechtigkeit statt unsozialer Belastungen, mehr Sicherheit statt Verunsicherung und mehr Leistung statt Missbrauch.

Meine Damen und Herren! Diese Reformpartnerschaft in Form dieser neuen, jungen Regierung hat ihre Chance verdient. Jetzt heißt es für uns alle: Ärmel hochkrempeln und an die Arbeit!

Meine Damen und Herren! Gehen wir an die Arbeit für das Herzensanliegen eines jeden hier, nämlich für die Zukunft Österreichs! (Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP.)

10.51

Präsident Dr. Heinz Fischer: Nächster Redner ist Herr Abgeordneter Dr. Van der Bellen. – Bitte.

10.51

Abgeordneter Dr. Alexander Van der Bellen (Grüne): Herr Präsident! Verehrte Damen und Herren von der neuen Bundesregierung! Es fällt mir jetzt wirklich schwer, mich zu entscheiden, was mir lieber ist: die alten Tiraden des Fundamental-Oppositionellen Westenthaler – oder das unerträgliche Schmalz, das er uns nun hier auftischt! (Heiterkeit und Beifall bei den Grünen und der SPÖ.)

Ich muss lange darüber nachdenken: Ich neige dazu, dass mir die alten Tiraden lieber waren, weil sie irgendwie um eine Spur ehrlicher klangen! (Abg. Dr. Mertel: Aber nur um eine Spur!) Es ist dies jedenfalls eine schwierige Entscheidung.

Mein Vorredner von der SPÖ hat darauf hingewiesen, dass das Inserat in der "Herald Tribune" von Haider und Schüssel unterschrieben ist. Er hat sich darüber mokiert. Ich finde das total okay! Das ist realistisch: Über diesem Kabinett, das hinter mir sitzt, liegt der Schatten Jörg Haiders. Man könnte sogar so weit gehen, zu sagen: Das ist das Schattenkabinett Jörg Haiders! (Beifall bei den Grünen und der SPÖ.)

Ich denke an ein internationales Publikum wie das der "Herald Tribune", vor welchem man das offen sagt. Dagegen ist überhaupt nichts einzuwenden! Es ist dies sogar ein Ausdruck ungewöhnlicher Realitätsnähe in der österreichischen Politik, insbesondere in der Außenpolitik!

Ich darf gleich damit beginnen. – Herr Dr. Schüssel! Jeder muss bei sich selbst anfangen, siehe Seite 4 unten Ihrer Regierungserklärung. (Abg. Öllinger: Er hat gerade etwas zu besprechen!) – Das macht nichts, das gilt auch für die anderen!

Ich bin gerne bereit, im Jahre 2000 bei mir selbst anzufangen: Vielleicht setzen Herr Khol und ich uns einmal zusammen und überlegen, was wir verbessern können, wenn wir schon bei uns anfangen wollen. (Abg. Dr. Khol: Gerne, Herr Kollege!) Das muss dann bitte aber auch für die anderen gelten. Mit was hat zum Beispiel unsere neue Außenministerin ... (Abg. Kiss: Womit!) –


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Danke vielmals, Herr Kiss! Womit hat unsere neue Außenministerin bei sich schon angefangen? Womit?

Gestern hatte ich das Vergnügen, den TV-"Report" zu sehen. Da hat eine neue Außenministerin, geprägt von wehleidiger Gekränktheit, nichts gewusst und gesagt: Leider hat mir niemand etwas gesagt von den konkreten Sanktionen, die zu erwarten sind. Es wurden nur Sorgen geäußert, und es wurden uns Beschwerden mitgeteilt, aber leider nichts Konkretes. (Abg. Mag. Steindl: Sie war hervorragend!)

Ich frage mich: Wozu brauchen wir denn eine Außenministerin? Wozu haben wir denn die österreichische Diplomatie? Ich habe geglaubt, die ist nicht so schlecht! (Zwischenruf des Abg. Jung. ) Es liegt da irgendwo ein Filter dazwischen, sodass nichts mehr wahrgenommen wird. Wozu halten wir uns denn all die Botschafter und so weiter, wenn nicht dafür, damit sie das Gras wachsen hören und uns genau das wiedergeben, was eben noch nicht in einer Erklärung schwarz auf weiß steht? (Abg. Dr. Puttinger: Herr Van der Bellen "hält" sich Menschen!) Das herauszufinden ist Aufgabe einer Außenministerin beziehungsweise einer Staatssekretärin! – Im Psychologischen nennt man ein solches Phänomen, glaube ich, Realitätsverlust: nicht wahrnehmen wollen, was draußen vorgeht.

Ich muss sagen: In der Regierungserklärung beziehungsweise in den heutigen Worten von Herrn Dr. Schüssel setzt sich diese Linie fort. Es ist darin von "Kritik des Auslands" die Rede. – Herr Bundeskanzler! Ist die Europäische Union wirklich "das Ausland" für Sie? Es ist mehrfach von den Vorurteilen und vorgefassten Meinungen des Auslandes, aber auch des Inlandes die Rede. – Meinen Sie wirklich, dass das die beste Ausgangsposition ist, um jenen jetzt zu erklären, was hier los ist und dass alles doch ganz anders sei?

Mich wundert nicht, dass die österreichische Außenpolitik zu einem ganz modernen Mittel greift, zu einem Instrument, das nicht billig ist, welches aber, wenn man Personal einspart, was ja die Absicht der neuen Bundesregierung ist, unterm Strich budgetneutral sein könnte, nämlich dem Instrument der großflächigen Anzeigen in internationalen Zeitungen. (Abg. Jung: Das hat die bisherige Regierung im "NEWS" ständig betrieben!) – Ich bin ohnedies der Meinung, dass die neue Regierung die alte Politik mit einer Hand voll neuer Gesichter macht! (Beifall bei den Grünen und bei Abgeordneten der SPÖ.) Da haben Sie vollkommen Recht!

Sie sollten sich halt besser daran erinnern, was alles Sie an der alten Regierung kritisiert haben! Das möchte ich erlebt haben, wie Sie reagiert hätten, wenn die neue SPÖ-ÖVP-Regierung oder irgendeine andere sich mit ganzseitigen Anzeigen in der "Herald Tribune" gerechtfertigt hätte. (Zwischenruf des Abg. Dr. Martin Graf. ) Das hätte ich erleben beziehungsweise auch nicht erleben mögen, wie Herr Westenthaler dann gewettert hätte! Jetzt ist das total in Ordnung. In der Hilflosigkeit greift man natürlich auch zu solchen Mitteln! (Abg. Dr. Rasinger: Nachdem Sie es nicht der Mühe wert gefunden haben, Österreich im Ausland zu verteidigen!)

Meine Damen und Herren! Das ist Realitätsverlust in der Außenpolitik, den sie nach wie vor nicht ablegen können. Der Herr Bundeskanzler sagt uns hier etwa ernsthaft: Wir werden bereits in zwölf Monaten mit dem Euro bezahlen können! (Zwischenruf des Abg. Dr. Rasinger. ) – Super! Ist es jetzt schon der erste Erfolg der neuen Regierung, dass wir mit den Euro werden bezahlen können? (Abg. Dr. Martin Graf: Sicher!) Super! Ich sage Ihnen: Ich werde froh sein, wenn ich in einem Lokal in Deutschland, in Frankreich, in Spanien oder Portugal, wenn es mich dorthin verschlägt, als Österreicher etwas bestellen darf, geschweige denn dann in Euro bezahlen darf! Das ist ja das Problem! (Beifall bei den Grünen. – Zwischenrufe bei den Freiheitlichen und der ÖVP.) .

Herr Khol! Schauen Sie mich nicht so an mit Ihren Engelsaugen! Jeder Geschäftsreisende muss sich jetzt erst einmal rechtfertigen und sagen: Ich bin Österreicher, aber ich bin ein anständiger Geschäftsmann et cetera. – Nehmen Sie das zur Kenntnis! Das zu leugnen ist einfach nicht ehrlich! (Beifall bei den Grünen. – Abg. Dr. Martin Graf: Sie müssen sich in einem Lokal halt ordentlich benehmen!)


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Als Patriot bedauere ich es zutiefst – und von dieser Reichshälfte (der Redner weist auf die Bankreihen der Freiheitlichen) lasse ich mir den Patriotismus noch lange nicht nehmen! (Beifall bei den Grünen)  –, dass Sie riskieren, dass die drei Worte "Made in Austria" kein Gütezeichen mehr sind, sondern ein Handikap für österreichische Geschäftsleute und andere werden. (Abg. Dr. Martin Graf: Ich wiederhole: Sie müssen sich in einem Lokal halt ordentlich benehmen!) – Mein Gott, dass ich das in meiner kurzen Politikerlaufbahn erleben durfte, dass ich Benehmensvorschläge von dieser Seite bekomme! (Beifall und Bravo!-Rufe bei den Grünen.) Super! Das gefällt mir echt, denn ich habe einen Hang zum Zynismus. (Zwischenrufe bei den Freiheitlichen.)

Die neue Regierung hat uns neuen Stil versprochen. Früher oder später hätte ich einmal ganz gerne gewusst: Wo ist der neue Stil? Herr Kollege Khol! Was ist jetzt mit dem Umgang mit der Opposition? Bekommen wir jetzt das Minderheitsrecht für einen Untersuchungsausschuss oder nicht? Bis jetzt bedeutet das, was wir von Ihnen und von Frau Kollegin Fekter hören, reine Zeitverzögerung und Aufschieben. Nichts ist es mit dem Minderheitsrecht! Was ist mit dem Stil hier im Parlament? (Abg. Dr. Martin Graf: Was ist mit dem, was bisher gültig war?!)

Wir werden uns die Protokolle von gestern und die Zwischenrufe von den Freiheitlichen anschauen, soweit sie protokolliert sind – alle sind nicht protokolliert; aber das ist kein Vorwurf, denn die armen Damen und Herren können ja gar nicht alles mitbekommen –, und dann schauen, wer den Vorsitz führt und wer einen Ordnungsruf erteilt. Das werden wir uns anschauen! Ich schaue mir gerne alles an! (Zwischenruf des Abg. Dr. Martin Graf. ) Ich weiß nicht, ob das wehleidig ist!

Ihre alte Radaupolitik war vielleicht für eine Oppositionspartei angemessen, ich kann das nicht beurteilen, aber für eine Regierungspartei finde ich Ihr Verhalten deplaciert. Aber ich rede Ihnen nicht drein! (Beifall bei den Grünen und der SPÖ.)

Was ist denn mit Ihrem Gerede von "Verschwörung" und "Hochverrat"? – Ihr hochverehrter Herr Parteiobmann und Landeshauptmann in Kärnten redet von politischem Hochverrat! Wollen Sie das jetzt politisch untersuchen oder nicht? Gibt es dazu einen Untersuchungsausschuss oder nicht? Oder sind Sie schon beim ersten Konflikt umgefallen, weil die ÖVP das nicht haben will? (Abg. Ing. Westenthaler: Vielleicht schaffen Sie auch einmal eine Rede, ohne den Namen Haider zu erwähnen! – Abg. Jung: Was ist mit dem Antrag von Frau Vassilakou?) Vassilakou – das ist ein gutes Stichwort! Wie ist das jetzt zu verstehen, Herr Bundeskanzler: "Trotz der Demonstrationen in diesen Tagen sind radikale Auswüchse ... selten."? Sie rufen doch immer nach Differenzierung, werfen jedoch all diese Demonstrationen in einen Topf als radikale Auswüchse. Ich erwarte mir von Ihnen noch eine Berichtigung, eine Qualifizierung, eine Modifizierung! Was haben Sie damit gemeint? Das Demonstrationsrecht ist immer noch ein Bürgerrecht in diesem Land! (Beifall bei den Grünen und bei Abgeordneten der SPÖ.)

Wenn wir jetzt beim neuen Stil sind, dann würde ich mir früher oder später auch wünschen, dass man mit dieser ewigen Schönfärberei in Regierungserklärungen aufhört! In der Regierungserklärung heißt es:

"Österreich zeichnet sich durch hohe humanitäre Standards aus." – Okay.

Und weiters: "Nie hat die Republik Österreich nach dem Zweiten Weltkrieg politische, demokratische und humanitäre Prinzipien verletzt."

Da frage ich Sie: Wer ist die Republik Österreich? Ich kann mich sehr wohl daran erinnern, dass die Republik Österreich vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg verurteilt wurde und dass mit dem Finger auf uns, auf die Republik Österreich, gezeigt wurde, und zwar von "amnesty international", wegen diverser Übergriffe. – So, wie Sie das jetzt formulieren, ist es nicht ganz!

Weiter heißt es: "Niemand soll daran zweifeln, dass wir uns glaubhaft zu Toleranz, Offenheit und zur Wahrung der Menschenrechte bekennen." – Wer ist "wir"? Herr Dr. Schüssel, Ihnen glaube ich das, absolut! Aber Sie haben einen Partner, der im Wiener Wahlkampf alles getan hat, damit man eben das nicht glaubt, und deren Obmann gerade die Präambel, auf die sich jetzt alle


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berufen, als Beleidigung der Österreicher bezeichnet hat. – Das ist die Glaubhaftigkeit Ihres Regierungspartners! Das geht nicht gegen Sie persönlich!

Ich darf Ihnen noch zwei, drei Dinge sagen, um zu versuchen, Ihnen klar zu machen, warum sich viele Leute Sorgen machen und Ängste und Befürchtungen haben. Es geht dabei vorwiegend um die Menschenrechte, Bürgerrechte und sozialen Rechte. – In der Regierungserklärung heute war – außer ich habe es überhört – keine Rede von den Reformen im Justizbereich, die diese Regierung anstrebt. (Bundesminister Dr. Krüger: Das kommt dann von mir!) Die Rücknahme des Außergerichtlichen Tatausgleichs habe ich den Medien entnommen. Das war eine Errungenschaft! Wohin gehen Sie in diesem Zusammenhang? (Abg. Dr. Fekter: Es wird einen Ausnahmenkatalog geben!)

In der Regierungserklärung war keine Rede davon, dass Sie die Quoten bei der Familienzusammenführung zurücknehmen wollen. Im Koalitionsübereinkommen ist jedoch sehr wohl davon die Rede. (Abg. Dr. Khol: Aber erst, wenn der Rückstau abgearbeitet ist!) "Rückstau" ist ein dehnbarer Begriff. Ich möchte gerne wissen, ob sich die christlich-soziale Volkspartei zur Familie auch dann bekennt, wenn es sich um ausländische Staatsbürger handelt, die legal in Österreich wohnen. (Abg. Dr. Khol: Ja!) Warum sagen Sie das nicht? (Beifall bei den Grünen. – Rufe bei der ÖVP: Ja! – Abg. Schwarzenberger: Sicherlich!) Das sagen Sie jetzt! Von der Regierungsbank habe ich das nicht gehört. (Abg. Dr. Khol: Das ist enthalten!)

Die erweiterte Gefahrenerforschung bei der Polizei wird kommen. – Die Sozialdemokraten sollten sich darüber nicht aufregen, weil das mit ihnen auch vereinbart war. Das wird von der schwarz-blauen oder der blau-schwarzen Regierung übernommen! (Abg. Dr. Khol: Sie haben Angst vor den Grünen, und dass die Grünen das nicht wollen, verstehe ich gut!)

Ein Letztes in diesem Zusammenhang, nämlich die Skelettierung des Sozialministeriums: Das ist hoch interessant. Im Rahmen eines unscheinbaren Gesetzes, nämlich einer Reform des Bundesministeriengesetzes – wie ich annehme –, wird das Sozialministerium filetiert. Die Sektion Arbeitsmarktpolitik geht ins Wirtschaftsministerium. Das Arbeitsrecht geht ins Wirtschaftsministerium. Und zu allem Überdruss geht auch noch das Arbeitsinspektorat ins Wirtschaftsministerium. (Abg. Dr. Fekter: Sehr sinnvoll!) Sie sagen: Sehr sinnvoll!, und das sagt auch die Regierungsbank. (Zwischenrufe bei der ÖVP.) Dass gleichzeitig die Budgetmittel für die aktive Arbeitsmarktpolitik gekürzt werden, haben wir in der Regierungserklärung nicht gehört. Das steht aber in Ihrem Programm und ist geplant. (Abg. Dr. Fekter: Sehr sinnvoll! Sehr sinnvoll!) Dazu sagen Sie: sehr sinnvoll! (Präsident Dr. Fasslabend übernimmt den Vorsitz.)

Der neue Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit Martin Bartenstein will mit seiner neuen Doppelaufgabe das Klischee überwinden – das ist ein wörtliches Zitat –, dass es einen Gegensatz zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer gibt. – Ach wirklich? Es gibt nicht einen Gegensatz zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer? (Abg. Öllinger: Das alte Modell kommt wieder!) Vor 60 Jahren hat man das "Volksgemeinschaft" genannt. Ihnen wird schon ein neuer Ausdruck einfallen! (Beifall bei den Grünen. – Abg. Dr. Khol: Wir nennen das Sozialpartnerschaft!) Das ist Sozialpartnerschaft? Wenn Sie Interessengegensätze gar nicht erst wahrnehmen, sondern sie schlichtweg leugnen, dann soll das Sozialpartnerschaft sein?! (Abg. Dr. Khol: Sie sind noch ein Anhänger des Klassenkampfes!)

Ich jedenfalls habe ein ganz anderes Verständnis von Sozialpartnerschaft! Sozialpartnerschaft setzt voraus, dass man gegenseitige Interessen erst einmal erkennt und nicht verwischt und sagt: Es ist ein Klischee, dass es irgendeinen Gegensatz zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer gibt. So etwas Plattes am Beginn einer Regierungsperiode hätte ich einem Wirtschaftsminister nicht zugetraut! (Beifall bei den Grünen und der SPÖ.)

Meine Damen und Herren! Es wird noch genug Gelegenheit geben, etwas zum Budget zu sagen. Über die Budgetpolitik dieser neuen Regierung haben wir in dieser Regierungserklärung nichts erfahren. Aus den Zeitungen wissen wir, dass Steuern erhöht werden. Im "politspeak" heißt das neuerdings "Steueranpassungen". (Abg. Schwarzenberger: Der Bundeskanzler hat erwähnt, welche Steuern es sein werden!)  – Richtig, das hat er erwähnt! Es wird Steuererhöhun


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gen geben, es werden Leistungen gestrichen werden. Ein Konzept hinter dem Ganzen kennen wir noch nicht. Ich kann nur sagen: Ich bin froh darüber, dass ich vor einigen Wochen hier einen Antrag auf Erlassung eines gesetzlichen Budgetprovisoriums eingebracht habe. (Abg. Dr. Khol: Das Budget ist heute eingelaufen! – Abg. Dr. Fekter: Die Regierungsvorlage ist schon da!) Die Regierungsvorlage hätten Sie gar nicht gebraucht. Der Initiativantrag wäre längst vorgelegen! Aber das ist der neue Stil, dass man die Anträge der oppositionellen Abgeordneten nach wie vor in den Papierkorb wirft, so wie früher, und einen eigenen Antrag daraus macht. (Zwischenruf der Abg. Dr. Fekter. ) Natürlich! Das ist der neue Stil der alten Regierung mit einer Hand voll neuer Köpfe. (Beifall bei den Grünen und bei Abgeordneten der SPÖ.)

11.07

Präsident Dr. Werner Fasslabend: Meine sehr geehrten Damen und Herren! Bevor ich dem nächsten Redner das Wort erteile, möchte ich noch eine generelle Anmerkung zur Diskussion machen.

Es hat gestern in den Abendstunden einige Wortspenden und Zwischenreden gegeben, die durchaus Anlass für einen Ordnungsruf gegeben hätten. Ich beziehe mich dabei etwa auf die Aussage der Abgeordneten Dr. Partik-Pablé: "Sie sind doch wirklich dumm!", oder auf jene des Abgeordneten Westenthaler: "Drahtzieher der Gewalt"; Frau Abgeordnete Pittermann hat folgende Äußerung in Bezug auf den Herrn Bundeskanzler getan: "Ein Außenminister, der so etwas nicht rechtzeitig erkennt, ist unfähig!" (Zwischenruf der Abg. Dr. Pittermann. )

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Geschäftsordnung erlaubt nicht, heute noch einen Ordnungsruf dazu zu erteilen. Wir müssen uns aber dessen bewusst sein, dass gerade in der gegenwärtigen Situation das Parlament nicht nur ein Forum der Rechtsstaatlichkeit und der Demokratie ist, sondern dass das Prinzip der Toleranz und der Menschenwürde auch gegenüber politisch Andersgesinnten gerade in diesem Haus anzuwenden ist! (Zwischenrufe bei der SPÖ und den Grünen.)

Ich bitte Sie, das zu beachten!

Nächster Redner: Herr Abgeordneter Khol. – Bitte.

11.09

Abgeordneter Dr. Andreas Khol (ÖVP): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte zu den Ausführungen von zwei Vorrednern eine kurze Bemerkung machen.

In der Bibel wird von den Pharisäern gesprochen, die den Splitter im Auge des anderen sehen, aber den Balken im eigenen nicht. (Abg. Dr. Mertel: Ja, ja!)

Ich nehme an, es ist kein Zufall, dass mir das gerade bei der Kritik an dem Inserat in der "International Herald Tribune" einfällt, welches zirka 600 000 S kostet. Ich habe hier eine Anfragebeantwortung mit betreffend die Kosten für Anzeigen zum Thema "Strategie für Österreich" des Herrn Alt-Bundeskanzlers Klima mitten im Wahlkampf. Mitten im Wahlkampf wurden an einem einzigen Tag 2,199 Millionen Schilling ausgegeben und für eine andere Anzeige am gleichen Tag 341 000 S! In Anbetracht dessen glaube ich, dass die Information der internationalen Öffentlichkeit, unabhängig von Wahlkämpfen, sicherlich diese 600 000 S wert ist! (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

Herr Kollege Van der Bellen! Die Hand, die Sie mir entgegen gestreckt haben, nehme ich gerne an! Ich habe mit Ihnen und Ihrer Fraktion manchen Strauß ausgefochten. Ich bin aber auch zu Ihren Wahlveranstaltungen, etwa als Sie Ihr Neutralitätskonzept präsentiert haben, gegangen und habe mitdiskutiert. Ich hoffe, dass Professor Rudolf Burger Recht behält, der unlängst von Ihnen als den "konstruktiven Grünen mit ihrem biederen Ökonomieprofessor an der Spitze, der Politik betreibt wie ein Proseminar" geschrieben hat. Ich betrachte das als Kompliment! Ich hoffe, dass wir uns so sachlich auseinander setzen und mit Verfassungsfragen befassen! (Beifall bei der ÖVP.)

Nun zur Erklärung der Bundesregierung: Herr Bundeskanzler! Frau Vizekanzlerin! Meine Damen und Herren auf der Regierungsbank! Das Konzept, wie Österreich neu zu regieren sein wird, hat


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uns von der Volkspartei mit Begeisterung erfüllt. (Abg. Dr. Mertel: Das glaube ich!) Wir werden die neue Bundesregierung mit vollem Einsatz unterstützen! (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

Meine Damen und Herren des Hohen Hauses! Wir glauben, dass diese Erklärung eine deutliche Antwort auf die Herausforderungen des Wahlergebnisses vom 3. Oktober darstellt. Denn dieses Wahlergebnis hat niemanden in diesem Hause unberührt gelassen und hat eine Partei aus diesem Hause hinaus befördert. Und ich weise darauf hin, dass wir die Signale des 3. Oktober sorgfältig berücksichtigen müssen! Ich erinnere die Sozialdemokraten daran, dass sie über 5 Prozent ihrer Wähler verloren haben. Ich weiß – denn ich sehe den Balken im eigenen Auge –, dass auch wir von der Österreichischen Volkspartei über 1 Prozent verloren haben. Die Freiheitlichen haben 5 Prozent gewonnen. (Beifall bei den Freiheitlichen.) Die Grünen haben 3 Prozent gewonnen. Und das Liberale Forum ist aus dem Parlament gefallen.

Meine Damen und Herren auch von der Opposition! Glauben Sie nicht, dass Reinhold Eppler Recht hat, der gesagt hat:

"Wenn wir so weitermachen wie bisher, werden wir nicht mehr lange so weitermachen."

Glauben Sie nicht, dass die Wähler ein deutliches Signal wollten? Ich bedanke mich im Übrigen für den Applaus auch der Sozialdemokraten zur Erklärung des Herrn Bundeskanzlers! Ich möchte aber festhalten, dass wir diese Wahlsignale natürlich bekommen haben, und zwar trotz eines konstanten Wirtschaftswachstums von 3 Prozent, einer Teuerung, die an die Nullgrenze herangeht, einer international erstaunlich niedrigen Arbeitslosenrate von knapp über 4 Prozent (Abg. Dr. Mertel: Das ist SPÖ-Politik!), trotz eines Beschäftigungswunders mit neuen Beschäftigtenhöchstzahlen in jedem Monat, einer Exportoffensive, die diese Jobs geschaffen hat, und einer Wirtschaft, die boomt und in welcher der private Konsum steigt, weil wir ständig sinkende Privatzinsen hatten. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

Meine Damen und Herren! Dann muss etwas am System nicht gepasst haben! (Abg. Edler: Die ÖVP!) Zu Ihrem Zwischenruf, Herr Kollege Edler, frage ich Sie: Wer hat denn 5 Prozent verloren? (Beifall bei der ÖVP.)

Ich glaube, dass die "Süddeutsche Zeitung" gestern sehr Recht hatte, denn dort heißt es:

"So gesehen ist Österreich tatsächlich das Menetekel" – also das warnende Zeichen an der Wand – "der westeuropäischen Parteiendemokratien. Die Parteien müssen nun mit Schrecken gewahren, dass sie ihre Einflusszonen in der Zivilgesellschaft zu räumen haben, wollen sie nicht sehenden Auges eine schwere Sinnkrise der Demokratie heraufbeschwören. Ihre umfassende Regelungswut wie ihre angemaßte Kompetenz als Vormünder wird ihnen nun zum Fluch. Alle Parteien sehen sich mit dem Dilemma konfrontiert, dass sie keine plausiblen Antworten auf die ‚ernsten Wiederholungen der Geschichte‘ formulieren können. Die gesellschaftliche Macht, die sie sich unter historisch anderen Umständen erwarben, verwandelt sich in Ohnmacht."

Ich meine, dass das die Herausforderung ist, der wir alle hier im Hohen Haus heute, im Jahre 2000, mit einem guten, neuen und herausfordernden Programm zu begegnen haben! (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

Meine Damen und Herren! Es war für die Volkspartei, die ein Wahlverlierer war, nicht leicht, aus der Oppositionsrolle heraus zu kommen. Wir haben uns angesichts des deutlich werdenden katastrophalen Zustands der Staatsfinanzen und auf Grund des Wunsches des Herrn Bundespräsidenten dazu entschlossen. (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der Freiheitlichen.)

Es war die Liebe zu Österreich, die uns dazu veranlasst hat, nicht wie die Balkon-Muppets als Opposition zu nörgeln, sondern Verantwortung zu übernehmen! (Neuerlicher Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der Freiheitlichen.)


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Wir haben es mit den Sozialdemokraten zuerst versucht. Unser Ziel war eine runderneuerte große Koalition. Wir haben ein gutes Paket verhandelt. (Zwischenruf der Abg. Jäger. ) Frau Jäger! Dieses Paket werde ich Ihnen noch oft zeigen! Dieses Paket ist das Ergebnis von drei Monate langen Gesprächen und Verhandlungen, und ich stehe dazu! Es wäre ein gutes Programm für Österreich gewesen. (Beifall bei Abgeordneten der ÖVP.) Es ist gescheitert, und ich bin Herrn Nürnberger – das möchte ich auch sagen – für seine Wahrhaftigkeit dankbar, denn er hat gesagt: Ich unterschreibe nicht, was ich nicht erfüllen möchte. – Ich bin nicht sicher, ob andere, die es unterschrieben hätten, die gleichen Vorsätze gehabt hätten! (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen. – Zwischenrufe bei der SPÖ.)

Frau Jäger! Wir werden Ihnen das Programm noch oft zeigen! Ich kann Ihnen auch ein Exemplar verehren! Denn wir werden Sie an diesem Programm messen, und es wird die Herausforderung dieser Legislaturperiode sein, festzustellen, ob die Sozialdemokratie die Dinge, die sie in diesem Programm mit uns verhandelt hat, auch dann durchführt, wenn wir sie ohne sie hier im Hohen Hause einbringen werden! (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der Freiheitlichen.)

Meine Damen und Herren! Gescheitert ist die Durchführung dieses Programms daran – ich will jetzt gar nicht ins Detail gehen –, dass es letzten Endes der Vorstand der Sozialdemokratie nicht schaffte, dieses Programm durchzubringen und so zu unterschreiben, dass wir die Gewissheit gehabt hätten, dass es auch von den Sozialdemokraten die notwendige parlamentarische Unterstützung gegeben hätte. Es war die mangelnde Politikfähigkeit der Sozialdemokratie, die dieses Paket zum Scheitern brachte! (Bravo!-Rufe bei der ÖVP. – Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der Freiheitlichen.)

Ich gehe mit Milde über das kurze Intermezzo hinweg, das darin bestand, dass sich Klubobmann Kostelka und andere SPÖ-Politiker intensiv um die Duldung einer Minderheitsregierung durch die FPÖ bemüht haben. (Abg. Dr. Stummvoll: Das war peinlich!) Ich will nicht weiter Salz in Wunden streuen. Ich sage nur: Das, was "Kurier"-Herausgeber Rabl heute im "Kurier" von der virtuellen Koalition FPÖ-SPÖ geschrieben hat, trifft den Nagel auf den Kopf! (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der Freiheitlichen.)

Die Verhandlungen mit der FPÖ waren durch die Sondierungsgespräche, die der Herr Bundespräsident uns allen auferlegt hat, sehr gut vorbereitet. Ich möchte hier von diesem Pult aus sagen, dass ich dem Herrn Bundespräsidenten dankbar dafür bin, dass wir Sondierungsgespräche mit allen Fraktionen führen konnten. Ich bedauere, dass die Grünen nur ein einziges Mal das Gespräch mit unserem jetzigen Bundeskanzler suchten. Ich freue mich, dass Herr Van der Bellen heute das Angebot gemacht hat, dass die Gesprächsbasis in der kommenden Legislaturperiode weiter besteht. (Neuerlicher Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der Freiheitlichen.)

Das Ergebnis der Gespräche mit den Freiheitlichen ist dieses Regierungsprogramm. Ich empfehle Ihnen, meine Damen und Herren von den Sozialdemokraten, die beiden Programme sorgfältig zu vergleichen. Sie werden nämlich feststellen, dass wir beim Budget die Eckwerte, die wir noch mit dem damaligen Finanzminister Edlinger und mit dem damaligen Bundeskanzler Klima ausverhandelt haben, auf Punkt und Beistrich im neuen Programm berücksichtigt haben und mit vielen gleichen Instrumenten auch durchsetzen werden. Es stimmt, was Klubobmann Westenthaler gesagt hat: Die Edlinger-Vorschläge zur Pension sind in unserem Paket menschlicher, gerechter und besser gestaltet. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

Die Maßnahmen für den öffentlichen Dienst – wir von der Volkspartei stehen zum leistungsfähigen, hervorragenden, gesetzestreuen, korruptionsfreien öffentlichen Dienst in dieser Republik, wir stehen dazu! (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen)  – sind gleich mit jenen, die Sie im rosa Paket mit den Sozialdemokraten finden. Das Karenzgeld für alle, wie wir es uns vorstellen, hätten auch die Sozialdemokraten gemacht. Aber das, was wir Ihnen heute vorschlagen, ist wesentlich besser und geht darüber hinaus! (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen. – Widerspruch bei der SPÖ.)

Meine Damen und Herren von der Sozialdemokratie! Besondere Sorgfalt würde ich anlegen an alles, was zur Außenpolitik, zur Wehrpolitik, zur Europapolitik und zur äußeren Sicherheit in


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diesem Papier – das Sie mit uns verhandelt und das wir abgeschlossen haben – steht. Mit ganz kleinen Nuancen ist es nämlich das, was heute im Regierungsprogramm des Herrn Bundeskanzlers mitgeteilt wurde. Es ist das die große Chance – und ich sehe das als große Chance, meine Damen und Herren von der Sozialdemokratie! –, dass wir hier einen nationalen Konsens für die Sicherheitspolitik, für die Europapolitik und für die Außenpolitik formuliert haben. Ich lade Sie ein, diesen Konsens hier in diesem Hause auch zu vertreten. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

Meine Damen und Herren! "Neu regieren", hat der Bundeskanzler gesagt! Und die Eckpfeiler dafür sind klar: eine sachgerechte Arbeitsaufteilung, weniger Ministerien, bessere Strukturen. Wovon die Sozialdemokratie immer geschwärmt und geredet hat: eine bessere Kompetenzverteilung: Wir haben sie gestern als Initiativantrag hier im Hohen Hause eingebracht! (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

Noch nie, solange die Republik besteht, haben in einer Regierung so viele Frauen wichtigste und wichtige Ministerien verwaltet. (Zwischenruf des Abg. Grabner. ) Wir brauchen keine Frauen zur Behübschung, sondern wir brauchen Frauen mit Kompetenzen! Und wir haben sie! (Bravo!-Rufe und Beifall bei der ÖVP sowie den Freiheitlichen.)

Wir werden eine echte Privatisierung durchführen. Wir werden einen schlankeren Staat einrichten. (Zwischenrufe bei der SPÖ.) Wir bekennen uns zur objektiven Postenvergabe. Ich bin sehr daran interessiert, meine Damen und Herren von der Opposition, zu erfahren, ob die Gesetzesvorschläge für die objektive Postenvergabe von Ihnen mitgetragen werden! (Abg. Dr. Jarolim: Peinlich!) Ob die von Ihnen mitgetragen werden, Herr Kollege Jarolim – Sie wissen genau, wovon ich spreche! Sie beraten ja die AUA, Sie beraten eine ganze Serie von parastaatlichen Betrieben, und Sie wissen genau, wie dort in der Vergangenheit der Eigentumsvertreter – Finanzminister und Bundeskanzler – die Posten vergeben hat. (Abg. Dietachmayr: Wie in Niederösterreich! – Weitere Zwischenrufe bei der SPÖ.) Ich erinnere auch an die Bundestheater. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

Wir werden die Bürgergesellschaft stärken – ich freue mich, dass das Wort "Bürgergesellschaft" in der Regierungserklärung vorkommt (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der Freiheitlichen)  –, und wir stehen für eine starke Demokratie. Wenn man sich das Ministeriengesetz ansieht, dann wird man erkennen, dass der Bundeskanzler sehr viel von seinen kleinen, verstreut herumliegenden Kompetenzen abgibt und seiner eigentlichen Rolle, der sein Vorgänger nicht gerecht wurde, gerecht werden wird, nämlich Manager einer Aufgaben- und Ausgabenreform in dieser Republik zu sein! (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

Was also tun?, schreibt wieder die "Süddeutsche Zeitung": Um österreichische Zustände zu vermeiden, müssten sich die Parteien neu erfinden und sich als Innovationsagenturen begreifen, die pragmatische – sprich: weitgehend ideologiefreie – Antworten auf die andrängenden Probleme formulieren. Diese Antworten sollten dann auch nicht mehr durch ein von den Parteien aufgezogenes und kontrolliertes gesellschaftliches Netzwerk diffundiert, sondern beispielsweise mittels wirklich unabhängiger Medien im Dialog öffentlich kommuniziert werden. – Zitatende.

Das, so glaube ich, ist in diesem Programm auch geschehen. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich noch kurz auf Van der Bellen und die Reaktion des Auslandes zu sprechen kommen. Ich möchte zwei Dinge unterscheiden. Natürlich war nach der Wahl am 3. Oktober 1999 jedem mittelmäßig begabten Zeitungsleser klar (Abg. Dr. Kostelka: Dass die ÖVP nicht in Opposition geht!), dass dieses Wahlergebnis mit der Stärkung der Freiheitlichen Partei im Ausland mit Sorge beobachtet wurde. Natürlich ist die Chronik des Herrn Bundespräsidenten völlig korrekt, in welcher er darauf hinweist, dass er bei allen möglichen internationalen Begegnungen darauf angesprochen wurde: Was ist los in Österreich? Wie ist dieses Wahlergebnis zu verstehen? Und man hätte Bedenken, eine im Ausland verleumdete Freiheitliche Partei in der Regierung zu sehen. (Abg. Parnigoni: Deswegen haben Sie auch


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keinen Auftrag zur Regierungsbildung! – Weitere Zwischenrufe bei der SPÖ.) Das alles ist korrekt, meine Damen und Herren.

Erst seit dem 27. Jänner hat es die ersten Hinweise gegeben, dass die Europäische Union als Europäische Union Maßnahmen ergreifen würde. Vom 27. Jänner 2000 stammt der Brief des belgischen liberalen Ministerpräsidenten mit sozialistischer Unterstützung, der den europäischen Ratsvorsitzenden, den Vorsitzenden der Sozialistischen Internationale, befasst hat. Was ist da geschehen, damit dieser Brief geschrieben wurde? – Am 26. Jänner 2000 fand eine Konferenz der Sozialistischen Internationale statt, und dort nahm Bundeskanzler Klima am Abend an einem Treffen der Parteivorsitzenden teil. Kollege Spindelegger hat gestern davon berichtet. Ich fordere Herrn Alt-Bundeskanzler Klima auf, Licht in dieses Dunkel zu bringen! (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

Welche Rolle hat Klima in Stockholm gespielt? Hat er dort die Maßnahmen gegen Österreich angeregt – ich kann das nicht glauben, ich will das nicht glauben! –, hat er dort über die Situation in Österreich informiert, sich besonders mit der Freiheitlichen Partei befasst und dadurch die Maßnahmen angeregt – das könnte schon eher sein (Abg. Mag. Posch: Aber Bürger ... Citoyen!)  –, oder hat er sofort dagegen geredet und die Stellung eines österreichischen Patrioten eingenommen? – Das erhoffe ich, das erwarte ich von ihm; ich möchte es aber wissen. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen. – Abg. Mag. Posch: Bürger Andreas Khol! Bürger Andreas Khol! – Weitere Zwischenrufe bei der SPÖ.)

Zum Schluss: Lesen Sie die "Frankfurter Allgemeine Zeitung", lesen Sie die "Zürcher Zeitung", lesen Sie die "Süddeutsche Zeitung". In allen Zeitungen ist es klar:

"Die in Wien abdanken" – so schreibt beispielsweise Herr Olt in der "FAZ" –, "die in Wien abdanken müssen, orchestrieren das europäische und internationale Konzert. Was sie mit der angeblichen Gefahr einer Wiederkehr des Faschismus begründen, ist nichts anderes als der Versuch, die Straße gegen eine legitime und nach demokratischen Wahlen auf rechtsstaatlich einwandfreie Weise zustande gekommene Regierung zu mobilisieren."

Dem ist nichts hinzuzufügen. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen. – Abg. Mag. Posch:  ... hat niemand bezweifelt, Herr Bürger Khol!)

Meine Damen und Herren von der Bundesregierung! Als Christgewerkschafter möchte ich Ihnen ein herzliches "Glückauf"! für Ihre Arbeit zurufen! Wir stehen hinter Ihnen! (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen)

11.29

Präsident Dr. Werner Fasslabend: Nächste Rednerin ist Frau Abgeordnete Prammer. – Bitte.

11.30

Abgeordnete Mag. Barbara Prammer (SPÖ): Herr Präsident! Herr Bundeskanzler! Hohes Haus! Herr Klubobmann Khol, ein "rosa Papier" zwischen SPÖ und ÖVP gibt es nicht, und zwar aus mehrerlei Gründen. Ich möchte ein paar dieser Gründe auch anführen. Hätte dieses rosa Papier nur irgendeine Verbindlichkeit, dürfte sich das andere – das blaue Papier – nicht vom rosa Papier unterscheiden. (Beifall bei der SPÖ.)

Ich möchte an dieser Stelle – weil es mir schon leid um die Zeit ist – nicht mehr wiederholen, wie sicher offensichtlich die ÖVP war, mit der Sozialdemokratie keine Koalition einzugehen. Halten Sie dieses Papier deswegen gut in Ehren, und arbeiten Sie nach diesem blauen Papier! Ich wünsche Ihnen absolut nicht zu viel Glück dabei. (Beifall bei der SPÖ. – Abg. Dr. Khol legt eine rosafarbene Broschüre auf das Rednerpult.)

Herr Präsident! Herr Bundeskanzler! Jawohl, der Herr Bundeskanzler hat zu Beginn seiner Regierungserklärung tatsächlich ein paar ganz bemerkenswerte Sätze gesagt, nämlich dass Österreich national und international gut dasteht. (Abg. Dietachmayr  – in Richtung des Abg. Dr. Khol –: Das ist nicht in Ordnung, wenn jemand spricht, etwas hinzulegen!) Zwischendurch hat er dann den Satz gesagt: Aber da ist ohnehin nicht er allein zuständig gewesen. (Rufe und


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Gegenrufe zwischen der SPÖ und den Freiheitlichen.) Gott sei Dank hat er wenigstens diesen einen Satz gesagt. (Abg. Ing. Westenthaler  – in Richtung SPÖ –: Das ist die Jungfernrede! Keine Zwischenrufe bei der ersten Rede!) Das ist das Verdienst der Menschen in diesem Land, meine Damen und Herren, und einer 30-jährigen sozialdemokratischen Regierungsverantwortung – und nicht das Verdienst der neuen Bundesregierung. (Beifall bei der SPÖ.)

Meine Damen und Herren! Genauso wie das Regierungsprogramm enthält auch die Erklärung des Bundeskanzlers über weite Strecken viel Lyrik, sehr viel Lyrik, sehr viele Phrasen und eine große Inhaltsleere. Ich möchte sagen: Niemand ist frei davon, Unsinniges zu sagen – das Unglück ist nur, wenn es dann auch noch feierlich vorgebracht wird. (Beifall bei der SPÖ.)

Alle konkret angekündigten Maßnahmen haben nichts, aber schon gar nichts mit dem zu tun, was Sie, Herr Bundeskanzler, Ihre "Leitlinien" nennen. Sie sprechen von Freiheit und setzen friedliche Demonstrationen mit radikalen Auswüchsen anderer Länder gleich. Sie lehnen Polarisierung ab ... (Abg. Dr. Ofner: Also die Demonstrationen mit verletzten Polizisten waren alle in Österreich, Frau Kollegin!) Lesen Sie bitte nach! (Abg. Dr. Ofner: Aber nicht im Ausland!) Der Herr Bundeskanzler spricht von friedlichen Demonstrationen in Österreich – und vergleicht sie mit radikalen Auseinandersetzungen im Ausland. (Zwischenruf des Abg. Mag. Firlinger. )

Sie lehnen Polarisierung ab und lassen sich mit einer Partei ein, deren scheinbares Erfolgsrezept ausschließlich auf Polarisierung beruht, auf einem Vernadern und auf einem Gegeneinander. Sie beschwören Toleranz und Wahrung der Menschenrechte, auch heute wieder. Der Herr Bundespräsident musste Ihnen eine Präambel – ich möchte es hier nur in Erinnerung rufen – für Ihr Regierungsübereinkommen verfassen. Warum, frage ich mich; konnten Sie sich auf einen derartigen Text nicht gemeinsam einigen? Und Sie wundern sich ein weiteres Mal über die ausländischen Reaktionen. Dabei fällt mir ein Zitat von Madeleine Albright ein, die gesagt hat: Die Österreicher können wählen, wen sie wollen, aber wir bestimmen, mit wem wir Beziehungen pflegen. – So einfach ist das.

Wenn jemand angreift und beleidigt und nach Beliebigkeit wieder zurücknimmt, ist das kein Partner in der Welt, meine Damen und Herren! Ganz sicher nicht! (Beifall bei der SPÖ.)

Sie sprechen von "mehr Eigenverantwortung statt Bevormundung". Was meinen Sie – frage ich mich – mit "Missbrauch staatlicher Transfers"? Wo gehen Sie auf die Alleinerzieherinnen ein? Wo erwähnen Sie, dass Menschen, die tatsächlich am Rande stehen, ganz besonders unterstützt werden sollen? Wo sagen Sie, dass Langzeitarbeitslose tatsächlich Unterstützung bräuchten? – Nein, Sie werden sie in Zukunft offensichtlich einem ganz anderen Procedere unterziehen.

Ich möchte Ihnen einen Satz vorlesen, den ich heute gefunden habe:

Die Maßnahmen für Langzeitarbeitslose erinnern an Zwangsarbeit und sind ein menschenunwürdiges Ansinnen. – Zitatende.

Ich möchte Ihnen gerne sagen, wer das heute publiziert hat, nämlich die FCG, die das Koalitionsabkommen über weite Passagen ablehnt. (Beifall bei der SPÖ.) Da gebe ich der FCG ausnahmsweise hundertprozentig Recht. Ich möchte keinem Menschen in Österreich ins Stammbuch schreiben müssen, dass er offensichtlich in Zukunft Denkmalpflege lernen muss, weil er ja langzeitarbeitslos werden könnte.

Und immer wieder das Bekenntnis zur Toleranz. Von welcher Toleranz sprechen Sie da? Wo bleiben zum Beispiel die besseren Rechte für Lebensgemeinschaften? – Ich rede hier ganz deutlich nicht nur von den eheähnlichen Lebensgemeinschaften, sondern gezielt auch von den homosexuellen Lebensgemeinschaften. Das wäre ein Zeichen der Toleranz gewesen. Sie finden hier nicht einmal Erwähnung. (Beifall bei der SPÖ.)

Herr Bundeskanzler! In Sachen Toleranz und Integration werden Sie wahrscheinlich alle Hände voll zu tun haben. Fremdenfeindlichkeit, Ausgrenzung und Hass – wenn er steigt, dann wissen wir, dass die Menschen Angst haben. Viele Menschen haben heute schon Angst, und sie gehen


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heute auf die Straße. (Abg. Steibl: Ihr schürt!) Das, meine Damen und Herren (Abg. Dr. Martin Graf: Da muss man einmal in den Sektionen der SPÖ schauen, was da los ist!), ist genau nicht der europäische Gedanke, zu dem heute auch Kommissar Fischler schon sehr eindrücklich und mit Nachdruck in der Öffentlichkeit gestanden ist, ein klares und deutliches Bekenntnis abgelegt und gemeint hat, es wäre wichtig, diesbezüglich ebenfalls – auch auf europäischer Ebene – ganz besonders sorgfältig zu sein.

Dann die Frauen – Frauen, die Fußnote der Familienpolitik. Was meinen Sie mit "mehr Mut zur Zukunft statt Klammern am Alten", wenn ich mir das unter dem Gesichtspunkt der Frauenpolitik anschaue? – Frauen brauchen ohnehin nicht zurück an den Herd; "Wahlfreiheit" ist das Zauberwort. (Abg. Steibl: Frauen sind selbständig und wissen, was sie wollen!) Gratulation, meine Damen und Herren, in Zukunft kann sich die freiberufliche Regalbetreuerin aussuchen, ob sie freiberufliche Regalbetreuerin sein will oder zu Hause die Kinder betreuen soll. (Abg. Dr. Martin Graf: Zynisch!) Das ist nicht unsere Politik, das ist nicht unser Grundverständnis von Frauenpolitik! (Beifall bei der SPÖ.)

Gerade in Passagen zur Frauenpolitik finden sich sehr viel Lyrik, sehr viele Phrasen und Bekenntnisse, die jeglicher Art von konkreter Unterstützung und konkreten Maßnahmen entbehren. (Abg. Dr. Martin Graf: Ihre Frauenpolitik hat man beim "Konsum"-Desaster gesehen, als die Regalbetreuerin ihre Arbeit verloren hat!) Wo ist denn die Wiedereinstiegsunterstützung – mehr als nur als Lippenbekenntnis, mehr als nur als Überschrift?

Was ich die letzten drei Monate getan habe, meine Damen und Herren von der ÖVP, möchte ich auch hier sagen: Ich weiß, wie es um Ihre frauenpolitische Komponente bestellt ist. Ich weiß, wie sehr ich gerungen und mich wieder einmal – ich sage jetzt: bedauerlicherweise – auf Kompromisse eingelassen hätte. Aber eines zu tun – und das tritt jetzt ein –: Diese Kompromisse wäre ich eingegangen, weil ich dann wenigstens die Garantie gehabt hätte, dass wir nicht zu Rückschritten kommen. – Jetzt aber passiert beides! (Beifall bei der SPÖ.)

Wo ist denn die eigenständige Männerpolitik im Zusammenhang mit den Familien? Wo wird denn gesprochen ... (Abg. Steibl: Sie haben es auch nicht geschafft ...!)  – Herzlichen Dank, Frau Abgeordnete! Sie haben Recht, die ÖVP hat die SPÖ in Sachen Frauenpolitik 13 Jahre lang gequält. (Beifall bei der SPÖ.) Sie können jetzt Ihr wahres Gesicht zeigen, Sie brauchen sich nicht mehr hinter sozialdemokratischen Frauenpolitikerinnen zu verstecken! Die Frauen werden es Ihnen dann zu danken wissen.

Meine Damen und Herren! Goethe hat einmal gesagt: Wer das erste Knopfloch verfehlt, kommt mit dem Zuknöpfen nicht zu Rande. – Ich fürchte, Herr Bundeskanzler, Sie haben tatsächlich das erste Knopfloch verfehlt. (Beifall bei der SPÖ. – Abg. Dr. Martin Graf: Deswegen ist der Zippverschluss erfunden worden!)

11.39

Präsident Dr. Werner Fasslabend: Zu Wort gemeldet ist Frau Vizekanzler Dr. Susanne Riess-Passer. – Bitte.

11.40

Vizekanzlerin Dr. Susanne Riess-Passer: Sehr geehrter Herr Präsident! Hohes Haus! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das ist eine sehr interessante Debatte, die wir heute erleben, über die Regierungserklärung einer neuen Regierung, die sich heute hier diesem Parlament vorstellt und, wenn man den Worten der Oppositionsredner glaubt, alles, was in diesem Regierungsprogramm drinsteht, falsch macht. Alles ist schlecht, und alles ist schädlich für dieses Land. Wenn ich besonders den Worten von Herrn Klubobmann Van der Bellen und Frau Kollegin Prammer folge, dann kann ich daraus eigentlich nur den Schluss ziehen, dass sie entweder das Programm nicht wirklich gelesen haben oder dass sie hier absichtlich etwas missinterpretieren. (Beifall bei den Freiheitlichen und bei Abgeordneten der ÖVP. – Abg. Dr. Mertel: Wir können nicht lesen!)

In Wirklichkeit ist Ihr Urteil über dieses Regierungsprogramm schon festgestanden (Abg. Öllinger: Die arme Bundesregierung wird von niemandem verstanden!), bevor ihnen diese Regie


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rung dieses Programm überhaupt präsentieren konnte – nämlich schon gestern. (Beifall bei den Freiheitlichen. – Abg. Dietachmayr: Machen Sie es sich nicht so einfach!) In Wirklichkeit ist Ihr Urteil über dieses Regierungsprogramm bereits in dem Moment festgestanden, als die Neuauflage der rot-schwarzen Koalition gescheitert ist. (Beifall bei den Freiheitlichen.) Schon in diesem Moment war für Sie unumstößlich klar, dass jede Regierungsform, an der die Sozialdemokratische Partei nicht beteiligt ist, für dieses Land nur von Schaden sein kann. (Abg. Mag. Posch: Richtig! – Rufe und Gegenrufe zwischen den Abgeordneten Parnigoni und Dr. Fekter. )

Meine sehr geehrten Damen und Herren von der Opposition! Eine Regierungszusammenarbeit zwischen FPÖ und ÖVP abzulehnen, ist die eine Sache – aber diese Ablehnung umzumünzen in eine Spaltung der Politik und Gesellschaft in diesem Land, ist eine ganz andere Sache! (Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP.)

Mein Appell an alle Mitglieder dieses Hauses, aber speziell an die Kollegen von den beiden Oppositionsparteien ist daher, sich dessen bewusst zu sein, dass wir alle – egal, ob Regierung oder Opposition – eine gemeinsame Verantwortung für dieses Land zu tragen haben! (Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP.)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Wähler haben eine ... (Zwischenrufe bei der SPÖ.)

Wissen Sie, es gehört eigentlich zu den Grund-Spielregeln der Demokratie und des Diskurses miteinander, dem anderen zuzuhören. Ich habe gesehen, dass praktisch alle Mitglieder der Opposition zu Wort gemeldet sind, also werden Sie alle ausreichend Gelegenheit haben, hier Ihre Standpunkte darzulegen. (Abg. Parnigoni: Das ist eine absolute Frechheit, was Sie da sagen! – Weitere Zwischenrufe bei der SPÖ.) Aber ich würde Sie bitten, die Courtoisie, die Höflichkeit aufzubringen, mir wenigstens zuzuhören, damit Sie dann auch wissen, was Sie kritisieren. (Beifall bei den Freiheitlichen. – Abg. Ing. Westenthaler  – in Richtung SPÖ –: Die Superdemokraten dort! – Abg. Parnigoni: Sie haben sich 13 Jahre so verhalten!)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Wähler haben am 3. Oktober 1999 eine Entscheidung getroffen, die mehrere Regierungsbildungen möglich gemacht hat. Eine davon, die Regierungsbildung zwischen SPÖ und ÖVP, ist nach wochenlangen Verhandlungen gescheitert, weil – wenn ich mich richtig erinnere – der Parteivorstand der Sozialdemokratischen Partei eine Entscheidung getroffen hat, die gegen diese Zusammenarbeit gesprochen hat. Das war Ihre freie Entscheidung, meine sehr geehrten Damen und Herren von der Sozialdemokratie!

Jetzt gibt es eben eine andere Mehrheitsbildung. Das ist etwas, was in einer Demokratie eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein müsste und auch eine Selbstverständlichkeit ist! Wechselnde Mehrheiten sind in einer Demokratie etwas Selbstverständliches. (Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP.)

So sieht das auch die Mehrheit, die überwiegende Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger in unserem Lande, die sich von der neuen Regierung und vom Parlament nach den monatelangen Querelen um diese Regierungsbildung eigentlich nur eines erwarten, nämlich sich darauf zu besinnen, was unsere eigentliche Aufgabe ist: für unser Land zu arbeiten. Und genau das wird diese Regierung auch tun! (Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP.)

Wir möchten damit beginnen, dass wir die Balance im Verhältnis zwischen Bürger und Staat neu definieren. Das beginnt bei der notwendigen Erneuerung, Ausweitung und Fortentwicklung von Verfassung, Demokratie und Rechtsstaat. Diese Regierung hat mit ihrem Programm – das ist heute schon erwähnt worden – den Weg für mehr direkte Mitbestimmung der Bürger frei gemacht. So werden zum Beispiel in Hinkunft Volksbegehren, die von mindestens 15 Prozent der Wählerinnen und Wähler ... (Abg. Heinzl: Das haben wir schon oft gehört!)  – Ja, aber man kann es Ihnen nicht oft genug sagen, Herr Kollege. Natürlich hat man es schon oft gehört. (Beifall bei den Freiheitlichen.) Aber ich sage Ihnen gleich dazu, warum ich es noch einmal erwähne.

Wenn mindestens 15 Prozent der Wahlberechtigten ein Volksbegehren unterstützen, kann zwingend eine Volksabstimmung durchgeführt werden. (Abg. Heinzl: Bringen Sie etwas interes


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santes Neues! Keine Ankündigungen! – Abg. Grabner: Neuwahlen!) Das ist deshalb so wichtig – und ich bedauere, dass Frau Kollegin Prammer jetzt nicht mehr hier im Saal ist, denn Frau Kollegin Prammer müsste sich darüber eigentlich sehr freuen (Abg. Ing. Westenthaler: Wo ist sie eigentlich?)  –, weil das nämlich bedeutet hätte, dass zum Beispiel die Unterstützungsunterschriften für das Frauen-Volksbegehren und das Gentechnik-Volksbegehren nicht umsonst gewesen wären, wenn die Sozialdemokratie der direkten Demokratie und Mitbestimmung der Bürger einen ähnlichen Stellenwert eingeräumt hätte, wie diese Regierung das tun wird. (Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP.)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Demokratie bedeutet auch Gerechtigkeit und Chancengleichheit für die Bürger, und zwar auch bei der Postenvergabe im öffentlichen Dienst und in den staatsnahen Bereichen. Da hat es vorher besonders heftigen Protest von Ihrer Seite gegeben, und wir wissen natürlich alle, warum dieser Protest so groß ist. Wir haben uns vorgenommen, ein umfassendes Objektivierungsgesetz zu beschließen. Das wird eines der prioritären Projekte dieser Bundesregierung sein, und der unselige Parteienproporz vergangener Jahrzehnte wird damit endgültig der Vergangenheit angehören.

Die Österreicherinnen und Österreicher warten schon lange auf einen schlanken Staat. Bürger und private Unternehmen werden von einer regelrechten Gesetzesflut erdrückt, der wir endlich Einhalt gebieten müssen. Die Rechtsstaatlichkeit erweist sich nicht an der Quantität, sondern an der Qualität von Gesetzen. (Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP.) Deshalb werden wir eine Bürgerverträglichkeitsprüfung für Gesetze einführen, und zwar dahin gehend, dass die Folgekosten von neuen Gesetzen nicht nur für die öffentliche Hand, sondern auch für private Haushalte und private Unternehmen in Betracht gezogen und zur Entscheidungsgrundlage gemacht werden. (Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP. – Abg. Dr. Fekter: Sehr gut!)

Ich bin auch zuversichtlich, dass uns etwas gelingen wird, was schon oft versprochen, aber noch nie eingehalten wurde: dass wir es einmal schaffen, Gesetze so zu verfassen, dass auch der Adressat dieser Gesetze – nämlich der Bürger – diese Gesetze wirklich verstehen kann, dass sie so abgefasst und formuliert sind, dass sie für den Bürger auch verständlich und nachvollziehbar sind. (Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP.)

Der Zugang zum Recht muss erleichtert werden, und die oft jahrelang dauernden Verfahren müssen verkürzt werden. Auch das gehört für uns zur Rechtssicherheit.

Mir persönlich ist ein weiterer Punkt in dieser neuen Zusammenarbeit besonders wichtig, der ebenfalls schon erwähnt wurde: Das ist die Stärkung des Parlamentarismus. Ich sage das ganz bewusst als Vertreterin einer Partei, die in den vergangenen Jahren hier in diesem Hause die Opposition gestellt hat und erleben musste, wie das ist, wenn eine Regierung mit satter Mehrheit eine Opposition als lästiges Anhängsel und als Störenfried im parlamentarischen Alltag betrachtet. Vielleicht ist das auch der Grund dafür, meine Damen und Herren von der Sozialdemokratie, dass der Gang in die Opposition für Sie offensichtlich solche Schrecken in sich birgt. Aber ich kann Sie beruhigen: Wir werden uns auch in dieser Hinsicht an Ihnen kein Beispiel nehmen! (Neuerlicher Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP.)

Wir werden – nehmen Sie das ruhig als Versprechen – immer und jederzeit das offene Gespräch mit Ihnen suchen und zur konstruktiven Zusammenarbeit bereit sein. An Ihnen wird es liegen, ob Sie das auch wollen. (Abg. Schwemlein: Das ist eine Drohung!)

Darauf möchte ich jetzt allerdings eingehen. Wenn hier von Ihrer Seite der Zwischenruf kommt, dass es eine Drohung ist, wenn eine Regierung die Zusammenarbeit mit der Opposition anbietet, dann muss ich sagen, dass Sie Demokratie nicht verstanden haben. (Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP.) Demokratie und Parlamentarismus können überhaupt nur dann funktionieren, wenn man auch bereit ist, über die Parteigrenzen hinweg zusammenzuarbeiten – zum Wohle des Landes und der Bürger, die sich das von uns zu Recht erwarten, Herr Kollege! (Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP. – Zwischenruf des Abg. Heinzl. )

Wir sind uns aber auch unserer Verantwortung für die sozial Schwachen und die Bezieher von kleinen Einkommen sehr wohl bewusst – im Gegensatz zu dem, was Frau Kollegin Prammer


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hier vor mir ausgeführt hat, die sich, wie ich meine, das Regierungsprogramm nicht wirklich durchgesehen hat.

Es ist uns trotz der sehr schwierigen und katastrophalen Budgetsituation gemeinsam gelungen – und darauf sind wir auch sehr stolz –, dem ursprünglichen Belastungspaket des ehemaligen Finanzministers Edlinger die Zähne zu ziehen. (Abg. Schwemlein: Nein, überhaupt nicht! Der Bundeskanzler hat zu Beginn etwas anderes gesagt!)  – Ja, Herr Kollege, ich weiß, die Wahrheit ist, wenn sie unangenehm ist, immer schwer zu ertragen, aber das ist an Fakten nachzuprüfen.

Ich sage das noch einmal in aller Deutlichkeit, weil hier in den letzten Tagen immer wieder bewusst falsche Darstellungen verbreitet wurden: Wir haben in der Pensionsfrage sichergestellt, dass jene, die von früher Jugend an gearbeitet haben, nicht durch eine Anhebung des Frühpensionsalters belastet werden – nicht belastet werden. (Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP.) Das ist ein ganz großer Unterschied zu Ihrem Vorschlag, Herr Kollege Edlinger, der ja ganz anders ausgesehen hat. (Abg. Edlinger: Das ist nicht richtig!)

Nach unserem Vorschlag heißt das, dass jemand, der 45 Versicherungsjahre hat, auch weiterhin vorzeitig in Pension gehen kann, und zwar ohne irgendwelche Abschläge. (Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP.) Das heißt auch – und ich bitte Sie, das Frau Kollegin Prammer auszurichten –, dass wir für Frauen, die natürlich diese Versicherungszeiten nicht in derselben Zeit erreichen können, die Regelung getroffen haben, dass die bisherigen Kindererziehungsersatzzeiten als pensionsbegründend angerechnet werden, damit es da zu keiner Benachteiligung kommt. (Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP.) Vielleicht richten Sie das Frau Kollegin Prammer aus, die das offensichtlich falsch verstanden hat.

Wie überhaupt in diesem Regierungsprogramm – und das ist mir auch wichtig zu betonen – eine Reihe von Verbesserungen der Rahmenbedingungen von Frauen, was die Vereinbarkeit von Beruf und Familie betrifft, enthalten ist. (Abg. Dr. Mertel: Wo denn? Sagen Sie uns die Seite!) Wenn Sie die Güte haben, kurz zuzuhören, führe ich Ihnen das gerne aus. Der Herr Bundeskanzler hat schon darauf hingewiesen, und ich betone das noch einmal: Wir haben das Kinderbetreuungsgeld – das war eine langjährige Forderung, auch von Ihnen und Ihren Frauenorganisationen – für volle zwei Jahre für den einen Partner und ein weiteres Jahr für den zweiten Partner sichergestellt, was genau in Richtung Stärkung der partnerschaftlichen Familienstruktur, die Frau Kollegin Prammer hier gerade vor zehn Minuten eingefordert hat, geht. Sie müssen es nur akzeptieren wollen. Wenn Sie sich jetzt herstellen und das, was Sie selbst früher gefordert haben, heute falsch finden, dann ist das etwas, was Sie Ihren eigenen Wählern erklären müssen. Das ist nicht meine Aufgabe. (Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP.)

Ich bin auch sehr stolz darauf – auch das an die Adresse von Frau Kollegin Prammer gesagt –, dass in dieser Regierung ein Drittel der Regierungsmitglieder Frauen sind. Ich sage das ganz besonders an die Adresse der Sozialdemokratie, denn ein Kollege aus deren Reihen hat als Zwischenruf gesagt: Na ja, aber die Frauen bei euch sind ja nur zur Behübschung da! Ich würde ersuchen, solche Macho-Sprüche in Hinkunft zu unterlassen, bei uns sind die Frauen ... (Abg. Dr. Fekter: Ganz richtig! – Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP – Rufe bei der SPÖ: Der Khol war das! – Abg. Dietachmayr: Der Khol hat das gesagt!) Der Kollege weiß selber ganz genau, woher der Zwischenruf gekommen ist. Machen Sie sich das mit dem Herrn Kollegen aus, der hat das besonders originell gefunden. (Weitere Zwischenrufe bei der SPÖ.)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das alles bitte ich Sie fairerweise bei der Beurteilung dieses Regierungsprogramms mit in Betracht zu ziehen. Nehmen Sie uns beim Wort, und messen Sie uns an unseren Taten!

Ich will Ihnen ein ganz konkretes Beispiel dazu bringen. Herr Bundeskanzler Schüssel hat schon darauf hingewiesen, dass wir im Regierungsübereinkommen eine rasche Lösung der Entschädigungsfrage für die Zwangsarbeiter des NS-Regimes vereinbart haben, übrigens eine Frage – und auch das ist mir wichtig, einmal in aller Klarheit festzustellen –, bei deren Lösung die Regierung Klima seit langer Zeit säumig ist, wie mir Verhandlungsvertreter der betroffenen Gruppen selbst mitgeteilt haben. Es ist daher völlig unangebracht, wenn jetzt seitens der SPÖ


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hier mit dem Finger auf andere gezeigt wird, denn Sie hätten es in der Hand gehabt, hier schon längst eine Lösung zu finden. Wir werden das tun! Darauf können Sie sich verlassen! (Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP.)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir erwarten uns zwar keine Schonfrist von Ihnen, aber die Fairness, nicht pauschal abgeurteilt, sondern nach unserem Programm und dessen Umsetzung be urteilt zu werden. (Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP.) Und diese Fairness erwarten wir von unseren Kritikern sowohl im Inland als auch im Ausland.

Die kritische Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Standpunkten setzt eines immer unabdingbar voraus – und das bitte ich Sie zu berücksichtigen, auch wenn Sie sich, meine Damen und Herren von der Sozialdemokratie, jetzt in einer schwierigen Situation, in einer Umstellungsphase befinden –: den Respekt vor der Meinung des Andersdenkenden. (Beifall bei den Freiheitlichen und bei Abgeordneten der ÖVP. – Abg. Dietachmayr: Das müssen gerade Sie sagen!)

Ich selbst habe – wenn Sie mir diese persönliche Bemerkung erlauben – in meinem ganzen Leben immer nach dem Grundsatz gelebt, dass Kategorien wie Gut und Böse nur selten taugliche Beurteilungskriterien sind.

Die Verführung, eine Trennlinie durch die Welt zwischen Schwarz und Weiß zu ziehen, ist natürlich groß, denn wenn der politische Gegner der Böse ist, vermeint man im Umkehrschluss, selbst automatisch das Gute zu vertreten. Dieser Versuchung ist so mancher Kritiker dieser neuen Regierung in Österreich und außerhalb Österreichs in den letzten Tagen erlegen und hat damit oft eine bessere Moral mit einer Politisierung der Moral verwechselt. Und da besteht ein ganz beträchtlicher Unterschied. (Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP.)

Uns allen in dieser neuen Regierung geht es nicht darum, absolute Wahrheiten zu postulieren oder irgendwelche Utopien oder Verheißungen zu verkünden (Abg. Dr. Mertel: Das ist etwas Neues!), sondern uns geht es ganz einfach darum, die Existenzbedingungen unseres täglichen Daseins und Zusammenlebens in Österreich und in Europa spürbar zu verbessern und solide für die Zukunft zu gestalten. (Abg. Schwemlein: Auf der Straße draußen merkt man es schon!) Diese Regierung hat eine faire Chance verdient wie jede andere Regierung auch, wie sich das in einer Demokratie gehört, die vom Wandel und nicht von der Erstarrung lebt. (Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP.)

Die Wählerinnen und Wähler haben uns diese Chance am 3. Oktober 1999 eröffnet. Jetzt wird es an uns liegen, diese zu nützen. (Die Abgeordneten der Freiheitlichen und der ÖVP erheben sich von ihren Plätzen und spenden stehend lang anhaltenden Beifall.)

11.57

Präsident Dr. Werner Fasslabend: Nächster Redner ist Herr Abgeordneter Gilbert Trattner. – Bitte.

11.58

Abgeordneter Mag. Gilbert Trattner (Freiheitliche): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Bundeskanzler! Sehr geehrte Frau Vizekanzlerin! Sehr geehrte Damen und Herren Regierungsmitglieder auf der Regierungsbank! Ich verstehe ja den Frust seitens der SPÖ: Am 3. Oktober haben Sie eine Nationalratswahl kläglichst geschlagen, sehr viele Stimmen verloren – und jetzt müssen Sie sich hier ein junges, erfrischendes Regierungsteam voller Aktivitäten, voller Tatendrang anschauen, das es nicht notwendig haben wird, 160 Millionen Schilling in Eigenwerbung zu stecken, wie das die sozialdemokratischen Regierungsmitglieder der vorherigen Bundesregierung machen mussten. (Beifall bei den Freiheitlichen und bei Abgeordneten der ÖVP.)

Kollege Kostelka! Sie kommen heraus und bekritteln ein Inserat seitens der österreichischen Bundesregierung in der Größenordnung von 600 000 S. (Abg. Schwemlein: Wieso? Ist der Haider in der Bundesregierung?) Herr Kollege Kostelka! Die österreichische Bundesregierung – und in erster Linie betrifft das die sozialdemokratischen Regierungsmitglieder – hat im


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Jahre 1998 163 Millionen Schilling für Eigenwerbung ausgegeben. (Aha!-Rufe bei den Freiheitlichen und der ÖVP.) Das Bundeskanzleramt hat allein für den ORF 32 Millionen Schilling und der Herr Verkehrsminister für seine Kampagne "Schiene statt Verkehrslawine" 16 Millionen Schilling ausgegeben! (Abg. Ing. Westenthaler: Unfassbar! – Abg. Dr. Fekter: Für Eigenwerbung!) Damit ist es jetzt aus! Schluss! (Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP.)

Der "Standard" kommt natürlich auch ganz gut weg: Bundeskanzleramt 2,7 Millionen Schilling, und auch das Verkehrsministerium hat sehr viel gezahlt. (Der Redner hält Graphiken in die Höhe. – Abg. Edlinger: Was hat denn der Herr Bartenstein ausgegeben?) Es hat Werbeeinschaltungen im "FORMAT" gegeben, nur rote Regierungsmitglieder geben Geld für Werbebroschüren aus. An "NEWS" gingen 10,8 Millionen Schilling, davon sind 3,4 Millionen vom Bundeskanzleramt und 2,5 Millionen vom Verkehrsminister. (Abg. Edlinger: Oje, Sie sind auf einem Auge blind! Auf dem rechten Auge blind!)

Das zieht sich wie ein roter Faden durch. Sie sehen auch hier wieder: Der Anteil der schwarzen Ministerien war sehr gering. Alles haben Sie von der SPÖ für Eigenwerbung verwendet, und Sie erdreisten sich, hier herauszugehen und ein Inserat über 600 000 S zu kritisieren, wo Sie 160 Millionen Schilling im letzten Jahr verpulvert haben! (Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP.)

Und das Ganze geht in der Eigenwerbung noch ein bisschen weiter. (Abg. Edlinger: Das wird teuer beim Augenarzt! 20 Prozent Selbstbehalt!) Herr Finanzminister Edlinger! Sie haben ja immer behauptet, Sie seien der große Sparmeister der Republik, aber Sie könnten nichts dafür, wenn Ihre Ressortkollegen das ganze Geld verbräuchten. Da haben Sie in erster Linie immer auf die ÖVP-Politiker geschimpft, aber bei der Eigenwerbung waren immer die sozialistischen Regierungsmitglieder federführend und Weltmeister.

Der Herr Bundeskanzler hat allein der "Kronen Zeitung" 8,6 Millionen Schilling zukommen lassen (Abg. Dr. Fekter: Ah so, darum! Das erklärt vieles!), damit er sich mit seinem Frauerl und dem Hunderl auf der Titelseite abbilden lassen kann, damit bezahlte Wahlwerbung mit Steuergeldern gemacht werden kann. (Abg. Ing. Westenthaler: Sind da die Fotos auch schon dabei?) Und das ist die Kritik unsererseits, und diese Dinge werden jetzt abgestellt! (Beifall bei den Freiheitlichen und bei Abgeordneten der ÖVP.)

Der "Kurier" muss irgendetwas angestellt haben, denn der "Kurier" hat im Unterschied zur "Kronen Zeitung", die mit 8,6 Millionen Schilling bedacht wurde, nur 1,7 Millionen Schilling bekommen. Also hat der "Kurier" wahrscheinlich nicht so brav und gut geschrieben, wie das die damalige Bundesregierung haben wollte. Auch den "Standard", die "Presse" und andere hat man natürlich entsprechend bedient.

Das jedenfalls ist der Nachlass, Herr Edlinger, den Sie hinterlassen haben! Und mit diesem Nachlass hat sich jetzt die neue Bundesregierung einmal auseinander zu setzen. (Abg. Edlinger: Die haben ein Glück!) Und jetzt machen wir einmal einen Status.

Status Nummer eins: Als Finanzminister habe ich Sie, Herr Abgeordneter Edlinger, politisch immer geschätzt, aber Ihr Abgang aus dem Finanzministerium war unwürdig. Es geht doch nicht an, dass ein Finanzminister das Ministerium verlässt, ohne eine geordnete Übergabe an seinen Nachfolger durchzuführen. (Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP.)

Herr Ex-Finanzminister! Es geht auch nicht, dass, wie es geschehen ist, eine Woche davor Akten kisten- und schachtelweise aus dem Finanzministerium verbracht werden. Hiefür gibt es Zeugen, das ist passiert. Um welche Akten handelt es sich? Wenn das öffentliche Akten sind, dann haben diese wieder an das Finanzministerium zurückgestellt zu werden. Wir wollen Einschau halten, wir wollen endlich einen Kassasturz vornehmen, der wirklich die Tatsachen ans Tageslicht bringt. (Beifall bei den Freiheitlichen und bei Abgeordneten der ÖVP.)

Es ist üblich, dass die Opposition bei einer Regierungserklärung schimpft, das ist logisch, und die Vertreter der Regierungsparteien dieses gute Regierungsprogramm natürlich gut, positiv verkaufen wollen. Und dieses Regierungsprogramm ist gut, aber wir waren jetzt in einer


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Zwangssituation, weil Sie ein Budget übergeben haben, das für das Jahr 2000 Maßnahmen in der Größenordnung von 45,5 Milliarden Schilling notwendig macht, für das Jahr 2001, wenn man nichts tut, Maßnahmen in der Größenordnung von 60,9 Milliarden Schilling, 2002 von 65,9 Milliarden Schilling und 2003 63,3 Milliarden Schilling. Das sind die Zahlen aus Ihrem Ministerium. (Abg. Edlinger: Das sind meine Zahlen!) Das sind Ihre Zahlen. Das ist kein Budget, Herr Finanzminister, sondern ein Desaster, das Sie übergeben haben! Und das ist das Problem. (Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP.)

Und jetzt musste die neue Bundesregierung darangehen zu schauen, wie man dieses Budget sanieren kann. Da muss man zuerst eine Bestandsaufnahme machen und klären, mit welchen Maßnahmen dieses Budget sanierungsfähig ist, ohne dass man die Bevölkerung außerordentlich belastet, wie Sie es in den letzten Jahren mit Steuermehreinnahmen in der Größenordnung von über 150 Milliarden Schilling gemacht haben. Das war nicht der Weg der Freiheitlichen Partei. Deswegen haben wir gemeinsam mit Kollegen Molterer versucht, dieses Budget in erster Linie mit ausgabenseitigen Maßnahmen zu sanieren. Erst als wir gesehen haben, dass das nicht möglich ist – und das muss ich eingestehen –, haben wir uns auch zu notwendigen Steuermehreinnahmen entschlossen, aber wir haben zumindest die Grauslichkeiten aus diesem Papier, das Sie ursprünglich mit Ihrem Partner ausverhandelt haben, herausgenommen, vor allen Dingen die Erhöhung der Mineralölsteuer. (Beifall bei den Freiheitlichen. – Zwischenrufe bei der SPÖ.)

Wir wollen dieses Budget also einerseits durch Einnahmenerhöhungen in der Größenordnung von zirka 8 Milliarden Schilling und in erster Linie durch Ausgabenkürzungen sanieren und andererseits in der Zukunft zielführende Maßnahmen ergreifen, um den Wirtschaftsstandort Österreich zu sichern. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Für diese zielführenden Maßnahmen gibt es einen Mehrstufenplan. Die erste Maßnahme ist, dass wir die Lohnnebenkosten bis zum Jahre 2003 in einer Größenordnung von 15,1 Milliarden Schilling senken wollen. Eine sehr wichtige Maßnahme ist, den Beitrag zum Insolvenzentgeltausfallsfonds von 0,7 auf 0,4 Prozent zu senken. Das bedeutet eine Entlastung von 3,2 Milliarden Schilling für die österreichische Wirtschaft. Wir wollen die Beiträge zur Unfallversicherung von 1,4 Prozent auf 1,2 Prozent absenken. Das bedeutet eine weitere Entlastung von 1,7 Milliarden. Und wir senken auch die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung um 0,5 Prozent, weil wir die Finanzierung über den Familienlastenausgleichsfonds vornehmen wollen. Das ist wieder eine Einsparung in der Höhe von 2,3 Milliarden.

Auf der anderen Seite haben wir natürlich im Auge, mit einer maßvollen Budgetpolitik bereits im Jahre 2003 indirekt eine Ökologisierung des Steuersystems vorzunehmen, und zwar in der Form, dass wir die Steuermehreinnahmen für eine Lehrlingsinitiative nach dem Kärntner Modell verwenden wollen, wodurch 3 Milliarden Schilling der österreichischen Wirtschaft zur Verfügung gestellt werden. – Das ist der eine Bereich. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Der zweite Bereich betrifft den Bereich der Privatisierung. Wir nehmen die Privatisierung ernst, und ich kann es auch nicht verstehen, dass die zwei Vorstände der ÖIAG gestern gesagt haben: Das eine und das andere, das geht nicht! Jeder Wirtschaftsökonom sagt Ihnen: Überall dort, wo der Staat seine Finger drinnen hat, ist der Kurswert der Aktien um 50 Prozent niedriger als der wahre Wert. Allein die Privatisierungsansage seitens der neuen Bundesregierung, was in diesem Bereich alles passieren soll, hat bereits gestern einen Kaufauftrieb an der Börse ausgelöst, der zur Folge hatte, dass der ATX um 3,3 Prozent gestiegen ist. (Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP.)

Das sind die Maßnahmen, die gesetzt werden müssen, und wir haben auch vor, diese umzusetzen.

Wir wollen in diesem Zusammenhang nicht alles beim Bund abladen (Abg. Leikam: Das glauben Sie ja selbst nicht, was Sie da sagen! Abenteuerlich!), sondern wollen im Rahmen der nächsten Finanzausgleichsverhandlungen auch die Länder einladen, mit dem Bund konstruktiv an diesen Finanzierungsmaßnahmen zu arbeiten. Wir werden die Länder und Kommunen zur


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Privatisierung der Landeseigentümer einladen. Wir werden die Länder einladen, aus der Wohnbauförderung ein neues, vernünftiges Instrument zu machen, das die Treffsicherheit gewährleistet, und wir werden eine Umstellung von der Objektförderung auf die Subjektförderung mit den Ländern zu vereinbaren versuchen, um Gelder für andere Zwecke zur Verfügung zu stellen und nicht für irgendwelche Länderfinanzierungen, die der Bundeshoheit absolut entzogen werden. Das sind die Probleme, die wir angehen wollen. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Wir wollen keine Politik von oben machen, und das hat auch Wolfgang Schüssel ganz richtig zum Ausdruck gebracht: Er will alle Betroffenen mit einbeziehen. Es soll niemand vor den Kopf gestoßen werden. Alle Verhandlungspartner werden vorher informiert. Es sollen mit allen Verhandlungspartnern Wege gefunden werden, um den Wirtschaftsaufschwung beziehungsweise die Beschäftigtensituation in Österreich zu verbessern. Ich bin sicher, dass wir mit neuen Taten die neu gesteckten Ziele erreichen können, und dazu wünsche ich dieser Bundesregierung ein herzliches "Glückauf"! (Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP.)

12.08

Präsident Dr. Werner Fasslabend: Nächste Rednerin ist Frau Abgeordnete Dr. Madeleine Petrovic. – Bitte.

12.09

Abgeordnete MMag. Dr. Madeleine Petrovic (Grüne): Herr Präsident! Mitglieder der österreichischen Bundesregierung! Hohes Haus! Ich möchte in meinem Debattenbeitrag drei Punkte aufgreifen: erstens das in der Regierungserklärung angesprochene Sparziel und meine Kritik an der Art der Umsetzung, zweitens die Gültigkeit von Wahlversprechen und den Bruch von ebensolchen und zuletzt, weil ich das für die wichtigste und gewichtigste Frage halte, einmal mehr die Frage des politischen Stils und des Klimas hier im Haus und in der Gesellschaft.

Zum ersten Punkt: dem von Ihnen verkündeten Sparziel. Ich denke, es gibt niemanden hier im Hause, der/die nicht daran interessiert wäre, dass Österreich eine konsolidierte Budgetpolitik betreibt, dass man trachtet, den Staatshaushalt in Ordnung zu bringen und zu halten, nur: Die Akzente, die Sie gesetzt haben, sprechen schon eine sehr deutliche Sprache.

Ich denke, wir sind uns einig, dass der Wegfall eines Ressorts, der ja nichts oder nicht kurzfristig etwas an der Behördenorganisation ändert, per se noch nichts spart. Das heißt, wenn Sie das Streichen von Ministerien unter dem Titel Sparziel verkünden, dann, denke ich mir, ist das zum einen eine gewisse Irreführung, zum anderen ist es natürlich auch ein Offenbarungseid dieser Koalition, welche Ressorts oder welche Ressortbereiche weggefallen sind beziehungsweise einem anderen Ressortbereich einverleibt werden.

Da ist zum Ersten der Umweltbereich. Wir wissen, das ist ein Bereich, der auf der Ebene der Legistik ohnehin immer noch zu kurz kommt, eine so genannte Querschnittsmaterie, die sich allen anderen Ressortbereichen einfügen muss, sich ihnen oftmals unterordnen musste. Anstatt diesen Bereich aufzuwerten oder, wie Sie gesagt haben – die Frau Vizekanzlerin ist nicht hier –, die Materien der Volksbegehren aufzuwerten, passiert jetzt das Gegenteil: Der Bereich Umwelt wird in die Agenden des Landwirtschaftsressorts verlagert, und damit wird der notwendige, der ohnehin schon etwas schiefe und schräge Interessenausgleich unmöglich. Damit dominiert ein Interesse, und es ist nicht das ökologische! Und daran üben wir heftige Kritik! (Beifall bei den Grünen. – Abg. Dr. Fekter: Arbeitsplätze! – Abg. Öllinger: Die Regierungsparteien haben sich schon in die Mittagspause verabschiedet!)

Zum Zweiten, Frau Abgeordnete Fekter, zum Bereich der Frauenpolitik. Sie haben insofern leider Recht, als dieser Bereich schon in den vergangenen Legislaturperioden stiefmütterlich behandelt wurde. Es gab ja nie ein echtes Frauenressort, es gab eine Frauenministerin, welche aber Ministerin im Bundeskanzleramt war. Eine lange Forderung der österreichischen Frauenbewegung war es doch, ein eigenes, ein eigenständiges und mit einer eigenen Stimme ausgestattetes Frauenministerium zu schaffen. Was tun Sie gerade nach einem erfolgreichen Frauen-Volksbegehren? – Das Ministerium fällt weg! Und dann beginnt eine Herbergssuche für die Abteilungen, die das betrifft, und die Botschaft, die damit ganz offenbar vermittelt werden soll, ist: Diese Materien und damit die österreichischen Frauen haben sich anderen Ressortberei


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chen unterzuordnen! Ich garantiere Ihnen: Die österreichischen Frauen werden das nicht akzeptieren! (Beifall bei den Grünen und bei Abgeordneten der SPÖ.)

Einen Bereich finde ich ganz besonders schlimm, und zwar das Schicksal der aktiven Arbeitsmarktpolitik. Ich glaube – ohne dass ich jetzt bereits wirklich alle europäischen Rechtsordnungen überprüft habe –, Österreich schafft jetzt etwas Einzigartiges, dass nämlich der Kernbereich einer modernen Sozialpolitik, nämlich die aktive Arbeitsmarktpolitik (Abg. Dr. Fekter: Ohne Wirtschaft gibt es keine aktive Arbeitsmarktpolitik!), deren Ziel es sein muss, Diskriminierungen zu mindern, aufzuheben und benachteiligten Gruppen zu helfen – und das ist ein eigenständiges Interesse –, dem Wirtschaftsministerium überantwortet wird. Frau Abgeordnete Brinek, in keinem europäischen Land, soweit mir die Gesetzgebungen bekannt sind, wird diese wichtigste Aufgabe der Sozialpolitik vom Wirtschaftsressort wahrgenommen. (Abg. Dr. Fekter: Ohne Wirtschaft gibt es doch gar keine Arbeit, Frau Kollegin! Ohne Wirtschaft gibt es doch gar keine aktive Arbeitsmarktpolitik! Das ist doch lächerlich!) Das geht auch gar nicht, denn das Wirtschaftsressort hat andere Aufgaben! Ein Interessenausgleich, der durch zwei verschiedene Stimmen in der Regierung am Besten gewährleistet wird, ist Ihnen überhaupt kein Anliegen. Ich denke, gerade diese Unterordnung der Arbeitsmarktpolitik unter die Wirtschaftspolitik bringt Österreich auch im europäischen Kontext ins Hintertreffen. (Beifall bei den Grünen und bei Abgeordneten der SPÖ. – Abg. Dr. Fekter: Das können Sie aber nicht beweisen!)

Zum Sparziel, weil Sie immer sagen, es ist ja alles möglich, Sie ermöglichen den Frauen die Wahlfreiheit: Die Zahlen sind Ihnen bekannt, und sie sind dem Parlament in offiziellen Beantwortungen der bisherigen Bundesregierung als offizielle Daten bekannt gegeben worden. Und Sie wissen, meine Damen und Herren: Es gibt die Wahlfreiheit leider nicht, und zwar geht das zu Lasten der Frauen, die gerne berufstätig sein wollen, die ein Recht darauf haben. Und ich denke, es gäbe auch ein Interesse der Wirtschaft an den wichtigen Beiträgen der österreichischen Frauen.

In einer Anfragebeantwortung ist dem Hohen Hause mitgeteilt worden, dass 50 000 Frauen – das wurde von den Arbeitsmarktbehörden erhoben; da gibt es sicher noch eine hohe Dunkelziffer von Frauen, die gar nicht mit den Behörden Kontakt hatten, es sind also mindestens 50 000 Frauen – nicht berufstätig sein können, obwohl sie das wollen, weil die entsprechende Infrastruktur fehlt, Infrastruktur im Sinne von Mobilität, und zwar öffentlicher Mobilität – viele Frauen verfügen nicht über einen PKW –, und Infrastruktur im Sinne von Kinderbetreuungseinrichtungen.

Sie wissen genauso gut wie ich, wie schwierig es war, 600 Millionen Schilling für den Ausbau der Kindergärten und Kinderbetreuungsplätze aufzubringen, welches Tauziehen es da gab. Ursprünglich war 1 Milliarde Schilling versprochen, dann ist der Betrag auf 600 Millionen Schilling geschrumpft. Und jetzt geben Sie vor, auf einmal für eine nicht arbeitsmarktbezogene Maßnahme, für eine Maßnahme, die nicht die Wahlfreiheit erhöht, sondern die Frauen in ein ganz bestimmtes, ideologisch geprägtes Bild bringt, 6 Milliarden Schilling oder sogar noch mehr zur Verfügung zu haben. Zehn Mal so viel wie für Kindergartenplätze? Woher soll denn das kommen? (Abg. Dr. Fekter: Weil wir die Kinder bei den Müttern lassen wollen!) Ist das nicht pure Ideologie?

Frau Abgeordnete Fekter! Wie hat Ihnen denn das im Wahlkampf gefallen, als in Werbeslogans Ihres Koalitionspartners verkündet wurde: Deutsch Griffen tagesmutterfrei! Ist das das politische Ziel, ist das die Wahlfreiheit? Keine Tagesmutter, kein Kindergarten?! (Beifall bei den Grünen und bei Abgeordneten der SPÖ.) Schaut das so aus für eine moderne Frau, Frau Abgeordnete Fekter? Ich denke, das ist eine Schande für eine moderne Frauenpolitik! (Abg. Dr. Fekter: Nein! Sowohl als auch! Wir sind hier für Pluralismus und nicht für eine einseitige Betrachtungsweise! Pluralismus ist gefragt!)

Sie können nicht hören. Die Antwort der Bundesregierung war: Mindestens 50 000 Frauen haben heute keine Wahlfreiheit, und offenbar sind Ihnen diese Frauen kein Anliegen. Diese Frauen würden gerne arbeiten, und es gäbe Betriebe, die sie einstellen wollen, aber die Bundesregierung will das nicht, weil sie ein ganz bestimmtes Frauenbild verfolgt, das ein Bild des


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Biedermeiers und des vorigen Jahrhunderts ist, aber nicht das Bild eines modernen Europas. (Abg. Dr. Fekter: Aber bitte schauen Sie sich doch die Frauen auf der Regierungsbank an!)

Frau Abgeordnete Fekter, ich weiß nicht, ob Sie die europäische Leitlinie 19 im Sozialbereich kennen. In dieser steht: Die Frauenerwerbsbeteiligung ist zu erhöhen. Es ist das kein Ziel dieser Bundesregierung. (Abg. Dr. Fekter: Aber sicher! Lesen Sie doch das Programm! Seite 34 des Koalitionspaketes sagt genau das Gegenteil von dem, was Sie jetzt sagen!) Lippenbekenntnisse zu einem modernen Europa, aber dann das Gegenteil tun, das bezeichne ich als antieuropäisch. Es tut mir Leid für Österreich und die jungen Österreicherinnen und Österreicher! (Beifall bei den Grünen.)

Meine Damen und Herren! Zum Punkt zwei: Bruch von Wahlversprechen. Es gab in diesem Hause oftmals harte Debatten um Belastungspakete, die Grünen haben heftige Kritik geübt, aber in der Regel haben die lautere, die heftigere Kritik die freiheitlichen Abgeordneten geübt. Sie haben jede Anhebung von Gebühren, Steuern, Beiträgen als "Belastungslawine", als "Anschlag", ich weiß nicht was alles bezeichnet, sie haben gerade in Bezug auf die Mobilität im Straßenverkehr immer von "Melkkühen" gesprochen – es war nicht meine Diktion, aber das ist oftmals in diesem Hause gefallen –, und es gab sogar einen Antrag der Freiheitlichen, in dem verlangt wurde, dass, wenn unter Bruch von Wahlversprechen Steuern erhöht werden, das nur möglich sein soll, wenn die Gesetze, mit denen Steuern erhöht werden, einer Volksabstimmung unterzogen werden.

Die Frau Vizekanzlerin ist leider noch immer nicht da, aber ich wüsste gerne, wie Sie es da mit der direkten Demokratie hält oder wie es der Herr Bundeskanzler damit hält. Das waren Anträge Ihres Koalitionspartners hier im Hause – und jetzt: Krankensteuer, Stromsteuer, höherer Vignettenpreis. Also wie schaut es da aus mit der Umsetzung von Versprechen? Machen wir da eine Volksabstimmung, oder vergessen wir diese Anträge? Wie äußern Sie sich denn da dazu?

Ich denke, die Grünen haben unbequeme Wahrheiten immer gesagt. Wir waren immer ganz offen für zwei wesentliche Änderungen im Steuersystem: auf der einen Seite für mehr soziale Gerechtigkeit – und das heißt Entlastung der kleinen und mittleren Einkommen –, auf der anderen Seite ist Österreich schon lange nicht mehr auf Ebene von europäischen Standards, vor allem nicht im Bereich der Kapital- und Vermögensbesteuerung. Das wäre soziale Gerechtigkeit, dort mehr zu besteuern, wo echter Reichtum, wo echter Luxus ist, zugunsten der kleinen und mittleren Einkommen. Da vermisse ich jeden Akzent in diesem Programm, und ich denke, gerade Parteien, die angetreten sind, die von ihnen so bezeichneten "kleinen" Leute zu entlasten, sollten sich an die Beseitigung dieser großen Ungerechtigkeit machen.

Der zweite wichtige Akzent im Steuersystem, den wir immer verlangt haben, ist eine Ökologisierung – aber aufkommensneutral, das heißt ein Umsteuern. Auch hier: Entlastung vor allem der kleinen und kleinsten Einkommen und stattdessen eine moderate und langsam aufgebaute Energiebesteuerung. – Das, was Sie hier tun, hat mit Ökologisierung des Steuersystems nichts zu tun, sondern ist eine reine Geldbeschaffungsaktion. (Beifall bei den Grünen.)

Damit zu meinem dritten Punkt, zum politischen Klima – ich halte das auch für den wichtigsten Punkt und für jenen Punkt, der im In- und Ausland das größte Interesse hervorruft. Ich will Sie jetzt gar nicht an Dingen messen, die vielleicht sehr lange zurückliegen, wo Sie, Herr Bundeskanzler, vielleicht sagen werden, der Koalitionspartner hat mir zugesagt, es werde jetzt einen neuen Stil, eine neue Politik geben – und das ist ja heute oft beschworen worden –, sondern ich will Sie daran messen, was im Wahlkampf, und zwar von Mitgliedern dieser Bundesregierung oder dieses Hohen Hauses, gesagt und getan wurde, an Taten, die gesetzt wurden, und zwar bis zum gestrigen Tag, bis zum heutigen Tag.

Herr Bundeskanzler! Mir ist nicht bekannt, dass sich nunmehr Mitglieder der Bundesregierung wie der Verteidigungsminister, der neu gewählte Klubobmann des freiheitlichen Parlamentsklubs oder auch die freiheitliche Sicherheitssprecherin in irgendeiner Art und Weise von diesem Pamphlet (die Rednerin hält ein Schriftstück in die Höhe) distanziert hätten. Das sind Taten, die gesetzt wurden, und das hat so viel an Hass, an Verunsicherung und auch an Ängsten der


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Menschen, die das betroffen hat, ausgelöst, sodass die Schäden noch lange merkbar sein werden.

Herr Bundeskanzler und Frau Vizekanzlerin! Was soll das heißen, dass in Deutsch-Lesebüchern unseren Kindern seitenweise türkische und serbokroatische Texte aufgezwungen werden? Bitte, in welchen Schulbüchern? – Das ist erstens inhaltlich unrichtig und zweitens: Was ist denn das für eine Haltung von Regierungsmitgliedern, die Kinder, die in dieser Stadt leben, offenbar nicht mehr als unsere Kinder verstehen, die schon bei den Kindern eine Grenze schaffen, Kinder ausgrenzen, die hier geboren worden sind, die hier in die Schule gehen? Sind Kinder, die vielleicht Kukacka, Kiss, Morak, Petrovic oder Hojac heißen, nicht unsere Kinder? Welche Grenzen werden da geschaffen? (Zwischenrufe bei den Freiheitlichen.) Dann sagen Sie mir doch, was gemeint ist mit "unsere Kinder, denen man irgendetwas aufzwingt"! – Das ist erstens falsch und zweitens: Was ist denn da gemeint oder was soll bezweckt werden mit solch einer Broschüre, wenn nicht Hass und Zwietracht zu säen? Was ist der Sinn? – Information ist das nicht, weil es falsch ist. Also was wird damit angestrebt? Und vor allem: Wie können Sie sagen, das ist jetzt ein neuer Start, ein neuer Beginn und ein neuer Stil, wenn dieses Papier hier im Raum steht?

Oder was sagen Sie dazu, wenn hier – auch fälschlicherweise – gesagt wird – und das entspricht einer ganz bestimmten Ideologie und Intention –: Die Grünen in Wien würden meinen, man brauche die heimischen Familien nicht zu fördern, weil an unseren Grenzen ohnehin Tausende ausländische Familien mit ihren Kindern warten? – Ich denke, Sie sind als Außenminister oft über die Grenzen dieses Landes gereist. Ich weiß nicht, ob Sie dort Tausende Familien warten gesehen haben; ich habe sie nicht gesehen. Aber hier wird ein bestimmtes Bild erzeugt: Es werden Menschen als Gefahr dargestellt, die vielleicht wie eine Naturgewalt, wie eine Flut über dieses Land hereinbrechen werden.

Die Intention solcher Angstmacher-Parolen ist klar: Es soll polarisiert, es soll gespalten werden in einem Land, in dem auch die Namen in diesem Hause beweisen, dass es ein multikulturelles Land ist, dessen Identität eine multikulturelle ist. Dazu müssen Sie eine Aussage machen! (Beifall bei den Grünen und bei Abgeordneten der SPÖ.)

Das war der Wahlkampf, und es waren Taten! Und es befinden sich Bilder von Menschen, die jetzt in der Bundesregierung sind, hier in diesem Prospekt. Ich glaube nicht, dass das gegen ihren Willen oder ohne ihr Wissen so passieren konnte.

Also mit diesem Rucksack, mit diesem Ballast ist ein neuer Start nicht möglich, das ist ausgeschlossen.

Aber es geht noch weiter: 26. Jänner 2000, FPÖ-Klubobfrau Tazl aus Salzburg im Zusammenhang mit dem Vorhaben, eine Love-Parade nach Wiener, nach Berliner Vorbild auch in Salzburg durchzuführen, eine Veranstaltung gegen Diskriminierung und für ein buntes, ein multikulturelles Zusammensein aller in dieser Gesellschaft. Wie äußert sich die freiheitliche Klubobfrau dazu? – Ein unnützer neuer Tummelplatz für die linke Szene. Die Stadt Salzburg ist aufgefordert, ihre Bewohner und insbesondere die Jugendlichen vor diesen kriminellen Elementen zu bewahren. Tazl spricht sich gegen die behördliche Genehmigung dieser Veranstaltung aus. – Zitatende. – Na bravo!, kann ich nur sagen.

Diese Straßenkultur der jungen Leute ist wirklich eine europäische Erneuerung. Da werden all diese jungen Leute – so wie Sie es auch jetzt tun mit all den Tausenden friedlichen Demonstranten – kriminalisiert. Es heißt undifferenziert "vor diesen kriminellen Elementen", so wie es auch hier passiert. Das ist ungeheuerlich! Ich verlange auch hier eine Klarstellung. (Beifall bei den Grünen und bei Abgeordneten der SPÖ.)

Oder: In der gestrigen Sitzung – in der gestrigen Sitzung! – empfiehlt man der Frau Abgeordneten Pittermann, deren Familiengeschichte, denke ich, vielen in diesem Haus bekannt ist und die sich empört hat über die freiheitliche Beteiligung an der Bundesregierung, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen. Das kommt als Replik von der Frau Abgeordneten Partik-Pablé! Im Klartext: Man zweifelt ihre geistige Gesundheit an. – Das ist ungeheuerlich!


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Ich habe das mit harten, aber korrekten Worten erwähnt. Ich gebe Ihnen das, Herr Bundeskanzler, die Reaktion Ihres Koalitionspartners an meine Adresse: Sie sind dumm!, Sie sind eine Drahtzieherin des Terrors. – Ist das der neue Stil dieser Regierung? Sie, Herr Bundeskanzler, haben angekündigt Sie werden so etwas nicht dulden. Meine Frage: Was werden Sie denn tun? – Sie sind doch jetzt in einer Art Geiselhaft: Wollen Sie jetzt, bei diesen Umfragen, aus dem Regierungsbündnis heraus? Was soll denn da passieren? – Bitte eine Antwort! Was tun Sie da? Das ist gestern passiert, nicht irgendwann!

Und zuletzt der Anschlag auf die freien Medien: Was ist denn jetzt, wenn am Tag der Angelobung dieser Bundesregierung ein lange schon vielleicht so manchem oder so mancher unliebsamer Journalist, der nach allen Seiten schon kritische Kommentare geschrieben hat, seinen Job verliert? Was ist da passiert? – Da sind klimatische Veränderungen im Gange. Herr Bundeskanzler, das hat nicht nur mit Gesetzen zu tun. Das ist ein Klima, das erzeugt worden ist, das in der Tradition von solchen Pamphleten steht.

Und ich behaupte, Sie haben es nicht in der Hand, dieses Klima zu steuern, weil Sie einen Koalitionspartner haben, der nicht daran interessiert ist, dass ein Klima des Miteinander, der Toleranz und der Friedfertigkeit herrscht. Und das ist traurig für dieses Land. (Beifall bei den Grünen und bei Abgeordneten der SPÖ.)

12.30

Präsident Dr. Werner Fasslabend: Frau Abgeordnete Partik-Pablé hat sich zu einer tatsächlichen Berichtigung zu Wort gemeldet. Frau Abgeordnete, Ihre Redezeit beträgt 2 Minuten. – Bitte.

12.30

Abgeordnete Dr. Helene Partik-Pablé (Freiheitliche): Frau Abgeordnete Petrovic hat mir vorgeworfen, ich hätte Frau Dr. Pittermann empfohlen, professionelle Hilfe zur Bewältigung ihres Problems in Anspruch zu nehmen. – Das ist absolut falsch!

Ich habe in einem völlig anderen Zusammenhang und auch in einem zeitlichen Abstand gesagt – ich zitiere hier –:

"Meine sehr geehrten Damen und Herren von der Sozialistischen Partei! Ich sehe schon ein, dass es sehr schwer ist, Abschied zu nehmen. Nach 30 Jahren an der Regierung ist es sehr schwer, der Macht Adieu zu sagen. Aber Sie bewältigen das Problem falsch, Sie sollten wirklich professionelle Hilfe in Anspruch nehmen ... statt nachzudenken, welche Fehler Sie gemacht haben, was dazu geführt hat, dass Sie sich selbst aus der Regierung hinauskatapultiert haben ..."

Das steht doch in keinem Zusammenhang mit Frau Dr. Pittermann! (Abg. Edlinger: Jetzt wollen Sie uns also alle psychiatriert wissen! Ungeheuerlich, was Sie da sagen! Schämen Sie sich, Frau Abgeordnete! Das ist skandalös! – Weitere Zwischenrufe bei der SPÖ.) Außerdem ist es ja wirklich keine Schande, jemandem zum Beispiel eine Managementberatung anzuempfehlen, die Sie dringend brauchen, um mit Ihrem Frust fertig zu werden! (Beifall bei den Freiheitlichen.)

12.31

Präsident Dr. Werner Fasslabend: Nächster Redner ist Herr Abgeordneter Dr. Günter Stummvoll. – Bitte.

12.31

Abgeordneter Dkfm. Dr. Günter Stummvoll (ÖVP): Herr Präsident! Herr Bundeskanzler! Frau Vizekanzler! Meine sehr geehrten Damen und Herren der neuen Bundesregierung! Ich glaube, die Botschaft des Wählers vom 3. Oktober 1999 war eine sehr klare und einfache (Abg. Huber: An die ÖVP!): Es war der deutliche Wunsch des Wählers nach politischer Erneuerung. (Anhaltende Zwischenrufe bei der SPÖ.) Ich meine, wir sollten den Wählerwunsch respektieren, Frau Kollegin, auch dann, wenn es Ihnen vielleicht wehtut. (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der Freiheitlichen.) Wir leben in einer parlamentarischen Demokratie, das heißt, wir haben den Wählerwillen zu respektieren. Und Demokratie heißt, Mehrheiten zu finden. (Zwischenrufe bei der SPÖ.)


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9. Sitzung / Seite 54

Ich weiß, es tut weh, nach 30 Jahren von der Macht Abschied zu nehmen. Das tut weh. Trotzdem sollten wir uns dazu bekennen: Demokratie ist ein Gut, das wir nicht durch Polemik aufs Spiel setzen sollten! (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der Freiheitlichen.)

Ich möchte der neuen Regierung wirklich gratulieren. Ich glaube, man hätte diesen Wählerwillen des 3. Oktober nicht treffender und klarer formulieren können als mit dieser Überschrift für die heutige Regierungserklärung: "Österreich neu regieren". Das war der Wille des Wählers, meine sehr geehrten Damen und Herren! (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der Freiheitlichen. – Abg. Dr. Khol: Das ist richtig! – Zwischenrufe bei der SPÖ und den Grünen.)

Das, was geschehen ist, ist in jeder westlichen Demokratie ein ganz normaler, natürlicher Vorgang, nämlich dass der Wähler entscheidet, und danach werden parlamentarische Mehrheiten gesucht. (Weitere Zwischenrufe bei der SPÖ.) Es tut mir Leid, Herr Kollege, dass Ihre Partei zwar vielleicht den Willen, aber jedenfalls nicht die politische Kraft hatte, ein solches Paket der Erneuerung mit uns gemeinsam zu schnüren. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen. – Abg. Bauer: Ihr habt ja gar nicht richtig verhandeln wollen!)

Ich bin dem Kollegen Nürnberger – ich sage das ganz offen – eigentlich dankbar. Er hat als Mitglied des Verhandlungsteams und als führender Gewerkschafter einer freien Gewerkschaft nicht das gemacht, was uns in der vorigen Legislaturperiode passiert ist, sondern er hat das Abkommen nicht unterzeichnet, was viele, die wochenlang intensiv verhandelt haben, als nicht sehr fair bezeichnet haben. (Abg. Mag. Posch: Und wie ist die Haltung des Kollegen Neugebauer?)

Was meine ich damit? – Mir ist das lieber, meine Damen und Herren, als das, was wir hier im Hohen Hause bei der Pensionsreform 1997 erlebt haben. (Abg. Dr. Niederwieser: Road-Pricing!) Da haben alle von Ihrer Fraktion, von den Sozialdemokraten unterschrieben. Und was war dann hier im Parlament? – Ich musste als Mitglied des Sozialausschusses, als Mitglied des Finanzausschusses erleben, dass wir beide Ausschüsse drei Stunden lang unterbrechen mussten, bis der gleichzeitig tagende Bundesvorstand des ÖGB grünes Licht gegeben hat, meine Damen und Herren! Warum? – Weil Ihr Klubobmann Peter Kostelka uns gesagt hat: Egal, was vereinbart ist, der SPÖ-Klub kann nur zustimmen, wenn auch der ÖGB zustimmt. (Die Abgeordneten Dr. Fekter und Dr. Khol: Ja genau, so war es! – Abg. Silhavy: Stattdessen begeben Sie sich jetzt in die Geiselhaft Ihres neuen Koalitionspartners!)

Da waren wir in Geiselhaft der sozialistischen Gewerkschafter, Frau Kollegin. Und es ist Ihr Problem, wenn Sie als SPÖ in Geiselhaft Ihrer Gewerkschaften sind, aber ich als Parlamentarier möchte nicht in Geiselhaft von Gewerkschaftern sein, Frau Kollegin! (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen. – Zwischenrufe bei der SPÖ und den Grünen.)

Meine Damen und Herren von der sozialdemokratischen Fraktion! Es ist eine alte Grundregel des Parlaments, dass in der Regel die Lautstärke dann steigt, wenn die Argumente schwach sind. Sie beweisen das wieder! Sie beweisen wieder diese Grundregel. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

Lassen Sie mich auch noch sagen: Ich bin der Letzte, der sich nicht zur Unschuldsvermutung bekennt. Für mich gilt auch für Bundeskanzler a. D. Viktor Klima die Unschuldsvermutung, solange nicht Beweise auf dem Tisch liegen. Aber ich muss schon sagen (Abg. Dr. Mertel: Was zwingt Sie denn dazu?): Was in Stockholm am 26. und 27. Jänner tatsächlich passiert ist, würde uns wirklich interessieren. (Abg. Dr. Fekter: Das pfeifen ja schon die Spatzen von den Dächern!) Ich unterstelle dem Bundeskanzler a. D. nicht, dass er das initiativ losgetreten hat! Aber es ist ihm zumindest nicht gelungen, seine sozialdemokratischen Staats- und Regierungsfreunde davon zu überzeugen, dass sie auf internationaler Ebene ein verzerrtes Österreich-Bild wiedergegeben haben, meine Damen und Herren! (Abg. Schieder: Das Österreich-Bild haben Sie sich vor allem selbst zuzuschreiben und Ihrer Hereinnahme der FPÖ in eine Regierung!)

Herr Kollege Schieder, sehen wir uns an, was zum Beispiel die angesehene "Neue Zürcher Zeitung" zum Thema Sozialdemokratie und Machtwechsel geschrieben hat. Meine Damen und Herren, ich zitiere die "Neue Zürcher Zeitung" vom Freitag, den 4. Februar:


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",In fast allen Ländern der Europäischen Union regieren Sozialdemokraten.‘ So stand es selbstbewusst zu lesen im Blair-Schröder-Papier zum ,dritten Weg‘ – eine nicht zu bestreitende Tatsache. Bisher war das auch kein Problem, bei dem man sich länger aufhalten musste. Wenn sich nun aber ein Land anschickt, den Trend zu korrigieren und nach freien und offenen Wahlen eine sozialdemokratische Regierungspartei nach langen Jahren der Pfründenherrschaft endlich in die Opposition zu werfen, so wehren sich die Genossen in europäischer Regierungsstellung und lassen die Muskeln spielen." – Alles "Neue Zürcher Zeitung"!

Und weiters heißt es: "Eine Drohkampagne wird inszeniert, die Straße wird mobilisiert, die moralische Entrüstung entfacht, die europäische ,Wertegemeinschaft‘ beschworen. Selbst Skifahren in Österreich wird zur Todsünde erklärt." (Abg. Mag. Kogler: Und Chirac ist mittlerweile der trotzkistischen Internationale beigetreten!)

Dies eine Beurteilung der "Neuen Zürcher Zeitung" von Machtwechsel und Sozialdemokratie, meine sehr geehrten Damen und Herren!

Als einer, der schon immer, auch in diesem Hohen Hause, seit vielen, vielen Jahren für Europa, für die Europäische Union eintritt, der selbst in seiner früheren wie in seiner jetzigen Funktion viel getan hat, um diesen europäischen Integrationsprozess voranzutreiben, bedauere ich auch sehr, dass heute führende Journalisten unseres Landes, zum Beispiel Christian Ortner, Herausgeber des "FORMAT", in seinem letzten Leitartikel das Verhalten der EU wie folgt kommentiert haben. Ich zitiere Christian Ortner, einen der angesehensten Journalisten der jüngeren Generation (Abg. Dr. Mertel: Warum zitieren Sie nicht aus dem letzten "profil"?) :

"Das Verfahren fand hinter verschlossenen Türen ohne Anhörung der Beschuldigten statt, das Delikt wurde nicht benannt, eine Berufungsinstanz gibt es nicht: Die Art und Weise, in der die vierzehn EU-Partner Österreichs am vorvergangenen Wochenende ihr folgenreiches Urteil über die Republik sprachen ..., erinnert eher an die Usancen eines serbischen Geheimgerichtshofes als an jene rechtsstaatlichen Regeln, denen verbunden zu sein die vierzehn Regierungen scheinheilig behaupten." – (Abg. Dr. Fekter: Inquisition war das!) Das sage nicht ich, das sagt Herr Christian Ortner, ein angesehener Journalist im Leitartikel der letzten Nummer seiner Zeitschrift.

Das sollte uns schon zu denken geben! Was ich aus all dem als Schluss ziehe, ist: Die Sozialistische Internationale funktioniert noch hervorragend, meine Damen und Herren. Dieses Kompliment muss ich Ihnen machen. (Abg. Dr. Mertel: Und Ihre Internationale wollte Sie sogar ausschließen!) Nur leider, leider zum Nachteil Österreichs, meine sehr verehrten Damen und Herren! (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

Was mich aber an diesem Regierungsprogramm freut, das uns heute der Herr Bundeskanzler und die Frau Vizekanzler vorgetragen haben, ist, meine Damen und Herren, dass nicht nur der Leitsatz "Österreich neu regieren" lautet, sondern dieser Leitsatz mit sehr konkreten Inhalten erfüllt ist. Ich sage ganz offen, ich freue mich zunächst einmal darüber, dass etwas beseitigt wurde, was mich seit Jahren gestört hat, was für mich eigentlich eher eine fast klassenkämpferische Wurzel hatte: die Ressortverteilung, hie Sozialministerium, das muss unbedingt ein Gewerkschafter sein, und da das Kapital, die Wirtschaft, das muss unbedingt einer sein, den die Wirtschaft akzeptiert.

Die nunmehrige Lösung, der Auffassung "nur Wirtschaft schafft Arbeit" und "Wirtschaft und Arbeit sind eine Einheit" auch im Rahmen einer Kompetenzverteilung Rechnung zu tragen, ist etwas, von dem man sagen muss: Eine solche Ressortverteilung gemeinsam mit dem integrierten Bildungsministerium, gemeinsam mit einem Generationenministerium, gemeinsam mit einem Infrastrukturministerium, eine solche Kompetenzverteilung – das muss ich leider sagen, meine Damen und Herren von der sozialistischen Fraktion – haben wir mit Ihnen leider nicht zustande gebracht. Diese Kompetenzverteilung brauchen wir jedoch im Hinblick auf die Herausforderung des 21. Jahrhunderts, und ich freue mich, dass es dieser Regierung gelungen ist, die Regierungspolitik so zu gestalten. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)


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9. Sitzung / Seite 56

Ich freue mich zweitens über das große Paket der Lohnnebenkostensenkung, bei dem es nicht darum geht, jemandem etwas wegzunehmen, bei dem es auch nicht darum geht, dass der Staat der Wirtschaft Geld gibt, sondern bei dem es nur darum geht, die Lasten der Wirtschaft (Abg. Silhavy: Und wer kommt für die Kosten auf?), die sie selbst trägt, zu verringern, Frau Kollegin! (Abg. Silhavy: Und wer zahlt dann die 15 Milliarden Schilling? – Weitere Zwischenrufe bei der SPÖ.)

Ich bin sehr froh darüber – und habe das auch bei der Debatte über die Steuerreform 2000 gesagt –, dass die Thematik Lohnnebenkostensenkung nicht im Rahmen der Steuerreform 2000 gelöst wurde. Denn in diesem Zusammenhang wurde über die Frage diskutiert: Wenn wir die Arbeit entlasten, was belasten wir dafür? Wir haben immer gesagt, es geht nicht um eine Umschichtung von Belastungen, es geht um Entlastungen der Arbeit. Das ist dann der Fall, wenn man "Arbeitsplätze, Arbeit schaffen" wirklich ernst nimmt, Frau Kollegin (Abg. Silhavy: Kostenneutralität!), und sich nicht nur in Sprechblasen erschöpft. Wenn man das ernst nimmt, so heißt das finanzielle Entlastung der Arbeit. (Weitere Zwischenrufe bei der SPÖ.)

Herr Kollege Edlinger! Ich freue mich auch über unglaublich innovative Ansätze in der Sozialpolitik. Das neue Modell, die Abfertigung umzuwandeln in einen Beitrag zur langfristigen Sicherung der Altersvorsorge, ist ein Quantensprung in der Sozialpolitik. Das ist Sozialpolitik des 21. Jahrhunderts, meine sehr geehrten Damen und Herren! (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

Zur sozialen Gerechtigkeit, zur Angleichung Arbeiter und Angestellte haben wir uns immer bekannt, und zwar unter der Voraussetzung: Kostenneutralität, keine neuen Belastungen für die Wirtschaft. Auch das ist hier im Regierungsprogramm entsprechend verwirklicht, meine Damen und Herren! Das ist moderne Sozialpolitik, eben nicht zu sagen, alles einseitig zu Lasten der Wirtschaft. Die Wirtschaft sind wir alle. Nur die Wirtschaft schafft Arbeitsplätze, und nur die Wirtschaft kann langfristig sozialen Frieden und soziale Stabilität garantieren, denn ohne Arbeitsplätze kann es keinen sozialen Frieden und keine soziale Stabilität in einem Land geben. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen. – Abg. Eder: Wer zahlt die Senkung der Lohnnebenkosten?)

Herr Kollege Eder! Weil Sie gerade aus diesem Bereich kommen: Was bedeutet denn die totale Liberalisierung des Gas- und Strommarktes? – Das heißt Kostenentlastung für die Wirtschaft, Kostenentlastung für die Betriebe. Eine dringend notwendige Maßnahme. Wir hatten auf diesem Gebiet bisher einen Standortnachteil. Es haben viele ausländische Konzerne vor allem bei Benchmarking-Vergleichen gesagt: In Österreich ist die Energie zu teuer. Jetzt kommen wir zu einer Senkung der Energiepreise. Wir verbessern damit die Voraussetzungen dafür, dass in Österreich in Arbeitsplätze investiert wird, Frau Kollegin.

Auch das ganze Paket Bürokratieabbau, die Wirtschaft von bisherigen Fesseln zu befreien, ist etwas, was uns attraktiver macht, was das Land wieder attraktiver macht, meine Damen und Herren!

Wir müssen ehrlicherweise zugeben: Die Entwicklung der letzten Jahre in manchen Gesetzen wie Arbeitszeitgesetz, Arbeitsruhegesetz, Ladenöffnung hat eigentlich den Rechtsgrundsatz, der sonst allgemein gilt – "es ist alles erlaubt, was nicht verboten ist" –, umgedreht. (Abg. Oberhaidinger: Alles zu Lasten der Arbeitnehmer!) Es ist alles verboten, was nicht ausdrücklich erlaubt ist. Da haben wir Handlungsbedarf. Für uns gilt der Rechtsgrundsatz, es ist alles erlaubt, was nicht verboten ist. Das heißt Charta der wirtschaftlichen Freiheiten, Frau Kollegin! (Abg. Silhavy: Es geht doch zunächst einmal um die Freiheit des einzelnen Menschen!) Das sind die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts. Und diese Regierung – davon bin ich überzeugt – wird mit der parlamentarischen Unterstützung, die wir heute mehrfach bekundet haben, die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts erfolgreich in Angriff nehmen. Ich wünsche dazu der gesamten Regierung viel Erfolg! (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

12.44


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9. Sitzung / Seite 57

Präsident Dr. Werner Fasslabend:
Zu Wort gemeldet ist Frau Bundesminister Elisabeth Gehrer. – Bitte.

12.44

Bundesministerin für Unterricht und kulturelle Angelegenheiten Elisabeth Gehrer: Sehr geehrter Herr Präsident! Hohes Haus! Ich möchte zu Beginn eines neuen Zeitalters in der Regierungsarbeit in Österreich einige sehr persönliche Feststellungen treffen.

Aufgrund der Reaktion auf diese Regierungsbildung stellen sich mir einige grundsätzliche Fragen. Ich war immer überzeugt davon, dass in einem demokratischen Land zugelassene Parteien eine demokratische Legitimation haben. – Und ich meine, das muss auch so bleiben! (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

Ich war immer überzeugt davon, dass demokratisch gewählte Parteien, wenn sie eine entsprechende Mehrheit haben, auch legitimiert sind, eine Regierung zu bilden. – Und das muss auch so bleiben!

Ich war immer überzeugt davon, dass demokratisch gewählte Mandatare, auch jene, die in der Opposition sind, ausschließlich zum Wohle des Wählers und der Wählerin und ausschließlich zum Wohle ihres Landes arbeiten. – Und das muss auch so bleiben! (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

Meine Damen und Herren! Ich sage es ehrlich: Ich bin betroffen von manchen Reaktionen von Abgeordneten hier in diesem Hause. Ich bin betroffen, wenn uns der ehemalige Finanzminister, der Herr Kollege Edlinger, "Pensionsdemolierer" nennt. (Abg. Dr. Khol: Unerhört! – Abg. Schwarzenberger : Das waren seine eigenen Vorschläge!) Er weiß ganz genau, dass keiner, der jetzt in Pension ist, etwas zu fürchten hat, dass es keine Pensionskürzung für bestehende Pensionen gibt. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

Er weiß auch ganz genau, dass es notwendig ist, Maßnahmen zu setzen, damit die Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen, die jetzt auf dem Arbeitsmarkt sind, später auch noch eine Pension erhalten. Das weiß er als ehemaliger Finanzminister ganz genau.

Meine Damen und Herren! Ich bin auch betroffen von den Demonstrationen, besonders von den Gewalttätigkeiten. Ich möchte sehr genau unterscheiden: Ich möchte unterscheiden zwischen jenen Menschen, die Ängste und Sorgen haben, und jenen, die gewalttätig sind. Bei jenen, die gewalttätig sind, sind die normalen gesetzlichen Maßnahmen zu treffen, die notwendig sind. (Beifall bei der ÖVP, den Freiheitlichen und bei Abgeordneten der SPÖ.)

Jene, die Ängste und Sorgen haben, möchte ich einladen. Ich möchte sie einladen, sich mit uns an einen Tisch zu setzen. Reden wir miteinander, diskutieren wir hart und offen! Ich lade sie ein, mit uns gemeinsam für unser schönes Land zu arbeiten. Vor allem lade ich alle zu einer Abrüstung der Worte ein. Beschäftigen Sie sich mit den Vorhaben und nehmen Sie uns beim Wort! (Abg. Edler: Mit den christlichen Gewerkschaftern sprechen Sie einmal!)

Ich möchte diese Ausführungen besonders auch als Botschaft an all unsere EU-Partnerländer verstanden wissen. Meine Damen und Herren! Wir haben eine gute Ausgangsbasis. Österreich ist ein tolerantes Land; wir haben das gemeinsam erarbeitet. Wir haben eine gute Wirtschaftsentwicklung und ein qualitativ hoch stehendes Bildungssystem. Die Weiterentwicklung einer Gesellschaft hängt davon ab, ob auf neue Herausforderungen neue Antworten gefunden werden.

Meine Damen und Herren! Sie können sich davon überzeugen: Mit diesem Regierungsprogramm sind auf die neuen Herausforderungen neue Antworten gefunden worden. In diesem Regierungsprogramm gibt es einen neuen, zielorientierten Budgetkurs, damit wir das Defizit reduzieren. Es gibt ein Programm für soziale Gerechtigkeit, damit die Pensionen gesichert sind, damit die Familien mit ihrem Einkommen ein Auskommen haben, damit die Menschen Arbeitsplätze finden, damit die Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen verbesserte Bedingungen in unserem Land vorfinden.


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9. Sitzung / Seite 58

Das neue Ministerium für Bildung, Wissen und Kultur ist ein Signal. (Abg. Oberhaidinger: Wer hat denn sein Budget weit überzogen? – Abg. Edler: Um 6,8 Milliarden überzogen!) Es ist ein Signal für einen neuen Start im Bildungsbereich und signalisiert Aufbruch und Zukunft. Wir werden noch ausreichend Gelegenheit haben, die Inhalte des Bildungsprogramms zu diskutieren. Ich möchte jetzt nur einige Schwerpunkte nennen: die Vielfalt in unserem Schulwesen, das moderne Ausbildungsangebot und die Durchlässigkeit. Wir werden als ersten Schritt für die Berufsreifeprüfung die Anerkennungen erweitern, damit es noch mehr Durchlässigkeit gibt.

Der Übergang an den Nahtstellen ist leichter möglich, weil alle Bildungseinrichtungen in einem Ministerium sind. Wir werden diesen Übergang an den Nahtstellen durch bessere Prognoseverfahren verbessern. Wir werden an einer neuen Schulkultur arbeiten, an Erziehungsvereinbarungen zwischen allen Schulpartnern. Wir haben uns vorgenommen, mit einer "Computermilliarde" die Technologieoffensive voranzutreiben und den Schwerpunkt Fremdsprachenoffensive weiterzuführen. Wir wollen 40 Prozent eines Altersjahrgangs auch in Zukunft die gute Lehrlingsausbildung angedeihen lassen, und wir werden ein modernes Lehrerdienstrecht erarbeiten, ein Lehrerdienstrecht mit Anerkennung der hohen Leistung der Lehrerschaft und mit einer Neuverteilung des Lebensgehaltes.

Wir werden im Universitätsbereich die Universitäten zu einer echten Selbständigkeit mit einem Globalbudget führen. Wir werden auch die Möglichkeiten für junge Akademiker verbessern, wissenschaftliche Laufbahnen bestreiten zu können. Wir werden die Fachhochschulen weiter ausbauen, und wir werden die Zusammenarbeit zwischen den Universitäten, der Forschung und der Technologie verstärken, damit unsere Bildungseinrichtungen im internationalen Wettbewerb noch wettbewerbsfähiger werden. Wir werden dazu auch einen Rat für Forschung und Technologie einrichten, der Schwerpunkte setzt und für die Zukunft wichtige Forschungsthemen benennt.

Meine Damen und Herren! Bildungs- und Kulturpolitik wird einen wichtigen Beitrag leisten, einen wichtigen Beitrag zur Erneuerung in allen Bereichen – auch zur Erneuerung des Umgangs miteinander, zur Erreichung einer neuen Dialogfähigkeit, zur Sicherung von Offenheit und Vielfalt auf einer demokratischen Basis.

Sehr geehrte Abgeordnete in diesem Hohen Hause: Ich lade Sie alle zur konstruktiven Mitarbeit ein. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

12.52

Präsident Dr. Werner Fasslabend: Nächster Redner ist Herr Abgeordneter Verzetnitsch. – Bitte.

12.52

Abgeordneter Friedrich Verzetnitsch (SPÖ): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren der neuen Bundesregierung! Hohes Haus! Zum Abgeordneten Stummvoll möchte ich nur ganz kurz noch ergänzend hinzufügen: Es ist schon schwierig, über angesehene Zitate zu reden, wenn man dabei Aznar, Chirac oder andere vergisst, die nicht der Sozialdemokratie angehören. Wenn man schon zitiert, dann bitte nicht einäugig, dann über die gesamte Bandbreite in diesem Zusammenhang! (Beifall bei der SPÖ.)

Herr Bundeskanzler Schüssel hat heute Vormittag gemeint, die Österreicherinnen und Österreicher wissen nicht genau, was kommt. Ich glaube, diese Debatte hier bietet genügend Anlass dazu, sich das entsprechende Wissen zu verschaffen. Dies ist allerdings nicht ganz einfach, denn zwischen dem, was in der Regierungserklärung steht und heute hier vorgetragen wurde, und dem, was im Regierungsprogramm der ÖVP und der FPÖ steht, gibt es sehr wohl Unterschiede.

Ich glaube nicht, dass es dem Wählerwillen der Arbeiter zum Beispiel entspricht, wenn in diesem Programm steht, dass in Wirklichkeit keine nachvollziehbaren Maßnahmen gegen den Trend "Zu alt für die Arbeit und zu jung für die Pension" vorhanden sind. (Beifall bei der SPÖ.)


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9. Sitzung / Seite 59

Darüber findet sich in diesem Programm nichts. Was sich findet, ist der Hinweis, später in Pension gehen zu können. Das trifft Jahrgänge ab 1940, Frauen ab dem Jahrgang 1945. Was Sie hier vorhaben, ist die Fortsetzung dessen, dass man nicht das Arbeitsmarktproblem lösen will, sondern Menschen nach wie vor in Schwierigkeiten lässt.

Das können Sie nachlesen. Da wird zum Beispiel immer wieder gesagt, lange Versicherungszeiten seien davon nicht betroffen. Seite 29, drittes Kapitel: Abschlagszahlungen für all jene, die vor dem Regelpensionsalter in Pension gehen. Regelpensionsalter: 60 bei Frauen, 65 bei Männern. Also reden wir nicht davon, dass es keine Abschläge gibt! Abschläge bis zu 40 Prozent sind in diesem Fall lebenslang vorgesehen, meine sehr geehrten Damen und Herren. Das sollte man nicht vergessen! (Beifall bei der SPÖ. – Bundesminister Dr. Bartenstein: Bis zu 40 Prozent?) Ja, kumulativ!

Ich halte, da auch von meiner Vorrednerin gerade vorhin gesagt wurde, man greife in bestehende Pensionen nicht ein, weiters fest: Was heißt es denn anderes, wenn auf Seite 29 der Regierungserklärung steht, dass auch für Pensionisten die Pensionssicherungsbeiträge um 0,8 Prozent erhöht werden sollen? (Abg. Schwarzenberger: Das war mit der SPÖ so vereinbart!) Also auch Pensionisten werden zur Kasse gebeten. Auch Pensionisten werden zur Kasse gebeten! Vergessen Sie nicht, auch das hier zu sagen. (Beifall bei der SPÖ.)

Ich weiß schon, dass vielleicht das eine oder andere noch einer Klarstellung bedarf, aber ebenfalls auf Seite 28 der Regierungserklärung ist nachzulesen: Selbstbehalte – ohne die Hinweise, die jetzt da oder dort kommen. Das Tragischeste dabei ist, dass der Weg fortgesetzt wird, das Solidarverhältnis zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern weiter zu verlassen. Selbstbehalte sind eine einseitige Belastung – mit den Wirkungen, die Sie alle kennen: Pensionisten 4 500 S mehr im Jahr, Aktive 1 500 S mehr im Jahr, und zwar ohne Spitalsaufenthalte. All das ist in Wirklichkeit da drinnen, und das sollten Sie nicht außer Acht lassen.

Arbeitszeit der Wirtschaft angepasst. – Auch das ist mehrfach in diesem Papier enthalten. Wo bleibt denn da das gemeinsame Zugehen auf eine flexible Arbeitszeitgestaltung, die beiden etwas bringt? Fairness wird bejaht, aber in Wirklichkeit sollen die Arbeitnehmer das selbst bezahlen und darüber hinaus noch 2 Milliarden Schilling der Wirtschaft zurückgeben. Das ist die Fairness, wie Sie sie verstehen, aber das ist nicht die Fairness, wie wir sie verstehen, meine sehr geehrten Damen und Herren. (Beifall bei der SPÖ.)

Da von "Treffsicherheit" gesprochen wird: Es ist ja schon eine Tendenz, die sich über mehrere Jahre hinweg abzeichnet. Man meint ja immer wieder, die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer seien "Sozialschmarotzer". Reden wir doch auch bei den Steuerschulden von Treffsicherheit! Da reden Sie nicht über Treffsicherheit. Da reden Sie nicht von einem fairen Ausgleich in Bezug auf die vorhandenen Steuerschulden. Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer "cashen" das jeden Monat fix, da gibt es keinen Ausweg. Wie kann es zu einem fairen Ausgleich zwischen jenen, die Steuern schulden, und jenen, die pünktlich bezahlen, kommen? Das wäre eine Treffsicherheit, die ich unterschreiben könnte, meine sehr geehrten Damen und Herren! (Beifall bei der SPÖ.)

Und es fällt einem schon schwer, an Treffsicherheit zu glauben, wenn in diesem Programm überhaupt nicht von Schwarzarbeit die Rede ist. Darüber ist überhaupt nichts drinnen – so, als ob es das gar nicht gäbe. Wo ist denn der gemeinsame Kampf gegen das Schwarzunternehmertum, damit wir endlich jene, die ordentlich Steuer zahlen, die ordentlich arbeiten, gleich stellen mit jenen, die den Staat betrügen, die die Sozialversicherung betrügen, meine sehr geehrten Damen und Herren? Maßnahmen in diesem Zusammenhang würde ich sehr begrüßen. (Beifall bei der SPÖ.)

Man kann das fortsetzen. Was ist das für ein Zukunftsprogramm für Frauen, wenn man ihnen sagt: Na, mit 45 Jahren könnt ihr ja auch früher in Pension gehen!? – Das hieße ja, um das zu Ende zu denken, dass wir Kinderarbeit für Frauen einführen müssten, denn Frauen müssten mit dem zehnten Lebensjahr zu arbeiten beginnen, um mit 55 Jahren überhaupt auf 45 Versiche


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9. Sitzung / Seite 60

rungsjahre kommen zu können, meine sehr geehrten Damen und Herren. (Widerspruch von Bundesminister Dr. Bartenstein. )

Die Selbstbehalte, die da drinnen sind, und darüber hinaus auch die Frage der Verfügbarkeit der Handelsangestellten, das sind Dinge, die Sie überlegen sollten – ganz zu schweigen davon, was dazu ganz aktuell festzustellen ist. Ich denke da an jene Frauen, die jetzt nach der neuen Urlaubsaliquotierung in die Semesterferien gegangen sind. Die müssten nämlich heute schon auf dem Weg zurück sein, denn sie hätten nur zweieinhalb Tage Urlaubsanspruch. Das ist ein Faktum, das man nicht außer Acht lassen soll.

Oder zu dem, was Sie der Jugend anbieten: Probezeitverlängerungen, wodurch die Unsicherheit für die jungen Menschen hinausgezögert wird, eine "Tagesausbildungszeit" – ich zitiere – "bis 23 Uhr"; nachzulesen in Ihrem Programm. "Tagesausbildungszeit bis 23 Uhr" heißt es in Ihrem Programm. Es werden die Verhältniszahlen aufgeweicht, man will nicht sofort Geld zur Verfügung stellen, um den Lastenausgleich zwischen ausbildenden und nicht ausbildenden Betrieben herzustellen, sondern vielleicht im Jahre 2003. Es bleibt unklar, wie; das steht nämlich nicht klar drinnen, da wird kein Weg aufgezeigt.

Es steht in diesem Programm auch: Insgesamt wollen wir die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes entlasten. – Ich stelle fest, das ist eine sehr einseitige Entlastung. Für Arbeitgeber, Bauern, Hausherren rund 19 Milliarden Schilling an Ent lastung, für Arbeitnehmer 14 Milliarden Schilling an Be lastung. – Das sind Fakten, die Sie nicht leugnen können, da brauchen Sie nur Ihr eigenes Programm zu lesen.

Und das ist der rote Faden, der sich da durchzieht. Wir hatten in unserem Lande mehrere Jahrzehnte hindurch eine Linie: Die Wirtschaft hat dem Menschen zu dienen. – Jetzt ist es offenbar so, dass der Mensch der Wirtschaft zu dienen hat, zu Billigstpreisen, zu schlechteren Bedingungen als vorher.

Meine Damen und Herren! Das setzt sich fort auch unter dem Titel "Neue Ministeriumskompetenz": Für Wirtschaft und Arbeit ein Standortminister, nicht nur für die Wirtschaft zuständig, sondern auch für die Arbeitswelt. Was heißt das konkret? – Das gesamte Arbeitsvertragsrecht wird jetzt vom Standortminister behandelt. Das gesamte Arbeitnehmerschutzrecht wird vom Standortminister behandelt. Ich stelle mir vor, wie er auf der einen Seite die Freiheit der Wirtschaft, "Wirtschaftscharta" genannt, und auf der anderen Seite auch das Arbeitnehmerschutzrecht entsprechend behandelt. Das Arbeits- und Betriebsverfassungsrecht wird vom Standortminister behandelt, die kollektive Rechtsgestaltung ist Sache des Standortministers, ebenso die Festsetzung von Lohntarifen.

Das ist Ihre Politik, meine sehr geehrten Damen und Herren! Ganz zu schweigen von der Arbeitsmarktpolitik, der Verfügbarkeit und der Arbeitslosenversicherung. Dem wird aber noch die Krone aufgesetzt – wahrscheinlich erscheint das der Bevölkerung nicht unbedingt wichtig –: Die Aufsicht über die Arbeiterkammern erhält der Standortminister ebenfalls. (Präsident Dr. Fischer übernimmt wieder den Vorsitz.)

Wir haben so etwas in Österreich schon einmal gehabt: im Ständestaat. Wir sollten uns daran erinnern, dass das nicht gerade zielführend war. (Beifall bei der SPÖ.)

Wir hatten noch nie so gute Voraussetzungen – und es ist das Erfolgsprogramm der abgelaufenen Regierung heute bereits sehr deutlich angesprochen worden –, aber warum nutzen wir dann diese guten Voraussetzungen nicht, um Menschen ab 40 Jahren länger in Beschäftigung zu halten? Warum nutzen wir diese guten Voraussetzungen nicht, um, statt das Pensionsalter anzuheben, den Menschen eine Chance zu geben, dass sie tatsächlich länger beschäftigt sein können, und zwar nicht so, dass mit Abschlägen und mit Beiträgen gedroht werden muss, sondern so, dass wirklich eine Verbesserung erzielt werden kann? (Beifall bei der SPÖ.)

Vergessen wir nicht, meine sehr geehrten Damen und Herren, dass es noch Gruppen in unserer Bevölkerung gibt, die mit der Anhebung des Pensionsalters überhaupt nicht zurechtkommen, zum Beispiel Piloten, die mit 60 aufhören müssen.  – Ich bin gespannt, was Sie denen dann


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sagen. Vielleicht: Das ist eben so! Ihr könnt zwar euren Beruf nicht mehr ausüben, aber wir heben das Pensionsalter an.

Soziale Gerechtigkeit, meine Damen und Herren, verstehe ich anders. Mehr Fairness ja, aber bitte so, dass man die Fairness nicht selbst bezahlen muss, während den Unternehmen noch 2 Milliarden Schilling zusätzlich gegeben werden, und über die Kündigungen kann dann irgendwann später einmal geredet werden. Abfertigung ja – aber dann bitte auch für jene, die in Saisonberufen nie zu einer Abfertigung kommen. Und darüber hinaus auch keine Enteignung des Abfertigungsanspruches, meine sehr geehrten Damen und Herren! (Beifall bei der SPÖ. – Zwischenruf des Abg. Gaugg. ) Ich habe gesagt, Abfertigung ja, aber dann reden wir weiter darüber. Unsere Forderung ist bekannt: Abfertigung ab dem ersten Tag, und du wirst darauf Antworten geben müssen.

Herr Abgeordneter Khol hat gemeint, die Christgewerkschafter wünschen ein herzliches "Glückauf!" ... (Abg. Dr. Khol: Ich als Christgewerkschafter! Das ist etwas anderes!)  – Du als Christgewerkschafter. Ich darf dir sagen, du als Christgewerkschafter hast eine Minderheitenmeinung, denn die Christgewerkschafter und die Caritas haben eine ganz andere Meinung, und ich darf dir im Nachhang dann auch die Meinung der Christgewerkschafter sagen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wenn wir über dieses Land reden, dann zitiere ich auch ein Inserat, auch ausgegeben von jenen, die für die Wirtschaft verantwortlich sind. So schlecht kann es um die Wirtschaft nicht bestellt sein, wenn man in internationalen Business-Zeitungen wirbt: Kommt nach Österreich, denn euch bleiben von den Gewinnen 82,33 Prozent. So schlecht kann es ja wirklich nicht um die Wirtschaft stehen in unserem Lande, obwohl es immer wieder heißt, das sei alles negativ.

Meine Damen und Herren, zum Schluss kommend: In der Gewerkschaftsbewegung wird über alle Parteigrenzen hinweg – auch mit deinen Freunden, Kollege Khol, wer immer das ist – dieses Programm als einseitiges Belastungsprogramm gesehen. Bei uns besteht keine Belastungsgemeinschaft zwischen ÖVP und FPÖ, sondern über alle Parteigrenzen hinweg eine gemeinsame Haltung zu diesem Programm. Wir beurteilen unabhängig von politischen Strömungen ... (Abg. Haigermoser: Das ist neu!) Der ÖGB immer – im Gegensatz zu manchen, die in der Wirtschaft tätig sind! (Abg. Haigermoser: Das ist etwas Neues! Da lächeln ja die Hühner!) Wir beurteilen unabhängig von politischen Strömungen, wir messen Sie an Ihren Taten – egal, ob Sie das wollen oder nicht. Daher ein klares Nein zu diesen Vorschlägen, aber ein klares Ja, wenn Sie Ihren Weg ändern. – Ich danke Ihnen. (Anhaltender Beifall bei der SPÖ.)

13.04

Präsident Dr. Heinz Fischer: Nächster Redner ist Herr Abgeordneter Haupt. Er hat das Wort.

13.05

Abgeordneter Mag. Herbert Haupt (Freiheitliche): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren von der Bundesregierung! Hohes Haus! Sehr geehrter Herr Kollege Verzetnitsch, was Sie gerade in Ihrer Rede dargeboten haben, war, glaube ich, ein einmaliger Spagat zwischen einem Abgeordneten der sozialdemokratischen Fraktion, der das Klima-Edlinger-Paket völlig beiseite schiebt und verleugnet, und einem unabhängigen Präsidenten des Gewerkschaftsbundes. Eine solche Rede habe ich von Ihnen in den letzten zehn Jahren nicht gehört. Das möchte ich hier betonen, um deutlich zu machen, wie "unabhängig", "überparteilich" und "ohne" Farbmarkierungen Sie bis dato als Gewerkschafter hier im Hohen Hause agiert haben. (Beifall bei den Freiheitlichen und bei Abgeordneten der ÖVP.)

Und noch etwas, sehr geehrter Herr Verzetnitsch: Wenn Sie meinen, dass die "Aktion Fairness" nicht so gemeint war, wie sie heute im Regierungsprogramm dargestellt wird, darf ich Ihnen vorlesen, was im Edlinger-Klima-Papier, das von Ihrem Vorstand abgesegnet worden ist, steht. Da heißt es: Aktion Fairness: Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall, Aliquotierung des Urlaubs. – Das ist das Gleiche, was diese Bundesregierung nunmehr vorhat.

Sehr geehrter Herr Kollege Verzetnitsch! Offenbar sind Sie nicht daran interessiert, mit dieser Bundesregierung entsprechende Gespräche zu führen. Das muss ich auf Grund der Situation,


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dass die ehemalige Frau Sozialministerin heute, am Tag der Regierungserklärung, das schwierige, diffizile und die Menschen sicherlich beschäftigende Problem der Sozialpolitik am Altar einer opportunistischen Anfrage opfert, annehmen. Das ist meines Erachtens ein schlechtes Signal einer Amtsvorgängerin für ihre Amtsnachfolgerin. Die Sozialpolitik in diesem Lande sollte quasi in ruhigen Gewässern, in einvernehmlichen, in partnerschaftlichen Verhandlungen gemacht werden – bei allen unterschiedlichen Positionen, die es auch da gibt. Im Interesse der gesamten Bevölkerung dieses Staates und zur Sicherung des sozialen Friedens in diesem Staate soll die Sozialpolitik auch unter dieser Bundesregierung abgesichert und weiterentwickelt werden. (Demonstrativer Beifall bei der SPÖ.)

Wir werden sehen, sehr geehrter Herr Präsident, wie weit Sie mit Ihren Gewerkschaftern aller Fraktionen dazu bereit oder nicht bereit sind. – Das Signal des heutigen Tages macht mich nachdenklich, Herr Präsident Verzetnitsch.

Es ist auch die Frage Behandlung der Frauen durch diese Bundesregierung im Mittelpunkt der heutigen Debatte gestanden, und ich möchte Sie schon fragen: Sind garantierte 18 Monate pensionsbegründende Zeit und zusätzlich vier Jahre für die Pensionsanerkennung der Frauen kein zusätzlicher Anreiz? Haben Sie auch alle Vorhaben in Bezug auf die Pensionisten vergessen, Herr Verzetnitsch? Sind 0,8 Prozent Pensionssicherungsbeitrag, festgelegt durch diese Bundesregierung, im Vergleich zu 0,95 Prozent Pensionssicherungsbeitrag, festgelegt im bereits genannten Edlinger-Klima-Papier – auch dort nachzulesen –, keine Verbesserung um 0,15 Prozent im Interesse der Pensionisten?

Sehr geehrte Damen und Herren! Bleiben wir doch bei der Wahrheit! Selbstverständlich sind wir dazu verpflichtet – das ist auch im Interesse des Ausgleichs zwischen den Generationen, auch im Interesse der jungen Menschen, die heute in Österreich auf der Straße gegen diese Bundesregierung protestieren und in 35 oder 40 Jahren in Pension gehen werden –, das österreichische Pensionssystem langfristig abzusichern.

Herr Bundesminister a. D.! Sie wissen es genau: Sie selbst haben im Fernsehen eine Erhöhung des Pensionsantrittsalter um zwei Jahre formuliert. Diese Bundesregierung wird statt zwei Jahre eineinhalb Jahre in diesem Bereich festsetzen. Wir halten unser Versprechen! Wir werden auf den "kleinen" Mann in unserem Staate schauen, und wir haben daher die bösesten "Zähne" Ihres Papiers gezogen. (Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP.)

Folgendes muss man der österreichischen Bevölkerung aber schon auch sagen: Wir werden hier nicht die Quadratur des Kreises schaffen und die Belastungen, die Sie hinterlassen haben, und Ihre mangelnde Kompetenz in den letzten Jahren, nämlich Ihre mangelnde Kompetenz, das umzusetzen, was Sie den Österreicherinnen und Österreichern versprochen haben – mehr als 60 Prozent ausgabenseitig im Budget einzusparen und nur 30 oder 33 Prozent durch Belastungen hereinzubekommen –, ausgleichen können. Sie haben vom Rechnungshof den entsprechenden Bericht und Sie haben von der EU den "blauen Brief" erhalten.

Sehr geehrter Herr Minister Edlinger! Sie wissen ganz genau, dass die Versäumnisse Ihrer Regierungszeit uns, die nachfolgende Regierung, nunmehr einholen. Es ist nicht lustig, das einsparen zu müssen, was Sie versäumt haben, aber wir werden es im Interesse des Landes tun – maßvoll und sozial ausgeglichen. (Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP.)

Da Herr Kollege Verzetnitsch hier gemeint hat, dass es keine Debatte über die Steuerschulden der Unternehmen gegeben hätte, möchte ich Sie fragen, sehr geehrte Damen und Herren von der SPÖ: Wer hat denn das Finanzministerium innegehabt? Wer war denn Finanzminister? – Ich kann mich nicht daran erinnern, in 14 Jahren hier im österreichischen Nationalrat einen anderen Finanzminister als einen von der Sozialdemokratie gestellten hier sitzen gesehen zu haben: Klima, Lacina, Edlinger, Vranitzky, wenn ich sie alle in nicht chronologischer Reihenfolge hier aufzählen darf. (Abg. Dr. Martin Graf: Staribacher! – Abg. Mag. Kogler: Stummvoll hat nie etwas gewusst, oder?)


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Sehr geehrte Damen und Herren! Es ist doch wirklich abzulehnen, dass Sie einen Tag nach Bildung dieser Bundesregierung die Versäumnisse von mehr als 14 Jahren sozialdemokratischer Finanzminister in diesem Staat dieser Bundesregierung in die Schuhe schieben wollen! Denken Sie doch bitte einmal mit Maß und Ziel über die Frage nach: Warum haben Sie 14 Jahre lang in diesem Amte versagt? Warum haben Sie 14 Jahre lang keine soziale Gleichstellung in diesem Bereich und keine soziale Gleichbehandlung geschafft? Warum, sehr geehrte Damen und Herren von der SPÖ, fordern Sie nunmehr das ein, was Sie selbst in einem halben Jahrhundert – fast, wenn ich die letzten 30 Jahre vorher noch mit dazu rechne und Ihre Ressortverantwortlichkeiten in diesem Bereich in der Zweiten Republik – nicht geschafft haben?

Sehr geehrte Damen und Herren! Das ist schlicht und einfach Polemik! Das ist schlicht und einfach Verunsicherung! Das dient zu nichts anderem, als die Menschen für die Großdemonstration zu mobilisieren – wider besseres Wissen. Das ist keine versöhnliche Hand zur Zusammenarbeit, sehr geehrte Damen und Herren. Das ist blanke Polemik von hier aus (Beifall bei den Freiheitlichen), und das ist eine Abnabelung von der eigenen Geschichte und der eigenen Verantwortung.

Ich hätte mir nie gedacht, dass eine Partei, die zu Beginn dieser Legislaturperiode noch stolz darauf war, als einzige die Sperrminorität hier im Hohen Hause zu haben, am selben Tag, an dem die Bundesregierung ihr Programm vorstellt, nicht nur Fundamental-Opposition betreibt, sondern sich darüber hinaus auch aus ihrer eigenen Geschichte und Verantwortlichkeit wegstiehlt. Sehr geehrte Damen und Herren! Das ist schlechter Stil! (Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP.)

Sie haben auch die Frage ventiliert, wie es zu der derzeitigen Isolation Österreichs gekommen ist. – Meine sehr geehrten Damen und Herren! Vielleicht hat die bekannte Abneigung von Herrn Mag. Klima gegen Herrn Dr. Haider in seinen Gesprächen so durchgeschlagen, dass auf internationaler Ebene nicht verständlich war, dass nicht die Österreicher zu boykottieren sind, sondern dass Klima nur mit Herrn Dr. Haider keine Freude hat. Das haben wir ja alle gewusst!

Entweder ist Mag. Klima als Bundeskanzler auch der provisorischen Regierung nicht in der Lage gewesen, dieses Land in Schutz zu nehmen – dann verstehe ich auch, warum er sich hier heute nicht der Debatte stellt –, oder, und das wäre das Schlechtere, er war gar nicht bereit, unser Land – im Interesse Österreichs! – in Schutz zu nehmen.

Sehr geehrte Damen und Herren! Der ehemalige Herr Bundeskanzler und jetzige Abgeordnete Klima hat Handlungsbedarf, und wir erwarten von ihm, dass er sich endlich dem Hohen Haus und diesen Fragen hier stellt, denn das, was er heute tut, nämlich durch Absenz zu glänzen und Österreich in der internationalen Isolation zu belassen, ist meiner Überzeugung nach eine unverständliche Flucht aus der Verantwortung! (Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP.) Meine sehr geehrten Damen und Herren von der SPÖ, eine Aufklärung wird Ihnen nicht erspart bleiben! (Abg. Dr. Mertel: Wo ist Prinzhorn? Wo hat der Prinzhorn seine Hormone versteckt? – Weitere Rufe bei der SPÖ: Wo ist Prinzhorn? – Abg. Reitsamer: Bei der Hormonbehandlung!)

Es gibt aber nichts Schlechtes, das nicht auch eine gute Seite hat. In diesem Fall heißt das: Jene Menschen in Österreich, die an Österreich interessiert sind und die Haltung des Herrn Alt-Bundeskanzlers nicht verstehen, solidarisieren sich in zunehmendem Maß mit dieser neuen Bundesregierung und geben uns eine Chance – auch im Interesse einer den Österreichern angeborenen Fairness –, in der Umsetzung zu beweisen, dass wir in der Lage sind, ein sozial ausgewogenes Paket zu schnüren: sozial ausgewogen zwischen Männern und Frauen, zwischen Jung und Alt und zwischen den Generationen, die in Pension sind, und den Generationen, die heute noch zur Schule gehen und erst ins Arbeitsleben eintreten werden.

Sehr geehrte Damen und Herren! Ich bin guten Mutes, dass diese Bundesregierung in dreieinhalb Jahren, wenn diese Legislaturperiode zu Ende gehen wird, von der österreichischen Bevölkerung wiedergewählt werden wird. (Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP.)

13.16


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Präsident Dr. Heinz Fischer:
Nächster Redner ist Herr Abgeordneter Dr. Pilz. Er hat das Wort. (Abg. Dr. Martin Graf: Vier Donaustädter! Aus Kaisermühlen!)

13.16

Abgeordneter Dr. Peter Pilz (Grüne): Herr Präsident! Herr Bundeskanzler – abwesend! Frau Vizekanzlerin – auch nicht mehr da! Ich hoffe angesichts der sich leerenden Regierungsbank nur, dass aus einer Bundesregierung der "Anständigen und Tüchtigen" keine Bundesregierung der "Abgängigen und Flüchtigen" wird (Heiterkeit), sondern dass der Herr Bundeskanzler und die Frau Vizekanzlerin bald wieder den Weg zurück ins Plenum des Nationalrates finden werden, wo sie sich eigentlich die Debatte über die Regierungserklärung anhören sollten. Es ist nicht unbedingt guter Stil, eine Erklärung abzugeben und dann fluchtartig den Saal zu verlassen, aber das mögen sie selbst rechtfertigen.

Herr Kollege Haupt! Die Frage der Sanktionen der Europäischen Union werden wir sehr genau, sehr differenziert und sehr verantwortungsvoll besprechen müssen. Es besteht nämlich eine wirklich große Gefahr: dass sich die Sanktionen und der Boykott ausweiten zu Sanktionen gegen die österreichische Bevölkerung und zu einem Boykott der österreichischen Wirtschaft. (Abg. Schwarzenberger: Das würden Sie gerne sehen!)  – Dass das nicht im österreichischen Interesse ist, ist eine Selbstverständlichkeit. Ich behaupte, dass das auch nicht im Interesse der Europäischen Union sein kann, und es wird sehr am Verhalten der österreichischen Politik liegen, die 14 Partnerstaaten in Europa davon zu überzeugen, dass es überhaupt keinen Sinn macht, Maßnahmen zu setzen, die direkt die wirtschaftliche Existenz der Menschen in dieser Republik treffen.

Ich sage Ihnen ganz offen: Wenn Vertreter einer rechtsextremen Partei in eine Regierung aufgenommen werden, dann habe ich politisch Verständnis dafür, dass unsere Partner in den anderen 14 Ländern der EU sagen: Wir wollen mit euch auf politischer Ebene nichts zu tun haben. – Das ist eine Entscheidung, die leider gar nicht schlecht begründet ist, weil es das erste Mal ist, dass es eine Machtübernahme einer rechtsextremen Partei in der Regierung eines Mitgliedstaates der Europäischen Union gibt. (Beifall bei den Grünen. – Abg. Kiss: Kollege Pilz! Wann kommen Sie mit etwas Neuem? Diese Rede haben Sie gestern gehalten! Sie haben sie offensichtlich auswendig gelernt! Das alles haben Sie gestern schon gesagt!)

Aber wir müssen jetzt endlich darüber nachdenken, was wir etwa der Besitzerin eines kleinen touristischen Betriebs aus dem Wipptal antworten, die sich heute in der Früh bei mir im Klub der Grünen telefonisch gemeldet und gesagt hat: Bei uns kommt ein Storno nach dem anderen, und zwar von Stammgästen aus Belgien, den Niederlanden und Frankreich! Herr Dr. Pilz! Was sollen wir tun? Wie geht es weiter mit unserer wirtschaftlichen Existenz? Und was haben wir von der Regierung zu erwarten? – Welche Antwort geben Sie diesen Menschen? (Ironische Heiterkeit bei den Freiheitlichen und der ÖVP.)  – Sie lachen! Sie lachen über die Menschen, die sich heute zu Recht Sorgen machen. (Beifall bei den Grünen und der SPÖ.)

Wenn wir hier ernsthaft darüber reden, was das für die Menschen bedeutet, die nichts für diese Regierungsbeteiligung können, dann gibt es höhnisches Gelächter von Freiheitlichen und von ÖVP-Abgeordneten. Das ist blanker Zynismus, das ist blanke Verantwortungslosigkeit (Beifall bei den Grünen), und an dieser Verantwortungslosigkeit wollen wir wirklich nicht beteiligt sein. (Abg. Jung: Man könnte eher weinen über Ihre Worte! – Abg. Kiss: Das alles haben Sie gestern schon gesagt, ich kann es Ihnen wortwörtlich vorlesen! Es fällt Ihnen nichts Neues ein!)

Meine Damen und Herren! Wenn wir die Regierungserklärung betrachten, dann fällt zweierlei auf: Zum Ersten ist es eine Regierungserklärung, bei der die Regierung nicht erklären kann, wie sie zentrale Punkte davon überhaupt umsetzen will. Alles, was über die Grenzen Österreichs hinausgeht, setzt ein Mindestmaß an außenpolitischer Handlungsfähigkeit voraus. (Abg. Dr. Martin Graf: Und die haben gerade Sie!)

Herr Dr. Schüssel! Sie haben bis heute nicht erklären können, wie Sie angesichts einer Situation, in der Sie international unter Quarantäne gestellt worden sind, Ihre Handlungsfähigkeit wieder herstellen wollen. Sie können nicht erklären, wie Sie mit Partnern, die jeden Kontakt mit


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Ihnen verweigern, sinnvolle Gespräche und Verhandlungen führen wollen. Sie können nicht erklären, wie Sie überhaupt mit Gerhard Schröder, mit Tony Blair, mit Jacques Chirac und vielen anderen Kontakt aufnehmen können. Niemand will mit Ihnen reden! Wie wollen Sie Österreich vertreten, wenn Ihnen niemand mehr zuhört? (Abg. Kiss: Dieselbe Rede wie gestern! Sie haben gestern dasselbe gesagt wie heute! Er hat die Rolle nur einmal gelernt, spielt sie aber öfter!)  – Das ist der erste Punkt. Und Sie sind bis heute nicht in der Lage, daraus einen einzigen Ausweg zu weisen.

Dann gibt es einen zweiten Punkt, und dieser zweite Punkt hat mit der Substanz der Regierungserklärung zu tun. Wenn man eine Regierungserklärung bespricht, dann ist es sehr wichtig, nicht nur darüber zu reden, was drinnen steht, sondern auch darüber, was sachlich nicht drinnen steht. Und ich habe nach einem Begriff in dieser Regierungserklärung gesucht, und der heißt Armut. (Abg. Dr. Khol: Der Bundeskanzler hat von Armut gesprochen!)

In Österreich gibt es laut Bericht des Sozialministeriums etwa eine Million Menschen, die an oder unter der Armutsgrenze leben. Allein in der Bundeshauptstadt Wien gibt es 350 000 Menschen, die an oder unter der Armutsgrenze leben! (Abg. Dr. Martin Graf: Weil die SPÖ seit 30 Jahren regiert!)  – Ja, da gibt es auch eine gewaltige Verantwortung der Sozialdemokratie, weil das nicht etwas ist, was in den letzten Tagen entstanden ist. Aber Armutsbekämpfung erwarte ich mir von jeder Bundesregierung, wenn das eine Million Menschen in der gesamten Republik und 350 000 in Wien betrifft, davon allein in Wien 40 000 Kinder, die an oder unter der Armutsgrenze leben. Aber im Regierungsprogramm hört man kein Wort davon. (Abg. Dr. Martin Graf: Deswegen wohnen Sie im Gemeindebau!)

Und jetzt sage ich als Gegenbeispiel, was sich sehr wohl darin findet und wofür es Geld gibt. Es fängt auch mit "A" an, aber es ist nicht die Armut, sondern es heißt "Abfangjäger" und "Luftraumüberwachung". Dafür gibt es Geld! Im Regierungsübereinkommen und in der heutigen Regierungserklärung wird klar gemacht, dass die Bundesregierung Mittel für neues Fluggerät zur Luftraumüberwachung zur Verfügung stellt. (Abg. Leikam: Herr Graf! Haben Sie noch die zweite Gemeindewohnung? – Abg. Dr. Martin Graf  – in Richtung des Abg. Leikam –: Fragen Sie den Edlinger! – Weitere Rufe und Gegenrufe zwischen der SPÖ und den Freiheitlichen.) Wissen Sie, dass zwei Staffeln moderner Abfangjäger etwa 15 Milliarden Schilling kosten werden? Wie können Sie angesichts einer Million Menschen an oder unter der Armutsgrenze in einer Regierungserklärung verkünden, Sie haben 15 Milliarden Schilling für Abfangjäger übrig?! (Beifall bei den Grünen.) Wie geht das, und wie wollen Sie das den Menschen klar machen?!

Mein Vorschlag wäre: Nehmen Sie die Abfangjäger raus, und schreiben Sie die Armutsbekämpfung rein! Das wäre eine der schönsten Verbesserungen, die Sie an diesem Regierungsprogramm vornehmen könnten. Ich befürchte, Sie werden es nicht tun.

Jetzt zur Handlungsfähigkeit der Regierung. Herr Bundeskanzler, wir haben gestern eine Dringliche Anfrage an Sie gerichtet, detaillierte Fragen gestellt und darauf eine Serie ausweichender Antworten bekommen. Die Schlüsselfrage war: Warum haben Sie, um Bundeskanzler werden zu können, den jetzt entstandenen wirtschaftlichen und politischen Schaden so einfach in Kauf genommen?

Eine Antwort – das ist heute bereits diskutiert worden – darauf hätte lauten können: Um Gottes willen, wir haben nicht gewusst, was wir getan haben, wir sind von den Folgen völlig überrascht worden! – Das wäre ein Beweis für eine völlig gescheiterte Außenpolitik und Diplomatie und auch keine besonders gute Begründung dafür, warum ein Außenminister, der die bedrohlichste Entwicklung für Österreich seit 1945 verschlafen hat, unbedingt Bundeskanzler werden muss. Wenn er nicht einmal in der Lage war, rechtzeitig etwas gegen die drohenden Sanktionen zu unternehmen, warum soll er mit ähnlichem Verantwortungsgefühl und fachlich ähnlicher Qualifikation dann als Bundeskanzler die gesamte Bundesregierung, den gesamten Staat Österreich führen?


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Es gibt aber auch eine zweite Antwort: Er hat alles gewusst, er hat es bewusst in Kauf genommen und hat die Öffentlichkeit falsch informiert. (Abg. Mag. Kukacka: Sie haben gestern nicht zugehört!)

Nun gibt es dazu einen Vorschlag von Jörg Haider. Selten sind wir gezwungen, einen sachlichen Vorschlag Jörg Haiders ernsthaft zu diskutieren, aber diesmal macht es Sinn. Es gibt den Vorschlag von Jörg Haider, einen Untersuchungsausschuss zur Untersuchung der Vorkommnisse der letzten Wochen einzurichten.

Meine Damen und Herren! Seit der gestrigen Beantwortung oder Nichtbeantwortung der Dringlichen Anfrage sind wir sehr dafür, dass es zu diesem Untersuchungsausschuss kommt, denn es gibt allein über die Vorkommnisse des 31. Jänner hier in Wien etliches zu untersuchen. – Ja, ich bin dafür, dass alles über die politische Verantwortung des ehemaligen Bundeskanzlers untersucht wird! Wir als grüne Fraktion haben nicht den geringsten Grund, uns vor die Sozialdemokratie zu stellen und zu sagen, das darf nicht untersucht werden. Das soll untersucht werden! Aber es soll auch untersucht werden, was am 31. Jänner hier in Wien passiert ist.

Gestern hat der ehemalige Außenminister Dr. Schüssel zum ersten Mal einen wesentlichen Hinweis zur Chronologie dieses Tages geliefert. Lassen Sie mich rekapitulieren: Da geht um 17 Uhr ein Parteichef und damals noch Außenminister zum Bundespräsidenten und verhandelt. Um 17.45 Uhr kommt eine Eilt-Meldung der APA, in der steht, die portugiesische Präsidentschaft hat drei Sanktionen verhängt. Kurz danach kommt der Parteichef und damalige Außenminister aus dem Büro des Präsidenten, tritt vor die internationale Presse, wird dazu befragt, sagt: Ich konnte die APA-Meldung noch nicht studieren und kann deswegen jetzt dazu nichts sagen! – und geht.

Ich habe im Außenministerium recherchiert, ich habe bei der österreichischen Botschaft in Lissabon recherchiert und kann Ihnen jetzt einiges zusätzlich sagen. (Zwischenrufe bei der ÖVP.)

Gestern hat Dr. Schüssel hier zum ersten Mal öffentlich eingestanden, dass er bereits um 13 Uhr vom portugiesischen Außenminister über die Sanktionen informiert worden ist. (Die Abgeordneten Kiss und Großruck: 15 Uhr!) Kurz danach hat das Außenministerium den österreichischen Botschafter in Lissabon angewiesen, vorstellig zu werden und die Erklärung der portugiesischen Präsidentschaft einzuholen. Der österreichische Botschafter in Lissabon hat daraufhin das Büro des Präsidenten und des Außenministers in Lissabon ersucht, den Text der Erklärung zur Verfügung zu stellen.

Herr Dr. Schüssel erklärt uns heute, soweit ich das nachvollziehen kann, er habe damals auf dem Weg zurück vom Bundespräsidenten öffentlich nicht über den Inhalt des Gesprächs mit dem portugiesischen Außenminister informieren können, weil er an Vertraulichkeit gebunden war. Der österreichische Botschafter in Lissabon sagt aber, die Antwort der Präsidentschaftskanzlei in Lissabon war: Ja, wir haben den ganzen Text ohnehin schon längst der Presse gegeben, Sie können ihn selbstverständlich auch von uns haben. – Da hat es nie Vertraulichkeit gegeben, die Portugiesen haben das gleich an die Öffentlichkeit und die Medien gegeben. Das stimmt also offensichtlich so nicht. (Abg. Mag. Kukacka: Ja, und? – Abg. Donabauer: Sie haben eine bewundernswerte Phantasie!)

Wir wollen jetzt endlich einmal wissen, was da passiert ist! War es denn nicht so, dass der damalige Außenminister längst gewusst hat, dass diese Sanktionen bevorstehen, und es ein Wettlauf war, nach dem Motto: Kriegen wir die Unterschrift und die Zustimmung des Bundespräsidenten zur Regierungsbildung so schnell, dass die Sanktionen erst nachher kommen, dann haben wir wenigstens die Regierung, und irgendwie tauchen wir schon durch, oder ist die Europäische Union schneller? War das nicht in Wahrheit ein Wettlauf zwischen der Europäischen Union mit Sanktionsdrohung und einer beschleunigten Regierungsbildung? (Abg. Schwarzenberger: Die Regierung ist erst am Freitag angelobt worden!)

Sind da Schüssel und die portugiesische Präsidentschaft um die Wette gelaufen? Und war Schüssel dann überrascht, dass die portugiesische Präsidentschaft eine Handlungsfähigkeit,


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eine Schnelligkeit der Handlungen von 14 Staaten zustande gebracht hat, wie sie in der EU bisher eher unüblich waren? War das der Punkt? (Abg. Großruck: Die Gebrüder Grimm sind Wahrheitsfanatiker im Vergleich zu Ihnen! – Heiterkeit.)

Wenn das der Punkt war, meine Damen und Herren, dann lassen Sie uns das gemeinsam untersuchen! Das ist noch nicht der Tag, an dem wir sagen können, die politische Verantwortung ist geklärt, und es sind folgende Konsequenzen zu ziehen. Vielleicht gibt es für diese Fakten auch ganz andere Erklärungen. Ich halte das für möglich. Und ich halte es auch für möglich, dass die Beteiligten ihr Verhalten erklären können und dass das dann einen anderen Sinn ergibt. Das wäre wahrscheinlich für diese Republik auch wesentlich besser als das, was derzeit im Raum steht.

Es gibt einen einzigen Weg, das sauber zu klären, und das ist der parlamentarische Untersuchungsausschuss. (Ironische Heiterkeit bei der ÖVP. – Abg. Mag. Kukacka: Sowas! Ich bin so überrascht! – Abg. Kiss: Direkt baff!) Auch wenn die Freiheitlichen heute aus irgendeinem Grund nicht dazu bereit sein sollten, wir sind dazu bereit. Wir werden heute einen Antrag auf Einsetzung eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses einbringen, und wir werden mit Ihnen, meine Damen und Herren von der Freiheitlichen Partei, die Nagelprobe machen: Gilt das, was Jörg Haider versprochen hat, oder gilt es nicht? Stehen die Freiheitlichen zu ihrem Wort, oder werden die Hälse gewendet, weil der Regierungspartner jetzt feststeht? Heute Abend bei der Abstimmung werden wir wissen, wie es mit den freiheitlichen Hälsen ausschaut. Ich jedenfalls bin darauf schon gespannt!

Zum Schluss möchte ich eine Befürchtung äußern: Die freiheitlich-konservative Regierungskoalition wird die sozial Schwachen, die Frauen und viele andere in einem bisher noch nicht ganz klaren Maße negativ treffen. Es gibt aber auch Einzelpersonen, die bereits betroffen sind. Sie kennen den Fall eines Redakteurs der "Oberösterreichischen Nachrichten". Er ist bereits öffentlich besprochen worden; ich möchte das nicht wiederholen.

Ich schildere einen zweiten Fall. Im Residenz-Verlag ist der langjährige Verlagsleiter, Herr Jochen Jung, überraschend gekündigt worden. Man kann über jede Kündigung diskutieren, aber über eines kann man nicht diskutieren, und ich zitiere dazu aus einem Interview in der Zeitschrift "Format" mit Herrn Jung. (Abg. Dr. Puttinger: Vor wie viel Wochen war das?)

Er wird in der aktuellen Ausgabe des "Format" gefragt: Wegen der Regierungsbildung macht Ihre Ablöse keine Schlagzeilen. Nur ein Zufall? – Jung: Sicherlich nicht. Herr Sedlaczek hat mir gleich gesagt, dass unter den jetzigen politischen Verhältnissen meine Entlassung sicher nur als Petitesse gesehen wird. Es gibt im Moment keinen politischen Ansprechpartner. (Abg. Kiss: Sedlaczek sagt: Minus 50 Prozent Umsatz in den letzten zehn Jahren, Herr Pilz! Vom Gewinn gar nicht zu reden!)

So wird im Bundesbereich gekündigt. So werden im Bundesbereich Menschen, die sich in der Literatur und im Literaturverlagswesen einen Namen gemacht haben, entfernt. Und ich ersuche dieses Haus, auch diesen Entwicklungen sehr, sehr viel Aufmerksamkeit zu schenken. (Abg. Dr. Puttinger: Minus 50 Prozent Umsatz!)

Das Gefühl der Bedrohung, das nicht nur die Menschen im Ausland, sondern immer mehr Menschen auch im Inland haben, das Gefühl einer Bedrohung auch im Berufsleben, einer direkten persönlichen Bedrohung durch eine Regierungskoalition, die über persönliche und politische Unabhängigkeit und Selbständigkeit wahrscheinlich andere Ansichten hat als wir und viele andere, verdient eine große öffentliche Wachsamkeit. Und ich garantiere Ihnen hier vom Rednerpult aus: Wenn es andere nicht tun, dann werden wir Grüne für diese Wachsamkeit sorgen. – Danke. (Beifall bei den Grünen. – Abg. Mag. Kukacka: Das war eine Büttenrede!)

13.33

Ankündigung eines Antrages auf Einsetzung eines Untersuchungsausschusses

Präsident Dr. Heinz Fischer: Es liegt mir ein Antrag der Parlamentsfraktion der Grünen vor, gemäß § 33 Abs. 1 GOG einen Untersuchungsausschuss zur Untersuchung der Gründe, Ur


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sachen, zeitlichen Abfolge und politischen Verantwortlichkeit für die außenpolitische Isolation Österreichs einzusetzen. Es wird beantragt, dass dieser Untersuchungsausschuss aus elf Mitgliedern bestehen soll: 4 Sozialdemokraten, 3 von der ÖVP, 3 Freiheitliche und ein Grüner.

Ferner liegt das von fünf Abgeordneten gemäß § 33 Abs. 2 GOG gestellte Verlangen vor, über diesen Antrag eine Debatte durchzuführen. Nach § 33 Abs. 2 der Geschäftsordnung werden im Hinblick auf die Struktur der heutigen Sitzung die Debatte und die anschließende Abstimmung nach Erledigung der Tagesordnung dieser Sitzung durchgeführt werden. Die Anträge sind ordnungsgemäß unterfertigt.

*****

Zu Wort gemeldet hat sich weiters der Herr Bundeskanzler. Ich erteile es ihm.

13.35

Bundeskanzler Dr. Wolfgang Schüssel: Hohes Haus! Ich kann und will nicht zur Frage Untersuchungsausschuss Stellung nehmen. Es ist Sache der Parlamentarier, darüber zu befinden. Dazu gäbe es rechtlich vieles zu sagen, aber das werden Sie selbst beurteilen.

Ich möchte nur zu den Ausführungen des Herrn Abgeordneten Pilz, der hier wiederum eine ungeheure Geschichte aufgetischt hat – über das, was alles geschehen ist, über die Hintergründe und den "Wettlauf" der portugiesischen Präsidentschaft mit dem Regierungsbildungsauftrag –, einige sachdienliche Aufklärungen – noch einmal; ich habe es öffentlich ja schon getan – geben.

Erstens: Österreich war in keiner Art und Weise in eine Willensbildung der 15 EU-Mitgliedstaaten eingebunden; jedenfalls nicht das Außenministerium, ich glaube aber auch nicht das BKA. – Das ist der erste Punkt.

Das Zweite ist, dass wir über den Brief der Belgier nie direkten Kontakt bekommen haben. Wir haben ihn nie gesehen, wir haben nur davon gehört, dass es diesen Brief gibt, und haben uns rechtzeitig – das war der Grund, warum sich die Frau Staatssekretärin bei den Portugiesen erkundigt hat – danach erkundigt, wie diese darauf reagieren, was da sozusagen kommt.

Dann kam – am Samstag Abend – ein Anruf vom Ratsvorsitzenden, in dem sehr allgemein von Besorgnis gesprochen wurde – genau das, was in der Dokumentation des Herrn Bundespräsidenten auch immer beschrieben wurde.

Am Montag kam ein weiterer Anruf, wie ich es übrigens nicht gestern zum ersten Mal öffentlich erwähnt habe; da haben Sie nur einiges nicht mitbekommen, ich habe das in Pressekonferenzen von vornherein immer klargestellt. Ich habe am Montag im Laufe des frühen Nachmittags einen weiteren Anruf erhalten. Ich habe mir nicht aufgeschrieben, zu welcher Uhrzeit das genau war, aber es war im Laufe des frühen Nachmittags. Ich saß jedenfalls noch beim Mittagessen, und das dehnt sich in der Regel nicht allzu lange aus. Da kam ein Anruf von Jaime Gama, der mich mündlich von diesen drei Maßnahmen informiert und hinzugefügt hat, das seien noch nicht publizierte Maßnahmen, der Entschluss sei noch nicht getroffen. Er wolle uns das rechtzeitig sagen, um das später Eingetroffene zu verhindern, und er bat mich daher, diese Dinge vertraulich zu behandeln.

Daran habe ich mich selbstverständlich gehalten, zumal das eine mündliche Information war und der genaue Wortlaut der Beschlüsse – darin, dass es da auf jedes Wort ankommt, werden Sie mir Recht geben – wichtig zu wissen ist.

Ich bin dann am Nachmittag beim Herrn Bundespräsidenten gewesen; das stimmt. Vor mir war Jörg Haider dran, zwei Stunden später bin ich drangewesen. Und während ich beim Herrn Bundespräsidenten gewesen bin, ist eine APA-Meldung gekommen. Ich kam heraus und wurde von einigen Journalisten gefragt: Was sagen Sie dazu?

Selbstverständlich habe ich gesagt, ich kenne diese APA-Aussendung noch nicht. Ich werde Stellung nehmen, wenn ich sie gelesen habe und wenn ich Rücksprache mit dem portugiesischen Ratspräsidenten gehalten habe. Das habe ich auch getan. Ich habe ihn am Abend in


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Moskau erreicht und habe mich sehr darüber beklagt, dass diese mir zugesagte oder uns angebotene Vertraulichkeit nicht eingehalten wurde. Er hat sich vielmals dafür entschuldigt und gesagt, das war eine Panne. Der Druck war enorm stark, und er konnte mich nicht mehr erreichen, um mir diese geänderte Linie der portugiesischen Präsidentschaft mitzuteilen.

So war es. Von einem "Wettlauf" kann daher überhaupt keine Rede sein. Herr Abgeordneter Pilz, klappen Sie den Krimi dieses Kapitel betreffend gleich wieder zu! Am Montag haben wir nämlich gar keinen Regierungsbildungsauftrag bekommen: weder ich noch Jörg Haider. Das ist am Donnerstag der gleichen Woche geschehen. Dafür brauchen Sie keinen Untersuchungsausschuss einzusetzen, diese Dinge sind allgemein bekannt. Hören wir auf, da Krimis von hinten nach vorne zu lesen und rückzuinterpretieren. Fragen Sie mich, ich gebe Ihnen jederzeit offen Auskunft! Da ist nichts zu verbergen. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

13.38

Präsident Dr. Heinz Fischer: Nächster Redner ist Herr Abgeordneter Schwarzböck. Die Uhr ist wunschgemäß auf 15 Minuten gestellt. – Bitte.

13.38

Abgeordneter Rudolf Schwarzböck (ÖVP): Herr Präsident! Herr Bundeskanzler! Meine sehr geehrten Damen und Herren der Bundesregierung! Österreich wird seit fünf Tagen neu regiert. Die neue Bundesregierung hat die Arbeit zu einem Zeitpunkt aufgenommen, zu dem auch in der Europäischen Union – mit 1. Jänner 2000 – mit einem völlig neuen Programm, der Agenda 2000, eine neue europapolitische Periode begonnen wurde.

Erstmals konnte Österreich – nach seinem Beitritt und der Notwendigkeit, in einer laufenden Periode einzusteigen – an dieser Agenda 2000 maßgeblich mitverhandeln und sie maßgeblich mitgestalten. Ich persönlich hätte viel Sinn darin gesehen, dass jene Regierungsmitglieder, die auf europäischer Ebene an dieser Agenda maßgeblich mitgewirkt haben, auch weiter an der Umsetzung hätten arbeiten können. Ich war kein Vorreiter der neuen Regierungszusammenarbeit, seit 17. und besonders seit 21. Jänner sehe ich die Situation anders. Aber auch aus der Debatte, die wir gestern und heute erlebt haben, ist klar geworden, wie notwendig neue Verhältnisse in Österreich seit dem 3. Oktober geworden sind. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

Ich sage nicht, dass es ausschließlich diese Form der Regierung gegeben hätte; es hat auch andere Möglichkeiten gegeben. Ich frage Sie, meine Damen und Herren von der SPÖ und meine Sozialpartner in der SPÖ – Präsident Verzetnitsch hat mir mitgeteilt, dass er zu einer Klubsitzung muss; ich werde die Diskussion mit ihm noch öfter führen müssen –, wie Sie den Regierungschefs der sozialdemokratischen Regierungen der 14 erklären, dass Sie dieses Programm nicht mittragen konnten. (Abg. Dr. Mertel: Die Basis wollte es!) Werden Sie Schröder, Eichel, Guterres, Persson, Lipponen oder anderen Sozialdemokraten erklären können, dass diese Inhalte der Grund waren, der Sie dazu gezwungen hat, die Verhandlungen mit der ÖVP abzubrechen? (Abg. Reitsamer: Der Grund war ein anderer! – Abg. Dr. Mertel: Scheinverhandlungen!)

Werden Sie einem Minister Eichel und einen Bundeskanzler Schröder erklären können, dass es für Sie unmöglich war, nach 30 Jahren mit einem sozialdemokratischen Finanzminister einen unabhängigen Fachmann in das Finanzministerium zu holen? – Ich persönlich habe mit Minister Edlinger gut und korrekt zusammengearbeitet. Ich habe ihm nicht viel vorzuwerfen; wenn, dann nur das, was zur politischen Unterschiedlichkeit, wenn man unterschiedlichen Parteien angehört, eben dazugehört.

Meine Damen und Herren! Wenn das die Gründe waren, dann sage ich Ihnen ganz offen: Wir werden nach einer Aufforderung von Präsident Verzetnitsch selbstverständlich versuchen, Präsident Chirac und Ministerpräsident Aznar zu erklären, dass Ihre Absage zu diesen Inhalten zur neuen Regierungssituation in Österreich geführt hat. (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der Freiheitlichen.)


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9. Sitzung / Seite 70

Meine Damen und Herren! Ich darf ohne Überheblichkeit sagen, dass ich in Situationen, die für die Republik wichtig waren, als Repräsentant der Sozialpartner oder in Parteienverhandlungsteams dabei war, in denen es ähnliche Situationen gegeben hat. Manche sind sogar nachzulesen, etwa die Forderung von Minister Lacina bei den EU-Verhandlungen in Brüssel, dass ohne mein Ja zum Verhandlungsergebnis, ohne dass ich bei einer einzigen Verhandlung mit der österreichischen Delegation dabei sein konnte, ohne ein Ja von mir als Bauernvertreter keine Integration aus Sicht der SPÖ stattfinden wird. Wir konnten ein Verhandlungsergebnis erzielen, zu dem ich heute noch stehe. Mich freut es, dass diese Regierungspartnerschaft eine Änderung der Position der Freiheitlichen von fundamentaler Oppositions-Europapolitik zur Mitverantwortung herbeigeführt hat. (Beifall bei der ÖVP. – Abg. Dr. Mertel: Flexibel sind sie!)

Ich weiß aus Erfahrungen am eigenen Leib – ich habe das oft schon in meiner Verantwortung als Parlamentarier und Sozialpartner, als Parteienverhandler gespürt –, wie schwer es ist, im Interesse des Ganzen persönliche Standpunkte zurückzustellen. Daher hat es mir wehgetan – ich sage das ganz offen –, dass Präsident Verzetnitsch mit uns jetzt nicht – aber ich hoffe, wir können das in der Sozialpartnerschaft tun – das intensiver weitergeführt hat, was an der Spitze der gewerkschaftlichen Forderungen einer Bundesregierung gegenüber stehen müsste. Ich habe aufmerksam zugehört. Präsident Verzetnitsch, mit dem ich ein korrektes Zusammenarbeitsverhältnis habe, hat beklagt, dass bei der Urlaubsaliquotierung, wenn sie schon Gesetz wäre, Mütter bereits jetzt aus den Energieferien zurückkommen müssten, wenn sie Anfang des Jahres ein Arbeitsverhältnis eingegangen wären.

Meine Damen und Herren! Wir haben Hunderttausende Familien in diesem Land, die nie in den Energieferien Ferien machen können. Wir haben Hunderttausende Familien in verschiedenen Berufsgruppen, im Arbeitnehmerbereich, bei den Bauern, im Bereich der Kleingewerbetreibenden, die sich Urlaub fast nie leisten können. Dort haben wir Partnerschaft zu beweisen. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen. – Zwischenruf der Abg. Reitsamer. )

Ich sage Ihnen ganz offen: Wenn das größte Problem unserer Partnerschaft darin liegt, dass einen Monat nach Arbeitsantritt nach den längsten Weihnachts- und Neujahrsferien, die wir je hatten, und unter Umständen der Tatsache, dass vorher gar kein Arbeitsverhältnis bis zum 31. Dezember gedauert hat, weil Resturlaube konsumiert werden hätten können oder weil unter Umständen gar keine Arbeit zur Verfügung war, dann bitte ich Herrn Präsident Verzetnitsch in sozialpartnerschaftlicher Tradition: Wenden wir uns den sozialen Problemen der Republik zu! (Abg. Verzetnitsch: Gerne!) Aber ich kann als Bauernvertreter kein Problem darin sehen, dass eine Arbeitnehmerin oder ein Arbeitnehmer, die beziehungsweise der am 2. Jänner zu arbeiten begonnen hat, rechtlich den Urlaubsanspruch einfordert, obwohl sowieso 99 Prozent solche Probleme in freier Vereinbarung lösen können, ich kann da keinen Sozialabbau sehen.

Meine Damen und Herren! Daher bin ich froh darüber, dass wir im Bereich der europapolitischen Aufgabe dahin gehend Übereinstimmung gefunden haben, dass die wichtigen Fragen, die wir im Europa-Vertrag, die wir in der Agenda 2000 übereinstimmend sichergestellt haben, behandelt werden, dass wir in Europa auch unter momentan erschwerten Bedingungen mit dieser Regierung ein klares Bekenntnis zum ländlichen Raum, zur ländlichen Entwicklung abgeben. Ich möchte mir nicht gerne namens der Bauern vorhalten lassen, dass wir hier Geschenke bekommen hätten. Die Ausfinanzierung des Bergbauernsockelbetrages, die Ausfinanzierung der ÖPUL-Maßnahmen waren auch mit den Vertretern der Sozialdemokratie paktiert und gehen auf einen Ratsbeschluss der Agenda 2000 unter Mitwirkung von Bundeskanzler Viktor Klima im März 1999 zurück.

Meine Damen und Herren! Ich bin auch froh darüber – das sage ich ganz offen –, dass wir einige unhaltbare soziale Ungerechtigkeiten mit diesem Regierungsübereinkommen beseitigen wollen. Wir bekennen uns klar zum Karenzgeld für alle, und ich freue mich darauf, wenn wir den alten Bäuerinnen und Bauern helfen können, denen wir nie erklären konnten, dass ein fiktives Ausgedinge 30 Jahre nach Einführung der Bauernpension immer noch angerechnet wird und dazu führt, dass Tausende mit 5 000 S und weniger leben müssen, und dass das nicht linderbar ist. Ich weiß nicht, ob wir das in einem Schritt "heben" werden, aber jedes Signal in diese Richtung ist eine Anerkennung des Lebenswerks von bäuerlichen Berufskollegen, die sich um


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diese Republik verdient gemacht haben. (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der Freiheitlichen.)

Ich freue mich – und ich sage dazu, das wäre auch in diesem Parteienübereinkommen möglich gewesen; erstmals nach jahrelangem Verlangen –, dass wir nun gerade jenen Bauern, die die internationale Herausforderung annehmen und sich mit Spezialkulturen auseinandersetzen, die einen hohen Handarbeitsaufwand auch in Hinblick auf Qualitätssicherung erfordern, mit 7 000 zusätzlichen Erntehelfern für sechs Wochen mit vereinfachten Verfahren Unterstützung geben und dass wir damit auch ein deutliches Signal unserer partnerschaftlichen Haltung zu unseren Nachbarn geben können. Ich habe bereits einige Tage nach Bekanntwerden – noch während der Verhandlungen um die Fortsetzung der großen Koalition – von Jungagrariern aus Tschechien einen freudigen Brief erhalten, die sofort kommen möchten, weil sie darauf gewartet haben, als Studenten wenigstens vier oder sechs Wochen in Österreich westlich orientierte EU-Landwirtschaft auch in der praktischen Arbeit kennen lernen zu dürfen.

Ich hätte hier noch eine Reihe von wichtigen Aussagen zu treffen, etwa dass es uns wichtig war, dass nach der monatelangen Blockade betreffend Biodiesel nun in diesem Regierungsübereinkommen ein übereinstimmend klares Bekenntnis getroffen wurde, dass im Bereich der Abwicklung der EU-Agrarmarktordnung nach fünf Jahren Erfahrung im Bereich der Verhältnismäßigkeit von Sanktionen zu Förderungsproblemen in der EU-Politik Möglichkeiten eröffnet werden.

Zum Schluss kommend: Meine Damen und Herren, ich hoffe, dass wir das, was wir als gemeinsame internationale Aufgabe haben, auf einem übereinstimmenden Grundkonsens, der dieses Land jahrzehntelang ausgezeichnet und auf die Erfolgsstraße geführt hat, bald auch wieder in diesem Haus spürbar erarbeitet haben werden. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

Da haben gerade wir als Repräsentanten der Sozialpartnerschaft, die sich lange vor dem Wechsel in einem tiefen Wandel befunden hat, eine große Verantwortung einzubringen – nicht nur im harten Durchsetzen unserer Forderungen, sondern auch in der Bereitschaft, das Wohl dieses Landes in einem funktionierenden Ganzen mitzutragen, und wenn es notwendig ist, etwas auf den Tisch zu legen und nichts mit nach Hause nehmen zu können. Auch das gehört dazu. (Neuerlicher Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

Da gehe ich eigentlich davon aus, dass wir zu dem kommen, was von uns als Volksvertretern in unserer Verantwortung gefordert ist, dass wir nämlich, auch wenn es noch so schwer ist, wenn noch so große Wunden bluten – innerlich, Gott sei Dank, nicht äußerlich –, das tragende Ganze, das uns jahrzehntelang verbunden hat, aufrecht erhalten. Ich bin in den letzten Tagen von Kollegen aus der Sozialpartnerschaft der SPÖ oft gefragt worden, wie es mir als ehemals überzeugtem Großkoalitionär in dieser Regierungszusammenarbeit geht. Ich sage, ich wende mich einer fairen Partnerschaft mit den Freiheitlichen zu, weil es außer Neuwahlen keine Alternativen gegeben hat. Und diese hätten das Problem nicht gelöst. (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der Freiheitlichen.)

Ich möchte Sie aber einladen: Nützen auch Sie Ihre Möglichkeiten, und klammern Sie sich nicht ausschließlich an die Hoffnung, dass Sie nach einem neuen Wechsel mit Pilz und anderen koalieren können (Heiterkeit des Abg. Dr. Khol ), denn sonst müssten wir die Frage unter Umständen irgendwann einmal zurückgeben! Ich weiß nicht, ob es Ihnen allen dann gut gehen würde.

Wenden wir uns unserer gemeinsamen Arbeit zu! Geben wir dieser Regierung eine Chance! Zur parteipolitischen Auseinandersetzung bleibt auch hier noch genug Platz. (Zwischenruf der Abg. Jäger. ) Wenden wir uns dem Problem zu, und erklären wir den Europäern und den Menschen außerhalb Europas, dass dieses Land nach wie vor das ist und bleibt, was zur Bewunderung in der ganzen Welt geführt hat: ein Land mit Massenwohlstand, ein Land mit beispielhaftem sozialem Frieden, das die Kraft hat, in der Demokratie auch das auszutragen und aufzuarbeiten,


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was uns vorgeworfen wird. Aber diese Chance sollte man uns im Inland und im Ausland geben. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

13.50

Präsident Dr. Heinz Fischer: Nächster Redner ist Herr Bundesminister Scheibner. – Bitte.

13.51

Bundesminister für Landesverteidigung Herbert Scheibner: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte vorerst auf die Ausführungen von zweien meiner Vorredner eingehen, die sich zu unserem Regierungsprogramm zu Wort gemeldet haben.

Herr Präsident Verzetnitsch! Ich weiß nicht, in welcher Funktion Sie sich hier gemeldet haben, aber ich glaube, Sie haben das auch in Ihrer Funktion als Präsident des Österreichischen Gewerkschaftsbundes getan, denn als Repräsentant dieser Organisation, dieser wichtigen Organisation, sind Sie hier ja als Abgeordneter vertreten. Ich verstehe es, wenn Sie in dieser Funktion kritische Anmerkungen zu einem Regierungsprogramm machen, das auch einschneidende Maßnahmen im Bereich der Pensionen, aber auch in anderen Bereichen beinhaltet. Das haben wir immer klargestellt. Wir haben aber auch gesagt, warum das so ist, weil es eben ein Budgetloch aufzufüllen gilt, das nicht die Freiheitlichen hinterlassen haben, das nicht diese Regierung hinterlassen hat, sondern eine andere Regierung unter einem SPÖ-Finanzminister war es, die diesen Handlungsbedarf geschaffen hat.

Wir stellen uns auch der Kritik zu den Maßnahmen, wir diskutieren darüber, aber, Herr Präsident Verzetnitsch, dann bleiben auch Sie bei den Fakten. So, wie Sie die Lage hier gebracht haben, kann man nur sagen: Das ist der Versuch, die Bevölkerung zu verunsichern. Wenn Sie sagen ...

Präsident Dr. Heinz Fischer: Herr Bundesminister Scheibner! Sie haben sich nach Maßgabe der Geschäftsordnungsparagraphen zu Wort gemeldet, dass ein Mitglied der Bundesregierung jederzeit das Wort ergreifen kann, so wie auch ein Abgeordneter vom Rednerpult aus. Ich bitte Sie, zu Ihrem Ressort zu sprechen. Das ist, glaube ich, selbstverständlich.

Bundesminister für Landesverteidigung Herbert Scheibner (fortsetzend): Ich brauche noch ein bisschen Umgewöhnungszeit, Herr Präsident, von meiner Funktion als Abgeordneter zum Bundesminister. (Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP.)

Jedenfalls, Herr Präsident, ...

Präsident Dr. Heinz Fischer: Herr Abgeordneter Scheibner! Vielleicht braucht der Herr Minister Edlinger auch ein bisschen Umgewöhnungszeit, dann steht es wieder gleich. (Allgemeine Heiterkeit.)  – Jetzt sind Sie als Minister am Wort!

Bundesminister für Landesverteidigung Herbert Scheibner (fortsetzend): Herr Präsident! Wir ersuchen um etwas Toleranz am ersten Tag der Debatte.

Herr Kollege Pilz hat kritisiert, dass es Aufwendungen im Regierungsprogramm gibt, die vorsehen, Luftraumüberwachungsflugzeuge anzuschaffen, und er hat das den Maßnahmen im Sozialbereich gegenübergestellt.

Meine Damen und Herren! Ich halte es für nicht gerechtfertigt, das eine mit dem anderen aufzurechnen. Das haben wir leider immer wieder gehört, aber wenn es der Fall ist, dass man diese Dinge im Bereich der Sicherheit und der Landesverteidigung wirklich braucht, dann hört man diese Diskussionen plötzlich nicht.

Ich kann mich noch gut daran erinnern, als Herr Kollege Pilz – er ist jetzt gerade nicht im Saal –, vehement gegen die Anschaffung der Draken zu Felde gezogen ist, auf die Straße gegangen ist, demonstriert hat. Ich habe aber damals nichts von den Kritikern gehört, als die Bevölkerung zu Recht im Jahre 1991 während der Slowenien-Krise nach genau diesen Draken verlangt hat, als man nämlich über Graz gesehen hat, dass serbische MiG unser Hoheitsgebiet überflogen haben. (Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP.)


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Man kann auch darüber diskutieren, ob es sinnvoll und notwendig ist, für das Bundesheer Hubschrauber anzuschaffen. Das kostet viel Geld: 2,5 Milliarden Schilling, aber ich habe niemanden gehört, der diese Investition in Frage gestellt hat, als vor einem Jahr die Bevölkerung zu Recht gefordert und ersucht hat, dass Hubschrauber nach Galtür fliegen, um die dort eingeschlossene Bevölkerung zu evakuieren, ehe die nächste Lawine die Überlebenden auch noch bedroht hätte.

Das ist das Wesen der Sicherheitspolitik, meine Damen und Herren: Man muss in guten Zeiten, in friedlichen Zeiten dafür Vorsorge treffen, dass man dann, wenn wirklich etwas passiert, auch die entsprechenden Maßnahmen setzen kann, um Unheil von der Bevölkerung Österreichs abzuwenden. (Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP.)

Wir haben deshalb in diesem Regierungsprogramm der Sicherheitspolitik und der Landesverteidigung sehr breiten Raum gewidmet. In der Sicherheitspolitik bekennen wir uns ganz klar und deutlich zur vollberechtigten Teilnahme Österreichs am Aufbau einer europäischen Sicherheits- und Verteidigungsstruktur. Wir alle waren überrascht – ich sage das auch als oftmaliger Kritiker der Europäischen Union –, dass wohl angesichts der Katastrophe im Kosovo die Europäische Union beim Gipfel von Köln erstmals klare Worte gefunden, klare Strategien und auch einen Zeitplan für die Umsetzung einer derartigen europäischen Sicherheitsstruktur festgehalten hat. Es sollte für uns das oberste Ziel sein – denn diese Zeitpläne sind bereits mit einem Jahr bemessen –, dass wir Österreicher hier voll berechtigt mitmachen. Wir haben uns auch in diesem Regierungsprogramm darauf verständigt, dass wir versuchen werden, in den Verhandlungen bei der Umsetzung auch die Beistandsgarantie der Europäischen Union festzulegen und festzuhalten.

Das ist immer wieder ein Diskussionspunkt. Da wird immer gefragt: Warum sollen wir denn anderen Staaten Beistand leisten, wenn sie gefährdet sind? – Aber ich bin überzeugt davon – auch die Regierungsvertreter der letzten Regierung haben sich immer dazu bekannt –, dass wir innerhalb der Europäischen Union Solidarität mit den anderen Staaten üben müssen. Gerade ein Kleinstaat wie Österreich muss doch ein besonderes Interesse daran haben, dass er durch diese Beistandsgarantie unter den Schutzschirm der internationalen Staatengemeinschaft kommt. Deshalb ist das unser Ziel, weil wir nur dann kostengünstig und effizient die Sicherheit unseres Landes auf Dauer gewährleisten können. (Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP.)

Wir haben in unserem Regierungsprogramm aber auch verschiedene Parameter festgehalten, die wir für notwendig und wichtig erachten, dass nämlich diese Grundsatzentscheidung – und da soll man keine Tabus kennen, sondern nur den bestmöglichen Weg für die Sicherheit Österreichs wählen –, wenn es um die Beistandsgarantie geht, jedenfalls auch der Bevölkerung Österreichs zur Mitentscheidung in Form einer Volksabstimmung vorgelegt werden muss. Wir haben uns auch dazu gefunden, dass für uns klargelegt ist, dass es auf österreichischem Territorium – egal, wie die künftige Sicherheitspolitik aussehen wird – keine Stationierung von Atomwaffen geben darf (Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP), dass sich Österreich niemals an einem Krieg beteiligen wird (neuerlicher Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP), vor allem aber dazu, dass es immer die Entscheidung Österreichs, des Parlaments, der Bundesregierung sein muss, ob – und wenn ja, in welchem Ausmaß – sich Österreich an internationalen Einsätzen beteiligen wird.

Meine Damen und Herren! Es ist aber, wenn wir uns dazu verständigen, auch unsere Verpflichtung, das österreichische Bundesheer auf diese Aufgaben hin auszurichten. Es war in der Vergangenheit manchmal nicht der Fall, dass man sagen konnte, unsere Soldaten sind bestmöglich vorbereitet in diese Einsätze gegangen. Deshalb haben wir uns auch dazu bekannt, dass das österreichische Bundesheer für uns eine ganz wichtige Institution ist. Ich sage das hier als neuer Verteidigungsminister, aber ich habe das auch in diesem Haus in den letzten neuneinhalb Jahren als Abgeordneter immer gesagt, dass wir als Bundesregierung und Sie als Abgeordnete hier die Verpflichtung haben, dass wir dem Bundesheer, unseren Soldaten, die tagtäglich bereit sind, im Ernstfall ihre Gesundheit und letztlich auch ihr Leben für die Sicherheit dieses Landes aufs Spiel zu setzen, alles geben müssen, was sie brauchen, damit sie bestmöglich den Auftrag, den ihnen die Bundesverfassung gibt, erfüllen können. (Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP.)


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Deshalb haben wir die Finanzierung der Hubschrauber, deren Bedarf man anlässlich Galtür gesehen hat, außer Streit gestellt und gesichert. Deshalb haben wir uns auch darauf verständigt, dass kostengünstig, aber noch in dieser Legislaturperiode die Beschaffung der Luftraumüberwachungsflugzeuge eingeleitet wird. Deshalb haben wir uns auch darauf verständigt, dass schrittweise das Landesverteidigungsbudget auf jenes Niveau angehoben werden muss, das eben notwendig ist, um dem Bundesheer die notwendige Infrastruktur geben zu können.

Vor allem haben wir uns darauf verständigt, dass – im Gegensatz zur Vergangenheit – dem Bundesheer jene geleisteten Aufgaben finanziell ersetzt werden, die es für andere Ressorts mit übernimmt, wie zum Beispiel der Assistenzeinsatz an der burgenländischen Grenze und jetzt auch in Niederösterreich, eine ganz wichtige Leistung für die österreichische Bevölkerung, für die Sicherheit unseres Landes (Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP), aber auch für die in den letzten Jahren stark vermehrten Einsätze im Ausland, bei denen Österreich gezeigt hat, dass es solidarisch am Aufbau einer europäischen Friedensinstitution mitwirkt.

Da haben wir auch gesehen, dass all jene, die behaupten, es werde in Zukunft ohnehin keine Bedrohungen mehr für unser Land geben, leider nicht Recht haben.

Vor zehn Jahren haben wir alle den Niedergang des Kommunismus gefeiert – ich hoffe, dass das doch fast alle hier in Österreich getan haben (Beifall bei den Freiheitlichen und bei Abgeordneten der ÖVP)  –, und wir haben gehofft, dass das Zeitalter von Frieden und Freiheit in Europa anbrechen werde. – Aber: Nur wenige Monate später sind wir alle eines Besseren belehrt worden. Seit fast zehn Jahren tobt in Europa ein furchtbarer Krieg – an verschiedenen Schauplätzen –, der mit einer Grausamkeit geführt wird, die wir hier in Europa für nicht mehr möglich gehalten hätten.

An unseren Grenzen wurde gekämpft, und wir müssen feststellen, dass jeder Konflikt auf unserem Kontinent auch auf Österreich Auswirkungen hat. Deshalb haben wir höchstes Interesse daran, gemeinsam mit der Staatengemeinschaft künftige Konflikte zu vermeiden  – und wenn sie sich schon nicht vermeiden lassen, zumindest alles zu tun, um Aggressoren in die Schranken zu weisen, alles zu tun, damit Menschenrecht nicht Unrecht weichen muss. (Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP.)

Mir ist in diesem Ressort auch wichtig, dass wir mit unserem Bekenntnis zum österreichischen Bundesheer die Aufträge an die Armee neu definieren und dass wir dann aufgrund dieser neu definierten Auftragslage auch über das Wehrsystem und über die Organisation diskutieren, denn auch diesbezüglich ist Handlungsbedarf gegeben. Ich werde deshalb sehr rasch eine Kommission damit beauftragen, die Rahmenbedingungen für eine notwendige Änderung der Organisation und des Wehrsystems zu untersuchen. Es müssen die notwendigen Rahmenbedingungen gegeben sein, und zwar bevor man eine derartige Änderung durchführt.

Als Milizsoldat erlaube ich mir auch, Ihnen zu sagen, dass mir die Miliz ein ganz besonderes Anliegen ist. Bei aller Änderung des Wehrsystems, die in Zukunft notwendig sein wird, bedarf es jedenfalls dieser Milizkomponente. So wie ich sind nämlich auch viele Tausende andere Österreicher stolz darauf, dass sie in ihrer Freizeit in Uniform einen Beitrag für die Sicherheit Österreichs leisten können. (Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP.)

Meine Damen und Herren! Wir haben nicht zufällig, was den Bereich Sicherheit und Landesverteidigung anlangt, als Kompromiss viele Formulierungen – auch wenn dies manchmal aus unserer Sicht schmerzlich war – aus der ersten Vereinbarung zwischen ÖVP und SPÖ übernommen, und zwar haben wir diese deshalb übernommen, weil wir davon ausgehen – das ist mir besonders wichtig –, dass die Frage der Sicherheit unseres Landes aus parteipolitischem Hickhack herauszuhalten ist. (Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP.)

Es gibt keine "rote", "schwarze", "blaue" oder "grüne" Sicherheitspolitik, sondern es kann nur eine Sicherheitspolitik geben, eine Sicherheitspolitik, mit der die Sicherheit und Unabhängigkeit unseres Landes und seiner Bevölkerung bestmöglich geschützt und garantiert werden kann. (Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP.)


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Aus diesem Grund wird es mir als Verteidigungsminister ein besonderes Anliegen sein, mit Ihnen hier im Parlament einen offenen Dialog zu führen, Sie rechtzeitig zu informieren über Maßnahmen – das sage ich auch in Ihre Richtung, Herr Kollege Gaál –, die mein Ressort plant, sodass wir die Zukunft unserer Sicherheitspolitik gemeinsam gestalten können.

Ich möchte mich jetzt auch in meiner bisherigen Funktion als Vorsitzender des Landesverteidigungsausschusses bei Ihnen und bei meinen Kollegen im Ausschuss sehr herzlich bedanken, haben wir doch auch in der Vergangenheit immer diesen Konsens herbeizuführen versucht. Und ich halte das für ganz wichtig, denn die Sicherheit unseres Landes muss für uns ein so hohes Gut sein, sodass wir das über die tagespolitische Auseinandersetzung stellen. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Hohes Haus! Meine Damen und Herren! Ich lade Sie alle ein zu diesem Dialog, und ich hoffe, dass wir gemeinsam in eine neue Zukunft gehen, dass wir ein friedliches, ein sicheres Österreich in einem friedlichen und sicheren Europa gestalten können. (Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP sowie des Abg. Gaál. )

14.05

Präsident Dr. Heinz Fischer: Nächster Redner ist Herr Abgeordneter Edlinger. – Bitte.

14.05

Abgeordneter Rudolf Edlinger (SPÖ): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren von der österreichischen Bundesregierung! Hohes Haus! Wir haben in Österreich eine neue politische Situation – das steht außer Zweifel –, und wir haben hier jetzt auch eine Reihe neuer Einstellungen und neuer Interpretationen über an sich gleich bleibende Sachverhalte gehört. Es ist interessant, wie unterschiedlich sich manches von denselben Persönlichkeiten anhört – abhängig nämlich davon, auf welcher Seite dieses Hauses sie sich nunmehr befinden.

Zunächst möchte ich einmal in aller Deutlichkeit und Offenheit sagen, dass ich, der ich drei Jahre lang der österreichischen Bundesregierung als Finanzminister angehört habe, auch als Abgeordneter der sozialdemokratischen Opposition nicht die Absicht habe, geistige Bücherverbrennung zu betreiben. Daher: Jene politischen Ziele und Maßnahmen, die ich bis vor wenigen Tagen für richtig gehalten habe, sind deshalb nicht falsch geworden, weil ich jetzt nicht mehr der österreichischen Bundesregierung angehöre.

Ich möchte auch in aller Deutlichkeit sagen, dass ich nicht anstehe, mich ausdrücklich bei Herrn Bundeskanzler Dr. Schüssel für den Beginn seiner Rede zu bedanken, als er in wohlformulierten Worten 30 Jahre sozialdemokratische Regierungspolitik in unserem Lande gewürdigt hat. Ich bedanke mich dafür ausdrücklich beim Herrn Bundeskanzler. (Beifall bei der SPÖ.)

Ich habe gesagt – und wiederhole das –, dass ich nicht die Absicht habe, geistige Bücherverbrennung zu betreiben, habe aber auch nicht die Absicht zuzulassen, von jemandem anderen als von mir selbst authentisch interpretiert zu werden. (Heiterkeit.) Ich bitte daher auch um Verständnis dafür, dass ich dies hier jetzt gleich in aller Klarheit sage. Im Zuge meines Debattenbeitrages – ich weiß, dass meine Redezeit beschränkt ist – werde ich versuchen, auf das eine oder andere dieser heutigen Diskussion einzugehen.

So wurde ja hier beispielsweise mit verschieden färbigen Papieren und Konzepten gewachelt und so getan, als ob in beiden das Gleiche stünde. – Dazu kann ich nur anmerken: Das kann nur dann so beurteilt werden, wenn man das sehr selektiv liest. Richtig ist zugegebenermaßen, dass beide Konzepte in etwa die gleiche Struktur haben, und das ist auch klug so, denn im Wesentlichen stammt die Struktur dieses Papiers tatsächlich von der Sozialdemokratischen Partei. Und das war klug. Aber, meine sehr verehrten Damen und Herren: Die Inhalte unterscheiden sich in wesentlichen Bereichen ganz entscheidend! (Abg. Dr. Martin Graf: Das ist auch gut!)

Wenn Sie von der neuen Koalition daher sagen, in der einen oder anderen Frage werden Sie uns auf die eine oder andere Formulierung von uns aufmerksam machen, so ist das Ihr gutes


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Recht. Ich darf aber doch in Erinnerung rufen, dass dieses an und für sich ausverhandelte Papier einen weitgehenden Kompromiss darstellte.

Meine Damen und Herren! Ich gebe jetzt zu, einen – trotz der mir konzedierten Routine – ganz entscheidenden Fehler gemacht zu haben (Abg. Jung: Nicht auf die Wurst aufgepasst!): Ich habe zu lange geglaubt, dass die Österreichische Volkspartei tatsächlich ehrlich eine Koalition mit den Sozialdemokraten wünscht. – Und das war ein ganz entscheidender Irrtum! Das möchte ich hier in aller Deutlichkeit gesagt haben. (Beifall bei der SPÖ.)

Der Start dieser Bundesregierung ist in mehrfacher Hinsicht zumindest bemerkenswert; das werden Sie mir wahrscheinlich gar nicht in Abrede stellen. Die erste große Leistung ... (Abg. Mag. Kukacka: Sie hätten ja nur zuzustimmen brauchen!)  – Nein, das wäre zu wenig gewesen, es ist ja jeden Tag etwas Neues hinzugekommen, meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist jeden Tag etwas Neues dazugekommen! (Abg. Schwarzenberger: Wir haben im Parteivorstand die Zustimmung mit großer Mehrheit gegeben!)

Wie berechtigt die Ansicht ist, dass man Ihnen das Finanzministerium nicht überantworten darf, beweist ja die Zusammensetzung der neuen Bundesregierung. Denn Sie stellen auch in dieser Bundesregierung nicht den Finanzminister, weil Sie offenbar ganz einfach nicht in der Lage dazu sind. (Beifall bei der SPÖ. – Einige Abgeordnete der ÖVP halten Kopien in die Höhe, auf denen über einer gezeichneten Knackwurst der Name EDLINGER geschrieben steht.)

Zu diesem Zitat – übrigens zeichnerisch ein wunderbares Kunstwerk –, das Sie mir damit in Erinnerung rufen, darf ich Ihnen Folgendes sagen (Abg. Kiss: Was denn?): Es hat mir jemand so eine Knackwurst geschickt, mit dieser habe ich eine empirische Untersuchung angestellt, indem ich sie meinem Hund ausgehändigt habe mit dem Auftrag, sie zu bewachen! Was glauben Sie, was passiert ist? (Abg. Schwarzenberger: Der hat sie gefressen!)  – Innerhalb von zwei Minuten war sie verschwunden und damit der Wahrheitsbeweis meines Zitates erbracht! (Heiterkeit und Beifall bei der SPÖ.)

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Start dieser Bundesregierung war in mehrerlei Hinsicht bemerkenswert. (Abg. Haigermoser: Das war sicher ein Kampfhund!) Erstens – und das war die erste große "Leistung"! –: Wenige Tage nach Ihrer Angelobung stehen Sie vor dem größten außenpolitischen Scherbenhaufen der Zweiten Republik. Das kann man doch in aller Deutlichkeit so sagen. (Beifall bei der SPÖ. – Zwischenrufe bei den Freiheitlichen und der ÖVP.)

Wir stehen nun auf den Titelseiten sämtlicher Zeitungen. Gleichzeitig sagen Sie, die Regierung werde keine PR machen (Abg. Dr. Khol: Wo ist der Altkanzler Klima?): Nein, Sie bringen uns ohnehin in eine Situation, dass die ganze Welt kostenlos über Österreich berichtet (Abg. Dr. Khol: Wo ist Klima?)  – eine "schöne" Werbung, die Sie, die neue Bundesregierung, damit unserem Lande beschert haben! (Beifall bei der SPÖ. – Zwischenrufe bei der ÖVP und den Freiheitlichen. – Abg. Dr. Khol: Wo ist Klima?)

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Für dieses neue Image, das Sie meinem geliebten Heimatland verpasst haben, tragen Sie ganz allein die Verantwortung! Das nimmt Ihnen niemand ab! (Beifall bei der SPÖ. – Abg. Kiss: Die Stunde der Patrioten schlägt!)

Ihre zweite große "Leistung", meine sehr verehrten Damen und Herren, ist eine innenpolitische. Sie haben zu einer gewaltigen Welle von politischen Aktivitäten in Österreich beigetragen. Wer heute noch sagt, die jungen Menschen interessieren sich nicht für Politik (Abg. Kiss: Wer sagt das?), möge hinausgehen und schauen, wie sehr die jungen Menschen in diesem Lande ihrer Sorge Ausdruck verleihen. Wo ist denn Ihre Dialogfähigkeit? Warum reden Sie denn nicht mit diesen Leuten? (Abg. Haigermoser: Das ist ungeheuerlich!)

Wir haben nicht eine Regierung des aufrechten Ganges, sondern eine Regierung, die Katakomben benutzt, um den Bürgern dieses Landes auszuweichen. Das ist die zweite große "Leistung", meine sehr verehrten Damen und Herren, die Ihnen ganz alleine gehört! (Beifall bei der SPÖ und den Grünen. – Abg. Jung: Gestatten Sie eine Frage! ...)


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Die dritte bemerkenswerte "Leistung" ist, dass Österreich einen Bundeskanzler hat, der eigentlich in Opposition gehen wollte (Abg. Jung: Fragen Sie die Frau Ederer ...!) und von jemandem unterstützt wird, der gar nicht da sein will! Beide bringen einander "große Wertschätzung" entgegen. So konnte man etwa lesen – ich zitiere –:

"Was kann denn dieser Schüssel außer Mascherltragen, Verantwortung jedenfalls nicht." – Das sagte Haider über Schüssel!

Auf eine andere Frage meinte er: "Ich habe geglaubt, Sie wollen über die Zukunft des Landes reden. Wieso spielt Schüssel da eine Rolle?" – Haider über Schüssel.

"Haider ist einer, der die Brandfackel der nationalen Stereotype – ich will nicht sagen des Hasses – ganz bewußt verwendet." – Schüssel über Haider. (Abg. Haigermoser: Und was soll das?)

Ein Teil dieser Bundesregierung wird sich ganz besonders darüber freuen, dass der Herr Bundeskanzler meint:

"Die FPÖ wird ausschließlich von Haider geführt. Wer da jeweils an die Spitze gestellt wird, ist uninteressant, weil es schon bisher keinerlei Bedeutung gehabt hat." (Rufe bei der SPÖ: So ist es! Genau!)

Ich habe dieser dritten "Leistung" der österreichischen Bundesregierung nichts hinzuzufügen. (Beifall bei der SPÖ und den Grünen.)

Die vierte herausragende "Leistung" der österreichischen Bundesregierung ist die Regierungserklärung. Die Darstellung der drei großen sozialdemokratischen Erfolgsbilanzen: die ökonomische Erfolgsbilanz, die in der Tat in Europa ihresgleichen sucht, nämlich sinkende Arbeitslosigkeit, steigende Beschäftigung, eine gelungene Trendumkehr am Arbeitsmarkt (Abg. Fischl: Sinkende Realeinkommen!)  – das ist sozialdemokratische Politik! Und eigentlich ist es traurig, dass Sie sich derer rühmen müssen. (Beifall bei der SPÖ. – Zwischenrufe bei den Freiheitlichen. – Abg. Jung: EU-Schlusslicht!)

Die demokratische Erfolgsbilanz: stabile Demokratie, Grundkonsens, Streiksekunden, Sozialpartnerschaft. – Wenn man Ihr Programm liest, fragt man sich: Was führen denn Sie mit der Sozialpartnerschaft auf? – Das ist wohl eine lästige Begleiterscheinung der Interessenvertretung. So wird das künftig in unserem Lande ablaufen. (Abg. Dr. Stummvoll: Er profiliert sich als Oppositionsführer!)

Die soziale Erfolgsbilanz: Die gelebte Solidarität ist die Bilanz sozialdemokratischen Regierens – und dafür, Herr Bundeskanzler, gebührt Ihnen mein aufrichtiger Dank. (Abg. Fischl: Nichts gelernt!)

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Herr Bundeskanzler schließt diese Passage mit der Formulierung, Österreich habe sich in den vergangenen Tagen nicht geändert. – Das ist die fünfte große "Leistung" dieser Bundesregierung, nämlich die Leistung des Irrtums.

Österreich hat sich nämlich geändert: Ich kann mich nicht erinnern, dass ich jemals an Polizeisperren vorbeigehen musste, um dieses Haus zu betreten. (Abg. Dr. Fekter: Wer hat denn die Gewalt provoziert?) Ich kann mich nicht erinnern, dass jeder, der hier zuschauen will, perlustriert wird, um wen immer es sich handelt. Das ist das Klima, das Sie in diesem Lande erzeugt haben. (Abg. Dr. Khol: Wo ist der Klima?) Und deswegen ist es ein Irrtum, Herr Bundeskanzler, wenn Sie sagen, in Österreich habe sich nichts geändert. (Beifall bei der SPÖ und den Grünen.)

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Regierungsprogramm dokumentiert, dass das in Zukunft so weitergehen wird. Herr Westenthaler hat gesagt, er hätte einem rot-schwarzen Pakt die "Giftzähne" gezogen. Ich kann mir nicht vorstellen, was er da gezogen hat, denn das Einzige daraus, was in Ihrem Programm nicht mehr vorkommt, ist die Mineralölsteuer – dafür sind die


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Steuererhöhungen fast doppelt so hoch! Ich glaube, es ist dem Autofahrer ziemlich egal, ob er mehr für Benzin oder mehr für die Versicherung zahlt. Er zahlt jedenfalls mehr! Das ist völlig gleich! (Beifall bei der SPÖ. – Widerspruch bei den Freiheitlichen und der ÖVP.)

Ansonsten ist dieses schwarz-blaue Paket ein Belastungspaket! Der Strompreis wird erhöht. (Zwischenruf des Abg. Jung. ) Die Mieten werden durch die Diskussion über den Friedenszins und die Befristung bei Geschäftslokalen teurer. Eine Sozialdemontage wird durch die Selbstbehalte eingeleitet: Heute hat die Oberösterreichische Gebietskrankenkasse in einer Aussendung bekannt gegeben, dass sie sehr wohl von jenem 20-prozentigen Selbstbehalt Gebrauch machen will. – Ich gratuliere Ihnen dazu, denn Sie tragen dazu bei, dass der Arztbesuch für manche extrem teuer wird. (Zwischenbemerkung von Bundesminister Dr. Bartenstein. )

Und zu einem Punkt möchte ich auch noch etwas sagen, nämlich zur Diskussion über die Pensionen. (Abg. Schwarzenberger: Wir müssen schon 35 Jahre mit dem Selbstbehalt leben!) Zu den Pensionen: Zunächst sei gesagt, dass ich mich nicht von meinem Vorschlag distanziere, weil jeder, der vernünftig denkt, zur Kenntnis nehmen muss ... (Abg. Mag. Steindl: Sagen Sie das dem Herrn Verzetnitsch!) Ich habe mit ihnen diskutiert, denn mit Ihnen diskutieren meine Freunde von der Gewerkschaft ja nicht, mit mir schon! Es ist legitim, dass man in einer schwierigen Frage zunächst einmal unterschiedlicher Auffassung ist. (Abg. Fischl: Hat Nürnberger jetzt unterschrieben oder nicht?) Ich habe nie ein Hehl daraus gemacht, dass man an diesem Problem nicht einfach vorbei gehen kann, nämlich dass die Menschen in Österreich alle zehn Jahre um zwei Jahre älter werden (Heiterkeit des Abg. Jung )  – lachen Sie nicht, es stimmt! – und dass es daher nicht geht, dass sehr junge Menschen in Pension gehen. Daher muss man da etwas tun.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich sage auch in aller Offenheit, ich habe damals – und das war der Grund, warum ich es gesagt habe – um ein paar Tage zu spät überrissen, dass die ÖVP Scheinverhandlungen führt. (Abg. Kiss: Ah so?!) Die Pensionsgeschichte habe ich nicht als Erster vertreten, sondern Ihr Bundeskanzler am 31. Dezember und am 6. Jänner in einem Interview im "Format". Ich habe das nur für richtig gehalten, und was ich für richtig halte, das vertrete ich auch. (Zwischenrufe bei der ÖVP.) Ihr habt euch daneben hingestellt, ihr habt euch daneben hingestellt! Wie sagt Herr Haider: Schüssel trägt Mascherl, aber keine Verantwortung! – Daher war es der Edlinger-Vorschlag, weil ihr nämlich bemerkt habt, dass das zu diskutieren heikel wird! Also habt ihr euch hinsichtlich der Verantwortung dafür auf die Seite gestellt.

Aber ich sage noch einmal: Ich bekenne mich zu dieser Überlegung, nur das, was Sie jetzt machen, bedeutet, dass Sie rascher – rascher! – verlängern, weil Sie schon im Oktober dieses Jahres anfangen und im Jahre 2003 fertig sein werden (die Abgeordneten Dr. Stummvoll und Dr. Khol: Sanfter!), zusätzlich jedoch machen Sie auch Abschläge.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich meine, dass Menschen, die ihr Leben lang gearbeitet haben, ein Recht darauf haben, ihre Pension in voller Höhe und nicht mit einem 20-prozentigen ÖVP/FPÖ-Abschlag zu bekommen! Das ist Sozialdemontage und dagegen werden wir uns wehren! (Lebhafter Beifall bei der SPÖ und bei Abgeordneten der Grünen.)

Letzte Bemerkung zum Budget: Jawohl, in diesem Budget 2000 fehlen 20 Milliarden Schilling (Rufe bei den Freiheitlichen: Aha?!)  – allerdings nur dann, ... (Abg. Fischl: Warum denn nur? – Abg. Dr. Khol: Mehr!)  – Nein! Würde mehr fehlen, wäre ja Ihr Regierungsprogramm zum Wegschmeißen, denn dann werden Sie nämlich ein Defizit von 3 Prozent machen! – Sie sparen nämlich nur 20 Milliarden Schilling ein! Wie geht sich das aus, wo ich doch angeblich ein höheres Defizit verursacht habe?

Nein, Sie machen etwas anderes: Sie greifen für die Budgets 2000 und 2001 zu meinen Vorschlägen! Sie geben das Geld aus dem Familienlastenausgleichsfonds nicht aus, sondern führen es dem Budget zu. (Ruf bei den Freiheitlichen: Na und?!) Und ich habe immer gesagt: Das Budgetziel ist erreichbar, wenn wir keine zusätzlichen Ausgaben erzeugen – und daher fehlen 20 Milliarden Schilling!


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Wenn Sie das hochrechnen – und jetzt kommt wirklich das Sonderbarste –, wenn Sie das weiterrechnen bis zum Jahre 2003, dann entstünden jene 235 Milliarden Schilling. Aber ich hätte Ihnen nie unterstellt, dass Sie die Absicht haben, vier Jahre lang keine Politik zu machen, sondern das machen offenbar Sie selbst, Sie unterstellen sich das selbst, denn sonst könnten Sie nicht rein rechnerische Defizite von vier Jahren addieren, meine sehr verehrten Damen und Herren! (Abg. Mag. Steindl: Auf der Ministerbank haben Sie etwas ganz anderes gesagt!)

Es spricht für meinen Amtsnachfolger, dass er diesen Schwachsinn in der Öffentlichkeit noch nicht wiederholt hat – das haben nur Herr Haider und Herr Westenthaler gesagt; das gehört denen allein! Es ist falsch! Es ist falsch und ganz einfach eine sehr polemische Darstellung. (Beifall bei der SPÖ.)

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Eine letzte, eine allerletzte Bemerkung: Dass die ÖVP dazu bereit war, auch mit der SPÖ marginale Steuererhöhungen vorzunehmen, ist evident. Die FPÖ aber war immer gegen Steuererhöhungen!

Flat-tax! Wo ist die Flat-tax, meine sehr verehrten Damen und Herren? (Abg. Fischl: Kommt schon noch!) Wo ist die Flat-tax, die Sie versprochen haben: 23 Prozent und sonst nichts? – Steuern erhöhen Sie, und zwar in einem unglaublichen Ausmaß! Steuertreiber sind Sie, meine sehr verehrten Damen und Herren! (Ironische Heiterkeit bei den Freiheitlichen und der ÖVP.) Das ist das Image, das Sie eigentlich verdienen! (Beifall bei der SPÖ.)

Und als Letztes, meine sehr verehrten Damen und Herren, ein etwas expressionistisches Bild. Sie erinnern sich: Im letzten Sommer war durch die Lande ein niedliches, liebes Plakat mit lieben kleinen "Kinderpopscherln" zu sehen, die sich für den Kinderbetreuungsscheck für sechs Jahre bedankt haben: "Danke, Jörg!" (Abg. Fischl: Ab ins Burgtheater!)

Wo ist denn dieser Scheck? Was werden denn die "Popscherln" jetzt dem Jörg sagen? (Heiterkeit.)  – Das überlasse ich Ihnen, meine sehr verehrten Damen und Herren. (Lang anhaltender Beifall bei der SPÖ und den Grünen.)

14.24

Präsident Dr. Heinz Fischer: Zu Wort gemeldet ist Frau Abgeordnete Dr. Partik-Pablé. – Bitte. (Abg. Dr. Khol  – in Richtung des Abg. Edlinger –: Das war Vorstadt-Theater! – Abg. Dr. Partik-Pablé  – auf dem Weg zum Rednerpult –: Das hat Ihnen gut getan nach dem Gestrigen, nicht?)

14.25

Abgeordnete Dr. Helene Partik-Pablé (Freiheitliche): Herr Abgeordneter Edlinger, ehemaliger Finanzminister! Sie hätten lieber Schauspieler in einer Vorstadtbühne als Finanzminister werden sollen (Beifall bei den Freiheitlichen und bei Abgeordneten der ÖVP), denn dann wäre Österreich einiges erspart geblieben. (Abg. Edlinger: Der Schauspieler sitzt in der Regierung!)

Es ist ja wirklich lächerlich: Sie stellen sich weinerlich an dieses Rednerpult und jammern. (Beifall bei den Freiheitlichen. – Ironische Heiterkeit bei der SPÖ.)  – Sie haben uns einen Scherbenhaufen hinterlassen und weinen jetzt darüber, dass die Scherben da liegen, und zeigen mit dem Finger auf diejenigen, die diesen Scherbenhaufen wegräumen müssen. (Neuerlicher Beifall bei den Freiheitlichen. – Abg. Dr. Mertel: Haben Sie so einen beschränkten Wortschatz?)

Sie beklagen sich darüber, dass Sie mit Polizeischutz in das Parlament kommen mussten, vergessen aber Folgendes: Wer hat denn das Öl ins Feuer geschüttet, damit diese innerösterreichische Aufregung eskaliert? (Zwischenrufe bei der SPÖ.)  – Sie waren es, und Ihre Vorfeldorganisationen waren es! (Beifall bei den Freiheitlichen und bei Abgeordneten der ÖVP.)

Und, Herr Abgeordneter, wenn Sie ... (Anhaltende Zwischenrufe bei der SPÖ. – Präsident Dr. Fischer gibt das Glockenzeichen.) Sie geben uns den Rat beziehungsweise Sie sagen, man muss gesprächsbereit sein, warum denn niemand mit den Demonstranten redet. – Ja, können Sie sich erinnern? Vor kurzer Zeit hat es eine Demonstration gegeben, die vom Verein SOS-Mitmensch organisiert wurde. (Zwischenruf des Abg. Oberhaidinger. ) Ihre Parteifreundin, Kollegin Ederer, ist bei dieser so "friedvollen" Demonstration von SOS-Mitmensch mit Tomaten beworfen


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worden. – Mit diesen Leuten kann man nicht reden, sondern viele wollen ganz einfach randalieren, das muss man zur Kenntnis nehmen. (Abg. Edlinger: Sie wollen sie einsperren! Wegsperren!)

Wer sagt das? – Ich will sie nicht einsperren! Wieso werfen Sie mir vor, ich wolle sie einsperren? (Zwischenruf der Abg. Jäger. )  – Kein Wort vom Einsperren! Ich bekenne mich zum Demonstrationsrecht, sehr geehrter Herr Edlinger, aber ich bekenne mich auch zur Wahrheit.

Und Sie haben nicht die Wahrheit gesprochen, als Sie hier von Zahlen erzählt haben, die es überhaupt nie gegeben hat – außer in Ihrer Phantasie. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Es war dringend notwendig, dass ein neuer Finanzminister dieses Ressort übernimmt, und ich bin überzeugt davon, dass dieser freiheitliche Finanzminister diese Rolle besser spielen wird als Sie. (Neuerlicher Beifall bei den Freiheitlichen. – Abg. Edlinger: Möglich!)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die heute vorgelegte Regierungserklärung hat eindeutig – und auch für jeden Zweifler! – gezeigt, dass diese Verurteilung, diese Vorverurteilung, die in Österreich erfolgt ist, ganz einfach nicht gerechtfertigt war. Diese Regierungserklärung hat auch eindeutig gezeigt, dass die Vorurteile, die die EU Österreich beziehungsweise dieser Regierung gegenüber gezeigt hat, nicht berechtigt waren und dass daher die Vorwürfe schnellstens zurückgenommen werden müssen. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Meine sehr geehrten Damen und Herren gerade von den Sozialisten und auch von den Grünen! Wer nicht anerkennt, dass sich diese Regierung mit ihrer Regierungserklärung zu den Grundsätzen der Demokratie, der Mitmenschlichkeit, der Solidarität, der Stabilität bekennt, der ist ganz einfach nicht bereit, den Inhalt dieser Regierungserklärung anzuerkennen, und stellt mit Absicht etwas in Abrede, was eindeutig Inhalt dieser Regierungserklärung ist. Und damit muss ich auch in Frage stellen, ob Sie eine wirkliche demokratische Auffassung haben. (Abg. Dr. Mertel: Was sind Sie für eine Pharisäerin!)

Wieso sagen Sie, ich bin eine "Pharisäerin"? Wieso, Frau Mertel? Wieso sagen Sie das? Ich habe Ihnen noch niemals einen Anlass gegeben, mich als Lügnerin oder "Pharisäerin" zu bezeichnen. (Abg. Dr. Mertel: Immer! Ständig!) Ich glaube, Sie sollten sich beherrschen! Sie vergiften nämlich das Klima! (Zwischenruf der Abg. Jäger. ) Sie vergiften das Klima im Parlament! (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Wir haben ja schon gestern darüber diskutiert – ich will die gestrige Diskussion nicht wieder aufwärmen. Sie sind ganz einfach furchtbar enttäuscht darüber, dass Sie nicht mehr in der Regierung sind. (Abg. Dr. Mertel: Ich nicht!) Ihr Klubobmann Kostelka hat schon zu einem Zeitpunkt, als die Regierung noch nicht im Amt war, in der Sendung "Zur Sache" gesagt, die Regierung ist gescheitert – bevor noch irgendetwas davon, was die Regierung beabsichtigt, bekannt gewesen ist! Auch bevor noch irgendein Strich gesetzt worden ist, ist die Regierung bereits "gescheitert" gewesen.

Ich sehe schon ein, dass Sie enttäuscht sind und daher eine sachliche Diskussion wahrscheinlich sehr schwer für Sie ist, aber Sie müssen endlich einmal zu dieser Sachlichkeit zurückfinden, meine sehr geehrten Damen und Herren. (Abg. Oberhaidinger: Zu welcher Sachlichkeit? Zu Ihrer?) Sie wollen ja nicht einmal das akzeptieren, was Sie selbst einführen wollten, nämlich das Kindergeld! Nicht einmal das wollen Sie einsehen, und das ist für mich schon sehr problematisch.

Sie können auch nicht einmal damit umgehen, dass Ihnen unsere Vizekanzlerin das offene Gespräch angeboten hat – das offene Gespräch mit der Opposition! –, und zwar deshalb, weil Sie es nicht gewohnt sind, weil Sie mit der Opposition derart verfahren sind, dass Sie immer nur über sie drübergefahren sind. Und Sie glauben, dass das jetzt so weitergeht. (Beifall bei den Freiheitlichen.)


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Aber Sie werden sehen: Diese Regierung wird anders mit Ihnen umgehen, als Sie es früher mit der Opposition gemacht haben. Das müssen Sie einmal zur Kenntnis nehmen. Aber nicht einmal dem vertrauen Sie. (Abg. Dr. Mertel: Wir werden Sie beim Wort nehmen!)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sie haben auch mit Absicht bereits vor dieser Regierungserklärung durch Desinformation die Bevölkerung verunsichert. Herr Kostelka hat in der Sendung "Zur Sache" von der Hüftoperation gesprochen, bei der der Selbstbehalt 20 000 oder 30 000 S betragen wird (Abg. Dr. Kostelka: 20!)  – 20 000 S –, eindeutig wider besseres Wissen! (Abg. Dr. Kostelka: Wieso?)

Sie haben ganz genau gewusst, dass es nur darum geht, für den Arztbesuch einen Selbstbehalt einzuführen, so, wie das eben bei den Bundesbediensteten der Fall ist. (Abg. Dr. Kostelka: Das stimmt doch nicht! Sie schreiben selber: in allen Gesundheitsbereichen!) Es war bitte nicht von einem Krankenhausaufenthalt die Rede (Abg. Dr. Kostelka: Sie lesen nicht einmal Ihre eigenen ...!),  nicht von einer Operation die Rede! Ganz genau haben Sie das gewusst! (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Genau so falsche Informationen geben Sie ja auch über das Kindergeld. Sie behaupten – und werfen uns das vor –, wir würden wollen, dass die Frauen zurück zum Herd geschickt werden. (Rufe bei der SPÖ: Ja!)  – Das stimmt doch überhaupt nicht! (Widerspruch bei der SPÖ.) Ich wäre bitte die Erste, die sich ganz sicherlich dagegen auflehnen würde, denn ich trete absolut für berufstätige Frauen ein. (Abg. Dr. Mertel: Sagt ja auch keiner!)

Das Kindergeld soll es den Frauen erleichtern, Berufstätigkeit und Familie vereinbaren zu können, und soll auch die finanzielle Lage der Familie verbessern. Nehmen Sie das zur Kenntnis! Sie von der SPÖ wollten doch auch das Kindergeld haben! Jetzt haben Sie es – und jetzt sollten Sie das daher auch akzeptieren! (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Meine sehr geehrten Damen und Herren von der SPÖ und den Grünen! Sonst rennen Sie immer mit erhobenem Zeigefinger herum und fordern Korrektheit ein. Sie ermahnen jeden, ehrlich und korrekt zu sein. Wir akzeptieren ja Ihre fundamentalistische Opposition, aber bleiben Sie doch bitte, meine Damen und Herren von SPÖ und Grünen, bei der Wahrheit! Und: Seien Sie doch auch korrekt in Ihrer Oppositionsrolle! – Genauso, wie wir immer korrekt waren (Abg. Dr. Kostelka: Was?), als wir noch in Opposition waren. (Beifall bei den Freiheitlichen. – Ironische Heiterkeit bei der SPÖ und den Grünen.)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Nun ein paar Worte zu meinem, zum Sicherheitsbereich. Ich freue mich wirklich, dass in einigen europäischen Tageszeitungen festgestellt wurde, dass die Regierungserklärung dieser Bundesregierung mit dem Wertekatalog der EU vollkommen übereinstimmt. Und das trifft ganz besonders auch auf das Kapitel "Innere Sicherheit" zu, geht es doch da um jene Werte, die besonders in der EU hochgehalten werden: Mitmenschlichkeit, Solidarität, Fremdenfreundlichkeit beziehungsweise gegen Fremdenfeindlichkeit und so weiter. Daran findet auch die internationale Staatengemeinschaft nichts auszusetzen – ja nicht einmal Herr Van der Bellen hat irgendeine Kritik an unserem Kapitel "Innere Sicherheit" geübt. Das freut mich, denn das zeigt, dass wir ein wirklich ausgewogenes Regierungsprogramm haben, auf dem wir – ich hoffe: auch mit Ihrer Unterstützung! – weiterarbeiten können.

Zu Recht hat Herr Bundeskanzler Dr. Schüssel darauf verwiesen, dass Österreich seine Rolle als Flüchtlings-Aufnahmeland weiterhin aktiv wahrnehmen wird. Das muss man hier auch einmal sagen: Österreich hat ja eine geradezu historische Rolle als Flüchtlings-Aufnahmeland. Wir waren immer die Ersten, die Flüchtlinge aufgenommen haben, und wir waren auch immer diejenigen – abgesehen jetzt von Deutschland –, die die meisten Flüchtlinge aufgenommen haben. (Abg. Mag. Lunacek: Jetzt nicht mehr!)

Niemand – außer Deutschland – hat so viele Bosnier aufgenommen wie Österreich, Kosovo-Albaner und so weiter. Und darauf können wir doch wirklich stolz sein! Wir haben viele Milliarden Schilling für Flüchtlinge aufgebracht – und dafür muss man wirklich einmal allen Österreicherinnen und Österreichern Dankbarkeit zollen. Und Österreich wird das auch weiterhin so halten. (Beifall bei den Freiheitlichen.)


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Folgendes ist ja auch noch zu sagen: Die EU redet zwar immer sehr groß von einer Aufnahme von Flüchtlingen, bisher ist allerdings eine Ausgleichszahlung innerhalb der EU-Staaten, um eben jene Länder, die besonders viel für Flüchtlinge tun, finanziell zumindest etwas zu entschädigen, unterblieben. Dann, wenn es ums Zahlen geht, sind andere EU-Staaten nämlich nicht mehr so sehr bereit, besonders viel für Flüchtlinge zu tun, als eben dann, wenn es lediglich um das Verfassen von Deklarationen geht.

Wichtig ist in diesem Zusammenhang in der Regierungserklärung auch, dass Integration vor Neuzuzug gestellt wird. In den vergangenen Jahren ist die Einwanderung zu sehr forciert worden, und das hat insbesondere in Wien zu riesigen Problemen geführt. – Wir werden daher diese Politik nicht mehr fortführen, sondern Familienzusammenführung forcieren, Neueinwanderung jedoch reduzieren. Da war eine Korrektur absolut notwendig. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Noch einen wichtigen Punkt der Regierungserklärung möchte ich jetzt anschneiden, über den Sie immer nur geredet, wo Sie aber niemals konkret irgendwelche Weichen gestellt haben: Jene Ausländer, die in Österreich leben, die eine Aufenthaltsbewilligung haben, sollen in Hinkunft hier auch arbeiten dürfen. Sie haben zwar immer gesagt, das wäre wichtig, haben aber nie irgendwelche Schritte gesetzt, das auch in die Tat umzusetzen.

Zunächst werden wir eine Studie darüber ausarbeiten lassen, inwieweit sich das auf den Arbeitsmarkt auswirkt – und dann wird es eine Umsetzung dieses Zieles geben. Wie gesagt: Das haben Sie in all den Jahren verabsäumt.

In dieser Regierungserklärung bekennen wir uns aber auch zu einem konsequenten Abschieben krimineller Ausländer, zu einem konsequenten Abschieben jener Ausländer, die sich illegal in Österreich aufhalten, und dass die wirklich außer Landes gebracht werden und sich auch nicht mehr durch einen Hungerstreik freipressen können.

Es geht doch bitte nicht an, dass österreichische Gesetze missachtet werden, dass – wie das in den vergangenen Jahren Praxis war – sozusagen augenzwinkernd hingenommen wird, dass Tausende Menschen, obwohl sich diese illegal in Österreich aufhielten, letztendlich hier bleiben konnten, und zwar deshalb, weil sie sich durch Hungerstreiks freigepresst haben. (Beifall bei den Freiheitlichen.) In diesem Zusammenhang wollen wir unbedingt eine Änderung, und das ist daher auch in der Regierungserklärung enthalten.

Kurz noch zu den Ausführungen von Frau Abgeordneter Petrovic, die jetzt allerdings nicht hier im Saale ist. Frau Petrovic hat gesagt, das politische Klima in diesem Hause sei eine "Katastrophe", sei "beängstigend" und Ähnliches mehr.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau Petrovic hat zwei Mal, und zwar ganz bewusst, hier etwas Falsches gesagt. Zunächst einmal war es so, dass sie meine gestrige Rede hier völlig falsch wiedergegeben hat, und zwar mit voller Absicht. (Widerspruch bei den Grünen. – Abg. Dr. Lichtenberger: Das ist Ihre Meinung!) Der Hass von Frau Petrovic macht wirklich Angst! Dieser Hass macht Angst! (Beifall bei den Freiheitlichen und bei Abgeordneten der ÖVP.)

Ich bin wirklich betroffen, wenn ich mir diese Verdrehung der Tatsachen, die Frau Petrovic hier ... (Abg. Dipl.-Ing. Pirklhuber: Das ist eine Unterstellung!)  – Das ist keine Unterstellung! Ich habe das daher hier auch berichtigt. In einer tatsächlichen Berichtigung habe ich eindeutig bewiesen, dass Frau Petrovic die Unwahrheit gesagt hat. – Das ist keine Unterstellung! (Abg. Dr. Lichtenberger: Sie haben es nicht bewiesen, Sie haben nur den zweiten Absatz vorgelesen!)  – Nein, ich habe es sogar bewiesen, und zwar mit einem schriftlichen Beweis, nämlich meiner Rede. (Abg. Dr. Lichtenberger: Nein!) Ich rate Ihnen daher: Lesen Sie das Protokoll meiner Rede nach!


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Ich hätte nämlich, ehrlich gesagt, Frau Petrovic nicht zugetraut, dass sie Sachen in so demagogischer Weise verdreht, nur weil es ihr gerade in den Kram passt ...

Präsident Dr. Heinz Fischer: Frau Abgeordnete Partik-Pablé! Kollege Fasslabend hat den Ausdruck "Dummheit", an Ihre Seite gerichtet, heute gerügt. (Abg. Dr. Partik-Pablé: Das war ein Zwischenruf!)  – Ich ersuche um eine entsprechende Sprache!

Abgeordnete Dr. Helene Partik-Pablé (fortsetzend): Frau Petrovic hat weiters abgestritten, dass es in österreichischen Schulbüchern, und zwar seitenweise, ausländische Texte gibt, damit die Schulkinder beispielsweise Türkisch oder Serbokroatisch lernen. Sie hat gesagt, das stimme nicht.

Ich beweise ihr das Gegenteil. Im Buch "Lesefuchs 2" (die Rednerin hält ein Buch in die Höhe), und zwar für die zweite Schulstufe, steht: "Maxi und Izzedin", und auf der anderen Seite: "Zoran und Karolin", daneben bitte seitenweise Texte in türkischer beziehungsweise serbokroatischer Sprache, damit die österreichischen Schulkinder diese Sprachen lernen. (Abg. Mag. Posch: Haben Sie ein Problem damit?)

Man kann jetzt darüber diskutieren, ob das gut ist oder nicht ... (Abg. Mag. Stoisits: Haben Sie ein Problem damit?) Frau Petrovic hat dieses Faktum abgestritten – und darum geht es mir! (Beifall bei den Freiheitlichen.) Ich habe wirklich ein Problem mit der Ehrlichkeit von Frau Petrovic! (Abg. Mag. Stoisits: Wir haben ein Problem mit Ihrer Xenophobie!)

Meine sehr geehrten Damen und Herren von den Grünen! Sie wollen doch andere Diskussionspositionen überhaupt nicht zulassen! (Abg. Mag. Posch: Wie ist das mit den Nigerianern?) Sie versuchen, jede andere Diskussionsposition zu diffamieren, denn Sie alleine wollen bestimmen, was richtig ist. Und was in Ihren Augen nicht richtig ist, ist Ihrer Ansicht nach auch nicht gut. Und deshalb versuchen Sie dann auch gleich, jemanden, der eine andere Meinung als Sie vertritt, an den Pranger zu stellen. (Beifall bei den Freiheitlichen. – Zwischenruf der Abg. Mag. Stoisits. )

Zensur, Einschüchterung, das ist Ihr Arsenal, aus dem Sie die Waffen ziehen, meine sehr geehrten Damen und Herren! So aber stelle ich mir das politische Klima und die politische Auseinandersetzung in Österreich nicht vor! (Abg. Mag. Stoisits: Sie sind die einzige Abgeordnete in diesem Nationalrat, die offen rassistisch ist!)

Frau Stoisits, Sie reden hier pausenlos von "friedlichen Demonstrationen". Beim "Speaker’s Corner" haben Sie gesagt, es sei höchstens ein Ziegelstein gefallen. – Nur: Es gibt 45 verletzte Polizisten! (Abg. Dr. Mertel: 50 sagt der Westenthaler! – Abg. Mag. Trattner: Ein verletzter Polizist ist schon zu viel!)  – Mir ist bei einer Demonstration jedenfalls bereits ein Ziegelstein zu viel. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Es wurden bei diesen Demonstrationen nicht nur Ziegelsteine, sondern auch Tomaten und Eier geworfen! Ebenso wurden Stahlkugeln geworfen!

Für Sie, Frau Stoisits, ist offensichtlich Gewalt, die von links kommt, keine Gewalt, die es abzulehnen gilt. – Wir Freiheitlichen hingegen lehnen jede Form von Gewalt ab – egal, ob diese von links oder rechts kommt! (Beifall bei den Freiheitlichen. – Abg. Dr. Lichtenberger: Tatsächliche Berichtigung!)

Ich würde Sie bitten: Nutzen Sie das Angebot unserer Bundesregierung, unserer Minister, mit uns zusammenzuarbeiten! Wir von den Parlamentsfraktionen von ÖVP und Freiheitlichen werden das auch tun, und zwar zum Wohle Österreichs! (Beifall bei den Freiheitlichen.)


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14.40

Präsident Dr. Heinz Fischer: Zu einer tatsächlichen Berichtigung hat sich Frau Abgeordnete Dr. Lichtenberger zu Wort gemeldet. (Zwischenrufe bei den Freiheitlichen.) Redezeit: 2 Minuten. – Bitte, zum Sachverhalt zu sprechen! (Abg. Haigermoser: Das hat es bisher nicht gegeben! Das ist etwas Neues!)

14.40

Abgeordnete Dr. Evelin Lichtenberger (Grüne): Entschuldigen Sie, dass mir nicht bekannt war, dass man sich vorne am Präsidium melden muss. Das nächste Mal weiß ich es.

Zur tatsächlichen Berichtigung der Aussagen von Frau Partik-Pablé, dass für die Grünen Gewalt von links kein Problem sei: Wie Ihnen vielleicht bekannt ist, hat sich schon am Abend der ersten Probleme bei den Demonstrationen die Bundesgeschäftsführerin der Grünen von den gewalttätigen Demonstranten distanziert. (Abg. Haigermoser: Es war ja nur ein Ziegelstein! Nur so ein kleiner Stein ist es gewesen!) Sie hat alle Demonstranten zur Friedlichkeit aufgefordert. Nehmen Sie das bitte zur Kenntnis! (Abg. Haigermoser: Was ist das für eine tatsächliche Berichtigung? Sie kennen überhaupt nicht die Geschäftsordnung!)

Ich weise zurück, dass die Grünen Gewalt begrüßen. (Beifall bei den Grünen. – Abg. Haigermoser: Die schlimmen Polizisten haben sich den Demonstranten in den Weg gestellt! Aber es war ja nur so ein kleiner Stein!)

14.41

Präsident Dr. Heinz Fischer: Nächste Rednerin ist Frau Abgeordnete Dr. Glawischnig. Redezeit: 20 Minuten. – Bitte.

14.41

Abgeordnete Dr. Eva Glawischnig (Grüne): Herr Präsident! Herr Bundeskanzler! Meine Damen und Herren! Ich versuche jetzt etwas, wozu wir heute am Beginn dieser Debatte aufgefordert wurden – das ist zwar sehr schwer nach der Rede von Frau Kollegin Partik-Pabl頖, nämlich diese neue Regierung wie ein weißes Blatt Papier zu behandeln und sie nur an ihren Taten und an ihren Worten zu messen, die sie gesetzt beziehungsweise gesprochen hat, seit sie diesen Status "Regierung" hat. Das versuche ich jetzt, obwohl es wirklich eine gewisse Gutmütigkeit meinerseits voraussetzt, das alles wegzublenden, was da irgendwie Ihre Geschichte sozusagen belastet. (Ironische Heiterkeit bei den Freiheitlichen.)

Und jetzt frage ich Sie, vor allem die Kollegen von den Freiheitlichen: Wie soll ich als Grüne, als Umweltsprecherin der Grünen Partei diese erste Tat, nämlich dass das Umweltministerium de facto abgeschafft worden ist, ganz objektiv bewerten? Wie soll ich das den Bürgerinnen und Bürgern erklären? (Abg. Jung: Nicht der Umweltschutz ist abgeschafft worden, sondern die Bürokratie!) Innerhalb eines Apparates von 5 000 Landwirtschaftsbeamten hat man jetzt die letzten verbliebenen Umweltschützer und Umweltschützerinnen vom Umweltministerium sozusagen hineingeschnupft. Das halte ich aus Sicht einer staatsorientierten modernen Verfassung für völlig furchtbar, und ich verstehe nicht, wie Sie, die Sie sich immer als die modernen und auch die radikalen Umweltschützer dargestellt haben, das mittragen können. Das ist ein Affront der gesamten Umweltbewegung gegenüber, das ist ein Affront all jenen gegenüber, denen das ein großes Anliegen ist. Und das sind sehr, sehr viele in Österreich. Vergessen Sie das nicht!

Wie soll ich das bewerten – ganz objektiv, nur die Tat –, dass das Wort "Naturschutz", dass das Wort "Artenschutz" nicht mehr vorkommt? Das gibt es nicht in dieser Regierungserklärung.

Wie soll ich es bewerten, dass die Ziele, eine Änderung des EURATOM-Vertrages herbeizuführen, weg sind? Das ist futsch, das finde ich nirgendwo mehr. Das ist weg.

Oder: Wie soll ich es bewerten, dass das erste Mal seit 1990 das Bekenntnis zu einem atomkraftfreien Mitteleuropa nicht mehr vorkommt? Das kommt nicht mehr vor in dieser Regierungserklärung. Und das ist wirklich ein Skandal! (Beifall bei den Grünen sowie des Abg. Schwemlein. )

Es war für mich auch nicht nachvollziehbar, wer jetzt überhaupt für Atompolitik zuständig ist. Ist Atompolitik Chefsache von Kanzler Schüssel geworden, ist dafür auch die Landwirtschaft zuständig, oder ist vielleicht Herr Morak als Staatssekretär irgendwie für die Atompolitik zuständig? – Allein der Umgang mit dieser essentiellen Frage, die für die Sicherheitsinteressen der österreichischen Bevölkerung so wichtig ist, allein die Tatsache, dass das irgendwie herumge


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schoben wird und nirgendwo mehr vorkommt, ist, so glaube ich, ein Indiz dafür, wie wertlos das dieser neuen Regierung geworden ist.

Zur FPÖ (Abg. Mag. Kogler: Schweitzer, aufpassen!): Liebe Kollegen von der FPÖ! Ich habe das jetzt beobachtet: diese Wendehalspolitik, diese Akrobatik, wie Sie es geschafft haben, in den letzten Wochen von einer radikalen Anti-Atompartei zu einer völlig mittelmäßigen – ich weiß nicht – wirtschaftsliberalen Das-ist-uns-Wurscht-Partei zu werden! Ich kann mich noch gut daran erinnern, dass Landeshauptmann Haider sich aufgeregt hat, dass Krško nicht vorkommt. Krško kommt jetzt auch nicht vor. (Abg. Gaugg: Das ärgert Sie, wenn der Haider was sagt!) Wo steht Krško? Wo steht Temelin?

Ich zitiere die FPÖ: Darum fordern wir die sofortige Stilllegung beziehungsweise den Baustopp sowjetischer Reaktoren. – Das war vor der Wahl. Im Koalitionsübereinkommen ist das weg. Das kommt nirgendwo mehr vor. (Abg. Gaugg: Das ist längst erledigt!) Das verstehe ich nicht.

Zweites Beispiel: Gentechnik. Ich zitiere wiederum die Freiheitlichen vor der Wahl: Darum lassen wir Freiheitlichen es nicht zu, dass in Österreich gentechnisch veränderte Lebensmittel angeboten werden. Wir fordern ein fünfjähriges Freisetzungsmoratorium für gentechnisch veränderte Pflanzen und ein Klonverbot. – Es heißt im Übrigen "Klonierungsverbot"; das wollte ich nur richtig stellen. (Abg. Gaugg: Danke!)

Wo ist das hingekommen? (Abg. Gaugg: Wo ist jetzt der Unterschied?) Wo ist das fünfjährige Moratorium hingekommen? Wo ist das Volksbegehren? (Abg. Gaugg: Was hat sich geändert?) Wo hat die FPÖ die Umsetzung der Forderungen des Volksbegehrens in diesem Koalitionspakt verankert? (Abg. Mag. Kogler: Können Sie das buchstabieren!) Das ist futsch! Da können Sie jetzt schönreden, was Sie wollen, das ist einfach weg, das interessiert Sie nicht mehr. Und das ist ein Skandal! Da messe ich Sie jetzt nur an Ihren Taten, und ich wiederhole: Das ist ein Skandal!

Oder das Tierschutz-Volksbegehren. Herr Kollege Scheibner, vor drei Wochen noch haben Sie gesagt: Das ist uns ein Anliegen. Wo ist es? Wo ist die Umsetzung der Forderungen des Tierschutz-Volksbegehrens? Das ist auch weg. Es kommt in diesem Koalitionspakt nicht mehr vor. Das ist im Interesse der österreichischen Bevölkerung völlig verantwortungslos, und deswegen darf ich mit Fug und Recht und mit gutem Grund behaupten, Sie sind ein Wendehals. Es tut mir wirklich Leid, das muss ich jetzt hier so sagen. (Beifall bei den Grünen und bei Abgeordneten der SPÖ.)

Es geht noch weiter: Lebensmittelskandale. Was hat sich doch die Freiheitliche Partei über all die Lebensmittelskandale – Frau Aumayr muss jetzt irgendwie leiden – aufgeregt, über BSE, Hormone, Salmonellen, Antibiotika in der Tierzucht oder über das von uns aufgedeckte Kuriosum, dass immer noch Haustiere zu Tierfutter verarbeitet werden! Was hat sich da die FPÖ aufgeregt! Was ist davon übrig geblieben? (Abg. Gaugg: Das geht ja weiter! Wir brauchen nicht alles dreimal niederzuschreiben! Einmal genügt!) Das kommt nicht mehr vor. Das ist weg. Das ist futsch. Und das ist Wendehalspolitik! (Abg. Gaugg: Das glaube ich gerne, das Ihnen das nicht passt!)

Sie da vorne sind nicht die Partei der kleinen Leute oder der kleinen Männer, wie Sie es behaupten, das sind Sie nicht mehr. Das hat sich hier manifestiert an Ihren Taten, an Ihrem Koalitionsübereinkommen. Ich muss es Ihnen sagen: Es ist wirklich ein Skandal! (Abg. Gaugg: Der nächste Skandal!)  – Gut.

Es geht weiter. Sie wollen im Bereich der Landwirtschaft – das ist genau das, was ich vorhin angesprochen habe – Chemikalien, Pestizide, Tierarzneimittel billiger machen. Okay. Wo ist die Frau Aumayr? Sie muss leiden, denn sie hat sich immer massiv dagegen gewehrt, dass diese Dinge über die Landwirtschaft auf unsere Teller kommen. Sie haben sich dafür stark gemacht. Das ist futsch! Das ist weg! (Abg. Gaugg: Nein, ist ja nicht wahr!) Doch, lesen Sie! Sie sagen, es ist nicht wahr. Ich messe Sie an Ihren Taten, an dem, was in diesem Koalitionsübereinkommen drinnen steht. (Abg. Gaugg: Darum würde ich Sie bitten! Wir tun es ja auch! – Abg. Dr. Martin Graf: Wir sind erst zwei Tage da!) Es ist weg. – Gut.


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Bei der Stromfrage (Abg. Gaugg: In Kärnten schon umgesetzt!) komme ich auch wieder zu dem Punkt: Sie sind nicht mehr die Partei der kleinen Männer und der kleinen Frauen. Mit dem, wie Sie das vorhaben, nämlich die Elektrizitätsabgabe nur für die Kleinverbraucher anzuheben, die Großindustrie auszunehmen, zu plafonieren, bedeutet das eine Steuerreform für Papierindustrielle wie unseren ehemaligen Nationalratspräsidenten. (Abg. Gaugg: Das ist ja nur die Halbwahrheit!) Nein, das ist keine Politik für die Schwächsten in dieser Gesellschaft! Diesen Vorwurf müssen Sie sich gefallen lassen.

Ich glaube, das reicht. Ich meine, damit ist bewiesen: Die FPÖ war in so vielen Fragen angeblich auf Seiten des Volkes. Das ist sie nicht! Das ist sie dezidiert nicht. (Beifall bei den Grünen und bei Abgeordneten der SPÖ.)

Ich komme jetzt noch zu weiteren Wendehälsen. (Abg. Dr. Martin Graf: Reden Sie einmal mit Joschka Fischer!) Es sitzt Herr Staatssekretär Morak im Moment leider nicht mehr auf dieser Regierungsbank. Ich kann Herrn Morak doch nicht wie ein weißes Blatt behandeln, sondern ich muss ihn an eine sehr klare Stellungnahme erinnern, die er im Jahre 1995 über seinen jetzt aktuellen Koalitionspartner getätigt hat. (Zwischenrufe bei den Freiheitlichen.)

In Anlehnung an das Karl-Kraus-Zitat "Hinaus aus Wien mit dem Schuft!" hat Abgeordneter Morak damals "Raus mit dem Haider aus der Politik!" gefordert. (Abg. Reitsamer: Den hat er jetzt in seiner Regierung!) Sie nicken, und ich weiß nicht, wie Sie mit einer Partei leben können, die irgendwie Künstler verhindert, lebende Künstler denunziert und verhetzt, moderne Kunst abstempelt und nicht haben will. Ich glaube, dass Sie aus Sicht der Künstlerinnen und Künstler in Österreich nicht mehr einer der Ihren sind, nicht mehr ihre Interessen vertreten. Deswegen müssen auch Sie sich diesen Vorwurf "Wendehals" gefallen lassen.

Sie haben sich, ehe das Koalitionspapier da war, auch noch relativ klar zur Künstler-Sozialversicherung und zur Buchpreisbindung deklariert und gesagt, diese typischen sozialdemokratischen Punkte seien jetzt entfernt worden. (Abg. Dr. Brinek: Die Sozialdemokratie hat es ja nicht umsetzen können!) Das ist im Sinne eines lebenden Buchhandels, im Sinne einer lebendigen KünstlerInnenszene in Österreich nicht nachvollziehbar. (Abg. Kopf: Die Sozialversicherung steht aber drinnen!)  – Ja, Jörg Haider sagt, es steht jetzt wieder drinnen. Das ist absolut nicht glaubwürdig. Bis vor zehn Tagen hat es noch geheißen: Raus damit! (Abg. Kopf: Die Künstler-Sozialversicherung steht ja drinnen!) Ich weiß, dass es jetzt drinnen steht. Ich werde Sie an den Taten messen.

Herr Bundeskanzler Schüssel! Ich kann mich noch erinnern – oder eigentlich kann ich mich nicht erinnern, denn damals war ich noch viel zu jung, aber ich weiß es –, es hat einmal einen Bundeskanzler gegeben, der beim ersten Schriftstellerkongress einem jungen Künstler seine Ehrerbietung gezeigt hat, indem er sich verneigt hat. (Bundeskanzler Dr. Schüssel: Kreisky!)  – Ja, das war Kreisky. Jetzt gibt es einen Bundeskanzler, der in der "ZiB 2" vor laufenden Kameras sagt: Die Künstler brauchen sich nicht zu fürchten. – Ich sage Ihnen ehrlich, was das bei mir hervorgerufen hat. Das war wie nach Tschernobyl, wenn irgendeine Fernsehansagerin vor den Kameras gesagt hat: Ich wiederhole: Es besteht kein Grund zur Panik! (Abg. Kopf: Wenn Ihnen jemand einredet, dass Sie sich fürchten müssen, muss man Ihnen das Gegenteil beweisen!)

Ich weiß nicht wirklich, was dieser Satz "Künstler brauchen sich nicht zu fürchten" bedeuten soll, aber das, was im Koalitionsabkommen steht, ist ein klares Bekenntnis in die Vergangenheit, direkt in die Vergangenheit – Volkskultur, Nationalstiftung für kulturelles Erbe –, und in der Gegenwart wird jetzt sichtlich ein schwarzes Loch produziert werden. Das hat für mich eine gefährliche Schlagseite.

Wenn ich heute Herrn Landeshauptmann Haider in Kärnten sagen höre, dass der Bachmann-Wettbewerb eine an sich totgelaufene, sterile Veranstaltung sei, die er nicht sehr schätzt (Abg. Dr. Mertel: Weil die Erben das jetzt verbieten wollen!), obwohl jeder, der in diesem Bereich ein bisschen Fachverstand hat, weiß, dass es die Literaturveranstaltung ist, die eine internationale Jury hat, dann bekommt diese gefährliche Schlagseite schon eine sehr deutliche Kontur.


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Ich habe auch sehr oft die Worte "Leistungsorientierung" oder "Exportorientierung" gehört, jedoch Kunst und Kultur sind kein Wirtschaftsgut, da geht es um etwas ganz anderes. Das möchte ich abschließend noch versuchen zu verdeutlichen. Die prägende und schreckliche Erfahrung des letzten Jahrhunderts war jene, wohin es führen kann, wenn man in letzter Konsequenz den Unterschied zwischen Mensch und Mensch betont. Das war im letzten Jahrhundert Auschwitz. Das Einzige, was man dem entgegensetzen kann, ist Demokratie, ist Pluralismus, ist Vielfalt. Pluralismus, Demokratie, Vielfalt zu fördern – das ist Kulturpolitik! Und dieses Bekenntnis vermisse ich zu 100 Prozent in diesem Regierungsübereinkommen. (Beifall bei den Grünen und bei Abgeordneten der SPÖ.)

14.52

Präsident Dr. Heinz Fischer: Zu einer tatsächlichen Berichtigung hat sich Herr Abgeordneter Schweitzer zu Wort gemeldet. Redezeit: 2 Minuten. Die Geschäftsordnung ist bekannt. – Bitte.

14.52

Abgeordneter Mag. Karl Schweitzer (Freiheitliche): Frau Kollegin Glawischnig! Wir werden weiterhin Wert auf Sachlichkeit legen und bei den Fakten bleiben.

Du hast gesagt, es ist in diesem Regierungsübereinkommen mit der Tradition der österreichischen Anti-Atompolitik gebrochen worden. Es gebe darin keine Punkte mehr, die sich damit auseinandersetzen.

Ich sage: In dieser Regierungserklärung ist die österreichische Anti-Atompolitik viel klarer und eindeutiger dargestellt und das Wollen viel klarer zum Ausdruck gebracht (Abg. Mag. Posch: Ist das eine tatsächliche Berichtigung?) als in allen Vranitzky- und Klima-Erklärungen. (Beifall bei den Freiheitlichen. – Abg. Mag. Posch: Tatsächliche Berichtigung!)

Ich zitiere aus dem Programm, das du offenbar nicht gelesen hast. Da steht klar und deutlich, dass die Bundesregierung besonderes Augenmerk auf die Umsetzung des in der letzten Legislaturperiode verhandelten Anti-Atompakets legen wird (Abg. Mag. Posch: Das ist ein Debattenbeitrag!), und zwar im Geiste des Fünf-Parteien-Antrages (Abg. Öllinger: Das ist schon abgelaufen!), den wir hier gemeinsam verhandelt und beschlossen haben, genau das, was die Grünen und die Sozial...

Präsident Dr. Heinz Fischer: Jetzt müssen wir auf die Grenze zwischen Diskussionsbeitrag und tatsächlicher Berichtigung achten. Bitte, den Satz zu beenden! (Abg. Mag. Kogler: Das ist eine tatsächliche Verwirrung!)

Abgeordneter Mag. Karl Schweitzer (fortsetzend): Genau das, was die Grünen und die Sozialdemokraten wollen, wird diese Bundesregierung in Sachen Anti-Atompolitik umsetzen. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

14.54

Präsident Dr. Heinz Fischer: Nächster Redner ist Herr Abgeordneter Dr. Spindelegger. Er hat das Wort. Ich muss Sie aber um 15 Uhr unterbrechen, um die Behandlung der Dringlichen Anfrage vornehmen zu können. – Bitte.

14.54

Abgeordneter Dr. Michael Spindelegger (ÖVP): Herr Präsident! Geschätzte Mitglieder der Bundesregierung! Meine Damen und Herren! Frau Kollegin Glawischnig hat das Stichwort gegeben: Sie haben eigentlich gemeint, dass der Herr Staatssekretär Franz Morak ein Quergeist war. – Meine Damen und Herren! Seien Sie stolz darauf, dass es in einer neuen Bundesregierung auch neue Köpfe gibt, die auch neu regieren werden. (Abg. Dr. Mertel: Wo? Wo gibt es bei der ÖVP neue Köpfe?) Das ist doch genau das, was Sie immer gefordert haben. (Abg. Dr. Mertel: Wen meinen Sie?) Ich begrüße es sehr, dass es einen Franz Morak in dieser Bundesregierung gibt. (Beifall bei der ÖVP. – Abg. Dr. Mertel: Wo gibt es neue Köpfe? Morak, Molterer – wirklich sehr "neu"!)


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Es ist nämlich auch insoweit außergewöhnlich, meine Damen und Herren, weil zum ersten Mal in der Geschichte dieser Zweiten Republik ein Staatssekretär für Kunst und Medien zuständig ist, der selbst Künstler ist, der in einer ganz anderen Art und Weise, ganz aktiv, aus eigener Erfahrung formulieren kann, was Künstler in diesem Land betrifft, und der wirklich ein gutes Aushängeschild dafür sein wird, dass diese Regierung dem Anspruch gerecht wird, den sie sich selber stellt, nämlich Österreich neu zu regieren. (Beifall bei der ÖVP.)

Geschätzte Damen und Herren! Ich glaube daher, es ist tatsächlich einmal schon rein optisch ein neuer Anfang. Wir haben heute eine engagierte Regierungserklärung gehört, wir haben ein ambitioniertes Regierungsprogramm vorliegen, und wenn Sie die Regierungsbank betrachten, sehen Sie, es gibt eine ganze Reihe von neuen Köpfen (Abg. Dr. Mertel: Gehrer "neu"! Molterer "neu"! Schüssel "neu"!), die auch durchaus interessant sind.

Ich möchte doch in aller Form und mit Bedacht auf das korrekte Umgehen miteinander Herrn Abgeordneten Edlinger nur eines noch sagen: Herr Abgeordneter Edlinger hat heute eine eindrucksvolle Vorstellung gegeben. Er hat davon gesprochen, dass er keine Politik der verbrannten Bücher machen will. Meine Damen und Herren, wer ihn gehört und gesehen hat, wer dieses Bild des Unmuts und des Grants, nicht mehr auf dieser Regierungsbank zu sitzen, miterleben musste, der konnte bemerken, dass ein Bild oft mehr sagt als tausend Worte. (Beifall bei der ÖVP sowie des Abg. Mag. Trattner. )

Ich glaube, dass auch der Sozialdemokrat Edlinger die Größe haben sollte, jetzt zu erkennen, dass eben eine neue Regierung da sitzt, die eine neue Verantwortung auf sich nimmt, die, glaube ich, sehr ambitioniert und engagiert an diese Arbeit herangehen wird.

Es gibt aber nicht nur Dinge, die sich ändern, es gibt auch eine Kontinuität in dieser neuen Bundesregierung (Abg. Dr. Mertel: Neu?!), das ist, dass es bei der Programmatik über eine Außen- und Europapolitik ein Vorgehen nach genau denselben Grundsätzen geben wird, wie das in der Vergangenheit der Fall war. Ich möchte hier auch alle in diesem Haus ausdrücklich dazu einladen, an dieser Außen- und Europapolitik konstruktiv Anteil zu nehmen.

Die Grundprinzipien werden bleiben: das Bekenntnis zu Europa, auch zu einem erweiterten Europa. Es wird das Grundprinzip herrschen, einen breiten politischen Konsens zu finden. Es wird das Grundprinzip einer guten Nachbarschaftspolitik, so wie Österreich das in der Vergangenheit gepflogen hat, auch in dieser neuen Bundesregierung das Ziel sein. Ich glaube, das sind Grundprinzipien, zu denen wir als Volkspartei stehen können, die aber auch eine breite Mehrheit in diesem Haus finden müssten. (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der Freiheitlichen.)

Es gibt einige interessante Ausführungen, die auch in diesem neuen Regierungsprogramm zu finden sind. Ich möchte jetzt gar nicht auf alle Details eingehen, dazu reicht die Zeit nicht. Lassen Sie mich aber noch einen Aspekt aus persönlicher Betroffenheit heraus anschneiden, der auch ein neuer Aspekt ist und der wichtig ist für Österreichs Arbeitnehmer. Wir haben in diesem Regierungsprogramm zum ersten Mal die Möglichkeit vorgesehen, dass es eine Abfertigung neu geben wird, die in einer Art Rucksackmodell jedem Arbeitnehmer seine Ansprüche, die er einmal irgendwo erworben hat, sein ganzes Arbeitnehmerleben lang mitnehmen lässt. Das halte ich für einen so bemerkenswerten Fortschritt, für eine Königsidee, dass ich das auch einmal in das Zentrum meiner Ausführungen stellen möchte, weil gerade meine Fraktion, mein Bund, der ÖAAB, dafür gesorgt hat, dass sich das in diesem Regierungsprogramm findet. (Beifall bei der ÖVP.)

Meine Damen und Herren! Dieses neue Abfertigungsrecht durchzusetzen – das möchte ich klar festhalten –, war leider bisher in einer Koalition mit der SPÖ nicht möglich – ich möchte das Ihnen gegenüber auch einmal sehr kritisch festhalten –, und zwar offenbar einfach deshalb, weil Sie die Idee dafür nicht gehabt haben. Es kann doch wohl nicht sein, dass man, wenn man sich als Partei selber den Anspruch gibt, für Arbeitnehmer da zu sein, eine Königsidee wie die Abfertigung neu nach einem Rucksackprinzip ablehnt (Zwischenruf der Abg. Hostasch ), nur weil sie einem selber nicht eingefallen ist. Das halte ich nicht für einen guten Stil. (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der Freiheitlichen. – Abg. Hostasch: Wissen Sie, wovon Sie reden?)


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Ich bin sehr froh darüber, dass wir in diesem neuen Regierungsprogramm nunmehr dazu finden, diese Idee für den Arbeitnehmer und seine Zukunft, ebenso wie auch seine Pensionsansprüche, die er zusätzlich erwerben kann, wenn er will, in die Realität umsetzen können.

In diesem Sinne, meine Damen und Herren, möchte ich mich für Ihre Aufmerksamkeit bedanken, da die Zeit nunmehr abgelaufen ist und wir zur Dringlichen Anfrage kommen. Ich werde nach der Dringlichen Anfrage meine Ausführungen fortsetzen. – Besten Dank. (Beifall bei der ÖVP.)

14.59

Präsident Dr. Werner Fasslabend (den Vorsitz übernehmend): Ich unterbreche nunmehr die Debatte, damit die verlangte Behandlung einer Dringlichen Anfrage gemäß der Geschäftsordnung um 15 Uhr stattfinden kann.

Dringliche Anfrage

der Abgeordneten Eleonora Hostasch und Genossen an die Bundesministerin für Arbeit, Gesundheit und Soziales betreffend massive Verschlechterungen für ArbeitnehmerInnen, Pensionisten und sozial Schwache durch das FPÖ/ÖVP-Belastungspaket im Bereich der Pensionen und der gesetzlichen Krankenversicherung (332/J)

Präsident Dr. Werner Fasslabend: Da es bereits 15 Uhr ist, gelangen wir jetzt zur dringlichen Behandlung der schriftlichen Anfrage 332/J.

Da diese inzwischen allen Abgeordneten zugegangen ist, erübrigt sich eine Verlesung durch den Schriftführer.

Die Dringliche Anfrage hat folgenden Wortlaut:

"Das österreichische Sozial- und Gesundheitssystem wurde unter sozialdemokratischer Führung weiterentwickelt und ausgebaut und hat dadurch einen internationalen Spitzenplatz eingenommen.

Die solidarisch, umlagefinanzierte gesetzliche Pensionsversicherung mit Pflichtversicherung ist ein von internationalen Experten angesehenes Modell der Alterssicherung. Es zeichnet sich durch die Betonung des Versicherungsprinzips, die hochwertige Lebensstandardsicherung und die Ausgleichszulage als Instrument der bedarfsorientierten Mindestsicherung aus. Insbesondere werden die besonderen Lebensverläufe und Berufskarrieren von Frauen berücksichtigt.

Unser gesetzliches Pensionssystem wurde seit dem Jahr 1945 immer wieder an die gesellschaftlichen Veränderungen und die Bedürfnisse der Menschen angepasst. Dadurch wurden auch wesentliche strukturelle Maßnahmen zur Absicherung des Gesamtsystems gesetzt.

Ein wichtiger Faktor ist das Vertrauen der Menschen in dieses staatliche Pensionssystem. Dieses Vertrauen wird durch den verfassungsmäßigen Vertrauensschutz abgesichert. Die FPÖVP-Regierung hat innerhalb weniger Tage mit ihrem Belastungspaket das Vertrauen der Menschen in die Systeme der sozialen Sicherheit nachhaltig erschüttert. Der Vertrauensschutz in die Pensionsversicherung wird von FPÖVP zerschmettert. Mit der Anhebung des gesetzlichen Anfallsalters schon ab Oktober 2000 erfolgt ein gravierender Einschnitt in die Lebensplanung der Menschen. Eine Missachtung des Vertrauensschutzes führt zu einer Verfassungswidrigkeit der gesetzlichen Regelungen. Insbesondere die zynische Bonus-Regelung, die wohl kaum von vielen Berufstätigen in Anspruch genommen werden kann, und der extreme Malus durch unvertretbar hohe Abschläge führen zu enormer Verunsicherung und zeigen die kaltschnäuzige Politik der neuen Regierung gegenüber unselbständig Erwerbstätigen. Mehrdeutige, unpräzise Formulierungen lassen die Schlussfolgerung zu, dass das gesamte Ausmaß der Verschlechterungen verschleiert werden soll.

Das österreichische Gesundheitssystem ist mit seinen Ausgaben von acht Prozent des Bruttoinlandproduktes eines der effektivsten und effizientesten in Europa. Die soziale Krankenver


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sicherung zeichnet sich durch die solidarische umlagefinanzierte Pflichtversicherung und den chancengleichen Zugang für alle Versicherten und deren Angehörige zu Leistungen des Gesundheitswesens unabhängig von Alter, Geschlecht und finanzieller Leistungsfähigkeit aus.

Die stark ausgeprägte solidarische Komponente des Systems insbesondere für Familien ist die beitragsfreie Mitversicherung für Angehörige, die etwa einem Leistungsvolumen von 20 Milliarden Schilling entspricht.

Dieses Modell ist der Garant für eine solidarische Finanzierung des Gesundheitssystems und verhindert die nunmehr drohende Zwei-Klassen-Medizin.

Durch den Anschlag auf die Geldbörsen kranker Menschen im FPÖVP-Belastungsprogramm, das eine Krankenbestrafungssteuer bis 20 Prozent – bei gleichzeitiger Erhöhung der Krankenversicherungsbeiträge für Pensionisten – vorsieht, ist diese gesellschaftliche Solidarität massiv bedroht.

FPÖVP standen immer für Cliquen- und Klientelpolitik. Sie interpretierten Treffsicherheit immer in der Beschneidung der Rechte der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Es entsetzt uns jedoch, mit welcher Kälte die FPÖVP-Bundesregierung den kleinen Leuten in die Tasche greift.

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher an die Frau Bundesministerin für Arbeit, Gesundheit und Soziales nachfolgende

Anfrage:

1. Was sieht das FPÖVP-Pensionskürzungsmodell konkret

a) bei einer Frau mit 40 Versicherungsjahren und 55 Lebensjahren,

b) bei einem Mann mit 45 Versicherungsjahren und 60 Lebensjahren,

c) bei einem Mann mit 40 Versicherungsjahren und 65 Lebensjahren,

d) bei einer Frau mit 45 Versicherungsjahren und 60 Lebensjahren,

e) bei einem Mann mit 45 Versicherungsjahren und 65 Lebensjahren,

f) bei einer Frau mit 50 Versicherungsjahren und 65 Lebensjahren,

g) bei einem Mann mit 50 Versicherungsjahren und 65 Lebensjahren,

h) bei einem Mann mit 55 Versicherungsjahren und 70 Lebensjahren,

i) bei einem Mann mit 60 Versicherungsjahren und 75 Lebensjahren

zum 1.10.2000, zum 1.1.2001, zum 1.4.2001, zum 1.7.2001, zum 1.10.2001, zum 1.1.2002, zum 1.4.2002, zum 1.7.2002, zum 1.10.2002, im Vergleich zum Rechtsbestand 1.1.2000, vor?

2. Unter welchen Voraussetzungen kann ein Mann künftig mit 60 Lebensjahren in eine vorzeitige Alterspension wegen langer Versicherungsdauer gehen?

3. Unter welchen Voraussetzungen kann eine Frau künftig mit 55 Lebensjahren in eine vorzeitige Alterspension wegen langer Versicherungsdauer gehen?

4. Sie haben die Absicht sicherzustellen, dass Versicherte mit einer Beitragsdauer von mindestens 45 Jahren weiter mit 60 Jahren in Pension gehen können. Wie kann eine Frau 45 Versicherungsjahre vor dem Regelpensionsalter erreichen?

5. Ist diese Ungleichbehandlung von Männern und Frauen bei der vorzeitigen Alterspension beabsichtigt?


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6. Welche Zurechnungen – Abschläge sind für die Invaliditäts- und Berufsunfähigkeitspensionen im Vergleich zum Rechtsbestand 1.1.2000 vorgesehen?

7. Für die ersten 18 Monate der Karenzzeit ist ein Pensionsbeitrag von 250 S geplant, dadurch sollen diese Zeiten zu Beitragszeiten umgewandelt werden, wie werden die restlichen 18 Monate gewertet?

8. Wie stellen Sie sicher, dass die zurzeit fehlenden 5,3 Milliarden Schilling pro Jahr für Ersatzzeiten aus dem Titel Kindererziehungszeiten der gesetzlichen Pensionsversicherung voll gemäß dem Verursacherprinzip finanziert werden?

9. Warum wollen Sie in Ihrem Belastungsprogramm nicht existierende Ruhensbestimmungen im ASVG-Bereich (Männer 65, Frauen 60 Lebensjahre) abschaffen?

10. Wie stellen Sie sicher, dass der Eigenfinanzierungsgrad der selbständigen Pensionsversicherungsträger (Bauern – 21 Prozent 1998, Selbständige – 39,3 Prozent 1998) den Eigenfinanzierungsgrad der Unselbständigen – 84,2 Prozent 1998 erreicht?

11. Welche Eingriffe planen Sie bei den Hinterbliebenenpensionen?

12. Wie hoch ist das Einsparungspotential durch diese Maßnahme?

13. Wie hoch sind die Verwaltungskosten dieser Maßnahme?

14. Planen Sie durch Beitragserhöhungen in der Krankenversicherung der Pensionisten Kürzungen der bestehenden Pensionen bei gleichzeitigem Senken des Beitrages des Bundes für die KV der Pensionisten?

15. In welchem Umfang planen Sie im Bereich des Sozialversicherungsrechtes der Bauern die Senkung der Anrechnung des fiktiven Ausgedinges?

16. Laut FPÖVP-Belastungspaket planen Sie für Bäuerinnen und Bauern den Berufsschutz für eine Invaliditätspension entscheidend zu verbessern. Wie soll dieser ausgestaltet werden?

17. Welche Verbesserungen planen Sie im Bereich des Berufs- und Tätigkeitsschutzes bei den unselbständig Erwerbstätigen?

18. Planen Sie für die Einführung des FPÖVP-3-Säulen-Modell die Ansprüche der Arbeitnehmer auf vorenthaltenes Entgelt – nämlich die Abfertigung zu Gunsten des Aufbaues einer betrieblichen Altersvorsorge – zwangszuenteignen?

19. Gilt der zynische FPÖVP-Bonus bei der Pensionsberechnung erst ab einem Alter von 65 Lebensjahren bei Männern und ab 60 bei Frauen?

20. Wie sollen sich Pensionsanpassungen an der Wertsicherung orientieren, wenn gleichzeitig der Lebenserwartungsfaktor eingerechnet wird?

21. Wie hoch ist das Einsparungspotential durch diese Maßnahme?

22. Wie hoch sind die Verwaltungskosten dieser Maßnahme?

23. Welches Modell der eigenständigen Alterssicherung der Frauen wird von FPÖVP umgesetzt werden?

24. Wie wird das ab 1.1.2001 einzuführende persönliche Pensionskonto für jeden Versicherten ausgestaltet sein?

25. Planen Sie, die Zugangsvoraussetzungen für Pensionen über Beitragszeiten zu verschärfen?

26. Wie hoch ist das Einsparungspotential durch diese Maßnahme?


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27. Planen Sie längere Durchrechnungszeiten als der Rechtsbestand 1.1.2000?

28. Wie hoch ist das Einsparungspotential durch diese Maßnahme?

29. Wie planen Sie die Steigerungsbeträge anders zu gestalten?

30. Wie hoch ist das Einsparungspotential durch diese Maßnahme?

31. Planen Sie die steuerliche Förderung der privaten Altersvorsorge weiter voranzutreiben?

32. Warum sollen Erntehelfer aus der Pensionsversicherung ausgenommen werden?

33. Welche Auswirkungen erwarten Sie durch die Verschärfungen im Bereich der Pensionsversicherung auf den österreichischen Arbeitsmarkt

a) bei Arbeitslosen über 50 Lebensjahren,

b) bei Arbeitslosen über 55 Lebensjahren,

c) bei Arbeitslosen über 60 Lebensjahren,

d) bei Arbeitslosen über 15 Lebensjahren,

e) bei Arbeitslosen über 20 Lebensjahren?

34. Welche Maßnahmen werden Sie setzen, um unser gutes Gesundheitssystem weiter auszubauen?

35. Wenn ja, welche?

36. Wenn nein, warum nicht?

37. Welchen Anteil an den 3 Milliarden Schilling werden Sie auf dem Rücken der Kranken durch Kürzungen im Leistungsrecht der Krankenversicherung – unter dem Titel der Treffsicherheit, der Angemessenheit, der Zielgenauigkeit und Missbrauchssicherheit – erzielen?

38. Planen Sie, Leistungen des Gesundheitswesen zu rationieren?

39. Wenn ja, welche?

40. Wie hoch ist das Einsparungspotential durch diese Maßnahmen?

41. Wie hoch sind die Verwaltungskosten dieser Maßnahmen?

42. Wie soll die Einführung der Krankenbestrafungssteuer (20 Prozent Selbstbehalt) durch die Gebietskrankenkassen

a) für Niederösterreich,

b) für Oberösterreich,

c) für Salzburg,

d) für Steiermark,

e) für Kärnten,

f) für Tirol,

g) für Vorarlberg,


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h) für Wien,

i) für Burgenland

ausgestaltet sein?

43. Wie hoch ist das Einsparungspotential durch diese Maßnahmen?

44. Wie hoch sind die Verwaltungskosten dieser Maßnahmen?

45. Wie können Sie sicherstellen, dass unterschiedliche regionale Krankenbestrafungssteuern (Selbstbehalte), die bei ArbeitnehmerInnen auf den Beschäftigungsort abstellen, dem verfassungsmäßigen Gleichheitssatz entsprechen?

46. Wie können Sie das für einen Pensionisten, bei dem die Versicherungspflicht am Wohnort festgelegt ist, sicherstellen, dass die unterschiedlichen Krankenbestrafungssteuern (Selbstbehalte) der Gebietskrankenkassen dem verfassungsmäßigen Gleichheitssatz entsprechen?

47. Ist durch die Ausweitung der Selbstmedikation ein Verschieben der Heilmittelkosten zu Lasten der kranken Menschen geplant?

48. Wie hoch ist das Einsparungspotential durch diese Maßnahme?

49. Wie hoch sind die Verwaltungskosten dieser Maßnahme?

50. Soll die Ergänzung der Versicherungspflicht bedeuten, dass die Pflichtversicherung gespalten und Teile davon ausgelagert werden?

51. Wenn ja, welche?

52. Für welche Bereiche sind diese Krankenbestrafungssteuern (Selbstbehalte) vorgesehen?

53. Wie hoch ist das Einsparungspotential durch diese Maßnahme?

54. Wie hoch sind die Verwaltungskosten dieser Maßnahme?

55. Können Sie ausschließen, dass Selbstbehalte für den Bereich der Leistungen der Krankenanstalten eingeführt werden?

56. Sollen in Zukunft zum Beispiel bei Unfällen nicht mehr für alle Verletzten die Transportkosten übernommen werden, sondern nur mehr, wenn ein Arzt die echte medizinische Notwendigkeit feststellt?

57. Wenn ja, wie wollen Sie das sicherstellen?

58. Wie hoch ist das Einsparungspotential durch diese Maßnahme?

59. Wie hoch sind die Verwaltungskosten dieser Maßnahme?

60. Sind die zu erwartenden Folgekosten durch Prozesse und Gutachtenerstellung in den Einsparungsüberlegungen inbegriffen?

61. Erklären Sie das Modell des geplanten Teilkrankenstandes beziehungsweise definieren Sie die Restverwertbarkeit der Arbeitskraft von ArbeitnehmerInnen.

62. Wie hoch ist das Einsparungspotential durch diese Maßnahme?

63. Wie hoch sind die Verwaltungskosten dieser Maßnahme?

In formeller Hinsicht wird verlangt, diese Anfrage im Sinne des § 93 Abs. 1 GOG-NR dringlich zu behandeln."

*****


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Präsident Dr. Werner Fasslabend:
Ich erteile Frau Abgeordneter Eleonora Hostasch als erster Anfragestellerin zur Begründung der Anfrage, die gemäß § 93 Abs. 5 der Geschäftsordnung 20 Minuten nicht überschreiten darf, das Wort. – Bitte.

15.01

Abgeordnete Eleonora Hostasch (SPÖ): Herr Präsident! Meine sehr geschätzten Damen und Herren der Bundesregierung! Wertes Hohes Haus! Ich möchte mir erlauben zu begründen, warum diese Dringliche Anfrage von mir und auch anderen Vertreterinnen und Vertretern meiner Fraktion gestellt wurde: weil wir finden und erleben, dass Maßnahmen im Gesundheitsbereich, im Pensionsbereich, aber auch im Arbeitsmarktbereich elementare Interessen der Menschen betreffen und jeweils, egal um welche Regierung es sich handelt, um welches Programm es sich handelt, große Verunsicherung eintritt, wenn über Maßnahmen diskutiert wird beziehungsweise Maßnahmen überlegt werden. Daher begegnen nicht nur mir – davon bin ich überzeugt –, sondern auch Ihnen allen in der Bevölkerung Verunsicherung und sehr viele Fragen, die beantwortet werden sollen und müssen.

Ich gestehe, dass wir bei genauer Durchsicht dieses neuen Regierungsprogramms doch sehr unterschiedliche Interpretationen gefunden haben, ebenso manche unpräzise, aber auch widersprüchliche Formulierungen, von denen ich glaube, dass es sinnvoll und wichtig wäre, dass sie kurzfristig geklärt werden, damit die weitere politische Diskussion auf einer sehr konkreten, sehr korrekten und klaren Basis geführt werden kann.

Ich bitte Sie, sehr geschätzte Frau Ministerin, diese Dringliche Anfrage nicht als einen unfreundlichen Akt zu sehen. (Oje!-Rufe bei der ÖVP und den Freiheitlichen. – Abg. Ing. Westenthaler: Sie haben nur den falschen Namen gewählt! Sie hätten die Dringliche an sich selbst stellen sollen!) Und ich gestehe, Herr Kollege Haupt: Dass Sie gesagt haben, es sei eine opportunistische Aktion, hat mich betroffen gemacht, weil Sie mich, glaube ich, gut genug kennen, um zu wissen, dass Opportunismus nicht mein politischer Stil ist. (Beifall bei der SPÖ.)

Sehr geschätzte Damen und Herren! Ich möchte mir aber auch erlauben, doch einige grundsätzliche Bemerkungen zur Sozial- und Gesundheitspolitik zu machen, und auch Sie bitten, einiges Grundsätzliches zu sagen. (Abg. Dr. Khol: Frau Kollegin Hostasch, darf ich Sie etwas fragen?) Bitte, Herr Abgeordneter Khol. (Abg. Dr. Khol: Halten Sie es für fair, an eine Ministerin am ersten Tag eine Dringliche Frage zu stellen? – Rufe und Gegenrufe zwischen Abgeordneten der ÖVP und SPÖ.) Herr Kollege Khol, auch ich bin mehrmals in eine Situation gebracht worden, wichtige und schwierige Antworten zu geben. (Abg. Dr. Martin Graf: Sie haben ja keine Antwort gegeben!) Ich betrachte es nicht als unfair, sondern ich betrachte es im Sinne unserer parlamentarischen Beratungen als korrekt, ordentliche Grundlagen zu haben, auf Basis derer diskutiert werden kann und werden soll. (Abg. Dr. Fekter: Gab es eine ordnungsgemäße Übergabe der Geschäfte? – Rufe und Gegenrufe zwischen Abgeordneten der ÖVP und SPÖ.)

Ich bin überzeugt davon, dass bei der Erstellung des Regierungsprogramms genau überlegt wurde, welche Maßnahmen beabsichtigt sind, und es daher möglich sein muss, diese Fragen zu beantworten. Wenn es Fragen geben sollte, die jetzt nicht beantwortet werden können, dann bin ich überzeugt davon, dass die Frau Ministerin in geeigneter Form eine nachträgliche Beantwortung dieser Fragen vornehmen wird. (Beifall bei der SPÖ.)

Sehr geschätzte Damen und Herren! Erlauben Sie mir doch, bei den grundsätzlichen Bemerkungen festzuhalten, was ich glaube, woran eine demokratische Gesellschaft erkennbar ist. (Zwischenrufe bei den Freiheitlichen und der ÖVP.) Wie geht sie mit Minderheiten, mit sozial Schwachen, mit Randgruppen um? (Abg. Dr. Martin Graf: Eine Zwischenfrage!)  – Bitte. (Abg. Dr. Martin Graf: Ist das Ihre Abschiedsvorstellung?) Es wird meine Entscheidung sein, wann ich eine Abschiedsvorstellung mache, Herr Kollege! (Beifall bei der SPÖ. – Anhaltende Zwischenrufe.) Respekt vor dem Haus verbietet es mir jetzt, Ihnen eine passende Antwort zu geben, Herr Kollege. (Neuerlicher Beifall bei der SPÖ.)

Ich glaube aber, sehr geschätzte Damen und Herren, wichtig ist bei einer demokratischen Gesellschaft auch: Wie definiert sie die Rolle der Frau in der Gesellschaft? Wie bekennt sie sich


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zur Teilhabe aller an dem Wohlstand in der Gesellschaft? Wie steht sie zum Recht auf existentielle Absicherung und sozialen Schutz bei Krankheit, bei Invalidität, bei Arbeitslosigkeit? Wie steht sie zum Recht auf angemessene Versorgung im Alter? Und bekennt man sich dazu, dass Menschen Rechte haben und nicht Almosenempfänger sind? (Beifall bei der SPÖ.)

Sehr geschätzte Damen und Herren! Bundesregierungen der letzten Jahrzehnte haben sich jeweils unter Führung eines sozialdemokratischen Bundeskanzlers gemeinsam mit dem Koalitionspartner diesen Zielen verpflichtet gefühlt. Herr Bundeskanzler Dr. Schüssel hat zu Recht auf den hervorragenden Ist-Zustand unserer Republik am Arbeitsmarkt, bei der sozialen Sicherheit, bei der Preisstabilität, beim Wirtschaftswachstum, aber auch bei anderen Dingen verwiesen; auch auf unser hervorragendes Gesundheitssystem, das sich daran orientiert, dass jeder und jede gleichen Zugang zu allen Gesundheitsleistungen hat, unabhängig davon, ob man Jung oder Alt ist, Mann oder Frau ist, ob man einkommensstark oder einkommensschwach ist.

Um diese Standards auch in Zukunft halten zu können, bedarf es permanenter Reformen, Anpassungen und auch Neuorientierungen. Die SPÖ bekennt sich dazu, wenn dies mit sozialer Ausgewogenheit, Ausgeglichenheit und menschenorientiert erfolgt. Sie hat dies in der Vergangenheit gemacht und wird das auch in Zukunft machen. (Beifall bei der SPÖ.)

Sehr geschätzte Damen und Herren! Ein Blick auf das uns vorliegende Programm der Bundesregierung lässt jedoch befürchten, dass dieser Weg nicht fortgesetzt werden soll, daher – noch einmal – diese Dringliche, um gleich zu Beginn Klarheit über die Absichten, insbesondere im Pensions-, Arbeits- und Gesundheitsbereich, zu haben und zu bekommen. Ich glaube nämlich, die Bevölkerung hat ein Recht darauf, von den Absichten der neuen Regierung zu erfahren.

Sehr geschätzter Abgeordneter Dr. Pumberger! Ich habe das Regierungsprogramm sehr sorgfältig gelesen, und ich habe auch sehr viel Bekanntes gefunden, was ich schon vorher in einem anderen, nicht unterfertigten Programm vorgefunden habe, aber ich habe auch sehr vieles gefunden, wo Unschärfen, Unklarheit und Widersprüche sind, und ich glaube, es ist das Recht des Parlaments, hier Klarheit zu bekommen. (Beifall bei der SPÖ.)

Sehr geschätzte Frau Ministerin! Ich darf Sie daher auch fragen, ob Sie gedenken, die gesetzlichen Alterspensionskriterien, ungeachtet der Arbeitsmarktsituation, kurzfristig und doch sehr dramatisch zu verschärfen. Haben Sie ernsthaft die Absicht, nicht nur das Pensionsanfallsalter zu ändern, sondern auch massive Abschläge, weit über die bisher bestehenden Regelungen hinaus, einzuführen? Finden Sie es sozial verträglich, für eine eher kleine – um nicht zu sagen privilegierte – Gruppe von Versicherten die Nettoersatzquote deutlich zu erhöhen und gleichzeitig jene, die aus dem Arbeitsprozess, aus der Arbeitsmöglichkeit hinausgedrängt und gehindert werden, länger zu arbeiten, zu reduzieren? Um es noch einfacher zu sagen: Sollen jene, die die Möglichkeit einer längeren Beschäftigung haben, eine Nettoersatzquote bis zu 90 Prozent bekommen und jene, die diese Chance nicht haben, weil ihnen diese Chance verwehrt wird, sogar unter 70 Prozent Nettoersatzquote fallen?

Sehr geschätzte Damen und Herren! Beim Lesen des Programms habe ich auch den Eindruck gewonnen, dass Sie davon ausgehen, dass wir eine Arbeitswelt haben, in der sich tatsächlich jede und jeder aussuchen kann, wann sie oder er in Pension geht. Es muss eine andere Welt sein, in der Sie leben. Ich erlebe eine Arbeitswelt, in der es nicht möglich ist, den Pensionsantritt eigenständig zu wählen, sondern hier bestimmt einseitig die Arbeitgeberseite, wann der Pensionsantritt zu erfolgen hat. (Beifall bei der SPÖ.)

Sehr geschätzte Damen und Herren! Erlauben Sie mir noch ein paar Bemerkungen zum Gesundheitsbereich. Wie der Herr Bundeskanzler schon gesagt hat: Österreich kann stolz sein auf unser System, und auch die OECD hat unserem Gesundheitssystem hohe Qualität zugesprochen. Es ist der Grundsatz des chancengleichen Zuganges, aber auch der Grundsatz der Pflichtversicherung, der uns dieses System möglich macht.

Aber ich sage sehr offen: Ich sehe bei diesem Programm, wie diese Grundsätze verlassen werden. Ich bitte daher auch um Klarstellung, ob hier eine Änderung beabsichtigt ist beim Solidarausgleich zwischen Gesunden und Kranken, zwischen Älteren und Jungen, zwischen


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schlechten Risken und guten Risken, zwischen Frauen und Männern, zwischen Menschen, die Beiträge leisten, und jenen, die beitragsfrei mitversichert sind.

Sie sprechen von einem Selbstbehalt bis zu 20 Prozent, und Sie formulieren: "Die Krankenversicherungsträger werden ermächtigt, einen Selbstbehalt bis zu 20 Prozent in ihren Satzungen festzusetzen." – Es wird hier nicht differenziert, um welche Leistungen es sich handelt: ob es Arzneimittel, Arztbesuche, Spitalsaufenthalte, Operationen oder Geburten sind. Daher ergeben unsere Berechnungen, dass sich für den Fall, dass in dieser Form und gemäß Ihrem Gesamttext Selbstbehalte eingeführt werden, für Erwerbstätige und Pensionisten eine Mehrbelastung von 11 Milliarden Schilling ergeben würde. Ich glaube daher, dass es wichtig ist, auch in dieser Frage Klarheit zu erhalten.

Erlauben Sie mir, auch zu sagen, dass es mir zynisch erscheint, wenn der einzelne Krankenversicherungsträger ermächtigt werden soll, diese Selbstbehalte nach Bedarf oder Gutdünken in den Satzungen einzuführen. Sie wissen selbst genau, dass die Struktur der Versicherten eines Krankenversicherungsträgers ganz entscheidend ist für die Leistungsfähigkeit eines Krankenversicherungsträgers, und wenn differenziert wird zwischen jenen Trägern, die viele Risken zu tragen haben, bei denen schlechte Zahler versichert sind und die viele Leistungen zu erbringen haben, und jenen Trägern, die eine günstige Kostenstruktur haben, dann ist dies der erste Schritt zur Entsolidarisierung unseres Systems, der erste Schritt, Kranke gegen Gesunde, Leistungsstarke gegen Leistungsschwache auszuspielen! (Beifall bei der SPÖ.)

Sehr geschätzte Damen und Herren! Es ist dies auch der erste Schritt, dass bei uns Krankheit zum Risiko werden könnte, je nachdem, bei welchem Versicherungsträger man versichert ist. Ich glaube, es sind auch Ihnen Fälle aus den Vereinigten Staaten und anderen Ländern bekannt, dass Einkommensstarke bei langer Krankheit auf Grund der Kosten, die diese Krankheit verursacht, ihre Finanzkraft nicht mehr erhalten konnten und verarmt sind. Daraus können sogar wirklich dramatische Situationen für einzelne Personen oder Familien entstehen, wie ich aus eigener Erfahrung aus der Familie weiß.

Sehr geschätzte Damen und Herren! Die SPÖ wird sich auch in der Oppositionsrolle mit aller Kraft darum bemühen und dafür kämpfen, dass Krankheit nicht zu einem existentiellen Kriterium werden kann und wird! (Beifall bei der SPÖ.)

Sehr geschätzte Damen und Herren! Arbeit, Gesundheit und Soziales, egal ob durch ein Ressort verantwortet oder anders strukturiert, sind die zentralen Themen und Anliegen für den weit überwiegenden Teil unserer Bevölkerung. Die meisten unserer Mitbürger sind darauf angewiesen, durch ihre eigene Arbeitskraft für sich und Angehörige und auch für die entsprechende soziale Absicherung zu sorgen. Ich glaube daher, dass es ganz wichtig ist, in diesem Bereich immer mit der entsprechenden Ausgewogenheit vorzugehen und bei allen Maßnahmen Augenmaß zu behalten.

Ich betrachte es als ein sehr bedenkliches Signal, wenn die Themen der Arbeitswelt zum neuen Wirtschaftsressort transferiert werden. (Demonstrativer Beifall der Abg. Dr. Petrovic. ) Damit verlässt man einen bewährten Pfad und geht am Weg, in Richtung Partnerschaft zu arbeiten, vorbei. Es ist dies eindeutig das Signal, dass die Wirtschaft ihre dominierende Rolle noch dominanter ausüben können wird und dass der Faktor Arbeit eine zweitrangige Rolle in unserer Gesellschaft bekommt. (Beifall bei der SPÖ.)

Sehr geschätzte Damen und Herren! Trotzdem wünsche ich der Frau Bundesministerin und ihrem Staatssekretär Erfolg bei einem Regierungskonzept, das neoliberale Grundzüge hat, denn für Sozial- und Gesundheitspolitiker ist es sehr schwer zu verantworten, dass dieses Programm auch tatsächlich umgesetzt wird. (Beifall bei der SPÖ.)

15.14

Präsident Dr. Werner Fasslabend: Zur Beantwortung der Dringlichen Anfrage hat sich die neue Frau Bundesministerin für Arbeit, Gesundheit und Soziales, Frau Dr. Elisabeth Sickl, gemeldet. Die Redezeit soll 20 Minuten nicht überschreiten. – Bitte, Frau Bundesministerin.


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15.15

Bundesministerin für Arbeit, Gesundheit und Soziales Dr. Elisabeth Sickl: Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen auf der Regierungsbank! Hohes Haus! Ich wurde am Freitag, dem 4. Feber 2000, vom Herrn Bundespräsidenten zur Bundesministerin für Arbeit, Gesundheit und Soziales – wie das Ministerium derzeit noch heißt – angelobt. Ich bin daher erst seit fünf Tagen im Amt und habe nun erstmals die Gelegenheit, hier im Hohen Hause meine Vorstellungen betreffend die zukünftige Sozialpolitik dieser Bundesregierung zu vertreten.

Ich betrachte diese Dringliche Anfrage nicht als unfreundlichen Akt. Im Gegenteil: Ich bin sehr dankbar dafür, dass mir meine Amtsvorgängerin, Frau Kollegin Hostasch, die Gelegenheit gibt, meine Vorstellungen diesem Hause präsentieren zu können. (Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP.)

Der hohe Stellenwert, den diese neu ernannte Bundesregierung der Sozialpolitik einräumt, wird durch diese Dringliche Anfrage meiner Amtsvorgängerin, wenn auch offenbar ungewollt, noch bestätigt. (Rufe und Gegenrufe zwischen der SPÖ und den Freiheitlichen.)

Gleichzeitig bitte ich das Hohe Haus um Verständnis dafür, dass ich mein Hauptaugenmerk derzeit auf die Vorbereitung des informellen Sozialministertreffens in Lissabon am kommenden Freitag legen muss; ich bin sehr glücklich, dort teilnehmen zu können. (Abg. Schieder: Das ist eine Ausnahme!) Es ist notwendig, dass wir durch unseren guten Willen und unsere konstruktive Zusammenarbeit wieder ein gutes Klima auch in der EU schaffen. (Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP.)

Ich werde bei diesem informellen Ministertreffen die Ehre haben, Österreich zu vertreten, und es ist wichtig, gerade bei der Entwicklung des europäischen Sozialstandards dabei zu sein. Es gilt, insbesondere auch die Position Österreichs im Bereich der Sozialpolitik auf europäischer Ebene langfristig abzusichern.

Gestatten Sie, dass ich mich nunmehr der Dringlichen Anfrage zuwende, in der behauptet wird, dass durch die neue Bundesregierung massive Verschlechterungen für die Arbeitnehmer, Pensionisten, Frauen und sozial Schwachen im Bereich der Pensions- und Krankenversicherung eintreten würden. – Ich möchte gleich eingangs betonen, dass diese Behauptungen völlig aus der Luft gegriffen sind! (Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP.)

Wie Sie erkennen werden, ist das Gegenteil der Fall. Österreich gibt rund 30 Prozent des Bruttoinlandsproduktes für Maßnahmen im Bereich der sozialen Sicherheit aus. Der weitaus größte Teil dieser Ausgaben, die sich auf mehr als 700 Milliarden Schilling jährlich belaufen, entfällt auf das Pensionsversicherungssystem, das in Österreich die Vorsorge für das Alter, für Hinterbliebene und auch für Invalidität umfasst. Auch die Kosten der Abdeckung des Krankheitsrisikos hängen eng mit dem Alterungsprozess zusammen. In Summe stehen mehr als 80 Prozent der Sozialausgaben direkt oder indirekt mit dem Alterungsprozess in Zusammenhang.

Das heutige österreichische Pensionsversicherungssystem beruht auf dem Umlageverfahren und wird über Beiträge von Dienstnehmern und Dienstgebern, die sich in den Lohnnebenkosten niederschlagen, und Steuermitteln, dem Bundesbeitrag, finanziert. Die finanzielle Situation der Sozialversicherung sollen folgende Daten dokumentieren: Im Jahre 1970 betrug der Pensionsaufwand in Prozent des Bruttoinlandsproduktes 7,5 Prozent, im Jahre 2000 10,6 Prozent. Eine eingehende Studie von Herrn Universitätsprofessor Rürup im Auftrag des Bundesministeriums für Arbeit, Gesundheit und Soziales zeigt, dass sich dieser Prozentsatz bis zum Jahre 2030 auf 14,2 Prozent erhöhen würde. Der Bundesbeitrag in Prozent des Bruttoinlandsproduktes betrug im Jahre 1970 2 Prozent, beträgt im Jahre 2000 2,5 Prozent und würde sich bis zum Jahre 2030 auf 6,1 Prozent erhöhen.

Zur demographischen Situation: Die Lebenserwartung bei der Geburt wird bei Männern von derzeit 73,3 Jahren auf 79 Jahre im Jahre 2030 ansteigen, bei Frauen wird im gleichen Zeitraum mit einer Steigerung der Lebenserwartung von 79,7 auf 85 Jahre gerechnet. Das Verhältnis der 60-Jährigen und Älteren zu den 15- bis unter 60-Jährigen wird von 31,5 im Jahre 1994 über 40


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im Jahre 2015 auf 61,8 im Jahre 2030 ansteigen. Das heißt, im Jahre 2030 wird jeder dritte Bürger über 60 Jahre alt sein.

Die grundsätzlichen Probleme des Pensionssystems sind der Anstieg der Lebenserwartung, die Veränderung der Altersstruktur der Bevölkerung und die damit im Zusammenhang stehenden Auswirkungen auf die Arbeitsmarktsituation. Diese Probleme können nur durch drei Maßnahmen bewältigt werden, entweder durch Beitragserhöhungen oder durch ein späteres Pensionsantrittsalter oder durch Leistungskürzungen. Das geltende Pensionssystem beruht auf dem Umlageverfahren. Demgemäß werden die Pensionen durch die Beiträge der jeweils Erwerbstätigen finanziert. Nach diesem fiktiven Generationenvertrag finanziert die junge Generation unmittelbar die Altersvorsorge der älteren Generation.

Das österreichische Pensionssystem entspricht in seiner Konzeption dem Umlagemodell, das grundsätzlich auf dem Versicherungsprinzip beruht. Im Mittelpunkt steht die Erhaltung des Lebensstandards im Alter. Das österreichische Pensionssystem ist nunmehr durch die dramatische Entwicklung einzelner Indikatoren gefährdet. Betrachtet man die Entwicklung der einzelnen Indikatoren seit 1970, so wird die Dramatik der Situation deutlich. So haben sich die Pensionsausgaben mehr als verzehnfacht. Spätestens seit einer Studie des Beirates für Wirtschafts- und Sozialfragen, die im Jahre 1991 erstellt wurde, ist bekannt, dass das gegenwärtige gesetzlich verankerte Pensionsversicherungssystem und die dort zugesicherten Leistungen auf Dauer unfinanzierbar sind. Die zur Weiterführung des Systems in seiner bisherigen Form notwendigen Beitrags- und Steuererhöhungen würden zu einer Aufkündigung des so genannten Generationenvertrages führen.

Auch meiner vor wenigen Tagen abgetretenen Amtsvorgängerin war die Dramatik dieser Entwicklung klar bewusst, weshalb sie die Reihe der so genannten Pensionsreformen durch eine weitere Pensionsreform im Jahre 1997 fortgesetzt hat. All diese Pensionsreformen haben zu einer schleichenden Reduzierung der Pensionsleistungen, zum Beispiel durch Verschlechterung bei den Pensionsanpassungen, Verlängerung von Durchrechnungszeiten und Ähnlichem geführt, ohne das Pensionssystem als solches zu sanieren. So hat auch die Pensionsreform 1997, die von Ihnen, sehr geehrte Frau Kollegin Hostasch, in höchsten Tönen gepriesen wurde, ihr Ziel bei weitem verfehlt. Das haben Sie in letzter Zeit auch selbst erkannt, indem von Ihnen und Ihrer Fraktion die Notwendigkeit weiterer Reformen gesehen wurde. Dazu kam es allerdings erst nach der letzten Nationalratswahl vom 3. Oktober 1999.

Das Problem des gegenwärtigen Pensionssystems besteht im Wesentlichen nach wie vor darin, dass man weitestgehend auf dem Umlage- beziehungsweise Steuerzuschussverfahren beharrt hat, während international bereits teilweise bewährte Kapitaldeckungsverfahren berücksichtigt werden. Der dritte Beitragszahler, die Rendite der Finanzmärkte, bleibt in Österreich derzeit leider noch ungenützt.

Der von Ihnen selbst als Pensionsexperte herangezogene Universitätsprofessor Rürup hat dazu erst vor kurzem Folgendes ausgeführt: Die Zukunft gehört zweifellos Mehrschichtenmodellen. Die erste Schicht besteht hiebei aus einer umlagefinanzierten Basissicherung, die zweite Schicht ist eine kapitalgedeckte Betriebsvorsorge, ergänzt wird dies, als dritter Schicht, durch eine private Vorsorge. Ein solches Mehrschichtensystem ist in den Niederlanden, aber vor allem auch in der Schweiz bereits vorbildlich realisiert. In den Niederlanden entfallen 50 Prozent der Alterssicherung auf das umlagefinanzierte Basissystem, 40 Prozent auf betriebliche Zusatzsysteme und 10 Prozent auf die freiwillige Vorsorge. In der Schweiz lautet die Relation 42 Prozent Umlagefinanzierung, 32 Prozent betriebliche Vorsorge und 26 Prozent private Vorsorge.

Ein besonderes Problem bei der Finanzierung der Pensionen stellt das in Österreich besonders niedrige Pensionszugangsalter dar. Von 100 potentiell Erwerbstätigen – hören Sie genau zu! – zwischen 55 und 64 Jahren arbeiten in der Schweiz 71, in Norwegen 67, in Japan 64, in den USA 58, in Deutschland 39 und in Österreich nicht einmal 30 Erwerbstätige. (Abg. Schwemlein: Warum ist das Ihrer Meinung nach so?) Rürup sagt dazu, dass das tatsächliche Pensionsantrittsalter nur über ein echtes und effizienteres System als das der Reform des Jahres 1997 angehoben werden könnte. (Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP.)


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Wenn Sie, sehr verehrte Frau Ministerin Hostasch, nunmehr in Ihrer Dringlichen Anfrage ausführen, dass die von unserer Regierung beabsichtigten Maßnahmen – die ich im Folgenden noch darlegen möchte – massive Verschlechterungen für Arbeitnehmer, Frauen, Pensionisten und sozial Schwache nach sich ziehen werden, so muss ich darauf hinweisen, dass Ihre bisherigen Sozialpolitik dazu geführt hat, dass nahezu eine Million Österreicher laut dem vom Sozialministerium erstellten Armutsbericht unter der Armutsgrenze lebt. (Abg. Ing. Westenthaler: Eine Million! Das ist euer Wert!) Es handelt sich tatsächlich um eine Million! Darüber hinaus liegen die Pensionen der Frauen weit unter jenen der Männer. Dies ist das Ergebnis der unter jahrzehntelanger sozialdemokratischer Führung betriebenen Sozialpolitik! (Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP.)

Welches Ansehen eine solche Politik insbesondere auf dem Gebiet der Pensionen im Ausland hat, hat im März 1997 unter anderem das "Wall Street Journal" wie folgt beurteilt:

"Die europäischen staatlichen Pensionssysteme mit ihrem Umlageverfahren erinnern an die albanischen Finanzpyramidenspiele."

Nicht das Regierungsprogramm der neuen Bundesregierung hat das Vertrauen in das österreichische Pensionssystem erschüttert, sondern der jahrelange fahrlässige Umgang der Sozialdemokraten mit der Alterssicherung! (Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP.)

Bei den von der neuen Bundesregierung im Bereich des Pensionsrechtes vorgesehenen Maßnahmen handelt es sich keineswegs um ein Belastungspaket, wie Sie, sehr verehrte Frau Kollegin Hostasch, ausführen. Es ist vielmehr festzuhalten, dass die vorgesehenen Maßnahmen bei weitem nicht an jene Einschnitte heranreichen, die gerade Sie, sehr verehrte Frau Kollegin Hostasch, und Ihr ehemaliger Amtskollege, Herr Bundesminister Edlinger, vorgesehen beziehungsweise ausgehandelt haben. (Zwischenruf der Abg. Silhavy. )

Sie haben in der mir vorliegenden Punktation für ein Regierungsprogramm zwischen SPÖ und ÖVP folgende Maßnahmen paktiert: schrittweise Anhebung der vorzeitigen Alterspension bei langer Versicherungsdauer, Arbeitslosigkeit sowie zur Gleitpension um zwei Jahre – in unserem Regierungsprogramm sind es nur eineinhalb Jahre –; Anhebung des Zugangsalters zur vorzeitigen Alterspension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit; Erhöhung des gesetzlichen Pensionsalters bei den Beamten um zwei Jahre; Erhöhung der Pensionsbeiträge aktiver Beamter und Pensionisten um je 0,95 Prozent; die Pensionsanpassung hat sich in Zukunft am Ziel der Wertsicherung bei Berücksichtigung eines Lebenserwartungsfaktors zu orientieren; Erhöhung des Eigenfinanzierungsanteils der Selbständigen und der Bauern.

Mit diesen Maßnahmen haben Sie selbst zum Ausdruck gebracht, dass Sie das Pensionssystem nicht für sicher erachten und deswegen gravierende Einschnitte notwendig sind. Sie haben das Vertrauen der österreichischen Bevölkerung durch die Unterlassungen der letzten Jahre massiv erschüttert. Jedem Österreicher ist noch in Erinnerung, dass Ihr ehemaliger Bundeskanzler Vranitzky vor der Nationalratswahl 1995 versprochen hat, die Pensionen nicht anzutasten. In den Folgejahren wurde dieses Versprechen gerade von Ihrer Seite zum Nachteil der österreichischen Bevölkerung mehrmals nicht eingehalten. (Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP. – Abg. Dr. Khol: Sehr richtig!)

Auch vor der Nationalratswahl 1999 haben der Obmann Ihres Pensionistenverbandes, Herr Karl Blecha, sowie Herr Alt-Bundeskanzler Vranitzky und andere maßgebliche Politiker Ihrer Fraktion den Österreichern Sand in die Augen gestreut. (Abg. Dr. Mertel: Das ist Polemik von der Regierungsbank!) Unser nunmehriges Regierungsprogramm versucht das Vertrauen in das Pensionssystem wiederherzustellen, indem wir Maßnahmen in sozial verträglicher Weise planen und diese mit Augenmaß umsetzen werden. Ich lade Sie herzlich ein, an dieser Umsetzung konstruktiv mitzuarbeiten! (Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP.)

So ist im Regierungsprogramm etwa vorgesehen, dass das Pensionsantrittsalter nicht um zwei Jahre, sondern nur um eineinhalb Jahre angehoben wird. (Abg. Silhavy: Ab wann?) So ist im Regierungsprogramm vorgesehen, dass Versicherte mit langer Versicherungsdauer weiterhin im Alter von 60 in den Ruhestand treten können, was in Ihrem Programm nicht vorgesehen war,


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und dass Kindererziehungsersatzzeiten für Frauen als echte Beitragszeiten gelten. (Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP.)

So ist in unserem Regierungsprogramm vorgesehen, dass der Pensionssicherungsbeitrag für Pensionisten und die Pensionsbeiträge der Beamten nur um ganze 0,8 Prozent angehoben werden und nicht um 0,95 Prozent, wie dies von Ihnen beabsichtigt wurde. So sieht unser Regierungsprogramm – wie dies Universitätsprofessor Rürup verlangt hat – ein effizientes Bonus-Malus-System vor, welches einen Anreiz bietet, länger zu arbeiten. (Abg. Silhavy: Für welche Menschen?) So wird ein Pakt für ältere Arbeitnehmer vorgesehen, der diesen die Möglichkeit bieten soll, im Erwerbsprozess zu bleiben, wenn sie es wünschen.

Ferner ist in unserem Regierungsprogramm vorgesehen, das Pensionssystem zukunftssicher zu gestalten, indem durch die so genannte Abfertigung neu ein Pensionskassensystem entwickelt wird.

Darüber hinaus ist unser Regierungsprogramm darauf bedacht, das Vertrauen der Jugend und der Pensionsbezieher in die Stabilität und die Finanzierung des öffentlichen Pensionssystems nachhaltig zu sichern. (Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP.)

Aus diesem Grund wird unter meinem Vorsitz eine Expertenkommission zur Rahmenplanung eingerichtet. Ich werde hiebei größtes Augenmerk darauf legen, dass die betroffenen Bürger, aber auch deren Vertreter wie zum Beispiel der ÖGB und die Pensionistenverbände ihre Probleme und Vorschläge darlegen können und in den Entscheidungsprozess eingebunden werden. (Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP.)

Unser Regierungsprogramm geht in all seinen Ansätzen davon aus, dass in bestehende Pensionen nicht eingegriffen und der Wert der Pensionen in Zukunft gesichert wird. (Neuerlicher Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP.)

Da in Ihrer Anfrage, sehr verehrte Frau Kollegin Hostasch, auch Ausführungen zum österreichischen Gesundheitssystem beinhaltet sind, möchte ich hiezu Folgendes ausführen:

In Ihrer Anfrage wird auch behauptet, dass durch unser Regierungsprogramm eine Zweiklassenmedizin drohe. – Diese Behauptung muss ich auf das Schärfste zurückweisen, weil die neue Bundesregierung alle Anstrengungen unternehmen wird, um das gegenwärtige hohe Niveau des österreichischen Gesundheitssystems zu erhalten. Hiebei lege ich größten Wert darauf, dass grundsätzlich gleicher Zugang zu allen medizinischen Versorgungsleistungen nach jeweils fachlich definierten Qualitätsstandards für alle gegeben ist und keine Rationierung der Leistungen nach den Kriterien Alter, Geschlecht oder finanzielle Leistungsfähigkeit erfolgt. (Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP.)

Ich werde auch darauf Wert legen, dass qualitätssichernde Maßnahmen in allen Bereichen des Gesundheitssystems gefördert werden. Darüber hinaus werde ich mich auch bemühen, die Gesundheitsvorsorge zusätzlich zum Reparaturkrankensystem zu verstärken. Ich werde mich im Rahmen meiner Tätigkeit auch massiv dafür einsetzen, dass die Patientenrechte ausgebaut werden und dass die Ausbildung für den gesamten Gesundheitsbereich forciert wird. (Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP.)

Sehr verehrte Frau Kollegin Hostasch! Ihre Befürchtung, dass nunmehr eine "Krankenbestrafungssteuer" (Abg. Ing. Westenthaler: Ein schreckliches Wort!), wie Sie das ausgedrückt haben, von 20 Prozent eingeführt wird, ist unbegründet. Wir sollen doch bitte nicht mit dem Motiv der Angst arbeiten! Unsere Bürger sind ja beunruhigt! (Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP.)

Bitte, bleiben wir doch auf dem Boden der Realität und unterstellen wir einander doch nicht Dinge, die gar nicht existieren! (Zwischenruf des Abg. Gradwohl. ) Das gilt doch für alle im Nationalrat vertretenen Parteien! (Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP.)


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Unser Programm sieht vielmehr primär vor, dass die Effizienz der Sozialversicherungsträger gesteigert wird und dass die Sozialversicherungsträger zusammenzulegen sind, wenn dadurch eine Effizienzsteigerung, eine Kostensenkung und eine Erreichung von Synergieeffekten möglich ist. Ich werde daher keine Anstrengung scheuen, um die Sozialversicherungsträger zur Umsetzung dieser wichtigen Reformmaßnahmen zu bewegen, und diese dabei unterstützen und kontrollieren. Ich bin davon überzeugt, dass die Krankenversicherungsträger alle notwendigen Anstrengungen unternehmen werden, um dieses Ziel im Interesse der Versicherten zu erreichen. Ich bin davon überzeugt, dass dieses Ziel auch erreicht werden wird und daher die Ermächtigung der Krankenversicherungsträger zur Einhebung eines Selbstbehaltes von diesen gar nicht ausgeschöpft werden muss.

Darüber hinaus stelle ich noch fest, dass die Ermächtigung zur Einhebung des Selbstbehaltes nur für praktische Ärzte, Fachärzte und Ambulatorien, nicht aber für Krankenhausaufenthalte und Operationen gilt, und selbstverständlich sind Kinder, chronisch Kranke und sozial Schwache davon ausgenommen. (Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP. – Abg. Huber: Sie haben ja keine Ahnung!)

Weiters darf ich darauf verweisen, dass dieses System von Selbstbehalten in den Krankenversicherungen an die Stelle der viel diskutierten Krankenscheingebühr tritt. In diesem Zusammenhang bedauere ich, dass Sie, sehr verehrte Frau Kollegin Hostasch, der neuen Bundesregierung und somit auch mir unterstellen, dass wir den kleinen Leuten in die Tasche greifen. (Abg. Huber: Das tun Sie allein mit dem Selbstbehalt!) Ich weiß, dass durch die von mir in Aussicht genommen Maßnahmen gerade die sozial Schwächeren und die bisher benachteiligten Bürgerinnen und Bürger finanziell entlastet werden (Abg. Huber: Mit dem Selbstbehalt werden sie entlastet?), sodass auch in Zukunft keine Zweiklassenmedizin entsteht, es zu keiner Entsolidarisierung kommt, sondern – im Gegenteil! – die Solidarität der verschiedenen Bevölkerungsgruppen gestärkt wird.

Sehr verehrter Herr Präsident! Die vorliegende Dringliche Anfrage enthält 63 Detailfragen, deren Beantwortung in der vorgesehenen Redezeit nicht möglich ist. Darüber hinaus würde die konkrete Beantwortung der einzelnen Fragen voraussetzen, dass zumindest ein begutachtungsreifer Ministerialentwurf vorliegt. Die gestellten Fragen beziehen sich nämlich auf Vorschläge zu in Aussicht genommenen Gesetzesänderungen. Derzeit liegen jedoch entsprechende Gesetzentwürfe nicht vor. Im Sinne der Geschäftsordnung des Nationalrates werde ich die Beantwortung der einzelnen Fragen auf schriftlichem Wege nachreichen. (Abgeordnete der Freiheitlichen erheben sich von ihren Plätzen und spenden stehend Beifall. – Beifall bei der ÖVP.)

15.37

Präsident Dr. Werner Fasslabend: Meine Damen und Herren! Wir gehen nunmehr in die Debatte ein.

Ich mache darauf aufmerksam, dass gemäß der Geschäftsordnung kein Redner länger als 10 Minuten sprechen darf, wobei jedem Klub eine Gesamtredezeit von 25 Minuten zukommt.

Ich höre gerade, dass es eine Wortmeldung zur Geschäftsführung gibt. – Bitte, Herr Abgeordneter Öllinger.

15.38

Abgeordneter Karl Öllinger (Grüne) (zur Geschäftsbehandlung): Herr Präsident! Frau Bundesministerin! Ihre Antwort, warum Sie diese Anfrage nicht beantworten können, ist unzureichend. Sie verstoßen damit gegen die Geschäftsordnung! (Abg. Mag. Haupt: Das ist falsch! – Zwischenrufe bei den Freiheitlichen.)

Es ist durchaus möglich, etliche der hier gestellten Fragen zu beantworten, Frau Bundesministerin. Die Antworten erfordern nicht den konkreten Gesetzestext. (Zwischenruf des Abg. Dr. Ofner. ) Es gibt etliche Fragen, die sehr präzise von Ihnen – auch mit dem Wissensstand von jetzt und heute – zu beantworten sind! (Neuerliche Zwischenrufe bei den Freiheitlichen.)


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Ich halte es wirklich für eine Zumutung, dass Sie uns hier 20 Minuten allgemein über das Sozialwesen erzählen, aber keine Frage beantworten! (Beifall bei den Grünen und der SPÖ.)

15.39

Präsident Dr. Werner Fasslabend: Zur Geschäftsbehandlung: Herr Abgeordneter Westenthaler. – Bitte.

15.39

Abgeordneter Ing. Peter Westenthaler (Freiheitliche) (zur Geschäftsbehandlung): Hohes Haus! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sie sollten die Geschäftsordnung studieren, Herr Kollege Öllinger! Selbstverständlich ist eine solche Beantwortung möglich, und zwar laut § 93 Abs. 4 der Nationalratsgeschäftsordnung. Studieren Sie das!

Ich darf Sie daran erinnern, dass es auch während einer früheren Regierung zu solchen Beantwortungen gekommen ist; so etwa in der 41. und in der 49. Sitzung der XX. Gesetzgebungsperiode durch den damals amtierenden SPÖ-Bundeskanzler Vranitzky, der ebenfalls die Beantwortung der Dringlichen Anfrage schriftlich nachgereicht hat, nachdem er jedoch keinesfalls so ausführlich geantwortet hatte wie die Frau Bundesministerin für Soziales heute. (Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP.)

15.40

Präsident Dr. Werner Fasslabend: Zur Geschäftsbehandlung: Herr Abgeordneter Kostelka. – Bitte.

15.40

Abgeordneter Dr. Peter Kostelka (SPÖ) (zur Geschäftsbehandlung): Herr Präsident! Das Problem besteht ja nicht darin, dass die Frau Bundesminister die geschäftsordnungsmäßige Möglichkeit hätte, so zu handeln, wie sie gehandelt hat. Das Problem besteht darin, dass sie ihr Handeln begründet hat und dass die Begründung dafür, diese Fragen, diese insgesamt 63 Fragen nicht zu beantworten, nicht ausreichend ist. Das, was sie gesagt hat, ist vielleicht auf die eine oder andere Detailfrage zu reduzieren, aber sie hat keine einzige Frage beantwortet.

Es ist eine Zumutung für das Hohe Haus, dass eine Pensionsreform, eine Änderung der Pensionsregelung angekündigt wird, man aber nicht bereit ist, hier auch nur eine Frage zu beantworten. Das ist ein wirklicher Skandal! (Beifall bei der SPÖ und den Grünen. – Rufe bei der SPÖ: Jawohl!)

15.40

Präsident Dr. Werner Fasslabend: Zur Geschäftsbehandlung: Herr Abgeordneter Öllinger. – Bitte.

15.40

Abgeordneter Karl Öllinger (Grüne) (zur Geschäftsbehandlung): Herr Präsident! Frau Bundesministerin! Wenn Herr Abgeordneter Westenthaler erklärt, dass es keine Verpflichtung zur Beantwortung der Fragen gibt, und sich dabei auf eine Praxis beruft, die es in den letzten Gesetzgebungsperioden tatsächlich gegeben hat (Abg. Dr. Martin Graf: Das ist keine Geschäftsordnungsdebatte!), dann halte ich hier fest, dass der neue Stil der ÖVP/FPÖ-Mehrheit offensichtlich der alte Stil ist, nämlich: nicht zu antworten auf konkrete Fragen, deren Beantwortung möglich wäre. (Rufe bei den Freiheitlichen: Das ist keine Geschäftsordnungsdebatte!) Es ist der Frau Bundesministerin möglich, auf etliche der Fragen zu antworten. Und sie hat noch dazu eine falsche Begründung dafür gegeben, warum sie nicht antwortet. (Abg. Dr. Ofner: Die Enttäuschung sitzt tief!)

15.41

Präsident Dr. Werner Fasslabend: Zur Geschäftsbehandlung: Herr Abgeordneter Khol. – Bitte.

15.41

Abgeordneter Dr. Andreas Khol (ÖVP) (zur Geschäftsbehandlung): Ich möchte doch den § 93 Abs. 4 der Geschäftsordnung verlesen:


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"Das befragte Mitglied der Bundesregierung oder der im Sinne des § 19 Abs. 1 zum Wort gemeldete Staatssekretär ist verpflichtet, nach der Begründung der Anfrage und vor Eingang in die Debatte eine Stellungnahme zum Gegenstand abzugeben, doch ist auch eine mündliche Beantwortung gemäß § 91 Abs. 4 zulässig." (Abg. Schwarzenberger: Richtig!)

Das heißt also, dass es in der Wahlfreiheit der Ministerin steht, ob sie eine mündliche Stellungnahme abgibt oder ob sie die Fragen im Einzelnen beantwortet. Sie hat eindeutig das gemacht, was die Geschäftsordnung ihr zumisst: Sie hat eine Stellungnahme abgegeben, und damit hat sie ihre Pflicht erfüllt.

Im Übrigen möchte ich sagen, dass es wirklich ein Höhepunkt der Unfairness ist, dass eine Bundesministerin, die fünf Jahre im Amt war, eine Ministerin, die fünf Tage im Amt ist, mit 63 Fragen zudeckt. (Lebhafter Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

15.42

Präsident Dr. Werner Fasslabend: Zur Geschäftsbehandlung: Herr Abgeordneter Kostelka. – Bitte.

15.43

Abgeordneter Dr. Peter Kostelka (SPÖ) (zur Geschäftsbehandlung): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die konkret zu lösende Frage lautet: Wie wird mit diesem Haus umgegangen? (Rufe bei der ÖVP und den Freiheitlichen: Ha! Ha! Ha! – Abg. Schwarzenberger: Habt Acht vor der SPÖ!)

Die Pensionsreform ist eine zentrale Frage für viele Österreicher. (Abg. Dr. Fekter: Wo ist die Geschäftsbehandlung?) Die Klärung dieser Frage auf Monate hinauszuschieben, aber bis dahin politische Propaganda zu betreiben, sobald man dieses Haus verlassen hat, ist unerträglich. Die Bundesregierung hat dem Hohen Hause hier Rede und Antwort zu stehen. Die Antwort, die Herr Klubobmann Khol gegeben hat, bedeutet aber offensichtlich, dass die Mitglieder der Bundesregierung daran nicht mehr denken. Sie wollen dem Hohen Haus keine Rechenschaft ablegen. Und das ist das, was wir nicht akzeptieren können! (Beifall bei der SPÖ.)

15.43

Präsident Dr. Werner Fasslabend: Zur Geschäftsbehandlung: Herr Abgeordneter Westenthaler. – Bitte.

15.44

Abgeordneter Ing. Peter Westenthaler (Freiheitliche) (zur Geschäftsbehandlung): Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Kollege Kostelka, ich darf Sie noch einmal daran erinnern, dass Sie in der Zeit, als Sie in der Regierung waren, Dringliche Anfragen mit folgender Begründung nicht beantwortet haben:

Bundeskanzler Vranitzky in der 41. Sitzung der XX. GP – ich zitiere –:

"Herr Präsident! Im Sinne der Geschäftsordnung des Nationalrates und insbesondere unter Berücksichtigung der darin vorgesehenen Redezeit wird die Beantwortung der einzelnen 39 Fragen, soweit dies nicht bereits erfolgt ist, auf schriftlichem Wege nachgereicht." – Begründung fehlt.

Weiters (Abg. Dr. Mertel: Was soll das?) : 49. Sitzung: "... und werde gemäß der Geschäftsordnung die einzelnen Fragen schriftlich beantworten." – Begründung fehlt.

Ich finde es gut, dass die Frau Bundesministerin eine Begründung angegeben hat. Und wenn Sie von Respekt gegenüber diesem Hause sprechen, dann frage ich Sie: Wo ist denn der bis vor kurzem noch amtierende Bundeskanzler und Fraktionsvorsitzende der SPÖ Viktor Klima geblieben?

Herr Kollege Öllinger! Wenn Sie uns fragen: Was ist der neue Stil dieser Regierung?, dann sage ich Ihnen: Der neue Stil dieser Regierung und auch der Fraktionen ÖVP und FPÖ ist, dass wir uns an die Gesetze des Landes und an die Geschäftsordnung des Nationalrates halten.


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(Lebhafter Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP. – Abg. Dr. Martin Graf  – in Richtung SPÖ –: Ihr lernt die Opposition sicher noch in den nächsten Jahren! Keine Angst! Ihr werdet es noch lernen!)

15.45

Präsident Dr. Werner Fasslabend: Es liegt keine weitere Wortmeldung zur Geschäftsordnung vor. Ich verweise daher auf § 93 Abs. 4 und möchte ihn noch einmal zur Kenntnis bringen. Dieser Paragraph lautet:

"Das befragte Mitglied der Bundesregierung oder der im Sinne des § 19 Abs. 1 zum Wort gemeldete Staatssekretär ist verpflichtet, nach der Begründung der Anfrage" – die auch erfolgt ist durch Frau Abgeordnete Eleonora Hostasch – "und vor Eingang in die Debatte eine Stellungnahme zum Gegenstand abzugeben, doch ist auch eine mündliche Beantwortung gemäß § 91 Abs. 4 zulässig. Die Stellungnahme beziehungsweise Beantwortung soll 20 Minuten nicht übersteigen."

Eine Stellungnahme zur Sache in dieser Angelegenheit liegt sicherlich vor. Ich werde daher die Verhandlungen fortsetzen und erteile der nächsten Rednerin, Frau Abgeordneter Annemarie Reitsamer, das Wort. – Bitte.

15.46

Abgeordnete Annemarie Reitsamer (SPÖ): Herr Präsident! Meine Damen und Herren auf der Regierungsbank! Insbesondere Frau Sozialministerin! Kolleginnen und Kollegen! Ich sage bewusst Sozial ministerin, denn wir haben ja heute deutlich gehört, dass "Arbeit" nicht nur aus dem Titel ausgegliedert wird, sondern dass Probleme wie Arbeitsrecht, Arbeitsmarkt, Arbeitnehmerschutz, Arbeitsinspektorat in das Wirtschaftsministerium verlagert werden. Wer hier obsiegt, das überlasse ich Ihrer Phantasie, es sind sicher nicht die ArbeitnehmerInnen! (Beifall bei der SPÖ und den Grünen.)

Ich würde es selbst als unfair bezeichnen, wenn wir nach fünf Tagen Amtszeit von der Frau Bundesministerin schon einen Tätigkeitsbericht verlangt hätten. Wir wollten lediglich wissen, wie manche Dinge im Sozialbereich, insbesondere das Thema Pensionen, zu interpretieren sind. (Zwischenrufe bei der ÖVP.)  – Beruhigen Sie sich wieder!

Meine Damen und Herren! Das wird die Frau Bundesministerin ja wohl wissen. Sie muss ja wissen, worauf sie sich eingelassen hat, noch dazu, wo sie ganz großartig erklärt hat: Wem Gott ein Amt gibt, dem gibt er auch die Kraft! – Vor ihrem Bärentaler "Gott" hat sie heute sicher tadellos bestanden. (Abg. Mag. Kukacka: Sehr gut! Das war ein Kompliment!)

Nicht eine von den 63 Fragen ist beantwortet worden. Ich war schon ganz aufgeregt, ob ich denn während der Beantwortung der Fragen mit dem Schreiben mitkommen würde. Ich konnte meinen Bleistift unbenützt zur Seite legen, und ich glaube, das ist ein Ding der besonderen Art. (Beifall bei der SPÖ.)

Aber was das "Anschütten" betrifft, da waren Sie wunderbar. Dafür haben die 20 Minuten Redezeit offensichtlich ausgereicht. – Auch deshalb wird Ihnen das Lob des Bärentalers sicher sein.

Sie kritisieren die Pensionsreform aus dem Jahre 1997. Nicht einmal das wissen Sie, Frau Bundesministerin: dass erst im Jänner dieses Jahres erste Schritte in Kraft getreten sind und dass noch nicht abzuschätzen ist, was überhaupt dabei herauskommt; ob man nachbessern oder nicht nachbessern muss beziehungsweise in welchem Zeitabstand man nachbessern muss.

Das "Paket der Grauslichkeiten" hat Ihr Über-drüber-Kanzler aus dem Bärental jenes Papier genannt, das zwischen SPÖ und ÖVP akkordiert war. Herr Khol hat dieses Papier heute schon überstrapaziert. Obwohl ich von Haus aus gegen dieses Papier war, erkenne ich die Bemühungen meiner Partei an, bis zum Äußersten zu gehen, um gerade dieses Blau-Schwarz für Österreich zu verhindern. Aber es gab Scheinverhandlungen, und kaum haben Sie etwas bekommen,


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haben Sie mit Ihren Forderungen wieder nachgebessert. Heute sage ich: Es ist ganz gut, dass es so gekommen ist. (Beifall bei der SPÖ.)

Immer wieder sagen Sie, das oder das sei in diesem Papier auch gestanden. Natürlich wollen Sie jetzt die Zugangszeit zur Frühpension nur um eineinhalb Jahre erhöhen, aber Sie beginnen damit früher. – Ein Verbrechen am Vertrauensschutz würde ich das nennen. (Beifall bei der SPÖ. – Bundesminister Dr. Bartenstein: Wie bitte?)

Es ging darum: und/oder! Wir haben gesagt: entweder eine Malus-Regelung oder Erhöhung der Zeiten. – Jetzt fangen wir früher an, haben "nur" eineinhalb Jahre, dafür haben wir aber auch Abschläge. Das ist ein Kahlschlag für Arbeitnehmer und Pensionisten, wenn ich mir nur diese beiden Kapitel ansehe!

Über die Auswirkungen auf das Budget, meine Damen und Herren – nicht des gesamten Pakets, aber dessen, worüber wir heute in der Dringlichen diskutieren –, ich glaube, darüber sagt dieses "Gleichgewicht" alles aus. Es wird keine Sanierung durch das Sozialpaket im Budget geben. Es wird nur umgeschichtet: zu Lasten unselbständiger Erwerbstätiger, hin zu Großbauern und Großunternehmern. Deshalb ist ja auch Herr Kollege Schwarzenberger so besonders glücklich! Herr Kollege Feurstein ist weniger glücklich, und angesichts der Standing Ovations hat sich heute sogar Herr Kollege Gaugg verabschiedet. (Beifall bei der SPÖ. – Abg. Schwarzenberger: Beginnen bei Ihnen die Großbauern bei zwei Hektar? Offensichtlich!)  – Ja, wahrscheinlich. Das werden wir dann schon sehen, wen das betrifft. (Abg. Schwarzenberger: Das fiktive Ausgedinge betrifft nur die armen Bauern, die bis zu 5 000 S Pension bekommen, und nicht die Großbauern!) Ich muss mit meiner Redezeit haushalten, Herr Kollege Schwarzenberger!

Ich greife nur einen Teil aus Punkt 1 Kapitel 2 heraus:

"Gleichzeitig ist sicherzustellen, dass Versicherte mit einer Beitragsdauer von mindestens 45 Jahren weiter mit 60 in Pension gehen können. Dabei sind für Frauen Kindererziehungsersatzzeiten als echte Beitragszeiten zu werten."

Wissen Sie, dass das Frühpensionsalter einer Frau bis jetzt bei 55 Jahren gelegen ist? Wenn eine Frau dann nach dieser Regelung mit 45 Beitragsjahren mit 55 Jahren in Pension gehen sollte – weil Sie das ja so hinstellen –, dann, muss ich Ihnen sagen, haben wir Kinderarbeit in diesem Land, denn dann hätte sie mit zehn Jahren zu arbeiten beginnen müssen. Das lasse man sich einmal auf der Zunge zergehen!

Wie ist das? – Hier steht nichts! Gibt es Abschläge, gibt es keine Abschläge?

Ausbau des Bonus-Malus-Systems. – Ich würde sagen, der Bonus wird nicht einmal 5 Prozent der Pensionisten betreffen, dafür der Malus eigentlich fast alle, ich würde sagen, 98 Prozent. Denn baut man bereits auf den bisherigen Abschlägen auf – Sie tun ja so, als hätte es keine gegeben –, dann ist es nicht so, dass wir von 10 auf 20 Prozent gehen. Sie haben das ja nicht beantwortet! Gibt es jetzt die Regelung: zwei plus eins plus eins plus eins, oder bleiben wir bei dem Bisherigen und kommen da zwei plus eins plus eins plus eins dazu? Dann wären wir bei 30 Prozent.

Dieses Horrorszenario wollte ich nicht annehmen. Deshalb wäre die Beantwortung dieser Dringlichen Anfrage so wichtig gewesen. Wir hätten uns hier Antworten erwartet, damit wir dann auch den Menschen draußen gegenüber argumentieren könnten, dass es vielleicht nicht so schlimm kommen wird, wie es aussieht. Aber diese verwaschene Beantwortung, die sich eigentlich überhaupt nicht mit unseren Fragen auseinander gesetzt hat, lässt uns nach wie vor im Dunkeln tappen.

Weiters: "vollständiger Entfall der Ruhensbestimmungen für Pensionisten bei Erreichen des Regelpensionsalters". – Etwas, das es nicht gibt, kann ich abschaffen, das ist ganz großartig. Aber das hat eine Signalwirkung: Sie vertrauen wahrscheinlich selbst nicht darauf, dass in Zukunft die Menschen von ihren Pensionen noch werden leben können.


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Weiters finde ich da einen Satz: "Überprüfung und daraus resultierende erforderliche Harmonisierung der Zugangsbedingungen zu sämtlichen krankheitsbedingten Pensionsarten". – Meine Damen und Herren! Das noch zusätzlich halte ich für eine sehr gefährliche Drohung!

Wir haben die Absicht, Einmalzahlungen zu leisten sowie Fix- und Sockelbeträge an sozial Schwächere zu bezahlen, heißt es da. – Sind das jetzt die Denkmalpfleger von Ihren Gnaden, die Sie als sozial schwächer bezeichnen? Oder wer soll das sein? Wenn man nur eine Absicht hat, kann man sich von solch einer Absichtserklärung sehr schnell verabschieden. (Beifall bei der SPÖ.)

Auch die nachfolgenden Reformen, die die Frau Bundesministerin in einem Arbeitskreis ausverhandeln will, sollen spätestens mit 1. Jänner 2001 in Kraft treten. – Also noch einmal ein Angriff auf den Vertrauensschutz, meine Damen und Herren! (Beifall bei der SPÖ.)

Dafür gibt es wieder etwas in die komplett andere Richtung, nämlich eine weitere steuerliche Förderung der privaten Altersvorsorge. Also wer es sich leisten kann, der soll noch einmal entlastet werden.

Angesichts dieser Tatsachen sehe ich schon ein, dass Sie keine konkreten Antworten geben wollen, denn dann hätte man ja auch das Übereinkommen schon wesentlich konkreter formulieren können.

Im Übrigen entschuldige ich mich für das Wort "Verbrechen". Ich wollte "Anschlag" sagen, ich entschuldige mich hierfür in aller Form. Die Wortwahl war nicht richtig. (Zwischenrufe bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

Meine Damen und Herren! Bemerkenswert war heute schon der Spagat des Herrn Bundeskanzlers: ein stolzer Verweis darauf, wie gut dieses Land dasteht, ein absolutes Lob für die sozialdemokratische Regierung, weil man ja hier noch ein bisschen mitnaschen kann. Ist das jetzt der Grund für die Wende? Der Herr Bundeskanzler ist der Wegbereiter für diese Wende. – Nein, es ist etwas ganz anderes: Die Wende hat er vielleicht nicht gewollt, aber er wollte sich einen Lebenstraum erfüllen, einen Lebenstraum mit fatalen Folgen für unser Land. – Das nenne ich politische Verantwortung, meine Damen und Herren!

"Sozialpolitik" – in diesem Doppelwort verabschieden wir uns endgültig von "sozial". Das Erwachen wird fürchterlich sein! Ich kann hier noch einmal ein Zitat wiederholen, das ich vor einigen Tagen gesagt habe: Verkaufen wir ruhig die letzte Kuh, damit wir den Stall ausbauen können! (Beifall bei der SPÖ.)

15.56

Präsident Dr. Werner Fasslabend: Nächster Redner ist Herr Abgeordneter Gaugg. – Bitte.

15.57

Abgeordneter Reinhart Gaugg (Freiheitliche): Sehr geehrter Herr Präsident! Frau Bundesminister! Geschätzte Mitglieder der Bundesregierung! Diese Dringliche Anfrage der Abgeordneten Hostasch betreffend die Frage der Pensionen ist eine einzige Selbstanklage; die Reaktionen der sozialdemokratischen Abgeordneten zeigen es. Der Abschied von der Bundeskanzlerschaft nach 30 Jahren hat anscheinend tiefe Wunden in Ihnen hervorgerufen. Ich muss Ihnen etwas sagen, liebe Frau Abgeordnete Hostasch: Die erste Dringliche, die Sie als Abgeordnete in diesem Hause hätten stellen sollen, wäre die an Ihre eigene Fraktion gewesen, nämlich betreffend die Versäumnisse der letzten 30 Jahre, in Österreich solide Sozialpolitik zu betreiben! (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Solide Sozialpolitik, angesichts der Tatsache, dass es – nach Ihren Worten – ungefähr eine Million Menschen in Österreich gibt, die an der Armutsgrenze leben? Es hat ein Frauen-Volksbegehren gegeben. – Die darin aufgezählten Bedingungen sind nicht erfüllt! (Abg. Mag. Plank: Sie haben jetzt die Möglichkeit, das einzuhalten!)


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Gleichstellung der Arbeiter und Angestellten, ein jahrelanges Programm. – Nicht erfüllt. Der Niedergang der verstaatlichten Industrie mit Tausenden Arbeitsplätzen liegt in Ihrer Verantwortung! (Zwischenrufe bei der SPÖ.)  – Ich kann die Aufregung verstehen: Die Aufregung ist deshalb so groß, weil Sie selbst beschämt sind von dem Ergebnis der letzten Jahre in der Sozialpolitik. (Beifall bei den Freiheitlichen.) In Wirklichkeit sollten Sie sie hinterfragen. Sie sollten hinterfragen, ob Sie aus Ihrem Firmennamen "Sozialdemokratische Partei" nicht zumindest endlich einmal das Wort "sozial" streichen sollten, denn Sie haben für die Menschen dieses Landes in den letzten Jahren nichts übrig gehabt! (Zwischenrufe der Abgeordneten Dr. Mertel und Dietachmayr. )

Ich werde Ihnen ein paar Beispiele nennen. Johann S., Aktenumlaufevidenz. (Neuerliche Zwischenrufe der Abg. Dr. Mertel. )  – Liebe Frau Abgeordnete Mertel, beruhigen Sie sich! Es ist ja sonst zu befürchten, dass die SPÖ bundesweit das gleiche Schicksal wie in Kärnten erleidet. Hören Sie ein bisschen zu! Geben Sie jenen, die vor wenigen Tagen Verantwortung in diesem Land übernommen haben, zumindest eine faire Chance! (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Frau Abgeordnete Hostasch verlangt von der jetzigen Bundesministerin für Soziales fünf Tage nach deren Amtsantritt Antwort auf 63 Fragen. (Ruf bei der SPÖ: Und nicht einmal eine hat sie beantwortet!) Anscheinend reicht das Gedächtnis der ehemaligen sozialdemokratischen Regierungsmitglieder nur bis zum Tag des Scheiterns der Regierungsverhandlungen mit der ÖVP zurück, denn sonst hätten sie die Grauslichkeiten, die sie vollzogen haben, noch im Gedächtnis.

Frau Bundesminister! Vor neun Jahren hat es ein Arbeitsprogramm zu einer Reform gegeben: Sozialversicherungsanstalten, Bundesministerium für Soziales. Damals wurden 907 Verbesserungsvorschläge erarbeitet. Von diesen 907 Reformvorschlägen sind quantitativ einige umgesetzt worden, wie Sie wissen. Zum Beispiel ist man zu dem Ergebnis gekommen, dass es sinnvoll wäre, ein gemeinsames Briefpapier auf den Markt zu bringen. – Eine großartige Leistung! Man hat es aber bis heute verabsäumt, tatsächliche Einsparungspotentiale zu erwirken, nämlich im Bereich der EDV. Jede Sozialversicherungsanstalt hat ein eigenes EDV-System, das Gesamtkosten von 1,1 Milliarden Schilling verschlingt.

Hätten Sie in den letzten Jahren nicht so abgewirtschaftet, wären die Maßnahmen heute nicht notwendig! Sie aber haben ein Privilegienparadies für einige Günstlinge geschaffen. Ich kann Ihnen dazu einige Beispiele nennen: Haben Sie den Fall Praschak schon vergessen? Haben Sie all diese Dinge vergessen? Ist das alles Geschichte? Ist Ihr Proporzdenken schon vorbei? – Mit Sicherheit nicht. Ich werde Ihnen sagen, wo Sie weiterhin glänzen. (Zwischenruf der Abg. Dr. Mertel. )

Und jetzt komme ich – weil Herr Kollege Öllinger schon mit großem Interesse wartet – zur Sache. (Abg. Öllinger: Bitte!) Es geht um Pensionen. Da gibt es Menschen in Österreich, die dank 30-jähriger sozialdemokratischer Kanzlerschaft nicht einmal eine Mindestpension bekommen. Auf der anderen Seite bekommt zum Beispiel ein Kontorist 37 000 S, nicht im Jahr, sondern 15 Mal jährlich, ein Garagenmeister 43 000 S, 15 Mal im Jahr, ein Mitarbeiter in der Hausverwaltung 56 000 S, 15 Mal im Jahr. In der Aktenumlaufevidenz gibt es einen gewissen Johann S., der hat monatlich sage und schreibe 72 000 S, und das 15 Mal im Jahr! – Das ist das Ergebnis Ihrer Sozialpolitik!

Aus diesem Grund sind Reformen erforderlich. Sie haben all diese Privilegientempel, inklusive Oesterreichische Nationalbank, aus diesem Bereich stammen nämlich die genannten Beispiele, zugelassen. Sie haben immer nur bei den Arbeitern und bei den kleinen Angestellten gespart. Und das wird sich jetzt mit Sicherheit in Zukunft ändern. Dessen können Sie sicher sein. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Sie haben zwar ständig von Verwaltungsreform, Bürokratieabbau und Ähnlichem gesprochen, aber was haben Sie gemacht? – Den Baustellenkoordinator haben Sie eingeführt. Wieder eine Verteuerung, wieder etwas, was niemand braucht. – Nur ein kleines Beispiel am Rande.

Sie waren Meister der Günstlingswirtschaft. Weshalb Sie jetzt so heulen, weshalb auch Kollege Verzetnitsch solche Krokodilstränen weint, kann ich mir nur so erklären: Der Abschied von der


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Macht muss schmerzhaft sein! Ich sage Ihnen, die Rolle der Opposition ist nicht so schlimm. Wenn man die Arbeit ernst nimmt, kann man einiges bewegen. Wenn man aber so leidet wie die SPÖ-Fraktion und nur um seine Posten besorgt ist, dann, muss ich sagen, bin ich beschämt. In vielen Bereichen der Sozialpolitik haben Sie Schaden angerichtet, da wird einiges gutzumachen sein. Ich denke in diesem Zusammenhang etwa an den "Konsum", die Verstaatlichte und anderes mehr.

Ich sage Ihnen trotzdem: Wir treten gerne in den sozialpolitischen Dialog ein, wenn Sie ernsthaft daran interessiert sind, daran mitzuarbeiten, dass es der Mehrheit der Menschen in diesem Lande gut geht. Aber: Wenn Sie in den letzten Jahren eine so gute Sozialpolitik betrieben hätten, dann wären Ihnen nicht die Wähler in Scharen davongelaufen. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Sie haben jene im Stich gelassen, die jahrelang Vertrauen in Sie gesetzt haben. Ich kann Ihnen versichern: Wir Freiheitlichen werden Signale setzen, dass es den Menschen in unserem Lande wieder besser geht, dass es für Lehrlinge wieder eine Zukunft gibt, dass die Beschäftigten ein ordentliches Einkommen haben und dass die Pensionen dauerhaft gesichert sind! Sie waren es, die vor wenigen Jahren erklärt haben, die Pensionsreform, die Sie vollzogen haben, reiche bis weit in das nächste Jahrtausend. – Wir haben jetzt erst Anfang 2000, und es geht schon nicht mehr. Gleiches gilt für die Zusammenlegung der Sozialversicherungsanstalten und Ähnliches mehr.

Ich kann Ihnen Folgendes sagen: Nach 30 Jahren Sozialpolitik durch die Sozialdemokratie und einen sozialdemokratischen Bundeskanzler wird es unserem Land und seinen Menschen gut tun, wenn es einmal zu einer Veränderung kommt, zu einer politischen und geistigen Veränderung im Interesse der Mehrheit – nicht im Interesse einiger weniger, die wie Parasiten in diesem Staat leben, weil Sie sie begünstigt haben. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

16.05

Präsident Dr. Werner Fasslabend: Als nächster zu Wort gemeldet ist Herr Abgeordneter Dr. Gottfried Feurstein. – Bitte.

16.05

Abgeordneter Dr. Gottfried Feurstein (ÖVP): Herr Präsident! Meine Damen und Herren auf der Regierungsbank! Meine Damen und Herren! Frau Abgeordnete Hostasch, ich bin auch enttäuscht darüber, dass Sie sich hier herstellen und auf diese Art und Weise versuchen, Ihre Vorschläge, die im Wesentlichen von Ihnen und von der SPÖ stammen, hier interpretieren zu lassen, meine Damen und Herren. Das ist nicht fair. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

Es war Ihr Finanzminister, der aufgezeigt hat, dass im Bereich der Pensionsversicherung 15 Milliarden Schilling fehlen. Von Ihnen, Frau Abgeordnete, habe ich nie gehört, dass Gelder fehlen, dass hier Veränderungen herbeigeführt werden müssen. Im Gegenteil! Wir haben aus dem Sozialministerium immer gehört: Wir brauchen nichts zu verändern, alles ist in Ordnung! Es ist nicht fair, dass man die Vorschläge, die von der SPÖ kommen, von einer neuen Sozialministerin interpretieren lässt, meine Damen und Herren.

Ihre Vorschläge, Ihre Fragen, meine Damen und Herren, Frau Abgeordnete Hostasch, waren auch zynisch formuliert. Ich erwähne hier nur die Frage 24. Sie fragen da:

"Wie wird das ab 1.1.2001 einzuführende persönliche Pensionskonto für jeden Versicherten ausgestaltet sein?"

Ich lese gleichzeitig – nicht im gemeinsamen FPÖ/ÖVP-Papier, sondern im SPÖ-Positionspapier für die Regierungsverhandlungen –: neues Pensionsmodell für Berufsanfänger durch Transparenz über ein individuelles Pensionskonto. Wieso fragen Sie die Frau Ministerin, wenn der Vorschlag doch von Ihnen kommt? Sie müssen doch wissen, was ein "individuelles Pensionskonto" bedeutet. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen. – Abg. Reitsamer: Wir hätten ja gewusst, wie wir das machen! Wir wollten es ja von Ihnen wissen!)


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Frau Abgeordnete Hostasch! Ich frage auch – ich war ja nicht dabei, als die Übergabe der Amtsgeschäfte erfolgt ist –: Wie haben Sie der neuen Sozialministerin die Amtsgeschäfte übergeben? Wie haben Sie sie eingeführt? Wie haben Sie ihr das Ganze erklärt? Haben Sie das überhaupt getan? Ich möchte von Ihnen gerne eine Antwort darauf haben, ob Sie die Amtsgeschäfte korrekt übergeben haben oder ob hier manche Dinge nicht sofort nachvollziehbar waren. Ich weiß es nicht, hätte aber gerne eine Antwort auf diese Frage, Frau Abgeordnete. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen. – Abg. Dr. Mertel: Einschulung!)

Jawohl, wir sind der Meinung, meine Damen und Herren, dass unser Sozialsystem von Zeit zu Zeit angepasst werden muss. Das haben wir immer gesagt. Sie haben sich dann immer wieder geweigert, derartige Schritte einzuleiten. Ich denke jetzt nur an einen Vorschlag von der SPÖ, der da lautete: Wir müssen ja nichts verändern, erhöhen wir einfach die Beiträge um ein oder zwei Zehntelprozentpunkte! Das ist pro Monat nicht einmal ein Bier für den Betroffenen. Dazu haben wir gesagt: Nein, den Weg in der Sozialpolitik, der bis 1986 gegangen worden ist, dürfen wir nicht weitergehen. Wir dürfen die arbeitende Bevölkerung nicht weiter belasten, denn das führt dann dazu, dass man keine Beiträge mehr hereinbekommt. Wir sind den anderen Weg gegangen, meine Damen und Herren! (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

Wir sind bewusst den anderen Weg gegangen. Und ich stelle hier fest: Seit dem Jahre 1986 gab es keine Erhöhung der Pensionsversicherungsbeiträge für die unselbständig Erwerbstätigen. Es gab aber sehr wohl eine Reihe von Verbesserungen in unserem Sozial- und Pensionssystem, die wir mit Ihnen gemeinsam vereinbart haben. Die Pensionen sind in vielen Jahren um deutlich mehr erhöht worden als um die Inflationsrate. Wir haben die Ausgleichszulagenrichtsätze um deutlich mehr erhöht als die Inflationsrate und haben damit die Pensionisten, die ältere Generation, aus der Armut herausgeführt und viele von der Armut verschont. Meine Damen und Herren! Diesen Weg wollen wir weitergehen, damit es zu keiner Verarmung der Pensionisten kommt.

Deshalb werden wir in bestehende Pensionen auch nicht eingreifen. Das muss hier ganz klar festgehalten werden: Es erfolgt kein Eingriff in bestehende Pensionen (Beifall bei der ÖVP und bei den Freiheitlichen), sondern bestehende Pensionen sollen jährlich im Ausmaß der Geldentwertung erhöht werden. Es darf zu keiner Verarmung der Pensionisten kommen! Dagegen werden wir uns mit allen Mitteln wehren, meine Damen und Herren!

Ebenso werden wir uns dagegen wehren, dass man einfach bestimmte Gruppen, die man nicht mag, zur Kasse bittet. Eine solche Gruppe, die man nicht mag, sind bei der SPÖ zum Beispiel die Bauern. Warum hat man immer wieder auf die Bauern hingehackt? (Zwischenrufe der Abgeordneten Hostasch, Dr. Mertel und Wurm. ) Das werden wir nicht tun, meine Damen und Herren. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen. – Abg. Silhavy: Wer hat denn die Sozialversicherung für die Bauern überhaupt eingeführt? – Bruno Kreisky!)

Wir wollen die Gruppen gleich bewertet haben, meine Damen und Herren. Jetzt haben Sie es ja wieder getan, Frau Kollegin. Mit verschiedenen Anfragen haben Sie unterschwellig die Bauern in die Diskussion gebracht: Jaja, die werden wieder etwas zusätzlich bekommen. (Abg. Huber: Die Großbauern! Die Industriellen und die Großbauern!) Bei den Ausgleichszulagenrichtsätzen, beim Ausgedinge könnte man ihnen helfen. – Gegen Unterstellungen wehren wir uns! Bauern müssen auch eine Pension bekommen! Abgeordneter Donabauer wird darauf noch zu sprechen kommen. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

Ich stelle schon Folgendes fest – ich muss das wirklich sagen –: Der Zustand, den wir heute haben, wurde durch eine Politik, für die die Verantwortung bei Sozialministern und bei Finanzministern lag, hervorgerufen. Diese beiden sind nun einmal dafür verantwortlich. Wir, die ÖVP, haben dies dann auch mitzutragen versucht. Wir haben sogar ganz massiv mitgetragen, wenn es um die Sanierung gegangen ist. Wir sind deshalb oft kritisiert worden. Mancher Wähler oder manche Wählerin mag uns nicht gewählt haben, weil wir saniert haben, weil wir gesagt haben, wir brauchen gesunde Staatsfinanzen, wir brauchen eine gesunde Wirtschaft, wir brauchen eine gesunde Pensionsversicherung in unserem Lande. Mancher wird uns deshalb nicht gewählt haben. Auch von der FPÖ sind wir oft kritisiert worden, weil wir verantwortungsbewusst mit der


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SPÖ versucht haben, das System zu sanieren. Wir haben das getan, und wir werden das weiter tun, wir werden das jetzt mit den Verantwortlichen der FPÖ tun. Ich sage aber auch: Verantwortlich für das Desaster, das immer wieder eingetreten ist, waren und sind die SPÖ-Sozialminister und die SPÖ-Finanzminister. Daran führt kein Weg vorbei! (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen. – Abg. Dr. Mertel: Wo waren Sie denn die letzten Jahrzehnte? Sie geben sich selbst die Absolution!)

Wir distanzieren uns nicht, aber die Verantwortung haben primär Sie – da kann man sagen, was man will. 1986 war die Situation ja am schlimmsten. (Zwischenruf der Abg. Silhavy. ) Mit Minister Dallinger musste damals eine Sanierung begonnen werden. (Abg. Dr. Mertel: Wo waren Sie denn die letzten Jahrzehnte?) Wir können heute wirklich sagen, dass wir die Situation, die wir 1986 gehabt haben, nicht annähernd haben – Gott sei Dank! (Abg. Dr. Mertel: Sie geben sich jetzt die Absolution!)

Nun sage ich noch etwas: Jawohl, es war der Vorschlag, der bis vor drei Wochen noch zur Diskussion gestanden ist, dass das Pensionsalter für die vorzeitige Alterspension um zwei Jahre angehoben werden muss. Wir haben in den darauf folgenden Verhandlungen gesagt, das geht nicht, und haben das gemildert – ich möchte das einmal ganz deutlich sagen. Es wird um eineinhalb Jahre angehoben werden. (Abg. Huber: Aber weniger Pension bis zum Lebensende!) Das ist sicherlich für manche eine sehr harte Maßnahme. Aber derjenige, der sein Leben lang gearbeitet hat, der 45 Beitragsjahre hat, kann in Pension gehen, wenn er die 45 Beitragsjahre hat – auch mit 60 Jahren. Das war in Ihrem Programm nicht enthalten! (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

Die Teilpension wird gestrichen, meine Damen und Herren. Diese wird es nicht mehr geben.

Wir werden auch zu einer Neubewertung der Kindererziehungszeiten kommen, sodass die Frauen, die nicht erwerbstätig sein konnten, die keine Beitragszeiten erwerben konnten, nicht weiterhin benachteiligt bleiben.

Das sind einige Veränderungen, und ich begrüße es, meine Damen und Herren, dass die Frau Bundesministerin angekündigt hat, dass die konkrete Umsetzung dieses Programms von einer Expertengruppe durchgeführt werden soll, einer Expertengruppe, der Fachleute angehören, der die Sozialpartner angehören und in der auch die Parlamentarier aller vier hier vertretenen Parteien vertreten sein sollten, Frau Minister. Ich würde Sie bitten, hier wirklich eine weitgehende Transparenz zu schaffen, wenn es um die Umsetzung geht, auch eine Transparenz gegenüber der Öffentlichkeit, damit die Menschen wissen, was sie erwartet, und zwar sehr bald erwartet. Denn die Verunsicherung, die betrieben worden ist, darf nicht mehr weitergehen.

Meine Damen und Herren! In diesem Sinne wünsche ich auch der Frau Ministerin, dass sie ihre Aufgabe zum Wohle der älteren und der jüngeren Menschen und der Familien wirklich umfassend und gut wahrnimmt. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

16.15

Präsident Dr. Werner Fasslabend: Nächster Redner ist Herr Abgeordneter Karl Öllinger. – Bitte.

16.15

Abgeordneter Karl Öllinger (Grüne): Sehr geehrte Damen und Herren auf der Regierungsbank! Frau Bundesministerin! Werte Damen und Herren! Ich versuche kurz zusammenzufassen, was meiner Ansicht nach nicht nur für das Sozialkapitel, sondern für diese Regierungsvereinbarung insgesamt in wenigen Sätzen gesagt werden kann: Schneller in die NATO, später in die Pension, weniger für die soziale Sicherung, mehr Entlastung für die Unternehmen, kein Ende der Ausgrenzung nach innen, dafür die Isolation nach außen. (Abg. Dr. Pumberger: Das sind aber keine Sätze! Das sind Schlagworte – und noch dazu falsche!)

Das lässt sich auf Punkt und Beistrich auch im Sozialbereich nachweisen. Das ist das Problem. Ein riesiges Potential an Umverteilung von unten nach oben wird durch das, was im Sozialkapitel zu formulieren versucht wird, festgelegt: über 30 Milliarden Schilling! Ich hätte mir ja in


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meinen kühnsten Träumen nicht auszudenken gewagt, dass die kleinen Leute, von denen doch die Freiheitlichen auch immer so gerne sprechen, diese 30 Milliarden erhalten. Nein, umgekehrt! Von denen wird es weggenommen durch die Kürzung der sozialen Leistungen! Von denen wird es weggenommen und denen gegeben, die schon haben!

Darum kommt in diesem Sozialkapitel zwar auch einmal ganz verschämt die Feststellung vor, es gibt noch Armut in diesem Land – "noch" meinen Sie –, aber Sie haben offensichtlich nichts davon gehört, dass diese Armut in den letzten Jahren erst gewachsen ist. (Abg. Jung: Sagen Sie das der SPÖ!) Ja, das ist auch ein Verdienst der SPÖ, aber Sie als Regierungspartei tragen jetzt eine Verantwortung dafür, dass sich das ändert, meine Damen und Herren! (Beifall bei den Grünen. – Zwischenrufe der Abgeordneten Mag. Firlinger, Mag. Haupt, Jung und Wenitsch. ) Offensichtlich haben Sie aber schon gar nichts davon gehört – Sie am allerwenigsten, Herr Kollege Firlinger, denn Sie hören nie etwas –, dass der Reichtum in diesem Land auch beträchtlich zugenommen hat und dass sich jede Regierung der Verantwortung zu stellen hat: Wem gibt sie und wem nimmt sie? (Abg. Dr. Pumberger: Richten Sie die Kritik an Ihren Oppositionspartner!) Sie haben diese Fragen so beantwortet, dass sie denen geben, die schon haben. Das muss hier auch einmal deutlich festgehalten werden. Sie nehmen es den einfachen, kleinen Leuten weg. Ob bei der Pension, ob bei der Krankenversicherung – da gibt es Beispiele bis hin zum Urlaub –: Sie nehmen es denen weg. (Abg. Dr. Pumberger: Ihr Oppositionspartner ist das Ziel der Kritik!)

Ich bringe Ihnen ein Beispiel dafür. Sie schreiben in Ihrem Regierungsprogramm: Die Bundesregierung will denjenigen helfen, die unzureichend oder gar nicht zur Selbsthilfe fähig sind. – Ein gefährlicher Satz, aber lassen wir ihn so stehen. Untersuchen wir ihn! Was taugt er? Was gibt er her? – Ich bringe Ihnen ein Beispiel:

Ich bin gerade vor zwei Tagen auf der Straße von einer Frau angesprochen worden, und – das können Sie mir glauben! – es fällt einem verdammt schwer, diesen Menschen dann antworten zu müssen, dass sich da leider nichts machen lässt. Diese Frau ist 51 Jahre alt, hat 35 Jahre lang gearbeitet, gerackert um wenig Geld. Mit 50 Jahren ist sie arbeitslos geworden – dafür können Sie noch immer nichts –, hat dann die Notstandshilfe beantragt und wurde natürlich – eine Konsequenz der Politik der letzten Jahrzehnte – nicht zur Notstandshilfe zugelassen. Ihr Antrag wurde abgelehnt, weil ihr Gatte ja Einkommen hat. Wie hoch ist das Einkommen des Mannes? – 13 000 S, und zwar aus einer Pension. Das ist genug, um in dieser Republik, obwohl man 35 Jahre lang gearbeitet hat, keinen Anspruch auf eine Leistung aus der Arbeitslosenversicherung zu haben.

Mir fällt dazu nur nebenbei ein, dass es diesbezüglich auch in dieser Regierungsübereinkunft ein paar verdächtige Andeutungen gibt – aber über das Verdächtige sprechen wir nicht, sondern nur über die Fakten.

Der Punkt ist der: Was ändert sich für diese Frau? – Jetzt könnte ich an Sie von der ÖVP/FPÖ-Koalition die Anforderung stellen: Helfen Sie doch denen! Verbessern Sie die Situation für diese Frau, damit sie nicht nichts hat, ausgesteuert ist, nur weil ihr Mann ein so "riesig hohes" Einkommen hat – unter Anführungszeichen, damit sie den Sarkasmus auch begreifen. – Helfen Sie ihr! Sie machen nichts, gut.

Das unterscheidet Sie in nichts von der alten Koalition. Der Punkt ist: Wo wird es durch diese Regierungsübereinkunft für diese Frau mit ihren 51 Jahren schwieriger? Da fällt mir in dieser Regierungsübereinkunft auf – denn das war nämlich auch ein Grund dafür, dass sie sich beschwert hat: Sie hat einen Bandscheibenschaden, ist abgerackert nach 35 Jahren und braucht jetzt medizinische Behandlung –: Die kommt ordentlich dran, diese kleine Frau – aber die haben Sie in Ihrem "Konzept der kleinen Leute" offensichtlich nicht vor Augen –, durch die Selbstbehalte in der Krankenversicherung.

Was sagt der Pakt zwischen ÖVP und FPÖ noch? (Abg. Dr. Pumberger: Sparen für die Krankenkassen!)  – Diese Frau – sie ist 51 Jahre alt – muss warten, bis sie eine Pension erhält. Diese wird ohnehin nicht sehr hoch sein, weil sie ja für ihr Rackern nicht viel erhalten hat (Abg.


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Böhacker: Warum hat sie so wenig erhalten?), aber ÖVP und FPÖ verlangen nicht nur, dass diese Frau, die jetzt 51 Jahre alt ist, bis 55 wartet, sondern dass sie – zusätzlich dazu, dass sie all diese Jahre ohne irgendeinen Groschen Geld warten musste – dann, wenn es so weit ist, mit 56,5 Jahren, wenn sie den Anspruch auf eine vorzeitige Alterspension stellen kann, auch noch mit einem Abschlag bestraft wird.

Jetzt können Sie natürlich sagen: Diese Frau kann ja arbeiten! Sie soll doch arbeiten gehen! – Ja, glauben Sie nicht, dass diese Frau das auch versucht und dass sie gerade durch die am Arbeitsmarkt herrschende Situation in diese Lage, in der sie sich jetzt befindet, versetzt worden ist?

Sie aber, meine Damen und Herren, stellen mit dem, was Sie in der Arbeitsmarktpolitik vorgesehen haben – so etwas wie aktive Beschäftigungspolitik kommt bei Ihnen ja überhaupt nicht vor –, dieser Frau nicht die Mittel dafür zur Verfügung, dass sie tatsächlich einen Job erhalten könnte. Aber, so heißt es im Pakt, diese Sozialleistungen sind von teilweise sehr hoher Qualität und garantieren eine soziale Existenzsicherung. Punkt. – Diesen Zynismus erlauben Sie sich, und ich habe Ihnen diesen am Beispiel dieser Frau demonstriert.

Was verschweigt der Pakt noch – aber nicht nur der Pakt, sondern auch die vergangene Sozialpolitik von ÖVP und SPÖ? – Es gibt, in beiden Pakten, eine Kürzung nicht nur bei der aktiven Arbeitsmarktpolitik. Diese Frau hat überhaupt keine Chance mehr, über aktive Arbeitsmarktpolitik irgendeine Beschäftigung zu erhalten, weil sie aus der Statistik draußen ist. Die gibt es in keiner Statistik mehr! Die findet sich nirgends mehr im Zusammenhang mit irgendeiner Möglichkeit, wieder in eine Beschäftigung einzusteigen!

Aber, meine Damen und Herren von ÖVP und FPÖ, Sie geben ihr ja eine Chance: Die Chance ist das "Unternehmen Haushalt"! Das wird als die neue Perspektive für die Frauen propagiert! Die soll das "Unternehmen Haushalt" betreiben – und offensichtlich dabei von den 13 000 S ihres Mannes irgendwie so viel herausarbeiten, dass sie auch noch davon leben kann! (Abg. Dr. Fekter: Sie haben ja keine Ahnung, worum es geht!)

Ich weiß nicht, wo Ihrer Vorstellung nach das "Unternehmen Haushalt" dieses Geld tragen soll. – Es ist das Zynismus. (Beifall bei den Grünen und bei Abgeordneten der SPÖ.)

Die zweite Chance, die Sie ihr für den Fall, dass tatsächlich das Geld nicht mehr reichen sollte – denn 13 000 S sind nicht viel –, geben, ist, Sozialhilfe zu beantragen. Dazu gibt es ein Programm der ÖVP und FPÖ: Diese Frau müsste dann gemeinnützige Arbeit verrichten, Pflichtarbeit – denn sie ist ja eine, die "nicht arbeiten will" – mit einem kleinen Zuschlag. Zwangsarbeit ist das, meine Damen und Herren, ein Zwangsarbeitsprogramm, das wiederum die Frauen noch mehr bestrafen würde als die Männer, weil ihr vorheriges Einkommen – und die Leistung ist abhängig davon, Herr Khol, das haben Sie offensichtlich nicht bedacht, als Sie dieses Konzept propagiert haben – auch für die Entlohnung bei diesem Konzept der Pflicht- oder Zwangsarbeit ausschlaggebend ist.

Dann gibt es noch etwas, meine Damen und Herren, was propagiert wird in Ihren Konzepten, die Sie da in den letzten Wochen und Monaten entwickelt haben – nicht nur in der Regierungserklärung –: die Möglichkeit, die uns Freiheitliche etwa in Kärnten anbieten. Diese Möglichkeit heißt: Die Armut muss in Zukunft durch Gratislebensmittel oder fast geschenkte Lebensmittel für die Armen bekämpft werden. Das, was sonst im Abfallcontainer landet, das soll an die Armen ausgegeben werden. – Das ist ein Vorschlag der Freiheitlichen in Kärnten.

Meine Damen und Herren von den Regierungsparteien! Wenn Armen-Geschäfte ...

Präsident Dr. Werner Fasslabend: Herr Abgeordneter! Kommen Sie bitte zu Ihrem Schlusssatz!

Abgeordneter Karl Öllinger (fortsetzend): ... und Armen-Essen das sind, was Ihnen zur Sozialpolitik, die heute notwendig ist, einfällt, wenn das das Resultat Ihrer Überlegungen dazu ist, dann fürchte ich um die Zukunft in diesem Land. Vielleicht landen wir wirklich auch noch bei den


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Armen-Häusern und Armen-Schulen, die als Resultat Ihrer Verteilungspolitik dabei herauskommen! (Beifall bei den Grünen und bei Abgeordneten der SPÖ.)

16.26

Präsident Dr. Werner Fasslabend: Zu Wort gemeldet hat sich Herr Bundesminister Dr. Martin Bartenstein. – Bitte.

16.26

Bundesminister für wirtschaftliche Angelegenheiten Dr. Martin Bartenstein: Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Kollegen auf der Regierungsbank! Hohes Haus! Frau Kollegin Hostasch, Sie haben aus meiner Sicht drei wichtige Anmerkungen in Ihrer Anfragebegründung gemacht:

Zum einen haben Sie, Frau Kollegin Hostasch, Verständnis zum Ausdruck gebracht für den Fall, dass die erst kürzlich ins Amt berufene Sozialministerin Sickl die Fragen zumindest zum Teil schriftlich beantwortet. Ihr Klubobmann und auch Kollege Öllinger von den Grünen haben ein solches Verständnis leider Gottes nicht aufgebracht.

Zum Zweiten haben Sie gesagt, Frau Kollegin Hostasch, dass Sie in unserem Regierungsprogramm, als jenem der Volkspartei und der Freiheitlichen, viel Bekanntes gefunden haben. Das ist richtig, weiß ich doch, dass ich mit Ihnen unter anderem den relevanten Teil zum Arbeits- und Sozialbereich verhandelt und ausverhandelt habe. Gerade Sie, Frau Kollegin Hostasch, wissen ja so gut wie ich, dass wir keine Scheinverhandlungen geführt haben, sondern ein gutes Verhandlungsergebnis erzielt haben – ein gutes Verhandlungsergebnis, das sich in sehr weiten Bereichen auch jetzt in diesem Regierungsprogramm zwischen Freiheitlichen und Volkspartei findet.

Sie sagen zum Dritten auch, Frau Kollegin Hostasch, dass das aus dem nicht unterfertigten Regierungsprogramm stammt. Das ist nämlich richtig: Dieses Regierungsprogramm war fixfertig ausverhandelt. Es wurde von einer Seite, nämlich von Ihrer respektive von Seiten eines Ihrer Mitverhandler, nicht unterfertigt, aus bekannten Gründen – ich will das gar nicht mehr erläutern. Ich glaube aber, dass es für die heutige Debatte und für weitere Debatten wichtig ist, dass niemand die Sozialdemokratie, die jetzt in der Opposition ist, dazu anhalten kann, dieses Regierungsprogramm gemeinsam mit uns umzusetzen, auch dann, wenn es sich um Positionen handelt, die Sie selbst eingenommen haben. Nur: Im Sinne der politischen Glaubwürdigkeit werden wir uns schon erlauben, Frau Kollegin Hostasch und meine geschätzten Kollegen von der sozialdemokratischen Opposition, Sie daran zu erinnern, dass das bis vor kurzem Ihre eigenen Positionen gewesen sind. (Beifall bei der ÖVP und bei den Freiheitlichen.)

Es stand zwischen uns außer Streit und steht auch nunmehr außer Streit, dass im Pensionsbereich ja niemandem etwas weggenommen werden soll, sondern dass der Zuwachs des Bundeszuschusses zu den Pensionen in den nächsten vier Jahren um 15 Milliarden Schilling zu reduzieren ist. Da kann die Emotion des Finanzministers außer Dienst Edlinger hochgehen, wie sie will: Es führt kein Weg an der Tatsache vorbei, dass es im Wesentlichen sein Vorschlag war, das Pensionsantrittsalter für die Frühpensionisten um zwei Jahre zu erhöhen, meine sehr geehrten Damen und Herren, und nicht wie wir um 18 Monate. (Abg. Wimmer: Und die Abschläge? – Abg. Dr. Mertel: Aber es gab keine Abschläge! – Ruf: Es gibt auch Zuschläge!)

Und das ist das Absurdeste, was ich am heutigen Tag gehört habe, Frau Kollegin Reitsamer: Es sei ein "Verbrechen am Vertrauensschutz"! Sie und wir hätten gemeinsam am 1. Jänner des nächsten Jahres diesen schwierigen Weg beschritten, in einem Schritt um sechs Monate zu erhöhen (Abg. Reitsamer: Aber keine Abschläge!); und im Vergleich dazu bezeichnen Sie es als "Verbrechen am Vertrauensschutz", wenn wir im Oktober dieses Jahres beginnen, in Schritten um je zwei Monate zu erhöhen! (Abg. Reitsamer: Und zusätzlich noch Abschläge! – Abg. Dr. Mertel: "Anschläge", nicht Abschläge!) Das erklären Sie jemandem! Ich verstehe das nicht. Die Bürger verstehen das auch nicht – ich glaube, nicht einmal Sie! (Beifall bei der ÖVP und bei den Freiheitlichen.)

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zur Frage des Selbstbehaltes: Frau Kollegin Sickl hat sehr deutlich und klar gesagt, dass es hier um eine Kann-Bestimmung, um eine Ermächtigung


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für die Krankenversicherungsträger in diesem Lande geht. Es geht darum, dass die Krankenversicherungsträger im letzten Jahr kumuliert fast 3 Milliarden Schilling an Defizit geschrieben haben – bis jetzt ist das noch aus Rücklagen deckbar, wie ich höre; aber das ist pro futuro nicht länger machbar – und dass bereits Bundeskanzler Klima an die Krankenversicherungen appelliert hat, im Rahmen ihrer Selbstverwaltung das Notwendige zu machen, um einzusparen.

Es finden sich weitere Vorschläge und Anregungen zu diesem Thema in der Regierungsvereinbarung und auch die Möglichkeit, Selbstbehalte für Besuche bei niedergelassenen Ärzten und natürlich auch in Ambulanzen bis zu 20 Prozent einzuführen.

Was sagt der sozialdemokratische Spitzenfunktionär und Obmann der OÖ Gebietskrankenkasse Oberchristl – uns allen bekannt; er ist auch Betriebsratsobmann von VA-Stahl Linz – heute dazu? – Er kritisiert zwar diese Ermächtigung, sagt aber gleichzeitig, man sei trotzdem gezwungen, diesen Selbstbehalt einzuführen. – Nein, Herr Oberchristl, nein, liebe Krankenversicherungsträger, niemand ist gezwungen! Wenn ihr diese Einsparungen anderswo tätigt, so ist das wunderbar. Niemand wird glücklicher darüber sein als diese Bundesregierung. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

Herr Oberchristl sagt noch etwas sehr Interessantes, meine sehr geehrten Damen und Herren, und das soll Ihnen nicht vorenthalten werden, weil wir klar formulieren ... (Zwischenruf des Abg. Öllinger. ) – Herr Öllinger! Auf Ihre Ausführungen komme ich noch zu sprechen. Vielleicht können Sie uns dann noch erklären, wie Sie auf die 30 Milliarden Schilling kommen und auf die Zwangsarbeit. Aber keine Angst, ich beschäftige mich noch mit Ihnen. Warten Sie noch eine Sekunde, seien Sie geduldig!

Herr Oberchristl sagt gleichzeitig aber auch – das, was wir ausschließen, denn wir wollen keine Selbstbehalte in Krankenhäusern –: Die OÖ Gebietskrankenkasse hat das schon – für kostenlos Mitversicherte. Für kostenlos Mitversicherte gibt es diesen Selbstbehalt in Oberösterreich schon. Wissen Sie, wie viel der im Jahr ausmacht? – 200 Millionen Schilling. Auch kein Pappenstiel. In Oberösterreich gibt es das schon bei Ihrem Herrn Oberchristl.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Hören Sie sich auch die Rezepte an, die Oberchristl als Alternative zum Sparen anzubieten hat – das ist eben ein sozialdemokratisches Prinzip, wie wir es kennen, und ein Weg, den wir nicht gehen wollen –: Aufmachen der Höchstbemessungsgrundlage. Die Besserverdienenden sollen höhere Beiträge zahlen – ist auch nichts anderes als eine Form der Beitragserhöhung.

Oder: Zweckbindung der Einnahmen aus Steuern für Alkohol und Nikotin. – Also: Geben wir den Krankenkassen mehr Geld, und damit geht es! – Das kann nicht unser Weg sein. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen. – Abg. Dr. Khol: Das ist Karl Marx, dieser Weg!)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zum Stichwort "Bonus-Malus-Regelung": Frau Kollegin Hostasch und ich wissen – das Hohe Haus weiß das auch –, dass mit 1. Jänner dieses Jahres eine Bonus-Malus-Regelung ... (Rufe und Gegenrufe zwischen ÖVP und SPÖ. – Abg. Öllinger: Ihre eigene Fraktion schwätzt immer!) – Herr Kollege Öllinger! Anders als Frau Kollegin Sickl bin ich zu lange im Haus, als dass Sie mich mit Zwischenrufen irgendwie irritieren könnten, Sie motivieren mich höchstens damit. (Heiterkeit und Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

Seit 1. Jänner dieses Jahres haben wir eine Bonus-Malus-Regelung: plus 2 Prozent/minus 2 Prozent. Es ist richtig, dass wir hier etwas weiter gehen und beispielsweise für jemanden, der drei Jahre vorzeitig in Frühpension geht, in Zukunft einen Malus von 9 Prozent – statt, geltendes Recht, 6 Prozent – vorsehen. Das ist richtig, aber das brauchen wir als Ergänzung und als Anreiz, länger in Beschäftigung zu bleiben. Ich kann Ihnen aber sagen, dass wir es uns sehr wohl auch zum Ziel gesetzt haben, begleitende Bestimmungen in unserem Regierungsprogramm vorzusehen – wir wollen das auch in die Praxis umsetzen –, um älteren Menschen Beschäftigung zu ermöglichen, um sie vor dem zu schützen, was ihnen seitens der Arbeitgeber – sicher nicht flächendeckend, aber doch immer wieder – passieren kann.


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Meine sehr geehrten Damen und Herren! Genau das ist der große Unterschied: Arbeitgeber können Arbeitnehmer dann nicht in Pension schicken, wenn die gesetzliche Möglichkeit dazu nicht gegeben ist und wenn das gesetzliche Pensionsantrittsalter höher ist.

Ich möchte nicht so weit gehen zu sagen, dass hier Zähne gezogen wurden, aber ich sage: Wir haben Einschleifregelungen vorgesehen, und wir haben beispielsweise auch – das soll erwähnt sein – den Pensionssicherungsbeitrag für öffentlich Bedienstete von 0,95 Prozent – das war mit den Sozialdemokraten ausgemacht – auf 0,8 Prozent reduziert. Ebenso sei die wichtige Formulierung erwähnt, dass arbeitende Menschen, die sehr früh erwerbstätig wurden – mit 15, 16 Jahren –, weiterhin mit 45 Beitragsjahren unbeschadet, ohne Malus in Pension gehen können und auch sofort aus allfälligen Regelungen herausfallen, die Ruhensbestimmungen entsprechen würden. (Zwischenruf bei der SPÖ.) – Nein, das gilt natürlich auch in Richtung Frauen. Es bringt das nämlich Frauen insofern etwas, als ihnen jene Kindererziehungszeiten, die heute nur als Versicherungszeiten abgegolten werden, für diesen Fall als Beitragszeiten abgegolten werden. Es wird also für eine Frau in Zukunft wesentlich einfacher sein, auf 45 Beitragsjahre zu kommen. Sie wissen das, aber ich sage es Ihnen trotzdem noch einmal. (Abg. Silhavy: Wie viel Zeiten werden Beitragszeiten sein?)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ein Letztes: Folgende Feststellung verstehe ich überhaupt nicht – und damit bin ich bei den Ausführungen des Herrn Öllinger –: 30 Milliarden Schilling Umverteilung von den Arbeitnehmern zu den Arbeitgebern. – Diese Maßnahmen im Pensionsbereich betreffen alle im selben Ausmaß – das steht doch außer Frage. Das betrifft Gewerbetreibende, andere Unternehmer, Bauern und Ärzte in exakt demselben Ausmaß wie eben Arbeitnehmer, die nach dem ASVG versichert sind. Seien Sie beruhigt! (Zwischenruf der Abg. Reitsamer. )

Es gibt sogar in den beiden großen Versicherungen der Selbständigen noch einen Zusatz, der lautet, dass beide Versicherungsbereiche je 250 Millionen Schilling aufzubringen haben – und das ist nicht wenig (Abg. Reitsamer: Aber viel zu wenig, um das abfangen zu können ...!)  –, um den Zuwachs des Bundeszuschusses zu den Pensionen einzudämmen.

Was sagen Sie, Frau Reitsamer? "Zu wenig"? – Genau diese Summen waren aber auch zwischen SPÖ und ÖVP vereinbart! Bitte, erkundigen Sie sich doch bei Frau Kollegin Hostasch! Bleiben wir auf dem Boden der Wahrheit, und vergessen wir nicht das, was vor zwei Wochen gewesen ist! (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

16.37

Präsident Dr. Werner Fasslabend: Nächste Rednerin ist Frau Abgeordnete Heidrun Silhavy. – Bitte.

16.37

Abgeordnete Heidrun Silhavy (SPÖ): Herr Präsident! Werte Mitglieder der Bundesregierung! Hohes Haus! Frau Bundesministerin, ich bin sehr überrascht von Ihrem Verhalten. Sie haben offensichtlich das Parlament mit einer Parteiveranstaltung der FPÖ verwechselt. (Beifall bei der SPÖ.) Oder haben Sie mit Ihrer Anfragebeantwortung diesem Haus ganz bewusst Ihr Demokratieverständnis und die Missachtung gezeigt?

Nicht wir, Frau Bundesministerin, machen Angst. Die Menschen in unserem Land, in unserer Heimat, haben Angst vor der neuen Politik, wie Sie sie ankündigen. Das Neue an dieser Politik ist nämlich, dass sie zu Lasten der hart arbeitenden Männer und Frauen in diesem Land geht. (Beifall bei der SPÖ.)

Männer und Frauen, die hart arbeiten, die ohnedies den Bedingungen der Wirtschaft ausgesetzt sind und jetzt noch stärker an die Wirtschaft gebunden werden, kommen zu uns. Eine Verkäuferin zum Beispiel hat gesagt: Ich werde im November 55 Jahre alt und habe 35 Beitragsjahre. Wann kann ich in Pension gehen, und wie viel Pension werde ich bekommen? Was wird sich verändern, was wird schlechter werden? (Abg. Steibl: Sie haben hoffentlich eine richtige Auskunft gegeben!)  – Frau Ministerin! Wir wollen den Leuten auf solche Fragen Antworten geben


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können, aber auf Grund Ihres Regierungspapiers können wir es nicht. Es ist zu unklar, es ist zu unpräzise.

Der Mann aus dem Bärental ... (Bundesministerin Dr. Sickl spricht mit dem an der Regierungsbank stehenden Abg. Ing. Westenthaler.) – Frau Bundesministerin! Dürfte ich Sie bitten, mir wenigstens die gehörige Aufmerksamkeit zu schenken! – Ich danke herzlich dafür. Es wäre nett, wenn Sie uns, wenn Sie schon die Fragen nicht beantworten, wenigstens zuhören würden, damit sich die Missachtung in Grenzen hält. (Beifall bei der SPÖ. – Zwischenruf des Abg. Mag. Haupt. )

Meine Damen und Herren! Der Mann aus dem Bärental sagt: Mit 45 Versicherungsjahren kann Mann – großgeschrieben –, in Pension gehen, und zwar ohne Abschläge. In Ihrer Regierungsvereinbarung ... (Zwischenruf der Abg. Steibl. ) – Frau Kollegin Steibl, ich würde an Ihrer Stelle erst mitreden, wenn ich mir das durchgelesen habe. Ich habe das gemacht und empfehle Ihnen, es auch zu tun, damit Sie wissen, was in dem Papier steht. (Beifall bei der SPÖ.)

Zurück zu diesem Mann mit den 45 Beitrags- oder Versicherungsjahren – in der Regierungsvereinbarung steht nämlich nichts von 45 Versicherungs jahren, sondern etwas von 45 Beitrags jahren. War der arme Mann inzwischen aber arbeitslos, beim Bundesheer oder hat es verschiedene Zeiten gegeben, in denen er Ersatzzeiten und nicht Beitragszeiten hatte, dann hat er keine 45 Beitragsjahre. Er hat zwar 45 Versicherungsjahre, aber nicht 45 Beitragsjahre. Was ist mit diesem Mann? Muss er Abschläge in Kauf nehmen? Kann er nicht mit 60 Jahren in Pension gehen? – Auch dieser Mann kommt mit seinen Sorgen und Ängsten zu uns, denn eigentlich hat er eine Lebensplanung und sich nach dieser gerichtet.

Was ist mit der Frau? – Ich höre immer so "wunderbar", dass die Frauen auch mit 45 Versicherungsjahren ohne Abschläge in Pension werden gehen können – mit 60! Sie vergessen, dass Frauen derzeit mit 55 Jahren in Pension gehen können! Sie sagen so "wunderbar", dass es den Frauen besser gehen wird, weil die Kindererziehungszeiten pensionsbegründend sein werden. Wie viele? Wie viele Monate? Wie viel Zeit wird pensionsbegründend sein? – In Ihrem Papier steht etwas von 18 Monaten. Was ist mit den restlichen 18 Monaten? (Zwischenruf der Abg. Rosemarie Bauer. )

Das sind unsere Fragen, die wir ganz konkret an Sie gerichtet haben, Frau Bundesministerin! Aber Sie haben nicht eine einzige Frage davon beantwortet. Die Menschen werden weiter Ängste haben, die Menschen werden sich weiterhin vor dieser Politik fürchten, und wir werden ihnen keine Antworten geben können, weil Sie diesem Haus die Antworten auf diese Fragen verweigert haben! (Beifall bei der SPÖ.)

Eine kurze Anmerkung zum Thema Fairness gegenüber einem neuen Regierungsmitglied. (Zwischenruf des Abg. Gaugg. ) Frau Bundesministerin, ein Unterzeichner dieses Regierungsprogramms, nämlich Ihr Parteichef, hat in der "Pressestunde" gesagt, dass Sie eine Expertin sind. Er hat Sie in Schutz genommen. Er hat Sie gegenüber dem "bösen" Journalisten, der nur negativ denkt, in Schutz genommen und seiner Überzeugung Ausdruck gegeben, dass Sie die Expertin in diesen Fragen sind. (Bundesministerin Dr. Sickl spricht mit dem an der Regierungsbank stehenden Abg. Dr. Bruckmann. – Abg. Dr. Mertel: Frau Ministerin! Das tut man nicht! – Weitere Zwischenrufe bei der SPÖ.)

Frau Ministerin! Um Ihr Expertentum unter Beweis zu stellen, hätten Sie heute wenigstens einige – einige; ich gebe zu, es war eine Vielzahl – dieser Fragen, nämlich die wesentlichsten Fragen, die die Menschen in diesem Land beunruhigen, ihnen Angst machen, beantworten müssen. Damit hätten Sie dazu beitragen können, den Menschen Angst zu nehmen. (Beifall bei der SPÖ.)

Herr Bundesminister Dr. Bartenstein! Sie sind ja nicht neu in der Regierung – er ist momentan leider nicht im Saal, aber vielleicht kann man es ihm ausrichten. Er fühlt sich ja jetzt offensichtlich als Sozialminister, nicht ohne Grund, würde ich sagen. Wenn man sieht, wie die Kompetenzen verlagert werden, dass die Wahrung von Arbeitnehmerinteressen, von Gesundheitsinteressen der Arbeitnehmer auf einmal der Wirtschaft untergeordnet werden soll, dann weiß man


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ohnehin, wohin das führt. (Zwischenruf der Abg. Rosemarie Bauer. ) Es sind das erschreckende Vorstellungen! Die arbeitnehmenden Menschen in diesem Land können einem heute schon Leid tun. (Beifall bei der SPÖ.)

Herr Bundesminister Bartenstein hat etwas vergessen: Es war nicht zuletzt gerade dieser Punkt, nämlich die Frage der Altersversorgung und des Vertrauensschutzes in der Zukunft, die dazu geführt hat, dass dieses Übereinkommen nicht unterschrieben wurde. Und in einem Rechtsstaat gilt noch: Das, was noch nicht unterschrieben ist, ist kein Vertrag! (Zwischenruf des Abg. Schwarzenberger. ) Sie haben dieses Papier, über das wir heute diskutieren, unterschrieben. Sie tragen dafür die Verantwortung und haben dafür geradezustehen! (Beifall bei der SPÖ. – Abg. Schwarzenberger: Das SPÖ-Präsidium hat einstimmig zugestimmt! – Zwischenrufe bei den Freiheitlichen.)

Ja, so sehen Sie es. So gehen Sie mit den Sorgen und Ängsten der Menschen um! Die Menschen sind Ihnen unwichtig! Ihnen liegt nur etwas an der Macht, es geht Ihnen um reine Machtpolitik. Es geht Ihnen um Sie selbst und nicht um die Menschen in diesem Land. Das beweisen Sie mit solchen Zwischenrufen! (Beifall bei der SPÖ.)

Der Selbstbehalt – das nächste Thema. Wir haben eine ganz tolle familienpolitische Leistung geschaffen, nämlich die beitragsfreie Mitversicherung in der Krankenversicherung. Es ist nie darüber diskutiert worden, ob nicht eigentlich aus dem Familienlastenausgleichsfonds Beiträge an die Krankenversicherung zu überweisen wären, auch im Sinne der Transparenz des Herrn Rürup. Darüber haben wir gar nicht diskutiert, Sie haben es offensichtlich auch nicht einmal angedacht, denn Sie wollen das Geld ja einer größeren Gruppe geben, ohne Höchstgrenzen, damit ja alle – auch jene, die genug verdienen – noch ein bisschen Geld dazubekommen. Ein bisschen Taschengeld brauchen wir ja – Gießkannenprinzip!

Aber unter dem Titel "Treffsicherheit" ziehen Sie den arbeitenden Menschen, den arbeitenden Männern und Frauen, das Geld aus der Tasche. Da haben Sie kein Problem mit der Treffsicherheit, denn in diesem Fall treffen Sie nicht Ihre Klientel, sondern die Mehrheit der Menschen in diesem Land. (Beifall bei der SPÖ.)

Zum Selbstbehalt: Auch in diesem Zusammenhang gibt es wesentliche Fragen. Man hört von diesem Mann, der das Papier unterschrieben hat, aber nicht hier im Haus sitzt – weshalb er auch nicht Rede und Antwort zu stehen braucht –: Für Spitäler gilt das nicht. Herr Minister Bartenstein aber sagt: für Ambulanzen schon. Was gilt jetzt? Oder gehören die Ambulanzen nicht mehr zu den Krankenanstalten, haben wir die auch schon ausgegliedert? – Das ist mir zwar nicht bekannt, aber ich kenne Ihr Papier vielleicht nicht in jedem Detail. Mag sein, dass Sie auch da noch einige böse Überraschungen für uns parat haben.

Frau Ministerin, Sie sagen, Sie werden mehr Wert auf Vorsorge legen. Herr Minister Bartenstein hat es in seiner ehemaligen Funktion als Familienminister jedoch geschafft, den Mutter-Kind-Pass-Bonus, die Geburtenbeihilfe, das bisschen Geld, das man dafür bekommen hat, dass man bestimmte Untersuchungen gemacht hat, abzuschaffen. (Zwischenruf der Abg. Steibl. ) Durch eine schlechte, untragbare Regelung hat er das ersetzt! (Beifall bei der SPÖ.)

Nun wollen Sie Selbstbehalte einführen, wodurch die Leute vielleicht nicht einmal mehr zum Arzt gehen werden, weil sie das so teuer kommt und sie jeden Schilling mehrmals umdrehen müssen, bevor sie ihn ausgeben. Mit dem werden Sie sich wahrscheinlich nicht mehr befassen – zu dieser Vermutung komme ich, wenn ich schaue, welche Leute in Ihren Reihen sitzen; es sind nur wenige von denen, die dieses Problem haben werden.

Damit wollen Sie Vorsorgemedizin machen?! Wie wollen Sie das schaffen, frage ich Sie.

Meine Befürchtung – das muss ich sagen – ist: Wenn einem bei dieser Politik schwarz vor Augen wird, wird man seine blauen Wunder erleben, wenn man auf ein soziales und gut unterstütztes Netz in Österreich zugehen will, es erhalten will, wie wir es Ihnen übergeben haben. (Beifall bei der SPÖ.)

16.46


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Präsident Dr. Werner Fasslabend:
Nächster Redner ist Herr Abgeordneter Mag. Herbert Haupt. – Bitte. (Abg. Edlinger  – in Richtung des Abg. Mag. Haupt –: Schon wieder dieselbe Mappe wie zuerst! – Abg. Mag. Haupt  – auf dem Weg zum Rednerpult –: Richtig, die gleiche schöne rote Mappe wie zuerst, Herr Kollege Edlinger!)

16.47

Abgeordneter Mag. Herbert Haupt (Freiheitliche): Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Bundesminister! Sehr geehrte Damen und Herren Staatssekretäre! Herr Kollege Edlinger, da Sie schon diesen Zwischenruf gemacht haben, möchte ich Ihnen Folgendes sagen: Wenn ich mir Ihre "Wurscht-Rede" vom Vormittag vergegenwärtige, komme ich immer stärker zu der Ansicht, dass es beim Kapitel Soziales tatsächlich um die Wurscht geht, aber nicht um jene, die Ihr Hund gefressen hat, sondern um jene, die Sie in den 30 Jahren Ihrer Politik in diesem Land den Österreicherinnen und Österreichern gehörig verdorben haben. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Sehr geehrter Herr Alt-Minister Edlinger! Sie sollten ganz genau wissen, dass Sie nicht in der Lage waren (Abg. Dr. Niederwieser: Haben Sie dem Herrn Bundeskanzler nicht zugehört?)  – Sie mit Ihrem Regierungsteam; Sie stehen ja heute hier stellvertretend für den abwesenden Herrn Alt-Bundeskanzler Klima, der sich geweigert hat zu kommen, auf dem Prüfstand –, mit der Pensionsreform 1997 die Pensionen langfristig abzusichern. Sie haben wider besseres Wissen einen Brief an die Pensionisten geschrieben, und nach dem 3. Oktober 1999 ist dann gedämmert – schön langsam und scheibchenweise –, was die Österreicherinnen und Österreicher zu erwarten haben: keine Solidarität zwischen den Generationen, keine Solidarität zwischen den einzelnen Berufsgruppen, keine Solidarität zwischen den Frauen in den unterschiedlichen Gruppierungen. – Das, sehr geehrter Herr Edlinger, wird diese Bundesregierung entscheidend ändern!

Wir werden für Solidarität sorgen. Wir werden für bessere Verhältnisse für alle Frauen sorgen. Wir werden dafür sorgen – ganz egal, ob Sie es als Karenzgeld, als Kindergeld oder als Teilerfüllung unseres seinerzeitigen Kinderschecks betrachten –, dass alle Frauen mit einem Kind zumindest zwei Jahre lang die vollen 6 250 S bekommen, und jene mit Partner noch ein Jahr zusätzlich! (Beifall bei den Freiheitlichen. – Zwischenruf der Abg. Dr. Mertel. )

Sie werden sehen, dass die Aufhebung der Beschränkungen – Frauen konnten bisher in der Karenzzeit an keiner Fortbildung teilnehmen, wodurch sie nicht arbeitsmarktfähig geblieben sind – den Frauen den Wiedereintritt in das Berufsleben entscheidend erleichtern wird.

Sehr geehrte Damen und Herren von der linken Reichshälfte! Sie haben es ja gelesen: Sie haben sich in den letzten fünf Jahren beharrlich geweigert, den Forderungen der Freiheitlichen nachzukommen und im Rahmen des AMS für Frauen über 40 Jahre und für ältere Arbeitnehmer entsprechende Maßnahmen durchzuführen, sodass es für diese wirklich zu Verbesserungen gekommen wäre. Das haben wir jetzt in dieses Regierungsprogramm hineingeschrieben. Und Sie sind, wenn Sie meinen, dass die Diskriminierung der älteren Arbeitnehmer in der Arbeitswelt Österreichs nicht mehr so weitergehen kann, eingeladen, die verfassungsmäßige Absicherung, wie sie Ihnen diese Regierung als Diskussionsgrundlage vorlegt, mit zu unterschreiben und zu beschließen.

Sehr geehrte Damen und Herren! Ich glaube, dass es auch in der Vergangenheit sehr viele Ungerechtigkeiten im Sozialsystem gegeben hat. Im SPÖ-Papier, im Edlinger-Klima-Papier ist für die älteren Arbeitnehmer lapidar dazu gestanden: Pakt für ältere Arbeitnehmer. In unserem Papier heißt es unter Punkt 6 zumindest: Im Rahmen der Maßnahmen zur Pensionssicherung wird in Zusammenarbeit mit Ländern, Gemeinden, Sozialpartnern, AMS und den Sozialversicherungsträgern ein Maßnahmenpaket für ältere Arbeitnehmer erarbeitet, das spätestens am 1. Oktober 2000 mit dem Ziel, die Erwerbschancen älterer Arbeitnehmer zu erhöhen, in Kraft tritt. Arbeitsrechtliche Schutzbestimmungen für Arbeitnehmer, die knapp vor der Pensionierung stehen, sind vorzunehmen, Übergangsregelungen für allenfalls Betroffene, Sozialpläne sind von den Sozialpartnern vorzusehen.


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Wir haben also sehr wohl dafür vorgesorgt, dass – das hat auch die Gewerkschaft zu Recht gefordert –, wenn die Erhöhung des Pensionsantrittsalters wirksam wird, auch flankierende Maßnahmen auf dem Arbeitsmarkt wirksam werden.

Sehr geehrte Damen und Herren! Frau Kollegin Silhavy, zuerst verunsichern Sie die Leute mit Zahlen, die nicht im Papier dieser Regierung stehen (Abg. Silhavy: Mit welchen Zahlen, Kollege Haupt?), und dann fordern Sie hier die Beantwortung von Fragen. – Das, sehr geehrte Frau Kollegin Silhavy, halte ich schlicht und einfach für unseriös. (Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP. – Abg. Silhavy: Mit welchen Zahlen?)

Ich halte das schlicht und einfach für unseriös. Wenn Ihnen der soziale Friede und die Lebensplanung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Österreich etwas wert wären, würden Sie nicht versuchen, die Menschen mit falschen Zahlen zu verunsichern. (Abg. Silhavy: Mit welchen Zahlen, Kollege Haupt?) Ich darf etwa an all die Zahlen erinnern, die im Zusammenhang mit der Krankenversicherung über den Bildschirm gekommen sind und über die Gazetten der Gewerkschaft und der Arbeiterkammern heute, aber auch schon in den vergangenen Tagen als Aussendungen hinausgegangen sind. (Abg. Silhavy: Stellen Sie sich nicht draußen hin und behaupten Sie nicht etwas, was nicht stimmt! Mit welchen Zahlen? Mit welchen Zahlen habe ich da draußen operiert?) Dass Selbstbehalte bis zu 20 000 S sogar von Ihrem Klubobmann im Fernsehen postuliert wurden, ist ja heute nicht bestritten worden, Herr Kostelka. Ich glaube, Sie müssen zumindest seit dieser Debatte und den Statements von Herrn Minister Bartenstein und Frau Minister Sickl wissen (Abg. Silhavy: Herr Kollege Haupt! Wenn Sie da draußen stehen und etwas behaupten, beantworten Sie die Frage!), dass Sie damit falsch liegen und dass wir nach diesem Papier sehr wohl für die sozial Schwachen – und das sind derzeit noch immer jene, die über geringe Einkommen verfügen (Abg. Silhavy: Mit welchen Zahlen?)  –, für chronisch Kranke, für mitversicherte Kinder vorsorgen, sodass sie im Zusammenhang mit der Krankenversicherung nicht in der genannten Form zur Kasse gebeten werden. Frau Kollegin Silhavy, nehmen Sie das endlich zur Kenntnis! (Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP. – Abg. Silhavy: Mit welchen Zahlen?)

Noch etwas möchte ich hinzufügen, weil die Frage gestellt wurde, wie die Regierungsübergabe war: Sie, Frau Kollegin Hostasch, haben – das habe ich nicht anders von Ihnen erwartet – Ihr Ministerium ordnungsgemäß übergeben; das möchte ich auch hier sagen, denn ich lasse mir nicht vorwerfen, dass ich in einer solchen Debatte positive Aspekte, die für Sie sprechen, nicht berücksichtige. – Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP.)

16.52

Präsident Dr. Werner Fasslabend: Nächster Redner ist Herr Abgeordneter Dr. Trinkl. – Bitte.

16.52

Abgeordneter Mag. Dr. Josef Trinkl (ÖVP): Sehr verehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren auf der Regierungsbank! Hohes Haus! Wir haben heute eine, so meine ich, sehr zukunftsorientierte Regierungserklärung unseres Bundeskanzlers Wolfgang Schüssel gehört. Die Sozialdemokraten unterbrechen jedoch die Debatte über dieses ambitionierte Programm mit einer Dringlichen Anfrage. Jetzt wäre aber die Frage zulässig: Was ist an dieser Anfrage so dringlich, dass darüber heute hier diskutiert werden muss, Frau Silhavy? Was ist so dringlich? (Rufe bei der SPÖ: Alles!) Was passiert in den nächsten Tagen? Was passiert in den nächsten Stunden?

Ich würde gerne mit Ihnen heute – auch angesichts des Umstandes, wie wir heute hier ins Hohe Haus gekommen sind – über eine APA-Aussendung diskutieren. In dieser heißt es – ich zitiere –:

Am frühen Nachmittag stürmten mehrere hundert Demonstranten das Sozialministerium. Sie besetzten die Büros in dem von Ihnen zum "Widerstandsministerium" umgetauften Gebäude am Stubenring, brachten Transparente an und warfen Akten aus dem Fenster. – Zitatende.


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Frau Ministerin Sickl hat dezidiert erklärt – ich glaube ihr –, dass keine Akten vernichtet wurden. Aber die heutige Frau Bundesministerin hätte sich beim Beantworten Ihrer umfangreichen Fragen leichter getan, wenn das Ministerium in geordnetem Umfang hätte übergeben werden können. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen. – Abg. Silhavy: Das glaube ich nicht, denn da geht es um ein Papier der FPÖ und ÖVP!)

Sehr geehrte Frau Kollegin Hostasch! Im Betreff Ihrer Dringlichen Anfrage heißt es: "massive Verschlechterungen für ArbeitnehmerInnen, Pensionisten und sozial Schwache durch das FPÖVP-Belastungspaket". – Ich sage Ihnen aber: Es geht nicht um Verschlechterungen. Das, worum es uns geht, ist, die Sicherung dieses Sozialsystems auch für die nächste Generation. Das, worum es uns geht, ist, ein leistungsfähiges und gerechtes Sozialsystem zu schaffen, das Benachteiligte und Bedürftige schützt und fördert, das aber auch den Missbrauch sozialer Einrichtungen und Leistungen als unsozial und unsolidarisch entlarvt, denn gegen diesen Missbrauch verwahren wir uns.

Wir treten ein für einen neuen Gesellschaftsvertrag, meine Damen und Herren, der den Alten Sicherheit gibt, der aber auch den Jungen Perspektiven für ihre Zukunft eröffnet. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

Dass Veränderungen und Anpassungen an veränderte gesellschaftliche Verhältnisse notwendig sind, weiß nicht nur der Herr Edlinger – das ist der Mann mit dem Hund und der Wurst; er wurde vorhin schon zitiert –, sondern das wissen auch Sie, sehr geschätzte Frau Kollegin Hostasch. Sie wissen, dass dies notwendig ist. Es mag aber sein, dass es schmerzt, dass das vorliegende Paket moderater ist als jenes, das Sie vorgehabt und vorgeschlagen haben. (Abg. Silhavy: Moderater für die Wirtschaft, das glaube ich Ihnen aufs Wort!) Es mag sein, dass es Sie schmerzt, dass das ohne Beitragserhöhungen über die Bühne gehen kann – das schmerzt; ich weiß, das ist Ihnen nicht recht. Der Herr Bundesminister hat es Ihnen deutlich gesagt.

Und es mag sein, dass es Sie schmerzt, dass dieses Paket kreativer ist und dass man auch bereit ist, neue Wege zu gehen. Es mag insbesondere auch Sie schmerzen, Frau Kollegin Silhavy, dass in diesem Paket Verbesserungen für die Frauen enthalten sind, die Sie ihnen nicht zugestehen wollten. (Neuerlicher Zwischenruf der Abg. Silhavy. ) Ich denke dabei an die Beitragszeiten für die Mütter – Sie waren nicht bereit zu dieser Verbesserung. Wir werden das in der Zukunft umsetzen! (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

Noch etwas: Frau Kollegin Silhavy, wenn Sie noch einmal eine Dame fragt – ich beziehe mich jetzt auf Ihr Beispiel mit der 55-jährigen Dame –, wann sie in Pension gehen darf, jetzt unter der geänderten Regierungskonstellation (Abg. Schwemlein: Mit 75 wahrscheinlich!), dann sagen Sie doch bitte – diese Antwort kann ich Ihnen mitgeben –: Wesentlich früher, als wenn die Sozialdemokraten in der Regierung wären! (Heiterkeit und Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen. – Zwischenruf der Abg. Silhavy. )

Für Sie ist das – Frau Kollegin Hostasch, ich schätze Sie sehr, das wissen Sie – kaltschnäuzige Politik, und das tut mir weh. Sie wissen aber, dass das nicht richtig ist. (Zwischenruf der Abg. Hostasch. ) Für uns geht es um die Sorge für die Menschen dieses Landes, vor allem für jene, die die Solidarität der Gemeinschaft am meisten brauchen. (Präsident Dr. Fischer übernimmt wieder den Vorsitz.)

Die sozialistischen Vertreter in den Gebietskrankenkassen führen seit Tagen eine Kampagne der Fehlinformation im Zusammenhang mit der geplanten Möglichkeit von Selbstbehalten. Ich möchte jetzt nicht näher darauf eingehen, aber – Sie wissen das, der Herr Minister hat es deutlich gemacht –: Selbstbehalte gibt es in vielen Systemen. Selbstbehalte gibt es bei den Bauern, Selbstbehalte gibt es bei den Beamten, Selbstbehalte gibt es bei den Gewerbetreibenden, Selbstbehalte gibt es bei den Eisenbahnern. – Wo ist die von Ihnen gepriesene Solidarität unter allen Versicherten? Sie wissen doch, dass es Selbstbehalte auch bei den ASVG-Versicherten gibt. Also worin besteht die Aufregung, die jetzt so massiv durch alle Bundesländer geistert? (Ruf bei der SPÖ: Sie haben schon wieder nicht zugehört!)


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Ich bitte Sie, meine Damen und Herren: Mäßigen wir uns auch in der Sprache! Sie bezeichnen diesen Selbstbehalt als "Krankenbestrafungssteuer". Ich appelliere wirklich an Sie: Hören Sie auf! Hören wir auf, den Menschen Angst zu machen. Angst war immer ein schlechter Wegbegleiter, vor allem im Sozialversicherungssystem. (Zwischenruf der Abg. Silhavy. ) Das wissen Sie, Frau Kollegin Silhavy. Hören wir auf, Angst zu machen! (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

Wir – ich möchte das noch einmal mit allem Nachdruck zurückweisen – verfolgen keine kaltschnäuzige Sozialpolitik. Die Sozialpolitik dieser Bundesregierung ist sozial ausgewogen, sie ist zukunftsbezogen, und sie ist vor allem Folgendes: Sie ist vom Willen der Partner getragen, umgesetzt zu werden – das ist ein wesentlicher Punkt –, und sie wird erfolgreich sein. Und darauf sind wir sehr stolz. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

16.58

Präsident Dr. Heinz Fischer: Der nächste Redner ist schon beim Rednerpult, bevor er aufgerufen wurde, aber es ist in der Tat Herr Dr. Grünewald. – Bitte.

16.59

Abgeordneter Dr. Kurt Grünewald (Grüne): Sehr geehrter Herr Präsident, die Grünen sind schnell. – Frau Minister! Herr Minister! Ich möchte Ihnen Folgendes sagen: Ich habe nicht Lust, weiter Kinderzeichnungen anzuschauen und über Hunde und Knackwürste zu sprechen, sondern würde mich gerne einem ernsteren Thema zuwenden, nämlich der Regierungserklärung. (Abg. Schwarzenberger: Nein, es ist noch die Dringliche!)

Ich versteige mich nicht dazu, zu sagen, dass alles in dem mich betreffenden Kapitel Gesundheit und auch im Sozialbereich eine Katastrophe ist, aber gelobt haben Sie sich selbst, daher möchte ich ... (Zwischenruf des Abg. Mag. Kukacka. ) – Herr Kukacka, ich habe einmal einen Gastkommentar über Sie geschrieben, und dieser hatte etwas mit dem Licht und dem Scheffel zu tun. Ich bitte Sie daher, mich nicht weiter zu provozieren. (Heiterkeit bei den Grünen.)

Im Regierungsprogramm steht: keine Rationierung von Leistungen, und zwar keine Rationierung von Leistungen nach den Kriterien Alter, Geschlecht, Religion.

Und was steht dann da? – "Und so weiter". Über dieses "und so weiter" würde ich Ihnen gerne etwas erzählen. Ich sage Ihnen, dass Einkommen, Bildung, Wohnverhältnisse, Arbeitsplatzsicherheit, Arbeitsplatzzufriedenheit und soziale Anerkennung mehr Einfluss auf Erkrankung und Sterben haben, als die ganzen technischen Fortschritte der Medizin in den letzten 40, 50 Jahren zustande gebracht haben. Das sind klare, wissenschaftlich erwiesene Tatsachen.

In Ihrem Programm für Soziales finde ich darüber sehr wenig. Denn nicht die absolute Höhe des Einkommens entscheidet darüber, ob jemand früh, häufig oder spät erkrankt, sondern das Ausmaß der Einkommensunterschiede. Es ist nicht zu hoch gegriffen, zu sagen, dass das Ausmaß der Einkommensunterschiede durch Ihr Programm nicht verringert wird. (Beifall bei den Grünen.)

Die Solidarität mit den Armen, Kranken und Sterbenden reduziert sich hier – ich sage es noch einmal – teilweise auf Überschriften und vage Stehsätze. Einzelne der Überschriften – und das kritisiere ich massiv – sind geltendes Recht. Sorgen Sie dafür, dass geltendes Recht umgesetzt wird!

Auch ich kenne die Gesetze des Marktes. Sie können mir glauben, teilweise ... (Zwischenrufe bei der SPÖ.)  – Sie hört es nicht, aber ich gewinne heute ohnehin den Eindruck: Ob jemand hier sitzt oder nicht, ist egal. Sie hören es auch dann nicht, wenn sie hier sind, weil sie es nicht verstehen wollen. (Beifall bei den Grünen.)

Die Gesetze des Marktes erlauben es, dass reiche Personen sich zu Weihnachten Erdbeeren aus Israel einfliegen lassen. Okay, dagegen kann man nichts tun. Aber ich sage Ihnen, wenn diejenigen, die sich Urlaub in der Südsee und Erdbeeren zu Weihnachten aus Israel leisten können, jene Gesellschaftsschicht sind, die sich ein besseres Sterben und auch eine bessere


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Medizin leisten kann, dann hört sich für mich der Spaß des freien Marktes auf. (Beifall bei den Grünen und der SPÖ.)

Ich sage Ihnen auch – weil Sie sagen, dass es Rationierung nicht gibt –: Diese Rationierung gibt es. Ich kann es Ihnen aufzählen, nur reicht dazu meine Zeit nicht. Die Rationierung geschieht, indem man zwischen somatisch und psychisch Kranken unterscheidet. Sie brauchen sich nur die Verhandlungen über Psychotherapie auf Krankenschein durchzulesen. (Abg. Dr. Pumberger: Sagen Sie das dem Oppositionspartner!)

Ich bin kein Veterinärmediziner; vielleicht sage ich etwas Falsches. Eine Kuh oder ein anderes Tier kann eine Blinddarmentzündung haben, aber Partnerkonflikte, schwere Depressionen, psychisches Leid sind urmenschliche Erkrankungen. Dass nicht das bezahlt wird, was diesen Kranken zusteht, halte ich für skandalös! (Beifall bei den Grünen und bei Abgeordneten der SPÖ.)

Ich sage Ihnen auch ... (Zwischenruf des Abg. Dr. Pumberger. ) Wenn Sie statt mir reden wollen, kommen Sie hier heraus! (Abg. Mag. Haupt: ... nach Ihnen, Herr Kollege! – Weitere Zwischenrufe bei den Freiheitlichen.) Aber ich verschenke meine Zeit nicht für Zwischenrufe, die kaum verständlich sind. (Neuerliche Zwischenrufe bei den Freiheitlichen und den Grünen.)

Ich sage Ihnen: Bei medizinischen Heilbehelfen beträgt der Privatanteil an der Finanzierung oder die Steigerung des privaten Anteils mehr, als die öffentlichen Kosten gestiegen sind. Das ist alles, um es deutlich zu sagen, schmafu, diese Unfinanzierbarkeit! Österreich liegt genau im Mittelfeld Europas, was den Anteil der Gesundheitskosten am Bruttoinlandsprodukt betrifft, und, wie gesagt, der private Anteil bei den Heilbehelfen liegt bei 60 Prozent. Heilbehelfe für Behinderte, für spastisch behinderte Kinder nach Geburtstraumen – sie können sich teilweise die Physiotherapie nicht mehr leisten, weil die Eltern sagen: Ich zahle diese Selbstbehalte nicht mehr, ich kann sie nicht mehr zahlen. – Das ist die Wahrheit. (Beifall der Abg. Haidlmayr. )

Ich habe etwas dagegen, aus der Gesundheitspolitik, aus Leben und Tod ein Lottospiel in der Art von "6 aus 45" zu machen. Es gibt wissenschaftliche Publikationen, aus denen hervorgeht, dass Leute mit Tumor-Erkrankungen mehr Chancen haben, wenn sie aus dem oberen Einkommensdrittel kommen. Dann erzählen Sie mir bitte, was das mit dem gleichen, fairen und gerechten Zugang zu Ressourcen zu tun hat. Erklären Sie mir das! (Beifall bei den Grünen und bei Abgeordneten der SPÖ.)

Ich sage Ihnen noch etwas. Sie lesen vielleicht nur den "Schatz im Silbersee", das mag schon sein. (Zwischenruf der Abg. Aumayr. ) Bitte, schauen Sie: Sie müssen Ihre Intelligenz hier nicht mit voller Gewalt vor allem Publikum breittreten, bitte! (Heiterkeit und Beifall bei den Grünen.)

Zu Föderalismus und Qualitätskontrolle: Ich sage Ihnen, Föderalismus bedeutet teilweise, dass gute, auch von Ihnen beschlossene gute Bundesgesetze auf dem Weg in die Länder nach unten nivelliert werden auf einen Standard, der mit Qualität wenig zu tun hat. Ich war im Untersuchungsausschuss Freistadt und könnte Ihnen einiges darüber sagen, was Föderalismus bedeutet.

Föderalismus bedeutet, dass die Stellvertreterin des Bundeskanzlers Schüssel, Frau Landesrätin Zanon, ein Gesetz über Privathonorare von Ärzten erlässt, das laut Bundeskanzleramt klar verfassungswidrig ist. Wir haben hineinreklamiert: Bitte, das geht nicht. – Was kommt? – Wenn ihr euch lang aufregt, bekommt ihr ein noch schlechteres. – Auch das ist sozial und soziale Gesinnung. (Bundesminister Dr. Bartenstein: Sie kann kein Gesetz erlassen, Herr Abgeordneter!) Bitte? – Es ist beschlossen, mit den Stimmen der ÖVP, der Landesregierung, ja, sicher!

Teilkrankenstände – was heißt Teilkrankenstände? – Ein Beispiel: Ich habe einen tumorkranken Patienten gehabt, dem der Tod im Gesicht gestanden ist – ich mache da keine billige Polemik und Schmafu –, der hat drei Aufforderungen bekommen, arbeiten zu gehen. (Abg. Dr. Pumberger: ... kein Arzt!) Bitte? (Abg. Dr. Pumberger: Nur heute!)  – Nur heute. (Zwischenruf des Abg. Schwemlein. ) Ich warte, wenn Sie dran sind. Vielleicht landen diese Kranken dann überhaupt nicht mehr im Krankenhaus. (Rufe und Gegenrufe von SPÖ und Freiheitlichen.)


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Auf einem großen Kongress von Medizinern, Soziologen und Ökologen ... (Weitere Zwischenrufe.) Ja, Entschuldigung. – Auf einem großen Kongress von Soziologen und Medizinökonomen ist einmal der Satz gefallen: Früher hatten wir es leicht, da war der Patient nach zwei Wochen entweder gesund oder tot, und heute ist alles so schwierig geworden, weil die Patienten nach zwei Wochen (Abg. Großruck: Heute 14 Tage!)  – stellen Sie sich das vor! – weder gesund noch tot sind.

Was für Bemerkungen sind dann gekommen? – Defektheilungen sind für die Volkswirtschaft nicht gut. Was sind Defektheilungen? Überlegen Sie: Kein Zuckerkranker kann geheilt werden, kein Koronar-Herzkranker kann geheilt werden. Und dann sagen Sie: Es gibt keine Zwei-Klassen-Medizin. (Abg. Aumayr: Wer ist dafür verantwortlich, dass es sie gibt?)

Ich sage Ihnen: Die Ungleichheit in Krankheit und Tod ist teilweise – ich habe Ihnen erzählt, welchen Einfluss Armut hat – die Folge einer neoliberalen und neosozialen Wirtschaftspolitik. Wenn ich sehe, dass Arbeitsinspektorate im Wirtschaftsministerium landen, dass Parteilichkeit bei Patientenvertretungen stattfindet, dass eine Sekretärin eines AUVA-Generaldirektors in einer Krankenanstalt Patientenvertreterin ist, dass ein Kammeramtsdirektor der Ärztekammer Patientenvertreter in einer Krankenanstalt ist, dann muss ich sagen: Da ist irgendetwas faul. Sie haben noch genug zu tun. Betriebsärzte und Landessanitätsdirektoren werden sehr wohl danach ausgewählt, ob sie bequem oder nicht bequem sind. Ich habe mich mit einigen von ihnen angelegt, es ist mir nicht gut bekommen.

Der letzte Satz – und ich hoffe, dass es nicht wieder so weit kommt! –: Im Mai 1935 wurden auch Ministerien und Kompetenzen verschoben. Es war Seyss-Inquart, der ein Ministerium für Wirtschaft und Arbeit ins Leben gerufen hat. – Vielen Dank. (Beifall bei den Grünen und bei Abgeordneten der SPÖ. – Abg. Dr. Puttinger: Das ist lange her! Das war vor zwei Generationen! – Abg. Jung: Geschichte lernen ...! Schlecht aufgeschrieben vom Mitarbeiter!)

17.08

Präsident Dr. Heinz Fischer: Zu Wort gemeldet hat sich die Frau Bundesministerin. – Bitte, Frau Ministerin.

17.08

Bundesministerin für Arbeit, Gesundheit und Soziales Dr. Elisabeth Sickl: Herr Präsident! Meine Kollegen auf der Ministerbank! Hohes Haus! Es ist mir ein Anliegen, mich um der Wahrheit willen noch einmal ganz kurz zu Wort zu melden. Es war sehr liebenswürdig von Herrn Abgeordneten Feurstein, mich zu verteidigen und zu meinen, dass ich im Ministerium nicht ordnungsgemäß empfangen worden bin. Ich muss das richtig stellen, er hat das nicht wissen können; es gab am Freitag auch außerordentliche Verhältnisse wegen der Besetzung des Ministeriums.

Aber es ist sehr wohl ein Telefonkontakt mit der Frau Ministerin vorgesehen gewesen, und das Ministerium hat mich sehr ordentlich und sehr ordnungsgemäß empfangen. Es besteht eine sehr gute Zusammenarbeit, und das ist mir sehr wichtig. Gerade in diesem Bereich muss die Politik zusammen mit dem Apparat einfach ein sehr gutes Klima entstehen lassen, damit wir gemeinsam zu guten Lösungen kommen können. – Ich danke schön. (Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP.)

17.09

Präsident Dr. Heinz Fischer: Nächste Rednerin ist Frau Abgeordnete Mag. Plank. – Bitte.

17.09

Abgeordnete Mag. Brunhilde Plank (SPÖ): Herr Präsident! Frauen und Herren Minister! Kolleginnen und Kollegen! Manche in diesem Haus machen sich Sorgen um den Ton, der hier herrscht. Sie sind wohl beunruhigt, wie klar die Worte der Opposition, die Positionen der Opposition hier vertreten werden. Wenn die Vizekanzlerin der Opposition vorwirft, sie hätte das Regierungsprogramm nicht genau genug gelesen, muss ich ihr hier sagen: Gerade weil wir es gelesen haben, finden wir so klare Worte. Worte sind die echten, die ersten und die wichtigsten


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Botschafter, und es lohnt sich, manche Worte in diesem Regierungsprogramm genau unter die Lupe zu nehmen.

Auch in der heute gehörten Regierungserklärung – wir haben genau zugehört – finden sich Sätze, die berechtigt Unruhe und Sorge bei uns entstehen lassen. Zur zusätzlichen Verwirrung reist dann noch der Landeshauptmann von Kärnten durch die Welt und erklärt einmal dies und einmal das, je nach Situation, so zum Beispiel in der "Pressestunde" zur Frage des Selbstbehalts: Wir haben geschaut, dass das in den Krankenanstalten nicht zum Tragen kommt.

Die Frau Ministerin hat heute gesagt: Selbstverständlich werden auch die Ambulanzen von diesem Selbstbehalt betroffen sein. Gehören nun Ambulanzen zum Krankenhaus, oder gehören sie nicht dazu?, frage ich mich.

Wenn "Österreich neu regieren" heißt, die Balance zwischen Bürger und Staat neu zu definieren – wie die Vizekanzlerin das ausgedrückt hat –, oder wenn es gilt, eine verbesserte Aufgabenverteilung zwischen Staat und Privat zu finden, dann muss ich sagen: Es macht mir Ihr Regierungsprogramm Angst. Ich stelle mir die Frage: Besser für wen soll es sein?

Frau Ministerin Sickl! Allein was in Ihrem Ministerium geplant ist, lässt diese Frage zu: Für wen? – Das wird eine rhetorische Frage, wenn ich das Programm studiere. Mit Sicherheit wird es nicht besser für den Menschen werden. Ihre unzureichende oder vielmehr gar nicht vorhandene Beantwortung der Anfrage bestätigt mich. Wenigstens einige Fragen hätten Sie wohl beantworten können müssen! (Beifall bei der SPÖ.) Eckdaten werden Ihnen als Expertin ja nach fünf Tagen bekannt sein.

Frau Ministerin! In Ihr Ressort fallen 125 Milliarden Schilling an Ausgaben im Gesundheitsbereich. Die eine oder andere Antwort muss das Hohe Haus, wenn es um diese Summe geht, wohl erwarten dürfen. Sie wissen, dass Österreich eines der besten Gesundheitssysteme hat, auch laut einer OECD-Studie. Sie wissen genau, wie solidarisch es ist. Dazu gehören auch die hervorragenden Familienleistungen. Sie wissen, dass die beitragsfreie Mitversicherung von Angehörigen eine große Leistung dieses Programms, dieses Gesundheitssystems in Österreich ist, das nicht nach Alter, Geschlecht oder sozialer Situation differenziert (Abg. Donabauer: Das stellt ja niemand in Frage, Frau Kollegin! Das stellt ja niemand in Frage!), und das bei einem niedrigen Beitragssatz mit höchster Effizienz in der Umsetzung. Ihre abgelesenen Stehsätze hier herinnen als Beantwortung der gestellten Fragen lassen darauf schließen, dass die Gefahr der Entsolidarisierung besteht. (Beifall bei der SPÖ.)

Ich kann aus diesem Programm, was das Gesundheitssystem Österreichs betrifft, nur herauslesen, dass es einen massiven Angriff auf Geldbörsen der kleinen Leute geben wird. Da hilft es nicht, wenn heute Klubobmann Westenthaler sein Bekenntnis zur Politik für die kleinen Leute hier wiederholt hat. Ich frage mich, ob die sozial Schwachen Ihnen so unwichtig sind, dass Sie ihnen das Geld aus der Tasche ziehen, um es anderen zukommen zu lassen. (Abg. Fischl: Die Antwort geben wir Ihnen gern!)

Ich erwarte von Ihnen, Frau Ministerin, dass Sie hier präzise Aussagen machen. Soll Leistung an Kranke nun rationiert werden? (Abg. Dr. Puttinger: Was heißt rationieren?)  – Sie wissen, dass heute jeder Mensch jeden Alters gleichen Anspruch auf Leistungen hat. Rationieren heißt, dass Leistungen eingeteilt werden, dass womöglich ein 70-jähriger Patient irgendwann einmal nicht mehr Anspruch darauf haben wird, sich am Auge operieren zu lassen, weil er an grauem Star leidet. (Abg. Dr. Puttinger: Warum? Wie kommen Sie auf so etwas? – Abg. Schwarzenberger: Wo sieht das die SPÖ?) Oder heißt das womöglich, dass irgendwann älteren Menschen Hüftoperationen nicht mehr zugestanden werden? (Abg. Dr. Puttinger: Das gibt es nicht einmal mehr in Afrika!) Nehmen Sie den Menschen die Angst vor der Zwei-Klassen-Medizin! (Beifall bei der SPÖ.) – Definieren Sie vom Schlagwort weg, was "Teilkrankenstand" für Sie ist.

Unter dem Stichwort "Lebensqualität ausbauen" steht im Regierungsprogramm: Die Selbstmedikation soll forciert werden, die Steuerungsmöglichkeiten durch Rezeptgebühren sollen überprüft werden.


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Was heißt das im Klartext? – Sie behaupten, Krankenkassen können regional festlegen, welchen Selbstbehaltsatz sie einheben wollen. Wie erklären Sie einem Bauarbeiter, der aus Wien kommt, der einmal in Kärnten, einmal in Tirol arbeitet und vielleicht im Burgenland wohnt, dass er in jedem Land einen anderen Selbstbehalt zahlen muss? (Abg. Dr. Puttinger: Die Wiener sollen mehr sparen!)

Was heißt in Ihrem Programm: Krankentransporte nur mehr nach medizinischen Notwendigkeiten – Wer stellt sie fest? Was macht ein Dialyse-Patient? Fährt der mit dem Taxi in das Krankenhaus? (Abg. Dr. Puttinger: Warum sollten die Überschüsse der Salzburger Gebietskrankenkasse ...?) Was macht eine gehbehinderte Pensionistin? Wie kommt sie dorthin? Ist das in Ihren Augen Freiheit statt Gängelung, sich selbst um den Krankentransport kümmern und ihn dann auch noch selbst zahlen zu müssen? (Beifall bei der SPÖ.) Ist das die Freiheit, von der Sie reden? Ist das Ihr Bekenntnis zur Eigenverantwortung, das der Herr Bundeskanzler heute in der Regierungserklärung in den Mund genommen hat?

Frau Bundesministerin! Legen Sie hier dar, welche Maßnahmen Sie in Zukunft treffen werden! Sagen Sie klar, was Sie vorhaben, und erklären Sie diese Maßnahmen dann den kleinen Leuten! Erklären Sie, wie Sie es sichern wollen, dass das Gesundheitssystem in Österreich solidarisch bleibt! Soweit ich es bis jetzt erkennen kann, hat der Mut gefehlt, die eigentlichen Probleme im Gesundheitsbereich ohne sozial ungerechte Belastungen für die Patienten zu lösen. (Beifall bei der SPÖ.)

17.17

Präsident Dr. Heinz Fischer: Nächster Redner ist Herr Abgeordneter Fischl. Freiwillige Redezeitbeschränkung: 6 Minuten. – Bitte.

17.17

Abgeordneter Harald Fischl (Freiheitliche): Herr Präsident! Frau Bundesminister! Herr Bundesminister! Ich muss es einmal sagen: Ich danke dem lieben Gott, dass ich diesen Tag hier im Hohen Hause erleben darf, an dem endlich einmal eine Regierung angelobt wird (Abg. Mag. Kogler: Gott schütze Österreich!), die nicht über Perioden hinweg, von Generation zu Generation immer das Gleiche sagt und dann etwas völlig anderes macht. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Hohes Haus! Ich danke auch Frau Kollegin Hostasch dafür, dass sie heute diese Dringliche eingebracht hat. Man liest nämlich aus dieser Dringlichen zwei Dinge heraus: einmal den Charakter, der sie beseelt, und andererseits die wenige Klugheit, die sie ausmacht.

Wenn ich von minderer Klugheit spreche, meine ich: Wie kann man sich hier zum Rednerpult stellen, eine Dringliche Anfrage einbringen und Probleme aufzeigen, die man eigentlich selbst verursacht hat?! Wie kann darüber hinaus ein sozialistischer Finanzminister hierher treten und sagen: Es ist alles wunderbar!, während man beispielsweise zur Kenntnis zu nehmen hat (Abg. Silhavy: Haben Sie zugehört ...?), dass der Bundesanteil an den Sozialausgaben, der Bundeszuschuss, in nur zehn Jahren, in nicht einmal zehn Jahren, nämlich in neun Jahren, von 1989 bis 1999 von 130 auf 215 Milliarden angestiegen ist?! (Neuerlicher Zwischenruf der Abg. Silhavy. )

Wie kann man, Frau Kollegin Hostasch – auch wenn Sie nicht hier sind, aber Frau Kollegin Silhavy ist so geschwätzig, sie wird es ihr dann wahrscheinlich sagen (Abg. Dietachmayr: Sehr "charmant"! – weitere Zwischenrufe bei der SPÖ – Beifall bei den Freiheitlichen)  –, wie kann man, verehrte Damen und Herren, sich hier ungeniert hinstellen und von einem Scherbenhaufen sprechen, den wir anrichten?!

Frau Kollegin Silhavy, ich bitte Sie, richten Sie Ihrer Kollegin Hostasch aus: Wir haben keinen Scherbenhaufen angerichtet. (Abg. Gaugg: Den habt ihr uns hinterlassen!) Ihr habt einen Trümmerhaufen angerichtet, und wir haben diesen Trümmerhaufen aufzuarbeiten. Da ist ein ganz großer Unterschied. (Beifall bei den Freiheitlichen.)


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Dieser Trümmerhaufen lässt sich mit Beispielen unterlegen. (Abg. Gradwohl: ... Versicherungserhöhung ...!) Herr Kollege aus der Obersteiermark! Du kannst ruhig steirisch reden, sonst verstehe ich dich nicht. Du redest so intellektuell. (Abg. Gradwohl: Eine Erfolgsgeschichte ...!)

Verehrte Damen und Herren! Der Trümmerhaufen, der sich uns offenbart, ist leicht nachvollziehbar (Abg. Silhavy: ... Goldwaage, im Vergleich zu dem ...!): zwei Sparpakete, maßgebliche Einschnitte im Bereich des Pensionssystems während Ihrer Regierungszeit, maßgebliche Realeinkommensverluste während Ihrer Regierungstätigkeit, sinkendes Volkseinkommen – allein in zwei Jahren etwa 3,8 Prozent, verehrte Damen und Herren!

Die Lohnnebenkosten in Österreich gehören heute zu den höchsten in Europa. Die Abgaben des BIP brauche ich Ihnen nicht näher zu erläutern; wir haben schon oft genug darüber diskutiert. Unser Pensionssystem, das Sie hier so lobpreisen, das Sie als so einmalig bezeichnen, verehrte Damen und Herren, wäre mit Sicherheit, wenn es so weiter gehen würde, wie Sie das gedacht hätten, in zehn bis 15 Jahren nicht mehr machbar. Das sage nicht ich allein, da nehme ich mir beispielsweise Herrn Rürup zum Vorbild, der auch für Sie als Experte tätig war. All das, was Sie heute hier machen, ist für mich blanke Heuchelei.

Präsident Dr. Heinz Fischer: Herr Abgeordneter, bitte!

Abgeordneter Harald Fischl (fortsetzend): All das, was Sie hier und heute machen, ist für mich blanke Täuscherei. Sie versuchen nämlich mit Aggression im Wort darüber hinwegzutäuschen, wer tatsächlich für diesen Umstand in unserem Land verantwortlich ist. (Beifall bei den Freiheitlichen. – Zwischenruf des Abg. Edler. )

Wenn sich jemand, der den Trümmerhaufen verursacht hat, hierherstellt und so tut, als ob die Regierungserklärung sozusagen das Abbild eines Scherbenhaufens wäre, dann geht mir das zu weit. Ich bin dem ORF dankbar dafür, dass diese Debatte heute live übertragen wurde, denn der ORF hat dadurch mitgeholfen, zu zeigen, wie Sie sich hier im Hohen Hause demaskiert haben, wie Sie Ihre Maske ein Stück heruntergenommen haben, indem Sie sich als Retter unseres Sozialsystems dargestellt haben. (Zwischenruf der Abg. Silhavy. )

Verehrte Damen und Herren! Wir sprechen von Zwei-Klassen-Medizin. (Abg. Silhavy: Sie sprechen davon!) Wissen Sie eigentlich, dass Sie es waren, die die Zwei-Klassen-Medizin verursacht haben? Wissen Sie, dass Sie es waren? Vor mir hat ein Arzt geredet, Herr Dozent Grünewald, der in diesem Zusammenhang Kritik geübt und dabei offensichtlich nicht berücksichtigt hat, dass er damit etwas kritisiert, was Sie angestellt haben. Ich kann Herrn Professor Grünewald nur völlig Recht geben: Wir haben eine Zwei-Klassen-Medizin, und zwar auf Grund dessen, dass Sie dem Gesundheitswesen insgesamt zu wenig Beobachtung beigemessen haben. Sie haben auf Kosten des Staatsvermögens, auf Kosten der Staatsverschuldung, die – und das möchte ich Herrn Edlinger auch noch sagen – innerhalb von zehn Jahren von 800 Milliarden auf etwa 1,6 Billionen Schilling angewachsen ist, Sozialdumping betrieben.

Es ist Zeit, dass die Sozialromantik ein Ende nimmt, dass Realismus einkehrt zum Wohle der Bevölkerung Österreichs. Denn hätten wir so weitergemacht, würde es uns in ein paar Jahren sehr viel ärger treffen.

Ich kann Ihnen für meine Fraktion, für diese neue Regierung versprechen: Wir werden alle Kraft daransetzen, dass wir diesen Trümmerhaufen, den Sie hinterlassen haben, so schnell wie möglich zur Seite räumen. – Danke schön. (Beifall bei den Freiheitlichen. – Zwischenruf der Abg. Silhavy.  – Abg. Leikam: Sehr schwach!)

17.23

Präsident Dr. Heinz Fischer: Nächster Redner ist Herr Abgeordneter Donabauer. – Bitte.

17.23

Abgeordneter Karl Donabauer (ÖVP): Herr Präsident! Frau Bundesminister! Hohes Haus! Es wurde heute sehr oft der Begriff "Angst" gebraucht. Wovor ich Angst habe, ist, dass Sie einfach nicht begreifen wollen, dass die Zeit eine andere geworden ist. Und immer dann, wenn es Ihnen


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an Argumenten fehlt, greifen Sie zurück auf die fünfziger, vierziger oder dreißiger Jahre – egal, wohin. Richten Sie doch endlich Ihren Blick nach vorne! Es geht darum, dass wir die Politik für morgen gestalten! (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der Freiheitlichen. – Zwischenrufe bei der SPÖ.)

Zweitens: Wenn Sie heute prophetische Allüren haben und glauben, dass das ganze Land im Sozialbereich zu Grunde gehen wird, sage ich Ihnen eines: Bauen Sie auf uns! Wir von der Volkspartei werden dafür sorgen, dass es auch morgen eine gute, eine sehr gute, eine ausgewogene Sozialpolitik gibt! (Beifall und Bravorufe bei der ÖVP.)

Ich habe absolut Verständnis für die Dringliche Anfrage, absolut, nur eines darf ich schon anmerken: Wenn hier in der Einleitung steht, dass dieses österreichische Sozial- und Gesundheitssystem unter sozialdemokratischer Führung aufgebaut wurde, dann muss ich sagen: Da haben Sie größtenteils Recht, aber vergessen Sie mir bitte nicht auf die Sozialpartner, denn die Sozialpartner haben sich doch in einer hervorragenden Weise hier eingebracht und sind doch wahrlich nicht nur sozialdemokratisch geführte Institutionen. Lassen Sie auch andere Anteil haben an dem, was wir heute als Erfolg hier vorweisen und vertreten können! Das darf gesagt werden. (Beifall bei der ÖVP.)

Wenn Sie, Frau Mag. Plank, meinen, dass in Zukunft ein 70-Jähriger fürchten muss, sich nicht mehr in einem Krankenhaus behandeln lassen zu können, dann empfehle ich Ihnen, Frau Magister, nach England zu fahren, wo Tony Blair Politik macht: Da werden nämlich ab dem 60. Lebensjahr Leistungen dieser Art nicht mehr bezahlt. Dort können Sie hinfahren, dort ist die Situation so. Über das müssen Sie reden, wenn Sie über Sozialpolitik diskutieren wollen. (Beifall bei der ÖVP. – Anhaltende Zwischenrufe bei der SPÖ. – Präsident Dr. Fischer gibt das Glockenzeichen.)

Nun zur Anfrage. Ich stehe nicht an, Ihnen, Frau Abgeordnete Hostasch, als ehemaliger Bundesministerin für die gute Zusammenarbeit zu danken. Wir haben im bäuerlichen Bereich und in vielen anderen Bereichen sehr viel weiterentwickelt. Ich bin aber betroffen, wenn sich heute in dieser Dringlichen Anfrage etwas findet, was sich, wie ich glaube, für die Sozialpolitik nicht eignet, nämlich Gruppendenken. Wir brauchen hier Solidarität, und ich bin dir, Kollege Feurstein, dankbar dafür, dass du es heute schon angesprochen hast. Wenn hier steht, die Bauern hätten einen Eigenfinanzierungsgrad von nur 21 Prozent, dann beweise ich Ihnen, dass wir tatsächlich einen in der Höhe von 49,4 Prozent haben. Und wenn Sie das nicht glauben, dann schauen Sie im Grünen Bericht nach, dort steht es nämlich drinnen. Noch dazu sitzen Sie in der § 7-Kommission und haben es mitbeschlossen. Das ist die Wahrheit, aber nicht die 21 Prozent, die Sie uns aufs Auge drücken wollen. Das werden wir uns nicht bieten lassen! (Beifall bei der ÖVP. – Zwischenruf des Abg. Schwemlein. )

Zweitens: Wenn Sie heute hier so den Selbstbehalt kritisieren, dann darf ich Ihnen sagen, Herr Kollege Schwemlein: Es gibt kein System ohne Selbstbehalt. Im Heilmittel- und Heilbehelfebereich haben ihn alle, die BVA verlangt einen Selbstbehalt von 20 Prozent bei ärztlicher Hilfe, die ASVG – Ihre! – hat eine Krankenscheingebühr und einen Selbstbehalt für die Angehörigen vorgesehen. Das ist doch Ihre Leistung gewesen! Sie rühmen sich ja hier Ihrer Politik, bitte! Das ist doch Ihre Leistung gewesen! Bitte, seien Sie ehrlich, so ist es: Es gibt den Selbstbehalt in jedem System, die gewerbliche Wirtschaft hat ihn, die Bauern haben ihn.

Wir verlangen gar nicht mehr als eine Lösung der anstehenden Fragen. Da die Formel Klima nicht aufgeht – er hat gesagt, die Krankenversicherungen müssen sich sanieren, aber es dürfe keine Beitragsanhebung und keine Leistungsschmälerung geben –, muss man korrekterweise einen neuen Weg finden. Und was hat nun diese Regierung vorgeschlagen? – Sie hat vorgeschlagen – über all das wird noch diskutiert werden –, dass die Sozialversicherungsträger in Eigenverantwortlichkeit im Rahmen ihrer Selbstverwaltung selbst Maßnahmen setzen können, müssen und werden. Das ist doch nichts Unanständiges! Darüber werden wir noch sehr viel zu diskutieren haben, denn das muss alles noch gründlich vorbereitet und aufbereitet werden.


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Es ist heute mehrmals von der Pensionsdramatik gesprochen worden. Ich habe mir folgenden Fall vom Hauptverband bestätigen lassen: Eine Frau mit 360 Versicherungsmonaten geht mit 55 Jahren in Pension. Und Sie werden staunen: Sie hat heute bereits einen Abschlag in der Höhe von 9 Prozent. Das ist vom Hauptverband bestätigt. Und da wollen Sie uns heute weismachen, dass plötzlich über dieses Land nur Jammer kommt?

Ich bitte Sie, trachten wir nach zwei Dingen: erstens, dass wir in Zukunft schauen, dass diesem Sozialsystem, das wirklich gut ist, das wir gemeinsam aufgebaut haben, weiterhin Vertrauen entgegengebracht wird, dass sich auch noch die nächste Generation daran orientiert und den Generationenvertrag mitträgt, und tun wir zweitens alles, dass wir die soziale Sicherheit in diesem Land aufrechterhalten und dass wir zu mehr Vertrauen und mehr Respekt zueinander auch in einer stürmischen Diskussion finden. Das tut, glaube ich, dem Land gut, und das erwarten sich auch die Leute von den Politikern, die hier im Parlament tätig sind. (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der Freiheitlichen.)

17.28

Präsident Dr. Heinz Fischer: Nächster Redner ist Herr Abgeordneter Öllinger. Zweite Wortmeldung, restliche Redezeit: 6 Minuten. – Bitte.

17.29

Abgeordneter Karl Öllinger (Grüne): Hohes Haus! Manchmal – und das betrifft eigentlich nicht die Regierungserklärung, aber so manches Drumherum (Abg. Aumayr: Wir sind eh bei der Dringlichen!), ich komme schon noch auf die Dringliche zu sprechen – hat man das Gefühl und den eigenartigen Eindruck, dass die Botschaften, die hier vom Rednerpult aus vertreten werden, an Sie gerichtet werden, völlig falsch ankommen.

Etwa hat Sie, meine Damen und Herren, mein Kollege Grünewald im Schlusssatz seiner Rede darauf hingewiesen – und das betrifft auch die Dringliche –, dass am 30. Mai 1938 Herr Seyss-Inquart mit einem Erlass durch Zusammenlegung, eigentlich Zerschlagung bestehender Ministerien ein neues Ministerium gebildet hat. (Abg. Dr. Puttinger: Vor 62 Jahren!) Er hat aus dem Sozialministerium, dem Handels-, dem Verkehrsministerium das Ministerium für Wirtschaft und Arbeit – auch diese Reihenfolge ist wichtig – gebildet.

Es hat zuvor schon mein Kollege Van der Bellen Sie, meine Damen und Herren, darauf hingewiesen, dass das, was Herr Bartenstein heute zu diesem Thema dem "Standard" gegenüber gesagt hat, nämlich dass diese Neugruppierung ja auch dem entspricht, dass das Klischee von gegensätzlichen Interessen von Arbeitnehmern und Unternehmern überholt ist, und dass er froh darüber ist, dass hier sozusagen ein Standortministerium gebildet wird, in dem die unterschiedlichen Interessen zu einem ganzen Interesse verschmelzen, bei Ihnen nicht einmal eine Reaktion hervorgerufen hat. – Ausgenommen eine Reaktion, nachdem mein Kollege Kurt Grünewald gesprochen hat. Wir haben das so gehört – und ich versuche es vorsichtig zu formulieren, Herr Kollege Jung –: Ist es wirklich so, dass Sie auf die Feststellung meines Kollegen Grünewald, dass das eigentlich der Beginn der NS-Herrschaft war – so hat er es nicht ausgeführt, aber das ist im Kontext erkennbar gewesen –, gesagt haben: Dann kann es nicht so schlimm gewesen sein!?

Herr Kollege Jung! Wir haben es so gehört. Wenn das von Ihnen so gekommen ist, dann ersuche ich Sie, das hier klarzustellen. Wenn es nicht so gekommen ist, dann bitte erklären Sie sich. (Abg. Aumayr: Lernen Sie Geschichte, hat er gesagt! So ein Blödsinn! – Weitere Zwischenrufe bei den Freiheitlichen.) Wir haben das so gehört. Ich weiß nicht, ob es stimmt, aber jede falsche Bewegung in dieser Richtung von Ihrer Seite, meine Damen und Herren von den Freiheitlichen, steht Ihnen nicht zu! (Beifall bei den Grünen und bei Abgeordneten der SPÖ. – Zwischenrufe bei den Freiheitlichen.)

Ich komme auf einen Punkt zu sprechen, den ich mir eigentlich auch aufgehoben habe. Natürlich, meine Damen und Herren von den Freiheitlichen, merkt man an dem, was Sie hier in diese Koalitionsvereinbarung hineingearbeitet haben, nicht viele spezifisch freiheitliche Züge, es gibt aber zwei davon. Einen habe ich in meiner ersten Rede erwähnt: Das ist das Konzept der Pflichtarbeit, das auch Herr Khol vertritt und das auch andere mit vertreten. Ich möchte jetzt


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nicht auf diese Pflichtarbeit eingehen, aber es kommt noch einmal etwas Ähnliches im NS-Kontext vor, und das ist die Zwangsarbeit.

Da gibt es auf der einen Seite die Erklärung des Bundeskanzlers Schüssel: Die Bundesregierung wird dem nachgehen. Dann gibt es aber einen Punkt in der Koalitionsvereinbarung, der diese doch sehr deutliche und klare Stellungnahme des Bundeskanzlers Schüssel zur Zwangsarbeit relativiert – und das ist Ihre Sprache, meine Damen und Herren von den Freiheitlichen. Da heißt es unter Punkt "12. Wiedergutmachung für Zwangsarbeiter, Kriegsgefangene und Vertriebene":

"Die Bundesregierung wird um sachgerechte Lösungen in den Fragen aller im Zuge des Zweiten Weltkrieges zur Zwangsarbeit gezwungenen Personen, der österreichischen Kriegsgefangenen sowie der in der Folge der Beneš-Dekrete und AVNOJ-Bestimmungen nach Österreich vertriebenen deutschsprachigen Bevölkerung bemüht sein."

Das halte ich für ungeheuerlich. Das halte ich für ungeheuerlich! Statt sich im Kontext einer klaren Stellungnahme, die jede Bundesregierung – egal, von wem sie gebildet wird – notwendig hat, von nationalsozialistischen Verbrechen, von nationalsozialistischer Zwangsarbeit zu distanzieren, wird hier relativiert und die NS-Zwangsarbeit mit Vertriebenen gegengerechnet. (Abg. Böhacker: Das ist falsch!) Es kann schon sein, dass hier Unrecht geschehen ist, es stimmt auch, aber das hat, meine Damen und Herren von der Freiheitlichen Partei, im Kontext von NS-Zwangsarbeit überhaupt nichts zu suchen.

Meine Damen und Herren von den Freiheitlichen! Sie haben leider Gottes hier noch einiges aufzuarbeiten, einige unbewältigte dunkle, braune Flecken, die Ihnen immer wieder und offensichtlich bis in die Koalitionsvereinbarung das Augenlicht trüben. Darum erwarten wir von Ihnen auch eine entsprechende Erklärung. (Beifall bei den Grünen und bei Abgeordneten der SPÖ. – Abg. Böhacker: Sie sagen bewusst die Unwahrheit! Das ist schäbig, was Sie da machen! Das ist die Unwahrheit! – Weitere Zwischenrufe bei den Freiheitlichen.)

17.35

Präsident Dr. Heinz Fischer: Zu Wort gelangt Herr Abgeordneter Dr. Pumberger. Die restliche Redezeit der freiheitlichen Fraktion beträgt 7 Minuten. Wollen Sie die vollen 7 oder wollen Sie 4 Minuten? (Abg. Dr. Pumberger: 4!) 4 Minuten. – Bitte.

17.35

Abgeordneter Dr. Alois Pumberger (Freiheitliche): Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Bundesministerin! Verehrte Herren Bundesminister! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wollen wir wieder zum eigentlichen Thema zurückkehren, Herr Kollege Öllinger, es geht hier um eine Dringliche Anfrage der ehemaligen Sozialministerin Hostasch. (Abg. Öllinger: Auch um einen Zwischenruf von Ihrer Seite!)

Frau Abgeordnete Hostasch! Ich bin Ihnen gemeinsam mit meiner Fraktion und wohl auch mit der Fraktion der Österreichischen Volkspartei sehr dankbar für diese Dringliche Anfrage, denn diese Dringliche Anfrage bietet uns Gelegenheit, den wilden Gerüchten, den Diffamierungen dieses Reformprogramms entgegenzuwirken. Die Medien haben auf Grund teilweise falscher Berichterstattung aus Ihren Reihen ein falsches Bild bekommen. Sie haben absichtlich von horrenden Selbstbehalten im stationären Bereich, von Selbstbehalten in der Höhe von 20 000, 30 000 S bei Hüftoperationen gesprochen und haben damit Angst gemacht. Sie haben der Bevölkerung Angst gemacht, indem Sie gesagt haben: Wenn diese Reformregierung zu arbeiten beginnt, dann können wir uns das Spital nicht mehr leisten!

Das ist schlimm, meine Damen und Herren! Ich bin Arzt, ich weiß, welche Ängste damit bei der Bevölkerung geweckt werden. Es gibt vielerlei Ängste, aber die Angst, nicht mehr die richtige Versorgung zu bekommen, wenn man krank ist, sich einen Krankenhausaufenthalt, eine oft lebensnotwendige Operation nicht mehr leisten zu können – das ist etwas ganz Schlimmes, Frau Bundesministerin. Gerade von Ihnen habe ich mir nicht erwartet, dass Sie hier federführend sind. (Abg. Hostasch: Für Klarstellungen!) Sie sprechen hier von "Krankenbestrafungssteuer" sprechen. (Neuerlicher Zwischenruf der Abg. Hostasch. ) Sie haben doch die Anfrage


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gestellt! In der Präambel ist von einer "Krankenbestrafungssteuer" die Rede. Auch in den nachfolgenden Fragen steht etwas von "Krankenbestrafungssteuern".

Niemand will die Kranken bestrafen! Wir haben ein Reformprogramm erstellt. Wir haben alle zusammengearbeitet, haben wochenlang dafür gearbeitet – kürzer als die SPÖ, die trotzdem gescheitert ist – und haben ein Programm auf die Beine gestellt, mit dem die Österreicherinnen und Österreicher in der Gesundheits- und Sozialpolitik in Zukunft zufrieden sein werden. (Beifall bei den Freiheitlichen. – Zwischenrufe bei der SPÖ.)

Der Gesundheitspolitik ist in diesem Programm ein hoher Stellenwert eingeräumt, wie es noch nie in einem sozialistisch geprägten Programm der Fall war. Noch nie war der Stellenwert für Gesundheits- und Sozialpolitik und vor allem für Gesundheitspolitik ein so großer wie in diesem Reformprogramm. Der Titel "Programm für mehr Gesundheit" sagt schon alles. Wenn Sie den Inhalt wirklich objektiv zu lesen versuchen, meine sehr verehrten Damen und Herren in den Oppositionsrängen, dann werden Sie darauf kommen, dass wir uns wirklich Gedanken gemacht haben, um auch in Zukunft eine ordentliche Gesundheitspolitik für unsere Bevölkerung zu ermöglichen. (Zwischenruf der Abg. Silhavy. )

Ganz wichtig ist ein zweites Kapitel unter "Soziales", nämlich die Reform der Sozialversicherungen in Österreich. Meine Damen und Herren! So ein Kapitel hat es in einem sozialistisch dominierten Programm noch nie gegeben, denn der Wille zur Reform bei den Sozialversicherungen war in Ihren Rängen überhaupt nie erkennbar – weder von den Sozialministern, Ihren Vorgängern noch von Ihnen. Ich habe mir schon einmal einen Ordnungsruf eingeheimst, weil ich gesagt habe, Sie wären eine Marionette des Hauptverbandes gewesen. Das habe ich behauptet und habe es dann mit einem Ordnungsruf büßen müssen. Aber ich weiß – und ich wiederhole es –, dass der Hauptverband der Sozialversicherungen die Richtung in der Sozialpolitik immer vorgegeben hat und die jeweiligen Minister, die gerade im Amt waren, all das nachvollzogen haben, was die Sallmutters ihnen vorgekaut haben. Und das wird es in Zukunft nicht mehr geben! Wir werden dafür sorgen, dass eine soziale Gesundheitspolitik und eine Sozialpolitik Platz greifen, die im Sinne der Bürger, im Sinne der Sozialversicherten sind.

Noch zum Selbstbehalt. – Ich glaube, ich werde die drei Minuten noch verwenden, wenn sich kein Redner der Freiheitlichen mehr gemeldet hat, damit die Redezeit aufgebraucht wird. – Ich meine, es ist wichtig, auf das Thema Selbstbehalt einzugehen. Gerade Ihr Vorgänger, Sozialminister Hums, hat mit Zähnen und Klauen gekämpft, dass die Sozialversicherung der österreichischen Eisenbahner nicht vom Selbstbehalt abgeht, ihre Leistungen kürzt und das System – so wie bei der Bauern-Krankenkasse – jenem der Gebietskrankenkasse angepasst wird. Das wollte er verhindern, weil die versicherten Eisenbahner nicht wollten, dass die Leistungen gekürzt werden, weil sie wissen, dass die Eisenbahner-Krankenkasse aufgrund des Selbstbehalts, den sie einhebt, ein besseres Leistungsspektrum für die Versicherten bieten kann. – Die Versicherten wollten das also nicht. (Abg. Edler: Die haben auch höhere Beiträge!)

Jetzt, weil durch dieses Reformprogramm die Sozialversicherungen ermächtigt werden für den Fall, dass sie es nicht schaffen, mit den Reformen, die wir ihnen vorgeben, ihr Budget in Ordnung zu bekommen, einen Selbstbehalt einzuführen, der für die Versicherten ein Leistungsspektrum ermöglicht, das jenem der Eisenbahner- und der Beamtenversicherung und der Versicherung der Gewerblichen Wirtschaft nahe kommt, ein Leistungsspektrum, das die Versicherten wollen, jetzt schreien Sie Zeter und Mordio. Jetzt sprechen Sie, Frau ehemalige Sozialministerin, von einer Belastung von bis zu 11 Milliarden Schilling. Und das ist alles ganz einfach nicht wahr!

Wir haben bei der Ausarbeitung dieses Programms ganz genaue Überlegungen angestellt, wer hier ausgenommen werden soll. Es ist völlig falsch – und das wurde heute schon mehrmals gesagt –, dass die Krankenhausaufenthalte von einem neuerlichen Selbstbehalt betroffen sind. Sozial Bedürftige und Kinder sind davon ausgenommen! Und was ganz wichtig ist: Die Pensionisten zahlen ja keine Krankenscheingebühr, damals hat man als Ersatz für die Krankenscheingebühr – nein, die zahlen keine, das wissen Sie nicht, Frau ehemalige Bundesministerin? – eine Beitragserhöhung für die Pensionisten im Ausmaß von 0,25 Prozent beschlossen.


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Daher fällt für die Pensionisten die Krankenscheingebühr nicht weg, daher fällt auch dieser Selbstbehalt für Pensionisten – sollte er überhaupt eingeführt werden – weg. Also auch die Pensionisten brauchen diesbezüglich keine Angst zu haben.

Darum sage ich Ihnen: Wir haben in diesem Reformprogramm sehr vieles drinnen: von der Stärkung der Patientenrechte über die Krankenanstaltenreform bis zu mehr Initiativen für Gesundheitsvorsorge, -nachsorge und Rehabilitation.

Frau Bundesministerin! Sie haben die erste Aufgabe in Form von Rehabilitation bald vor sich. Wenn Sie in Lissabon sind, wünsche ich Ihnen viel Glück, dass Sie den ramponierten Ruf – von wem immer er auch ramponiert wurde – in der europäischen Welt wieder rehabilitieren können. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

17.42

Präsident Dr. Heinz Fischer: Weitere Wortmeldungen dazu liegen nicht vor. Damit schließe ich die Debatte über die Dringliche Anfrage.

Fortsetzung der Tagesordnung

Präsident Dr. Heinz Fischer: Gleichzeitig nehme ich die Debatte über die Regierungserklärung wieder auf. Wir setzen in der Rednerliste fort.

Zu Wort gelangt Herr Abgeordneter Mag. Schlögl. – Bitte, Herr Abgeordneter. (Abg. Schwarzenberger: Der Spindelegger ist noch am Wort, er ist unterbrochen worden bei der Dringlichen! – Weitere Zwischenrufe bei der ÖVP.)

Anscheinend ist das von den Beamten so verstanden worden, dass die Rede beendet war, darum scheint jetzt auf der Rednerliste Kollege Schlögl auf. Aber da werden wir jetzt nicht streiten, ich gebe Dr. Spindelegger das Wort, nur müssen die Beamten noch feststellen, wie viel die restliche Redezeit ausmacht. – Bitte, Sie haben das Wort.

17.43

Abgeordneter Dr. Michael Spindelegger (ÖVP) (fortsetzend): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe das in meinem vorherigen Redeteil auch angekündigt und darf Ihnen sagen, Herr Präsident, ich hatte 5 Minuten Redezeit. (Abg. Leikam: 8 Minuten!) Oder 8 Minuten.

Präsident Dr. Heinz Fischer: Er hat 6 Minuten gesprochen – und bitte mischt euch da nicht ein!

Herr Abgeordneter Spindelegger, wollen Sie noch 14 Minuten sprechen? Auf welche Zeit soll ich die Uhr einstellen? (Abg. Dr. Spindelegger: 7 Minuten, bitte!) 7 Minuten. – Bitte.

Abgeordneter Dr. Michael Spindelegger (fortsetzend): Geschätzte Damen und Herren! Ich werde nicht meine ganze Redezeit ausschöpfen, aber ich möchte Sie doch mit einem jetzt aufgetauchten neuen Faktum konfrontieren, das mich wirklich erschüttert.

Ich habe gestern von meinem Kollegen aus der sozialdemokratischen Fraktion, dem außenpolitischen Sprecher der SPÖ, Kollegen Schieder, hier vom Rednerpult aus und dann noch einmal im Rahmen einer Diskussion in der "ZiB 3" ein eindeutiges Bekenntnis gehört, indem er gesagt hat, er werde zwar diese Regierung nicht unterstützen, aber die SPÖ stelle sich vor das Land und werde Schaden abwenden.

Ich habe das geglaubt, denn ich hatte keinen Zweifel daran, dass sich die SPÖ, zumindest die Außenpolitiker der SPÖ, an diese Linie halten wird. – Ich bin aber wirklich erschüttert darüber, dass jetzt ganz das Gegenteil von dem, was versprochen wurde, betrieben wird und man Österreich Schaden zufügt, und ich darf das in aller Deutlichkeit hier noch einmal klarlegen.

Uns liegt ein Schreiben von Josette Durrieu, ihres Zeichens französische Senatorin, die auch im Europarat – Kollege Gusenbauer wird sie kennen – als Mitglied desselben tätig ist. Sie fordert in einem Schreiben den Herrn Generalsekretär des Europarates, Walter Schwimmer, zum Rück


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tritt auf. Und wissen Sie, mit welcher Begründung? – Weil er ein Österreicher ist und weil er Mitglied der Österreichischen Volkspartei ist und eine dementsprechende Gesinnung hat.

Da können Sie noch sagen: Okay, jeder ist frei in seinem Mandat und kann sagen, was er will. Da gebe ich Ihnen Recht. Dass sie allerdings jetzt bei der sozialdemokratischen Fraktion im Europarat für diese Erklärung Unterschriften sammelt, das ist das eine. (Abg. Dr. Khol: Das ist ja unerhört!) Dass aber gleichzeitig der Fraktionschef der Sozialdemokraten im Europarat der Österreicher Peter Schieder ist, ist das andere, meine Damen und Herren. (Beifall und Aharufe bei der ÖVP und bei Abgeordneten der Freiheitlichen.) Und das Dritte, das dazukommt, ist, dass Josette Durrieu seine Stellvertreterin ist. (Abg. Schwarzenberger: Das sind Nestbeschmutzer! – Abg. Haigermoser: Das ist ein Skandal!)

Jetzt frage ich Sie, meine Damen und Herren: Ist es wirklich die Aufgabe der Fraktion der Sozialdemokraten im Europarat, den Generalsekretär des Europarates Walter Schwimmer zum Rücktritt aufzufordern, weil er Mitglied der Österreichischen Volkspartei ist? (Abg. Schwarzenberger: Weil er ein Österreicher ist!) Ich glaube, meine Damen und Herren, da sollten wir einen Grundkonsens in diesem Hause haben, dass das nicht der Fall ist, und weise das mit aller Entschiedenheit zurück. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

Es kann doch wirklich nicht so weit gehen, dass jemand, der sich zu einer Partei bekennt, der noch dazu zum Generalsekretär in der vorigen Periode gewählt wurde, als diese Kandidatur von Walter Schwimmer noch eine Regierung unter sozialdemokratischer Führung in Österreich unterstützt hat, jetzt aufgefordert wird, zurückzutreten. Offenbar werden Unterschriften unter allen Mitgliedern der sozialdemokratischen Fraktion im Europarat gesammelt. Ich bin wirklich erschüttert darüber und möchte Sie auffordern, diesen Unsinn auf jeden Fall abzustellen. Das hat wirklich keinen Sinn, dass man jetzt beginnt, eine Art Gesinnungsterror auszuüben. (Abg. Mag. Firlinger: Das ist ja nur eine Bestätigung!)

Der zweite Punkt, der gefordert wird, ist ähnlich: Die Abgeordneten der Österreichischen Volkspartei im Europarat, Edeltraud Gatterer und meine Wenigkeit, sollen ausgeschlossen werden. Nicht etwa, dass man beantragt hätte, dass die freiheitlichen Abgeordneten ausgeschlossen werden, nein, wir sollen ausgeschlossen werden. Meine Damen und Herren! Wenn das kein Gesinnungsterror ist, dann frage ich mich tatsächlich, was das für einen Sinn machen soll. (Abg. Dr. Martin Graf: So sind sie, die Sozialisten! – Abg. Haigermoser: Frau Mertel sagt, das ist auch eine Möglichkeit ...!)

Ich möchte für meine Fraktion festhalten: Stehen Sie zu Ihrem Wort – und ich nehme Sie beim Wort –, dass Sie sich vor Österreich stellen und nicht versuchen werden, durch Aktionen wie diese unser Ansehen weiterhin im Ausland zu schädigen! Ich bitte Sie darum, das ernst zu nehmen! (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

Ich stehe nach wie vor zu dem, was meine Partei und ich als außenpolitischer Sprecher auch hier in aller Klarheit gesagt haben, nämlich dass wir in der Außenpolitik und in der Europapolitik klar dort fortsetzen wollen, wo wir gemeinsam aufgehört haben. Und ich glaube nicht, dass es einen Sinn hat, eine Änderung in dieser Richtung – auch nach solchen Vorkommnissen nicht – vorzunehmen. Ich stehe dazu, und ich bitte Sie, noch einmal zu überlegen, ob solche Aktionen nicht von Ihrer Seite vorweg abgestellt werden sollten, damit wir gemeinsam wieder zu einem Maß finden, das für Österreich in Zukunft das Richtige sein wird. (Zwischenruf des Abg. Edler. )

Ich denke, dass es noch nicht zu spät ist, aber ich bitte Sie ganz eindringlich, Ihre Grundlagen in dieser Richtung zu überprüfen. – Vielen Dank. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

17.49

Präsident Dr. Heinz Fischer: Zu Wort gemeldet hat sich Herr Bundesminister Molterer. Ich erteile es ihm.

17.49

Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft, betraut mit der vorläufigen Leitung des Bundesministeriums für Umwelt, Jugend und Familie, Mag. Wilhelm Molterer: Sehr geehrter Herr Präsident! Hohes Haus! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Diese Bundes


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regierung hat sich ehrgeizige Ziele gesetzt, unter anderem in den Offensiven in der Umweltpolitik und in einer Politik für die ländlichen Regionen und die Land- und Forstwirtschaft.

Frau Abgeordnete Glawischnig! Diese Bundesregierung hat sich auch zum Ziel gesetzt, strukturelle Änderungen in der Verwaltung vorzunehmen, was seinen Ausdruck darin findet, dass wir ein Ressort schaffen werden, das den Namen "Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft, Gewässerschutz und Umweltpolitik" tragen wird.

Frau Abgeordnete Glawischnig, ich würde es für völlig falsch halten, aus der Sicht einer Umweltbewegten die Frage der Verwaltungsstruktur als Maßstab dafür zu nehmen, ob Umweltpolitik ernst genommen wird oder nicht. Frau Abgeordnete Glawischnig, ich möchte Ihnen gerne sagen – und Sie wissen das –, dass beispielsweise die Europäische Union sich zum Ziel gesetzt hat, die Politik für Umwelt integral in allen Politikbereichen zu verwirklichen, unabhängig von der Frage der Verwaltungsstruktur.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es gibt ein großes Ziel, das den von mir zu verantwortenden Ressortbereich letztendlich prägt. Dieses große und gemeinsame Ziel heißt Sicherung unserer Lebensgrundlagen, Frau Abgeordnete. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

Sie können sicher sein, dass die Umweltpolitik in dieser Ressortkonstellation keineswegs ein Anhängsel ist. Ich weiß nicht ganz genau, wie Sie das bezeichnet haben, ich glaube, Sie haben in Ihrer Rede gesagt, dass sie "aufgeschnupft" werden wird. – Nein! Die Umwelt und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, mit denen ich ein sehr gutes erstes Gespräch geführt habe, können sich unter meiner Ressortverantwortung sicher sein, dass die Umweltpolitik als zentrale Aufgabenstellung dieser Bundesregierung einen ganz zentralen Stellenwert haben wird.

Meine Damen und Herren! Ich möchte dabei schon etwas festhalten, weil ich mit der einen oder anderen diesbezüglichen Frage konfrontiert worden bin, und ich gehe darauf offen zu. Gerade aus dem Kreis der Umweltbewegten wurde die Frage gestellt: Wird da nicht der Bock zum Gärtner gemacht? (Abg. Mag. Kogler: Genau! So ist es!)

Frau Abgeordnete! Messen Sie die Arbeit, die wir vorhaben, am Ergebnis! Messen Sie uns am Programm, messen Sie uns an der Umsetzung! Wissen Sie, Frau Abgeordnete, worauf ich stolz bin? – Dass ich das Prinzip der Nachhaltigkeit massiv in die österreichische Agrarpolitik eingeführt habe und dass das Prinzip der Nachhaltigkeit auf österreichische Initiative hin als zentrales Element des europäischen Modells der Landwirtschaft verankert wurde. (Beifall bei der ÖVP. – Abg. Mag. Kogler: Nachhaltiges Bauernsterben!)

Nachhaltigkeit ist somit aus meiner Sicht die zentrale und einigende Klammer dessen, was wir als Schutz unserer Ressourcen und Lebensinteressen haben: Wenn Sie so wollen, das "Lebensministerium" Land- und Forstwirtschaft, Gewässerschutz und Umwelt, das ist meine politische Zielsetzung.

Frau Abgeordnete, gerade in der Umweltpolitik haben wir wichtige Aufgaben vor uns. Ich denke auf europäischer Ebene etwa an die Weiterführung der Diskussion über die Integration der Umweltpolitik in alle Politikbereiche. Ich denke beispielsweise, auch die Erweiterung der Europäischen Union als Chance für die europäische Umweltsituation zu erkennen, ist ein wichtiges Ziel. Ich denke beispielsweise auch an die Operationalisierung der Kyoto-Zielsetzung mit allen Gebietskörperschaften in Österreich, dem Bund, den Ländern und den Gemeinden. Das ist eine große Aufgabe, die in dieser Legislaturperiode vor uns liegt.

Ich denke auch an die Frage der Entwicklung im Abfallbereich, daran, dieses System nach der längeren Erfahrung mit den jetzigen Systemen zu evaluieren und dort weiter zu entwickeln, wo es notwendig ist. Auch die Frage Gewässerschutz ist eine der ganz wichtigen Aufgabenstellungen, die sich eine moderne und offensive Umweltpolitik zum Ziel setzen muss.

Frau Abgeordnete Glawischnig! Meine Damen und Herren! Auch in der Land- und Forstwirtschaft sind wichtige Prioritäten zu setzen. Es geht um die Umsetzung der Agenda 2000, um die Weiterentwicklung des europäischen Modells und um die Verteidigung dieses europäischen


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Modells auf internationaler Ebene, Stichwort WTO-Verhandlung – eine Frage, die für die Umwelt und die Landwirtschaft von zentraler Bedeutung ist.

Es geht letztendlich auch um die Frage der Entwicklung der ländlichen Regionen: nicht nur im Sinne der wirtschaftlichen Tätigkeit der Bauern, sondern aller dort lebenden Menschen und der notwendigen ökologischen Stabilität dieser Regionen. Es stellt sich auch die Frage der Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit unserer Bauern. Frau Abgeordnete, auch sehr offen zu Ihnen gesagt: Sie können doch nicht der Meinung sein, dass die Bauern ihre ökologischen Leistungen dann erbringen können, wenn sie Wettbewerbsnachteile gegenüber ihren Mitbewerbern haben. Ich bin der Meinung, dass wir den Bauern in Österreich durch unser Umweltprogramm ein neues Angebot für die ökologische Orientierung der Landwirtschaft machen müssen, aber gleichzeitig dafür Sorge tragen müssen, dass die wirtschaftliche Basis der Landwirtschaft so gestaltet ist, dass man auch ökologisch vernünftig wirtschaften kann. (Beifall bei der ÖVP.)

Meine Damen und Herren! Das ist meine Zielsetzung für ein sehr wichtiges und interessantes Aufgabengebiet, ein Aufgabengebiet, in dem es viele Gemeinsamkeiten gibt. Ich denke etwa, dass die Frage einer nachhaltigen Energiepolitik im beiderseitigen Interesse von Land- und Forstwirtschaft und Umwelt ist, besonders wenn es um die Frage der nachwachsenden Rohstoffe und Energieträger geht. Ich möchte Sie daher einladen, an diesem Projekt offensiv mitzuarbeiten.

Sie haben gesagt, Sie werden uns an den Taten messen. Dazu lade ich Sie ein. Ich lade Sie aber genauso dazu ein, den konstruktiv-kritischen Dialog zu suchen und nicht deswegen, weil Sie von vornherein ein vorgefasstes Urteil haben, zu werten, sondern in diesen Dialog, der keine Einbahnstraße sein kann, jenes Maß an konstruktiver Mitarbeit einzubringen, das gerade hier im Hohen Haus notwendig sein wird, um für die Umweltpolitik und den ländlichen Raum einen Beitrag zu leisten. Ich bin dazu bereit und gehe im Sinne der demokratischen Spielregeln auch davon aus, dass Sie sich diesem Dialogangebot nicht verschließen werden. – Danke. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

17.57

Präsident Dr. Heinz Fischer: Zum Wort gelangt Herr Abgeordneter Mag. Karl Schlögl. – Bitte.

17.57

Abgeordneter Mag. Karl Schlögl (SPÖ): Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Mitglieder der Bundesregierung! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Viele Österreicherinnen und Österreicher sind betroffen darüber, unter welchen Umständen gestern und heute diese beiden Parlamentssitzungen stattgefunden haben. Sie sind betroffen darüber, dass der Nationalrat nur unter strengsten Polizeikontrollen tagen kann, dass es Sicherheitsmaßnahmen im Hause gibt, dass es täglich Demonstrationen gibt und Hundertschaften von Polizei- und Gendarmeriebeamten aus ganz Österreich zusammengezogen werden müssen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sie von der freiheitlich-schwarzen Bundesregierung haben es zustande gebracht, schon nach wenigen Tagen Regierung diese Republik innerlich zu spalten, international zu isolieren und bloßzustellen! (Beifall bei der SPÖ. – Abg. Schwarzenberger: Wer hat dazu aufgerufen? – Abg. Mag. Schweitzer: Jetzt sagen Sie, warum! – Weitere Rufe und Gegenrufe zwischen Abgeordneten der SPÖ und der Freiheitlichen.)

Sie, meine sehr geehrten Damen und Herren, sind diejenigen, die dazu beitragen, dass der Grundkonsens in dieser Republik Österreich auseinanderzubrechen droht. Meine sehr geehrten Damen und Herren! Manche von Ihnen haben heute behauptet, diese neue Bundesregierung entspreche dem Wählerwillen und sei Ausdruck des Wählerwillens. Ich bestreite das. Diese neue Bundesregierung ist auf Grund von Wählertäuschung zustande gekommen. (Beifall bei der SPÖ. – Widerspruch bei den Freiheitlichen und der ÖVP. – Abg. Mag. Schweitzer: Erklär das bitte!)

Wenn die Wählerinnen und Wähler am 3. Oktober gewusst hätten, dass es zu dieser Bundesregierung kommen würde, dann hätten sie anders agiert und anders gewählt. Dann wäre es nicht so, dass die dritte Partei, die Drittstärksten, die behauptet haben, dass sie in Opposition


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gehen, wenn sie Dritte werden, plötzlich die Ersten in diesem Land sind. (Neuerliche Zwischenrufe bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

Es ist einzigartig in Europa, dass die weitaus stimmenstärkste Partei in einem Lande in die Opposition gedrängt wird. Es gibt kein Land in Europa, wo die stärkste Partei ebenfalls in Opposition ist.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Manche haben heute behauptet, die Sozialdemokratie werde Fundamental-Opposition in diesem Hause machen. Ich kann Ihnen versprechen und sagen, dass wir das nicht tun werden. Die Sozialdemokratie war in den letzten Jahren und Jahrzehnten in diesem Lande eine staatstragende Partei (Rufe: War! ) und wird auch in der Opposition eine staatstragende Partei sein. (Beifall bei der SPÖ.)

Meine sehr geehrten Damen und Herren von der ÖVP und den Freiheitlichen! Wir werden Sie ausschließlich daran messen, welche Taten Sie in dieser neuen Bundesregierung setzen. Und wir werden Sie daran messen, wieviel Sie von dem, was Sie in der Vergangenheit angekündigt haben, was Sie versprochen haben, auch umsetzen werden.

Gerade Sie, meine sehr geehrten Damen und Herren von der Freiheitlichen Partei, waren Meister im Ankündigen und im Versprechen, und jetzt ist es Ihre Aufgabe, das, was Sie versprochen haben, auch umzusetzen. – Unsere Aufgabe wird es sein, wachsam darauf zu achten, dass das, was Sie versprochen haben, von dieser Bundesregierung auch eingehalten wird. (Beifall bei der SPÖ.)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Als Opposition in diesem Hause werden wir nicht zulassen, dass Sie all das, worauf wir in dieser Republik stolz sind, in den nächsten Monaten und Jahren schlecht machen. (Zwischenruf des Abg. Mag. Trattner. )

Wir sind stolz darauf, dass Österreich ein Land ist, in dem es bisher ein hohes Maß an sozialem Frieden gab. Wir sind stolz darauf, dass Österreich zu den reichsten Ländern der Welt gehört. Wir sind stolz darauf, dass Österreich eine gute Beschäftigungssituation, hohe Umweltstandards, eine niedrige Inflationsrate und ein hervorragendes Wirtschaftswachstum hat (Abg. Mag. Trattner: Du solltest dir einmal das Budget anschauen!), und wir sind stolz darauf, dass wir eine sehr gute innere Sicherheit haben. All das haben wir in gemeinsamer Arbeit in drei Jahrzehnten sozialdemokratischer Regierung in diesem Lande geschaffen. (Beifall bei der SPÖ. – Abg. Mag. Trattner: Bankrott!)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Mein Grundsatz war es, in der Politik immer Brücken zu bauen, und ich hoffe, dass wir gemeinsam alles daransetzen werden, dass auch diese neue Bundesregierung diesen Grundsatz in Zukunft beibehält.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Manches, was ich in dieser Regierungserklärung gelesen habe, lässt in mir den Verdacht aufkeimen, dass der Riss, der in unserer Gesellschaft entstanden ist, vielleicht noch viel größer werden wird. (Abg. Mag. Schweitzer: Warum?! – Abg. Mag. Trattner: Ihr werdet schon einiges dazu beitragen!)

Ihre Regierungserklärung und Ihr Regierungsprogramm zeigen ganz deutlich, dass Sie eine neue Form der Umverteilung durchführen wollen: eine Umverteilung von den Reichen zu den sozial Schwachen (demonstrativer Beifall der Abgeordneten Dr. Martin Graf und Haigermoser ) und von den Arbeitnehmern zu den Unternehmern in diesem Lande. (Beifall und Zwischenrufe bei den Freiheitlichen.)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich brauche Ihnen dazu nur die Aussage des Tiroler Obmannes des Österreichischen Arbeiter- und Angestelltenbundes Helmut Mader zu zitieren, der beispielsweise heute in den Medien gesagt hat, dass der überbordende Sozialabbau dieser neuen Bundesregierung nicht zu akzeptieren ist und dass die neue Bundesregierung offensichtlich die Entmachtung der Gewerkschaften zum Ziel hat. – Da werden wir nicht mittun, dagegen werden wir klar Opposition machen! (Beifall bei der SPÖ.)


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Meine sehr geehrten Damen und Herren! In Sachen Umverteilung zitiere ich noch einmal eine Aussage des Österreichischen Arbeiter- und Angestelltenbundes, diesmal jene von Sekretär Dietmar Wetz aus Vorarlberg, der sagt: Für die Unternehmer stehen 19 Milliarden Schilling auf der Habenseite, auf die Arbeitnehmer warten 14 Milliarden an neuen Belastungen. – Das sagt der Österreichische Arbeiter- und Angestelltenbund. (Rufe und Gegenrufe zwischen Abgeordneten der SPÖ und der Freiheitlichen.)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sozialpolitik mit der Gießkanne, wie Sie es beispielsweise beim Karenzgeld machen, kann keine gerechte Sozialpolitik sein. Wer allen gibt, hat für die, die es wirklich brauchen, zu wenig. Und auch dagegen werden wir sein. (Beifall bei der SPÖ.)

Wir werden keine Fundamental-Opposition machen. Wir werden aber gemeinsam mit den Gewerkschaften – egal, ob sie sozialdemokratische, grüne, freiheitliche oder schwarze Gewerkschafter sind – alles daransetzen, dass der drohende Sozialabbau in diesem Land verhindert und der Wirtschaftsstandort Österreich gesichert wird. (Beifall bei der SPÖ. – Abg. Dr. Martin Graf: Es gibt ja nur "überparteiliche Gewerkschaften"!)

Ich fürchte aber nicht nur um das politische Klima und die Garantie des sozialen Netzes in diesem Land, sondern ich befürchte auch gefährliche Entwicklungen in der Sicherheitspolitik. Wenn in diesem Regierungsprogramm steht, dass jeder 15. Dienstposten abgebaut wird, und wenn darin steht, dass 2 Prozent aller Planstellen pro Jahr eingespart werden, dann heißt das beispielsweise bei der österreichischen Exekutive, dass pro Jahr bis zu 700 Planstellen eingespart werden. In diesem Regierungsprogramm steht ganz klar, dass die Exekutive von diesem Abbau nicht ausgenommen ist. Und das, meine sehr geehrten Damen und Herren, wäre ein gefährliches Sparen am falschen Fleck, und das wäre ungeheuerlich! (Beifall bei der SPÖ.)

Ich war als Innenminister immer stolz darauf, dass es mir gelungen ist, zusätzliche Planstellen für das Innenministerium zu bekommen. Die Freiheitliche Partei hat mich in diesem Anliegen unterstützt. Ich darf Ihnen versichern, dass wir von der Sozialdemokratischen Partei all jene unterstützen werden, die dazu beitragen, dass bei der inneren Sicherheit nicht gespart wird, denn dort zu sparen, wäre ein Sparen am falschen Fleck. (Beifall bei der SPÖ.)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die österreichische Exekutive ist hoch motiviert, ist hervorragend ausgebildet und gut ausgestattet. (Abg. Dr. Puttinger: Gott sei Dank!) Die österreichische Exekutive braucht auch in Zukunft die notwendigen gesetzlichen Möglichkeiten, gute Ausrüstung und genügend Personal. Zerschlagen Sie bitte nicht bewährte Strukturen! Tun Sie alles, damit die österreichische Exekutive auch in Zukunft im Interesse dieses Landes arbeiten kann! (Beifall bei der SPÖ.)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich darf Ihnen nochmals klar versichern: Wir Sozialdemokraten werden alles daransetzen, das internationale Ansehen Österreichs in Zukunft nicht noch weiter beschädigen zu lassen. Wir werden alles daransetzen, dass Brücken, die gebaut worden sind, auch in Zukunft erhalten bleiben. Uns geht es um unser Land, uns geht es um die Republik Österreich. Uns geht es darum, all das, was gemeinsam aufgebaut worden ist, in einem sozialen, in einem sicheren und in einem wohlhabenden Land auch in Zukunft zu sichern. Wir Sozialdemokraten werden der Anwalt der Österreicherinnen und Österreicher sein. (Anhaltender Beifall bei der SPÖ.)

18.07

Präsident Dr. Heinz Fischer: Nächster Redner ist Herr Abgeordneter Gaugg. Er hat das Wort. (Abg. Schwemlein: Buchstabieren! – Rufe bei der SPÖ: Schön sprechen! Regierungssprecher!)

18.07

Abgeordneter Reinhart Gaugg (Freiheitliche): Sehr geehrter Herr Präsident! Geschätzte Mitglieder der Bundesregierung! Meine Damen und Herren! Herr Abgeordneter Schlögl hat die Maske vom Gesicht genommen und erinnert mich ein bisschen an Herrn Van der Bellen, als dieser Klubobmann des grünen Klubs wurde. Vorher waren die Reden Van der Bellens immer eher sachlich und moderat. Als er aber Klubobmann wurde, hat er wahrscheinlich mit auf den


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Weg bekommen, dass er gegenüber der FPÖ aggressiv auftreten muss, sonst ist er Klubobmann gewesen. So ähnlich ist es auch bei Herrn Abgeordnetem Schlögl.

Ich muss sagen: Ihr Frust muss unendlich tief sitzen, der Frust aufgrund des Versagens gegenüber der österreichischen Bevölkerung. Das zeigt Ihr Loblied, das Sie jetzt gesungen haben, dass 30 Jahre Sozialismus in Österreich Vollbeschäftigung, reichstes Land und Ähnliches mehr bedeuten. – Schauspieler wie Sie sind zufrieden, nur die Menschen sind nicht mehr zufrieden, weil es einfach nicht stimmt! Es stimmt einfach nicht, und Sie wissen das ganz genau! (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Nicht einmal die Aufstockung der Zahl der Mitarbeiter im Innenministerium hat zu einem Erfolg geführt. Und ich muss sagen, ich bin von Ihnen persönlich und menschlich enttäuscht, denn als Innenminister haben Sie, Herr Abgeordneter Schlögl, wirklich so agiert, dass man sagen kann: Das war in Ordnung, das kann man akzeptieren. – Aber jetzt haben Sie die Maske abgenommen, und jetzt ist eine Fratze des Hasses entstanden.

Präsident Dr. Heinz Fischer: Herr Abgeordneter! Ich erteile Ihnen einen Ordnungsruf für den Ausdruck "Fratze des Hasses". Und ich frage mich, was Ankündigungen über einen ordentlichen Gesprächston wert sind, wenn so etwas hier geschieht!

Bitte setzen Sie fort! (Abg. Dr. Mertel: Das ist der Gaugg!)

Abgeordneter Reinhart Gaugg (fortsetzend): Herr Präsident! Da würde ich mir aber auch erwarten, dass die Sozialistische Internationale in Europa einmal so auftritt, wie es sich für demokratische Parteien gehört, und europaweit einmal mit der Hetzkampagne aufhört. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Herr Abgeordneter Schlögl hat das nämlich jetzt wiederholt. Er freut sich direkt, habe ich den Eindruck, dass es so einen Zustand in Österreich gibt. Er bedauert es, dass heute keine Demonstrationen mehr stattfinden, weil die Menschen nicht mehr so demonstrieren, wie Sie es gerne hätten. Jetzt muss man zündeln und schüren. Sie wissen ganz genau, dass in diesem Regierungsprogramm Maßnahmen notwendig sind, weil Sie es in Ihrer Zeit verabsäumt haben, entsprechende Maßnahmen durchzusetzen und umzusetzen. Und ich sage Ihnen, was noch passieren wird: Sozialabbau wird in dieser Republik nicht stattfinden, sondern in den nächsten Jahren wird es mehr Soziales und weniger Sozialismus geben. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Es wird eine Verteilung von oben nach unten stattfinden, denn Sie waren die größten Privilegienritter. Ich wiederhole: Die Nationalbank und andere, die Versorgung von Scholten und Co, all das war Ihnen immer ein großes Anliegen. Die Mitarbeiter des "Konsum" haben Sie in Stiftungen abgeschoben. Bei der VOEST sind die Menschen von Ihnen enttäuscht worden. Jene, die in den Chefetagen gesessen sind, sind mit Einzelverträgen und Millionenpensionen bei der Tür hinaus gegangen, aber den Arbeitern haben Sie die Zusatzpension von ein paar hundert Schilling weggenommen. – Das ist "gelebter Sozialismus" in Österreich!

Hoher sozialer Friede war deshalb gegeben, weil es hier in unserem Land eine parteipolitisch agierende Gewerkschaft gibt, die 30 Jahre lang den Mund gehalten hat – und jetzt glaubt, dass ihre Zeit gekommen ist. Da warne ich schon davor. Wir werden Herrn Verzetnitsch jetzt begrüßen können, aber früher war es immer so: Als ÖGB-Präsident hat er vormittags in seiner Bundesvorstandssitzung fest gegen die Programme der Regierung gewettert. Bei Pensionskürzungen und Verschlechterungen für Beamte und Ähnlichem mehr, da war er immer mit dagegen. Aber wenn es zur Abstimmung im Parlament gekommen ist, hat er immer schön brav den Kuschelkurs verfolgt und mitgestimmt. Da war er immer mit dabei, da war er immer in der Regierungskoalition. Ich kann mich nicht daran erinnern, dass er ein einziges Mal dagegen gestimmt hätte. Jetzt wird er sich endlich einmal etwas leichter tun. Jetzt kann er da heraus gehen, und es wird öffentlich gefeiert, was er tut.

Es waren vor allem auch er und gerade die sozialdemokratische Fraktion, die Nulllohnrunden bei den Pensionisten zugelassen haben, die bei den Bezügen der Beamten kaum mehr Erhöhungen durchgeführt haben, die arbeitsrechtliche Bedingungen geschaffen haben, die nicht


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mehr sozial waren. (Zwischenruf des Abg. Edlinger. ) Hauptsache, Ihre Schäflein waren im Trockenen, Herr Minister! Hauptsache, Ihre Schäflein und die Ihrer Beamten waren im Trockenen. Das ist wichtig. (Abg. Kiermaier: Das Protokoll heben wir uns auf! – Zwischenruf des Abg. Edlinger. )

In Wirklichkeit war für Sie alle bis Freitag um 12 Uhr die Welt in Ordnung. Jetzt versuchen Sie, eine Weltuntergangsstimmung hier hereinzubringen. Das, was Ihnen und Ihrer Fraktion jahrelang nicht gelungen ist, wird uns gelingen. Das ist einmal die Gleichstellung der Arbeiter und Angestellten – eine sozialrechtliche Gleichstellung. Dann wird es endlich einmal Abfertigungen ... (Abg. Öllinger: Was macht ihr? Sag es!) Kollege Öllinger! Beruhige dich, wir denken ja ähnlich. (Neuerlicher Zwischenruf des Abg. Öllinger. )  – Was ist? (Abg. Öllinger: Wollt ihr die Arbeitnehmer mit den Arbeitgebern auch noch gleichstellen?) Warum nicht? Alle Menschen, die in dieser Republik einen Beitrag leisten, sollen auch entsprechende Einkommen haben. Darüber sind wir uns wohl einig, und zwar unabhängig von der Art der Beschäftigung.

Es wird uns auch in der Frage der Abfertigung endlich gelingen, dass viele Hunderttausende, die bis heute noch keinen Abfertigungsanspruch erwerben haben können, eine Abfertigung bekommen. Und was die Selbstbehalte bei den Arbeitern und Angestellten betrifft, werde gerade ich sehr genau darauf achten, was da passiert. Es wird zu keiner Verteuerung des Gesundheitswesens kommen. Unter Ihrer Ära ist es fast nicht mehr finanzierbar gewesen, und viele Menschen haben sich eine Zusatzversicherung leisten müssen, weil Sie im Gesundheitswesen ein Zweiklassensystem zugelassen haben. (Beifall bei den Freiheitlichen. – Abg. Dr. Pumberger: So ist es!) Ohne Zusatzversicherung gibt es keine ordentliche medizinische Versorgung. Das ist das Problem, vor dem Sie nämlich stehen.

Was mich aber am meisten irritiert und erschüttert, ist Folgendes. Österreich hatte vor nicht allzu langer Zeit den EU-Vorsitz inne, und gerade Ihre Freunde in der EU sind es jetzt, die Sie am allermeisten anschütten, nämlich Sie genau so mit wie alle anderen Parteien, vor allem aber die Menschen. Vielleicht werden Ihre Freunde einmal aufwachen und darüber nachdenken, was sie damit anrichten. Ich möchte die SPÖ wirklich einladen, ihren Frust abzulegen, den sie natürlich hat, denn jetzt kommen ja ihre Schandtaten langsam, aber sicher ans Tageslicht.

In der morgigen Ausgabe des "Kurier" ist zu lesen, dass der Wirtschaftsforscher Kramer mit einem Budgetdefizit von 50 Milliarden Schilling rechnet. Ich betone: 50 Milliarden, Herr Exminister Edlinger!

Deshalb ist der Ärger so groß. Auf der einen Seite steht der Frust, auf der anderen Seite die Angst vor der Entdeckung Ihrer Schandtaten. Das ist es, was Sie so nervös macht. Aber ich lade Sie wirklich ein, auf den Boden der Realität zurückzukehren. Es ist halt nun einmal so, dass die Sicherung des sozialen Wohlstandes auch anderen demokratischen Parteien in einer Republik gelingt – nicht nur der SPÖ.

Unter der SPÖ hat es in den letzten Jahren sogar einen Abbau gegeben. Sie waren gegen Modernisierungen, Sie waren gegen Privatisierungen, bis es nicht mehr gegangen ist. Und siehe da, in vielen Bereichen, wo Sie es dann zugelassen haben, haben sich die Dinge wesentlich verbessert.

Weiters frage ich in erster Linie die Sozialdemokraten: Wo bleibt Ihre wirtschaftliche Verantwortung gegenüber den österreichischen Steuerzahlern? Ich sehe, dass Sie sich heute freuen, wenn es zu internationalen Boykotten kommt. Bei jedem Ihrer Redner sieht man ein leicht süffisantes Lächeln. (Abg. Jäger: Wie der Schelm denkt, so ist er!) Es werden angeblich Kongresse abgesagt und so weiter. Ich sage Ihnen eines: Wir werden Sie mit unserer Arbeit, die wir leisten werden, beschämen! Sie werden in wenigen Jahren erleben, dass eine Republik mit einem Wohlstand gerade dann möglich ist, wenn der Sozialdemokratischen Partei eine Nachdenkphase verordnet wird. Dann besinnt sie sich vielleicht wieder auf ihre wahren Werte und denkt wieder einmal und wieder mehr – so wie wir seit Jahren; daher ist auch der Zuspruch zu unserer Partei so groß – an die Arbeitnehmer in dieser Republik, die die Hoffnung haben, dass in Zukunft ihre Abfertigung und die Pensionen auf Dauer gesichert sind und dass unsere


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Jugend wieder entsprechende Arbeitsplätze bekommt, damit ihre Zukunft gesichert ist. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

18.16

Präsident Dr. Heinz Fischer: Nächste Rednerin ist Frau Abgeordnete Stoisits. Die Uhr ist auf 8 Minuten gestellt. – Bitte.

18.16

Abgeordnete Mag. Terezija Stoisits (Grüne): Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Bundeskanzler! Meine sehr geehrten Damen und Herren rechts und links vom Herrn Bundeskanzler! Hohes Haus! Herr Bundeskanzler, am Vormittag, so ziemlich am Anfang Ihrer Regierungserklärung – das liegt uns ja auch schriftlich vor –, haben Sie folgenden Satz gesagt, der absolut legitim ist und den ich auch unterstreiche: Ich wünsche mir eine Abrüstung in Worten, Fairness in der Beurteilung und die Rückkehr zur Verhältnismäßigkeit politischer Aktionen.

Herr Bundeskanzler! Wie fühlen Sie sich eigentlich, wenn dann ein Freund, ein Kollege – ich weiß nicht, wie Sie die Damen und Herren aus der Freiheitlichen Partei bezeichnen –, ein paar Stunden später hier heraus geht und von der "Fratze des Hasses" spricht, wenn er Kollegen und Kolleginnen des Nationalrates anredet? Ich frage Sie wirklich, wie Sie sich fühlen, denn wir sind jetzt da, um die Worte Ihrer Regierungserklärung, Ihr Übereinkommen zwischen Blau und Schwarz zu bewerten.

Es haben andere Kollegen und Kolleginnen, auch von der grünen Fraktion, schon relativ ausführlich – deshalb beschränke ich mich jetzt auf die inhaltliche Bewertung – dazu Stellung genommen, wie wir Ihr Vorgehen beurteilen, wie wir den internationalen Boykott beurteilen und wie wir Sie auch dafür verantwortlich machen.

Nicht zuletzt wurde hier auch schon begründet, warum wir einen Antrag auf Einsetzung eines Untersuchungsausschusses gestellt haben. Darüber wird es auch noch eine Diskussion geben. Darum frage ich Sie: Wie fühlen Sie sich, wenn jemand so etwas sagt, der vor noch nicht allzu langer Zeit das Wort "Nazi" als Abkürzung für "n eu", "a ttraktiv", "z ielstrebig" und "i deenreich" definiert und buchstabiert hat? Wie fühlen Sie sich da, Herr Bundeskanzler? (Bundesminister Dr. Krüger: Wie fühlst du dich mit Voggenhuber?)

Präsident Dr. Heinz Fischer: Herr Kollege Krüger! Sie können doch keine Zwischenrufe von der Ministerbank aus machen!

Abgeordnete Mag. Terezija Stoisits (fortsetzend): Wie fühlen Sie sich in Gesellschaft dieser Kolleginnen und Kollegen, Herr Bundeskanzler?

Es gibt ein Sprichwort, das ich nicht zitieren möchte, weil ich Tiervergleiche nicht gerne anstelle, das Ihnen aber sicher bekannt ist. Es handelt von Bett und von Tieren. Sie kennen es sicher, Herr Bundeskanzler. So geht es einem, wenn man das tut. Das ist es, was mir Bedenken verursacht. Denn dieser Satz, dass Sie sich die Abrüstung in Worten, die Fairness der Beurteilung und eine Rückkehr zur Verhältnismäßigkeit wünschen, ist an sich genommen richtig, und es steht Ihnen als Bundeskanzler auch zu, sich das von uns zu wünschen.

Aber, Herr Bundesminister außer Dienst und Herr Bundeskanzler im Amt: Es gibt Unbelehrbare da auf der rechten Seite des Hauses. Sie sind es – und ich habe persönlich einen Beobachtungszeitraum von schon fast zehn Jahren hier im Nationalrat –, die unbelehrbar sind und diese Dinge wiederholen, die das bewusst machen, nicht unabsichtlich, die beharrlich darauf bestehen, solche Sachen auch noch zu wiederholen und sie nicht zu korrigieren (Beifall bei den Grünen), die aber auch die Methode anwenden, etwas zu sagen, sich am nächsten Tag dafür zu entschuldigen – nicht freiwillig selbstverständlich, sondern nach öffentlichem Protest –, um es am dritten Tag erneut zu wiederholen oder noch ein Schäuflein zuzulegen. (Abg. Jung: Reden Sie von Voggenhuber!)

Herr Bundesminister! Ich frage Sie: Wie fühlen Sie sich auf der Regierungsbank, wenn Sie zusammen mit Herrn Kollegen Krüger da sitzen, der im Zusammenhang mit der Definition von


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Konzentrationslagern als "Straflager" hier im Parlament von "semantischer Masturbation" gesprochen hat? Wie fühlen Sie sich da als christlich-sozialer Politiker in Österreich? (Abg. Dr. Ofner: Tu nicht so jammern und raunzen!)

Ich habe Sie in der Vergangenheit ja durchaus vielfach – als Außenminister, aber auch schon vorher als Wirtschaftsminister – als christlich-sozialen Politiker kennen gelernt, um nicht zu sagen, manchmal auch schätzen gelernt. (Zwischenruf des Abg. Dr. Ofner. ) Jetzt frage ich Sie: Wie fühlen Sie sich auf dieser Bank mit "Nazi"-Buchstabierern, mit Menschen, die ihr eigenes Wort ein paar Stunden später schon so ad absurdum führen?

Wir brauchen uns nicht zu wundern, wenn das Ausland so reagiert, wie es reagiert. (Abg. Mag. Trattner: Herr Präsident, was soll das?) Das Ausland, meine sehr geehrten Damen und Herren, hat – im Gegensatz zu uns – keinen Gewöhnungseffekt an "Nazi"-Buchstabierer, keinen Gewöhnungseffekt an KZ-Verharmloser, keinen Gewöhnungseffekt an Freunde der Waffen-SS. (Beifall bei den Grünen und der SPÖ.) Das ist es, meine sehr geehrten Damen und Herren, was die Kolleginnen und Kollegen im Ausland aufregt! (Ruf bei den Freiheitlichen: Da sind die Hetzer unterwegs! – Zwischenruf des Abg. Dr. Ofner.

Herr Bundeskanzler – und das ist auch an den Kollegen Spindelegger gerichtet –: Noch bevor die Konstellation dieser Bundesregierung feststand, aber bereits nach dem Abbruch der Verhandlungen zum Versuch einer Regierungsbildung zwischen den Sozialdemokraten und Ihnen, Herr Bundeskanzler, wurde im Europarat – ich bin ja auch Delegierte der Parlamentarischen Versammlung – ein Bericht über rechtsextreme Parteien in Europa diskutiert.

Meine Damen und Herren! Es ist mir kalt den Buckel hinuntergelaufen, als ich beobachtete, wie jene Kollegen, die von diesem Nationalrat in den Europarat entsandt wurden, die Einzigen neben den Rechtsextremen aus Belgien waren, die Anträge eines Schirinowski unterstützten und auch noch applaudierten. (Zwischenruf der Abg. Gatterer. ) Das ist es! Das ist Ihre Gesellschaft, sehr geehrter Herr Bundeskanzler! Das ist es! Und dann nimmt es Kollege Spindelegger ebenfalls frei gewählten Abgeordneten anderer Länder übel, wenn sie politische Kritik üben, etwa die Kritik dieser französischen Abgeordneten im Europarat, die du, lieber Kollege Spindelegger, hier angesprochen hast.

Ich möchte hier folgendes dezidiert feststellen: Wir werden es uns nicht nehmen lassen, politische Kritik zu üben, wiewohl wir auch gewisse formale Grundsätze akzeptieren. (Abg. Mag. Trattner: Ihre Gesellschaft hat der Herr Edlinger nicht verdient!) Die Tatsache zum Beispiel, dass Sie über 104 Mandate hier in diesem Hause verfügen und damit auch eine satte Mehrheit haben, ist ein Faktum, das niemand abstreiten wird. Aber niemand wird uns – und auch nicht den Leuten, die jetzt draußen in einem verordneten 300-Meter-Respektabstand vom Parlament ihren Unmut über die Zusammensetzung dieser Bundesregierung kundtun – verbieten können, Kritik zu üben, meine Damen und Herren! (Abg. Dr. Ofner: Willst du es herinnen wie im Burgtheater?)

Darum ist es mir – ich war einige Male bei den Demonstrantinnen und Demonstranten draußen – ein spezielles Anliegen, zu sagen (Abg. Dr. Ofner: Das habe ich befürchtet! Dass du ein Geständnis ablegst, habe ich nicht gedacht! – Abg. Mag. Trattner: Bis jetzt nur vermutet, jetzt wissen wir es!), dass genau diese jungen Leute, die alle sympathisch, engagiert, politisch aktiv sind, unserer Unterstützung bedürfen. (Abg. Dr. Ofner: Mit der schwarzen Fahne der Anarchie! – Zwischenruf des Abg. Jung. )

Diesen jungen Menschen geht es nämlich wirklich um das, worum es sonst Politikerinnen und Politikern heutzutage nicht allzu häufig geht, vor allem nicht dem Herr Bundeskanzler: Es geht um die Zukunft junger Menschen. Ich kann es ja gar nicht mehr hören, wenn Politikerinnen und Politiker sagen: Es geht um unsere Jugend, es geht um die Zukunft unserer Kinder. – Das ist das, was man dauernd im Mund führt. Denen da draußen geht es aber wirklich um ihre Zukunft, und sie machen sich Sorgen, wenn Österreich von ganz Europa und in ganz Europa isoliert wird, aber nicht nur in Europa.


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Deshalb, sehr geehrter Herr Bundeskanzler, würde ich mir gerade von Ihnen erwarten – nicht von den Kollegen rechts (die Rednerin weist in Richtung Bankreihen der Freiheitlichen), da habe ich ja das Gefühl, Hopfen und Malz ist verloren; Beispiel Gaugg –, dass Sie an jene jungen, engagierten Leute draußen ein Wort richten und nicht zulassen, dass sie pauschal diffamiert werden, dass sie, wie von den Freiheitlichen getan, pauschal als linke Terroristen denunziert werden.

Ich sage Ihnen: Jeder Pflasterstein, der in dieser Republik fliegt, ist ein Pflasterstein zu viel! (Abg. Mag. Trattner: Hopfen und Malz für einen Pflasterstein! – Abg. Dr. Ofner: Mit der schwarzen Fahne der Anarchie? – Zwischenruf des Abg. Mag. Haupt. )

Gerade die Grünen sind die Partei, die als eine ihrer vier Grundprinzipien die Gewaltfreiheit, meine sehr geehrten Damen und Herren (Präsident Dr. Fischer gibt das Glockenzeichen), festgeschrieben hat. (Beifall bei den Grünen.) Jeder, der auch nur im Entferntesten daran denkt, dass uns dieses Prinzip nicht wirklich heilig ist, irrt. Wir haben es Ihnen in der Vergangenheit schon vielfach bewiesen. Aber trotzdem ist es ein Grundrecht, dass die Jugend, um die Sie sich ja sonst so viele Sorgen machen, von ihrem demokratischen Recht Gebrauch macht, ihren Unmut kund zu tun. (Abg. Dr. Ofner: Steine zu werfen ...!) Und nichts anderes tut sie, nämlich laut! (Beifall bei den Grünen und der SPÖ. – Abg. Dr. Mertel: Lassen Sie uns auch einmal klatschen!)

Deshalb muss ich Ihnen, Herr Präsident, Herr Bundeskanzler, allen Damen und Herren, die hier sitzen, ehrlich sagen: Dieses martialische Auftreten der Polizei, der Bundesgendarmerie und aller, die irgendwie uniformiert sind in Österreich und jetzt rund um das Parlament versammelt sind, fördert ja genau solche Leute, wie jene, die hier rechts herinnen sitzen, die der Politik das Recht absprechen, auf einem – wie Sie gesagt haben – Weg der Abrüstung in Worten und der Fairness in der Beurteilung Problemlösungen voranzutreiben.

Ich appelliere nicht für die Abschaffung der "Bannmeile" – die wird schon ihre historische Begründung haben –, aber ich appelliere an alle, sich zu überlegen, welches Bild das liefert, wenn sich die Volksvertretung so abschottet (Abg. Dr. Ofner: Willst du es herinnen haben wie im Burgtheater?), dass U-Bahn-Zugänge gesperrt werden, dass Leute nicht dort zur Arbeit fahren können, wo sie wollen, dass das Parlament über Tage hinweg einer Festung gleicht, aber nicht einem Haus der Begegnung, nicht einem Haus der Diskussion und nicht einem Haus der verbalen Auseinandersetzung. Das ist es, was mir Sorge macht! (Rufe und Gegenrufe zwischen den Abgeordneten Mag. Posch und Dr. Ofner.  – Präsident Dr. Fischer gibt das Glockenzeichen.)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte nicht anderen KollegInnen meiner Fraktion Redezeit wegnehmen. Es wird noch Gelegenheit geben, etwas zu tun, was mir in den nächsten Monaten – sofern diese Regierung überhaupt Monate lang da oben sitzen wird – großen Spaß machen wird: diese Regierung an Ihren Worten zu messen und an Ihren Taten, sehr geehrter Herr Bundeskanzler! – Danke. (Beifall bei den Grünen.)

18.26


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9. Sitzung / Seite 142

Präsident Dr. Heinz Fischer:
Zu einer tatsächlichen Berichtigung hat sich Herr Abgeordneter Dr. Spindelegger zu Wort gemeldet. Ich brauche die Geschäftsordnung wohl nicht zu erklären. – Bitte.

18.27

Abgeordneter Dr. Michael Spindelegger (ÖVP): Herr Präsident! Frau Kollegin Stoisits hat behauptet, ich hätte einen Antrag von Schirinowski, einem russischen Abgeordneten, unterstützt, der im Zusammenhang mit einem Bericht über Rassismus in Europa zur Abstimmung gestanden wäre. (Abg. Schieder: Die Freiheitlichen, hat sie gesagt! – Abg. Mag. Posch: Nein, hat sie nicht behauptet!)

Ich berichtige tatsächlich: Das habe ich nicht getan. Ich war so wie Sie, Kollegin Stoisits, während dieser Bericht im Europarat abgestimmt wurde, hier im Plenum anwesend. – Danke. (Beifall bei der ÖVP. – Abg. Schieder: Sie hat gesagt, die Freiheitlichen! – Vizekanzlerin Dr. Riess-Passer: Auch die nicht!)

18.27

Präsident Dr. Heinz Fischer: Nächster Redner ist Herr Abgeordneter Dr. Puttinger. Die Uhr ist auf 10 Minuten gestellt. – Bitte.

18.27

Abgeordneter Dkfm. Dr. Günter Puttinger (ÖVP): Sehr geehrter Herr Präsident! Herr Bundeskanzler! Frau Vizekanzlerin! Verehrte Bundesregierung! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Hohes Haus! Gestatten Sie mir, bevor ich auf das eigentliche Thema eingehe, doch zwei Berichtigungen bezüglich der Äußerungen des früheren Innenministers Karl Schlögl anzubringen. Er hat immerhin gesagt: Die Regierung entspricht nicht dem Wählerwillen.

Anscheinend dürfte er nicht Zeitung lesen, sonst würde er festgestellt haben, dass sich die Österreicher eindeutig dafür ausgesprochen haben, dass eine Regierung unter Schüssel mit den Blauen gebildet worden ist. 70 Prozent der Österreicherinnen und Österreicher haben sich dafür ausgesprochen. Er dürfte auch nicht über die letzten Informationen aus der APA verfügen und nicht wissen, dass "NEWS" feststellt, dass die ÖVP 3 Prozent gewonnen hat und dass die Kanzlerfrage eindeutig zu Gunsten Schüssels ausgegangen ist, der mit 28 Prozent an erster Stelle liegt und einen Zugewinn von 9 Prozent verzeichnet. – Ich glaube, Schlögl ist etwas uninformiert. (Beifall bei der ÖVP.)

Gestatten Sie mir aber auch, auf eine zweite Sache einzugehen. (Zwischenrufe des Abg. Leikam. ) Wenn man sich schon darüber aufregt, dass draußen Gitter und Absperrungen stehen, dann soll man auch nicht hergehen und das unterstützen, was die Fraktion Sozialistischer Gewerkschafter, nämlich die Gewerkschaft Öffentlicher Dienst, die Bundesfraktion, ausgesendet hat, und zwar die Aufforderung zur Demonstration und die Aufforderung, entsprechende Mittel mitzubringen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren von der sozialistischen Fraktion! Was soll das erstens heißen? Und zweitens frage ich Sie: Was planen Sie in Zukunft? – Hier steht zum Beispiel zu lesen – ich zitiere –:

Es ergeht das Ansuchen der Bundesfraktionen an Sie, bis zum 18. Februar mitzuteilen, mit wie vielen Kolleginnen und Kollegen Sie auch innerhalb kürzester Zeit zu Demonstrationen kommen können. – Zitatende.

Wie lange planen Sie das im Voraus? Wie lange wollen Sie noch hier in Österreich demonstrieren? – Ich bitte Sie: Sagen Sie es hier einmal offen und ehrlich! (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen. – Abg. Leikam: Jetzt ist mir klar, warum ...!)

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es sind wichtige und bedeutende Tage für uns, bedeutend, weil erstmals seit 30 Jahren die Österreichische Volkspartei wieder den Bundeskanzler stellt und damit ein christlich-sozial geprägtes Regierungsprogramm vorlegt und umsetzen kann; bedeutend, weil erstmals eine ÖVP-FPÖ-Koalition in der Geschichte der Zweiten Republik gebildet wurde; bedeutend, weil die Sozialdemokratische Partei Österreichs nach 30 Jahren keine Regierungsverantwortung mehr trägt und somit gemeinsam mit den Grünen in der Opposition ist und mit diesem Machtverlust, wie ich glaube, bis heute noch nicht fertig geworden ist; bedeutend auch, weil wir erstmals nach drei Jahrzehnten die Chance für eine Erneuerung Österreichs haben und diese auch nutzen werden. Diese Regierung wird neu regieren. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir sind in allen internationalen Organisationen integriert, wie zum Beispiel der UNO, dem Europarat, der OECD, der OSZE und seit 1995 in der EU. Ich glaube, wir alle haben unsere Aufgaben dort immer auf das Beste erfüllt. Wir haben die engsten Beziehungen zur Europäischen Union. Der Großteil der Bevölkerung bekennt sich uneingeschränkt zu den politischen Prinzipien der Europäischen Union. Wir haben Beziehungen zu ihr, die wirtschaftlich relevant sind, die wirtschaftlich wichtig sind. Über zwei Drittel des Außenhandels erfolgen mit diesen Staaten. Wir beziehen um 7 Milliarden Schilling mehr Waren aus EU-Ländern. Österreich hat mehr als 3,6 Millionen Euro in den letzten drei Jahren in den EU-Ländern investiert. Österreich hat für 16,6 Millionen Touristen immer eine Heimat geboten,


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davon kamen 14 Millionen aus den europäischen Staaten. Österreich ist auch ein Bindeglied zwischen der EU und den neuen Beitrittskandidaten.

Damit Österreich diesen Weg auch in Zukunft gehen kann, fordern wir alle unsere Partner in der EU, aber auch Sie, meine sehr verehrten Damen und Herren von der SPÖ und von den Grünen, auf, Fairness gegenüber der österreichischen Wirtschaft zu bewahren. (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der Freiheitlichen.)

Für die Wirtschaft als Motor für Wohlstand, Ausbildung und Beschäftigung beinhaltet die Regierungserklärung ein klares Bekenntnis zum Unternehmerland Österreich, zur ökosozialen Marktwirtschaft und zum Wettbewerb und beweist, so glaube ich, auch eindeutig soziale Kompetenz. Ziel dieser Bundesregierung ist es, die Wirtschaft aus dem strengen und engen Korsett von staatlicher Einflussnahme und Behinderung zu befreien. Sie stärkt die Wettbewerbsfähigkeit der Betriebe, ohne letzten Endes das Budget zu belasten. (Beifall bei der ÖVP.)

Diese Bundesregierung stärkt den Wirtschaftsstandort Österreich. Aber durch die Aufregungen in den letzten Tagen, meine sehr verehrten Damen und Herren, so glaube ich, wird dieser Wirtschaftsstandort Österreich wirklich gefährdet. Wie, glauben Sie, wird sich diese überzogene Reaktion der EU letzten Endes auf das Abstimmungsverhalten beim Schweizer Referendum bezüglich Europäische Union auswirken? Wie werden sich letzten Endes all jene Regierungen oder all jene Menschen in den meist kleinen Beitrittskandidatenländern entscheiden, wenn sie sehen, wie ein kleines Mitgliedsland dieser EU von den großen geächtet wird?

Meine Damen und Herren! Das hier vorliegende Regierungsprogramm trägt die Handschrift der Österreichischen Volkspartei und ist in vielen Punkten auch identisch mit den mit den Sozialisten abgeschlossenen Vereinbarungen. Ich möchte aber hier nur auf einige Veränderungen, Verbesserungen eingehen, die mit der FPÖ getroffen werden konnten.

Ich denke etwa an die Lohnnebenkosten, bei denen es jetzt um eine Senkung von 15 Milliarden Schilling geht – und nicht um eine von 12 Milliarden Schilling. Ich denke dabei auch an die Finanzierung von Forschung und Entwicklung, nämlich an die über die Schuldentilgung hinausgehenden Erlöse aus der Privatisierung der ÖIAG. Ich denke daran, dass das "Österreich digital"-Projekt gegründet wurde; es ist ein neues Projekt vorgesehen, bei dem es endlich so weit ist, dass wir uns mit den Veränderungen in der virtuellen Gesellschaft auseinander setzen, dass wir Zeichen dahin gehend setzen, welche Entwicklungen es in dieser Gesellschaft gibt und wie wir Probleme in Zukunft lösen.

Neu und ganz wichtig sind natürlich auch die so genannten vielen Kleinigkeiten, die vereinbart worden sind, die in den letzten Jahren nicht gegriffen haben, weil es nicht möglich war, diesbezügliche Vereinbarungen zu treffen. Ich denke etwa an das Bekenntnis zur Meisterprüfung als wichtigem Bestandteil der Qualifikationsordnung. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.) Ich denke an den Zugang zu den Universitäten und Fachhochschulen. Ich denke an die Tagesausbildungszeiten bei den Lehrlingen bis 23 Uhr. Ich denke an die Erleichterungen im Bereiche der Saisonniers. (Zwischenruf des Abg. Dr. Jarolim. )

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das alles sind Maßnahmen, die dem Unternehmer Freiheit verschaffen und tatsächlich Arbeit und Dienstleistungen ermöglichen. (Abg. Dr. Jarolim: Wenn das eine Errungenschaft ist?!)

Was steckt denn wirklich hinter der Aufregung der letzten Tage? – Die SPÖ hat nach genau 30 Jahren den Bundeskanzler verloren. Was in anderen Demokratien Europas selbstverständlich ist, gerät in Österreich zur inszenierten Staatskrise. (Zwischenruf des Abg. Parnigoni. ) Selbst die wichtigen Medien dieses Landes sind sich einig, dass die europäische Reaktion auf die demokratisch vollzogene Wende in Österreich vollkommen überzogen ist. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.) Und wenn sich im Hinblick auf die Vorwürfe herausstellt, dass ein ehemaliger Bundeskanzler dieser Republik maßgeblich am Entstehen dieses – ich würde sagen – diplomatischen Amoklaufes beteiligt war, was auch CSU-Chef Edmund Stoiber gesagt hat, dann bestätigt sich das, was angesehene ausländische Medien nach eingehender Re


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cherche festgestellt haben. (Zwischenruf des Abg. Parnigoni. )  – Herr Parnigoni! Ich glaube, Sie lesen auch ausländische Zeitungen.

Das Regierungsprogramm der ÖVP und der FPÖ stellt eine Zäsur in der Zweiten Republik dar. Durch wohl durchdachte strukturelle Maßnahmen bekommt die Wirtschaft mehr Luft zum Atmen. Es liegt jetzt auch an Ihnen, sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen der SPÖ und der Grünen, uns diese Luft zu geben. Ich glaube, wir brauchen Luft, wir wollen nicht weiter in dem Korsett stecken, in dem wir früher waren.

Wir von der Österreichischen Volkspartei stehen mit Gelassenheit und vor allem auch mit Selbstbewusstsein als Österreicher unseren europäischen Partnern gegenüber. Wir respektieren Bedenken und Sorgen des Auslands. Wir müssen aber irrationalen Bedenken, Beschwerden, Verdächtigungen, Unterstellungen und Vorurteilen natürlicherweise selbstbewusst entgegentreten.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben in den nächsten Monaten alle gemeinsam viel zu tun. Der neuen Regierung möchte ich meine Gratulation aussprechen. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen. – Der Redner reicht Bundeskanzler Dr. Schüssel und Vizekanzlerin Dr. Riess-Passer, die beide auf der Regierungsbank sitzen, die Hand.)

18.38

Präsident Dr. Heinz Fischer: Zu einer tatsächlichen Berichtigung hat sich Herr Abgeordneter Jung gemeldet. Ich mache auf die Bestimmungen der Geschäftsordnung aufmerksam. – Bitte.

18.38

Abgeordneter Wolfgang Jung (Freiheitliche): Danke, Herr Präsident! – Frau Kollegin Stoisits, Sie haben hier vorhin behauptet, die Freiheitlichen wären die Einzigen gewesen, die in Straßburg mit Herrn Schirinowski gestimmt hätten. (Zwischenruf der Abg. Mag. Stoisits. )  – Dies ist unwahr!

Wahr ist vielmehr, dass wir mit anderen – ich werde sie dann aufzählen – gegen eine Resolution gestimmt haben, die einseitig unter anderem die Freiheitliche Partei verurteilt hat und bei der Gegenredner im "demokratischen" Straßburg nicht zugelassen waren.

Ebenfalls dagegen gewandt haben sich unter anderem britische Konservative, Vertreter der Schweizer Volkspartei, Vertreter der norwegischen Fremskrittspartiet und so weiter und so weiter.

Sie haben ein sehr selektives Vorstellungsvermögen von Wahrheit, Frau Kollegin! (Beifall bei den Freiheitlichen.)

18.39

Präsident Dr. Heinz Fischer: Als nächster Redner zu Wort gelangt Herr Bundesminister Mag. Grasser. – Bitte.

18.39

Bundesminister für Finanzen Mag. Karl-Heinz Grasser: Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrter Herr Bundeskanzler! Sehr geehrte Frau Vizekanzlerin! Werte Damen und Herren Abgeordnete! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Herr Bundeskanzler hat heute in seiner Regierungserklärung zu Recht auf die demokratische, auf die soziale und auf die wirtschaftliche Erfolgsbilanz unseres Landes hingewiesen: eine Erfolgsbilanz, die getragen ist von Anstrengungen, von der Arbeit, dem Fleiß einer Bevölkerung, die dieses Land immer auf Händen getragen hat, einer Bevölkerung, die Ungeheures für Österreich geleistet hat und Österreich auch nach schwierigsten Phasen unserer Geschichte entsprechend wieder aufgebaut hat, einer Bevölkerung, die dieses Land zu einem reichen Land gemacht hat. (Beifall bei den Freiheitlichen und bei Abgeordneten der ÖVP.)

Meine Damen und Herren! Österreich ist ein reiches Land – ja! –, aber trotzdem wissen wir alle, dass sich viele in unserer Bevölkerung, zu viele in unserer Bevölkerung in schwierigen Lebenssituationen befinden, dass zu viele in unserer Bevölkerung unter der Armutsgrenze leben, dass


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zu viele in unserem Land nicht wissen, wie sie ihre Existenz finanzieren sollen. Und deswegen, meine Damen und Herren, meine ich, dass Strukturreformen in diesem Land so dringend notwendig sind, denn wir können den Wohlstand einer Gesellschaft in Wirklichkeit nur daran messen, wie es jenen 10 Prozent der Gesellschaft geht, die nicht auf die Butterseite des Lebens gefallen sind. Daher meine ich auch, dass es so wichtig war, hier einen politischen Wechsel zustande zu bringen, weil diese Regierung mit dem Programm, das sie heute vorgelegt hat, auch in diesem Bereich zeigen wird, dass man zugunsten der Bevölkerung arbeiten kann und dass im Endeffekt die Lebensqualität der Bevölkerung erhöht werden kann. (Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP.)

Aus diesem Grund, meine sehr geehrten Damen und Herren, wollen wir gerade auch in der Budgetpolitik, in der Finanzpolitik dieser Bundesregierung darstellen, was es heißt, mit Offenheit, mit Transparenz und auch mit Ehrlichkeit an eine zugegebenermaßen sehr schwierige Aufgabe heranzugehen. Ich denke, niemand braucht sich hier in diesem Hohen Haus in die Tasche zu lügen. Sie alle wissen wahrscheinlich noch besser, als das bei mir heute der Fall ist, dass wir in dieser Republik in den letzten 30 Jahren über unsere Verhältnisse gelebt haben. Es ist kein Jahr in den letzten 30 Jahren vergangen, in dem Österreich nicht mehr ausgegeben hat, als es eingenommen hat. Während sich die Einnahmen in den letzten 30 Jahren verneunfacht haben, hat man es geschafft, die Finanzschuld dieses Landes auf das Vierzigfache zu erhöhen, die Finanzschuld dieses Landes um 3 700 Prozent zu erhöhen, und zwar auf mehr als 1 600 Milliarden Schilling, auf mehr als 1,6 Billionen Schilling. Da sind die außerbudgetären Verbindlichkeiten dieses Landes noch gar nicht mit eingerechnet.

Das ist ein Schuldenberg, meine Damen und Herren, den nicht unbedingt wir, sondern die nächste Generation, unsere Kinder, zu tragen hat, nämlich dann, wenn nicht endlich Reformmaßnahmen, wenn nicht Handlungen gesetzt werden. Das sind Schulden, meine Damen und Herren, die immer mehr zu neuen Steuern und Abgaben, zu immer mehr Belastungen für die Bevölkerung geführt haben, Belastungen, von denen jeder von Ihnen weiß, dass die Bevölkerung sie nicht mehr zu akzeptieren bereit ist, weil jeder sagt: Das geht so nicht mehr weiter, wir können diese Belastungen nicht mehr tragen!

Jeder weiß, dass Klein- und Mittelbetriebe heute eingeschränkt sind, nicht wissen, wie sie im Wirtschaftsleben bestehen können, dass sie riesige Probleme hinsichtlich der Eigenkapitalbildung, des Bestehens in einem sehr wettbewerbsintensiven Umfeld oder auch hinsichtlich des österreichischen Kapitalmarktes haben, der ebenfalls durch eine falsche Abgabenpolitik belastet, eingeschränkt worden ist, sodass wir wirklich nie der funktionierende Finanz- und Kapitalmarkt werden konnten, der wir international gerne gewesen wären (Beifall bei den Freiheitlichen und bei Abgeordneten der ÖVP) und der einfach auch der Bevölkerung die Kaufkraft genommen hat, die wiederum notwendig ist, wenn man diese Balance zwischen Wirtschaft und Arbeitsmarkt realisieren will, die die Voraussetzung für das Funktionieren unseres Systems ist.

Deswegen, meine Damen und Herren, brauchen wir diese neue Bundesregierung mit Ihrer aller Unterstützung. Ich glaube, wir haben unsere Tatkraft in den ersten Tagen schon dadurch gezeigt, dass wir mit einem Budgetprovisorium, das wir am dritten Tag der Tätigkeit dieser Bundesregierung von einer Automatik auf eine gesetzliche Basis gestellt haben und das hier im Hohen Hause zu diskutieren sein wird, die Finanzierbarkeit dieser Republik natürlich sicherstellen wollen, dass wir gleichzeitig mit Hochdruck am Bundesvoranschlag 2000 arbeiten und diesen noch vor dem Sommer in das Hohe Haus bringen werden, dass wir heuer noch einen zweiten Bundesvoranschlag für das Jahr 2001 verhandeln werden, dass wir einen Finanzausgleich verhandeln werden und uns den großen Problemen dieses Landes auch stellen werden können.

Meine Damen und Herren! Diese Regierung hat sich der Sanierung und Stabilisierung dieses Staatshaushaltes verpflichtet – und das ist notwendiger denn je. (Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP.)

Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten! Ich meine, dass die Herausforderung sehr groß ist, vor allem dann, wenn man weiß, dass Österreich hinsichtlich der Budgetkon


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solidierung das Schlusslicht Europas geworden ist, dass wir es geschafft haben, die "rote Laterne" in Europa zu tragen und in der Budgetkonsolidierung hinter Spanien, hinter Griechenland, hinter Portugal zurückzufallen. Angesichts der Reden, die ich hier gehört habe – über das Radio oder über das Fernsehen natürlich nur, da ich vorher nicht das Vergnügen hatte, hier im Hohen Haus dabei sein zu können –, frage ich Sie wirklich, wie großartig diese Budgetpolitik tatsächlich war. Da war es doch unvorstellbar, dass wir einmal hinter Griechenland, hinter Spanien, hinter Portugal zurückfallen könnten, da war es doch unvorstellbar, dass in einer Zeit, in der wir Rekordschuldenstände haben, es andere Länder wie Irland, wie Dänemark, wie Großbritannien oder – auf internationaler Ebene – die USA geschafft haben, ihr Budget zu sanieren und Überschüsse zu erwirtschaften, womit es dann wieder möglich war, über Offensiven im Sozialbereich, im Gesundheitsbereich, im Bildungsbereich und im Wirtschaftsbereich für die Bevölkerung nachdenken zu können. – Das ist der Weg, den auch wir einschlagen müssen! (Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP.)

Meine Damen und Herren! Ich denke, dass uns das, was in den letzten zehn Jahren von anderen Ländern der Europäischen Union bereits begonnen wurde, erst bevorsteht. Und ich stehe nicht an, gleichzeitig auch zu betonen, dass der Weg, der in den letzten Jahren von der Bundesregierung gegangen wurde und dazu geführt hat, dass das Defizit von 5 Prozent auf 2,5 Prozent im Jahre 1999 zurückgeführt werden konnte, sicherlich ein wesentlicher Fortschritt, was unsere Finanzen betrifft, gewesen ist, wobei man aber auch dazu sagen muss, wie dieser Fortschritt zustande gekommen ist und auf welchen Maßnahmen er basiert.

Da möchte ich nicht meine Interpretation anstellen, sondern nur ein paar Zitate nennen, was die Europäische Union, die OECD oder der Internationale Währungsfonds in einer jährlichen Bewertung der österreichischen Politik zum Ausdruck bringen. In den letzten Berichten wurde Folgendes geäußert: In Österreich ist keine Vorsorge getroffen worden für grundsätzliche Dinge, die die Zukunftssicherung des Standortes Österreich betreffen. Angeführt werden beispielsweise eine langfristige Pensionssicherung, Infrastrukturinvestitionen, Forschung und Entwicklung, lebensbegleitendes Lernen, die Ausbildung. Für all das wurde keine Vorsorge getroffen. Man spricht vom am wenigsten ambitionierten Programm aller Länder der Europäischen Union, was die Budgetsanierung betrifft. Man spricht davon, dass – was wir alle schon seit langem wissen – die Abgabenquote in Österreich mit 49,2 Prozent nach der europäischen volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung zu hoch ist. Man spricht davon, dass – und das ist ein wesentliches Thema, so glaube ich, auch in Anlehnung an Debatten heute hier im Haus – Österreich möglichst bald Vorsorge für künftige Pensionslücken treffen sollte, damit nicht in späteren Jahren Crash-Maßnahmen notwendig werden. – Ich meine, das zeigt jenen Handlungsbedarf, den wir auch in der Pensionsfrage haben. (Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP.)

Meine Damen und Herren! Das Ganze lässt sich fortführen über öffentliche Investitionsausgaben, die in Österreich niedriger sind als in anderen Ländern, Investitionsausgaben, die natürlich einen wesentlichen beschäftigungspolitischen Effekt haben und damit auch der Zukunftssicherung dieses Landes dienen. Das lässt sich fortführen dahin gehend, dass Österreichs Konsolidierung der letzten Jahre vor allem auf Einmal-Maßnahmen beruht und nicht auf einer Erhöhung des Primärüberschusses und damit auf einer nachhaltigen Sanierung unseres Haushaltes.

Aus all dem erkennt man, dass wir alle ein gemeinsames Wollen brauchen, dass wir das gemeinsame Bekenntnis zur nachhaltigen Sanierung unseres Haushaltes brauchen, wenn wir jemals wieder darüber diskutieren wollen, der Bevölkerung etwas zu geben. Denn wir müssen uns über eines klar sein: Man kann nur etwas hergeben, was man vorher weggenommen hat. Und in diesem Verteilungsprozess geht wiederum eine Menge verloren. Daher muss mittel- und langfristig die Entlastung unser Ziel sein. (Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP.)

Meine Damen und Herren! Es wird mir ein persönliches Anliegen sein, es all jenen, die heute auch mit Demonstrationen andere politische Überzeugungen zum Ausdruck bringen, möglichst schwer zu machen, sich von einem gemeinsamen Budget, von einem Konsolidierungs- und Sanierungskurs im Interesse der Bevölkerung und der Republik zu verabschieden.


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Wir brauchen, wenn wir diesen Weg in unserem Lande gehen wollen, die Bündelung aller konstruktiven Kräfte dieser Republik. Es wird mir daher auch ein Anliegen sein, die Gewerkschaft, die Arbeiterkammer, die Wirtschaftskammer, die Industriellenvereinigung und alle politischen Parteien in diesen Weg der Budgetkonsolidierung miteinzubeziehen, weil ich denke, dass man einer politischen Kultur, wie sie in Österreich über viele Jahre hinweg vorhanden war, nicht mit der gleichen politischen Kultur der Ausgrenzung, des Nichtsprechens, des Nichtdiskutierens begegnen sollte. Wir werden da einen anderen Weg gehen und versuchen, alle miteinzubinden. (Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP.)

Meine Damen und Herren! In diesem Sinne ersuchen wir eigentlich nur darum, dass wir nicht über Vorurteile und Vorverurteilungen gemessen werden, dass man Abstand von Wegen nimmt, einen Bundeskanzler, noch bevor diese Regierung irgendwelche Maßnahmen setzen konnte, mit einem Misstrauensantrag dieses Hauses zu konfrontieren, sondern dass man diese Regierung tatsächlich an jenen Leistungen misst, die wir in einem, wie ich glaube, sehr guten Regierungsprogramm für die Bevölkerung versprochen haben.

"Versprochen und gehalten!" – Das soll das Motto dieser Bundesregierung sein, und daran wollen wir uns auch messen lassen. (Abg. Jäger: Ja, versprochen und gehalten: Flat-Tax!) Deswegen wollen wir auch das Vertrauen im Inneren dieses Landes aufbauen, denn es geht, so glaube ich, auch darum, jenen, die heute ein anderes Bekenntnis, eine andere politische Überzeugung demonstrieren, zu signalisieren, dass auch sie ernst genommen werden, dass wir auf sie zugehen und sie einbinden wollen, und damit zu zeigen, dass das eine Bundesregierung ist, die sich an alle Österreicherinnen und Österreicher wendet, die für die gesamte Bevölkerung eine zukunftsweisende Politik machen und den Reformstau auflösen will, sodass klar wird, dass der politische Wechsel in diesem Land nicht nur längst überfällig, sondern vielmehr die demokratische Normalität und nicht der Ausnahmezustand ist. (Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP.)

In diesem Sinne, meine Damen und Herren, kann ich wirklich auch nur darum ersuchen, dass man nicht permanent, wie das in der Politik gang und gäbe ist, überredet und zerredet und vieles "auf- und niederbespricht", aber mit der Umsetzung dann immer hinterherhinkt. Ich meine, es liegt an allen gemeinsam, es ist unser aller Verantwortung, diese Budgetsanierung voranzutreiben. Daran werde ich Sie in den nächsten Wochen und Monaten erinnern dürfen.

Ich hoffe, dass wir einen Beitrag leisten können, dieses Land offener und freier zu machen (Abg. Jäger: Das ist eine Drohung!), dass am Ende eines Sanierungs- und Konsolidierungswegs tatsächlich eine Erhöhung der Lebensqualität unserer Bevölkerung steht. Es wäre mein größter Wunsch für diese Legislaturperiode. – Vielen Dank. (Die Abgeordneten der Freiheitlichen erheben sich von ihren Plätzen und spenden stehend Beifall. – Beifall bei der ÖVP.)

18.53

Präsident Dr. Heinz Fischer: Nächster Redner ist Herr Abgeordneter Peter Schieder. – Bitte.

18.53

Abgeordneter Peter Schieder (SPÖ): Herr Präsident! Meine Damen und Herren der Bundesregierung! Hohes Haus! Ich bin meiner Kollegin Mertel sehr dankbar dafür, dass Sie mich auf der Redeliste vorgelassen hat, wodurch ich rascher auf den Kollegen Spindelegger reagieren kann. (Abg. Mag. Trattner: Sie wollten ...! – Heiterkeit bei den Freiheitlichen.)

Kollege Spindelegger hat darüber gesprochen, dass, wie sich aus einer Deklaration ergibt, im Europarat eine Abgeordnete Unterschriften für bestimmte Maßnahmen sammelt und darauf hingewiesen, dass diese Abgeordnete Mitglied des Vorstandes der sozialdemokratischen Fraktion ist. Damit hat er natürlich auch den Eindruck zugelassen, es handle sich hierbei um eine Aktion eben dieser Fraktion, deren Vorsitzender ich bin.

Ich möchte hier zunächst klar und deutlich festhalten, dass diese Aktion von mir weder initiiert noch gebilligt oder unterstützt wurde oder wird, dass es keine Aktion der sozialdemokratischen Gruppe ist, sondern – wie auch aus dem Briefkopf hervorgeht – von dieser Abgeordneten in


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ihrer Funktion als Leiterin der französischen Delegation gestartet wird. (Abg. Dr. Ofner: Eine Frage – ich weiß es wirklich nicht –: Worum ist es gegangen?)

Es handelt sich um eine Aktion der französischen Delegation, die erstens erreichen will, dass der Generalsekretär des Europarates Walter Schwimmer seine Mitgliedschaft in der ÖVP zurücklegt oder seinen Posten zur Verfügung stellt – was jedoch statutarisch gar nicht vorgesehen ist –, und die zweitens das Verlangen hat, dass die österreichischen Mitglieder der ÖVP nicht mehr der Versammlung angehören, was (Abg. Dr. Martin Graf: Wann haben Sie davon erfahren? Und wann haben Sie es ...? – Abg. Dr. Ofner: Moment! Erst eine Antwort!)  – ich werde Ihnen gleich dazu etwas sagen – statutarisch ebenfalls gar nicht möglich ist. Eine derartige Aktion würde, wenn sie durchginge, alle österreichischen Abgeordneten das Stimmrecht kosten und daher auch mich selbst betreffen. (Abg. Dr. Ofner: Danke, ich kenne mich aus!)

Ich habe die Unterlagen erst von Kollegen Spindelegger bekommen und es erst dadurch erfahren. Wenn es Kollege Schwimmer nicht nur ihm, sondern auch mir geschickt hätte, hätte ich es wahrscheinlich zwei Stunden früher erfahren – um das auch ganz deutlich zu beantworten. (Zwischenruf des Abg. Haigermoser. )

Ich möchte dazu nur Folgendes sagen: Es ist das keine Aktion der Sozialdemokraten, aber erwarten Sie bitte nicht, dass es keine Sozialdemokraten in Europa geben wird, die solche Aktionen als Sozialdemokraten starten. (Abg. Dr. Martin Graf: Die verdienen das Wort "Demokrat" nicht, das sind Sozialisten!) Und glauben Sie auch nicht, dass die Sozialdemokraten oder ich diese Leute dazu bringen könnten, davon abzulassen. Bitte denken Sie mit! (Zwischenruf der Abg. Dr. Fekter. ) Ich habe ja erst jetzt davon erfahren. (Abg. Dr. Martin Graf: Das sind keine Demokraten!)

Bitte denken Sie mit mir: Wenn es nicht einmal Ihnen gelingt, zu verhindern, dass Parteien Ihrer eigenen Richtung den Ausschluss der ÖVP aus der EVP beantragen, wenn es Ihnen nicht gelingt, so einen Antrag zu verhindern (Abg. Dr. Mertel: Suspendieren!), dann erwarten Sie nicht von Sozialisten, dass die bei anderen Sozialisten, die gegen die ÖVP sind, etwas leichter erreichen können, was bei EVPlern beziehungsweise ÖVP-Schwester- oder -Brüderparteien, die gegen die ÖVP sind, nicht erreichbar ist.

Sie wissen natürlich ganz genau, dass die ÖVP sogar eine hochrangige Delegation für die Sitzung der EVP aufbietet. Es werden die Kollegen Mock, Stenzel, Rauch-Kallat, Karas und auch der Klubsekretär Wintoniak, der in diesen Fragen sehr aktiv ist, zur Sitzung der EVP fahren (Abg. Dr. Fekter: Nein!), um zu verhindern, dass in ihrer eigenen Internationale etwas gegen sie geschieht. (Abg. Haigermoser: Das ist ein Ablenkungsmanöver!) Sie wissen, wie schwer das für Sie ist, darum schicken Sie eine so bedeutende Delegation. Sagen Sie also nicht den Sozialisten, sie müssten etwas erreichen, was für Sie selbst in Ihren eigenen Reihen so schwer zu erreichen ist. (Beifall bei der SPÖ.)

Ich möchte zweitens etwas zur Regierungserklärung, speziell zu den außenpolitischen Punkten darin, sagen. Es ist begrüßenswert, dass darin der Satz enthalten ist, dass die Bundesregierung bestrebt sein wird, einen möglichst breiten nationalen Konsens für die Außen- und Sicherheitspolitik herbeizuführen. – Diese Formulierung steht jedoch im Gegensatz zu jener Realität, die durch den Pro-NATO-Kurs dieser nunmehrigen Regierungsparteien und durch die Absicht, die Neutralität abzuschaffen, charakterisiert ist.

Es gibt auch noch andere Punkte, zu denen ich etwas anmerken möchte. So hat es mich ein bisschen getroffen, dass in den Zielsetzungen im Bereich der Wirtschafts- und Währungsunion von dem von der bisherigen Regierung vertretenen Grundsatz abgegangen wird, dass in Europa nicht nur wirtschaftspolitische Koordinierung notwendig ist, sondern die Europäische Union sich auch zu einer Sozial- und Beschäftigungsunion entwickeln soll. Dass diese wichtige Forderung im Programm dieser Regierung nicht mehr enthalten ist, halte ich für einen wirklichen Nachteil. Auch wichtige Forderungen im Bereich der Entwicklungshilfe sind in dieser Regierungserklärung nicht enthalten.


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Wenn man sich verbal zu einer Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik bekennt, dann muss das natürlich auch gewisse Schritte beinhalten. Im Bereich der Sicherheitspolitik wird das mit uns nur dann möglich sein, wenn es ein Bekenntnis zu einer zeitgemäßen, friedensorientierten, aktiven Neutralitätspolitik und eine Absage an die NATO-Mitgliedschaft gibt. Den NATO-Kurs dieser Regierung werden wir sicherlich nicht mittragen! (Beifall bei der SPÖ.)

Ich möchte noch eine Bemerkung zur Arbeit des Parlaments und auch zu den kommenden Fragen in der Europäischen Union machen. Wenn man in diesem Hause die Gemeinsamkeit mit uns sucht, dann wird es notwendig sein, dass wir auch die entsprechenden Informationen erhalten. Man wird uns, wenn man unsere Zustimmung für Verfassungsgesetze braucht, von Anfang an informieren müssen und nicht erst am Schluss. (Präsident Dr. Fasslabend übernimmt wieder den Vorsitz.)

Wir werden es nicht akzeptieren, wenn wir im EU-Hauptausschuss keine Informationen erhalten oder dieser Ausschuss beziehungsweise der Unterausschuss gar nicht einberufen wird, etwa weil Kollege Khol meint, unsere Ansuchen seien geschäftsordnungsmäßig nicht ganz korrekt. – Vielleicht hat er Recht, aber auch dann gilt es, einen Weg zu suchen, damit wir im Unterausschuss und im EU-Hauptausschuss von der Regierung sehr bald voll informiert werden. Denn nur dann, wenn wir voll informiert sind, können wir auch darüber diskutieren, ob wir eine Position mittragen.

Eine letzte Bemerkung zu meinem Vorredner, dem Herrn Finanzminister. Herr Kollege Grasser, der Herr Finanzminister, hat hier sehr viel von Gemeinsamkeiten und Vertrauen gesprochen. (Abg. Dr. Ofner: Ist doch schön!) Ich finde es gut, wenn das jemand sagt. Aber wenn er das wirklich so meint, dann hätte er sich eigentlich – zumindest inhaltlich – von Rednern wie dem Abgeordneten Gaugg ein wenig distanzieren sollen. (Beifall bei der SPÖ.)

19.02

Präsident Dr. Werner Fasslabend: Nächste Rednerin ist Frau Abgeordnete Zierler. Ich erteile ihr das Wort.

19.02

Abgeordnete Theresia Zierler (Freiheitliche): Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Bundeskanzler! Sehr geehrte Frau Vizekanzlerin! Hohes Haus! Mit großem Erstaunen habe ich in den letzten Tagen und Wochen Interpretationen und Falschinterpretationen unseres Regierungsprogramms verfolgt. Übrigens gab es auch heute noch, obwohl das Regierungsprogramm bereits schriftlich vorliegt, Fehlinterpretationen.

Ein sehr beliebtes Thema ist dabei die freiheitliche Frauenpolitik, die dann erweitert wurde auf den Begriff "FPÖ-ÖVP-Frauenpolitik". Was musste man darüber nicht alles lesen! Von einem "Rückschritt in ein Macho-Mittelalter" war da zum Beispiel die Rede oder von der "Zertrümmerung des Frauenministeriums" – dieser Ausdruck kam übrigens von der stellvertretenden Klubobfrau der Grünen. Dazu eine kurze Anmerkung: Wir zertrümmern nichts (Abg. Jäger: Wo ist dann die Frauenministerin? Wir haben nur eine Frau Vizekanzlerin!), wir lehnen Gewalt ab und setzen uns für den Fortschritt ein. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Für uns heißt Frauenpolitik nicht die Abschiebung in ein Ghetto. Unsere Zukunftspolitik wird Frauenthemen zu einem integrativen Bestandteil der Gesamtpolitik machen! Und wir haben das Frauenministerium nicht zertrümmert, sondern wir haben das Frauenministerium integriert. (Beifall bei den Freiheitlichen und bei Abgeordneten der ÖVP. – Rufe bei der SPÖ: Aha! – Abg. Dr. Mertel: Sie haben ja keine Ahnung!)

Das ist übrigens eine Entscheidung, die offensichtlich auch die ehemalige Frauenministerin befürwortet, sagte sie doch in einem Interview in einer bunten Tageszeitung sinngemäß Folgendes: Besser nach ihr kein Frauenministerium, als eine andere Frauenministerin! (Rufe bei den Freiheitlichen und der ÖVP: Oh!)  – Frau Magister Prammer, wo bleibt da die Glaubwürdigkeit? Das ist eine Frage, die ich Ihnen schon stellen muss. (Beifall bei den Freiheitlichen und bei Abgeordneten der ÖVP.)


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Ist es Ihnen eigentlich jemals um die Frauen gegangen oder nur um Ihre Position als treue Dienerin Ihres Herrn, also in Abhängigkeit des männlichen Bundeskanzlers (Zwischenruf des Abg. Dr. Martin Graf ) das Dasein einer Schattenministerin mit wenig Kompetenzen und vor allen Dingen mit noch weniger Erfolgen zu führen? Das haben Sie übrigens heute auch selbst bestätigt.

All jenen, die diesbezüglich die Unwahrheit verbreiten und denen gewissermaßen der "Untergang der Frauenpolitik" ins Gesicht geschrieben steht, stelle ich die Frage: Wo sind sie denn, die Erfolge von 30 Jahren sozialdemokratischer Frauenpolitik?! Was können Sie eigentlich vorzeigen?! Ich betone: 30 Jahre Frauenpolitik! (Abg. Mag. Prammer: Ich werde Ihnen das Ganze schicken!)

Ich danke Ihnen auch sehr für die Presseaussendung, die Sie gemacht haben: eine "Hitliste von 30 Jahren SPÖ-Frauenpolitik". Ich habe sie sehr aufmerksam gelesen. Wenn ich sehr großzügig schätze, dann umfasst diese Liste ungefähr 40 Zeilen: die Ergebnisse von 30 Jahren sozialdemokratischer Frauenpolitik in 40 Zeilen zusammengefasst! (Zwischenruf der Abg. Mag. Prammer. ) Und die dreijährige Tätigkeit der ehemaligen Frauenministerin beschränkt sich auf eine Zeile – das sei nur kurz dazu bemerkt. (Heiterkeit und Beifall bei den Freiheitlichen. – Abg. Mag. Prammer  – eine Mappe in die Höhe haltend –: Das ist es, und es ist mehr und dicker als Ihr Regierungsprogramm! – Abg. Ing. Westenthaler: Aber eine Zeile ist sehr wenig!)

Warum zitieren Sie nicht auch andere Frauen? Es gibt nicht nur die eine Frau und nicht nur das eine Frauenbild! Und, Frau Magister Prammer, Sie schreiben – ich zitiere –:

"In diesem Programm" – nämlich in diesem unseren Regierungsprogramm – "fehlen Maßnahmen, die Frauen wirklich brauchen."(Abg. Mag. Prammer: Recht auf Teilzeit zum Beispiel!) "Wo bleibt der Quantensprung in der besseren Vereinbarkeit von Beruf und Familie, im Recht auf Teilzeit und im Recht auf einen Kinderbetreuungsplatz? Wo bleibt der Quantensprung in der gleichwertigen Bezahlung für gleichwertige Arbeit?" – Zitatende.

Erwarten Sie, dass wir in fünf Tagen all das umsetzen, was Sie 30 Jahre lang nur versprochen haben? (Beifall bei den Freiheitlichen. – Abg. Mag. Prammer: Aber Sie sind doch sooo "hervorragend"!)

Bei uns, und zwar in der Politik der FPÖ und der ÖVP, sind Frauen in Führungspositionen eine Selbstverständlichkeit! Wir müssen gar nicht allzu viel darüber sprechen. Der erste weibliche Landeshauptmann in Österreich wurde von der ÖVP gestellt, und die erste Vizekanzlerin von der FPÖ. (Zwischenruf der Abg. Dr. Mertel. ) Und Sie unterstellen uns, dass wir Frauen vom Beruf und von der Karriere fern halten wollen? (Zwischenruf des Abg. Ing. Westenthaler. ) Ich frage mich nur: Wie ist das dann beispielsweise bei den Grünen? Wurde Frau Dr. Petrovic nicht von ihrer eigenen Fraktion abgewählt und musste sie nicht einem Mann Platz machen? Wie ist das nun mit der so oft geforderten Quote? (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Gilt diese geforderte Quote in der eigenen Partei nicht oder gilt diese geforderte Quote bei Führungspositionen nicht? (Zwischenrufe bei der SPÖ.)

Und noch etwas sei den Damen von der SPÖ und von den Grünen gesagt: Sie haben nicht die Erbpacht darauf, alle Wünsche aller Frauen zu kennen! Warum zitieren Sie nicht auch andere Schreiben? Zum Beispiel:

Das zusätzliche dritte Karenzjahr, das nur Väter bezahlt bekommen, ist lobenswert, weil damit berücksichtigt wird, dass auch Väter verstärkt in die Erziehungsarbeit eingebunden werden. – Zitatende. (Neuerliche Zwischenrufe bei der SPÖ.)

Oder: Die Ausweitung der Zuverdienstgrenzen ist ein gesellschaftspolitisches Signal, das Frauen und Männer nicht wie bisher mit einem weitgehenden Berufsverbot während der Karenzzeit belastet. Auch für Frauen bedeutet die angehobene Zuverdienstgrenze eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf, und vor allen Dingen erleichtert sie den Wiedereinstieg. (Abg. Mag. Prammer: Überhaupt ohne Kinderbetreuungsplatz! Das ist "super"!)  – Zitatende.


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Das kommt Ihnen vielleicht bekannt vor, denn das ist genau das, was Sie immer gefordert haben!

Wir bekennen uns zu einem partnerschaftlichen Lebensmodell und setzen die vollständige Gleichberechtigung von Mann und Frau voraus. (Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP.)

Ein Kinderbetreuungsgeld für alle für zwei Jahre ist ein Meilenstein! Und die Möglichkeit eines zusätzlichen Jahres für den Vater wird das Interesse der Männer, in Familie und Haushalt aktiv zu sein, verstärken. – Nennen Sie das einen Rückschritt? (Abg. Dr. Mertel: Jawohl!)

Was haben Sie an der Entwicklung von Mentoring-Programmen und Netzwerken auszusetzen? Was haben Sie an der Chancengleichheit für Frauen im Beruf oder an der Forderung nach gleichem Lohn für gleiche Arbeit auszusetzen? – Ich weiß, Sie haben das lange versprochen, es war auch ein beliebtes Wahlkampfthema. Wir werden daran arbeiten und es auch wirklich umsetzen.

Was kritisieren Sie daran? Was kritisieren Sie daran, dass wir frauendiskriminierende Arbeitszeitregelungen verändern wollen? (Zwischenrufe der Abgeordneten Mag. Wurm und Jäger. ) Ich möchte darauf wirklich gerne eine Antwort von Ihnen hören. Und was kritisieren Sie daran, dass wir auch Frauen im Alter unterstützen? Das war ja bis jetzt ein, so möchte ich einmal sagen, ziemlich weißer Fleck. (Abg. Jäger: ... sehr "frauenfreundlich"!)

Noch eine Anmerkung zu einem anderen Thema. Frau Abgeordnete Petrovic, die leider im Moment nicht anwesend ist, hat heute auch die Entlassung eines Redakteurs der "Oberösterreichischen Nachrichten" erwähnt und will diese Regierung dafür verantwortlich machen.

Es gibt dazu eine Aussendung, das ist also kein Geheimpapier, es kann wirklich jeder lesen: Herausgeber und Chefredakteur verwahren sich nämlich entschieden gegen die Behauptung, dass die Trennung von Redakteur Marschall politisch motiviert sei. (Abg. Dr. Mertel: Das haben wir gesehen im Fernsehen!) Ich zitiere:

"Der Grund dafür liegt vielmehr im Stil der Beiträge von Redakteur Marschall, die immer wieder, und in den letzten Monaten zunehmend, Überparteilichkeit ... und Objektivität vermissen ließen," was für einen Mitarbeiter eines unabhängigen Mediums nicht tragbar sei. (Zwischenruf der Abg. Haidlmayr. )

Und weiters heißt es: "Wir stellen deshalb mit Nachdruck fest, dass unserer Entscheidung kein anderes Motiv als die Bemühung zu Grunde lag, die Unabhängigkeit der Zeitung nach allen Richtungen hin zu erhalten." – Zitatende.

Ich ersuche Frau Kollegin Petrovic daher, sich wirklich an Fakten zu halten und endlich damit aufzuhören, Samen des Misstrauens zu säen. Was unser Land jetzt braucht, sind Politiker mit Charakter, Rückgrat und zumindest einem Minimum an demokratischer Gesinnung! (Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP. – Bravo!-Rufe bei den Freiheitlichen.)

19.10

Präsident Dr. Werner Fasslabend: Nächster Redner ist Herr Abgeordneter Brosz. – Bitte.

19.11

Abgeordneter Dieter Brosz (Grüne): Herr Präsident! Sehr geehrte Mitglieder der Bundesregierung! Hohes Haus! Mehrmals wurde in der heutigen Debatte bereits festgestellt, dass diese Regierungserklärung in vielen Bereichen einer Ansammlung von Worthülsen gleicht und Inhalte nur schwer auszumachen sind.

Dennoch ist es Ihnen offenbar gelungen, eine gewisse Symbolik zu vermitteln. Ich darf Ihnen ein Zitat aus dem dieswöchigen "Format" vorlesen, in dem ein Vertreter der schlagenden Verbindung "Olympia" folgende Aussage getätigt hat:

"Es gibt schon einige rechte Werte, die erfreulicherweise im Koalitionspakt vertreten werden – beispielsweise in der Familien-, Steuer- und Bildungspolitik." – Zitatende.


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Genau das sind Themen, die mich sehr betreffen, und ich konnte feststellen: Dieser Mann weiß, wovon er spricht. Im Koalitionspakt wird nämlich im Gegensatz zur Regierungserklärung die Sache schon wesentlich deutlicher. Wenn darin etwa steht, dass im Schulsystem nationale Leistungsstandards gefordert werden und ein Leistungsvergleich der Schulen eingeführt werden soll (Abg. Dr. Brinek: Was haben Sie dagegen?), dann wird schon klarer, in welche Richtung es gehen soll. – Ich werde Ihnen das gleich sagen, Kollegin Brinek.

Abgesehen davon, dass LehrerInnen und SchülerInnen natürlich unter massiven Druck gesetzt werden, wenn es zu dieser Entwicklung, nämlich einer Vergleichbarkeit der Schulen, kommt, geht das auch eindeutig in Richtung der Entwicklung von Eliteschulen.

Können Sie mir erklären, welchen Sinn diese Maßnahme hat (Abg. Dr. Fekter: Dass die Schulen besser werden!), die doch logischerweise zu einer Stigmatisierung jener Schulen führen wird, die am unteren Ende dieser Skala stehen, und eine Hervorhebung jener Schulen, die oben stehen, mit sich bringen wird? Können Sie mir erklären, welchen Sinn das in einem Bildungssystem machen soll, das staatlich getragen wird? (Abg. Dr. Puttinger: Für Sie ist Leistung gleich Elite!)

Diesen Sinn gibt es nicht! Einen Sinn kann es erst dann haben, wenn man gleichzeitig den Gedanken der Privatisierung des Bildungssystems forciert. (Abg. Dr. Fekter: Gute Idee!) Ich zitiere aus einer Publikation der ÖVP, und zwar zugegebenermaßen nicht aus dieser Regierungserklärung, sondern aus dem Bericht "Österreich-Zukunftsreich", einer Initiative von Vizekanzler Wolfgang Schüssel. (Abg. Dr. Fekter: Nun Bundeskanzler!) – So ist es; Vizekanzler stimmt nicht mehr, er ist mittlerweile Bundeskanzler.

In diesem Bericht ist eindeutig vermerkt – ich zitiere –:

Wir schlagen die Einführung eines Bildungsschecks vor. Dies würde zur Förderung der Bildungschancen auf allen Ebenen und zum lebenslangen Lernen viele Vorteile bringen. Im Schulbereich könnten Eltern beziehungsweise Schüler frei im Bildungsangebot wählen. – Zitatende.

Diese "Chancengleichheit", die Sie da erwähnen, ist ja "phänomenal", wenn man überall mit einem Scheck hingehen kann.

Und weiter heißt es darin: Durch den Bildungsscheck würde einerseits Kostentransparenz gewährleistet, zugleich würden auch die Chancen für private Anbieter steigen und mehr Konkurrenz entstehen. Auf allen Ebenen treten wir für Privatisierungen ein und damit für die Abschaffung des staatlichen Bildungsmonopols. – Zitatende.

Ich kann Ihnen mit aller Deutlichkeit sagen: Die Grünen teilen diese Absage an das staatliche Bildungssystem mit Sicherheit nicht! (Beifall bei den Grünen und bei Abgeordneten der SPÖ.)

Kurz ein Punkt, der wirklich sehr interessant ist, nämlich die objektive Postenvergabe im Schulwesen. Sie schlagen allen Ernstes ein System vor, dem gemäß die proporzmäßig besetzten Landesschulräte darüber wachen sollen, dass eine nicht proporzmäßige, objektive Vergabe der Leiterfunktionen gewährleistet werden soll. – Das kann absolut nicht funktionieren, und es wird auch nicht funktionieren!

Wir Grüne haben ein Modell entwickelt – wir haben es in Wien bereits vorgestellt, wo es mittlerweile auch schon beträchtliche Zustimmung findet –, dem gemäß die Letztentscheidung den betroffenen Schulen und damit den LehrerInnen, den SchülerInnen und den Eltern gemeinsam übertragen werden soll. Sie haben sich zu Mitbestimmung und Demokratisierung des Schulsystems bekannt. Die Chance, das auch umzusetzen, haben Sie jedoch ausgelassen.

Folgendes noch an die Kollegen von der ÖVP und auch der FPÖ gerichtet, die ja nun einen Regierungspartner bekommen hat, der schon in der Vergangenheit nicht unbedingt für eine Objektivierung der Postenvergabe im öffentlichen Dienst gestanden ist. Die Ergebnisse der letzten Personalvertretungswahlen lauten: Bundesweit hat die Fraktion Christlicher Gewerkschafter fast 56 Prozent bei den BHS und 57 Prozent bei den AHS erreicht.


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Ein besonderes Beispiel ist Niederösterreich, das Land, aus dem ich komme, ein "Musterbeispiel" an objektiver Postenvergabe: 80,46 Prozent der Pflichtschullehrer haben die Fraktion Christlicher Gewerkschafter gewählt. (Abg. Rosemarie Bauer: Na und?!)  – Na und? Ich habe erwartet, dass das kommt! Diese Erklärungen hören wir seit Jahren. Wir hören immer wieder: Die gute Arbeit unserer Gewerkschafter ist der einzige Grund dafür, warum wir dort so stark sind.

Sie werden uns auch nach den nächsten Wahlen in ein paar Jahren wieder erklären, warum sich diese Prozentsätze nicht verändert haben. Und Sie werden uns dann auch wieder erklären, dass Leute, die ein Parteibuch haben, ja nicht benachteiligt werden dürfen. – Sie sollten endlich damit beginnen, die proporzmäßige Vergabe von Stellen in den Schulen zu beenden (Abg. Rosemarie Bauer: Der Proporz ist weg!) und endlich zu einer objektiven Postenvergabe kommen! (Beifall bei den Grünen und bei Abgeordneten der SPÖ.)

Ich komme zum Schluss noch zur Familienförderung. Kollegin Zierler hat es vorhin wieder angesprochen, und es ist auch schon mehrmals erklärt worden, welch großer Fortschritt 24 plus 12 Monate im Gegensatz zum jetzigen System sein sollen.

Wir haben schon im Familienausschuss sehr ausführlich darüber diskutiert, und dort wurden Zahlen genannt, die Sie hier nicht nennen: Nur 1,5 Prozent der Männer nehmen zurzeit die halbjährige Karenzzeit in Anspruch. – Ich denke, es geschieht nicht aus Jux und Tollerei, dass nach wie vor nur so wenige Männer dazu bereit sind, in Karenz zu gehen, sondern das resultiert aus sehr klaren Rahmenbedingungen, die unter anderem heißen, dass es sich die Familien in den meisten Fällen schlicht und einfach nicht leisten können.

Sie weiten aus – das heißt, der Einkommensverlust wird jetzt von einem halben Jahr auf ein Jahr ausgeweitet – und erklären uns, dass das ein Riesenvorteil sei. Sie könnten uns stattdessen endlich erklären, mit welchen Maßnahmen Sie ermöglichen wollen, dass dieser familienpolitisch äußerst sinnvolle Schritt – nämlich dass auch Männer in Karenz gehen – erreicht werden könnte. Das haben Sie bisher aber nicht getan. Sie haben die Rahmenbedingungen nicht verändert. Es wurden weder die Wiedereinstellungsverpflichtung der Unternehmen (Abg. Steibl: Stimmt ja nicht!) noch die Höhe des Karenzgeldes verbessert. (Bundesminister Dr. Bartenstein: Die Höhe des Karenzgeldes? Lesen Sie, Herr Kollege: 6 250!)

Das, was Sie jetzt sagen, ist, was Sie in anderen Bereichen als Valorisierung bezeichnet haben, etwa bei der motorbezogenen Versicherungssteuer. Seit wie vielen Jahren haben Sie dieses Karenzgeld nicht erhöht? Wenn Sie in anderen Bereichen von Valorisierung reden, dann müssen Sie es wohl auch hier tun. Das ist keine richtige Erhöhung! (Beifall bei den Grünen. – Bundesminister Dr. Bartenstein: Dann nennen Sie es "Valorisierung"!)

Eine letzte Bemerkung noch zum Karenzgeld: Wir haben verschiedene Fälle durchgerechnet, um zu ergründen, in welchen Familiensituationen dieses Modell etwas bringt und in welchen es nichts bringt. Nach Ihrem neuen Modell gibt es eine einzige Familiensituation, der dieses Modell wesentliche Vorteile bringt, nämlich die des Alleinverdieners. Alle anderen bleiben unberücksichtigt. Es werden also gewisse Familiensituationen von Ihnen gefördert, und andere nicht. (Bundesminister Dr. Bartenstein: Wie kommen Sie darauf? – Abg. Dr. Mertel: Das ist ja gewollt, dass die Ehefrauen daheim bleiben!)

Ich komme zum Schluss noch zu folgendem Punkt: Ich habe mich sehr darüber gewundert, dass, als Herr Westenthaler vorhin in der Diskussion über die Geschäftsordnung die Aussage getätigt hat, diese Regierung werde sich dadurch auszeichnen, dass sie die Gesetze und auch die Geschäftsordnung einhalten werde, die gesamte Abgeordnetenriege der ÖVP in rhythmisches Klatschen verfallen ist. Wollten Sie uns damit mitteilen, dass Sie in der Vergangenheit, in der letzten Legislaturperiode, die Gesetze und die Geschäftsordnung nicht eingehalten haben? Vielleicht könnten Sie uns dieses Klatschen genauer erklären. Es würde mich nämlich sehr wundern, wenn das der Grund war.

Sie haben in den letzten Tagen hier im Parlament in der Behandlung der Opposition auf jeden Fall gezeigt – und zwar beide, ÖVP und FPÖ –, dass auch die neue Regierungskoalition die


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Demokratie hier im Haus sicher nicht verbessern wird. Die Grünen werden diesem Zustand nach wie vor Widerstand entgegenbringen. – Danke. (Beifall bei den Grünen.)

19.19

Präsident Dr. Werner Fasslabend: Nächste Rednerin ist Frau Abgeordnete Fekter. – Bitte.

19.19

Abgeordnete Mag. Dr. Maria Theresia Fekter (ÖVP): Herr Präsident! Frau Vizekanzlerin! Frau Staatssekretärin! Meine Herren Minister! Herr Staatssekretär! "Neu regieren" ist das Motto, das heute debattiert wird, und ich möchte diesbezüglich einiges zum Kapitel Justiz sagen.

Seit ich dabei bin, war in keiner bisherigen Regierungserklärung dem Bereich Justiz so breiter Raum gewidmet wie dieses Mal. Es war in früheren Koalitionsvereinbarungen das Justizkapitel immer ganz massiv durch die Arbeiterkammer beeinflusst. Daher hat es sich damals nicht so intensiv um justizinterne Fragen bewegt als vielmehr um andere Bereiche, die eben der Arbeiterkammer wichtig waren.

Dieses Mal ist die Sache ganz anders gewesen. Dieses Mal haben auch die rechtsberatenden Berufe ganz massiv ihre Ideen eingebracht, und dieses Mal sieht das Kapitel Justiz auch ganz anders aus, nämlich wesentlich justiznäher.

Es ist vereinbart, dass durch Verfahrensbeschleunigung und durch ein neues Beschwerderecht ein wesentlich besserer Zugang zum Recht ermöglicht werden soll, denn wir müssen schon beachten, dass zirka 40 Prozent der Beschwerden, die derzeit bei der Volksanwaltschaft landen, die Justiz im weiteren Umfeld betreffen und dafür die Volksanwaltschaft ja nicht wirklich zuständig ist. Daher schaffen wir hier ein neues Beschwerderecht, ohne in die Unabhängigkeit der Justiz einzugreifen und natürlich nicht in rechtskräftige Entscheidungen. Wir wollen daher direkt bei der Justiz selbst – bei den Oberlandesgerichten – einen Senat einrichten, der sich mit diesen Beschwerden auseinander setzen soll, und der Volksanwaltschaft wollen wir ein Anregungsrecht geben.

Es ist auch so, dass wir im Hinblick auf die Verbrechensbekämpfung dem Kapitel "Strafen" sehr breiten Raum geben. Wir wollen den gesamten Strafkatalog überarbeiten, die Verhältnismäßigkeit in den Strafen zwischen Geldstrafen und Gerichtsstrafen, zwischen Vermögensdelikten und Gewaltdelikten neu überdenken. (Abg. Dr. Lichtenberger: Den Tatausgleich wegbringen! Der ist Ihnen nicht recht!) Und, Frau Kollegin Lichtenberger, wir wollen auch das Verwaltungsstrafrecht durchleuchten, denn dort haben wir in vielen Bereichen eine ganz gewaltige Unverhältnismäßigkeit. (Abg. Dr. Mertel: Das Kumulationsprinzip!) Wir wollen beispielsweise das Kumulationsprinzip überdenken, denn das ist etwas, was in vielen Bereichen eigentlich doch zu unverhältnismäßig hohen Strafen führt.

Es ist medial zum Teil nicht ganz richtig transportiert worden, was wir bei der Einschränkung der Diversion vorhaben. Daher möchte ich das hier klarstellen. Wir werden die Schuldfrage einschränken, das heißt, nur bei geringer Schuld soll die Diversion möglich sein, und wir werden einen ganz klaren Ausnahmekatalog schaffen, der unter anderem auch jene Bereiche umfasst, die bisher eben nur in den Erläuternden Bemerkungen angeführt waren. Den Widerstand gegen die Staatsgewalt zum Beispiel werden wir auch in Hinkunft dezidiert ausnehmen. (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der Freiheitlichen.)

Ich bin sehr froh, dass wir in der Vereinbarung auch etwas bezüglich des Schutzes der Gesellschaft vor gefährlichen Tätern verankert haben. Wir werden im Hinblick auf die Gefährlichkeit von Tätern den Katalog der besonderen Maßnahmen ausdehnen. Ich glaube, dass die Bevölkerung das auch so sieht: dass man gefährliche Täter nach Abbüßen der Strafe nicht wieder in die Gesellschaft entlassen sollte, ohne sie entweder in Therapie zu betreuen oder eben im Maßnahmenvollzug zu belassen, weil es der Bevölkerung eben nicht zumutbar ist, dass man sie wieder in die Gesellschaft bringt.

Neu – und das wäre mit unserem vorherigen Partner nie und nimmer möglich gewesen, weil die Frau Frauenministerin dazu gesagt hat: "nur über meine Leiche" – ist das gemeinsame Ob


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sorgerecht, wenn beide Elternteile dies wünschen. (Zwischenrufe bei der SPÖ.) Diese gemeinsame Obsorge wird von vielen Eltern gewünscht!

Frau Kollegin Mertel! Das Elternsein kann man nicht durch eine Scheidung abstreifen, Eltern bleibt man immer, auch nach einer Scheidung. (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der Freiheitlichen. – Abg. Dr. Mertel: Wo sind die geschiedenen Väter?) Wir haben kein Verständnis dafür, dass dann, wenn beide Eltern die gemeinsame Obsorge wünschen, wenn sie das einvernehmlich wollen, der Gesetzgeber es zwangsbeglückend verbietet. Dafür haben wir kein Verständnis! Wir werden diese gemeinsame Obsorge ermöglichen. (Abg. Silhavy: Wenn beide einverstanden sind, dann kommen sie ohne Gesetzgeber aus, Frau Kollegin!)

Ein breites Kapitel ist darüber hinaus dem Wohnen gewidmet. Da erlaubt es der Wohnungsmarkt inzwischen, dass wir den Wettbewerb dazu nutzen, die Kosten im Wohnbereich zu senken.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Kosten im Wohnbereich finden wir derzeit überproportional bei den Betriebskosten vor. Sie belasten die Menschen inzwischen wesentlich mehr als die Mieten, und es soll in Hinkunft einiges geschehen, damit sich Energieunternehmen oder städtische oder kommunale Versorger kein Körberlgeld auf Kosten der Mieter machen. (Abg. Dr. Lichtenberger: Privilegien für Großstromabnehmer!)

Wir wollen einerseits eine transparente Betriebskostenabrechnung. Dazu gibt es eine ÖNORM, Frau Kollegin Lichtenberger, und diese ÖNORM ist eine einheitliche Regelung. Wenn alle die Betriebskosten danach abrechnen, ist durch die Transparenz allein schon eine Vergleichbarkeit gegeben, sodass man dann vergleichen kann, wer sich da ein Körberlgeld macht und wer nicht. (Abg. Dr. Lichtenberger: Das ist interessant! Die kennen wir ja, diese ÖNORM!)

Dazu gehört auch die Reform des Hausbesorgergesetzes. Selbstverständlich müssen wir dabei Übergangsbestimmungen normieren, aber es kann nicht so sein, dass Hausbesorgerprivilegien dazu führen, dass die Betreuung von Wohnanlagen fast unfinanzierbar wird.

Es gibt weiters ein sehr ambitioniertes Vorhaben, das wir uns im Unternehmensrecht vorgenommen haben. Wir wollen Transparenz, Vereinheitlichung und Vereinfachung in einer Neukodifikation, das heißt in einer Zusammenfassung von allen Bereichen der Rechtsvorschriften; das wird insbesondere das HGB und die Gewerbeordnung betreffen. Wir wollen also eine Neukodifikation eines allgemeinen Unternehmerrechtes haben, das dann auf alle Selbständigen anwendbar ist, allgemeine Bestimmungen beispielsweise über Beginn der unternehmerischen Tätigkeit, über Firma, über Geschäftsführungsformalismen, über die Geschäftsbezeichnung, über Vereinfachungen in der Registrierung und so weiter.

Das Unternehmerrecht ist in Deutschland bereits vereinheitlicht worden, und auch wir sollten diesen Weg gehen und die allgemeinen Bestimmungen des HGB, die allgemeinen Bestimmungen der Gewerbeordnung oder auch des Rechnungslegungsgesetzes zusammenfassen, damit jemand, der sich selbständig machen will, das alles dann auch in einem einzigen Gesetz beisammen hat.

Überhaupt hat das Justizkapitel dem Wirtschaftsrecht sehr breiten Raum gewidmet. Wir werden das Kartellrecht weiter entwickeln, beim Insolvenzrecht den Missbrauch bekämpfen, die Publikationspflichten auf die modernen elektronischen Medien ausweiten, und vor allem werden wir uns auch darum bemühen, dass die EU-Richtlinien im Wirtschaftsrecht raschest umgesetzt werden. (Abg. Dr. Lichtenberger: Da können Sie gleich bei der Österreich-Werbung anfangen!)

Ich bin sehr zuversichtlich, dass im Justizbereich die konstruktive Arbeit im Justizausschuss auch unter Einbindung der Oppositionsparteien wie bisher fortgesetzt werden wird. Als Ausschussvorsitzende biete ich diese Zusammenarbeit – so wie in der Vergangenheit – auch den neuen Oppositionsparteien an. (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der Freiheitlichen.)

19.28


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Präsident Dr. Werner Fasslabend:
Zu Wort gemeldet hat sich Herr Bundesminister Dr. Martin Bartenstein. – Bitte, Herr Bundesminister.

19.28

Bundesminister für wirtschaftliche Angelegenheiten Dr. Martin Bartenstein: Herr Präsident! Frau Vizekanzlerin! Meine lieben Kollegen auf der Regierungsbank! Hohes Haus! Die Industriellenvereinigung hat heute in einer Pressekonferenz zum vorliegenden Regierungsprogramm Stellung genommen und hat gemeint, dass sie selbst, aber auch das Ausland, Investoren und Partner im Ausland, dieses Regierungsprogramm positiv beurteilen würden und Vorteile für den Standort Österreich darin enthalten wären.

Als nach dem vorliegenden politischen Willen in Zukunft "Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit" empfinde ich mich in hohem Maße als Standort-Minister und freue mich daher, dem Hohen Hause berichten zu können, dass wir – bei aller Spargesinnung und bei allem Konsolidieren, was notwendig ist – zur Standortsicherung für Österreich, zur Sicherung seiner Arbeitsplätze offensive Maßnahmen insbesondere bei der Senkung der Arbeitskosten vornehmen werden. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

Es sind dies offensive Maßnahmen, die darin resultieren sollen, dass wir bis zum Jahre 2003 die Arbeitskosten und damit die Lohnnebenkosten um nicht weniger als 15 Milliarden Schilling – bezogen auf die Lohnnebenkosten sind das etwa minus 2 Prozent – senken werden. Es ist dies ein bisher einmaliger Schritt, und wir sind zuversichtlich, dass wir dieses Ziel, das im Übrigen auch mit den Sozialdemokraten so vereinbart war, auch erreichen werden können.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es wurde unter anderem von Frau Kollegin Hostasch Kritik daran geübt, dass es zu dieser Zusammenlegung der Arbeitsmarkt- und der Wirtschaftsagenden in einem Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit kommen soll. Ich glaube, das rührt von einer überkommenen und nicht mehr richtigen Klischeevorstellung her, die da lautet: Wirtschaft ist gleich Arbeitgeber, das sind die Unternehmer, und Arbeit und Soziales gehören zusammen, das sind die Arbeitnehmer. – Nein, meine Damen und Herren! Standortpolitik und Arbeitsmarktpolitik sind in Wirklichkeit nicht voneinander zu trennen (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen), und ich behaupte, dass moderne Arbeitsmarktpolitik mehr mit Wirtschaftspolitik denn mit Sozialpolitik zu tun hat. Das Bundesministeriengesetz, das dem Hohen Haus demnächst zur Entscheidung vorliegen wird – eingebracht ist der Initiativantrag bereits –, wird das widerspiegeln.

Im Übrigen, meine sehr geehrten Damen und Herren, ist das Programm im Bereich der Wirtschaft von drei Prinzipien getragen: Wir wollen liberalisieren, wir wollen demokratisieren und wir wollen privatisieren. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.) Wir wollen demokratisieren im Sinne einer Deregulierung, und wir wollen privatisieren, und zwar privatisieren in einem Bereich, den ich in Österreich nicht mehr als verstaatlichte Industrie bezeichnen will – das ist der Vergangenheit angehörig –, aber privatisieren vor allem im Bereich der ÖIAG, und zwar privatisieren in einer Art und Weise, die die Standortinteressen Österreichs berücksichtigt und die die Entscheidung in vielen Fällen auf der Basis von verpflichtenden Syndizierungen in Österreich belassen soll. Wir wollen eine Privatisierungsstrategie fahren, die letztlich dem entspricht, was in Europa heute als zweckmäßig erachtet wird, ob es sich noch im öffentlichen Eigentum befindet oder nicht. Ich meine, die Zeit der rot-weiß-roten Heckflossen ist vorbei.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liberalisieren wollen wir beispielsweise auch im Bereich der Energie, wo wir weitere Schritte setzen wollen, um Österreichs Stromkunden, aber auch Österreichs Gaskunden billigeren Strom, billigeres Gas zu offerieren. Wir wollen in dem Ausmaß liberalisieren, in dem die Richtlinien der Europäischen Union uns das vorgeben, aber noch darüber hinaus, um eine Beschleunigung der dort vorgesehenen Terminpläne zu erreichen.

Eine besondere Rolle, einen besonderen Stellenwert wird in Zukunft die Sozialpartnerschaft spielen beziehungsweise einnehmen. Aufgrund der geänderten politischen Verhältnisse, aufgrund der anderen Struktur in der Regierung wird hier Neuland zu betreten sein, aber


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nehmen Sie mich als Garanten dafür, dass ich mich nach Kräften und soweit es in meiner Macht steht, bemühen werde, der Sozialpartnerschaft weiterhin zu einem Stellenwert zu verhelfen, der ihrer würdig ist. Die Sozialpartnerschaft hat zu Recht einen exzellenten Ruf in diesem Lande, die Sozialpartnerschaft bewältigt viele Aufgaben hervorragend, und die Sozialpartnerschaft soll auch weiter ein Partner der Regierung bei der Bewältigung wirtschaftlicher Interessen sein. (Beifall bei der ÖVP. – Abg. Schwemlein: Fragen Sie die Freiheitlichen, ob sie das wollen!)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich verhehle nicht, dass ich im Bereich der Verantwortung für den Arbeitsmarkt in diesem Land, für die Beschäftigung, für die Zahl der Arbeitnehmer, aber auch für die Reduktion der Arbeitslosenzahlen in diesem Lande auf ein gutes Erbe stoße. Ich bedanke mich ausdrücklich für die Leistungen, die unter der Führung von Lore Hostasch in der Vergangenheit erbracht wurden.

Es ist gut zu wissen, dass wir die Trendwende in diesem Lande geschafft haben, eine Trendwende, die mittlerweile durch alle Bevölkerungsgruppen und vor allem auch – das ist mir sehr wichtig – durch alle Altersgruppen geht, denn es geht mittlerweile auch bei den älteren Arbeitnehmern mit den Arbeitslosenzahlen bereits hinunter. Das ist gut und richtig so. In diesem Bereich möchte ich auf Kontinuität setzen, ich möchte den Nationalen Plan für Beschäftigung fortsetzen, und ich bin sicher, dass ich hier im Hohen Hause in dieser Beziehung mit Ihrer Zustimmung rechnen kann. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

Wesentliche Bereiche des Kapitels Arbeitsmarkt haben sich in ähnlicher Form auch schon in der nicht unterzeichneten Vereinbarung mit den Sozialdemokraten gefunden. Auch da, meine sehr geehrten Damen und Herren von den Sozialdemokraten, wird es so sein, dass wir Ihnen dieses Programm als Spiegel vorhalten wollen und Sie sich dessen gewärtig sein müssen, dass, wenn Sie harte Kritik an dem üben, was wir vorhaben, Sie sich dann unter Umständen in diesem Spiegel selbst wieder erkennen werden und diese Kritik dann Sie selbst trifft. Und das wollen Sie doch sicher nicht. (Abg. Dr. Mertel: Herr "Arbeitsminister", ist das schon existent?)

Frau Kollegin Mertel, ich habe schon darauf hingewiesen: Das Bundesministeriengesetz wird in seiner Neufassung dem Hohen Hause demnächst zur Entscheidung vorliegen, und dann werden wir das umgesetzt haben.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ein vorletzter Punkt: Ich freue mich darüber, dass heute unsere neue Staatssekretärin Mares Rossmann erstmals auf der Regierungsbank Platz nehmen konnte. Sie wird in meinem Hause für den Tourismus zuständig sein. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

Dieser für Österreich so wichtige Teil der Wirtschaft wird gerade in den nächsten Wochen und Monaten intensiver Betreuung bedürfen. Die neue Staatssekretärin ist eine Frau, die politische Erfahrung hat, die aber auch das Geschäft versteht und als Wirtin bereits sehr viel geschaffen hat. Sie wird ganz sicherlich auch politisch viel in dieses Tourismus-Staatssekretariat einbringen. Ich freue mich darauf, und ich hoffe, Sie freuen sich mit mir. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen. – Abg. Dr. Lichtenberger: Da wird sich die "Österreich Werbung" bedanken!)

Ein Letztes, nicht aus meiner Funktion als Wirtschaftsminister heraus, sondern als derjenige, der als scheidender Familienminister auch den Familienteil verhandeln durfte: Sehr geehrter Herr Kollege Brosz! Das, was Sie in Ihren Ausführungen berichtet haben, ist getragen von Unkenntnis – das darf ich in aller Zurückhaltung schon sagen –: nämlich Ihre Behauptung, Herr Kollege, dass die Neuregelung des Karenzgeldes für alle, des Kinderbetreuungsgeldes, nur Alleinverdienern etwas brächte. Wissen Sie, welcher Bevölkerungsgruppe das am meisten bringt? – Den Alleinerzieherinnen! (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.) Denen ist jedenfalls einmal die Möglichkeit gegeben, 24 Monate lang ihr Kind zu betreuen, dieses Kinderbetreuungsgeld zu bekommen und danach unter vernünftigen Umständen wieder arbeiten zu gehen oder, wenn es notwendig ist, natürlich auch Sondernotstandshilfe in Anspruch zu nehmen.

Es ist dies eine Kontinuität und eine Verlängerung der Möglichkeiten für Alleinerzieherinnen, die es bisher in dieser Form nicht gab. Also versteifen Sie sich nicht auf politische Klischees und


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Feindbilder. Es sind nicht die Alleinverdiener, es sind nicht die Familien, in denen beide Elternteile zur Betreuung da sind, sondern es sind zuvorderst auch die Alleinerzieherinnen, denen wir mit dieser Neuregelung des Kinderbetreuungsgeldes – ich halte das für einen familienpolitischen Quantensprung – helfen wollen und helfen werden. – Ich danke, Herr Präsident. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

19.37

Präsident Dr. Werner Fasslabend: Nächster Redner ist Herr Abgeordneter Dr. Caspar Einem. (Abg. Haigermoser: Wie wird das Match ausgehen? Schlögl oder Einem? Wer gewinnt? Ein spannendes Match! Wer gewinnt?)

19.37

Abgeordneter Dr. Caspar Einem (SPÖ): Herr Präsident! Hohes Haus! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich hätte gehofft, dass der Herr Bundeskanzler auch meine Worte entgegennimmt (Abg. Schwarzenberger: Der ist den ganzen Tag hier gesessen!), aber ich werde sie auch so zu sagen wissen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Beginnen möchte ich damit, zumindest festzustellen, dass ich mit der Einleitung, mit dem, was der Herr Bundeskanzler heute am Anfang seiner Rede gesagt hat, sehr übereinstimme. Das einzig Erstaunliche, Herr Abgeordneter Khol, ist, dass das bei Ihrem Koalitionspartner offenbar nicht so sein dürfte, sonst wäre es nicht so gewesen, dass etwa die Herren Abgeordneten Fischl und Gaugg sehr heftige Kritik an den Zuständen geäußert hätten, die der Herr Bundeskanzler als so wohltuend empfunden hat. Ich denke, Sie sollten sich noch darüber klar werden, ob das eine Regierung ist, oder ob die eine Hälfte regiert und die andere Hälfte Opposition betreibt. (Beifall bei der SPÖ sowie des Abg. Dr. Grünewald. )

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Österreich ist zum Zeitpunkt des Antretens Ihrer Regierung tatsächlich ein international anerkanntes kleines Land gewesen, das einen ganz eigenen Weg gefunden hat, sich in der Welt zu positionieren, und das einen ganz eigenen Weg gefunden hat, eine friedliche und wirtschaftlich außerordentlich erfolgreiche Entwicklung zu durchlaufen. Das verdanken wir einer Politik, die darauf geachtet hat, dass der Abstand zwischen Oben und Unten, zwischen Arm und Reich nicht immer größer wird, das verdanken wir einer Politik, die auf gesellschaftliche Integration gesetzt hat, einer Politik, bei der die Menschen sich darauf verlassen konnten, dass sie nicht an den Rand gedrängt und dort einfach vergessen werden, einer Politik für die Menschen, die den Menschen Mut gemacht hat und ihnen Geborgenheit gegeben hat.

Das war der österreichische Erfolgsweg, und dieser österreichische Erfolgsweg war überdies in früheren Jahren durch die engagierte Außenpolitik unter dem Zeichen einer aktiven Neutralitätspolitik international eingebettet und anerkannt. (Beifall bei der SPÖ sowie des Abg. Dr. Grünewald.  – Abg. Dr. Khol: Der Caspar Einem steht tief in den siebziger Jahren! Mit beiden Füßen in den siebziger Jahren!)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Hohes Haus! Das war der Weg unter sozialdemokratisch geführten Regierungen. Aber nun, meine sehr geehrten Damen und Herren von der Bundesregierung, wollen Sie – ÖVP und FPÖ offenbar gemeinsam – alles ändern. Sie sind noch keine Woche im Amt und stehen vor einem Scherbenhaufen der Außenpolitik. (Abg. Dr. Khol: Wo ist der Herr Klima? Wo ist der Alt-Bundeskanzler Klima?)

Sie sind noch keine Woche im Amt und müssen sich von Ihrem Parteifreund Worm – heute in "NEWS" – vorhalten lassen, dass die ÖVP, die ehemalige Wirtschaftspartei, vor einem Scherbenhaufen der Wirtschaftspolitik steht. (Beifall bei der SPÖ sowie des Abg. Dr. Van der Bellen. ) Sie sind noch keine Woche im Amt, und wir lernen bereits Ihr Verständnis von "Parlamentarismus durch die Mehrheit" kennen. Auch das ist eine interessante Wahrnehmung. (Abg. Haigermoser: Da lachen ja die Hühner! – Abg. Mag. Firlinger: Das ist rechtskonservativ!)

Nach Ihren Worten, nach den Worten des Herrn Bundeskanzlers allerdings hätte sogar ich fast glauben können, dass wir auf dem besten Weg ins Paradies sind. (Abg. Haigermoser: Das haben Sie um 10 S verschleudert!) Nur kann ich Ihren Engelsworten keinen Glauben schenken,


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dafür waren die Worte ein bisschen zu glatt. Und: Ich habe den Koalitionspakt gelesen, bevor ich die Worte von der Regierungsbank aus gehört habe, und diese Koalitionsvereinbarung zeigt sehr deutlich, dass Sie drauf und dran sind, die wesentlichsten Punkte der österreichischen Erfolgsgeschichte aus den Angeln zu heben. Und Sie nennen das neues Regieren! (Beifall bei der SPÖ sowie des Abg. Dr. Grünewald. )

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Hohes Haus! Sie planen die massivste Umverteilung in der österreichischen Geschichte von Unten nach Oben, von den Armen zu den Reichen, indem Sie direkt den Arbeitenden, den künftigen Pensionisten und zum Teil auch den jetzt schon in Pension befindlichen Menschen das Geld aus der Tasche nehmen, um es an die Unternehmer weiterzugeben! (Abg. Dr. Khol: Das ist ja nicht wahr! – Abg. Schwarzenberger: Sie sollten lesen können!) Sie wollen die Armen wieder ärmer und die Reichen noch reicher machen. Und das nennen Sie die neue Art des Regierens! Herzlichen Glückwunsch, meinen Damen und Herren von der ÖVP! (Beifall bei der SPÖ und den Grünen.)

Sie behaupten in Ihrer Regierungserklärung von der Regierungsbank aus, dass Sie wollen, das die Mieten und der Strompreis sinken, heben aber die Mieten im Altbau massiv an und verteuern den Strom sofort um 10 Groschen pro Kilowattstunde, was jeden österreichischen Haushalt ein paar hundert Schilling im Jahr kosten wird.

Sie bauen den Arbeitnehmerschutz ab, damit es die Unternehmer nicht so schwer haben, wie es so schön in Ihrer Koalitionsvereinbarung auf Seite 20 heißt. Sie verschärfen die Lage für die Menschen, die auf Grund von Firmenzusammenbrüchen oder auf Grund des Strukturwandels in der sich rasant ändernden wirtschaftlichen Umwelt ihre Arbeit verloren haben, dramatisch. Und das nennen Sie soziale Gerechtigkeit!

Sie schaffen die Möglichkeit, Selbstbehalte von bis zu 20 Prozent bei der Krankenversicherung einzuführen. (Zwischenrufe bei der ÖVP.) Das kann kranke und vor allem ältere Menschen wirtschaftlich ruinieren! Und das nennen Sie die neue Art des Regierens! (Beifall bei der SPÖ und den Grünen. – Zwischenrufe bei der ÖVP.)

Meine Damen und Herren Minister auf der Regierungsbank! Es ist offenbar damit noch nicht genug. Sie loben zwar die Solidarität in Österreich, aber Sie machen sich daran, deren Grundlagen zu zerschlagen. Sie wollen, dass die Beschäftigten sich nicht mehr auf die gemeinsame Basis von Gewerkschaften stützen können. Die Unternehmer werden es Ihnen danken. Die Frage ist bloß, ob Sie je an die Beschäftigten gedacht haben! Sie wollen die gesetzlichen Interessenvertretungen aus der politischen Mitwirkung ausschalten und sie zu gesetzlichen Beratungs- und Service-Ämtern umgestalten, und Sie denken offenbar, dass wenigstens diese Interessenvertretungen den Arbeitnehmern etwas Geld geben sollen, wenn schon Sie ihnen das Geld aus der Tasche nehmen. – Eine "feine" Politik haben Sie da vereinbart und ins Auge gefasst! (Beifall bei der SPÖ sowie des Abg. Dr. Grünewald. )

Meine Herren und Damen von der Bundesregierung! Der Schaden, den Sie in der Außenpolitik schon angerichtet haben, ist groß. (Abg. Dr. Fekter: Wer hat ihn angerichtet?) Aber Sie wollen auch da noch weitergehen und den erfolgreichen Weg Österreichs zu Gunsten der Nato-Mitgliedschaft verlassen. Können Sie mir ein einziges Beispiel in der Geschichte sagen, bei denen die Menschen in diesem Lande einen Vorteil davon gehabt haben, wenn sie einem großen Militärblock angehört haben? Wann war das ein Vorteil für Österreich und die Menschen, die in diesem Land leben? In der Monarchie? Im "Dritten Reich"? Wissen Sie sonst noch ein Beispiel, wo das toll war? – Aber Sie wollen dorthin!

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Sozialdemokraten haben sehr bewusst keinen Pakt mit der FPÖ angestrebt (Abg. Neudeck: Sie haben es versucht!) und keinen Pakt mit der FPÖ geschlossen, weil wir mit menschenverachtender Politik nichts zu tun haben wollen. (Beifall bei der SPÖ sowie des Abg. Dr. Grünewald. )

Die SPÖ war bereit – ich gebe das schon zu, Herr Nicht-mehr-da-Minister Bartenstein –, in den Verhandlungen mit Ihnen, der ÖVP, bis an die Grenze der Selbstaufgabe zu gehen, um zu verhindern, dass diese Politik auch noch von der Regierungsbank aus gemacht werden kann,


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und wir haben nun auf den Oppositionsbänken Platz genommen. Wir werden, das können wir Ihnen versprechen, eine sehr engagierte Oppositionspolitik machen (Abg. Wattaul: Klassenkampf!), und wir werden aufzeigen, welche Alternativen es zu Ihrer Politik gibt: bessere Alternativen im Interesse der Menschen. (Beifall bei der SPÖ.)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Letztlich auch liebe Österreicherinnen und Österreicher! Der durch den Regierungsbeitritt der FPÖ bereits eingetretene außenpolitische Schaden ist aber ein "Lercherl" gegenüber dem Schaden, den diese Regierung im Inland anrichten will. Meine Herren von der Regierungsbank! Meine Damen von der Regierungsbank! Sie wissen, wie es scheint – jedenfalls ist das aus der Regierungserklärung des Herrn Bundeskanzlers hervorgegangen –, was den Erfolg Österreichs ausgemacht hat. Aber Sie gehen nun sehenden Auges daran, die Gesellschaft zu zerreißen! Sie wissen, dass der Konsens, der die Zweite Republik bisher ausgezeichnet hat, auch ein Konsens auf der Basis der Organisationen, die sich die Menschen geschaffen haben, gewesen ist. – Und Sie schicken sich an, diese Institutionen zu ruinieren!

Werte Minister und Ministerinnen! Wir Sozialdemokraten werden dieser Politik Ihrer Regierung mit allen demokratischen Mitteln entgegentreten, weil sie den gesellschaftlichen Frieden und damit auch den Wohlstand und die wirtschaftliche Entwicklung dieses Landes gefährdet. Und wir werden denen, die den Preis dieses Abenteuers zahlen müssen, zur Seite stehen und für ihre Interessen kämpfen. (Lang anhaltender Beifall bei der SPÖ.)

19.48

Präsident Dr. Werner Fasslabend: Nächster Redner ist Herr Abgeordneter Dr. Martin Graf. – Bitte.

19.48

Abgeordneter Dr. Martin Graf (Freiheitliche): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Bundesregierung! Sehr geehrte Minister! Hohes Haus! Ich bin sehr froh darüber, dass diese heutige Debatte in voller Länge auch im österreichischen Fernsehen übertragen wurde, und ich glaube, die österreichische Bevölkerung hat sich sehr wohl ein Bild machen können, wo wirklich konsensbereite Kräfte sitzen und wo nicht. (Abg. Edlinger: Davon bin ich überzeugt! – Weitere Zwischenrufe bei der SPÖ.) Ich bin auch sehr froh, dass man einige der Redner aus dem sozialistischen Lager demaskiert vorgefunden hat. (Abg. Dr. Mertel: Ja, ja!)

Damit meine ich nicht den Kollegen Einem. Herr Kollege Einem ist uns ja bekannt, und er hat immer so agiert, wie er heute agiert hat. Vom Kollegen Schlögl bin ich etwas enttäuscht. (Abg. Edlinger: Gott sei Dank! – Weitere Zwischenrufe bei der SPÖ.) Aber es ist wohl ein Rittern um den Parteivorsitz, und es ist offensichtlich wirklich so, dass dann, wenn eine politische Partei den führenden Kopf verliert – in diesem Fall den Parteivorsitzenden, weil er nicht mehr willens oder nicht mehr in der Lage ist, einer politischen Debatte zu folgen –, die Graben- und Grubenkämpfe aufbrechen und dann natürlich einer den anderen in den jeweiligen Lagern zu überholen versucht. Das hat man heute deutlich gesehen. (Ironische Heiterkeit bei der SPÖ.)

Ich möchte mich hier nicht verschweigen. Wenn Kollege Einem vom "Scherbenhaufen" der politischen Tätigkeit gesprochen und die wesentlichen Punkte der österreichischen "Erfolgsgeschichte" angesprochen hat, dann kann man einige Punkte daraus – der letzten Jahre natürlich – zitieren. Für die einen ist es ein Erfolg, für Sie, die Sozialdemokraten und Sozialisten, ist es offensichtlich kein Erfolg gewesen. Ich spreche da nur einige "Erfolgskapitel" des Staatsmanagements an: "Konsum", Waagner Biró, "VorwärtsVerlag", "Arbeiter-Zeitung", Verstaatlichte Industrie – eine "Erfolgsstory" der Sozialistischen Partei in den letzten zehn bis 15 Jahren. (Beifall bei den Freiheitlichen. – Abg. Schwemlein: Sie haben auch einen Erfolg! – Abg. Dr. Mertel: FPÖ-Niederösterreich, Wohnungsgenossenschaft! – Abg. Edlinger: Rosenstingl!)

Aber wir brauchen gar nicht so weit zurückzugehen. Wir brauchen uns nur einmal anzuschauen, wer die Staatslenker der letzten Jahre gewesen sind. (Abg. Edlinger: Rosenstingl! – Abg. Dr. Mertel: Rosenstingl!) Schauen wir uns doch ganz einfach einmal die Erfolgsgeschichte der


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politischen Tätigkeit des Bundesministers Caspar Einem an. (Abg. Edlinger: Rosenstingl ist gescheitert!)

Schauen wir sie uns einmal ganz, ganz genau an und ziehen wir kurz Bilanz: Eingestiegen als Beamtenstaatssekretär. Hohes Ansehen hat er versucht zu erringen, als er ein Bundesangestelltengesetz einbringen wollte. – Er ist daran gescheitert. Aber statt dass man gescheiterte Politiker wieder dorthin zurückschickt, woher sie gekommen sind, ist er die Karriereleiter hinaufgefallen. Er ist Bundesminister für Inneres geworden und daran ebenfalls gescheitert. Letztendlich hat er ein ganzes politisches Ressort, nämlich das innenpolitische Ressort, in seiner gesamten Tätigkeit instrumentalisiert gegen eine politische Partei, gegen einen Mitbewerber, gegen die Freiheitliche Partei. Kollege Einem, Sie sind daran gescheitert und letztendlich auch aus diesem Amt weggelobt worden. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Sie sind Bundesminister für Wissenschaft geworden und ebenfalls gescheitert. Schon in den ersten Tagen haben Sie sich sowohl geistig als auch körperlich von dort verabschiedet und sind wieder ausgezogen. Was ist übrig geblieben? – Die Spitzelpolitik in der Universität. Damit werden Sie in die Geschichte eingehen. Sie sind auch damit gescheitert.

Als Bundesminister für Verkehr ist Ihnen überhaupt eine einmalige Leistung gelungen. Sie sind der erste Bundesminister der Zweiten Republik gewesen – ich habe nachgesehen, und Sie werden mir da Recht geben, Frau Kollegin Mertel (Abg. Dr. Mertel: Wieso? Brauchen Sie meine Zustimmung?)  –, der eine Regierungsvorlage nicht durchgebracht hat, nämlich die Vorlage betreffend die 0,5-Promille-Grenze. Auch damit sind Sie gescheitert. Das Einzige, was Sie in diesem Amt verfolgt haben, war letztendlich, die Baulobby bei der Durchsetzung des Semmering-Basistunnels zu befriedigen. Und daran werden Sie auch noch scheitern – im Nachhinein.

Nun schicken Sie sich an, SPÖ-Vorsitzender zu werden. Angesichts Ihrer politischen Erfolgsbilanz kann ich nur sagen: Gute Nacht, SPÖ! Sie werden wahrscheinlich auch daran scheitern. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Wenn Sie den innen- und außenpolitischen Scherbenhaufen ansprechen, Herr Kollege Einem, dann erwarte ich mir, dass auch Mitglieder dieses Hohen Hauses, von den Sozialisten und auch von den Grünen, einmal hier herausgehen und sich von derartigen Hetzen distanzieren. Es ist nämlich einmalig in der Zweiten Republik, dass in Interviews in ausländischen und inländischen Medien zum Mord an einem Politiker dieses Landes aufgerufen werden kann. (Rufe bei der SPÖ: Wer sagt das?)

Ich zitiere: "Ich glaube, man müsste Haider erschießen." (Neuerliche Rufe bei der SPÖ: Wer sagt so etwas?)  – Der Kabarettist Grissemann, hier in dieser Zeitung. (Der Redner hält eine Zeitung in die Höhe. – Rufe bei der SPÖ: Grissemann ist ein freiheitlicher Bundesrat! – Abg. Dr. Mertel: Grissemann ist ein FPÖler! – Abg. Haigermoser  – in Richtung SPÖ –: Also Ihnen macht das nichts aus!)

Was sagen Sie dazu? "‚Irgendjemand, der nur noch zwei Monate zu leben hat‘, sagt der Kabarettist und ORF-Blödler Christoph Grissemann in einem Interview ..." (Abg. Edlinger: Können Sie uns sagen, was das mit uns zu tun hat?!)  – Bitte, ein bisschen Ernst in dieser Sache wäre angebracht. "Und den ‚Österreicher an sich‘ hält Grissemann für ein ‚irrsinniges‘" – und jetzt zitiere ich ihn nicht, ich nenne nur den ersten Buchstaben – "‚A...‘"

Ich sage Ihnen: Wenn es so weit ist, dass die Österreich-Beschimpfung zur Tradition wird, dann ist an sich wirklich Feuer am Dach, dann müssen alle politischen Kräfte zusammenhalten, damit das in Österreich nicht passieren kann.

Die Berliner "taz" schreibt: "Man kann über Haider reden, mit Haider redet man nicht – es sei denn, man will ihm nützen. Der einzige Tisch, an den man sich mit Haider sehen lassen kann, ist der Obduktionstisch, auf dem er liegt."


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Ich halte das wirklich für das Verwerflichste, was ich in meinem politischen Leben je erlebt habe: dass man einen politischen Mitbewerber im In- und im Ausland zum Freiwild erklärt! (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Ich glaube, es ist hoch an der Zeit, dass sich alle politischen Kräfte von derartigen Aufrufen zur Gewalt distanzieren, auch in ihren Sektionen. Wir konnten es in der "Presse" lesen. Auch dort denkt man bereits manchmal daran, zur Waffe zu greifen, um die politische Auseinandersetzung zu führen. (Abg. Reitsamer: Na bravo! Jetzt wissen wir es!)  – Sie sagen: Bravo!? Ich hoffe, das wird in Österreich nicht Einzug halten. Wir alle sind dazu aufgerufen, uns von derartigen Maßnahmen und Aktionen zu distanzieren. (Beifall bei den Freiheitlichen. – Abg. Dr. Mertel: Lassen Sie uns das lesen! – Abg. Schwemlein: Kein Wunder! – Abg. Haigermoser: Was ist kein Wunder? – Weitere Zwischenrufe von Abgeordneten der SPÖ und der Freiheitlichen.)

19.55

Präsident Dr. Werner Fasslabend: Nächste Rednerin ist Frau Abgeordnete Dr. Moser. – Bitte.

19.56

Abgeordnete Dr. Gabriela Moser (Grüne): Sehr geehrter Herr Präsident! – Ah, die Regierungsbank ist nicht ganz leer, die Herrschaften sind nur zusammengerückt. (Abg. Dipl.-Ing. Schöggl: Drei Regierungsmitglieder!)  – Sehr geehrte Herren Minister! Meine Damen und Herren! Ich bin Herrn Kollegen Graf sehr dankbar für seine Ausführungen, denn er dokumentiert damit, er stellt damit einfach die Realität unter Beweis, die da heißt: Die FPÖ ist die FPÖ! Punkt, aus, Amen! So ist sie halt, es nützt nichts. (Beifall bei den Grünen.)

Diese wirklich herzenskräftige, diese wirklich authentische, diese wirklich, man kann sagen, mit Bein und Stein auf das alte Programm und auf den alten Stil verschworene "F", die ist halt Realität, schlicht und einfach Realität. – Jetzt sitzt kein ÖVP-Minister mehr auf der Regierungsbank. (Rufe bei den Freiheitlichen: Auf die andere Seite schauen!)  – Minister, habe ich gesagt.

Das einzig redliche, das einzig lautere Motiv, das ich der ÖVP unterstellen kann (Abg. Dipl.-Ing. Schöggl: Sie "mosern" heute wieder!), dass sie überhaupt in die Regierung mit einer "F" gegangen ist, ist – ich möchte das ganz deeskalierend, ganz sachlich sagen – das Motiv, dass sie Haider entzaubern will, dass sie die "F" läutern will, dass sie die Freiheitlichen einer Bewährungsprobe unterziehen will.

Aber hören Sie sich das an! Schauen Sie sich das an! Herr Kollege Graf geht auf Menschenjagd, er jagt Herrn Dr. Einem und jagt teilweise Leute, deren Namen er nicht einmal nennt. Zitieren bitte gerne, aber Sie sollten mir schon sagen, woraus Sie zitieren und wer gemeint ist und so weiter. (Abg. Dr. Martin Graf: "Neues Volksblatt"! – Abg. Edlinger: Das ist eine ÖVP-Zeitung, oder?) Das wäre ein durchaus korrekter neuer Stil. Aber Sie verharren halt im alten Stil, und insofern, glaube ich, ist die Hoffnung der ÖVP auf den Läuterungsprozess wirklich vergeblich.

Wir haben heute eine Nagelprobe nach der anderen gehört. Es waren viele Redner von dieser Seite am Wort, die zum Eskalieren beitrugen, es waren viele Redner von der anderen Seite am Wort, die auch etwas eskaliert haben, aber immer wieder den Ton zurückgenommen haben, und zu denen möchte auch ich gehören. Deshalb gehe ich noch einmal auf einen sachlichen Dialog ein, auf einen Dialog, der angesichts der Abwesenheit des Herrn Landwirtschaftsministers leider zum Monolog zu werden droht.

Er hat gemeint, wir sollten auch als Opposition eine konstruktive Politik betreiben und mit ihm ins Gespräch kommen. Gerne, Herr nicht anwesender Landwirtschaftsminister! (Abg. Schwarzböck: Ich richte es ihm aus!)  – Vielleicht kann Herr Kollege Schwarzböck das übernehmen.

Wenn es da heißt, die Errungenschaft, gerade die umweltpolitische Errungenschaft des Herrn Ministers Molterer liege darin, dass er das Prinzip der Nachhaltigkeit europaweit in der Landwirtschaft salonfähig und gängig gemacht hat, dann muss ich gleichzeitig darauf hinweisen, dass erst kürzlich, nämlich am 31. Jänner, die EU ein rügendes Fax geschickt hat – die europäische Nitrat-Richtlinie wurde nicht eingehalten! – und darauf hingewiesen hat, dass das


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Aktionsprogramm zum Schutz des Grundwassers in Österreich in dieser Form, wie es in der "Wiener Zeitung" veröffentlicht wurde, rechtlich nicht korrekt ist.

Die EU verlangt von uns, dass wir diesen Aktionsplan auf Gesetzesebene verankern, dass wir ihn in das Wasserrecht integrieren. – Das geschah nicht. Wir wurden gerügt. Der wunderbare Nachhaltigkeitsansatz des Herrn Ministers Molterer entlarvt sich leider auch selbst. Er ist nicht sachdienlich, nicht zweckdienlich. Wir wissen, auch der Aktionsplan selbst greift viel, viel zu kurz.

Es ist nämlich eine Tatsache – auch eine sachliche Feststellung, auch in Ihre Richtung, auf die ich dann noch einmal zurückkommen werde –, dass allein in Oberösterreich 66 000 Menschen Trinkwasser haben, das belastet ist, dass in Niederösterreich 134 000 Menschen Trinkwasser haben, das belastet und für Kleinkinder gesundheitsgefährdend ist. Das ist das Resultat unserer so genannten nachhaltigen Landwirtschaftspolitik! – Das stelle ich als sachliche, seriöse Kritik hier in den Raum.

Nun die sachlich seriöse Kritik in Ihre Richtung. Sie sind doch in die Wahl gezogen, immer wieder als Sprachrohr des "kleinen" Mannes – ich sage jetzt vorsichtshalber vielleicht auch der "kleinen" Frau, weil man ja höflich ist –, und haben immer wieder auch Bürgerinitiativen vertreten, haben immer wieder versucht, dafür zu sorgen, dass Initiativen mehr Rückhalt und mehr Gehör finden. Und was liest man jetzt in der Regierungserklärung? Was liest man im Koalitionsübereinkommen? – Gewisse Möglichkeiten im Petitionsausschuss sollen verbessert werden, gewisse Rücksichten sollen dann genommen werden können, auch auf Anliegen von Bürgerinitiativen. Aber dort, wo es um die Substanz geht, nämlich in der Gewerbeordnung oder im Betriebsanlagengesetz, heißt es: Wir wollen beschleunigen, wir wollen vereinfachen! Bei der UVP verwendet man, glaube ich, ungefähr folgende Terminologie: Wir wollen entschlacken oder entspannen oder auf jeden Fall abspecken.

Sie haben mit diesem Regierungsübereinkommen eine Säule von Bürgerinitiativen-Rechten, einen wesentlichen Grundstein von Bürgerinitiativen-Rechten, nämlich das, was sie an Parteistellung in der UVP haben, bereits aufs Abstellgleis geschoben. Sie haben angekündigt, dass die UVP sehr wohl durch Abspecken, durch Entschlacken und so weiter vereinfacht wird. Das wird in die Richtung gehen, dass BürgerInnenrechte beschnitten werden. Ich bin neugierig! Der Zahltag ist ja spätestens im Jahr 2003. Ich bin neugierig darauf, wie Sie als Partei des "kleinen" Mannes oder der "kleinen" Frau dann diese anlagenorientierte, diese wirtschaftsorientierte Politik vertreten werden. Das wird eine wichtige Nagelprobe werden! Ich bin neugierig darauf, ob Sie diese dann so gut bestehen werden wie heute Herr Kollege Graf jene im Hinblick auf Stil, Seriosität und Deeskalation. – Danke. (Beifall bei den Grünen.)

20.02

Präsident Dr. Werner Fasslabend: Nächster Redner ist Herr Abgeordneter Schwarzenberger. – Bitte.

20.02

Abgeordneter Georg Schwarzenberger (ÖVP): Herr Präsident! Meine sehr geschätzten Herren Bundesminister! Herr Staatssekretär! Meine sehr geschätzten Damen und Herren! Frau Abgeordnete Moser, Molterer ist in Europa bekannt als der Landwirtschaftsminister, der die österreichische Landwirtschaft sozusagen zur umweltfreundlichsten Landwirtschaft aller EU-Länder gemacht hat. Wir sind in der EU die Europameister. Zumindest die Hälfte der Fläche der europäischen Biobauern liegt in Österreicher. Daran sieht man, dass Molterer einen wesentlichen Schwerpunkt in diese Richtung gesetzt hat. (Beifall bei der ÖVP. – Abg. Dr. Lichtenberger: Aber nicht mehr lange! Alle geben auf!)

Wir sind auch das einzige der 15 EU-Länder, in dem das ÖPUL-Programm, ein Umweltprogramm, flächendeckend angeboten wird. Das ist auch unsere Devise: Vorsorge ist besser, als nachträglich heilen! Wir versuchen durch dieses Umweltprogramm, schon vorsorglich für Grundwasserschutz einzutreten, damit es zu keinen Beschädigungen in größerem Ausmaß kommt. Aus dem Gewässerschutz-Bericht, den wir in der vergangenen Woche im Landwirtschaftsausschuss behandelt haben, geht hervor, dass im Bundesland Wien die größten Verschlechterun


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gen zu verzeichnen waren. Ich freue mich darüber, dass im Bundesland Salzburg die größten Verbesserungen in diesem Bereich zu verzeichnen waren, zumindest für den Zeitraum, den der Gewässerschutz-Bericht umfasst.

Meine sehr geschätzten Damen und Herren! Ich habe nun bereits die sechste Regierungserklärung hier miterlebt und muss feststellen: So schnell wie diesmal, nämlich innerhalb einer Woche, haben sich Minister bisher noch nie zu Fundamental-Oppositionellen entwickelt! Klima zog es überhaupt vor, dem Parlament fernzubleiben. Wir haben heute allerdings schon vier Klima-Nachfolger gehört: Klubobmann Kostelka, den ehemaligen Minister Schlögl, den ehemaligen Minister Edlinger und den ehemaligen Minister Einem. Ich muss aber sagen: Der Seriöseste von allen war noch Exfinanzminister Edlinger. (Abg. Schwemlein: Deine Liste ist unvollständig! Ministerin Prammer gehört auch dazu!) – Aber sie wird nicht als kommende Parteivorsitzende gesehen, als Kronprinzessin. (Abg. Dr. Mertel: Wieso nicht? Das ist aber diskriminierend!)

Meine geschätzten Damen und Herren! Noch nie hat es, noch bevor der Regierung die Möglichkeit gegeben wurde, sich dem Parlament zu präsentieren, einen Misstrauensantrag gegeben. Es war noch nie der Fall, dass am Tag der Debatte über die Regierungserklärung eine Dringliche Anfrage eingebracht wurde, da man ja in dieser Debatte ohnehin sämtliche Themen diskutieren kann.

Ich halte die Worte des ehemaligen Finanzministers Edlinger insofern für richtig, als er zu Beginn seines Debattenbeitrages erklärte: Die Struktur des Regierungsübereinkommens ist klug. Ich glaubte, die Volkspartei wollte ehrlich mit uns verhandeln. – Wir haben wirklich ehrlich verhandelt. (Zwischenrufe bei der SPÖ.)

In der Bundesparteivorstandssitzung am 18. Jänner haben 23 Mitglieder dieses Programm akzeptiert, und es gab nur 4 Gegenstimmen. Es hat damals geheißen, auch das Präsidium der SPÖ hätte diesem Programm einstimmig zugestimmt. Wir waren deshalb schon etwas verwundert, als es einige Tage später hieß, im Parteivorstand sei keine Mehrheit zu finden und aus diesem Grund habe Klima die Regierungsverhandlungen abgebrochen.

Herr Exfinanzminister! Etwas war nicht ganz in Ordnung: Sie haben den Vergleich mit der Wurst, die in 2 Minuten vom Hund gefressen wurde, gezogen. (Abg. Edlinger: Nicht einmal 2 Minuten!) Ich muss schon daran erinnern: In den 55 Jahren der Zweiten Republik gab es 25 Jahre lang ÖVP-Finanzminister. In diesen 25 Jahren der Aufbauphase war ein Schuldenstand von insgesamt 45 Milliarden Schilling entstanden. In den 30 Jahren mit SPÖ-Finanzministern ist ein Schuldenstand von 1 600 Milliarden Schilling entstanden. Also da besteht schon ein eklatanter Unterschied! (Beifall bei der ÖVP sowie bei Abgeordneten der Freiheitlichen. – Abg. Schwemlein: Der Vergleich ist doch nicht seriös!)

Deshalb kann man fast sagen: So wie der Hund auf die Wurst aufpassen kann, so haben die SPÖ-Finanzminister auf das österreichische Budget aufgepasst!

Meine sehr geschätzten Damen und Herren! Noch ein Weiteres. In der Diskussion hat der ehemalige Minister Schlögl beklagt, dass während einer Parlamentssitzung Vorsichtsmaßnahmen wie eine Bannmeile getroffen werden müssen. Ich muss schon sagen: Er soll nachfragen, wer immer wieder zu Demonstrationen aufruft.

Ich habe hier ein Fax von der Fraktion Sozialistischer Gewerkschafter: Liebe Genossinnen und Genossen! ... bis zum 18. Feber für Demonstrationen bereit zu sein. Unterschrift: Nationalrat Pendl Otto. (Abg. Schwemlein: Und wie war das, wie du mit deinen Bauern marschiert bist? – Abg. Edlinger: Da ist keiner marschiert! Die Knechte sind auf den Traktoren gesessen und die Bauern mit dem Mercedes gefahren!)  – Dass Nationalratsabgeordnete der SPÖ die Gewerkschafter dazu aufrufen, während der Plenarsitzungen zu demonstrieren, und dann beklagen, dass demonstriert wird, zeugt schon von einer großen Doppelbödigkeit! (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)


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Meine sehr geschätzten Damen und Herren! Ich werde mich nun dem Regierungsprogramm zuwenden. "Österreich neu regieren" ist das Motto der neuen Bundesregierung. Die neue Bundesregierung mit Bundeskanzler Wolfgang Schüssel bekennt sich ausdrücklich – so steht es auch drinnen – zu einer bäuerlich strukturierten, flächendeckenden Landwirtschaft in Österreich. Diesem Ziel tragen auch die Maßnahmen im Regierungsprogramm Rechnung. Die Landwirtschaft sichert im vor- und nachgelagerten Bereich immerhin 660 000 Arbeitsplätze in Österreich. Das sind 20 Prozent aller Arbeitsplätze in Österreich. Deshalb soll man auch diesem Sektor den entsprechenden Wert beimessen. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

Die Sicherung dieser Arbeitsplätze ist natürlich auch für uns hier im Hohen Hause vorrangiges Ziel. In erster Linie geht es um die Umsetzung der "Agenda 2000". Hier ist die ländliche Entwicklung in Österreich integriert. Wir haben also Chancen, die wir nützen sollten. Ich konnte mit Freude feststellen, dass 10 Prozent der Mittel für die integrierte ländliche Entwicklung, die die EU in den nächsten sieben Jahren zur Verfügung stellen kann, für Österreich reserviert sind. Wir können dort jährlich 5,8 Milliarden Schilling abholen, wenn wir dem die nötige Kofinanzierung gegenüberstellen. Diese Kofinanzierung ist laut dem jetzigen Regierungsübereinkommen gesichert. (Abg. Edlinger: Das war vorher auch schon!)  – Ja, das gebe ich zu, auch nach dem Übereinkommen mit der SPÖ war diese Finanzierung gesichert. Es war allerdings mit der SPÖ nicht möglich, gleiche Wettbewerbsvoraussetzungen bei den Betriebsmitteln mit den anderen 14 EU-Ländern herbeizuführen. Das war erst in den Verhandlungen mit der FPÖ möglich. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

Jeder Schilling, der von der EU oder von Österreich an die Bauern geht, fließt in mehrfacher Weise sofort wieder in Investitionen. Die Landwirtschaft hat in den letzten Jahren jährlich um die 30 Milliarden Schilling investiert. Das ist wesentlich mehr, als alle EU-Förderungen und Förderungen des Bundes und der Länder zusammen ausmachen. Damit sind sehr viele Arbeitsplätze im ländlichen Raum gesichert worden.

Etwas war auch noch möglich in den Verhandlungen mit der FPÖ: dass wir die eklatanten Benachteiligungen, die die Landwirtschaft immer wieder im Sozialbereich hinnehmen musste, etwa beim fiktiven Ausgedinge, wo es wirklich die Ärmsten der Armen trifft, bereinigen. Mit der SPÖ war es nicht möglich, eine Verbesserung zu erreichen, die FPÖ aber war bereit, das mitzutragen. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

Auch in jenen Bereichen der Landwirtschaft, in denen es sehr eklatante Unterschiede gab, etwa beim Berufsschutz, konnten wir eine Gleichstellung mit anderen Berufsgruppen herbeiführen.

Ich möchte noch sagen: Je mehr Wirbel ihr im Parlament verursacht, je mehr davon im Fernsehen übertragen wird, umso mehr wird die Bevölkerung in uns den stabilen Faktor dieser Republik sehen.

Präsident Dr. Werner Fasslabend: Herr Abgeordneter! Die Redezeit wäre zu Ende. – Bitte.

Abgeordneter Georg Schwarzenberger (fortsetzend): Im heutigen "NEWS" steht: Wen wollen Sie am liebsten als Kanzler? – Bereits 28 Prozent wollen Schüssel, nur 17 Prozent Klima, und die anderen liegen wesentlich dahinter. Das heißt, dass die Bevölkerung bereits reagiert.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Damit komme ich zum Schluss. Ich bin der Auffassung: Mit diesem Programm, das wir gemeinsam mit der FPÖ vereinbaren konnten, werden auch die Rahmenbedingungen für die Landwirtschaft in Zukunft so sein, dass alle Bauern bleiben können, die Bauern bleiben wollen. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

20.14

Präsident Dr. Werner Fasslabend: Zu Wort gemeldet hat sich der neue Bundesminister für Justiz Dr. Michael Krüger. – Bitte, Herr Bundesminister.

20.14

Bundesminister für Justiz Dr. Michael Krüger: Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Nachdem ich jetzt mit Freude vernommen habe, in welch umfassender Form sich


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Kollege Schwarzenberger mit meiner Kollegin Anna Elisabeth Aumayr geeinigt hat, nachdem ich die Bewertungen oder – wie man jetzt modern sagt – die Evaluierung der Jungfernreden ehemaliger SPÖ-Regierungsmitglieder, ebenfalls durch Kollegen Schwarzenberger, erfahren habe, dürfen wir uns in aller Ruhe dem Justizkapitel zuwenden.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wolfgang Schüssel hat heute in der Regierungserklärung gesagt: Neu regieren heißt, größtmögliche Sicherheit schaffen. – Ich habe als Abgeordneter wiederholt davon gesprochen, dass das Fundament unseres Rechtsstaates eine funktionierende Gerichtsbarkeit ist. Ein weiteres Fundament unseres Rechtsstaates ist das Vertrauen in den Rechtsfrieden. Dieser Rechtsfriede ist nur dann gewahrt, wenn größtmögliche Sicherheit besteht. Größtmögliche Sicherheit besteht aber nur dann, wenn auch entsprechende Strafen angedroht, verhängt und vollzogen werden.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Freiheitlichen Partei ist wiederholt zum Vorwurf gemacht worden, dass sie eine Politik des Law-and-order vertritt. Die Österreichische Volkspartei hat in diesem Zusammenhang des Öfteren von "zero tolerance" gesprochen. Ich darf meine Kolleginnen und Kollegen von der Sozialdemokratie, meine Abgeordnetenkollegen – morgen lege ich mein Mandat zurück –, daran erinnern, dass es nicht nur eine freiheitliche Forderung und auch eine ÖVP-Forderung ist, sich dem Law-and-order verpflichtet zu sehen, sondern auch eine alte sozialdemokratische Forderung. Hat doch Ihr Tony Blair in England die Wahlen auch – aber ich glaube sogar: vor allem – mit dem Grundsatz "Law and order is a labour issue!" gewonnen. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Im Bereich der inneren Sicherheit legen wir den Schwerpunkt, sagte der Bundeskanzler, auf die Bekämpfung der organisierten Kriminalität, der Drogenkriminalität und des Schlepper-Unwesens. Die Drogenkriminalität bereitet uns in der Tat, meine sehr geehrten Damen und Herren, große Sorgen. Wenn man etwa im "Kurier" nachlesen kann, dass der Straßenhandel in der Drogenkriminalität vorwiegend von der nigerianischen Drogenmafia beherrscht wird, dann muss uns das Sorge bereiten und dann müssen wir Abhilfe schaffen. Aber: Wir müssen auch jenen schwarzen Mitbürgerinnen und Mitbürgern in diesem Land, die sich dem Rechtsstaat verpflichtet sehen, das Gefühl geben, dass wir auf ihrer Seite stehen, wenn diese durch Verallgemeinerung gegen die schwarze Drogenmafia verunglimpft werden. (Beifall bei den Freiheitlichen sowie bei Abgeordneten der ÖVP. – Abg. Haidlmayr: Sagen Sie das der Frau Pablé!)

Das Thema der Drogenkriminalität bringt mich zur Diversion. Mich hat schon in der Diskussion in der vergangenen Legislaturperiode gewundert, wie man sehr schwerwiegende Delikte der Drogenkriminalität diversionsfähig gestaltet hat. Beispielsweise ist mir unerklärlich, wieso der gewerbliche Handel mit Drogen unter der so genannten Grenzmenge diversionsfähig sein soll.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das ist nicht verständlich. Es ist nicht verständlich, wieso Menschen, die aus Habgier andere, vor allem junge Menschen verführen, abhängig machen, an die Nadel bringen, nur deshalb, weil sie zufällig eine geringe Rauschgiftmenge bei sich haben, in die Diversion fallen und unter Umständen straflos bleiben können. Da, meine Damen und Herren, gilt es anzusetzen! (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Frau Kollegin Fekter hat schon das gemeinsame Programm teilweise referiert, was die Diversion anlangt. Ich glaube, hier können wir uns durchaus mit den sozialdemokratischen Vorstellungen zumindest des sozialdemokratischen Justizsprechers Hannes Jarolim treffen, der in der gesamten Debatte über die Diversion irrtümlich immer wieder gesagt hat, die Diversion gelte nur bei leichter Schuld. Kollege Jarolim! Ich erinnere daran, dass im Gesetz etwas anderes steht. Im Gesetz steht: Die Schuld darf nicht schwer sein. Und zwischen leichter Schuld und der nicht schweren Schuld gibt es noch den Bereich der, wie ich es genannt habe, normalen Schuld, und da gilt es anzusetzen.

Wir haben nichts gegen die Diversion, wenn sie in einem bestimmten Rahmen vernünftig angewendet wird, und einer dieser vernünftigen Anwendungsfälle kann aber nur bei leichter Schuld sein. (Beifall bei den Freiheitlichen.)


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Im Bereich Wirtschaftsstrafrecht haben wir uns der Reform auch des Krida-Strafrechtes verpflichtet gesehen. Wir meinen, dass man die fahrlässige Krida generell aufheben soll. Ich als Wirtschaftsanwalt darf Ihnen sagen, dass die Hauptnutznießer derartiger Verfahren die Sachverständigen waren. Nun, ich habe nichts dagegen, dass Sachverständige viel Geld bekommen; aber dafür, dass jemand, dem man nichts mehr wegnehmen kann, der in Konkurs ist, der der fahrlässigen Krida beschuldigt wird, weil er vielleicht um drei Monate zu spät die Insolvenz angemeldet hat (Abg. Dr. Petrovic: Meinen Sie vielleicht den Rosenstingl?), dann ein Gutachten einholt, das die Republik Österreich mangels Einbringlichkeit beim Beschuldigten 2 oder 3 Millionen Schilling kostet, meine sehr geehrten Damen und Herren, hat die Bevölkerung kein Verständnis! (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Auf der anderen Seite geht es uns allerdings um eine Verschärfung der betrügerischen Krida. Denn in der Tat war es in der Praxis so, dass die Staatsanwälte und Gerichte aus Angst, die betrügerische Krida in der Anklage nicht durchzubringen, auf die fahrlässige Krida ausgewichen sind. Das kann es nicht geben. Wenn jemand betrügerische Krida begeht, hat er dafür bestraft zu werden! (Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP.)

Ich komme zu einem weiteren Bereich des Wirtschaftsrechtes, zum Insolvenzrecht. Es haben sich in den vergangenen Jahren oder Jahrzehnten, verstärkt aber in den vergangenen Jahren, Unzulänglichkeiten im Insolvenzrecht herausgestellt. Ich habe das als Anwalt selbst mehrfach erlebt und kann nur staunen darüber, wie manche Insolvenzverfahren von den Gerichten abgehandelt wurden. Ich verallgemeinere hier nicht. Ich meine, dass 95 Prozent aller Konkursrichter in Österreich wirklich hervorragende Arbeit leisten, aber ich habe kein Verständnis dafür, dass die Gesellschafter eines insolventen Unternehmens eine Woche vor Konkurseröffnung den Sitz von der Firma in das Privathaus verlegen, dadurch einen bestimmten Gerichtssprengel erreichen, Insolvenz anmelden und mit der Auffanggesellschaft, die aus Mitgliedern der familia suspecta besteht, sämtliche Vermögenswerte der Altgesellschaft zu Liquidationswerten aufkaufen, nachdem das Konkursgericht für die juristische Sekunde die Liquidation beschlossen hat und daher rein rechtlich formal zu Liquidationswerten gekauft werden konnte und nicht zu Fortführungswerten, wie es eigentlich tatsächlich gerecht gewesen wäre. Meine Damen und Herren! Ich bitte höflich um Verständnis dafür, dass die Koalition diesbezüglich Abhilfe schaffen muss. (Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP.)

Zum Zivilrecht: Was die Publikationspflichten großer Gesellschaften mit beschränkter Haftung betrifft, so glaube ich, dass hier der Gesetzgeber das Kind mit dem Bade ausgeschüttet hat, als er die entsprechende EU-Richtlinie viel zu streng in das österreichische Recht inkorporiert hat. Diese EU-Richtlinie hat einen Gläubigerschutz vor Augen. Das heißt, die Gläubiger sollen, wenn sie ins Firmenbuch schauen, wenn sie die "Wiener Zeitung" aufschlagen, eine gewisse Transparenz über jemanden, den sie beispielsweise beliefern, erlangen. Dagegen haben wir überhaupt nichts. Aber wir haben etwas dagegen, dass gerade im Zeitalter der Merger Mania die großen Handelsketten, deren es immer weniger gibt, die Produzenten zu sich holen und sagen: Gemäß der im Firmenbuch beziehungsweise in der amtlichen "Wiener Zeitung" veröffentlichten Bilanz und nach der Gewinn-und-Verlust-Rechnung hast du einen Rohertrag, der nicht angemessen ist, und daher musst du die Preise entsprechend reduzieren. – Wollen wir das haben? – Ich glaube, das ist ein Irrweg. Wir können andere Instrumentarien schaffen, damit die Gläubiger selbstverständlich geschützt sind. Als ersten Diskussionsansatz schlage ich vor, dass man die Gewinn-und-Verlust-Rechnung nicht mehr veröffentlichungspflichtig macht – den Vermögensvergleich ja. Der Vermögensvergleich ist aussagekräftig genug. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Ich komme zu einem politischen Slogan, den die FPÖ in den vergangenen Jahren wiederholt gebraucht hat. Ich erinnere an den tragischen Fall Karl Otto Haas, an jenen geistig abnormen Rechtsbrecher, der bedingt entlassen werden sollte, Freigang bekommen hat und im Zuge dieses Freiganges den Sohn seiner früheren Lebensgefährtin bestialisch ermordet hat. So nebenbei hat er auf der Flucht noch eine geistliche Würdenträgerin schwer verletzt. Damals ist die Forderung erhoben worden: Lebenslang soll lebenslang bleiben.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich mache aus meinem Herzen keine Mördergrube, und erwarten Sie nicht, dass die FPÖ und auch die ÖVP – insbesondere die FPÖ – von diesem


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Slogan abgehen. Lebenslang soll lebenslang bleiben, aber: Lebenslang muss nicht in allen Fällen lebenslang bleiben!

Wir Freiheitlichen fühlen uns den Menschenrechten verpflichtet, und die Menschenrechte sind – wie allgemein immer gesagt wird – unteilbar. Ich verweise auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtshofes von Karlsruhe vom 21. Juni 1977, in der der Bundesverfassungsgerichtshof ausgesprochen hat, dass eine lebenslange Strafe, bei der auf der Zellentür geschrieben steht "Strafende: Tod" und bei der der verurteilte Rechtsbrecher nicht einmal einen minimalen Funken Hoffnung haben kann, dass er jemals lebend die Strafanstalt verlassen wird, menschenrechtswidrig ist. Wir stehen auch dazu, dass das menschenrechtswidrig ist, denn das ist inhuman, das verstößt gegen die Menschenrechte.

Daher sagen wir: Lebenslang soll lebenslang bleiben. Unter humanitären Umständen, wenn jegliche Gefahr für die Sicherheit unserer Bürgerinnen und Bürger ausgeschlossen ist, wenn noch andere Elemente dazukommen, etwa ein höheres Alter oder großes Unglück in der eigenen Familie, für diese Fälle können wir uns, wenn kein Restrisiko mehr für die Gesellschaft besteht, selbstverständlich vorstellen, dass eine bedingte Entlassung nach 15 Jahren auch für so genannte Lebenslängliche stattfindet. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! In der Regierungserklärung steht geschrieben: Ein neues Unternehmensrecht muss Vereinfachungen für zeitgemäße Berufsrechte wie zum Beispiel für Steuerberater, Rechtsanwälte und Ärzte schaffen. – Ich wende mich dem Stand zu, dem ich angehöre, dem Rechtsanwaltsstand. Ich leide nicht unter Standesdünkel, und ich glaube, dass die Rechtsanwaltschaft und ihre Vertretung in den letzten Jahren nicht immer alles richtig gemacht haben. Das möchte ich vorausschicken.

Es gibt sehr moderne Länderkammern, zu denen ich aus meiner Sicht die Wiener Rechtsanwaltskammer zählen würde, die einen sehr modern eingestellten Präsidenten hat, der bei seiner Antrittsrede gesagt hat: Im Disziplinarrecht muss man mit Blödheiten – wie er sich ausgedrückt hat, ich zitiere ihn hier – aufräumen. Denn es kann nicht so sein, dass es wegen irgendwelcher Nichtigkeiten und Kleinigkeiten – weil man vielleicht den Richter schief angeschaut hat – gleich zu einem Disziplinarverfahren kommt.

Eines aber kann in Zukunft mit Sicherheit nicht mehr sein – wenn ich als freiheitlicher Justizminister das bei der Österreichischen Volkspartei reklamiere, dann bin ich sicher, dass ich ihr Verständnis finde, aber, wie ich glaube, auch das Verständnis von Kollegen Jarolim –: dass in einem Disziplinarverfahren die eigene Länderkammer über Verfehlungen des Mitglieds entscheidet. Stellen Sie sich vor: Wir haben 3 000 Anwälte in Österreich. Es gibt ja nur wenige – ein paar Dutzend – Anwälte etwa im Burgenland und in Vorarlberg. Es kann doch, bitte, nicht so sein, dass die eigene Kammer dann über den Kollegen, den jeder kennt – ob er mit guten Gefühlen behaftet ist oder ob man ihm mit negativem Urteil gegenübersteht –, eine Entscheidung trifft. Das kann es nicht geben, meine Damen und Herren! Da werden wir auch eine Änderung herbeiführen. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Worin muss diese Änderung bestehen? – Hier können sich die Anwälte an der Richterschaft ein Beispiel nehmen: Dort ist es so, dass sofort ein anderer Sprengel zuständig ist, wenn es ein Disziplinarverfahren gegen einen Richter gibt, sodass Befangenheiten von vornherein auszuschließen sind.

Meine sehr geehrten Damen und Herren von der Österreichischen Volkspartei und auch von der Freiheitlichen Partei! Wir haben uns sehr viel vorgenommen – das, was ich genannt habe, ist nur ein kleiner Abschnitt. Ich habe vor, als Reformminister in die österreichische Justizgeschichte einzugehen. Ich lade Sie ein, mir dabei zu helfen! (Beifall bei den Freiheitlichen und bei Abgeordneten der ÖVP. – Abgeordnete der SPÖ fordern die Abgeordneten der Freiheitlichen durch lebhafte ironische Gesten auf, sich von ihren Sitzen zu erheben. – Einige Abgeordnete der Freiheitlichen folgen dieser Aufforderung und setzen ihren Beifall stehend fort.)

20.30


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Präsident Dr. Werner Fasslabend:
Meine Damen und Herren! Bevor ich die nächste Rednerin aufrufe, möchte ich Ihnen einen kurzen Zwischenstand bekannt geben: Wir halten bei Nummer 42 der gehaltenen Reden und haben noch 36 vor uns.

Nächste Rednerin ist Frau Abgeordnete Dr. Ilse Mertel. – Bitte.

20.31

Abgeordnete Dr. Ilse Mertel (SPÖ): Meine Damen und Herren! Werte Minister und Abgeordnete! Mir als Kärntnerin werden Sie erlauben, einen kurzen Rückblick auf elf Jahre Kärntner Geschichte zu geben.

Bei einem Wahlergebnis von 47 Prozent für die SPÖ hat dort die zweitstärkste Partei den Landeshauptmann in der Person von Herrn Haider gestellt. Nachdem er nach zwei Jahren über die "ordentliche Beschäftigungspolitik" gestolpert ist, hat dann die kleinste Partei den Landeshauptmann gestellt. (Abg. Haigermoser: Wie war das mit Herrn Arbeiter?) Nutznießer waren einige Jahre lang die ÖVP und Herr Zernatto. (Abg. Haigermoser: Die SPÖ hat Herrn Arbeiter verloren und wieder aufgenommen!)

Auf Bundesebene haben wir jetzt die Situation, dass die zweitkleinste Partei (Abg. Fischl: Das ist eine charmante Aussprache!)  – Sie haben ja auch eine charmante, Herr Ex-GAK-Präsident!; Grazer, Steirer verstehen wir ein bisschen schwerer, aber lassen Sie mir bitte meine Redezeit! – den Kanzler stellt.

Nachdem ich heute fast zwölf Stunden lang den beiden Regierungsparteien und vor allem dem Bundeskanzler zugehört habe, muss ich sagen, dass Sie alle unter einem gewissen Realitätsverlust leiden, vor allem dann, wenn Sie bei einem Unterschied von 13 Mandaten zwischen der SPÖ und der FPÖ und ÖVP von drei gleich großen Parteien sprechen. (Abg. Mag. Trattner: Das ist nur eine Frage der Zeit! – Abg. Mag. Kukacka: Die rechnen auch den Bundesrat mit ein!)

Ich bin auch überrascht zu hören, dass der Herr Bundeskanzler und die ÖVP immer wieder sagen, wie überrascht und wie erstaunt sie sind über das Bild, das in der EU und international von der Regierung hervorgerufen wird. Dazu kann ich nur sagen, dass Ihre Bilder durcheinander geraten sind. Es gibt nämlich ein Selbstbild, es gibt ein Fremdbild, aber Sie leben – so scheint’s – in einem Traumbild! (Beifall bei der SPÖ. – Zwischenruf des Abg. Dr. Pumberger. )

Was Sie betrifft, muss ich es mit Karl Kraus halten – Sie kennen seinen Ausspruch –: Wenn die Sonne der Kultur tief steht, werfen auch Zwerge lange Schatten. (Heiterkeit und Beifall bei der SPÖ. – Neuerlicher Zwischenruf des Abg. Dr. Pumberger. )

Wenn hier Überlegungen angestellt werden, warum die SPÖ nicht in die Regierung gegangen ist, kann ich nur wiederholen: Weil Sie seitens der ÖVP Scheinverhandlungen geführt haben. (Abg. Böhacker: Mit wem denn? Mit wem?) Ich werde das bekräftigen.

Herr Alfred Worm – der Ihnen ja geläufig ist –, Redakteur im "profil" (Abg. Böhacker: War der dabei? War der bei den Verhandlungen dabei?), hat in der Ö3-Radiosendung "Frühstück bei mir" – nicht bei mir, sondern bei der Redakteurin – am Sonntag, dem 6. Feber, Folgendes unwidersprochen gesagt (Abg. Fischl: Und das stimmt bei Ihnen?!): Er hat darauf hingewiesen, dass er schon Tausende von Klagen und Anzeigen hinter sich hat und nur drei Prozesse verloren hat. Dann hat er gesagt, dass er bereits am 11. Dezember einen Anruf von einem hochrangigen Politiker aus der Steiermark erhalten hat, der gesagt hat: Sowohl das Programm als auch die Ministerliste stehen. – Das zu den Scheinverhandlungen der ÖVP. Denn im Dezember haben Sie ja noch eifrig mit uns verhandelt! (Beifall bei der SPÖ.)

Wenn ich weiter höre, wie seitens der ÖVP laufend Überlegungen angestellt werden, warum die SPÖ nicht drangekommen ist, kann ich dazu nur sagen, dass die FPÖ einfach zweite Wahl ist! (Zwischenruf des Abg. Haigermoser. ) – Sie haben das Recht, sich zu Wort zu melden, aber


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nicht das Recht, mich zu unterbrechen, denn das ist ein Haus der Parlamentarier! (Beifall bei der SPÖ. – Zwischenrufe bei den Freiheitlichen.)

Wenn ich mir den Umgang der ÖVP mit der Wahrheit und mit ihren Versprechungen ansehe, muss ich sagen, dass Herr Morak ja nicht einmal mehr virtuell hier sitzt, denn er ist ja zurückgetreten, und auch Frau Pecher ist zurückgetreten in dem Augenblick, als die ÖVP in die Nähe der FPÖ kam. Irgendetwas muss aber doch den Ausschlag dafür gegeben haben, hier zu bleiben. (Abg. Mag. Trattner: Was heißt "virtuell sitzen"?)

Nun zu Ihnen, Frau Zierler: Sie werfen sich hier für den Herausgeber der "Oberösterreichischen Nachrichten" so irrsinnig ins Zeug. (Abg. Mag. Trattner: Können Sie mir das erklären, was "virtuell sitzen" heißt?) Ich frage mich nur: Hat nicht im "n-tv" Herr Haider angekündigt, dass er sich einmal für Herrn Redakteur Marschall einsetzen wird? (Abg. Mag. Trattner: Erklären Sie einmal "virtuell sitzen"!) – Da kenn ich mich jetzt nicht aus.

Was Ihre Frauenpolitik betrifft, so würde ich Ihnen raten, auf Seite 5 im "profil" der vorigen Woche nachzulesen. Es wird darin gesagt, über den Inhalt Ihrer Presseaussendungen ist eigentlich alles gesagt. (Abg. Mag. Trattner: Wir kennen 30 Jahre SPÖ-Frauenpolitik! Das ist genug!)

Da uns dauernd vorgehalten wird, dass wir uns schwer tun mit der Trennung von der Macht und dass wir frustriert sind (Abg. Mag. Trattner: Da brauche ich nur Sie anzusehen, wie Sie frustriert sind! Bei Ihnen schaut ja der Frust heraus!), muss ich Ihnen eines sagen – lesen Sie nach in einer Aussendung –: In Wirklichkeit sind wir seelisch erleichtert, seelisch erleichtert darüber, endlich das sagen zu können, was sozialdemokratische Politik ist!

In allen Medien höre ich dauernd Herrn Schüssel, selbst im Fernsehen – bis hin zum ARD, ich komme ihm ja gar nicht aus, überall treffe ich auf ihn –, wo er Entschuldigungsreden hält und uns verkündet, wir sollten ihn doch nach dem Programm beurteilen, beim Wort nehmen und an den Taten messen. Dazu muss ich eines sagen: Wir nehmen ihn beim Wort. Da aber müssen wir sagen, dass all das, was familienpolitisch angekündigt wird und als Familienpolitik verkauft werden soll, scheinheilig und entlarvend ist! (Abg. Böhacker: Scheinheilig?!) Scheinheilig deshalb, weil nur vordergründig mehr Wahlfreiheit angekündigt wird, weil nicht klargestellt wird, wie Kinderbetreuungsplätze finanziert werden, weil das Wort "Alleinerzieher" oder "Alleinerzieherinnen" im Programm überhaupt nicht vorkommt und die Probleme überhaupt nicht angesprochen werden. Was macht eine Alleinerzieherin mit einem dritten Karenzjahr mangels Partner? (Bundesminister Dr. Bartenstein: 24 Monate Kinderbetreuungsgeld!) Was bringt das "Karenzgeld für alle" Alleinerzieherinnen, Herr Arbeitsminister? – Eine Alleinerzieherin, die nur ein Einkommen hat, einen Verdienst von 13 000 S, und dann nur noch 6 250 S bekommt, hat einen erheblichen Einkommensverlust! Sie sagen, sie könne ja dazuverdienen: Aber, bitte, sie muss doch auf das Kind aufpassen! (Abg. Mag. Trattner: Was wollen Sie jetzt? Machen Sie einen Vorschlag! Was wollen Sie? Sagen Sie das einmal!)

Ihr Programm ist auch entlarvend. Der wahre Kapitän Ihres Regierungsschiffes, der in Kärnten sitzt, hat Ihnen ja schon die Richtung vorgegeben. (Abg. Mag. Trattner: Ich will seit 10 Jahren Ihren konstruktiven Vorschlag hören! Sagen Sie, was Sie wollen!) Er hat gesagt, das "Karenzgeld für alle" beziehungsweise der Kinderbetreuungsscheck bringt eine deutliche Entlastung des Arbeitsmarktes! – Das ist nachzulesen in Ihrem Programm – Haider wörtlich zitiert. (Abg. Aumayr: Sind Sie jetzt für eine Anhebung des Karenzgeldes auf zwei Jahre oder nicht?) Das ist eine eklatante Diskriminierung der Frauen, und die Diffamierung schickt er dann noch nach. Er sagt nämlich wörtlich: Je mehr Frauen sich dank des Schecks entscheiden, länger bei ihren Kindern zu bleiben, desto mehr Kosten ersparen wir uns später für Psychologen und Psychiater, die die Kinder wieder gerade richten müssen.

Mit der Ausarbeitung des Kinderbetreuungsschecks – damit ist man zwar in die Wahl gegangen, aber ein echtes Programm ist in Kärnten nicht vorgelegen – hat man die jetzige Sozialministerin, Frau Sickl, beauftragt. Das waren und sind ihre einzigen Erfahrungen im sozialen, frauen- und


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familienpolitischen Bereich, aber wir haben ja heute gesehen, dass es auch so geht, das zu bewältigen. (Abg. Böhacker: Das ist auch eine Möglichkeit!)

Der Kinderbetreuungsscheck, das "Karenzgeld für alle", das Kindererziehungsgeld, Kinderbetreuungsgeld – wie immer Sie es auch bezeichnen – richtet sich in Wirklichkeit gegen die Interessen der Frauen und der Familien! (Beifall bei der SPÖ. – Abg. Mag. Trattner: Auf Ihre angekündigten Kinderbetreuungseinrichtungen warten wir noch immer!)

Dieser Kinderbetreuungsscheck kostet 8 Milliarden Schilling mehr. Das heißt, diese werden aus dem Familienlastenausgleichsfonds ...

Präsident Dr. Werner Fasslabend: Frau Abgeordnete! Ich darf Sie auf Ihre Redezeit hinweisen.

Abgeordnete Dr. Ilse Mertel (fortsetzend): ... ohne Einkommensbegrenzung umverteilt von den Arbeitnehmerinnen zu den Selbständigen und von den weniger gut verdienenden Arbeitnehmerinnen hin zu den besser verdienenden. Die Zeche dafür müssen jene zahlen, die die Beiträge in den Familienlastenausgleichsfonds zahlen müssen.

Herr Präsident! Das ist eine freiwillige Redezeit! Ich kann sie also erstrecken, soviel ich will, aber Sie können mich gerne darauf aufmerksam machen. Ich denke nicht, dass ich schon überzogen habe. (Abg. Schwarzenberger: Das geht aber zu Lasten der Kolleginnen!)

Ich glaube daher – und diese Position muss ich festhalten –, dass das wichtig ist, was der Herr Bundeskanzler gesagt hat: Familienpolitik ist nicht Frauenpolitik! Daher müssen das Recht auf Teilzeitarbeit, das Recht auf einen Kinderbetreuungsplatz, die Verlängerung der Behaltefrist nach der Karenz auf 26 Wochen, familienfreundliche Arbeitszeiten und gezielte Wiedereinstiegshilfen geschaffen werden.

Eines sei noch erwähnt: Die Finanzierung des Kinderbetreuungsgeldes bleibt überhaupt rätselhaft, total rätselhaft!

Nun zum Schlusssatz: All das, was Sie präsentieren, ist eine Umverteilung von den Beziehern niedriger Einkommen hin zu jenen mit höchsten Einkommen. Ihr Ziel ist nämlich nicht, das Budget zu konsolidieren, sondern schlicht und einfach Geldgeschenke zu verteilen.

Sie haben gesagt, wir sollen Sie beim Wort nehmen und die Taten einfordern: Wir, die SPÖ, werden es gar nicht zu solchen Taten kommen lassen und Taten schon gar nicht einfordern, denn das wäre eine gefährliche Drohung, nämlich eine Entlastung der Unternehmer, der Selbständigen und der Land- und Forstwirtschaft mit 18,9 Milliarden Schilling und eine Belastung der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen mit 13,8 Milliarden Schilling! (Beifall bei der SPÖ.)

20.41

Präsident Dr. Werner Fasslabend: Nächster Redner ist Herr Abgeordneter Dipl.-Ing. Maximilian Hofmann. – Bitte.

20.41

Abgeordneter Dipl.-Ing. Maximilian Hofmann (Freiheitliche): Herr Präsident! Sehr geehrte Herren Bundesminister! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich komme nicht umhin, doch ein wenig auf die Aussagen meiner Vorrednerin, Frau Kollegin Mertel, einzugehen.

Sie haben, Frau Kollegin Mertel, ein, wie ich meine, nur sehr eingeschränktes Gedächtnis. Es fällt Ihnen offensichtlich – und wenn noch so viele Jahre vergangen sind – immer wieder ein, Landeshauptmann Haider verzerrt zu zitieren, Sie kommen aber nie auf den Gedanken, beispielsweise einmal Herrn Arbeiter, der in Ihrer sozialistischen Gruppierung Mitglied ist und wieder aufgenommen wurde, zu zitieren (Beifall bei den Freiheitlichen): jenen Herrn Arbeiter (Abg. Mag. Wurm: Ausgeschlossen hat man ihn!), der es mit Goebbels hält, der Goebbels zitiert hat und sich auch noch auf ihn berufen hat, eine entsprechende Anleihe bei ihm genommen hat. (Abg. Schieder: Das ist eine Schande!)


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Frau Mertel! Ich glaube, Sie sind hier in diesem Hohen Hause, in diesem Parlamentsklub nicht die Sittenwächterin. (Abg. Dr. Mertel: Nein, nein! Das überlasse ich Herrn Khol! Das mache ich nicht!) Denn wer sich wie Sie, Frau Kollegin Mertel, zu einem Plakat der Sozialistischen Jugend, auf dem Bundesobmann Haider mit einem Fadenkreuz auf der Stirn abgebildet ist und auf dem steht "shoot your shot", mit den Worten äußert: "Auch das ist eine Möglichkeit.", der kann das nicht für sich in Anspruch nehmen. (Abg. Haigermoser: Das ist es! Das ist das Wahre!) – Sehr geehrte Damen und Herren! " Auch das ist eine Möglichkeit." – So Kollegin Mertel. (Abg. Dr. Mertel: Frau Praxmarer hat zugeschlagen!)

Ich erlaube mir nun, mich dem Regierungsprogramm zuzuwenden und zu leicht fortgeschrittener Stunde sozusagen eine Zwischenbilanz zu erstellen (Abg. Dr. Mertel: Frau Praxmarer hat zugeschlagen! Von wegen Gedächtnis!): Es ist das Regierungsprogramm präsentiert worden, es sind Inhalte vorgestellt und erläutert worden. Es hat dazu die verschiedensten Debattenbeiträge gegeben, aber eines war festzustellen: dass die neue Opposition, die Sozialdemokratische Partei, mit dieser ihrer neuen Rolle offensichtlich nur sehr schwer zurechtkommt. (Abg. Dietachmayr: Geh! – Abg. Dr. Mertel: Aber wunderbar! Sie werden schon sehen, wenn Sie mit der ÖVP mitstimmen müssen!)

Neu regieren, wie diese Reformkoalition ihr Regierungsprogramm nennt, bedeutet für Sie offensichtlich auch eine neue Art der Opposition: Keine 100 Tage, die man die Regierung in Ruhe arbeiten lässt. Aber das soll nicht das Problem sein. Ihr Problem ist es vielmehr, dass Sie sich nach 30 Jahren der Regierungsmacht von der Regierungstätigkeit verabschieden müssen und nun eine ungewohnte Rolle, für Sie ungewohnte Rolle, einnehmen müssen, die aber eine wichtige Rolle wäre, nämlich die der parlamentarischen Opposition.

Offensichtlich haben Sie, sehr geehrte Damen und Herren der Sozialdemokratie, Angst davor (Abg. Dietachmayr: Nein!), dass diese Regierung innerhalb kurzer Zeit zeigen kann (Rufe bei der SPÖ: Überhaupt nicht! Überhaupt keine Angst!), welch positive Veränderungen sie für dieses Land, für diese Republik und ihre Bürger bewirken kann. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Herr Bundesminister außer Dienst Schlögl hat zwar in seinem Debattenbeitrag festgestellt, dass die Sozialdemokraten auch in Opposition eine staatstragende Partei sein werden – möge es ein Wunsch sein. Es ist festzustellen, dass Sie diese Aufgabe, nämlich die der Oppositionspartei, wahrnehmen sollen. Ich hoffe es, obwohl das aus momentaner Sicht nur sehr schwer nachvollziehbar, sehr schwer erkennbar ist. Dieser mein Eindruck verstärkt sich insbesondere dann, wenn ich die letzten Tage Revue passieren lasse: ein Misstrauensantrag an einen Bundeskanzler, der zu diesem Zeitpunkt gerade seit vier Tagen im Amt war; eine Dringliche Anfrage am Tag der Regierungserklärung; die Debatte zur Regierungserklärung wird unterbrochen, um eine Anfrage der seit fünf Tagen nicht mehr im Amt befindlichen Bundesministerin außer Dienst Hostasch an die seit fünf Tagen im Amt befindliche Bundesministerin für Soziales, Frau Dr. Sickl, zu richten. (Abg. Dr. Mertel: Ihr seid richtige Opfer! Richtige Opfer!)

All das ist kein Widerspruch zur Geschäftsordnung – das ist keine Frage –, aber es ist erkennbar, dass es Ihnen offensichtlich darum geht, diese Regierung möglichst zu behindern. Es ist offensichtlich, dass es seitens der SPÖ und der Grünen – mit ganz wenigen Ausnahmen – nicht um die inhaltliche Diskussion dieses Programms geht. Sie haben eine Vorverurteilung (Abg. Schasching: Wer ist jetzt weinerlich? – Abg. Dr. Mertel: Wer ist weinerlich?), eine Vorverurteilung dieses Regierungsprogramms durchgeführt zu einem Zeitpunkt, als Sie es inhaltlich noch gar nicht kannten! (Beifall bei den Freiheitlichen sowie des Abg. Schwarzenberger. )

Sie haben diese Vorverurteilung, all die verzerrenden, größtenteils falschen Darstellungen bis zum heutigen Tag fortgesetzt, sehr geehrte Damen und Herren! Verzerrte, punktuell falsche Darstellungen!

Bundesminister außer Dienst Einem spricht von einem Scherbenhaufen der Außenpolitik und von einem Scherbenhaufen der Wirtschaftspolitik. – Es ist zu hinterfragen: Wer hat diesen Scherbenhaufen tatsächlich verursacht? (Abg. Dr. Mertel: Das ist eine berechtigte Frage!) Wir werden das auch noch klären, nämlich dann, wenn Ihr Vorsitzender, Herr Klima, wieder hier in


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diesem Hause ist und zu all den Vorwürfen, die nicht seitens der Freiheitlichen – und Sie wissen das –, sondern seitens der Medien erhoben wurden, Stellung nimmt. Ich will hoffen, dass sich diese Vorwürfe nicht als berechtigt erweisen, obwohl sich die Verdachtsmomente immer mehr erhärten.

Eine Oppositionspartei hat mehrere Möglichkeiten, sehr geehrte Damen und Herren: Eine Oppositionspartei kann einen konstruktiven Beitrag leisten. (Abg. Dr. Mertel: Das habt ihr immer gemacht! Immer! Stadler war konstruktiv!) – Selbstverständlich haben wir Ihnen über Jahre hinweg gezeigt, dass man in der Sache hart diskutieren kann, unterschiedliche Einstellungen haben kann, aber inhaltlich sehr wohl etwas beitragen kann. Wie Sie als Regierungspartei damit umgegangen sind, ist eine andere Angelegenheit.

Es ist auch auffallend, sehr geehrte Damen und Herren, dass Sie in nahezu weinerlicher Art (ironische Heiterkeit des Abg. Dietachmayr  – Abg. Schwemlein: Die einzigen Tränen, die da draußen herumrollen, sind die von Kollegen Haupt!) heute schon beklagen, dass Sie Vorlagen und Informationen zu spät erhalten werden.

Das wird aber nicht der Stil dieser neuen Regierungskoalition sein. Wir wissen, wie Sie Ihre Macht als Regierungspartei missbraucht haben. Wir werden Sie beschämen und werden auch auf die Rechte der Opposition entsprechend Rücksicht nehmen und hier für Verbesserungen, für positive Veränderungen sorgen.

Die zweite Möglichkeit – sie erscheint mir als die bessere – neben der Fundamentalopposition, auf die Sie sich derzeit festgelegt haben, sehr geehrte Damen und Herren, ist die konstruktive Zusammenarbeit. Ich darf Sie daher ersuchen, nicht weiter Öl ins Feuer zu gießen, sondern im Sinne unseres Landes und im Sinne unserer Bürger hier in diesem Hause konstruktiv mitzuwirken. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

20.50

Präsident Dr. Werner Fasslabend: Nächster Redner ist Herr Abgeordneter Dipl.-Ing. Pirklhuber. – Bitte.

20.50

Abgeordneter Dipl.-Ing. Wolfgang Pirklhuber (Grüne): Sehr geehrte Damen und Herren! Hohes Haus! Herr Präsident! Herr Minister! Leider ist der Herr Landwirtschaftsminister jetzt nicht mehr hier im Saal; das tut mir Leid!

Herr Abgeordneter Hofmann! Sehr wohl haben wir Grünen Interesse an inhaltlicher Diskussion, und wir scheuen diese inhaltliche Diskussion auch nicht! Wir führen sie in diesem Hohen Haus, führen sie auf den Punkt.

Besinnen wir uns noch einmal kurz auf die Kernaussagen dieser heutigen Regierungserklärung und schauen wir uns an, was die Inhalte dieser Kernaussage sind: Sie haben Ihrer Regierungserklärung ein Motto vorangestellt: "Österreich neu regieren". – Das ist allerdings nicht der Fall, wie Sie in den letzten zwei Tagen bewiesen haben. Ihr Stil ist ein alter Stil, den wir schon kennen!

Ich glaube, es wäre besser und richtiger, sich meinen Vorschlag anzuhören, nämlich das Motto umzubenennen von "Österreich neu regieren" auf "Österreich neu deregulieren". Denn das ist das eigentliche Motto Ihrer Regierungserklärung, meine Damen und Herren, und das ist auch gar nicht neu. (Beifall bei den Grünen. – Zwischenruf des Abg. Mag. Schweitzer. ) Herr Schweitzer! Das ist auch gar nicht neu! (Abg. Mag. Schweitzer: Wie lange bist du denn schon da? Du kannst ja noch nicht alles kennen!)

Das ist nicht neu, sondern das sind alte Konzepte, die in Großbritannien und in anderen westeuropäischen Ländern politisch und wirtschaftlich schon gescheitert sind und die jetzt in Österreich verschärft umgesetzt werden sollen. Meine Damen und Herren! Das ist die Realität dieser Regierungserklärung, und darauf werden wir hinweisen: heute, morgen und in den nächsten Wochen und Monaten!


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Ihr Credo ist die Deregulierung. Der Inhalt dieser Deregulierung, nämlich forcierte Privatisierung, Sozialabbau und Ausbau der Rechte der Unternehmungen auf Kosten der Bürgerinnen und Bürger, dieser New Deal, Herr Westenthaler – der jetzt nicht hier im Hause ist –, von dem Sie sprechen, dient den wirtschaftlich Starken und Mächtigen in diesem Land! Meine Damen und Herren! Die Freiheit, von der Sie sprechen, die Freiheit von staatlicher Gängelung und dieses Mehr an Eigenverantwortung und Leistung sind natürlich den Starken und Tüchtigen auf den Leib geschrieben. Das ist klar. Aber wo bleiben die Rechte der sozial Schwachen? Wo bleiben die objektiven Rechte von Natur und Umwelt? Wo bleiben die Rechte der Zivilgesellschaft? Meine Damen und Herren! Herr Khol, der jetzt auch nicht hier im Hause ist! Wo bleiben diese Rechte der Zivilgesellschaft in Ihren politischen Leitlinien? – Das fehlt, meine Damen und Herren, und das ist das klare Signal, das Sie geben! (Beifall bei den Grünen.)

Lassen Sie mich das auch konkret anhand des Kapitels Agrarpolitik exemplifizieren. Leider ist der Herr Minister nicht hier, aber trotzdem Folgendes: Die Ausrichtung des Agrarkapitels ist an der herrschenden "Agenda 2000"-Position orientiert und stellt Liberalisierung und Weltmarktorientierung im Agrarbereich mit keiner Silbe in Frage. Ganz zu schweigen von der ökologischen Zielsetzung: Sie reden dauernd von irgendwelchen Ökosachen. Herr Schwarzenberger! Der Biolandbau – das wissen Sie ganz genau – hat heuer einen Einbruch erlebt. Wir haben mit Jahresende 1 000 Biobauern und Biobäuerinnen weniger. Das ist kein Geheimnis. (Abg. Schwarzenberger: Weil Sie als Kontrollierer so unfair kontrollieren!)

Sie können hier nicht behaupten, dass Sie eine Politik für Ökologisierung betreiben. Das Bekenntnis zu einer ökologischen Landwirtschaft fehlt gänzlich! Der biologische Landbau kommt in Ihrem Programm überhaupt nicht vor! Das Agrarpaket zielt weder auf Beschäftigungssicherung noch auf den Erhalt von Betrieben ab, meine Damen und Herren! Die ökologischen und sozialen Gestaltungsmöglichkeiten im Rahmen der "Agenda 2000" werden nicht ausgeschöpft. Wir werden heute noch über einen Entschließungsantrag abstimmen, der nicht von unserer Fraktion stammt, den wir im Agrarausschuss aber auch unterstützt haben, nämlich betreffend eine Fristsetzung bezüglich der Modulation, der Möglichkeit, Fördermittel von den Marktordnungsausgaben in Richtung Umweltausgaben zu verlagern. Dafür treten wir Grüne ein. Das ist ein Konzept für die Zukunft! (Beifall bei den Grünen. – Abg. Schwarzenberger: Nur muss es dann vom nationalen Budget verdoppelt werden! Das wissen Sie!) – Selbstverständlich, Herr Schwarzenberger! Genau das ist es! Ein eingesparter Schilling auf der Seite der Marktausgaben bedeutet zwei Schilling für die Umwelt! Genau das ist das Konzept! Das ist ökologische Umschichtung, und diese geht mir in Ihrem Programm ab!

Herr Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft! Der neue Stil der Politik äußert sich darin, dass Sie im Landwirtschaftsausschuss der Möglichkeit, in einem Unterausschuss über das neue Programm für die ländliche Entwicklung zu diskutieren, nicht zugestimmt zu haben. Meine Damen und Herren! Dazu gab es keine Diskussion in diesem Haus. Darüber haben Sie auch die Parlamentarier nicht informiert. Das fordern wir von Ihnen seit Monaten, und Sie tun es nicht, Herr Bundesminister! Das ist Ihr Stil der Politik.

Schauen Sie sich an, was Sie in Ihren diesbezüglichen Programmen vertreten: Sie sprechen in dieser Regierungserklärung davon, dass der ländliche Raum irgendwie erhalten werden muss et cetera. Das versteht sich! Aber wo sind Ihre klare Aussage und eine klare Evaluierung? Warum scheuen Sie sich, dieses Programm einer unabhängigen ExpertInnengruppe zur Diskussion zu überantworten, wie es – wie Sie wissen – auch die Kommission von Brüssel fordert? – Auch auf diese Fragestellung werden wir in den nächsten Tagen, Wochen und Monaten unseren Finger legen!

Meine Damen und Herren! Schauen wir uns das Agrarbudget konkret an! Sie sprechen immer vom 40-Milliarden-Schilling-Paket. Recht und gut! Aber Sie wissen selbst – und wir haben es im Ausschuss diskutiert –, dass auch das nicht halten wird. Wir werden zusätzliche Milliarden benötigen.

Meine Damen und Herren! Nun komme ich zu dem Punkt, dass Sie für die Verbilligung von Pestiziden eintreten. Das ist eine sehr populistische Maßnahme. Meine Kollegin Glawischnig hat


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das schon angesprochen: Dass das "Lebensministerium" als zukünftiges Umweltministerium das durchsetzt, das sozusagen auch die Umweltagenden in seiner Hand sammelt, empfinde ich wirklich als einen Affront gegenüber allen umweltorientierten Organisationen, gegenüber den Konsumentinnen und Konsumenten und auch gegenüber Bäuerinnen und Bauern! (Beifall bei den Grünen.)

Es ist eine Augenauswischerei par excellence, wenn Sie glauben, den Bauern einreden zu können, dass Sie mit ein paar Groschen Ersparnis beim Diesel und bei den Pestiziden und Futtermitteln die Einbrüche auf dem Weltmarkt und die Einbrüche auf Grund des verschärften Strukturwandels bereinigen können. Das ist wirklich von unserer Seite nicht zu akzeptieren! (Beifall bei den Grünen.)

Abschließend zum Bereich des Wasserschutzes – wir haben das diskutiert, und wir werden in diesem Haus noch darüber sprechen –: 48 Prozent des Beobachtungsgebietes – mehr als 600 000 Hektar – sind nach offiziellem Bericht Ihres Ministeriums, Herr Minister, als potentielle Nitratproblemregionen beschrieben worden. Das ist eine Tatsache. In Ihrer Regierungserklärung finden wir nur – ich sage wirklich bewusst: nur – eine Formulierung, dass Sie eine Prioritätenreihung mit einem Vertragsgewässerschutz für Trinkwasservorsorgegebiete wünschen. Meine Damen und Herren! Trinkwasservorsorge bedeutet auf der anderen Seite, Schmutzgebiete zu tolerieren, und genau das ist eine Entwicklung, gegen die wir massiv auftreten. Wir glauben, dass es höchste Zeit ist, die Wasserrechtsgesetznovelle zu novellieren. Auch das ist natürlich ein Versäumnis der alten Regierung. Aber in Ihrem Programm finden wir dazu keine wirklich neuen Antworten.

Auch der Bereich der Abwasserentsorgung im ländlichen ...

Präsident Dr. Werner Fasslabend: Bitte um den Schlusssatz!

Abgeordneter Dipl.-Ing. Wolfgang Pirklhuber (fortsetzend): Milliarden Schilling werden in den nächsten Jahren für "Kanalautobahnen" verbaut werden. Auch in diesem Bereich gäbe es ein Einsparungspotential von 50 Milliarden Schilling mit alternativen Konzepten, mit dezentraler Abwasserentsorgung und mit Pflanzenkläranlagen. Dazu gibt es keine konkrete Aussage in Ihrem Regierungsprogramm!

Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich abschließend das Agrarprogramm kurz zusammenfassend einschätzen: Die im Regierungsprogramm festgeschriebene Agrarpolitik bedeutet eine Verschärfung des Wettbewerbes und ein Bekenntnis zum Strukturwandel mit folgenden Auswirkungen: Gefährdung und Belastung der Umwelt, Zerstörung bäuerlicher Strukturen und Arbeitsplatzverlust, Qualitätsminderung der Nahrungsmittel und Vergeudung von Ressourcen. (Beifall bei den Grünen.)

20.59

Präsident Dr. Werner Fasslabend: Nächster Redner ist Herr Abgeordneter Platter. – Bitte.

20.59

Abgeordneter Günther Platter (ÖVP): Sehr geehrter Herr Präsident! Geschätzte Herren Minister! Herr Staatssekretär! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Im Unterschied zu Herrn Abgeordnetem Pirklhuber bin ich froh und erleichtert, dass wir eine neue und handlungsfähige Regierung haben und dass wir mit Bundeskanzler Dr. Wolfgang Schüssel einen absoluten Profi an der Spitze dieser Regierung haben! (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

Wir haben eine neue Regierung, die auf eine klare Mehrheit in diesem Haus zurückgreifen kann, damit die notwendigen Reformen durchgeführt werden können, und zwar Reformen, die für unser Land, für die Bürger dieses Landes und insbesondere auch für unsere Kinder und Kindeskinder zweifellos sehr notwendig sind.

Meine Damen und Herren! Ich bin zutiefst der Überzeugung, dass auch die Bürger dieses Landes sehr froh darüber sind, dass wir nun eine neue Regierung haben. Glauben Sie mir: Die Bürger werden uns nicht an der inszenierten Stimmungsmache messen, sondern die Bürger


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werden diese neue Koalitionsregierung zweifellos an den Taten messen! (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

Meine Damen und Herren! Ich war eigentlich immer ein Großkoalitionär. Vor fünf Jahren bin ich in dieses Haus eingetreten, und für mich hätte es damals überhaupt keine andere Variante gegeben als eine Koalition zwischen Rot und Schwarz. (Abg. Dr. Cap: Und jetzt sind Sie vom Saulus zum Paulus geworden!) Das geht auch darauf zurück, dass ich in der Gemeinde tätig bin und natürlich eine enge Kooperation mit der SPÖ habe. Wir haben zwölf Mandate, die SPÖ drei, Freiheitliche haben wir leider keine. Bei uns ist noch Ordnung im Hause. (Heiterkeit und Zwischenrufe.) Aber jetzt, meine Damen und Herren, fünf Jahre danach, schaut die Situation zweifellos ganz anders aus.

Ich nenne Ihnen drei Gründe: Ich habe in diesen fünf Jahren miterlebt – und viele in diesem Hause erleben das wahrscheinlich schon seit 13 Jahren –, wie diese SPÖ mit ihrem Koalitionspartner umgegangen ist, wie wir gedemütigt wurden und was die SPÖ in vielen Fragen aufgeführt hat. Die ÖVP war immer jene Partei, die staatstragend war. Alles, was unpopulär war, hat angeblich immer diese böse ÖVP gemacht. Ich könnte hier viele Beispiele aufzählen. Wenn jedoch etwas angenehm war, dann hat die SPÖ mit beiden Händen aufgezeigt, meine Damen und Herren! Das ist Tatsache, so hat es sich abgespielt! (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

Meine Damen und Herren! Ich sage Ihnen: Wenn man eine Partnerschaft eingeht, dann ist es, glaube ich, wichtig, dass man den Partner leben lässt. (Zwischenruf der Abg. Huber. ) Und wenn das nicht der Fall ist, dann kommt der Partner irgendeinmal abhanden.

Der zweite Grund: Wenn man sich den Wahlkampf der SPÖ angeschaut hat, dann war man erstaunt. Denn im Ausland wurde etwas anderes gesagt als hier im Inland, auf die ÖVP hat man hingehaut, man hat das eigene Werk kaputtgemacht. Das muss man in aller Deutlichkeit sagen! Was in 13 Jahren aufgebaut worden ist, haben Sie in Ihrer Wahlauseinandersetzung kaputtgemacht. (Beifall bei Abgeordneten der ÖVP.) Und wer war der Wahlstratege? – Rudas, den Sie zum Stronach geschickt haben!

Meine Damen und Herren! Der dritte Punkt: Wir müssen alle zur Kenntnis nehmen, dass der Wähler am 3. Oktober eine Entscheidung getroffen hat. Die große Koalition hat verloren, die SPÖ drastisch, wir leicht, aber alles in allem wurde die große Koalition jedenfalls abgelehnt. Der Wähler will einen Wechsel. Und es wäre völlig falsch gewesen, wenn man am 4. Oktober hergegangen wäre und gesagt hätte: Hurra, die Gams! Es ist wieder alles in Ordnung! Wir haben uns wieder lieb und machen die gleiche große Koalition. (Abg. Dr. Mertel: Das haben Sie aber erst jetzt vor 14 Tagen erkannt!)

Trotzdem, meine Damen und Herren, wollte die ÖVP und wollte Wolfgang Schüssel noch einmal eine Koalition mit der SPÖ eingehen. Sie, meine Damen und Herren von der SPÖ, insbesondere Viktor Klima und Ex-Finanzminister Edlinger, sind jedoch über Ihre eigenen SPÖ-Abgeordneten, über Nürnberger & Co., gestolpert. – Das ist meine ganz persönliche Beurteilung der derzeitigen Situation!

Meine Damen und Herren! Nun möchte ich zum Bereich Landesverteidigung und in Absprache mit unserem Sicherheitssprecher Paul Kiss kurz zur inneren Sicherheit sprechen: Für einen Sicherheitspolitiker – sei es im Bereich der Landesverteidigung oder auch im Bereich der inneren Sicherheit – sind diese neue Koalition und diese neue Form des Regierens ein Befreiungsschlag. Auf Grund dieses sicherheitspolitischen Befreiungsschlags ist es nun endlich möglich, das Korsett abzulegen. Es sind keine faulen Kompromisse mehr notwendig, und in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik können klare Linien gezogen werden. Meine Damen und Herren! Ich habe in den vergangenen Tagen gespürt, dass es wieder Freude macht, Sicherheitspolitik in Österreich zu machen! (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zum Bundesheer: Wir bekennen uns zur gemeinsamen europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik und zum europäischen Friedens- und Verteidigungsbündnis mit Beistandspflicht, damit für die Bürger unseres Landes Friede, Freiheit,


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Sicherheit und Stabilität gewährleistet sind. Hiefür ist die militärische Landesverteidigung zweifellos unverzichtbar. Wir bekennen uns ganz klar dazu, dass das Bundesheer neben der Landesverteidigung für Katastrophenhilfe, für internationale Solidaritätsleistungen und natürlich auch für Assistenzleistungen zur Verfügung steht. Wir bekennen uns – und das war sehr mutig – zur Novellierung des Neutralitätsgesetzes, wobei Voraussetzung für diese Novellierung natürlich eine Volksabstimmung ist. Der Bürger wird in diese Entscheidung mit eingebunden! (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

Meine Damen und Herren! Wir bekennen uns aber ebenfalls – und auch das ist sehr mutig – dazu, dass das Verteidigungsbudget schrittweise angehoben wird, damit die Soldaten besser ausgerüstet sind, damit der Fuhrpark in Ordnung gebracht wird und dringend notwendige Anschaffungen, wie zum Beispiel Großhubschrauber und darüber hinaus Flugzeuge für die Luftüberwachung, getätigt werden können.

Meine Damen und Herren! Man wird sich fragen, warum wir all das tun, denn es ist doch relativ unpopulär, das Verteidigungsbudget anzuheben. – Wir tun dies als Versicherung für unsere Bürger. Wir tun dies als Versicherung für unsere Kinder und Kindeskinder. Die neue Regierung mit unserem Bundeskanzler Dr. Wolfgang Schüssel tut das, damit nie mehr wieder das geschieht, was Menschen aus Hass, Neid, Unverstand und reinem Machtstreben anderen Menschen angetan haben, dass nie mehr das geschieht, was unsere Eltern und Großeltern im Ersten und Zweiten Weltkrieg erleben mussten! (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der Freiheitlichen.)

Wir, die ÖVP, werden in all diesen Fragen eine klare Vorstellung artikulieren, und wir werden mit dem neuen Verteidigungsminister selbstverständlich eng zusammenarbeiten. (Präsident Dr. Fischer übernimmt wieder den Vorsitz.)

Zum Schluss kommend möchte ich nach Absprache mit Sicherheitssprecher Paul Kiss noch eine Anmerkung zur inneren Sicherheit machen. (Abg. Schwemlein: Hat er einen Befehl erteilt?) Die ÖVP war in der Sicherheitspolitik zweifellos immer wieder die treibende Kraft. (Abg. Dr. Petrovic: Leider!) Das verhielt sich in der Vergangenheit so, das verhält sich in der Gegenwart so, und die ÖVP wird natürlich auch in Zukunft treibende Kraft mit unserem neuen Innenminister Ernst Strasser sein! (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der Freiheitlichen.)

Meine Damen und Herren! "Neu regieren" bedeutet im Bereich der Sicherheitspolitik, klare Antworten zu geben und unmissverständliche Taten zu setzen. Ich denke dabei an eine Stapo-Reform, an erweiterte Gefahrenforschung, an verstärkte Maßnahmen, damit organisierte Kriminalität, Schlepperunwesen, Drogenkriminalität und dergleichen gestoppt werden können. (Abg. Schwemlein: Personalabbau!)

Abschließend: Ich freue mich darüber, dass ich heute der neuen Regierung mit unserem Bundeskanzler Dr. Wolfgang Schüssel alles Gute wünschen kann. Lasst euch nicht drausbringen! Ich bin der Überzeugung, dass das eine gute Sache wird.

Gestatten Sie mir bei dieser Gelegenheit auch, allen Soldaten und allen Exekutivbeamten für das Geleistete herzlich zu danken. Im Gegenzug versichere ich, dass wir für die Soldaten und die Exekutive eine gute Politik machen werden. – Danke schön. (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der Freiheitlichen.)

21.09

Präsident Dr. Heinz Fischer: Zu Wort gemeldet ist Herr Bundesminister Dr. Strasser. – Bitte.

21.09

Bundesminister für Inneres Dr. Ernst Strasser: Sehr geehrter Herr Präsident! Hohes Haus! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das Bundesministerium für Inneres ist für die innere Sicherheit Österreichs zuständig – und damit für die Sicherheit der Republik und die Sicherheit der Bürger in dieser Republik. Als Bundesminister sehe ich mich als erster Diener für all jene, die im wahrsten Sinne des Wortes den Kopf dann dafür hinhalten, wenn wir sicher schlafen


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wollen, wie es gestern, heute und morgen auf den Straßen Wiens da und dort der Fall war, ist und sein wird. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

Ich möchte zunächst Dank sagen in zweifacher Hinsicht, nämlich erstens einmal der Exekutive, dem Generaldirektor für öffentliche Sicherheit, dem Polizeipräsidenten von Wien, dem Generalinspektor und allen Teilen der Exekutive, die in der Bundeshauptstadt und in ganz Österreich für eine maßvolle, kompetente und konsequente Vorgangsweise gesorgt haben, die dafür gesorgt haben, dass friedliche Kundgebungsteilnehmer ihr verbrieftes Recht auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit gewahrt bekommen haben, die aber auch dafür gesorgt haben, dass maßvoll, überlegt und sehr erfolgreich jener kleinen Gruppe von Gewaltbereiten dann begegnet worden ist, wenn es zu Übergriffen auf den Rechtsstaat gekommen ist. Herzlichen Dank dafür! (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

Ich möchte aber auch als Bundesminister für Inneres ganz bewusst den Organisatoren der Kundgebungen danken, denn sie alle haben größtes Interesse daran, dass Gewaltfreiheit geachtet wird. Sie haben mit unseren zuständigen Stellen bei der Organisation in jeder Weise das Gemeinsame und das Gespräch gesucht, und ich möchte mich als Bundesminister auch für diese Zusammenarbeit herzlich bedanken! (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es wird notwendig sein, im Bundesministerium für Inneres eine Eröffnungsbilanz beziehungsweise eine Übernahmebilanz zu legen, da es einige Projekte in der Pipeline gibt, die nicht recht vorankommen, die stecken oder zum Teil stecken zu bleiben drohen. Daher werden wir uns in einer Übernahmebilanz ansehen, wo wir derzeit stehen und welche die wichtigen Punkte, die wir nach und nach abzuarbeiten haben, sind.

Ich werde – und das ist der zweite Schwerpunkt meiner Ressorttätigkeit – die Bürgernähe suchen. Es ist ganz entscheidend notwendig, dass die Exekutivbeamten und alle, die mit der Sicherheit in Österreich befasst sind, die Bürgernähe, den Kontakt zum Bürger, das Gemeinsame und den Dialog mit den Menschen im Land suchen. Dann werden wir mehr Sicherheit haben! (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der Freiheitlichen.)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte Ihnen jetzt neun Punkte aus dem Arbeitsprogramm, das in den nächsten Wochen, Monaten und Jahren vor uns liegt, bekannt geben.

Zum Ersten die Bekämpfung der organisierten Kriminalität: Wir wollen eine Intensivierung der internationalen Zusammenarbeit und einen konsequenten Einsatz eines gesetzlich eindeutig geregelten Scheinkaufs.

Zum Zweiten: Wir wollen dem Drogenhandel und der organisierten Drogenkriminalität aktiv begegnen, und wir werden alle gesetzlichen Möglichkeiten ausnützen und mit der entsprechenden personellen Ausstattung und infrastrukturellen Aufrüstung der Exekutive dafür sorgen, hier einen starken Gegenpol zu schaffen. (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der Freiheitlichen.)

Wir wollen – drittens – den Kriminaldienst verbessern, und wir wollen eine oberste Kriminalpolizeibehörde schaffen, und zwar mit den verfügbaren personellen Ressourcen, die wir derzeit haben.

Wir wollen viertens – ich danke meinem Vorredner dafür, dass er das bereits angeschnitten hat – die Reform der Staatspolizei angehen. Da gilt es, eine Zieldefinition zu finden, und es gilt auch, sehr klar eine effiziente parlamentarische Kontrolle auch dieses Staatsschutzdienstes zu finden. Ich bitte diesbezüglich um die Zusammenarbeit mit dem Parlament. (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der Freiheitlichen.)

Fünftens: Ich glaube, dass es notwendig und sinnvoll ist – und ich bin in sehr guten ersten Gesprächen mit meinem Regierungskollegen Scheibner vom Verteidigungsressort –, dass wir bei der Beschaffung und Zusammenführung von Uniformsorten für die vier Wachkörper und darüber hinaus einen gemeinsamen Massefonds schaffen, und zwar bei gleichzeitiger Ausgliederung dieses gesamten Bereiches. (Neuerlicher Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der Freiheitlichen.)


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Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte – sechstens – zur Asylpolitik kommen und den Auftrag unterstreichen, den der Herr Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung gegeben hat. Österreich will und wird seinen humanitären Verpflichtungen gegenüber allen Menschen, die entsprechend der Genfer Flüchtlingskonvention einen Anspruch auf Asyl haben, in vollem Umfang nachkommen. Das ist eine internationale Verpflichtung, der wir auch auf Grund der Menschenrechte und auf Grund unserer eigenen Werthaltung sehr gerne und besorgt nachkommen. (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der Freiheitlichen.)

Wir werden – siebtens – im Bereich der Zuwanderung als erstes Ziel die Familienzusammenführung als oberste Priorität unserer Arbeit und unserer Anliegen sehen, und wir wollen besonders rasch die Behandlung von Ansuchen betreffend Kinder und Jugendliche, die das vierzehnte Lebensjahr noch nicht vollendet haben, vorantreiben, um Härtefälle in diesen Bereichen zu vermeiden.

Wir wollen – achtens – die Integration vorantreiben. Der Herr Bundeskanzler hat in seiner Regierungserklärung klar vorgegeben, dass es einerseits Sprachförderung geben soll, andererseits aber auch eine umfassende Studie über die arbeitsmarktpolitischen und arbeitsmarktrelevanten Auswirkungen eines erleichterten Zuganges erstellt werden soll und auf Grund dieser Studie die nächsten Maßnahmen wirksam, sicher und rasch eingeleitet werden sollen.

Ich möchte abschließend den neunten Punkt, der für all unsere Exekutivbeamten von entscheidender Wichtigkeit ist, ansprechen, nämlich die umfassende Ausbildungsreform, bei welcher wir weit vorangeschritten sind, die wir in dieser Legislaturperiode zum Besten unserer Beamten und Beamtinnen rasch umsetzen wollen. (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der Freiheitlichen.)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Hohes Haus! Sicherheit, innere Sicherheit ist eine ganz sensible Staatsaufgabe. Ich sehe mein Haus als eine Dienstleistungseinrichtung, die dieses Gut der Sicherheit allen Bürgern und für die Republik anzubieten und zu bewahren hat. Ich werde mich mit allen Beamtinnen und Beamten meines Hauses voll dieser Aufgabe widmen! (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der Freiheitlichen.)

21.17

Präsident Dr. Heinz Fischer: Nächster Redner ist Herr Abgeordneter Dr. Cap. – Bitte.

21.17

Abgeordneter Dr. Josef Cap (SPÖ): Hohes Haus! Herr Präsident! Eingangs verlese ich – quasi als Nachtrag – folgenden Antrag:

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Dr. Ilse Mertel, Mag. Barbara Prammer und Mag. Andrea Kuntzl gemäß § 55 GOG, eingebracht im Zuge der Debatte über die Erklärung der Bundesregierung, betreffend Berufstätigkeit der Frauen

Der Nationalrat möge beschließen:

"Die Bundesregierung wird ersucht, die Aufrechterhaltung der Absicherung der Frauenerwerbstätigkeit, des freien, gleichberechtigten Zugangs der Frauen zum Arbeitsmarkt und der besonderen Förderung der gleichen Chancen am Arbeitsmarkt und in der Karriere zu garantieren und weiter voranzutreiben und dem Nationalrat eine Gesetzesvorlage vorzulegen, welche die Frauenförderung am Arbeitsmarkt und in den Betrieben weiter absichert."

*****

Nun zur Diskussion. – Herr Bundeskanzler! Ich weiß nicht, wie Sie mit der Kritik umgehen, die Sie aus den eigenen Reihen an dieser Regierungskonstruktion hier wahrnehmen. Aber wenn die Fraktion Christlicher Gewerkschafter am 9. Februar feststellt, dass dieses Regierungspro


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gramm – das primär eine Ideensammlung ist; und Sie wollen sich ja an den Taten messen lassen! – weder den Grundsätzen der ÖVP noch den Prinzipien der christlichen Soziallehre entspricht und unsozial ist, dann stellen sich für mich zwei Fragen.

Erstens: Hat für Sie die christliche Soziallehre überhaupt noch Bedeutung? Ist diese noch eine Leitlinie für Ihre Regierungspolitik?

Zweitens: Wie stellen sich die so genannten Vertreter des kleinen Mannes und der kleinen Frau, nämlich die Freiheitlichen in der Regierung, dazu, dass sie, kaum dass sie in der Regierung sind, die Interessen des von ihnen so bezeichneten kleinen Mannes und der kleinen Frau vergessen, schlicht und einfach vergessen? Sie werden eines Tages aufwachen, Minister Strasser wird die Polizei wieder rund ums Parlament postieren müssen, dann werden es aber nicht linke Demonstranten, sondern freiheitliche Wähler sein, die Transparente tragen, auf denen steht: Verrat! Verrat! Verrat! (Beifall bei der SPÖ.)

Ich sage Ihnen daher: Es wird Zeit, dass es einen Wechsel an der Spitze der Schutzgemeinschaft freiheitlicher Wähler gibt! Ich werde jetzt dafür kandidieren. Ich werde die Interessen dieser Wähler wahrnehmen müssen, denn Sie nehmen diese Interessen nicht mehr wahr! Sie sind jetzt in der Regierung, und Ihre freiheitlichen Wähler muss man in Wirklichkeit vor Ihnen selbst schützen, denn Sie haben keine Lust mehr, deren Interessen zu vertreten!

Aber ich sage zugleich: Da klafft natürlich ein Unterschied zwischen dem, was in Wahlkämpfen versprochen wird, und dem, was hier bereits angesagt ist: wahrscheinlich der erste Zähmungsakt der FPÖ. Haben Sie das sehr ernst genommen, was der damalige Vizekanzler Schüssel im "Kurier" vom 29. Jänner gesagt hat: Wir werden nicht danach beurteilt, was in irgendwelchen Wahlkämpfen vor zehn oder fünf Jahren oder vor einem Jahr gesagt wurde, sondern am gemeinsamen Wollen.

Daher schlage ich Ihnen vor: Affichieren Sie ab jetzt in den nächsten Wahlkämpfen Plakate, auf denen Sie oben die Forderungen erheben und unten hinschreiben: Stimmt eh nicht, ist eh Wurscht, machen wir sowieso nicht! Die Hauptsache ist: Wählt uns – am besten mit einer Binde vor den Augen! Schreiben Sie drauf: Wir wollen nur in die Regierung, der Rest ist völlig egal! (Beifall bei der SPÖ und bei Abgeordneten der Grünen. – Abg. Mag. Kukacka: Cap betreibt Wählerbeschimpfung! – Weitere Zwischenrufe.)

Da können Sie von der FPÖ dann auch gleich mitmachen, denn Ihnen sind Ihre freiheitlichen Wähler mittlerweile auch längst egal! (Abg. Mag. Kukacka: Cap betreibt Wählerbeschimpfung!)

Jetzt komme ich zum nächsten Punkt. (Abg. Windholz: Ihnen sind die Wähler aufgesessen, über Jahre!) Sie gehen davon aus – das scheint Ihr Denkansatz zu sein, diese ganze Konstruktion der Regierung; Abgeordneter Kukacka zum Beispiel ist ja einer, der schon seit Jahren sehnsüchtig auf diesen Augenblick gewartet hat, wie auch einige andere mehr, er war vielleicht sogar der Architekt –, Sie gehen davon aus, dass es möglich ist, diese blaue Truppe auf Ihre Art zu "domestizieren"; nennen wir es einmal so. Das ist ja Ihre Ansage gewesen – und zudem natürlich, dass Schüssel Bundeskanzler werden wollte. Die Verlockung war natürlich groß, zuzusagen, als sich Haider aus Kärnten gleich nach der Wahl gemeldet hatte, quasi auf Zuruf: Gut, okay, ich verleihe Schüssel den Bundeskanzler-Titel; wenn er will, kann er es werden, dann wird er von uns unterstützt werden.

Schüssel geht also von der These aus, dass er diese blaue Truppe zähmen kann. Na ja, die letzten Tage und Wochen waren nicht gerade ein Beweis dafür, dass er das tatsächlich kann. Denn nach diesen Äußerungen, nach diesen Provokationen, die die Europäische Union in ihren Reaktionen erst so richtig auf den Siedepunkt gebracht haben, gab es ja auch eine Schlussäußerung, die lautete: Wenn der Fuchs erst einmal in den europäischen Hühnerstall kommt, dann wird es anders. Das ist ja noch gar nichts; jetzt herrscht dort schon wilde Angst, wildes Treiben. – Einmal abgesehen davon, bin ich neugierig, wann der Fuchs in den Regierungs-Hühnerstall kommt; um in dieser Diktion zu sprechen.


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Da habe ich schon meine Zweifel über das Verhältnis zwischen Realität und Märchen. Ich empfehle jedenfalls Bundeskanzler Schüssel die Lektüre "Der kleine Prinz" von Antoine de Saint-Exupéry; das ist ein gutes Buch. Darin empfehle ich ihm die Lektüre der Seite 67. Anscheinend hat Schüssel das aber ohnehin gelesen, bevor er sich entschlossen hat, diese blau-schwarze Koalition zu bilden. Denn dort steht fast seherisch, fast prophetisch folgender Text:

"Der Fuchs ... schaute den Prinzen lange an." Dann sagte der Fuchs zum Prinzen: "‚Bitte ... zähme mich!‘ sagte er. ‚Ich möchte wohl‘, antwortete der kleine Prinz, ‚aber ich habe nicht viel Zeit. Ich muss Freunde finden ...‘"

Das kann man wohl sagen, die muss er jetzt echt finden (Heiterkeit bei der SPÖ), und zwar nicht nur in Österreich, sondern auch in Europa (Abg. Dr. Khol: Die hat er!), und er muss viele Dinge kennen lernen. – Aber die lernt er jetzt auch kennen, die werden ihn nämlich noch etwas anschauen lassen in dieser Regierung. (Abg. Dr. Khol: Ihr vor allem!) Da wird er noch sehr viel kennen lernen.

Ich empfehle ihm also diese Lektüre, denn das ist eine Fundgrube für den "kleinen Prinzen", damit er dort nachschlagen kann, wie er diesen Zähmungsprozess in Wirklichkeit vorantreiben kann. Vielleicht kann ihm Staatssekretär Morak in der Literatur noch behilflich sein. Es gibt darin auch einige andere Seiten, die interessant sind.

Ich will einen letzten Satz noch nachschieben, weil hier immer gesagt wird: Was wollen eigentlich die Künstler und die Kunstschaffenden? Warum üben sie hier so Kritik? Wir haben doch ein gutes Programm! – So quasi: Dürfen’s denn das? Oder: Fürchtet euch nicht! Das ist fast wie in der Bibel: Fürchtet euch nicht, wir sind ohnehin da, wir schützen euch, das Böse zähmen wir!

Kunst ist sowieso wieder Chefsache, daran hat sich einmal nichts geändert! Aber das Programm ist in Ordnung. – Wir verstehen es nicht. Na, vielleicht gibt es eben eine andere Kritik auch noch! Vielleicht meinen Sie, dass Sie für das Klima, das Sie mitgeschaffen haben, für das, wofür Sie stehen, nicht mit einer Regierungsbeteiligung zu belohnen sind. Ich finde, diese Kritik muss man ernst nehmen, der werden Sie sich stellen müssen, und das wird man nicht so leicht abhandeln können, wie Sie das bislang immer getan haben. (Abg. Mag. Schweitzer: Aber der Wittmann hat dem Morak die Latte nicht hoch gelegt!)

Sehr geehrter Herr Bundeskanzler! Einer der vielen Gründe, warum die Künstler diese Position beziehen, war unter anderem auch Ihre Antwort in der "Pressestunde" auf die Frage eines Redakteurs. Die Frage war: Glauben Sie eigentlich, dass Haider diese Dinge – die Sie noch kennen lernen müssen und die Sie schon kennen, mit SS Krumpendorf, Beschäftigungspolitik, Drittes Reich und so weiter – alle gesagt hat, weil er letzten Endes so ist, oder aus einem gewissen Opportunismus heraus, weil er weiß, dass dergleichen in einem Teil des österreichischen Wählersegments gut ankommt? Was ist daher Ihre Meinung? – Schüssel: Das weiß ich nicht, weil ich nicht Psychologe bin und andere jetzt bewerten möchte.

Sehr geehrter Herr Bundeskanzler! Sie sind nicht als Psychologe in dieser Regierung, sondern Sie haben eine politische Aufgabe zu erfüllen! (Zwischenrufe bei der ÖVP und den Freiheitlichen.) Auf die Nachfrage dazu antworten Sie: Vielleicht schwingt beides mit. – Also vielleicht ist er ein bisschen ein Nazi, und vielleicht ist er ein bisschen ein Opportunist! Wörtlicher Text: Vielleicht ist aber auch eine gewisse, wie soll ich sagen, Unbefangenheit hier spürbar.

Der ist jetzt 50 Jahre alt geworden. Dem noch immer eine jugendliche Unbefangenheit nachzusagen, ist kühn! (Heiterkeit des Abg. Schwemlein.  – Abg. Dr. Martin Graf: Wie alt ist der Cap geworden?)

Noch einmal: Ich halte Sie in dieser Frage für anständig. Ich sage nicht, dass Sie Sympathisant von irgendetwas sind. (Zwischenrufe bei der SPÖ und den Freiheitlichen.) Aber bitte sagen Sie jetzt einmal ganz klar: Ist er es, oder ist er es nicht? Oder spielt er bloß so? Oder ist er Opportunist? – Das erwarte ich mir schon, wenn Sie den Fuchs zähmen wollen. Denn sonst wird er auf die Dauer nicht zähmbar sein. (Beifall bei der SPÖ.)

21.26


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Präsident Dr. Heinz Fischer:
Nächste Rednerin ist Frau Abgeordnete Haller.

Gleichzeitig gebe ich bekannt, dass der Entschließungsantrag, den Herr Abgeordneter Dr. Cap verlesen hat, ordnungsgemäß eingebracht ist, genügend unterstützt ist und daher in Verhandlung steht.

Bitte, Frau Abgeordnete, Sie haben das Wort.

21.26

Abgeordnete Edith Haller (Freiheitliche): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Dame und die Herren auf der Regierungsbank! Hohes Haus! Wir haben heute schon sehr viel gehört: unter anderem einen gewohnt schauspielernden, fantasierenden Peter Pilz, einen humoristisch schauspielernden Abgeordneten Edlinger (Abg. Mag. Haupt: Hervorragend!) und jetzt zum Schluss noch Kollegen Cap. Da muss ich schon sagen: Herr Kollege Cap, Sie waren schon besser, Sie waren wirklich schon besser! (Widerspruch bei der SPÖ.) In all diesen Jahren in diesem Hohen Haus, in denen Sie "Learning by doing" hätten machen können, ist wirklich nicht viel herausgekommen! (Beifall bei den Freiheitlichen.) Sowohl Ihre schauspielerische Leistung als auch Ihre politische Leistung hat sich nicht verbessert. (Abg. Schieder: Sie haben es ein bisschen mit dem Theater anscheinend!)

Ich erinnere mich aber trotzdem heute und aus diesem Anlass recht gerne an eine Reise Anfang der neunziger Jahre, als Herr Kollege Cap und meine Person den damaligen Außenminister Mock nach Paris begleiteten (Abg. Schieder: Ach so?), um Gespräche im Vorfeld des EU-Beitritts zu führen. Als mich am Rande dieser Gespräche ein französischer Abgeordneter der RPR fragte: Wie ist denn bei euch jetzt die Regierungskonstellation?, und ich darauf antwortete: Sozialdemokraten und ÖVP!, da sagte er: Geht denn das, funktioniert denn das? – Darauf erwiderte ich: Ja, irgendwie geht es noch.

Das ist jetzt sieben oder acht Jahre her. Es hat noch eine ganze Weile funktioniert, aber jetzt hat es eben nicht mehr funktioniert. Ich glaube, dass das die normalste Sache der Welt ist. Jetzt sind wir halt so weit, dass die Linken, weil sie nicht mehr an der Macht sind, auf die Straße gehen müssen. (Abg. Dr. Mertel: Wenn wir Linke sind, sind Sie Rechte!) Es sind ja die Linken, oder? – Von mir aus gesehen links.

Sie müssen auf die Straße gehen. (Zwischenruf bei der SPÖ.) Sie werden bei diesen Aktionen sehr stark von den Grünen unterstützt, nicht nur ideell, sondern auch die Gewaltbereitschaft wird von den Grünen unterstützt. (Abg. Öllinger: Oh!) Mir fehlt da schon eines, bei diesen gestrigen und bei den heutigen Debatten: Niemand –niemand!  – hat sich davon distanziert (Abg. Öllinger: Aha, da wird es eine Berichtigung geben müssen! Ja, Frau Kollegin!), was Ihre Kollegin, Herr Kollege Öllinger, im Wiener Landtag in Bezug auf die Gewaltbereitschaft gesagt hat. Niemand hat sich distanziert!

Ich habe mich immer bemüht, auch die Grünen ernst zu nehmen. Aber solange Sie sich nicht davon distanzieren, werde ich Ihre Aussagen sicher nicht mehr ernst nehmen. (Beifall bei den Freiheitlichen und bei Abgeordneten der ÖVP. – Abg. Dr. Trinkl: Er wird sich jetzt distanzieren!)

Aber nun zur neuen Regierung. Wir haben eine neue Regierungsmannschaft, eine sehr attraktive, nicht nur optisch, sondern – wie wir heute gesehen haben – auch im fachlichen Bereich. Wir haben ein neues Regierungsprogramm, ein sehr attraktives Programm, wie ich meine, wie aber nicht nur ich meine, sondern wie jetzt anscheinend auch die "Kronen Zeitung" sagt: Die neue Regierung verspricht viel. (Ironische Heiterkeit bei der SPÖ.)  – Ich sage Ihnen eines: Wir werden es auch halten, im Unterschied zu Ihnen! (Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP.)

Anscheinend haben wir damit auch schon in den USA Gehör gefunden. Denn laut einer APA-Meldung von heute sagt die US-Botschafterin Albright, die uns bisher sehr kritisch gegenübergestanden ist (Abg. Schieder: Die ist sogar schon Außenministerin!), dass das Programm, das wir präsentiert haben, ein gutes ist. (Abg. Ing. Westenthaler: Ah!) Ja, und sie sagt: Man soll dieser Regierung eine Chance geben. Auch sie spricht lustigerweise – genau wie unser Herr Bundes


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kanzler – von praktisch drei gleich starken Parteien in Österreich. Ja, das gefällt mir eigentlich schon recht gut. (Abg. Ing. Westenthaler  – in Richtung SPÖ –: Da könnt ihr euch ein Scherzel abschneiden!)

Besonders gut gefällt mir natürlich, dass wir in unserem Programm Prioritäten gesetzt haben. Trotz der Geldknappheit, trotz des finanziellen Desasters, das uns hinterlassen worden ist, haben wir einwandfrei Prioritäten gesetzt. Mich freut es natürlich besonders, dass das im Bereich der Frauen und Familien geschehen ist. Es wird endlich einmal Ansätze für eigenständige Pensionen für Frauen geben. (Beifall bei den Freiheitlichen.) Die Roten haben es uns nur versprochen. Wir wollen die Frauen nicht in den Beruf zwingen, aber wir wollen es ihnen dadurch ermöglichen, dass wir wirklich endlich versuchen, Familie und Beruf besser vereinbar zu machen, damit es nicht nur bei Lippenbekenntnissen bleibt, wie es bisher war.

Wir haben aber auch im partnerschaftlichen Bereich sehr gute Ansätze geschaffen (Abg. Haidlmayr: Firma Haushalt!), neue Möglichkeiten, konkrete Möglichkeiten, die aber wiederum kein Zwang sein sollen, nicht wie die Fifty-Fifty-Regelung der Frauen-Bundesministerinnen.

Wir haben aber vor allem bei der Kindererziehung neue, gute Prioritäten gesetzt. Wir wollen Kindererziehung endlich ideell und finanziell aufwerten. Die Intentionen des Kinderbetreuungsschecks – für den wir Freiheitliche, für den ich persönlich seit Jahren kämpfe, Sie wissen das – sind zumindest in einer ersten Stufe, aber vollständig umgesetzt worden. Ich stehe zu diesem Kinderbetreuungsgeld.

Und wenn wir zum Beispiel auch die Schülerfreifahrt für Internatsschüler wieder einführen werden – und das möglichst schnell –, dann muss ich sagen: Es war halt immer die SPÖ, die diese Dinge in den letzten Jahren blockiert hat. Es wird dadurch besonders für Alleinerzieherinnen Vorteile geben. Wenn Sie nicht haben wollen, dass das so ist, dann werden wir nach einem Jahr – oder wann diese Maßnahmen in Kraft treten – die Alleinerzieherinnen fragen.

Es wird auch weitere Schritte hin zu einer Verbesserung bei der Kinderbetreuung geben. Ich lese Ihnen einen Punkt aus Kapitel III unseres Programms vor, den Punkt 9 im Kapitel III.

"Im Rahmen der geplanten Finanzausgleichs-Verhandlungen soll unter Berücksichtigung der zu erwartenden Einnahmenüberschüsse des FLAF mit den Ländern Übereinstimmung hinsichtlich einer Weiterentwicklung des Kinderbetreuungsgeldes ... gefunden werden. Eine Integration der Sondernotstandshilfe und der Notstandshilfe in das Konzept des Kinderbetreuungsgeldes ... soll geprüft werden." – Zitatende.

Ich bin damit sehr zufrieden. Das sind nur die Anfänge, die wir jetzt setzen. (Abg. Dr. Petrovic: Wehret den Anfängen!)

Zu Herrn Kollegen Edlinger, der für die nackten Kinderpopotscherln jetzt die sechs Jahre einfordert, kann ich nur sagen: Es ist Ihre Schuld, dass wir nicht sofort die sechs Jahre umsetzen können. (Abg. Edlinger: No cash!) Hätten Sie nicht so eine Misswirtschaft in weiten Bereichen betrieben (Beifall bei den Freiheitlichen)  – selbstverständlich, eine Studie des Österreichischen Instituts für Familienforschung belegt es! –, dann hätten wir bereits in dieser kommenden Periode alle sechs Jahre umsetzen können. (Abg. Edlinger: Ich bin ein charmanter Mensch, deshalb kann ich keine Zwischenrufe machen!)

Noch kurz zu meiner früheren Kontrahentin, der Frau Abgeordneten Prammer: Sie hat so einen schönen Spruch gebracht von den Knöpfen, von den Löchern und von den Knopflöchern, und sie hat gemeint, wir müssten jetzt mit der neuen Regierung schauen, dass wir zumindest den ersten Knopf wieder schließen könnten. – Ja, es wird zugegebenermaßen gar nicht so leicht sein, diesen ersten Knopf wieder zu schließen. (Zwischenruf der Abg. Silhavy. ) Aber wir werden es schaffen. Ich hätte mir gewünscht, dass Sie – ich sage das zu den Sozialdemokraten – die Knöpfe des Schutzmantels für Österreich zuvor nicht ganz geöffnet hätten. (Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP.)

21.36


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9. Sitzung / Seite 184

Präsident Dr. Heinz Fischer:
Zu einer tatsächlichen Berichtigung hat sich Herr Abgeordneter Öllinger zu Wort gemeldet. Zu berichtigender Sachverhalt – tatsächlicher Sachverhalt. – Bitte.

21.36

Abgeordneter Karl Öllinger (Grüne): Selbstverständlich, Herr Präsident!

Frau Abgeordnete Haller hat in ihrer Rede behauptet, die Grünen unterstützten die Gewaltbereitschaft von Demonstranten. (Abg. Haller: Distanzieren Sie sich!)

Ich stelle demgegenüber richtig: Die Grünen haben immer und überall die Gewaltfreiheit als ihr tragendes Prinzip betont. (Abg. Haigermoser: Ha, ha, ha, selten so gelacht!)

Auch wenn Frau Abgeordnete Haller wiederholt und wider besseres Wissen behauptet, die Grünen unterstützten die Gewaltbereitschaft oder die Gewalt, wird diese Behauptung durch Wiederholung auf keinen Fall richtiger, sondern höchstens nur noch beleidigender. (Beifall bei den Grünen. – Abg. Ing. Westenthaler: Ist Frau Vassilakou schon zurückgetreten?)

21.37

Präsident Dr. Heinz Fischer: Nächste Rednerin ist Frau Abgeordnete Lunacek. Sie hat das Wort.

21.37

Abgeordnete Mag. Ulrike Lunacek (Grüne): Herr Präsident! Dame und Herren der Regierung! Hohes Haus! Es ist ein bisschen bizarr: Wenn ich hier die Regierungserklärung gehört habe, auch die Worte der neuen Regierungsparteien und die Worte, die in diesem Programm vorkommen, muss ich sagen, sie stehen nicht ganz im Einklang mit dem, was ich draußen mit Menschen erlebe, mit denen ich rede. Da ist ein ziemlicher Unterschied, auf den ich später noch zurückkommen werde.

Wovon Sie heute gesprochen haben – Herr Kollege Platter zuerst –, war, dass diese Regierungserklärung und diese neue Regierung ein Befreiungsschlag sein wird und dass Sie ganz neu regieren wollen. (Abg. Silhavy: Ein Schlag vor allem!) Na ja, ein paar interessante Aspekte sind in den Worten der Regierungserklärung vielleicht drinnen, das kann ich nicht leugnen. Das sind Worte, und Papier ist geduldig. Die Offenheit, die Toleranz, das sind Eckpfeiler der Demokratie – da stimme ich Ihnen sicherlich zu. Die Frage ist, wie es im Detail aussieht: die Freiheit, die Wahrung der Menschenrechte.

Finanzminister Grasser hat gesagt – und auch ein paar andere –: Nicht an den Vorurteilen sollen wir Sie messen. – An den Vorurteilen werden wir Sie nicht messen. Wir messen Sie, wenn schon, auch nicht nur an Ihren Worten, sondern an dem, was Sie tun oder getan haben.

Da fällt es mir bei der Frauenpolitik sehr schwer, das zu glauben, was da drinsteht, zum Beispiel, dass Sie die Gleichrangigkeit von Frauen und Männern auf allen Ebenen unterstützen wollen. Ich mag zwar vielleicht anerkennen, dass es jetzt eine erste weibliche Vizekanzlerin in diesem Land gibt – die hätte es schon längst geben sollen. (Abg. Ing. Westenthaler: Das ist aber etwas Schönes!) Es war auch nicht unsere Entscheidung, dass es sie bisher noch nicht gegeben hat.

Aber dieselbe FPÖ, Herr Westenthaler, Herr Kollege (Abg. Ing. Westenthaler: Sie haben die Klubobfrau abgewählt!), dieselbe FPÖ hatte vorher, bis zur Regierungsbildung (Abg. Ing. Westenthaler: Wieso haben Sie die Klubobfrau abgewählt?) nach der Wahl vom 3. Oktober, einen Frauenanteil von 26,2 Prozent in ihrem Klub. Wissen Sie, wie viele Sie jetzt haben – und jetzt ist Frau Riess-Passer auf der Regierungsbank –? (Abg. Ing. Westenthaler: Warum ist Frau Petrovic nicht mehr Klubobfrau?)  – 17,3 Prozent! Das ist zu wenig für die Gleichrangigkeit von Frauen und Männern in der Politik. (Beifall bei den Grünen.)

Bei der ÖVP schaut es nicht viel besser aus. Sie haben jetzt vielleicht ein paar mehr, von 19,2 Prozent auf 23,1 Prozent, vor dem 3. Oktober und nach dem 3. Oktober. (Abg. Dr. Martin Graf: Dafür wählt ihr eure Klubobfrau ab, weil sie eine Frau ist, nicht!) Aber gleichrangig ist das


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9. Sitzung / Seite 185

noch lange nicht. Es gibt Länder auf dieser Welt, die von uns als "Entwicklungsländer" bezeichnet werden, wie zum Beispiel Peru in Südamerika. Dort wurde es nach der Frauenkonferenz von Peking vor fünf Jahren so eingeführt, dass in den Parteien immer mindestens 30 Prozent Frauen sein müssen. Vielleicht sollten Sie sich daran ein Beispiel nehmen!

Ich frage Sie beide – in diesem Fall frage ich aber auch die SPÖ –: Warum haben Sie denn unserem Antrag, den wir schon des Öfteren eingebracht haben – dass die Parteienförderung nach der Höhe des Frauenanteils beziehungsweise auf das Verhältnis von Frauen- und Männeranteil abgestimmt wird, und nach den realen Mandaten; dass Sie, wenn Sie weniger als 50 Prozent Frauenanteil an den realen Mandaten haben, deswegen auch weniger an Parteiförderung bekommen, und dies in die Förderung von Frauen gesteckt wird –, nicht zugestimmt? Dann wäre es heute vielleicht nicht mehr so besonders, dass es eine erste Vizekanzlerin gibt, dann müssten wir das vielleicht nicht mehr so herausstreichen.

Frau Kollegin Zierler! Sie haben gesagt, Sie wollen die Frauenpolitik nicht ins Ghetto abschieben. Na ja, mit den bisherigen Maßnahmen haben Sie innerhalb Ihrer Partei diese Gleichrangigkeit, von der Sie sprechen, nicht geschaffen. Das Frauenministerium, sagen Sie, haben Sie nicht abgeschafft, sondern Sie haben es integriert. Die Erfahrung zeigt in vielen Teilen der Welt: Wenn man etwas woanders hinein integriert, ohne es ganz genau zu bezeichnen, ohne genau zu sagen, was man da drinnen will, ohne genau Personal und Ressourcen dafür zur Verfügung zu stellen, dann geht es unter, dann bleibt nichts übrig. Dann ist es nicht nur integriert, sondern dann ist es weg. Und das wird passieren!

Wenn das nicht so sein wird, würden wir uns freuen! Ich befürchte aber, dass es so sein wird. Wir werden uns das sehr genau ansehen.

Ein anderer Punkt der Offenheit und der Toleranz: Finanzminister Grasser hat auch gesagt, Sie wollen den Reformstau auflösen. Das ist etwas, dem wir auch zustimmen würden. Wir haben in den letzten Jahren auch sehr oft gesagt, dass es Reformen in diesem Land bedarf. Das ist mit einer der Gründe, aus denen Ihre Partei, die FPÖ, so stark geworden ist, dass sich hier in den letzten Jahren nichts weiterbewegt hat. Aber von einem Reformstau, den es seit Jahren gibt, steht nichts in Ihrer Regierungserklärung drin, und es steht auch nichts davon in Ihrer Koalitionsvereinbarung.

Das müssen Sie mir zuerst noch einmal erklären, warum von einer Menschenrechtsverletzung, für die Österreich vom Europa-Parlament, vom Europäischen Menschenrechtsgerichtshof schon des Öfteren verurteilt wurde und bei der es Schlusslicht in der Europäischen Union ist, nichts drinsteht. Bei der ÖVP weiß ich es ja: § 209 Strafrechtsgesetz dient Ihnen zum Hochhalten der Ideologie, wonach Sie angeblich Jugendliche schützen wollen. Es geht um das unterschiedliche Alter für schwule Männer gegenüber Heterosexuellen – das wollen Sie nicht abschaffen. Die FPÖ hat jedoch vor ein paar Jahren den Antrag eingebracht, es auf 16 Jahre zu verringern. Warum haben Sie das jetzt nicht getan, wenn Sie damals dafür eingetreten sind? – Da haben Sie gegenüber der ÖVP anscheinend Angst vor Ihrer eigenen Courage bekommen.

Ein Antidiskriminierungsgesetz gibt es auch nicht. Nicht nur für Lesben und Schwule, auch für andere Bevölkerungsgruppen in diesem Land wäre es höchste Zeit, dass es so etwas gibt. Kein Wort davon drinnen! (Beifall bei den Grünen.)

Noch ein Punkt: Das Land freier und offener machen, wurde gesagt. Klingt ja nicht schlecht! "Starke Demokratie" steht drinnen – klingt auch nicht schlecht, da haben wir überhaupt nichts dagegen! Aber wenn unter dem Kapitel "Starke Demokratie" in der Koalitionsvereinbarung nur die Rede ist vom freien Individuum – das unterstreiche ich – und von der Ehrenamtlichkeit – die finde ich auch wichtig, gerade bei uns arbeiten sehr viele Leute ehrenamtlich mit –, aber kein Wort von der so genannten Zivilgesellschaft und kein Wort von den Nicht-Regierungsorganisationen, die in diesem Land sehr viel Arbeit leisten, die der Staat weder bisher geleistet hat noch in Zukunft leisten wird, dann, muss ich sagen, ist das nicht die freie und offene Gesellschaft, die wir brauchen.


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Auch im Kapitel zur Entwicklungspolitik kommen die Nicht-Regierungsorganisationen nicht vor; zwar ein neues Gesetz – das haben wir auch schon gefordert –, aber von den Nicht-Regierungsorganisationen, die eine besonders wichtige Arbeit in diesem Bereich leisten – und das wissen gerade Sie von der ÖVP, gerade Ihre frühere Staatssekretärin Benita Ferrero-Waldner ganz genau –, steht kein Wort drin. Wie sollen wir Ihnen da glauben, dass Sie die Offenheit und die Demokratie fördern wollen?

Es ist bizarr, diese Worte hier zu hören, denn die Stimmung, die ich am Anfang angesprochen habe, die ich draußen erlebe, ist eine andere. Da gibt es Menschen mit dunklerer Hautfarbe, als sozusagen wir alle hier in diesem Haus sie haben. Diese Menschen haben mehr Angst als vorher. Da gibt es Juden und Jüdinnen, die sich mehr fürchten und die meinen: Vielleicht müssten sie auswandern, wenn das, was die FPÖ in den letzten Jahren gesagt hat, wirklich Realität wird. Im Regierungsprogramm steht dazu nichts drin, aber eine Distanzierung davon genauso wenig.

Wenn mir dann zum Beispiel jemand aus Oberösterreich erzählt, dass es am Stammtisch dort wieder üblicher geworden ist, Dinge zu sagen wie: Mauthausen gehört wieder aufgemacht ... (Abg. Großruck: Wo ist das?) In Wels war es, ist mir berichtet worden. (Abg. Großruck: Wo genau? Wann?) Das werde ich Ihnen dann sagen. (Abg. Großruck: Wo genau? – Ruf bei der ÖVP: Was heißt, das ist Ihnen berichtet worden?)

Es ist eine Tatsache (Abg. Mag. Schweitzer: Sagen Sie ihm, wo und wann! Er geht der Sache nach!), dass das Selbstbewusstsein von Leuten (Abg. Mag. Schweitzer: Er geht der Sache nach! Sagen Sie es ihm!) durch das, was Sie immer gesagt haben, von Rechtsextremen, Rechtsradikalen gestärkt wird. (Abg. Mag. Schweitzer: Bla bla bla!) Dazu brauchen wir keine Gesetze zu ändern. Es reicht, wenn das jetzt salonfähig gemacht worden ist. (Abg. Mag. Schweitzer: Sagen Sie es! – Behauptungen!) Wie Sie dem entgegenwirken wollen, wie Sie dieser Angst entgegenwirken wollen (Abg. Ing. Westenthaler: Sie machen mir Angst!), davon steht nichts in Ihrer Regierungserklärung, und das fehlt! (Beifall bei den Grünen.)

21.46

Präsident Dr. Heinz Fischer: Nächste Rednerin ist Frau Abgeordnete Dr. Brinek. – Bitte.

21.46

Abgeordnete Dr. Gertrude Brinek (ÖVP): Herr Präsident! Herr Bundeskanzler! Meine Damen und Herren von der Bundesregierung! Ein kleiner Nachsatz noch zu Josef Cap, der sich als profunder Fuchsbändigungs-Coach für den Bundeskanzler geriert hat. Eines muss er doch dem neuen Bundeskanzler zugestehen: Schon lange nicht haben wir von einem Bundeskanzler eine so souveräne und authentische Regierungserklärung gehört. Das war doch etwas Wohltuendes! (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

Diese Probe hat er mehr als bestanden. Ich bin sehr zuversichtlich, dass daher am weiteren Programm genauso souverän gearbeitet werden kann. (Abg. Dr. Mertel: Wenn Sie nur die Hälfte sehen, haben Sie ein selektives Wahrnehmungsvermögen!)

Vor allem aber freut es mich, dass im Bereich der Jugend, im Bereich der Wissenschaft, im Bereich der Kultur, im Bereich der Bildung so wichtige Akzente gesetzt werden. Ich bin ganz sicher, dass wir etwa unter Ministerin Gehrer eine selbstverständlich weitest mögliche gute Umsetzung erleben. Sie hat in den vergangenen Jahren bewiesen, wie souverän sie an die Probleme herangeht. Wir werden sichern, dass das Schulsystem differenziert bleibt, dass die Schulversuche evaluiert werden, um Reformen weiterentwickeln zu können, und dass die vorhandenen Evaluierungsergebnisse mit einbezogen werden.

Wir werden im Bereich der Wissenschaft Akzente setzen, bei denen ich sicher bin, dass der Minister außer Dienst Einem und seine Kollegen mitgehen können, weil sich vieles auch im rosaroten Programm, im Grünbuch für Forschung und so weiter findet. Ich bin sicher, dass wir Zustimmung auch im ambitionierten Kulturprogramm bekommen. – Ich muss mich leider so schnell durch die Punkte arbeiten.


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Ich bin sehr, sehr froh und davon überzeugt, dass es gut gehen wird, dass es ein weiteres positives Signal gibt, nämlich dass es Bundeskanzler Schüssel gelungen ist, das erste Mal – das erste Mal in Österreich! – einen aktiven Künstler in die Bundesregierung zu holen. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

Das ist ein Zeichen für einen Dialog. Herr Morak ist hier, Sie können ihn dazu ... (Abg. Dr. Mertel: Der ist doch zurückgetreten! Wissen Sie nicht?) Wieso soll Herr Morak zurückgetreten sein? (Abg. Dr. Mertel: ... hat er gesagt, er wird zurücktreten! – Abg. Ing. Westenthaler: Regen Sie sich nicht auf! Sie werden eine Möglichkeit bekommen!) Nein, bitte, da sind Sie einer falschen Geschichte aufgesessen. (Abg. Dr. Mertel: ... der virtuelle Staatssekretär!) Ich bin sehr froh, dass es neben den Künstlern, die artikuliert haben, dass sie Ängste haben, Probleme, auch andere Künstler gibt, die ihm ihre Sympathie, ihr Wohlwollen, ihre Zustimmung und ihre Unterstützung ausgedrückt haben. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

Ich möchte da nur Robert Menasse, Pierre Boulez, Frank Baumbauer, Franz Xaver Kroetz, Fritz Muliar und viele andere nennen. Ich bedanke mich für das Vorschussvertrauen bei diesen Herrschaften, bei diesen Damen und Herren! Ich glaube, Franz Morak und sein Team werden sich dieses Vertrauensvorschusses würdig erweisen.

Ich bin sehr froh darüber, dass er angekündigt hat, sich um den Ingeborg-Bachmann-Preis zu kümmern und mit dem Klagenfurter Bürgermeister sowie zusammen mit den Bachmann-Erben den etwa 25 Jahre alten Bachmann-Preis weiterzuentwickeln und auf moderne Beine zu stellen. Franz Morak, herzlichen Dank! Die Unterstützung auch von Andrea Wolfmayr und anderen ist dir sicher. (Beifall bei der ÖVP.)

Ich sage an dieser Stelle auch – und das ist mir wichtig –, dass ich ein Unbehagen (Zwischenruf der Abg. Huber ) empfinde bei einem bestimmten Gesinnungsdruck (Zwischenruf der Abg. Dr. Mertel ), der etwa auf jüdische Freunde entsteht, die Franz Morak, mir und anderen Sympathie ausdrücken und diese Sympathie unter dem Druck ganz bestimmter Kräfte wieder relativieren müssen.

Ich halte es auch auf die Frage an mich: "Frau Brinek, warum sind Sie noch da?" mit Frank Baumbauer (neuerliche Zwischenrufe der Abgeordneten Dr. Mertel und Huber ), dem Intendanten der Salzburger Festspiele, der sagte: "Einige gehen, das finde ich nicht richtig. Jetzt heißt es, Ärmel aufkrempeln und gute Arbeit leisten." Dem will ich mich anschließen. (Abg. Dr. Mertel: Das war angekündigt!)

Nein, ich habe nichts angekündigt! (Abg. Ing. Westenthaler: Das wäre eine Möglichkeit!) Unterstellen Sie nicht, weder Franz Morak noch mir, dass wir etwas angekündigt hätten. (Abg. Mag. Trattner  – in Richtung der Abg. Dr. Mertel  –: Sie sollen nicht immer so böse sein!) Wir haben angekündigt, zu arbeiten. Wir sind ÖVP-Mitglieder, ÖVP-Abgeordnete, ÖVP-Regierungsmitglieder, und wir stehen dazu. Wir müssen in einer Koalition nicht in eine Ehe gehen, wir müssen nur ein pragmatisches Programm umsetzen. Mit unserem Kanzler an der Spitze und mit unserem Ministerteam machen wir das sicher gerne und gut. – Danke. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen. – Abg. Dr. Khol: Sehr gut gemacht!)

21.51

Präsident Dr. Heinz Fischer: Nächster Redner ist Herr Abgeordneter Dr. Niederwieser. – Bitte.

21.51

Abgeordneter DDr. Erwin Niederwieser (SPÖ): Herr Präsident! Herr Bundeskanzler! Sehr geehrte Frau Bundesministerin! Meine Herren Bundesminister! Lassen Sie mich mit drei Danksagungen beginnen (Abg. Mag. Trattner: Danksagungen?)  – nicht mit allen werden Sie eine Freude haben. (Abg. Haigermoser: Das ist ja ein Rednerpult, nicht ein Predigtstuhl!)

Der erste Dank gilt dem Herrn Bundeskanzler für die objektive Bilanz und Analyse der derzeitigen wirtschaftlichen und sozialen Lage in der Einleitung seiner Regierungserklärung. Es ist die Bilanz von vielen Jahren gemeinsamer Arbeit unter Führung sozialdemokratischer Bundes


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kanzler. Das war eine objektive Darstellung! Danke! (Beifall bei der SPÖ. – Abg. Mag. Trattner: Sehr gut, ja!)

Der zweite Dank: Danke für diesen Offenbarungseid, der mit dieser Regierungserklärung, aber vor allen Dingen mit diesem Regierungsprogramm vorgelegt wurde. Denn noch nie in der Zweiten Republik hat eine Regierungspartei so ungeniert, so kaltschnäuzig alle Wahlversprechen gebrochen, wie das die Freiheitliche Partei mit diesem Programm hier tut. (Beifall bei der SPÖ.)

Ich werde Ihnen das beweisen: Strompreis senken, Autofahrer entlasten, Flat-Tax, Kinderscheck und so weiter – von all dem ist nichts da! Weiters darf ich noch aus dem "Format" vom 5. September 1999 zitieren, in dem steht: "Koalition nur ohne Khol", Herr Klubobmann!

Die Einführung des Kinderschecks, des FPÖ-Steuermodells der Flat-Tax, einen Zuwanderungsstopp und das Zurückziehen von ÖVP-Klubobmann Andreas Khol nennt FPÖ-Chef Jörg Haider als Bedingungen (Abg. Haigermoser: Ihre Sorgen möchte ich haben!) für eine eventuelle freiheitliche Regierungsbeteiligung. Weiters ist Haider "zu keinem faulen Kompromiss bereit": "Im Zweifel lieber in die Opposition!" (Abg. Leikam: Khol ist zurückgezogen worden!)

Nichts von all dem ist hier übrig geblieben, und das Positive, das ich daran finde, ist, dass der Zuwanderungsstopp auch nicht drinnensteht, wenngleich Sie von einer Reduzierung der Zuwanderung reden. Ansonsten aber ist nichts übrig geblieben. Das hat die Generalsekretärin der Österreichischen Volkspartei, Frau Maria Rauch-Kallat, auch von vornherein gewusst, denn sie hat in einer Aussendung der ÖVP vom 12. September gemeint: Haider macht eine Politik der leeren Versprechungen. Er führt die Wähler hinters Licht. – Vier Tage später hat sie noch einmal nachgeschoben: Rauch-Kallat kritisiert die Wendehälse der Freiheitlichen: Unzählige Versprechen der Freiheitlichen; alle wurden sie bisher gebrochen. (Abg. Mag. Kukacka: Was ihr euch für Sorgen um die anderen Parteien macht! Ihr sollt euch Sorgen um die eigene Partei machen!) Noch nie in der Zweiten Republik hat eine Partei so ungeniert alle Wahlversprechen gebrochen wie die Freiheitlichen. – Dieser Offenbarungseid, den Sie mit dieser Regierungserklärung und mit diesem Programm ablegen, ist daher wirklich einen Dank wert!

Drittens möchte ich mich auch bedanken für die kleinen Risse, die wir innerhalb der Regierungsfraktionen gesehen haben. (Ironische Heiterkeit bei der ÖVP.) Dass etwa der Herr Bundeskanzler zu Recht sagt, dass die österreichischen Hochschulen einen ausgezeichneten Standard aufweisen und Kollege Graf hier herunter geht und sagt, das ist alles ein Trümmerhaufen – nicht wörtlich, aber sinngemäß (Abg. Mag. Firlinger: Wünschen kann man sich viel!)  –, zeigt doch ganz fundamentale Unterschiede in der Auffassung dessen, wie die Ausgangsbilanz dieser Bundesregierung ist. Diese feinen Risse waren immerhin bemerkenswert. (Abg. Dipl.-Ing. Schöggl: Die haben Sie innerhalb Ihrer Fraktion auch!)

Nun komme ich auf die Wissenschaft zu sprechen. Wir haben viele dieser Punkte, die hier drinnenstehen, ja auch in unserem Programm gehabt. Daher wird es darum gehen, sie umzusetzen. (Abg. Jung: Solche Sorgen, die der sich um uns macht!) Eines war interessant: Dieser Zusammenhang zwischen Studiengebühren und der Vollrechtsfähigkeit der Universitäten, zu dem die Volkspartei von uns noch so unbedingt die Zustimmung wollte, findet sich im Regierungsprogramm interessanterweise nicht mehr. Da könnte man sagen: Auch gut. Das ist eine sehr positive Sache. – Aber: Ich darf hier Kollegen Graf zitieren, der im "wu-memo", der Zeitung der Wirtschaftsuniversität, gerade erst am 3. Februar gemeint hat: "Gerade im Zusammenhang mit der Vollrechtsfähigkeit wird auch das Thema der Studiengebühren zu diskutieren sein", und Frau Bundesministerin Gehrer hat gestern in einer Aussendung gemeint, dass es notwendig sein wird, dass man auch erklärt, dass nicht alles gebührenfrei sein kann, was an den Hochschulen und an den Schulen angeboten wird.

Daher bringe ich folgenden Antrag ein:


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Entschließungsantrag

der Abgeordneten DDr. Niederwieser und Genossen betreffend Aufrechterhaltung des freien Hochschulzugangs in Österreich

Der Nationalrat wolle beschließen:

"Der Bundesminister für Wissenschaft, Forschung und Verkehr wird aufgefordert, die weiteren Schritte zur Ausweitung der Autonomie der Universitäten (,Vollrechtsfähigkeit‘) so zu setzen, dass keine neuen Hürden zum Universitätszugang – Studiengebühren, Aufnahmeprüfungen, Numerus Clausus – errichtet werden."

*****

Denn eines ist für uns bei dieser Bilanz, die vorgelegt wurde, unumstößlich: Wir werden nicht zulassen, dass neue Barrieren errichtet werden, dass unsere Universitäten in Zukunft jene Stätten sind, an denen nur die Kinder von begüterten Eltern ein Studium absolvieren können. Wir wollen, dass diese Universitäten für alle frei zugänglich bleiben, egal ob die Kinder aus einem reichen oder aus einem armen Elternhaus kommen. (Beifall bei der SPÖ.)

Wenn es die Zeit erlauben würde, würde ich noch im Detail auf jene Sorgen eingehen, die die Rektorenkonferenz in letzter Zeit, etwa gestern, geäußert hat, oder auf jene Bedenken, die hinsichtlich des Großforschungsprojektes Austron bestehen. Denn auch die Kooperationen in der Wissenschaft sind von diesen Sanktionen des Auslandes in einer ähnlichen Form, wie wir das heute schon des Öfteren gehört haben, betroffen. (Abg. Dr. Khol zeigt auf seine Uhr, um dem Redner die abgelaufene Redezeit zu signalisieren.)

Herr Bundeskanzler! Es geht dabei und es geht auch bei der Forschungskooperation um unser aller Österreich. Wir sind bereit, dafür zu arbeiten, dass wir diese Sanktionen wieder wegbekommen. Aber nicht wir haben die Plakate in Wien affichiert, sondern die Freiheitliche Partei ist das gewesen (Zwischenruf des Abg. Jung ), und nicht wir sind der Elefant im Porzellanladen, sondern Haider ist dieser Elefant im Porzellanladen.

Nur wenn Sie, Herr Bundeskanzler, es zustande bringen, dem Mitunterzeichner Ihres Koalitionspaketes diese Trampeltouren abzugewöhnen, werden wir im Interesse Österreichs und seiner Menschen mit unseren Bemühungen Erfolg haben. (Beifall bei der SPÖ. – Abg. Dr. Khol: Der hält sich nicht an die 4 Minuten! – Abg. Dr. Mertel: Das ist eine freiwillige Redezeitbeschränkung!)

21.58

Präsident Dr. Heinz Fischer: Der Entschließungsantrag des Herrn Abgeordneten Dr. Niederwieser betreffend Aufrechterhaltung des freien Hochschulzugangs in Österreich ist ausreichend unterstützt; er wird nach dem Ende dieser Debatte abgestimmt werden.

Zu Wort gelangt Herr Abgeordneter Haigermoser. – Bitte.

21.59

Abgeordneter Helmut Haigermoser (Freiheitliche): Hohes Haus! Meine Damen und Herren Bundesminister! (Der Redner platziert eine Spielzeugampel auf dem Rednerpult.) Die heutige Debatte hat ja einiges an Befindlichkeiten bei der SPÖ und insbesondere bei den Grünen gezeigt.

Die Sozialdemokraten haben versucht, diesen Strohhalm der Rhetorik quasi als ihren Rettungsring auszumachen. Dass ich hier eine Kinderampel mitgebracht habe, ist ein symbolischer Akt, möchte ich sagen, denn der Ampel ist nämlich das Licht ausgegangen, meine Damen und Herren. Der politischen Ampel ist das Licht ausgegangen, und ich freue mich ganz besonders, dass diese gute Tat Herr Van der Bellen vollbracht hat. Er hat es nämlich erreicht, einige Mandate abzuziehen. Damit haben wir das gelbe Licht, das LIF, verloren – kein großer Verlust –, und


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daher ist jetzt die Ampel nur mehr auf Rot-Grün, und das ist zu wenig. (Beifall bei den Freiheitlichen. – Abg. Huber: Aber blau ist es auch nicht!)

Das tut Ihnen weh! Ich bin für die österreichische Bevölkerung froh, meine Damen und Herren, dass es in diesem Hause keine linke Mehrheit mehr gibt. Das aber tut Ihnen weh, und daher ist es Ihnen heute so ergangen, wie es manchem beim Karneval in Venedig ergeht, wenn die schöne Maske heruntergenommen wird und sich dann die Fürchterlichkeit unter dieser Maske offenbart! (Abg. Dr. Lichtenberger: Das ist aber keine Regierung der Venezianer!)

Dieses Problem haben Sie! Und es ist gut, dass es keine linke Mehrheit mehr gibt! Ich freue mich wie ein Schneekönig, dass es in diesem Lande eine Mitte-Regierung gibt, die bereit ist, jenen Scherbenhaufen aufzuarbeiten (Abg. Parnigoni: Haigermoser, du bist ohne Maß ...!), den die Linken zuvörderst diesem Lande bereitet haben, meine Damen und Herren! (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Es ist ein guter Tag für dieses Land, Herr Edlinger, Herr Ex-Finanzminister! (Abg. Edlinger: Besser als Ihr Spielzeug!) Auch wenn Sie heute Tschauner geboten und vermeint haben, mit Ihrer, ich sage jetzt einmal, "1. Mai-Rede" Ihr eigenes Versagen kaschieren zu können: Übrig bleibt der Konkurs einer Kaste. Ich zitiere jetzt nur einen einzigen Satz aus dem Abschnitt "Der düpierte Bürger", wo unter der Überschrift "Stimmvieh und andere Störenfriede" zu lesen ist:

"Wie mit einem Königsrecht der Bürger, durch Wahl mitzubestimmen, umgegangen wird, offenbart manche funktionärsdemokratische Selbstherrlichkeit. Kaum um seine Meinung gefragt und mit gebührendem Aufwand, notabene aus Steuerzahlergeldern, zu den Urnen gebeten, und schon hat der Stimmbürger seine Schuldigkeit getan." – Aus "Konkurs einer Kaste" von Klaus Emmerich.

Meine Damen und Herren! Sie haben heute in Ihren Reden Ihren eigenen Konkurs politischer Natur offenbart! Sie sind ratlos! (Beifall bei den Freiheitlichen. – Abg. Mag. Haupt: Sind auf Urlaub!)

Rudi Ratlos, meine Damen und Herren! Der Ex-Kanzler hat sich in den Urlaub verabschiedet. Die Diadochen haben heute um die Nachfolge gerungen. Keiner weiß, wo es langgeht. Sie sind richtungslos – das hat man in Ihren Reden gehört –, und diese Richtungslosigkeit füllen wir mit Sachkompetenz, mit dieser Bundesregierung auf! (Beifall bei den Freiheitlichen sowie des Abg. Dr. Khol.  – Abg. Dr. Lichtenberger: Na, servus!)

In dieses Vakuum sind wir liebend gern eingetreten, meine Damen und Herren. Wir hätten auch sagen können: Nein, wir Freiheitlichen machen das nicht, wir gehen in die Opposition. Machen wir Neuwahlen! – Nein! Aus Verantwortung für dieses Land sind wir in diese Regierung gegangen, um dieser Ampel kein gelbes Licht mehr zu geben, sondern um die Themen in diesem Lande blau-schwarz zu besetzen und für dieses Land positive Arbeit zu leisten (Abg. Dr. Lichtenberger: ... die Klappentexte!): Leistung vor Parteibuch! Mehr Freiheit für den Einzelnen! Arbeit für alle nur in gesunden Betrieben!

Wir werden auch in der Wirtschaftskammer mit unserem Verbündeten, also mit Herrn Puttinger (Heiterkeit der Abgeordneten Dietachmayr und Ing. Gartlehner )  – da brauchen wir Herrn Leitl gar nicht –, für entsprechende Reformen sorgen, meine Damen und Herren, nämlich im Parlament, im Wirtschaftsausschuss, wo die Dinge hingehören. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Ich sage Ihnen: Glück auf der Republik Österreich und dieser Bundesregierung! (Beifall bei den Freiheitlichen. – Rufe bei der SPÖ: Sehr großzügig! – Das ist ein Träumer! – Abg. Dr. Lichtenberger: ... hat den Klappentext gelesen!)

22.03

Präsident Dr. Heinz Fischer: Nächste Rednerin ist Frau Abgeordnete Haidlmayr. – Bitte.

22.03

Abgeordnete Theresia Haidlmayr (Grüne): Herr Präsident! Hohes Haus! Es ist für mich nicht erstaunlich, aber es macht Angst, dass Sie, meine Damen und Herren von der ÖVP, von der


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9. Sitzung / Seite 191

SPÖ und von den Freiheitlichen es heute den ganzen Tag lang bis jetzt nicht geschafft haben – wir sitzen seit 9 Uhr Vormittag hier –, einmal auch die Interessen der behinderten Menschen zu vertreten. (Abg. Fischl: Ich habe es gesagt! – Abg. Mag. Haupt: Da waren Sie nicht da! Der Herr Bundeskanzler auch!)

Herr Präsident! In diesem Haus war es immer so, dass die Freiheitlichen ab und zu Interessen behinderter Menschen vertreten haben. Manchmal konnten wir auch die ÖVP gewinnen. (Abg. Dr. Khol: Den Artikel 3 der Bundesverfassung haben wir gemacht!) Im Regierungspapier, da stehen wir nur noch drinnen, wenn es um Aussonderung geht, wenn es um Sonderschulen geht, wenn es um Sonderanstalten geht. Dann wissen Sie, meine Damen und Herren, wen Sie dort hinzuschicken haben. (Abg. Dr. Khol: Das ist absolut ungerecht! Das stimmt nicht!) Wenn es um Menschenrechte geht, wenn es um das Selbstbestimmungsrecht behinderter Menschen geht, wenn es um die Gleichstellung von behinderten Menschen geht, da schweigen Sie! (Abg. Mag. Haupt: Nein, da schweigen wir nicht!) Da schweigen Sie von der ÖVP (Abg. Dr. Khol: Nein, wir schweigen nicht!), und die Freiheitlichen schweigen auch!

Es ist noch nicht so lange her, Herr Haupt, da waren Sie noch einer von jenen, die sich dafür eingesetzt haben (Abg. Mag. Haupt: So wird es auch bleiben!), dass der "Raub des Taschengeldes von Pflegeheiminsassen" – so haben Sie es genannt – rückgängig gemacht werden muss. (Abg. Mag. Haupt: ... Einmalzahlung ...!) Wo steht es denn in Ihrem Papier (Abg. Mag. Haupt: Lesen Sie es nach!), dass diese Menschen das wieder zurückbekommen müssen? Die Einmalzahlung ist es nicht! Es geht darum, dass diese Menschen das, was Ihnen in den letzten Jahren genommen wurde, wieder zurückbekommen. Aber Sie haben das Interesse an behinderten Menschen endgültig ad acta gelegt. (Abg. Fischl: Das ist eine Unterstellung! Das ist wirklich eine Unterstellung! – Abg. Steibl: Das ist eine Unterstellung! Man muss auch wissen, wo die Grenze ist und was Wahrheit ist!)

Ja, noch viel mehr: Wer dieses Regierungspapier liest und selbst betroffen ist – in diesem Haus bin ich es –, der muss Angst haben. Frau Rauch-Kallat hat am Sonntag gesagt, auch ihre Tochter – Claudia Rauch, sie ist blind – hat sie angerufen und hat gesagt, dass sie in diesem Land Angst hat – die Tochter von Frau Rauch-Kallat! (Abg. Dr. Grollitsch: Das ist unglaublich! Ungeheuerlich!) Und diese Angst ist berechtigt.

Wenn Sie sich zum Beispiel das Sachwalterrecht ansehen – auf Seite 108 Ihres Regierungsübereinkommens, wenn Sie es nachlesen wollen –, so finden Sie dort Folgendes – hören Sie mir genau zu –:

"Schaffung von Bestimmungen zur Erleichterung der medizinischen Behandlung von psychisch kranken Menschen und behandlungsbedürftigen Behinderten."

Wissen Sie, was das heißt? Wissen Sie, für wen es die Erleichterung geben soll? – Nicht für die behinderten Menschen, sondern für all jene, die vorhaben, behinderte Menschen zu medizinischen Zwecken freizugeben! (Zwischenrufe bei der ÖVP und den Freiheitlichen.) Das ist der erste Schritt dazu, dass Sie Ihre Bio-Medizin-Konvention, die Herr Schwimmer im Europarat bis aufs Äußerste vertritt, endlich durchbringen! (Abg. Mag. Trattner: Das ist eine unglaubliche Unterstellung! Sind Sie mir nicht böse! – Abg. Dr. Pumberger: Da hört sich die Nachsicht auf!)

Es steht nichts drinnen in Ihrem Regierungspapier, wenn es um die Stärkung der Rechte behinderter Menschen geht. (Abg. Fischl: Ich bin gespannt, was Sie in einem Jahr sagen werden!) Kein Wort! Ganz im Gegenteil: Es steht drinnen, dass für Langzeitarbeitslose – und dazu gehören auch behinderte Menschen; Sie wissen, sehr viele von uns sind langzeitarbeitslos – bei der Beurteilung der Zumutbarkeit einer Beschäftigung die Berücksichtigung der künftigen Verwendung im bisher ausgeübten Beruf bei fehlender Beschäftigungsmöglichkeit zu entfallen hat.

Meine Damen und Herren! Wissen Sie, was das heißt? – Das heißt, dass behinderte Menschen, die auf dem Arbeitsmarkt keine Chance mehr bekommen, jetzt wieder das tun müssen, was auch ich einmal hätte tun müssen: vielleicht über Bleistifte Bänder kleben – zum Nulltarif!


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9. Sitzung / Seite 192

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist eine Zumutung, was Sie uns behinderten Menschen, was Sie alten und kranken Menschen in Zukunft auflasten. Herr Donabauer hat heute gesagt: In der Krankenversicherung der Bauern hat es den Selbstbehalt immer schon gegeben, und jetzt wollen wir ihn weg haben. – Herr Donabauer! Haben Sie vergessen, dass wir 1998 eine Gesetzesänderung hatten, durch die die Pensionisten und die Versicherten der Sozialversicherung der Bauern in das ASVG übergeleitet wurden? Wenn meine Mutter als Bäuerin auf Grund ihrer ambulanten Behandlung einen Selbstbehalt hätte zahlen müssen, dann hätte sie sich die Dialyse nicht leisten können, denn das hätte nicht einmal ich mit meinem Gehalt ihr finanzieren können! (Beifall bei den Grünen. – Bundesminister Scheibner: Frau Kollegin! Wenn sie chronisch krank ist, dann hat sie keinen Selbstbehalt!)

Im "Kurier", meine Damen und Herren, können Sie Folgendes nachlesen (Abg. Schwarzenberger: Bei Dialyse war nie ein Selbstbehalt! Die ist immer ausgenommen gewesen!): Für einen Versicherten, der wegen Kreuzschmerzen in Behandlung ist, bedeutet die neue Regelung der 20-prozentigen Kostenübernahme eine Belastung von 2 850 S pro Quartal. – Da darf er aber nur Rückenschmerzen haben und sonst nichts.

Wollen Sie, dass wir uns ins Spital legen müssen oder dass alte Menschen sich stationär aufnehmen lassen müssen, obwohl sie vielleicht nur eine Behandlung brauchen, die sie auch ambulant machen könnten? Wissen Sie, was es für einen Mindestrentner, für eine Mindestrentnerin, für Menschen, die mit 362 S im Monat in Sonderanstalten leben müssen, heißt, wenn sie vielleicht ein Jahr lang sparen müssen, um sich ein Quartal lang eine Behandlung – nur von Rückenschmerzen – leisten zu können?

Sie haben dieses Sozialsystem ausgehöhlt! Sie haben es veranlasst und Sie werden es weiter veranlassen, dass behinderte Menschen zum Beispiel bei einem Duschbrett – das kostet 941 S! – bereits 486 S Selbstbehalt haben!

Präsident Dr. Heinz Fischer: Frau Kollegin Haidlmayr! Die freiwillige Redezeitbeschränkung war vor 2 Minuten zu Ende, die faktische geht in 20 Sekunden zu Ende.

Abgeordnete Theresia Haidlmayr (fortsetzend): Ich bitte Sie: Nehmen Sie die Einsparungen für behinderte Menschen, für alte Menschen, für kranke Menschen, für sozial schwache Menschen zurück, denn diese können sich sonst ein Überleben nicht mehr leisten! (Beifall bei den Grünen.)

22.12

Präsident Dr. Heinz Fischer: Zu einer tatsächlichen Berichtigung hat sich Herr Abgeordneter Haupt zu Wort gemeldet. Ich bitte, die Bestimmungen bezüglich Redezeit und Inhalt zu beachten.

22.12

Abgeordneter Mag. Herbert Haupt (Freiheitliche): Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Kollegin Haidlmayr! Sie haben den Regierungsparteien und mir persönlich vorgeworfen, dass wir auf die Behinderten in diesem Regierungsprogramm vergessen haben. Ich darf Ihnen nur einige Punkte aufzählen, damit Sie feststellen, dass dem nicht so ist und dass Sie sich irren.

Wir haben festgeschrieben: die Arbeitsassistenz, die behindertengerechte Adaptierung von Arbeitsplätzen, die Beschäftigungsprojekte nach Bedürfnissen für Behinderte, Projekte zur Ausbildung von behinderten Jugendlichen unter besonderer Berücksichtigung der hör- und sehbehinderten Jugendlichen (Abg. Haidlmayr: Nur in Sondereinrichtungen!), für Bundesbauten endlich die Umsetzung (Abg. Haidlmayr: Nur in Sondereinrichtungen!) der ÖNORM B2050, die Zahlung der Ausgleichstaxe durch die einzelnen Bundesministerien, um eine bessere Beschäftigung von Behinderten und die Ausschöpfung der Quote in allen Ministerien zu erreichen, die Einmalzahlung im Bereich des Pflegegeldes, um wenigstens die fehlende Valorisierung geringfügig abzugelten, die verbesserte Anrechnung der Pflegezeiten und die pensionsversicherungsrechtliche Besserstellung von Pflegeeltern, um auch diesen Bereich jener Menschen, die sich um Behinderte kümmern, besser abzusichern. (Abg. Haidlmayr: Ihr braucht euch nicht um uns zu "kümmern", wir brauchen Rechte!)


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9. Sitzung / Seite 193

Ich bitte Sie, Frau Kollegin Haidlmayr, das zu berücksichtigen und hier korrekt das wiederzugeben, was in unserem Programm steht. (Beifall bei den Freiheitlichen sowie des Abg. Dr. Khol. )

22.14

Präsident Dr. Heinz Fischer: Nächster Redner ist Herr Abgeordneter Dr. Bruckmann. – Bitte.

22.14

Abgeordneter Dr. Gerhart Bruckmann (ÖVP): Herr Präsident! Herr Bundeskanzler! Frau Bundesminister! Meine Herren Bundesminister! Hohes Haus! Seit gestern Früh erleben wir viele Stunden hindurch unter den unterschiedlichsten Titeln – zuerst gestern Dringliche Anfrage, heute Regierungserklärung, diese wiederum unterbrochen von einer weiteren Dringlichen Anfrage – bis zum Überdruss ein Wiederkäuen immer derselben Detailargumente. (Beifall bei der ÖVP. – Abg. Dr. Lichtenberger: Das gilt aber auch für Sie!)

Lassen Sie mich daher zu dieser späten Stunde (Abg. Dr. Lichtenberger: Es noch einmal wiederkäuen!) als Vertreter des Österreichischen Seniorenbundes versuchen, die Problematik einmal von ihrer grundsätzlicheren Seite her zu beleuchten: Heute kommt auf je drei Österreicher im arbeitsfähigen Alter zwischen 15 und 60 Jahren je einer, der über 60 Jahre alt ist. (Abg. Dr. Lichtenberger: Das weiß ich! Das hat Frau Sickl schon erklärt!) In 30 Jahren werden auf diese selben "je drei Österreicher im arbeitsfähigen Alter zwischen 15 und 60 Jahren" zwei kommen, die über 60 Jahre alt sind.

Der Hausverstand muss einem eingeben, dass, wenn keinerlei steuernde Maßnahmen bezüglich unseres Pensionssystems getroffen werden, dies nichts anderes bedeutet, als dass innerhalb einer Zeitspanne, die die meisten von uns noch zu erleben hoffen, entweder die Pensionen halbiert oder die Beiträge verdoppelt werden müssten.

Wenn wir beides nicht wollen – und ich glaube, darin stimmen alle vier Parteien überein –, dann führt kein Weg daran vorbei, die erfreulicherweise steigende Lebenserwartung in Österreich nicht ausschließlich für eine längere Pensionsbezugsdauer zu verwenden. Oder, anders ausgedrückt: Wenn die Lebenserwartung in Österreich erfreulicherweise schon stark gestiegen ist und weiterhin stark steigen wird, aber das derzeitige De-facto-Pensionsantrittsalter von 58 Jahren vollständig erhalten und eingefroren bliebe, dann müsste dieses System zusammenbrechen. Darin stimmen sämtliche Experten überein, von dem von Ihrer Partei beauftragten Rürup über den Ihrer Partei nahe stehenden Bernd Marin bis hin zu Kohmaier und Kramer.

Dies, Hohes Haus, ist der Hintergrund, vor dem das intendierte Sanierungspaket der österreichischen Bundesregierung gesehen werden muss.

Halten wir Folgendes summarisch fest. Erstens: Bestehende Pensionen werden nicht nur in keiner Weise tangiert, sondern werden wertgesichert. Dazu treten wesentliche rechtliche Verbesserungen für Pensionisten, darunter auch die Aufhebung der Ruhensbestimmungen.

Zweitens: Alle Mitbürger, die das gesetzliche Pensionsantrittsalter einhalten, bleiben von den intendierten Veränderungen vollständig unbetroffen.

Drittens: Für Frühpensionisten sollen Maßnahmen in Kraft treten, die erstens einmal im selben Ausmaß finanziell Auswirkungen haben werden, wie es ursprünglich im ÖVP-SPÖ-Paket vorgesehen war, die zweitens zahlreiche Ausnahmen für sozial Schwächere vorsehen und die drittens unumgänglich erforderlich sind, um das System erhalten zu können.

In diesem Sinne bekennt sich der Österreichische Seniorenbund ausdrücklich zu dem, was gestern Bundeskanzler Wolfgang Schüssel gesagt hat: Neu regieren heißt Sicherung unseres Pensionssystems mit Weitblick für die nächsten Generationen. – Danke schön. (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der Freiheitlichen.)

22.18

Präsident Dr. Heinz Fischer: Zu Wort gelangt Herr Abgeordneter Kurt Eder. – Bitte.

22.18

Abgeordneter Kurt Eder (SPÖ): Herr Präsident! Hohes Haus! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der neue Gesellschaftsvertrag, der hier zwischen Freiheitlicher Partei und ÖVP ge


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schlossen wurde, beinhaltet – das wurde heute schon einige Male gesagt, aber man muss es immer von neuem wiederholen – massive einseitige Belastungen für Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen, einseitige Belastungen für Arbeitslose, für Kranke, für Pensionistinnen und Pensionisten und für Jugendliche.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich bin überhaupt nicht wehmütig – ob in Regierung oder nicht in Regierung –, aber eines ist klar festzuhalten: Die Österreichische Volkspartei ist in einer Koalition mit der Freiheitlichen Partei, und die Sozialdemokraten sind in einer Koalition mit der österreichischen Bevölkerung. Wir werden mit allen demokratischen Mitteln und mit dieser österreichischen Bevölkerung verhindern, dass dieser Pakt der Ungerechtigkeit so einfach realisiert wird.

Sehr geehrte Damen und Herren! Es ist heute im Laufe der Diskussion ein bisschen untergegangen, aber wir haben nach wie vor – und das muss uns völlig bewusst und klar sein – eine sehr, sehr große, wenn nicht überhaupt die größte außenpolitische Krise seit 1945. (Abg. Mag. Schweitzer: Wirklich? Das wünschst du dir nur!) Es ist nach wie vor so, dass eine Reihe von negativen Reaktionen aus der Europäischen Union, aus den Staaten der Europäischen Union, aus Finnland, aber weit darüber hinaus auch aus den Vereinigten Staaten, auch aus Norwegen, auch aus Israel und jetzt auch aus Tschechien und so weiter kommt.

Meine Damen und Herren! Man soll nicht versuchen, das mit einem Zwischenschrei wegzudiskutieren! Die Situation, in der wir uns befinden – und das ist das Gefährliche –, kann Auswirkungen auf die österreichische Wirtschaft und somit auch auf die österreichischen Arbeitsplätze haben. Wenn wir davon ausgehen, dass die heimische Wirtschaftsstruktur eine äußerst hohe Außenhandelsverflechtung mit der Europäischen Union aufweist, nämlich 69,2 Prozent der Gesamtimporte und 63,3 Prozent der Gesamtexporte, und bei uns nicht wiederum ein vernünftiges, gutes Klima zustande kommt, dann kann meiner Meinung nach sehr wohl eine gewisse Gefährdung auch für unsere Wirtschaft entstehen.

Weil wir nicht nur kritisieren und all den Dingen negativ gegenüberstehen wollen, haben wir uns entschlossen, einen Entschließungsantrag einzubringen: Im Regierungsprogramm ist hinsichtlich Neugründung von Unternehmen zwar eine vage Formulierung betreffend Eintragungsgebühr vorhanden. Wir wollen diesbezüglich eine Klarstellung, dass in Zukunft die Eintragungsgebühr bei Unternehmensgründungen absolut wegfallen soll. Ich bringe daher folgenden Antrag ein:

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Eder, Dr. Heindl und Genossen gemäß § 55 GOG, eingebracht im Zuge der Debatte über die Erklärung der Bundesregierung, betreffend die Abschaffung der Eintragungsgebühren in der Wirtschaftskammer

Der Nationalrat wolle beschließen:

"Der Bundesminister für wirtschaftliche Angelegenheiten wird ersucht, dem Nationalrat einen Entwurf für eine Novelle des Wirtschaftskammergesetzes zuzuleiten, durch welchen die bei der Erlangung von Berechtigungen zu entrichtenden Eintragungsgebühren bei der Wirtschaftskammer abgeschafft werden."

*****

Es gibt hiefür von der Wirtschaftskammer lediglich eine Empfehlung. (Zwischenruf des Abg. Dr. Ofner. ) Kollege! Es gibt eine Empfehlung! Wir hätten aber gerne, dass diese Empfehlung zu einem Gesetz gemacht wird! (Zwischenruf des Abg. Haigermoser. ) Kollege Haigermoser! Das ist unser Vorschlag und unser Beitrag zur Erleichterung für Betriebsgründungen auch in Salzburg. (Beifall bei der SPÖ.)

22.22


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Präsident Dr. Heinz Fischer:
Der Entschließungsantrag, den Herr Abgeordneter Eder vorgetragen hat, ist ordnungsgemäß eingebracht worden und wird zur Abstimmung gelangen.

Nächster Redner ist Herr Abgeordneter Schweitzer. – Bitte.

22.22

Abgeordneter Mag. Karl Schweitzer (Freiheitliche): Herr Präsident! Frau Minister! Herr Minister! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich in ganz wenigen Minuten meine Bilanz dieser Debatte ziehen!

Ich konnte hier eine Reihe von sehr ambitionierten jungen Ministern und Ministerinnen erleben, die ein ambitioniertes Programm vorgestellt haben, in welchem zugegebenermaßen auch viel von dem enthalten ist, was noch zwischen ÖVP und SPÖ ausverhandelt wurde. Gerade deshalb bin ich sehr optimistisch, dass bei vielen Vorhaben, die hier umgesetzt werden sollen, die SPÖ mit Freude zustimmen wird, weil ja auch ihre Ideen mit eingeflossen sind. Es wird sicherlich viel Spaß machen, wenn wir gemeinsam etwas weiterbringen! (Beifall bei den Freiheitlichen und bei Abgeordneten der ÖVP.)

Zweitens hat diese Debatte aber auch gezeigt, dass einige Minister in anderen Positionen eine durchaus bessere Figur gemacht hätten. Herr Kollege Edlinger! Als Laienschauspieler haben Sie hier einen durchaus guten Eindruck hinterlassen. (Zwischenruf der Abg. Huber. ) Sie hätten bei einem Tourneetheater durchaus mehr Erfolg haben können als als Finanzminister! Cap war heute nicht so gut wie Sie! (Zwischenruf des Abg. Edlinger. )

Meine sehr geehrten Damen und Herren von der Linken! Ansonsten hat sich – das stelle ich mit Traurigkeit fest – bei Ihnen große Enttäuschung breit gemacht. Kollege Eder hat es wieder einmal auf den Punkt gebracht. Es gibt Enttäuschung, weil dieses Regierungsprogramm beinahe durchwegs positiv beurteilt wird, vor allem auch in vielen Kommentaren und auch im Ausland. Deshalb sind Sie enttäuscht! Ich verstehe nicht, warum Sie darüber enttäuscht sind, aber Sie sind es. Vielleicht sind Sie enttäuscht, weil die Demonstranten heute nicht gekommen sind! Das ist etwas, worüber man einmal nachdenken sollte, dass nämlich viele hier enttäuscht sind, weil die Demonstranten nicht gekommen sind! Ist Ihnen das Geld ausgegangen, meine Damen und Herren von der SPÖ? – 1 800 S pro Tag fürs Demonstrieren waren offensichtlich doch zu viel, jetzt hat es nur für zwei Tage gereicht und für heute offensichtlich nicht mehr! (Abg. Edlinger: Herr Schweitzer! Halten Sie das für lustig? Ich meine, das ist peinlich!) Sie zeigen Enttäuschung darüber, dass sich die Bevölkerung mehrheitlich darüber freut, dass endlich etwas weitergeht in diesem Land, weil es endlich eine Regierung gibt, die ein sehr, sehr ambitioniertes Programm hat! (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Zuletzt, Kollege Niederwieser, zeigen Sie große Enttäuschung darüber, dass es eine Trendwende im Ausland gibt! Die Intrige gegen das eigene Land und die Bevölkerung hat sich offensichtlich nicht gelohnt! (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Das zeigt die APA-Meldung über Mrs. Albright, die ihre Meinung zum österreichischen Regierungsprogramm zum Ausdruck bringt. Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sie sollten sich merken: Eine Intrige gegen das eigene Land über das Ausland, nur um die Macht zu erhalten, lohnt sich nicht! Denn das wird sehr rasch durchschaut, wie es auch jetzt der Fall ist! (Beifall bei den Freiheitlichen. – Abg. Dr. Niederwieser: Das ist eine Frechheit! Das ist eine Unverschämtheit!)

22.26

Präsident Dr. Heinz Fischer: Zu Wort gelangt Frau Abgeordnete Ridi Steibl. – Bitte.

22.26

Abgeordnete Ridi Steibl (ÖVP): Herr Präsident! Frau Bundesministerin! Meine Herren Bundesminister! Werte Kollegen und Kolleginnen! Die Angelegenheiten für Familien und Frauen sind nunmehr im Bundesministerium für soziale Sicherheit und Generationen verankert. Die SPÖ und insbesondere die Frauenministerin außer Dienst sprechen in diesem Zusammenhang


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von der großen Gefahr, dass künftig Frauenpolitik mit Familienpolitik gleichgesetzt würde. Die Grünen und allen voran Frau Abgeordnete Petrovic – die nebenbei jetzt Beamtin und im Sozialministerium für Grundsatz- und Frauenfragen zuständig ist – sprechen sogar davon, dass Frauen künftig als Sozialfall behandelt beziehungsweise nur über die Familie definiert werden sollen.

Werte Kolleginnen! In den letzten Tagen hatten Sie auch viel Zeit, Informationsgespräche mit Leuten aus den anderen EU-Ländern zu führen. Daher frage ich Sie: Ist Ihnen nicht gesagt worden, dass zum Beispiel Deutschland ein Ministerium für Frauen, Familien und Senioren hat oder dass Schweden, der Vorreiter in frauen- und familienrechtlichen Angelegenheiten schlechthin, ebenfalls kein eigenes Frauenministerium hat? (Zwischenruf der Abg. Huber. ) Unseren Landwirtschaftsminister wird das freuen: Frauenangelegenheiten sind in Schweden an das Landwirtschaftsministerium angegliedert, wie mir die schwedische Botschaft heute noch einmal bestätigt hat.

Auch die EU-Kommission schlägt vor, eine geschlechterbezogene Sichtweise in allen politischen Konzepten, auf allen Ebenen und in allen Phasen der Entscheidungsprozesse einzubringen. Das bedeutet, umgesetzt auf österreichische Kompetenzdiskussionen, dass der Weg, den wir jetzt mit unserem Bundeskanzler Dr. Wolfgang Schüssel gehen, der richtige ist. Denn Frauen- und Familienpolitik ist eine Querschnittspolitik und soll in allen Bereichen der Ministerien verhandelt werden! (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der Freiheitlichen.)

Ich denke, dass einiges festgeschrieben ist, und ich bin überzeugt davon, dass nunmehr das umgesetzt werden wird, was in Zeiten der SPÖ-Frauenpolitik nicht gelungen ist, wie etwa bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie und gleicher Lohn für gleichwertige Arbeit, was die Sozialpartner und insbesondere die Gewerkschaft schon längst erledigen können hätten. Dazu zählt etwa auch die Erleichterung der Frauenförderung in Betrieben und die Förderung von Unternehmungsgründerinnen.

Ich möchte noch ein paar Worte dazu sagen, was wir jetzt im Zusammenhang mit Familienpolitik in die Wege leiten werden: Über die Ausweitung der Karenzzeit auf zwei oder drei Jahre beziehungsweise 36 Wochen und noch einiges mehr in diesem Bereich wissen Sie gewiss schon Bescheid, denn ich bin überzeugt, dass Sie das Programm gelesen haben und wissen, was Sie zuerst mit der ÖVP verhandelt haben. Was zwischen ÖVP und FPÖ ausverhandelt wurde und jetzt im Endergebnis wirklich auf dem Tisch liegt, ist ein guter Weg. Wir werden diesen gehen und die entsprechenden Umsetzungen vornehmen. (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der Freiheitlichen.)

22.29

Präsident Dr. Heinz Fischer: Nächster Redner ist Herr Abgeordneter Dr. Jarolim. – Bitte.

22.29

Abgeordneter Dr. Johannes Jarolim (SPÖ): Herr Bundesminister! Meine Damen und Herren! Ich möchte mich kurz halten, denn ich glaube, es ist schon sehr viel gesagt worden, und eine Wiederholung der Argumente ist wahrscheinlich nicht wirklich sinnvoll.

Etwas muss man aber festhalten: Diese heutige Diskussion ist getragen von der Hoffnung seitens der FPÖ und der ÖVP, dass einerseits die Inländer, die Österreicherinnen und Österreicher, Ihnen Glauben schenken sollen, dass Sie ein ambitioniertes Programm vorgelegt haben und diese Regierung, wie sie heute zu sehen war, eine ambitionierte Regierung ist, dass Ihnen aber auch andererseits das Ausland Glauben schenken möge und dass all das – und das ist der springende Punkt! –, was Sie dem Ausland geboten haben und was wir alle miteinander jetzt auszubaden haben, vielleicht irgendwie verschwimmt. Ich hege diesen Verdacht! Wir werden sehen, für wen die Zeit arbeiten wird, und wir werden sehen, ob Ihnen das glückt. Ich glaube, dass es Ihnen weder im Inland noch im Ausland glücken wird, das durchzusetzen, was Sie uns heute hier vorgegaukelt haben. (Beifall bei der SPÖ.)

Meine Damen und Herren! Zu Ihrem so genannten Programm ist schlicht und einfach nur festzuhalten: Von der FPÖ ist bekannt, dass sie kein Programm hat. Denn Sie haben in den letzten


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Jahren schließlich und endlich nachhaltig gezeigt, dass Sie heute diese und morgen jene Position einnehmen. (Zwischenruf des Abg. Haigermoser. ) Daher, Herr Haigermoser, ist es auch nicht erstaunlich, dass Sie letztlich mit allem einverstanden gewesen wären, was nur irgendwie geholfen hat, in die Regierung zu kommen!

Was Sie dem Wähler erklären müssen, ist der Umstand, dass Sie vor der Wahl die ganze Zeit erklärt haben, dass Sie den Anspruch erheben, für die sozial Kleinen einzutreten! – Das Einzige, was nun jedoch definitiv aus diesem doch sehr verschwommenen Programm hervorgeht, ist, dass dies nicht der Fall ist, dass nämlich diejenigen unter die Räder kommen, die Sie immer vertreten wollen, nämlich die sozial Kleinen! Das werden Sie den Wählern in Zukunft erklären müssen, und diesbezüglich haben Sie einen erheblichen Bedarf! (Beifall bei der SPÖ. – Zwischenruf des Abg. Mag. Schweitzer. )

Für die Umverteilung sprechen – glaube ich – die Zahlen selbst: 19 Milliarden Schilling an Einsparungen zu Gunsten der Industrie und der Bauern, 14 Milliarden an Belastungen für die Arbeitnehmer. – Ich wundere mich, dass Sie das hier mit einer derartigen Offenkundigkeit vortragen! (Abg. Gaugg: Das ist ein absoluter Blödsinn! – Präsident Dr. Fischer gibt das Glockenzeichen.)

Im Hinblick auf das Ausland möchte ich Sie ersuchen: Denken Sie vielleicht ansatzweise einmal darüber nach, wie Sie reagieren würden, wenn Sie nicht im Inland, sondern im Ausland säßen und all das verfolgen müssten, was sich hier im Inland abspielt! Ich spreche jetzt ausschließlich die FPÖ an; die ÖVP nur insofern, als sie natürlich mitgeholfen hat, eine Partei, von der ich meine, dass sie keine staatstragende Partei sein kann, was sie auch nachhaltig bewiesen hat, hier ins Amt zu bringen! (Abg. Haigermoser: Ist er nicht putzig, der Jarolim? Das ist wirklich lieb!) Herr Haigermoser! Sie haben in der Vergangenheit nachhaltig bewiesen, was wir im Inland von einem Haider erwarten können. Ich kann mir hier all die Zitate – von Blausäure angefangen –, die wir gehört haben, ersparen. Sie müssen nur bedenken: Hier ist es Ihnen gelungen, den einen oder anderen abzustumpfen, im Ausland, wo man das nicht gewohnt ist, klingt all das jedoch etwas anders, etwa der Ausspruch mit dem Hühnerstall! (Zwischenruf des Abg. Haigermoser. ) Ich erspare mir das jetzt.

Die Sensibilität, die Sie nicht haben, was ja so typisch für die FPÖ ist, müssen Sie anderen jedoch zuerkennen! Anderswo gibt es eben gewisse richtige Reaktionen auf Töne, Untertöne beziehungsweise schlicht und einfach "Untöne". Uns sind diese Reaktionen wahrscheinlich, bedingt durch die bereits lange Aktivität der FPÖ, schon abhanden gekommen. – Das ist ein Schuldeingeständnis, das haben wir uns jetzt selbst vorzuwerfen.

Zum Justizprogramm an sich muss ich sagen, dass Minister Krüger heute hier ein Programm dargelegt hat, das sich sehr von jenem unterscheidet, was Kollegin Fekter vor zirka einer Woche präsentiert hat. Ich wünsche Ihnen, dass Sie dieses Programm bei der ÖVP auch tatsächlich durchsetzen und mit ihr umsetzen können, wie heute zumindest vorgegeben worden ist.

Wenn ich mir nämlich anhöre, was Sie in der Vergangenheit gesagt haben – etwa: Lebenslang muss lebenslang bleiben! –, so klingt das heute schon ganz anders. Heute klingt es so: Über diejenigen, die lebenslänglich verurteilt worden sind und von denen keine Gefahr mehr ausgeht, muss man zumindest nachdenken. Meine Damen und Herren! Das war heute der erste Debattenbeitrag der FPÖ innerhalb der letzten sechs Jahre, der in diese Richtung ging. Ich wünsche Ihnen viel Glück, einerseits in den eigenen Reihen und andererseits natürlich auch bei dieser ÖVP!

Interessant ist auf der anderen Seite auch die Frage der Diversion: Sie alle wissen, wir hatten über längere Zeit – ungefähr zwei Jahre waren es – einen Diskussionsprozess mit Fachleuten, dessen Ende die Regierungsvorlage und deren Umsetzung war. Kaum ist jedoch die Wahl vorbei, sind wir mit einer ÖVP konfrontiert, die sich davon abwendet und erklärt: Die Diversion, der außergerichtliche Tatausgleich – der Inbegriff des Opferschutzes, meine Damen und Herren! –, können so nicht bleiben, das muss wegfallen. – Kontinuität in der Rechtspolitik ist offensichtlich


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etwas, womit wir in Zukunft nicht mehr rechnen können. Ich denke, dass das eine außerordentlich bedauerliche Situation ist.

Ich komme letztlich zu zwei Entschließungsanträgen, die ich hiemit einbringen möchte. Einer betrifft den § 209. Wir haben die diesbezügliche Diskussion auch schon lange geführt. Heute haben Sie mit Ihrem Programm und insbesondere mit Ihren Erklärungen und Äußerungen durch mehr oder weniger in der Sache selbst versierte Personen klar zum Ausdruck gebracht, das Sie sich einerseits offensichtlich nicht auskennen wollen und andererseits auch nicht die Absicht dazu haben. Daher bringe ich folgenden Antrag ein:

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Dr. Jarolim und Genossen gemäß § 55 GOG, eingebracht im Zuge der Debatte über die Erklärung der Bundesregierung, betreffend § 209 StGB

Der Nationalrat wolle beschließen:

"Der Herr Bundesminister für Justiz wird aufgefordert, ..."

(Abg. Haigermoser: Wir haben den Minister immer "ersucht" und nicht "aufgefordert"!) Herr Haigermoser! Wenn Unbegabtheit mit Fleiß gepaart ist, muss das nicht unbedingt ein Vorteil sein. Ich sage Ihnen das! Aber das ist sicher Bestandteil Ihrer Art der Regierung. Da können wir uns noch einiges erwarten! (Beifall bei der SPÖ.)

"... dem Nationalrat einen Gesetzesvorschlag zu unterbreiten, wonach die Diskriminierung von Homosexuellen im Strafgesetzbuch beseitigt wird, wozu die ersatzlose Streichung des § 209 StGB erforderlich ist."

*****

Zweitens bringe ich folgenden Antrag ein:

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Dr. Jarolim, Peter Schieder, Doris Bures und Genossen gemäß § 55 GOG, eingebracht im Zuge der Debatte über die Erklärung der Bundesregierung, betreffend die Gleichstellung von Lebensgefährten gleichen Geschlechts beim Eintrittsrecht nach dem Mietrechtsgesetz

Der Nationalrat wolle beschließen:

"Der Bundesminister für Justiz wird aufgefordert, dem Nationalrat einen Gesetzesvorschlag zu unterbreiten, durch welchen die Lebensgefährten gleichen Geschlechtes beim Eintritt nach dem Mietenrecht Lebensgefährten verschiedenen Geschlechts gleichgestellt werden."

*****

Ich gehe davon aus, dass Sie das, wie auch in der Vergangenheit, selbstverständlich ablehnen werden. Wir werden diese Materie allerdings trotzdem in der Öffentlichkeit diskutieren und hoffen darauf, dass die Zeit früher oder später wieder kommt, in der man über diese Themen wieder sachlich diskutieren kann. – Danke. (Beifall bei der SPÖ. – Abg. Haigermoser: Das hoffe ich auch, Herr Präsident!)

22.36

Präsident Dr. Heinz Fischer: Die beiden Entschließungsanträge sind genügend unterstützt und stehen mit in Verhandlung.


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Was die Verlesung des Textes betrifft, so glaube ich, dass der Passus über Herrn Haigermoser nicht Bestandteil des Entschließungsantrages, sondern nur eine Zwischenbemerkung war.

Zu Wort gelangt Herr Abgeordneter Dr. Ofner zu einer tatsächlichen Berichtigung.  – Bitte.

22.37

Abgeordneter Dr. Harald Ofner (Freiheitliche): Herr Präsident! Frau Bundesministerin! Herr Bundesminister! Meine Damen und Herren! Ich berichtige tatsächlich: Mein unmittelbarer Vorredner hat behauptet, dass heute aus dem Munde des Justizministers erstmals abgerückt worden sei von der Formulierung: "Lebenslang muss lebenslang bleiben!" – Das ist unrichtig!

Die offizielle, aus dem Munde des Justizsprechers Harald Ofner stammende Formulierung war: "Lebenslang wird manchmal lebenslang bleiben müssen." Das war es und nichts anderes! (Beifall bei den Freiheitlichen. – Abg. Dr. Keppelmüller: Diese Suppe ist dünn!)

22.38

Präsident Dr. Heinz Fischer: Zu Wort gelangt Herr Abgeordneter Jung. Ich erteile es ihm.

22.38

Abgeordneter Wolfgang Jung (Freiheitliche): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! (Zwischenruf bei der SPÖ.)  – Jawohl! Wir werden darauf eingehen.

Einen Satz ins Stammbuch des zugegebenermaßen wenigstens amüsanten Märchenonkels Cap, der für einige andere Kollegen von der SPÖ auch Geltung hat: Zynismus resultiert sehr oft aus zurückgewiesener Liebe. Das ist heute immer wieder deutlich aus Ihren Wortmeldungen zu erkennen. (Zwischenrufe bei der SPÖ.)

Zu Minister Schlögl, der leider nicht da ist und der mich heute zugegebenermaßen sehr enttäuscht hat. (Zwischenruf des Abg. Edlinger. )  – Sie nicht, Herr Kollege Edlinger! Sie haben das typische Gehabe eines Wiener SPÖ-Funktionärs, der in 50 Jahren Regierungsmacht gegenüber den Leuten überheblich geworden ist! Schauen Sie sich einmal an, wie Sie dasitzen, wie Sie sich verhalten, wie Sie dazwischenrufen! (Abg. Edlinger: Darauf bin ich stolz!) Solche Funktionäre wie Sie habe ich in Wien zur Genüge kennen gelernt. (Beifall bei den Freiheitlichen. – Zwischenrufe bei der SPÖ.)

Ich glaube, ich war als einziger nichtsozialistischer Funktionär bei der Verabschiedung des Kollegen Schlögl, weil ich meine, dass man sich von jemandem, vor dem und vor dessen Arbeit man an sich Respekt hat, ordentlich verabschieden und dass man bei einer ordentlichen Übernahme dabei sein kann. Dass diese Übernahmen nicht durchwegs so ordentlich waren, haben wir in der Zwischenzeit erfahren. Herr Kollege Edlinger! Er hat dabei wörtlich gesagt: "In einer Demokratie ist ein Regierungswechsel etwas völlig Normales. So ist es auch dieser." – Ich habe das hochanständig gefunden. Heute hat er hier etwas ganz anderes gesagt. Es war plötzlich ein anderer Schlögl.

Dazu kann ich Ihnen nur sagen: Die Diadochenkämpfe, also die Nachfolgekämpfe in der SPÖ, an denen Sie angeblich auch beteiligt sind – allerdings weit abgeschlagen hinter Kollegen Schlögl, wie man der Zeitung entnehmen kann –, müssen wirklich brutal und furchtbar sein! (Neuerlicher Zwischenruf des Abg. Edlinger. )

Nun zu etwas Ernsterem als dem Herrn Ex-Minister: Kollege Öllinger ist leider nicht da. (Abg. Dr. Van der Bellen: Er ist hier!) Ah, ist er da? Sehr gut! Das ist mir sehr recht! Während meiner Abwesenheit hat er heute einmal festgestellt und mir den Vorwurf gemacht, dass ich Sympathien mit einer österreichischen Regierung der Ersten Republik hätte. – Das ist, gelinde gesagt, mehr als unwahr! Kollege Grünewald hat eine Ministerienzusammenlegung zitiert, die im Jahre 1935 erfolgt sei, zu welcher es jetzt Ähnlichkeiten gebe. Ich habe darauf aufmerksam gemacht, dass das wohl in dieser Kabinettszusammensetzung nicht der Fall sein könnte und habe gesagt: Lernen Sie Geschichte, Herr Abgeordneter! Nichts anderes habe ich gesagt! Was Sie daraus gemacht haben, Herr Kollege Öllinger – und ich kann mir nicht vorstellen, dass Sie sich verhört haben –, war mehr! Eine solche Unterstellung ist schon eher in den Bereich der


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Diffamierung gegangen! Herr Kollege Öllinger! Meine Großmutter hat einmal sehr richtig gesagt: Wie der Schelm denkt, so ist er! (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Zur Kollegin Lunacek, weil das vorhin angesprochen wurde: Ich habe ihr gestern im Fernsehen das Verhalten ihrer Kollegin Vassilakou vorgehalten. Dazu hat sie gemeint, die Geschichte mit dem "die Freiheitlichen unter die Erde Bringen" sei sicherlich nicht so gemeint gewesen. (Abg. Haigermoser: Arbeiter!) Und Kollege Arbeiter von Ihnen hat es wahrscheinlich auch nicht so gemeint. – Bei uns Freiheitlichen legen Sie immer jedes Wort beziehungsweise jede Silbe auf die Goldwaage, wenn es hingegen um Sie geht, glauben Sie aber, sich jeweils leicht exkulpieren zu können! Denken Sie auch einmal über diese Frage nach, meine Damen und Herren!

Apropos Goldwaage: Frau Kollegin Stoisits ist heute auch sehr frei mit der Wahrheit umgegangen. Ich musste ihre Behauptungen schon zurückweisen.

Auch zu dieser Geschichte in Straßburg und zu dem wirklich manchmal sehr seltsamen Demokratieverständnis außerhalb Österreichs möchte ich noch etwas sagen: Es gab einen Antrag, in dem unter anderem die Freiheitlichen verurteilt wurden. Bei diesem Antrag kam keine einzige Gegenstimme zu Wort. Es kamen dabei nicht nur die Freiheitlichen, sondern auch viele andere Parteien – ich habe sie bereits aufgezählt – nicht zu Wort. – Das ist die Auffassung von Demokratie in dieser Institution! Ich habe dann nachgefragt, weil das Abstimmungsergebnis bei über 400 Abgeordneten, bei welchem zweimal händisch ausgezählt wurde, sehr knapp war. Auf meine Frage, wie die Abstimmung im Detail ausgegangen sei, wurde mir vom Präsidium gesagt, dass das geheim sei. Das sind wirklich sehr seltsame Demokratievorstellungen!

Weil Kollege Eder vorhin von der internationalen Isolierung gesprochen, Zitate gebracht und Länder aufgezählt hat, will ich Ihnen zwei kurze Ausschnitte von Briefen nennen, die ich von Abgeordneten dieser Parlamente habe.

Einer schreibt: "Lassen Sie sich einschließlich Ihrer Koalitionspartner ja nicht vom Geheul in der EU ablenken und vom richtigen Kurs abbringen. Die Stimmung in unserem Land ist großmehrheitlich auf Ihrer Seite. Ein größeres Eigentor zu Lasten der EU-Anhänger hätte sich die EU-Technokratie kaum schießen können."

Ein norwegischer Abgeordneter schreibt – ich übersetze –: "Ich habe einen gut bekannten österreichischen Politiker einer der Konkurrenzparteien der Freiheitlichen gefragt, ob Dr. Haider wirklich eine Art von Neonazi im Schafspelz wäre. Die Antwort war: Natürlich nicht! Er ist ein kluger Populist. – Das war seine Antwort, und das ist nicht gerade dasselbe!"

Meine Damen und Herren! Das sind nur kleine Ausschnitte aus verschiedenen Briefen. Europa beginnt offensichtlich umzudenken. Meine Damen und Herren von der SPÖ! Tun Sie das auch! Die Grünen will ich gar nicht darauf hinweisen. Kommen Sie von Ihrem hohen Ross herunter! Geben Sie Ihre Trotzreaktionen auf und seien Sie ruhig Opposition! Seien Sie von mir aus eine harte Opposition, aber suchen Sie sich Ihre Verbündeten bei den österreichischen Wählern und nicht im Ausland, meine Damen und Herren von der SPÖ! (Beifall bei den Freiheitlichen.)

22.43

Präsident Dr. Heinz Fischer: Nächste Rednerin ist Frau Abgeordnete Andrea Kuntzl. – Bitte.

22.43

Abgeordnete Mag. Andrea Kuntzl (SPÖ): Sehr geehrte Damen und Herren! Ich mache jetzt den Versuch, wieder zu einer sachlichen Debatte zurückzukehren. Sie können wieder so sitzen, wie Sie gerne möchten. (Abg. Dr. Fekter: Ist das eine Jungfernrede?)

Zur Regierungserklärung, die wir heute gehört haben, muss ich aus frauenpolitischer Sicht sagen, dass ich auch trotz geringer Erwartungen etwas überrascht war, eine frauenpolitische Verzichtserklärung hören zu müssen! (Abg. Dr. Fekter: Ganz im Gegenteil! – Abg. Mag. Kukacka: Worauf verzichten Sie?) Ich musste feststellen, dass Frauenpolitik eigentlich nicht mehr vorkommt beziehungsweise höchstens als Fußnote zur Familienpolitik und dass sicherheitshalber, um das auch wirklich zu gewährleisten, auch gleich die notwendige Lobby


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institution abgeschafft wurde. Man ist ja ganz stolz darauf, ein Ministerium eingespart zu haben, indem man das Frauenministerium sicherheitshalber abgeschafft hat.

Was bieten Sie den Frauen inhaltlich? – Sie befassen sich sehr ausführlich damit, wie man jene besser ausstatten kann, die sich für ein Leben als Hausfrau und Mutter entschieden haben. Dann machen Sie einen großen Sprung und befassen sich wiederum mit denjenigen, die die gläserne Decke durchbrechen wollen. Das tun Sie zu Recht! Das ist ein wichtiges Problem. Ich frage nur: Was ist mit den vielen ganz durchschnittlichen berufstätigen Frauen dazwischen? Was haben Sie jenen zu bieten? (Abg. Dr. Martin Graf: Sehr viel!) Ja! Auch für diese Frauen haben Sie sich etwas ausgedacht, für diese haben Sie nämlich ein nettes kleines Labyrinth konstruiert! Falls die Frauen aus diesem netten kleinen Labyrinth, das ich dann noch näher beschreiben möchte, allerdings herausfinden, dann sind sie eindeutig der Gefahr der Abhängigkeit ausgesetzt. Sie reden von Wahlfreiheit und haben ein Dreischrittsystem konstruiert, mit dem Sie diese so genannte Wahlfreiheit zum Entscheidungszwang konstruieren.

Sie verlängern zum einen de facto für die Frauen die Karenzzeit auf zwei Jahre. Okay, man kann darüber diskutieren, zu welchen Bedingungen diese Möglichkeit bestehen soll. Obwohl wir wissen, dass jede Verlängerung der Karenzzeit vor allem in Halbjahressprüngen deutlich das Risiko steigert, dass eine Frau nicht mehr in den Arbeitsmarkt zurückfindet, stocken Sie gleichzeitig die Wiedereinstiegshilfen aber nicht auf. Im Gegenteil: Es besteht eher Grund zur Befürchtung, dass Sie hier einsparen wollen!

Zu den Kinderbetreuungseinrichtungen haben Sie nichts anderes zu sagen, als einen Appell an die Länder zur richten, in diesem Bereich auszubauen. Sie selbst haben keinen Ausbau vorgesehen. Daher empfinde ich dieses Dreischrittsystem als einen Wegweiser für die Frauen in die Arbeitslosigkeit!

Aber vielleicht haben Sie doch eine Perspektive vorgesehen, nämlich den Arbeitsdienst. Denn Sie folgen in diesem Zusammenhang ja offensichtlich einer Idee des Klubobmanns Khol, der in seiner Bürgergesellschaft für derartige Dienste besonders arbeitslose Frauen als geeignet ansieht.

Damit das doch nicht in diese Richtung weitergeht, möchte ich folgenden Antrag einbringen:

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Dr. Ilse Mertel, Mag. Barbara Prammer, Mag. Andrea Kuntzl und Genossen gemäß § 55 GOG, eingebracht im Zuge der Debatte über die Erklärung der Bundesregierung, betreffend Wiedereinstiegshilfen für Frauen

Der Nationalrat wolle beschließen:

"Die Bundesregierung wird ersucht, die Aufrechterhaltung der Weiterbildungskurse für Wiedereinsteigerinnen ebenso wie andere gesellschaftspolitische Maßnahmen, welche die Möglichkeiten der Frauen, nach dem Karenzurlaub wieder in das Berufsleben im gesamten Ausmaß einzusteigen, erhöhen, zu gewährleisten."

*****

Hätten am 3. Oktober 1999 nur Frauen gewählt, dann hätten wir eine ganz andere Mehrheit in diesem Parlament. Wenn man sich Ihr Programm anschaut, dann kann man nur sagen: Die Frauen haben aus gutem Grund so gewählt! Und wir fühlen uns weiterhin verpflichtet, die Interessen dieser Frauen zu thematisieren, deren Lebenssituation weiterhin zu verbessern und darauf zu achten, dass man sich um entsprechende Rahmenbedingungen kümmert. Wir werden uns weiterhin um diese Frauen kümmern, damit sie nicht unter die Räder kommen! (Beifall bei der SPÖ.)

22.47


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Präsident Dr. Heinz Fischer:
Der soeben verlesene Entschließungsantrag ist ordnungsgemäß eingebracht und steht daher zur Debatte.

Nächster Redner ist Herr Abgeordneter Jakob Auer. Ich erteile ihm das Wort.

22.47

Abgeordneter Jakob Auer (ÖVP): Herr Präsident! Frau Bundesminister! Herr Bundesminister! Herr Staatssekretär! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Jeder Beobachter – egal, ob hier im Parlament auf den Zuschauerrängen oder zu Hause vor dem Fernseher, jeder Journalist oder auch nur politisch Interessierte – wird feststellen, dass dieser heutige Tag, der 9. Februar 2000, in die Geschichtsbücher der Politik eingehen wird.

Meine Damen und Herren! Man könnte meinen, dass jemanden, der wie ich 1983 den Abgang des verärgerten Bundeskanzlers Bruno Kreisky, der 1986 den Abgang des glücklosen Bundeskanzlers Sinowatz beziehungsweise den Übergang zu Vranitzky und dann den Übergang von Vranitzky zu Klima erlebt hat, jemanden, der in diesem Haus den Aktionismus der Grünen der ersten Stunde und die für mich innerlich berührenden, bewegenden Momente miterlebt hat, als das erste Mal ein Behinderter, nämlich Kollege Srb, hier gesprochen hat, nichts mehr verwundert.

Ich muss jedoch zugeben, dass ich heute mehr als verwundert bin: Ich bin verwundert über den Abgang der bisherigen Regierungsseite, verwundert über den Stil und über die Schmerzen, die Sie zeigen, sowie über die fast greifbare Wut und den sichtbaren Frust, den manche ehemalige Minister hier gezeigt haben! (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der Freiheitlichen. – Abg. Dr. Fekter: Schlechte Verlierer!)

Meine Damen und Herren! Altkanzler Klima ist nicht hier. Zu den Reden auf dieser Seite sei gesagt, dass ich diese als schwache Vorstellung der jetzigen Opposition empfinde. Nur der alte Edlinger hat Sie heute herausgerissen, meine Damen und Herren! Das war die einzige Oppositionsrede, die mir wirklich gefallen hat! (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der Freiheitlichen.)

Meine Damen und Herren! Herr Kollege Kostelka! Ich sage Ihnen: Noch eine so gute Rede des ehemaligen Bundesministers Edlinger, und Sie sind Ihren Job als Klubobmann los! (Beifall bei der ÖVP. – Abg. Dr. Lichtenberger: Sollen auch Noten verteilt werden?)

Auf dieser Seite, auf der Regierungsbank, sitzt ein neues dynamisches Team, das eine solide Mehrheit hier im Parlament hat und ein sehr positives, ambitioniertes Regierungsprogramm vorstellt. Und wir, meine Damen und Herren, stehen dahinter! (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

Ich möchte mich nun aber dem Thema "Benachteiligte Gemeinden" widmen. (Abg. Dr. Khol: Da hast du nicht mehr viel Zeit!) Ob im Jahre 2000 der abgestufte Bevölkerungsschlüssel im Finanzausgleich noch Gültigkeit haben soll, ist tatsächlich zu hinterfragen. (Abg. Mag. Kukacka: Nein!) Ich bin Bundeskanzler Dr. Schüssel und dem Chefverhandler sehr dankbar dafür, dass man sich dieses Themas angenommen hat und dass es heute angesprochen worden ist, weil ich meine, dass es eine Zumutung ist, dass in Gemeinden ein derart unterschiedlicher Finanzausgleich – oder soll ich sagen: Ungleichheit? – besteht.

Ich nenne Ihnen nur ein kleines Beispiel. Mein Bezirk Wels/Land hat eine Fläche von 45 700 Hektar. Eine Stadt gegenüber hat 4 500 Hektar, also ein Zehntel dieser Fläche. An Ertragsanteilen erhält unser Bezirk – mit 24 Gemeinden – 370 Millionen Schilling, die zehnmal kleinere Stadt bekommt 559 Millionen Schilling. Ob dies gerecht ist, wage ich zu bezweifeln. (Abg. Dr. Fekter: Ungerecht!)

Ich bitte die Bundesregierung und das Hohe Haus, hier endgültig und ein für alle Mal, den abgestuften Bevölkerungsschlüssel zu beseitigen. (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der Freiheitlichen.)

22.51


Nationalrat, XXI.GP
Stenographisches Protokoll
9. Sitzung / Seite 203

Präsident Dr. Heinz Fischer:
Kollege Auer! Kollege Edlinger ist zwei Jahre jünger als ich und nur ein Jahr älter als Ihr Klubobmann. (Abg. Dr. Khol: Aber das sieht man nicht! – Abg. Auer: Das war ein Lob!)

Zu Wort gelangt Herr Abgeordneter Keppelmüller. – Bitte.

22.52

Abgeordneter Dipl.-Ing. Dr. Peter Keppelmüller (SPÖ): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Regierungsmitglieder! Mein Kollege Jakob Auer hat es ein bisschen mit dem Alter, das muss man ihm verzeihen. Er hat sich schon einmal entschuldigen müssen für eine Altersbezeichnung – die mir gefallen hat! (Abg. Dr. Martin Graf: Er geht ja eh schon in Pension!)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die FPÖ hat in den letzten Tagen gezeigt, dass sie unter dieser Führung unberechenbar ist. Daher stellt sie ein unkalkulierbares Risiko für das Image Österreichs und für die Wirtschaft dar. – Wieder kein Sozialist, der das gesagt hat, sondern der ÖVP-Finanzchef, der laut "WirtschaftsBlatt" vom 4. Februar deshalb zurückgetreten ist, nämlich Herr Wilfried Stadler! Ich kenne ihn noch sehr gut aus dem Ökofonds, er ist ein sehr kompetenter Mann.

Das Erstaunliche ist ja, dass aus allen Kreisen, auch aus konservativen Kreisen, Bedenken geäußert werden. Es gibt heute von der FCG verschiedene Stellungnahmen. Es gibt von der Caritas eine Stellungnahme, der man eigentlich auch fast nichts mehr hinzufügen müsste.

Ich gehe jetzt aber trotz der knappen Zeit noch auf die Umweltpolitik ein. Wenn ich boshaft wäre – was ich eigentlich nicht bin (Abg. Dr. Khol: Das werden wir erst sehen!)  –, würde ich sagen: Ich beklage den Tod eines an sich blühenden 28-jährigen Kindes, geboren unter Bruno Kreisky (Abg. Dr. Fekter: Das haben wir jetzt verheiratet!), unter Mithilfe von Kurt Steyrer, gestorben unter Wolfgang Schüssel, nachdem es schon eine Zeit lang Stiefmütter und Stiefväter hatte. (Abg. Dr. Khol: Verheiratet!)

Der letzte Stiefvater: Die Grünen haben das immer vermutet, und ich habe das nicht so recht wahrhaben wollen, weil ja in der Umweltpolitik nichts mehr weitergegangen ist – Anlagenrecht, UVP (Abg. Dr. Khol: Das habt ihr verhindert!)  –, habt ihr immer gesagt: eine Vorleistung für das Wirtschaftsministerium. (Abg. Schwarzenberger: Ihr habt alles verhindert!) Ich fürchte, ich muss euch Recht geben. (Beifall bei der SPÖ. – Abg. Dr. Fekter: Das habt ihr blockiert!)

Die Mär, dass das Anlagenrecht an uns gescheitert ist, nachdem zwei Minister jahrelang den Ball geschupft haben und dann im Endeffekt schnell etwas eingebracht hätten, was die Bürger im Prinzip auf die Palme gebracht hätte – das muss man auch immer wieder betonen.

Aber obwohl das Kind – das war nur scherzhaft – tot ist (Abg. Dr. Fekter: Nein, verheiratet!), hat Landwirtschaftsminister Willi Molterer es jetzt geerbt. (Abg. Dr. Khol: Ein guter Mann!) Ich muss fairerweise sagen, mit ihm ist an sich immer besser zu verhandeln gewesen als mit Herrn Kollegen Bartenstein. (Abg. Dr. Fekter: Wasserrecht – hervorragend gemacht!) Nur hat Bartenstein im Wirtschaftsministerium – Bock zum Gärtner gemacht – immer noch verschiedene Umwelt-Agenden inne, bezüglich derer ich meine Bedenken habe. (Abg. Dr. Fekter: Der macht das mit den Kollegen schon!) Gewerberecht. – Kollegin Fekter, schade, dann müssen wir es uns überlegen. Das Berggesetz ist auch wieder bei Bartenstein. Erfreulich für Sie! (Abg. Dr. Khol: Das wollen wir jetzt ja novellieren!)

Willi Molterer hat aber nicht nur Erfreuliches geerbt. Ich habe heute geglaubt, dass wir noch einen weiteren Umweltminister haben. Bisher hatten wir den Innenminister als Umweltminister, der hatte ja die Fischer-Deponie und die Berger-Deponie. Da habe ich mir gedacht: Da geht jetzt etwas weiter, weil er den erfolgreichen Bezirkshauptmannstellvertreter von Wiener Neustadt, der die Angelegenheit Fischer-Deponie bisher so zügig betrieben hat, als Büroleiter hat. Aber leider hat es Willi Molterer geerbt, und er muss jetzt die Kosten zahlen. Ich fürchte nur, dass damit der normale Altlastenfonds ausgeräumt wird.


Nationalrat, XXI.GP
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9. Sitzung / Seite 204

Aber in der Umweltpolitik hat es in den letzten Jahren auch sehr ambitionierte, profunde Vorschläge meiner freiheitlichen Kollegen gegeben, insbesondere des Kollegen Schweitzer. Es wird mir ein relatives Vergnügen sein zuzuschauen, wie diese Sachen umgesetzt werden – endlich im selben Bereich, beim selben Minister; auch Kollegin Aumayr, von der man in der letzten Zeit den Eindruck hatte, dass Kollege Schwarzenberger sie bereits adoptiert hat. – Danke. (Heiterkeit bei der SPÖ. – Beifall bei der SPÖ sowie des Abg. Dr. Khol.  – Abg. Dr. Fekter: Besser adoptiert als anderes!)

22.56

Präsident Dr. Heinz Fischer: Zu Wort gelangt Herr Abgeordneter Firlinger. Ich erteile es ihm.

22.56

Abgeordneter Mag. Reinhard Firlinger (Freiheitliche): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren von der Bundesregierung! Hohes Haus! Wenn man die Redner der sozialdemokratischen Fraktion so reden hört – auch in den späten Stunden dieser Debatte –, kommen immer zwei Dinge durch. FPÖ, FPÖ und nochmals FPÖ ist ein Themenblock. Der zweite Themenblock ist die Schadenfreude. Aber warum sind Sie so schadenfroh, meine Damen und Herren? – Sie sind schadenfroh über die Dinge, die Sie verbockt haben in 30 Jahren der Tätigkeit sozialistischer Regierungsbeteiligung! Da greift sich ein Normalbürger schön langsam an den Kopf.

Aber ich werde mich nicht davon abhalten lassen, ein paar Sätze über die Infrastrukturpolitik im Rahmen des Regierungsprogramms zu erörtern. Es gibt eine sehr erfreuliche Grundlage im Regierungsprogramm, meine Damen und Herren, das ist die Schaffung eines einheitlichen Verkehrs- und Infrastrukturressorts. Das ist eine langjährige Forderung der Freiheitlichen, diese wurde umgesetzt, und ich freue mich darüber sehr! (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Sie macht einen Schlussstrich unter einen jahrelangen Kompetenzstreit, der in der Vergangenheit schändlich war. Sie erinnern sich an die unendlichen Debatten darüber, wer schuld ist. Wer ist schuld an dem Tauerntunnel-Unglück? Welcher Minister hat versagt? Wer ist schuld daran, dass ein "Masterplan" nicht zu Ende gebracht wurde? Wer ist schuld an diesen vielen, endlosen Debatten? – Ich glaube, die Frage, wer schuld ist, wird jetzt endgültig in der Versenkung verschwinden. Denn jetzt gibt es klare Strukturen, und damit werden sich die Entscheidungsabläufe entscheidend verkürzen.

Ich denke auch, es ist notwendig hervorzuheben, dass im Rahmen dieses neu geschaffenen Ministeriums eine Reihe von ambitionierten Vorhaben mit einem dynamischen neuen Minister an der Spitze realisiert werden kann. Es ist vollkommen klar, dass man sich intensiv um Liberalisierung und Wettbewerb im Schienenverkehr kümmern wird, damit endlich eine gezielte Erleichterung beim Zugang Dritter in der Schieneninfrastruktur eintreten wird. (Abg. Öllinger: Firlinger, wo bist du geblieben?) Es wird jetzt endlich möglich sein, den lange überfälligen Bundesverkehrswegeplan zu erstellen und, mit einer Prioritätenliste versehen, Herr Kollege Öllinger, in die Realität umzusetzen. Es wird notwendig sein – das wird auch gemacht werden, da bin ich mir sicher –, dass unabhängige Regulierungsbehörden in allen Infrastrukturbereichen etabliert werden. Es wird auch zu einem Ausbauprogramm kommen, das selbstverständlich bestimmt sein wird – das sage ich ganz offen – durch das Diktat der leeren Kassen, dass der ehemalige Finanzminister Edlinger hinterlassen hat.

Meine Damen und Herren! Das sind die nüchternen Konsequenzen, die wir vor Augen haben müssen. Ich möchte an die Adresse der Sozialdemokraten eines sagen: Hören Sie bitte endlich auf mit dieser wehleidigen Haltung und mit diesem scheinheiligen Gehabe, dass Sie auf der einen Seite immer wieder beteuern: Ja, Sie sind an einer Deeskalation in der EU interessiert!, und auf der anderen Seite betreiben Sie nichts anderes als nackte Schadenfreude! So werden Sie Ihrer zukünftigen Rolle als Oppositionspartei sicher nicht gerecht. Hören Sie mit diesem Gehabe auf! Betreiben Sie, wenn schon, einen ordentlichen Oppositionskurs, aber nicht eine Opposition gegen sich selbst! (Beifall bei den Freiheitlichen. – Abg. Öllinger: Bitte, ein Wort zu den Grünen noch!)

23.00


Nationalrat, XXI.GP
Stenographisches Protokoll
9. Sitzung / Seite 205

Präsident Dr. Werner Fasslabend
(den Vorsitz übernehmend): Nächster Redner ist Herr Abgeordneter Emmerich Schwemlein.

23.01

Abgeordneter Emmerich Schwemlein (SPÖ): Herr Präsident! Meine Damen und Herren von der Bundesregierung! Hohes Haus! Es ist natürlich mehr als schade, dass ein bestimmter Minister auf dieser Bank nicht mehr anwesend ist, und zwar Herr Bundesminister Bartenstein, möchte ich mich doch mit dem Themenbereich Fremdenverkehr auseinander setzen. (Abg. Öllinger: Aber wir hätten noch einen Staatssekretär!) Es ist deshalb schade, weil sich dieser Bundesminister Bartenstein zum Themenbereich Fremdenverkehr geäußert hat, und das in einer Art und Weise, deren Bewertung ich Ihnen überlassen möchte. (Abg. Dr. Fekter: Sehr kompetent!)

Die Überschrift (der Redner hält einen Zeitungsartikel in die Höhe) des Herrn Kollegen Bartenstein: "Optimistisch für den Fremdenverkehr". Bartenstein sagt, er glaube nicht, dass es einen langfristigen Schaden für den heimischen Fremdenverkehr gibt. (Abg. Schwarzenberger  – eine Zeitungs-Ausgabe in die Höhe haltend –: Emmerich! Heutige Salzburger Zeitung!) Herr Wirtschaftsminister Bartenstein, der sich da wahrscheinlich selbst als Experten bezeichnet, hat uns heute eine noch höher qualifizierte Expertin als Staatssekretärin präsentiert. Ich gehe davon aus, dass Frau Mares Rossmann als Szene-Wirtin "sicher" die entsprechende Qualifikation hat. Das kommt mir in etwa so vor, als würde ich mich als Landwirtschaftsexperten bezeichnen, nur weil ich meinen eigenen Rasen mähe. (Abg. Mag. Haupt: Das ist aber nicht die Akademie ...!)  – Herr Bundesminister Bartenstein sagt also: Sogar zum Höhepunkt der Waldheim-Affäre hätte der Tourismus ein Plus geschrieben.

Meine Damen und Herren! Tatsache ist – ich habe einige Gespräche mit Verantwortlichen im Tourismusbereich geführt, und ich möchte Ihnen Folgendes vorweg sagen: Es geht mir hier nicht um irgendeine Form von Skandalisierung, sondern es geht mir darum, zu schauen, wie wir den Schaden begrenzen können –: Die Folgen sind katastrophal.

Wir wissen – das wird niemand abstreiten können –, dass gerade die Tourismuswirtschaft zu den sensibelsten Bereichen gehört und dass politische Unruhe auch im Tourismus sofortige Auswirkungen hat. Wenn Sie es mir nicht glauben, dann nehme ich doch an, dass Sie einem Zitat aus den "Salzburger Nachrichten" – unter anderem auch dem Chef der Land Tourismus-Werbung, Dr. Uitz – Glauben schenken, der tatsächlich sagt, dass der Schaden täglich größer wird. Es ist daher eine Frage, wie man sich mit der Situation auseinander zu setzen gedenkt.

Ein für mich absolut großes Problem stellt in dieser Situation dar, wie so genannte Verantwortliche reagieren. Wir haben da ein Beispiel traurigster Art in Salzburg erleben müssen. Ich nehme an, dass nicht alle von Ihnen wissen, dass Herr Kollege Puttinger vor hat, seine Funktion als Wirtschaftskammerpräsident zurückzulegen. (Abg. Dr. Mertel: Nein!) Er macht das sicherlich aus dem Gedanken heraus, zu wissen, dass er einen exzellenten Nachfolger hinter sich hat.

Dieser exzellente Nachfolger hat seinen ersten Auftritt sofort mit einer äußerst "genialen" Aussage untermauert – auch das möchte ich Ihnen gerne zeigen (der Redner hält neuerlich einen Zeitungsartikel in die Höhe)  –: "Selber Dreck am Stecken". Das war einmal die Beschreibung der jeweiligen Verantwortlichen im Ausland, der Regierungen, der Verantwortlichen im Tourismusbereich. Dieser Herr Buemberger, der als Wirtschaftskammerpräsident in Salzburg nachfolgen soll, hat gesagt: Die sollen im Ausland alle "den Mund halten". Ich zitiere wörtlich: "Viele von ihnen haben ja selber Dreck am Stecken ... Und wenn schon jemand deshalb daheim bleiben will, so soll er halt daheim bleiben."

Meine Damen und Herren von der ÖVP! Wenn Sie Ihre Verantwortung für die Wirtschaft dieses Landes, wenn Sie Ihre Verantwortung für den Tourismus so sehen wie einer Ihrer Spitzenfunktionäre, dann wird eine große Katastrophe auf uns zukommen! Ich bin neugierig, wie Sie dafür die Verantwortung übernehmen. (Beifall bei der SPÖ.)

23.05


Nationalrat, XXI.GP
Stenographisches Protokoll
9. Sitzung / Seite 206

Präsident Dr. Werner Fasslabend:
Nächster Redner ist Herr Abgeordneter Mag. Walter Tancsits. – Bitte.

23.06

Abgeordneter Mag. Walter Tancsits (ÖVP): Herr Präsident! Meine Damen und Herren von der Bundesregierung! Hohes Haus! Ich möchte als Arbeitnehmervertreter der Österreichischen Volkspartei (Abg. Dr. Mertel: Jetzt ist der ÖAAB am Wort!)  – danke, ÖAAB! – auf die Behauptungen eingehen, dass dieses ambitionierte Programm der Bundesregierung für den Arbeitnehmersektor einen Abbau und eine Belastung bedeuten würde. Genau das Gegenteil ist der Fall! Es geht darum, nach Jahren des Fortwurstelns, nach Jahren des Löcherstopfens wieder einen Ausblick zu bieten für jene Menschen, die in diesem Land arbeiten und mit ihrer Hände Arbeit zur Wertschöpfung beitragen! (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

Reale Entlastungen im Sektor der Mieten, reale Entlastungen im Sektor der Energiepreise, natürlich reale Entlastungen bei den Nettolöhnen, die ganz klar aus einer Reduzierung der Arbeitskosten resultieren – das können Sie bei Kramer bis Streissler nachlesen. Einige von Ihnen werden auch nachrechnen können, dass sinkende Arbeitskosten selbstverständlich auch steigende Nettoreallöhne bedeuten.

Zweiter Punkt, gerade aus Arbeitnehmersicht: Die Umsetzung jahrelang verschleppter und hintertriebener Programme wie etwa eine Anpassung des Abfertigungsrechts an die realen Gegebenheiten der Arbeitswelt des 21. Jahrhunderts, Entgeltfortzahlung für 1,28 Millionen Arbeiter im Krankheitsfall, Umsetzung der jahrelang hintertriebenen Altersteilzeit, die, obwohl schon absehbar war, dass die Altersarbeitslosigkeit nicht sinken wird, vom Sozialministerium nicht umgesetzt wurde, wird eine Verbesserung des Arbeitsmarktes und für wesentlich mehr Arbeitnehmer – Arbeiter und Angestellte – sozialen Fortschritt bringen.

Als letzten Punkt möchte ich aber auch auf das AMS eingehen. Ich erachte es als äußerst frivol, dieses ambitionierte Programm, mit dem Chancen für Langzeitarbeitslose geschaffen werden sollen, damit sie wieder in den Arbeitsmarkt einsteigen können, mit dem historisch belasteten Begriff des "Arbeitsdienstes" zu belegen, und weise das zurück! (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

Meine Damen und Herren! Hohes Haus! Ich möchte noch einen Satz zum Thema Selbstbehalt sagen. Es wurde heute schon klargestellt (Abg. Edler: Walter, sag nichts mehr!): Kinder werden ausgenommen, auch sozial Schutzbedürftige, und eine Ermächtigung für die Krankenversicherungsträger. Genau dort wird sich herausstellen, welche wirtschaften können und welche sorgsam umgehen. Daher werden wir in einigen Jahren die Vertreter in diesen Versicherungen wählen lassen, und daher haben Sie Angst vor diesem Programm, weil dann jene gewählt werden, die sorgsam mit den Beiträgen umgehen! (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

Ich wünsche dieser Bundesregierung bei der Umsetzung ihres ambitionierten Programms für Arbeitnehmer und für eine moderne Sozialpolitik, die Hilfe zur Selbsthilfe bietet, viel Erfolg! (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

23.09

Präsident Dr. Werner Fasslabend: Nächster Redner ist Herr Abgeordneter Günter Kiermaier. – Bitte.

23.10

Abgeordneter Günter Kiermaier (SPÖ): Herr Präsident! Meine Damen und Herren von der Bundesregierung! Hohes Haus! Ich möchte mich an meinen Vorredner wenden. Kollege Tancsits, kennen Sie diese Resolution (der Redner hält ein Schriftstück in die Höhe), die ich hier habe? – Das ist die Resolution der FCG. Darin steht als erster Satz:

Die FCG lehnt das Koalitionsabkommen ab, da es in seiner Struktur weder den Grundsätzen der ÖVP noch den Prinzipien der christlichen Soziallehre entspricht und unsozial ist. – Zitatende.


Nationalrat, XXI.GP
Stenographisches Protokoll
9. Sitzung / Seite 207

Ich nehme an, Sie vom ÖAAB haben schon ein Naheverhältnis zur FCG. Oder liege ich da falsch? (Abg. Mag. Tancsits: Aber wir werden auch jenen Kollegen ...! – Abg. Dr. Khol: Die schicken wir in die Politische Akademie zur Schulung!)

Ein anderer meiner Vorredner war, meine sehr geehrten Damen und Herren, Kollege Firlinger. Kollege Firlinger wollte uns eine Lektion in Oppositionspolitik erteilen. Ich kann verstehen, dass er das macht, da er auf diesem Gebiet Experte ist. Er hat letztendlich politische Erfahrung schon in zwei Parteien, und daher ist er da natürlich etwas gewandter. Aber ich kann ihm versichern: Wir werden unsere Oppositionspolitik sehr wohl selbst machen und sind dabei auf Ratschläge von anderen nicht angewiesen. Wir werden eine Oppositionspolitik machen, die sicher konstruktiv ist und sich vielleicht von jener, die er meint, unterscheidet.

Denn eines ist interessant, meine sehr geehrten Damen und Herren: Dieses Papier – wofür ich herzlich danke und worin die ersten beiden Seiten sehr genau auflisten, was alles in der letzten Zeit positiv erledigt wurde – hat ja, wie ich annehme, die FPÖ mit unterschrieben. Daher ist es schon komisch, dass Sie bis zum Schluss der letzten Legislaturperiode gegen alles und jedes gewesen sind, auch gegen jene Dinge, die Sie heute in diesem Papier mit zu verantworten haben und die Sie selbst als positiv bezeichnen.

Es ist hier eine Linie drinnen, meine Damen und Herren – und damit wende ich mich an die Österreichische Volkspartei.


Nationalrat, XXI.GP
Stenographisches Protokoll
9. Sitzung / Seite 208

(Abg. Dr. Khol: Hier!) Dieser Tag geht vorüber, dieser Freudentag und diese Aufbruchsstimmung gehen vorüber. Sie werden dann mit Ihrem Koalitionspartner leben müssen. (Bundesminister Dr. Krüger: Immerhin Aufbruchsstimmung!) Das wird für Sie vielleicht nicht unbedingt immer sehr lustig werden. (Abg. Schwarzenberger: Das wird nicht Ihre Sorge sein!) Denn Sie können sicher sein, dass die nächsten Aktionen gestartet werden. (Abg. Mag. Kukacka: Was habt ihr heute für eine Stimmung?)

Ich nehme zum Beispiel Bezug auf die Einstellung, die die FPÖ zur Sozialpartnerschaft hat. Meine sehr geehrten Damen und Herren von der ÖVP! Die Sozialpartnerschaft ist eine Institution, die von Ihren Gründervätern noch mitgetragen wurde und die immer positiv gewesen ist. Sie wird aber von der FPÖ total verteufelt. (Beifall bei der SPÖ. – Abg. Dr. Khol: Das stimmt nicht!)

Noch etwas möchte ich dazu sagen: Es ist heute der Ausdruck gefallen: Wir werden uns mit der Wirtschaftskammer – wenn schon nicht mit Herrn Leitl, dann zumindest mit Herrn Puttinger – einigen. Wissen Sie noch, meine Damen und Herren von den Freiheitlichen, welche Titulierungen Sie der Wirtschaftskammer immer gegeben haben? – Zwangskammer, Zwangsmitgliedschaft, Zwangsinstitution! Sie haben an dieser Kammer noch nie ein gutes Haar gelassen. Ich bin neugierig darauf, welche Politik Sie da dann machen wollen.

Es gibt einen weiteren Punkt, der mich sehr stutzig gemacht hat; Herr Bundesminister außer Dienst Schlögl hat hier schon davon gesprochen. Meine Damen und Herren! Sie haben in Ihrem Papier stehen, dass jeder 15. Dienstposten im öffentlichen Dienst eingespart werden wird. Daneben steht zwischen Klammern: ausgenommen Schulen und Universitäten. – Ich habe nirgends gelesen: innere Sicherheit. Das, meine Damen und Herren, macht mich sehr stutzig!

Wenn Sie das hochrechnen, dann kommen bei einem Personalstand von 40 000 im Innenressort locker über 3 000 Beamte heraus. Jetzt frage ich Sie – das interessiert mich sehr, meine Damen und Herren –: Sparen Sie sie bei der Polizei ein? Oder sparen Sie sie bei der Gendarmerie ein? Wo wollen Sie sie eigentlich einsparen?

Sie haben immer von der öffentlichen Sicherheit geredet. Sie waren die Ersten – ich denke an Löschnak zurück, als damals die Debatte über die Postenzusammenlegung stattfand –, Sie haben so getan, als würde die öffentliche Sicherheit zusammenbrechen. Das ist nicht passiert! Heute sind Sie mitverantwortlich dafür, dass man Posten schließen muss, weil Sie hier Leute "abtransportieren" wollen.

Sie müssen sich das vorstellen: Um 3 000 Mitarbeiter – meine Damen und Herren: 3 000 Mitarbeiter! – wollen Sie die Zahl reduzieren. Das müssen Sie erst einmal über die Runden bringen! (Abg. Dr. Khol: Kiermaier, die Zeit ist aus!) Ich glaube, in diesem Bereich werden Sie große Probleme bekommen.

Noch eine Anmerkung, meine Damen und Herren (Abg. Dr. Khol: Die Letzte!), weil heute den ganzen Tag immer so getan wird, als würden wir im Ausland gegen Sie Stimmung machen (Abg. Schwarzenberger: Stimmt das nicht? – Abg. Dr. Khol: Stimmung macht ihr nicht, ihr macht handfeste Aktionen!): Ich möchte Ihnen noch einmal sehr deutlich in Erinnerung rufen, meine Damen und Herren: Es waren Stimmen aus dem eigenen Lager (Abg. Dr. Khol: "Stimmung" ist zu wenig!), die aus Belgien, aus Frankreich, aus Italien, aus Luxemburg, aus den Niederlanden und aus Spanien kamen – von der Europäischen Volkspartei. Nehmen Sie das bitte zur Kenntnis! (Abg. Aumayr: Sie sind nicht ...!) So kann das nicht gehen, so können Sie hier nicht nach der Methode "Haltet den Dieb!" vorgehen. (Abg. Dr. Khol: Wo ist Klima heute?)

Ich habe noch drei Entschließungsanträge einzubringen, meine sehr geehrten Damen und Herren. (Abg. Dr. Khol: Wo ist Klima? Wir wollen eine Erklärung von Klima, was er in Stockholm gemacht hat!) Der erste Antrag lautet:

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Leikam, Gaál, Brix und Genossen betreffend Novelle zum Waffengesetz


Nationalrat, XXI.GP
Stenographisches Protokoll
9. Sitzung / Seite 209

Der Nationalrat wolle beschließen:

Der Bundesminister für Inneres wird aufgefordert, eine Regierungsvorlage dem Nationalrat vorzulegen, die folgende Inhalte umsetzen soll:

Als einziges waffenrechtliches Dokument soll es nur mehr den Waffenpass geben. (Abg. Dr. Khol: Mein Gott, der Toni Leikam! – Abg. Leikam: Da schaust!)

Verpflichtende Schulung ("Waffenführerschein") im Umgang mit Waffen für Personen, die eine Schusswaffe besitzen dürfen. (Abg. Dr. Khol: Das Faustfeuerwaffen-Verbot! Da stimmt ja nicht einmal mehr Schlögl dafür!)

Ein Waffenpass wird nur mehr jenen Personen bewilligt, die Schusswaffen aus beruflichen Gründen oder für die Ausübung einer bestimmten Tätigkeit benötigen. Ausgenommen sind lediglich Personen, die einer nachgewiesenen Gefährdung unterliegen, der am zweckmäßigsten mit Waffengewalt begegnet werden kann.

Vorläufiges Waffenverbot bei Hinweis auf Gewaltbereitschaft, wie etwa bei einer Wegweisung und eines Rückkehrverbotes. (Abg. Dr. Khol: In Kärnten! Die Kärntner jagen ihn weg!)

Abschaffung des Ermessungsspielraumes für die Waffenbehörden, ein waffenrechtliches Dokument auszustellen.

Rückwirkende Bedarfsprüfung und psychologisches Gutachten über Verlässlichkeit von Personen, die bereits ein waffenrechtliches Dokument besitzen.

*****

Der nächste Antrag lautet:

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Ludmilla Parfuss, Gradwohl, Anna Huber, Wimmer, Gaßner, Ulrike Sima und Genossen betreffend budgetäre, organisatorische sowie personelle Vorkehrungen zur Schaffung eines Bundestierschutzgesetzes im Sinne des von 460 000 Österreicherinnen und Österreichern unterzeichneten Volksbegehrens

Der Nationalrat wolle beschließen:

Die Bundesregierung wird aufgefordert, im Rahmen der Finanzausgleichsverhandlungen budgetäre Vorkehrungen für ein österreichisches Bundestierschutzgesetz zu treffen sowie den von den Tierschützern selbst mit namhaften Experten ausgearbeiteten Entwurf für ein Bundestierschutzgesetz rasch einer Diskussion im Parlament zu unterziehen und noch heuer zur Umsetzung zu bringen.

*****

Der dritte Antrag lautet:

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Gradwohl, Wimmer, Mag. Gaßner, Sophie Bauer, Schwemlein und Genossen betreffend Vorlage von Modulationsvorschlägen zur gerechteren und ökologischeren Verteilung von Agrarförderungen durch den Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft bis Ende März 2000

Der Nationalrat wolle beschließen:

Das Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft wird aufgefordert, zur Umsetzung sozialer Staffelung (der nationalen Modulationsmöglichkeiten) von Agrarfördermitteln bis 31. März 2000 dem Nationalrat einen entsprechenden Vorschlag zur Beratung vorzulegen.

*****

Ich danke, meine Damen und Herren. (Beifall bei der SPÖ.)

23.18

Präsident Dr. Werner Fasslabend: Die Entschließungsanträge der erstgenannten Abgeordneten Leikam, Ludmilla Parfuss und Gradwohl sind ausreichend unterstützt und stehen damit in Verhandlung.

Nächster Redner ist Herr Abgeordneter Dipl.-Ing. Leopold Schöggl. – Bitte.

23.18

Abgeordneter Dipl.-Ing. Leopold Schöggl (Freiheitliche): Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Minister! Sehr geehrte Herren Minister! Es ist schon interessant: Ich habe hier 13 oder 14 Entschließungsanträge, die die SPÖ heute eingebracht hat. Wo waren Ihre Initiativen und Ihre Ideen in den letzten 30 Jahren? Jetzt in der ersten Sitzung, in der sich eine neue Regierung, ein initiatives, engagiertes Team vorstellt, bringen Sie Ihre Ideen ein! – Ich denke, das ist eigentlich ein Armutszeugnis für Ihre Regierungsarbeit in den letzten Jahren, meine sehr geehrten Damen und Herren! (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Aber für uns ist heute ein großer Tag. Ein Kabinett voller Elan, engagiert und mit politischen Visionen hat sich vorgestellt. Es ist eine Regierungserklärung präsentiert worden, die die freiheitliche Handschrift trägt (Abg. Öllinger: Was? Da werden wir dann eine tatsächliche Berichtigung machen! – Abg. Dr. Mertel: Ja, das ist jetzt ...!) und die Leitlinie für eine politische Ära sein wird, Frau Mertel, die die Menschen freier, selbstbewusster und unabhängiger machen wird. Man spürt draußen – vielleicht nicht in Ihrer Umgebung, wohl aber in der Umgebung, in der ich mich aufhalte – bereits die positive Stimmung für eine gute Zukunft und für einen Aufschwung in unserem Österreich! (Beifall bei den Freiheitlichen und bei Abgeordneten der ÖVP.)

Sehr geehrte Damen und Herren! Für mich ist heute ein besonders wichtiger Tag, da alten freiheitlichen Forderungen nach einer Kompetenzbündelung im Bereich Technologie und Infrastruktur stattgegeben und mehr Raum zur Verfügung gestellt wird. Es wird ein Ministerium, das sich insbesondere der Infrastruktur und der technologischen Weiterentwicklung unserer Heimat


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Stenographisches Protokoll
9. Sitzung / Seite 210

widmen wird, eingeführt. Es wird ein klares Bekenntnis dazu abgegeben, dass die Forschungsquote deutlich auf den europäischen Durchschnitt, ja über den europäischen Durchschnitt angehoben werden soll. Österreich muss als Spitzenplatz für europäische Forschung wieder Weltgeltung erhalten – über dieses Bekenntnis freue ich mich ganz besonders.

Sehr geehrte Damen und Herren! Auch die langjährige Forderung nach Bündelung von Kompetenzen und einem effizienten Mitteleinsatz wird erfüllt.

Die Universitäten werden durchatmen können. Sie werden freier sein, sie werden von Bürokratie entlastet, und sie werden sich ihrer eigentlichen Aufgabe, der Forschung und der Lehre, besser und direkter widmen können. Herr Kollege Niederwieser, Studiengebühren sind für uns derzeit sicher kein Thema!

Alles in allem: ein engagiertes Programm. Wir werden alles daran setzen müssen, dieses Programm relativ rasch und pünktlich im Interesse der österreichischen Bevölkerung umzusetzen. Ich rufe der neuen Regierung zu diesem engagierten Programm einen herzlichen Glückwunsch und ein aufrichtiges Glückauf zu! (Beifall bei den Freiheitlichen und bei Abgeordneten der ÖVP.)

23.21

Präsident Dr. Werner Fasslabend: Nächster Redner ist Herr Abgeordneter Dr. Antoni. – Bitte.

23.21

Abgeordneter Dr. Dieter Antoni (SPÖ): Herr Präsident! Sehr geehrte Mitglieder der Bundesregierung! Herr Kollege Schöggl, Sie haben hier gesagt, dass man draußen die gute Stimmung, den Aufschwung spürt. Ich weiß nicht, wo Sie das spüren. Ich spüre – damit bin ich in diesem Haus nicht allein – Bedrückung und Unsicherheit in der Bevölkerung, und ich weiß von vielen Überlegungen und Fragen darüber, wie es in diesem Österreich nun wirklich weitergeht. Die unzähligen kritischen Wortmeldungen im In- und Ausland bestätigen wohl eher nicht die gute Stimmung, von der Sie hier gesprochen haben. (Abg. Dr. Puttinger: Nicht einmal die "Kronen Zeitung" glaubt das mehr! – Abg. Dr. Martin Graf: Sie haben schon lange keinen Kontakt mehr mit dem Volk!)

Sehr geehrte Damen und Herren! Die Regierungserklärung des Herrn Bundeskanzlers Schüssel zum Thema Bildung war meines Erachtens nicht besonders aufregend. Ich meine, sie war sogar zu dürftig für eine zukunftsorientierte Bildungspolitik unseres Landes. (Abg. Mag. Schweitzer: Warum?) Insbesondere was die schulpolitischen Maßnahmen betrifft, geht sie wohl über Schlagworte und Stichworte nicht weit hinaus. (Abg. Mag. Schweitzer: Da steht dreimal so viel drinnen wie in dem, was ihr gemacht habt!) Die einzige wirklich konkrete Maßnahme, die ich ansprechen möchte, ist die "Computermilliarde", die zwar gut klingt und die wir alle sehr begrüßen, nur: Wie sie finanziert werden soll, kann man nirgends nachlesen.

Mit großem Interesse habe ich aber den Satz des Herrn Bundeskanzlers vernommen, der da heißt ... (Abg. Mag. Schweitzer: Dieter! Was ist denn herausgekommen von dem, was ihr vorgeschlagen habt? Was ist herausgekommen?)  – Ich möchte mich nicht populistisch mit Bildung befassen, Kollege Schweitzer, sondern schon mit Kompetenz! (Beifall bei der SPÖ. – Abg. Mag. Schweitzer: Was ist von eurem herausgestrichen worden?)

Schüssel hat gesagt, ein Staat, der in Bildung investiert, sichert Lebens- und Arbeitschancen der Menschen und stärkt die Wirtschaft. – Richtig und gut. Das unterstreichen wir. Es gibt hiezu jedoch auch gegensätzliche Aussagen.

Die ehemalige Bundesministerin für Unterricht und derzeitige Bildungsministerin hat gestern in einer APA-Aussendung etwas ganz anderes verlautet. Sie sprach bedauerlicherweise den Satz aus:

"Der Staat kann es sich nicht mehr leisten, dass Bildung von der Wiege bis zur Bahre gebührenfrei bleibt. Außerdem", hat sie gesagt, "gilt der Grundsatz ‚Was gar nichts kostet, ist nichts wert‘."


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Hier stehen zwei widersprüchliche Aussagen im Raum. Ich fürchte aber, sehr geehrte Damen und Herren, dass Bildungsministerin Gehrer hier offener und ehrlicher war und das ausgesprochen hat, was uns Schwarz-Blau in Zukunft im Bildungsbereich wirklich bescheren wird, nämlich Sparmaßnahmen.

Es geht hier nicht mehr darum, die Grundsätze von Chancengleichheit, sozialer Gerechtigkeit und freiem Zugang zu Bildungseinrichtungen sicherzustellen – und das war immer unser Credo für eine zukunftsorientierte Bildungspolitik –, sondern man plant hier, dass Bildung nicht mehr Aufgabe der öffentlichen Hand sein soll, sondern immer mehr Privatsache wird, und dass es unter Umständen bald heißt: Wer Bildung will, oder besser: wer noch mehr Bildung will, der soll sie sich kaufen. Das reiht sich, sehr geehrte Damen und Herren, nahtlos in das gesamte Programm der schwarz-blauen Regierung, die sich offenbar Sozialabbau, Verschlechterungen für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, für Pensionisten, für Arbeitslose und Kranke auf die Fahnen geheftet hat.

Wenn Sie, sehr geehrte Damen und Herren, diesen Weg wirklich einschlagen wollen und werden, dann werden Sie ganz bestimmt mit massivem Widerstand seitens der SPÖ zu rechnen haben! – Danke. (Beifall bei der SPÖ.)

23.25

Präsident Dr. Werner Fasslabend: Nächste Rednerin ist Frau Abgeordnete Bures. – Bitte.

23.26

Abgeordnete Doris Bures (SPÖ): Herr Präsident! Sehr geehrte Mitglieder der Bundesregierung! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich fast zum Abschluss der heutigen Debatte über das Regierungsprogramm einer konservativen und einer rechtspolitischen, populistischen Partei ein paar kurze persönliche Schlussfolgerungen einbringen.

Ich habe die große Bereitschaft aufgebracht, Sie an Ihren Taten zu messen, und ich gehe davon aus, dass die Taten, die Sie umsetzen wollen, jene sind, die Sie in diesem Regierungsübereinkommen, das Sie getroffen haben, ankündigen.

Doch gerade diese angekündigten Taten sind es, die mir so große Sorge bereiten, ebenso wie vielen Kolleginnen und Kollegen, die das heute schon in ihren Beiträgen zum Ausdruck gebracht haben, aber auch wie vielen Bürgerinnen und Bürgern, die, um zum Ausdruck zu bringen und darauf aufmerksam zu machen, dass sie Sorge um dieses Land und hinsichtlich dessen, was Sie in die Realität umsetzen wollen, haben, nur die Chance haben, auf die Straße zu gehen und ihren Protest dadurch zu artikulieren. (Beifall bei der SPÖ.)

Ich möchte nicht mehr näher darauf eingehen, dass klar zum Ausdruck gekommen ist, dass es sich um ein sehr unsoziales Programm handelt, das Sie hier umsetzen wollen, dass es sozial Schwache und dass es Frauen trifft. Viele meiner Kolleginnen und Kollegen haben das aufgelistet.

Es geht in Ihrem Programm eindeutig darum, dass es zu einer Umverteilung von den Ärmsten zu den Reichsten, von den Schwächsten zu den Stärkeren kommt. Ich würde Sie daher bitten, dass Sie das, was Sie in den Taten vorhaben, auch in Worten formulieren, damit die Bürgerinnen und Bürger tatsächlich wissen, was auf sie zukommt. (Beifall bei der SPÖ.)

Sie wissen, dass mir die Probleme der Mieterinnen und Mieter sehr am Herzen liegen. Das ist auch das, was ich tagtäglich mache. Ich versuche, dafür zu sorgen, dass Mieterinnen und Mieter in diesem Land zu ihrem Recht kommen, dass sie vor überhöhten Mieten und vor illegalen Ablösen geschützt werden. Daher möchte ich auch auf diesen einen Aspekt Ihres Regierungsübereinkommens, bei dem es um die Frage der Mieterrechte und des Mieterschutzes geht, ganz kurz eingehen.

Was waren Ihre Worte dazu? – Die Worte der FPÖ, was das Thema Mieterinnen und Mieter in diesem Land betrifft, waren: Mieten senken. Wie sehen die Taten, wie Sie sie auch im Regierungsprogramm formulieren, tatsächlich aus? – Sie machen Eingriffe in bestehende Mietver


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träge! Wenn Menschen seit über 30 Jahren einen Mietvertrag haben und in diesem Mieten vereinbart wurden, dann greifen Sie in diesen ein – aber nicht im Interesse der Mieter, sondern Sie erhöhen die Miete! (Abg. Neudeck: Den Erhaltungsbeitrag habt ja ihr eingeführt!) Keine Rede vom Senken der Mieten! Sie erhöhen die Mieten und machen die Rechtssicherheit zunichte, indem Sie in bestehende Verträge eingreifen wollen! Das ist ein Skandal und geschieht ausschließlich aus dem Interesse heraus, Hauseigentümern ein Körberlgeld zukommen zu lassen! (Beifall bei der SPÖ. – Abg. Mag. Firlinger: Kollegin, wollen Sie vielleicht für die Friedenskrone eintreten?)

Zweiter Punkt: Ihre Worte lauteten weiters: Betriebskosten senken. Was sind Ihre Taten? – Die Elektrizitätsabgabe. Was bedeutet denn diese? – Sie bedeutet ganz konkret: Strompreiserhöhungen für alle Familien, für alle Haushalte. – Das sind Ihre Taten! Und das kann man fortsetzen, etwa im Bereich des Kündigungsschutzes: Sie machen alles zunichte, was im Interesse der Mieterinnen und Mieter Österreichs ist. (Abg. Neudeck: Die Kanalgebühren und die Hausbesorgergebühren und die 20 Prozent Mehrwertsteuer – das ist mehr, als der Hausherr kassiert!) Ihre Worte, die sind populistisch, die sind auf Wählerfang aus. An Ihren Taten aber werden wir Sie messen, nicht nur ich, sondern, so hoffe ich, auch die Mieterinnen und Mieter!

Die "kleinen" Mieterinnen und Mieter sind Ihnen Wurscht! Das war mir an sich immer klar. Die FPÖ vertritt eine Klientelpolitik. Sie vertritt die Interessen von Immobilienmaklern – es gibt ja auch einige unter Ihnen –, sie vertritt die Interessen von Hauseigentümern. (Abg. Neudeck: Das ist besser als beim größten Hausherren, der Gemeinde Wien! Die Gemeinde Wien ist unsozial!) Sie haben ja auch schon Dankschreiben von den Immobilien- und Vermögenstreuhändern bekommen für das, was Sie in diesem Regierungsprogramm formuliert haben.

Um den "Kurier" zu zitieren: "Österreichs Hausherren dürfen sich bald über mehr Rechte gegenüber ihren Mietern freuen." – Das haben die Mieter Ihrem mieterfeindlichen Programm zu verdanken! (Beifall bei der SPÖ. – Abg. Neudeck: Die Gemeinde ist der größte Abzocker bei den Mieten!)

Aber die Frage ist: Ist es nur Klientelpolitik, die hier betrieben wird? – Das wäre nichts Neues für mich, das hat die ÖVP in den letzten Jahren auch gemacht. (Abg. Mag. Firlinger: Die SPÖ nicht?) Das Neue daran ist, dass bei Ihnen aber offensichtlich noch dazu auch der Grundsatz gilt: Die eine Hand wäscht die andere.

Was meine ich damit? – Wenn eine Branche wie die Immobilientreuhänder offensichtlich die Hubschrauberflüge Ihres Parteivorsitzenden finanziert, wenn eine Immobilienbranche offensichtlich in irgendwelche Nobelresidenzen in der Kärntner Straße für Ihren Parteivorsitzenden investiert – der weiß gar nicht, was Miete zahlen ...

Präsident Dr. Werner Fasslabend: Frau Abgeordnete! Ich erinnere an die freiwillige Redezeitbeschränkung.

Abgeordnete Doris Bures (fortsetzend): ... – und wenn, wie ich zitieren darf (Abg. Haigermoser: Und wer hat die Freiflüge für Herrn Vranitzky finanziert? Das wird doch nicht die WestLB gewesen sein?), "ein rühriger Bauunternehmer aus Kärnten Haiders Partys finanziert", dann wäscht auch in diesem Fall eine Hand die andere! Haider richtet es sich, und die Zeche zahlen die österreichischen Mieter! (Abg. Haigermoser: Das wird doch nicht die CA oder die Bank Austria ...?) Die Gewinner sind die Hauseigentümer, und die Verlierer bei diesem Programm sind die Mieterinnen und Mieter. (Beifall bei der SPÖ.)

Liebe Kolleginnen! Ich hatte ja ohnedies längst den Verdacht (Abg. Mag. Firlinger: Nur weiter mit dem Klassenkampf, Frau Kollegin!), dass der FPÖ die Mieter wie auch die "kleinen" Leute – das hat sich heute in der Debatte, finde ich, auch klar gezeigt – völlig egal sind, ich hatte aber bisher nicht den Beweis. Dieses Regierungsübereinkommen ist der Beweis dafür, dass es Ihnen Wurscht ist!

Wahrscheinlich sind die noch folgenden Entschließungsanträge, die ich einzubringen habe, auch ein weiterer Beweis dafür, dass Sie mit den Interessen und Anliegen dieser Menschen


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nichts am Hut haben, sondern ganz im Gegenteil. Daher bringe ich – wie wir das auch in der letzten Legislaturperiode schon gemacht haben – Anträge im Interesse der Mieter und Mieterinnen ein.

Ich bringe folgenden Antrag ein:

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Doris Bures, Kurt Eder, Dr. Johannes Jarolim und Genossen betreffend Einschränkungen der Befristungsmöglichkeiten im Mietrechtsgesetz


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Der Nationalrat wolle beschließen:

"Der Bundesminister für Justiz wird ersucht, dem Nationalrat einen Entwurf einer Novelle des Mietrechtsgesetzes zuzuleiten, durch welche ein weitgehendes Zurückdrängen von befristeten Mietverträgen im Interesse der MieterInnen gewährleistet wird."

*****

Ich bringe weiters folgenden Antrag ein:

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Doris Bures, Kurt Eder, Dr. Johannes Jarolim und Genossen betreffend Mietensenkung durch Begrenzung der Zuschläge zum Richtwert

Der Nationalrat wolle beschließen:

"Der Bundesminister für Justiz wird ersucht, dem Nationalrat einen Entwurf für eine Novelle des Mietrechtsgesetzes zuzuleiten, durch welche der Richtwertmietzins, durch eine Begrenzung der Zuschläge zum Richtwert mit 20 Prozent, klar begrenzt und gesenkt wird."

*****

Ich bringe ferner folgenden Antrag ein:

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Doris Bures, Kurt Eder, Dr. Johannes Jarolim und Genossen betreffend Streichung der Verrechnung fiktiver Hausbesorgerkosten an die MieterInnen

Der Nationalrat wolle beschließen:

"Der Bundesminister für Justiz wird ersucht, dem Nationalrat einen Entwurf für eine Novelle des Mietrechtsgesetzes zuzuleiten, durch welche sichergestellt wird, dass MieterInnen nur die tatsächlichen Hausbetreuungskosten weiterverrechnet werden dürfen, womit eine Senkung der Betriebskosten erreicht werden kann."

*****

Schlussendlich bringe ich noch diesen Antrag ein:

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Doris Bures, Kurt Eder und Genossen betreffend Senkung der Immobilienmaklerprovisionen und Festlegung der Höchstsätze im Konsumentenschutzgesetz

Der Nationalrat wolle beschließen:

Der Bundesminister für Justiz wird ersucht, dem Nationalrat möglichst rasch einen Entwurf für eine Novelle des Konsumentenschutzgesetzes zuzuleiten, durch welche die Höchstprovision, die von Verbrauchern verlangt werden darf, bei erfolgreicher Vermittlung von unbefristeten Mietverträgen mit zwei Nettomonatsmieten (Miete minus Hausbetriebskosten minus Umsatzsteuer), bei erfolgreicher Vermittlung von befristeten Mietverträgen mit einer Nettomonatsmiete und bei erfolgreicher Vermittlung einer Eigentumswohnung beziehungsweise eines Eigenheimes mit 2 Prozent des Kaufpreises begrenzt wird. Zudem ist im Konsumentenschutzgesetz festzulegen, dass bei Bestehen eines familiären oder wirtschaftlichen Naheverhältnisses zwischen dem Makler und dem vermittelten Dritten dem Immobilienmakler kein Provisionsanspruch zusteht.

*****

Wir werden Sie bei der Abstimmung an Ihren Taten messen. – Danke. (Beifall bei der SPÖ.)

23.35

Präsident Dr. Werner Fasslabend: Die vier soeben vorgetragenen Entschließungsanträge sind ausreichend unterstützt und stehen damit in Verhandlung.

Nächste Rednerin ist Frau Abgeordnete Inge Jäger. – Bitte.

23.35

Abgeordnete Inge Jäger (SPÖ): Herr Präsident! Frau Ministerin! Meine Herren Minister! Sehr geehrte Damen und Herren! Es ist ja heute schon mehrmals hier angesprochen worden, dass diese Regierung, noch bevor sie ihre Amtsgeschäfte angetreten hat, unserem Land unermesslichen Schaden zugefügt hat. (Beifall bei der SPÖ.)

Ich habe absolut keine Schadenfreude, denn die Lasten, die Kosten für diese Regierung müssen alle Österreicherinnen und Österreicher übernehmen. (Beifall bei Abgeordneten der SPÖ. – Abg. Neudeck: Wie war das früher?) Ich rede nicht nur von den materiellen Verlusten: 75 Milliarden Schilling an Börsenwert in wenigen Tagen verloren! (Abg. Dr. Martin Graf: Das hat sich doch schon alles wieder umgekehrt!) Es geht vor allem um den moralischen Schaden, den dieses Land genommen hat.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich schäme mich dafür (Abg. Dr. Ofner: Schämen Sie sich! Das ist gut!)  – und auch Sie von der Volkspartei sind daran beteiligt –, dass überall in Europa Menschen mit Sorge auf Österreich schauen – und das angesichts unserer belasteten Vergangenheit (Beifall bei der SPÖ)  –, dass es bei einer BBC-Sendung Hunderte besorgte Anrufer gegeben hat. Ich schäme mich, dass es in diesem Land jüdische Bürger gibt, die sich tatsächlich vor der Zukunft fürchten. (Zwischenruf der Abgeordneten Haigermoser und Dr. Partik-Pablé. )

Man hätte im Herbst Dr. Haider schon seinen Pass wegnehmen sollen, denn seine Imagereise durch Europa (Protestrufe bei den Freiheitlichen) hat genau zu dem geführt, was wir heute hier vorfinden. (Beifall bei der SPÖ. – Anhaltende Protestrufe bei den Freiheitlichen.)

Es ist auch ein Novum, dass der Herr Bundespräsident – und ich möchte mich an dieser Stelle für sein vorbildliches Verhalten bedanken, denn er hat anders als unser Außenminister gewusst, was auf dieses Land zukommt – den Regierungschefs der Koalitionsparteien eine Präambel zur Unterschrift hat vorlegen lassen – Herr Dr. Khol, Sie wissen, dass das ein Novum ist –, durch die die Einhaltung von Demokratie und Menschenrechten gefordert wurde. Das zeigt eben, dass es notwendig ist, weil es eben kein gemeinsames Moralverständnis zwischen ÖVP und FPÖ gibt.

Sie wissen genau: In der letzten Legislaturperiode waren es vier Parteien hier in diesem Raum, die, wenn es um gesellschaftspolitische Fragen ging, alle auf demselben Konsens standen (Abg. Dr. Khol: Nicht immer!)  – vielleicht nicht immer, aber überwiegend. Es hat immer eine Partei über die Stränge geschlagen. Und Sie versuchen nun, die FPÖ auf die Stufe der Legalität


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zu bringen. Ich wünsche Ihnen viel Vergnügen dabei! Ich befürchte, die FPÖ wird Sie hinabziehen.

Da Herr Bundeskanzler Schüssel hier gesagt hat, wir sind stolz darauf, Teil Europas zu sein, sage ich: Ich bin stolz darauf, Europäerin zu sein, und ich bin auch froh darüber, dass ich in solchen Zeiten in der Europäischen Union lebe.

Sie, Herr Dr. Khol, haben gesagt, es stehen vier Parteien innerhalb des Verfassungsbogens, aber heute erleben wir, dass die Europäische Union sagt, dass eine europäische Bundesregierung außerhalb der europäischen Wertegemeinschaft steht. Das finde ich sehr beschämend! (Beifall bei der SPÖ. – Abg. Mag. Schweitzer: Erbarmen! Es ist schon spät, Kollegin!)

Ich gebe zu, dass manche Reaktionen überzogen sind. Ich glaube nicht – und ich bin davon überzeugt –, dass die Freiheitlichen keine Nationalsozialisten sind. Damit würde man den Nationalsozialismus wirklich verniedlichen. (Rufe bei den Freiheitlichen: Was? Das ist ungeheuerlich! – Abg. Haigermoser: Sie sind nicht normal! – Abg. Ing. Westenthaler: Ist das ernst? – Abg. Gaugg: Niedersetzen! – Abg. Dipl.-Ing. Schöggl: Das ist ein Skandal! – Anhaltende lautstarke Protestrufe bei den Freiheitlichen.)

Aber besonders in der sensiblen Phase der Europäischen Integration geht es heute ... (Die Protestrufe – nunmehr von Pfeiftönen begleitet – nehmen weiter an Lautstärke zu.)

Präsident Dr. Werner Fasslabend (das Glockenzeichen gebend): Meine Damen und Herren! Ich habe den Ausdruck nicht gehört. Ich werde mir sofort das Protokoll kommen lassen und darauf entsprechend reagieren. (Abg. Gaugg  – in Richtung der Abg. Jäger –: Was glauben Sie, wer Sie sind? – Weitere Protestrufe bei den Freiheitlichen.)

Frau Abgeordnete! Ihre freiwillige Redezeit ist zu Ende; ich mache darauf aufmerksam. (Abg. Aumayr: Das ist unbegreiflich! – Abg. Dipl.-Ing. Schöggl: Das ist ungeheuerlich!)

Abgeordnete Inge Jäger (fortsetzend): Ich habe nicht ... (Weitere Protestrufe bei den Freiheitlichen.) Nein, Sie haben mich miss... (Anhaltende Protestrufe bei den Freiheitlichen.)

Präsident Dr. Werner Fasslabend: Frau Abgeordnete! Darf ich Sie noch einmal daran erinnern, dass Ihre freiwillige Redezeit zu Ende ist. (Weitere anhaltende Protestrufe bei den Freiheitlichen.)

Abgeordnete Inge Jäger (fortsetzend): Ich bringe folgenden Antrag ein:

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Dr. Ilse Mertel, Mag. Barbara Prammer, Mag. Andrea Kuntzl und Genossen betreffend Umsetzung der Forderungen des Frauenvolksbegehrens

Der Nationalrat wolle beschließen:

"Die Bundesregierung wird ersucht, dem Nationalrat Gesetzesvorlagen vorzulegen, welche die angeführten Punkte umsetzen:

1. Unternehmen erhalten Förderungen und öffentliche Aufträge nur, wenn sie dafür sorgen, dass Frauen auf allen hierarchischen Ebenen entsprechend ihrem Anteil an der Bevölkerung vertreten sind.

2. Gleicher Lohn für gleichwertige Arbeit ist anzustreben. Deshalb ist ein Mindesteinkommen von 15 000 S brutto, das jährlich dem Lebenskostenindex angepasst wird, zu sichern.

3. Teilzeitarbeit und geringfügige Beschäftigung sind arbeits- und sozialrechtlich der vollen Erwerbstätigkeit gleichzustellen.


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4. Keine Anrechnung des PartnerIneinkommens bei Notstandshilfe und Ausgleichszulage.

5. Die Gleichstellung der Frauen muss auch durch staatliche Bildungsmaßnahmen gefördert werden. Die Bundesregierung hat geschlechtsspezifische Statistiken zu den Themen Beruf und Bildung zu erstellen und jährlich zu veröffentlichen.

6. Jeder Mensch hat das Recht, Beruf und Kinder zu vereinbaren. Daher hat der Gesetzgeber für die Bereitstellung ganztägiger qualifizierter Betreuungseinrichtungen für Kinder aller Altersstufen zu sorgen. (Abg. Mag. Schweitzer: So hören Sie doch endlich auf!) Tagesmütter sind auszubilden und arbeits- und sozialrechtlich abzusichern. (Abg. Mag. Schweitzer: Kollegin! Hören Sie auf!)

7. Zwei Jahre Karenzgeld für alle AlleinerzieherInnen. (Ruf bei der ÖVP: Aufhören!)

8. Gesetzlich garantierter Anspruch auf Teilzeitarbeit für Eltern bis zum Schuleintritt ihres Kindes mit Rückkehrrecht zur Vollzeitarbeit.

9. Ausdehnung der Behaltefrist am Arbeitsplatz nach der Karenzzeit auf 26 Wochen.

10. Jeder Mensch hat das Recht auf eine Grundpension (Abg. Mag. Schweitzer: Gehen Sie doch auf Ihren Platz, bitte!), die nicht unter dem Existenzminimum liegen darf. Wenn ein/e Lebenspartner/in nicht erwerbstätig ist (Abg. Mag. Schweitzer: Bitte! Gehen Sie weg da!), hat der/die andere dafür Pensionsbeiträge zu zahlen. Kindererziehung und Pflegearbeit wirken pensionserhöhend.

11. Keine weitere Anhebung des Pensionsantrittsalters für Frauen, bevor nicht die tatsächliche Gleichberechtigung in allen Bereichen gegeben ist."

*****

(Beifall bei Abgeordneten der SPÖ. – Abg. Ing. Westenthaler: Die Herren Exminister klatschen noch dazu! Das passt genau zu Ihnen!)

23.43

Präsident Dr. Werner Fasslabend: Der soeben vorgetragene Entschließungsantrag ist ausreichend unterstützt und steht damit in Verhandlung.

Auf Grund der Tatsache, dass bis jetzt nicht festgestellt werden konnte, wie die tatsächliche Aussage gelautet hat, unterbreche ich für kurze Zeit die Sitzung und ersuche, in der Zwischenzeit das Tonband abzuhören, um eine exakte Wiedergabe der Aussage zu haben. (Abg. Aumayr: Das wollen wir hier ganz laut hören!)

Ich ersuche die Klubobmänner, zu mir zu kommen.

Die Sitzung ist unterbrochen.

(Die Sitzung wird um 23.43 Uhr unterbrochen und um 23.48 Uhr wieder aufgenommen. )

Präsident Dr. Werner Fasslabend: Ich nehme die unterbrochene Sitzung wieder auf.

Als nächster zu Wort gemeldet ist Herr Abgeordneter Dr. Ofner. – Bitte.

23.49

Abgeordneter Dr. Harald Ofner (Freiheitliche): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Hohes Haus! Es ist zu befürchten gewesen: Wenn man eines politischen Gegners auf demokratische Weise nicht Herr werden kann, dann kommt man auf die Idee, ob er nicht als toter Gegner ein besserer Gegner wäre. Was wir in den letzten Tagen, vor allem seit gestern, diesbezüglich erlebt haben, ist – um es in aller Ruhe darzustellen – ungeheuerlich.


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Es ist von Abgeordneter Vassilakou aus dem Wiener Landtag zitiert worden, die gesagt hat, die Regierung gehört unter die Erde (Abg. Dr. Petrovic: Das haben Sie verkürzt und falsch zitiert!), beziehungsweise sie war unter der Erde, und dort gehöre sie auch hin.

Dann kommt die Geschichte mit den so genannten ORF-Blödlern, die in ihrem Interview sagen: "Der einzige Tisch, an dem man sich mit Haider sehen lassen kann, ist der Obduktionstisch, auf dem er liegt." (Abg. Haigermoser: Wahnsinn!)

Dann sagt der eine Blödler, Grissemann – der andere heißt Stermann –: Ich glaube, man müsste Haider erschießen. Irgendjemand, der nur noch zwei Monate zu leben hat. – Ich frage mich: Bitte, wo sind wir? Ich frage mich: Wo sind wir?!

Dann kommt die Äußerung, wir sind keine Nationalsozialisten, denn das würde bedeuten, den Nationalsozialismus zu verniedlichen, und dann kommt die Aufforderung, einem Bürger den Pass wegzunehmen. Da kann man es sich jetzt aussuchen – ich will der Frau Kollegin zugute halten, dass sie in diesem Zusammenhang nicht weiß, was sie sagt –, ob das eine Äußerung in Richtung Gestapo oder in Richtung KGB ist. Passentziehen ist nur da oder dort gang und gäbe. (Rufe und Gegenrufe zwischen Abgeordneten der Grünen und der Freiheitlichen in Bezug auf das Zitat der grünen Abgeordneten zum Wiener Landtag Vassilakou. – Abg. Dr. Petrovic: Es können eben manche Leute nicht so gut Deutsch! – Abg. Dr. Partik-Pablé: ... die griechische Kultur! – Abg. Dr. Petrovic: Sie verstehen es nicht! – Abg. Dr. Van der Bellen: Das ist alles ein Missverständnis!)

Ich bin wirklich zutiefst erschüttert darüber, dass sich eine Abgeordnete zu solchen Äußerungen versteigt und dass ein ehemaliger Innenminister dazu applaudiert. Das bedeutet in Wahrheit, würde ich sagen, für beide das sofortige Ausscheiden aus diesem Haus! (Beifall bei den Freiheitlichen.)

23.51

Präsident Dr. Werner Fasslabend: Nächste Rednerin ist Frau Abgeordnete Mag. Christine Muttonen. – Bitte.

23.51

Abgeordnete Mag. Christine Muttonen (SPÖ): Herr Präsident! Sehr geehrte Mitglieder der Regierung! Hohes Haus! Ich denke, man muss wirklich aufpassen und sehr genau zuhören, wenn solche Sätze fallen. Ich denke, das ist sehr wichtig, denn wenn Sie genau zugehört hätten, dann hätten Sie gehört, dass Sie in diesem Fall überhaupt nicht in die Nähe des Nationalsozialismus gebracht worden sind! (Beifall bei der SPÖ. – Zwischenrufe bei den Freiheitlichen.)

Dann müssen Sie sich eben einmal den Satz auf der Zunge zergehen lassen und nachdenken, was das heißt: Sie sind nicht auf eine Stufe mit dem Nationalsozialismus zu stellen. Das war die Aussage! (Abg. Aumayr: Das ist erbärmlich! Das ist unbeschreiblich! – Weitere Zwischenrufe bei den Freiheitlichen.) Sie sind eben nicht auf eine Stufe zu stellen! Sie müssen nur zuhören! (Abg. Mag. Schweitzer: Hören Sie doch auf! – Weitere Zwischenrufe bei den Freiheitlichen. – Präsident Dr. Fasslabend gibt das Glockenzeichen.)

Ich möchte auf die Regierungserklärung eingehen, und zwar auf das Kapitel betreffend Kunst- und Kulturpolitik. Wenn man sich das genauer anschaut, stellt man fest, dass dieses Kapitel im Regierungsprogramm einen besonderen Stellenwert einnimmt, dass aber die Betonung besonders auf der Pflege des Alten und Traditionellen, also auf der so genannten Volkskultur liegt. Das ist gut so.

Als weniger gut empfinde ich allerdings, dass der Begriff "zeitgenössische Kultur und Kunst" ein Fremdwort zu sein scheint und kein einziges Mal vorkommt. Das ist auch kein Wunder, denn die FPÖ und der Einflüsterer unseres Überkanzlers aus Kärnten sind ja schließlich beteiligt daran. Ich meine damit den Kulturbeauftragten Andreas Mölzer, der mit zeitgenössischer Kultur nicht allzu viel Freude hat. Vielmehr freut er sich, dass die Zeit – wie er sagt – der "zeitgeistigen Kulturbürokraten, die mit Steuergeld über die Köpfe der Bürger hinweg willfährige Kulturschaf


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fende unter dem Applaus verhaberter Kulturjournalisten beglücken, wohl oder übel vorbei" ist. – Das ist kein altes Werk, das kann man nachlesen, das steht in der offiziellen Kärntner Landeszeitung vom Dezember 1999.

Die Zeiten haben sich geändert. Auch wenn man manchmal das Gefühl hat, dass die Kreide in Wien angeblich ausverkauft ist, wird der Zustand der vorgetäuschten Sanftheit wohl gar nicht so lange anhalten.

Ich kann Ihnen sagen, wie das mit der Kunst und Kultur laufen wird, nämlich nach altbewährtem Muster: Ausfälle, Kränkungen, Entschuldigungen, Beleidigungen, Verunglimpfungen und Abstreiten. In Kärnten wissen wir schon ganz genau Bescheid. Wir haben den Probegalopp schon hinter uns.

Wir wissen, was Kulturpolitik für die FPÖ ist. Zum Beispiel haben wir eine Seebühne, die sehr teuer war, auf der FPÖ-Veranstaltungen stattfinden. Wir haben einen Peter Turrini, der einen Landesorden aus gutem Grund ablehnt: Er empfindet sich – wie er sagt – als von der FPÖ diffamiert und verhöhnt. Wir haben einen Ronald Rainer, der den Baukulturpreis zurückgibt, wir haben einen PEN-Club und ein Musil-Haus, die ausgehungert werden. Es gibt fertige Projekte, die ohne Grund im letzten Moment einfach nicht durchgeführt werden. Und wir haben – ganz aktuell – auch einen Ingeborg Bachmann Preis, der jetzt nicht mehr so heißen darf. Der Grund dafür ist die beschämende Politik in Österreich. Aber das macht nichts! Dr. Haider möchte ihn sowieso nicht mehr, er ist ihm zu steril und zu unattraktiv. (Abg. Dr. Mertel: Herr Morak wird sich dafür einsetzen!) – Ja, Herr Morak wird sich dafür einsetzen, das ist gut! Wie die Kenner unter Ihnen wissen, ist das eine der wichtigsten Literaturveranstaltungen und einer der wichtigsten Literaturpreise in Österreich. Aber die FPÖ kümmert das wenig, denn mit zeitgenössischer Kunst und Kultur hat sie nichts am Hut!

Wie könnte man die Kulturpolitik der FPÖ bezeichnen? – Vielleicht so, wie es eine Kärntner Tageszeitung getan hat: "Hingehalten, abgewürgt und geplatzt". So wurde die Kulturpolitik der FPÖ in Kärnten von einer Zeitung bezeichnet.

Wenn dann das Argument kommt: Lassen Sie Taten sprechen!, dann gebe ich Ihnen Recht: Lassen Sie Taten sprechen! Taten haben schon gesprochen, und zwar jede Menge. Nicht ein oder zwei Vorfälle, sondern eine permanente Verhöhnung von Künstlern und Künstlerinnen zieht sich wie ein roter Faden durch die Aussagen der FPÖ-Getreuen: Denken Sie an die Angriffe auf Thomas Bernhard! Denken Sie an die Attacken auf Erich Fried und Elfriede Gerstl! Und auch Claus Peymann und Elfriede Jelinek sollten ihrer Meinung nach das Land verlassen. – Der Schreck und das Entsetzen über menschenverachtende Hetzkampagnen gegen so genannte Fäkalkünstler sitzt noch sehr tief in uns! Und so weiter.

Im Regierungsprogramm nimmt die Kultur einen hohen Stellenwert ein. Offenbar ist der Stellenwert so hoch, dass Künstler und Künstlerinnen Preise ablehnen, sich zurückziehen, das Land verlassen, Verträge kündigen oder auf die Straße gehen. Aber nicht, weil sie Staatskünstler werden wollen, sondern weil sie in einer offenen, demokratischen und multikulturellen Atmosphäre leben und arbeiten wollen.

Meine Damen und Herren! Ich sehe schwarz für die Kunst und Kultur in einer blau-schwarzen Regierung! (Beifall bei der SPÖ.)

23.57

Präsident Dr. Werner Fasslabend: Frau Abgeordnete Jäger! Zu der von Ihnen getroffenen Äußerung erteile ich Ihnen hiemit einen Ordnungsruf. (Abg. Dr. Van der Bellen: Zu welcher Äußerung? – Zwischenruf der Abg. Silhavy. ) Der Wortlaut der Äußerung lautet wie folgt: "Ich gebe zu, dass manche Reaktionen überzogen sind. Ich glaube nicht – und ich bin davon überzeugt –, dass die Freiheitlichen keine Nationalsozialisten sind. Damit würde man den Nationalsozialismus wirklich verniedlichen." (Lebhafte Zwischenrufe bei der SPÖ und den Grünen. – Abg. Schieder: Das hat Herr Morak im "NEWS" auch gesagt!) Der Wortlaut ist eindeutig eine doppelte Verneinung. (Abg. Dr. Van der Bellen: Wieso denn?) Sie hat gesagt: "Ich glaube nicht – und ich bin davon überzeugt –, dass die Freiheitlichen keine Nationalsozialisten sind." –


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Das ruft einen Ordnungsruf hervor. (Abg. Dr. Petrovic: Das ist unfassbar!) Und ich bitte Sie ... (Weitere Zwischenrufe bei der SPÖ und den Grünen.)

Frau Abgeordnete Inge Jäger wurde mir als Rednerin gemeldet. – Frau Abgeordnete, wenn Sie bitte zum Rednerpult kommen.

23.59

Abgeordnete Inge Jäger (SPÖ): Ich habe es mir sogar notiert. Ich habe gesagt: Ohne Zweifel sind manche Reaktionen überzogen. Die FPÖ sind für mich keine Nationalsozialisten. (Lebhafte Zwischenrufe bei der ÖVP und den Freiheitlichen. – Abg. Mag. Schweitzer: Und weiter? – Rufe bei den Freiheitlichen: Und wie ging es weiter?) Ich habe zum Teil frei gesprochen. Sie sind für mich keine Nationalsozialisten. (Abg. Aumayr: Entschuldigen Sie sich wenigstens!)

0.00

Präsident Dr. Werner Fasslabend: Meine Damen und Herren! Zum Wort ist dazu niemand mehr gemeldet. Die Debatte ist geschlossen.

Wir gelangen zur Abstimmung, und zwar gelangen wir zunächst zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Abgeordneten Dr. Mertel und Genossen betreffend Berufstätigkeit der Frauen. (Unruhe im Saal.)  – Meine Damen und Herren! Ich bitte Sie um Aufmerksamkeit!

Ich bitte jene Damen und Herren, die für diesen Entschließungsantrag sind, um ein Zeichen. – Das ist die Minderheit und damit abgelehnt.

Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Abgeordneten Dr. Niederwieser und Genossen betreffend Aufrechterhaltung des freien Hochschulzugangs in Österreich.

Ich ersuche jene Mitglieder des Hohen Hauses, die hiefür sind, um ein Zeichen. – Das ist die Minderheit und abgelehnt.

Wir gelangen weiters zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Abgeordneten Eder und Genossen betreffend die Abschaffung der Eintragungsgebühren in der Wirtschaftskammer. (Abg. Haigermoser: Wenn Frau Jäger das zurückzieht, stimme ich mit!)

Ich bitte jene Mitglieder des Hohen Hauses, die hiefür eintreten, um ein Zeichen. – Das ist die Minderheit. Abgelehnt.

Nun kommen wir zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Abgeordneten Dr. Jarolim und Genossen betreffend § 209 Strafgesetzbuch.

Ich ersuche jene Damen und Herren, die hiefür sind, um ein Zeichen. – Das ist die Minderheit. Abgelehnt.

Weiters gelangen wir zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Abgeordneten Dr. Jarolim und Genossen betreffend die Gleichstellung von Lebensgefährten gleichen Geschlechts beim Eintrittsrecht nach dem Mietrechtsgesetz.

Ich bitte jene Mitglieder des Hohen Hauses, die für diesen Entschließungsantrag sind, um ein Zeichen. – Das ist die Minderheit. Abgelehnt.

Ferner kommen wir zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Abgeordneten Dr. Mertel und Genossen betreffend Wiedereinstiegshilfen für Frauen.

Wer hiefür eintritt, den ersuche ich um ein Zeichen. – Das ist die Minderheit und damit abgelehnt.

Wir kommen nun zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Abgeordneten Leikam und Genossen betreffend Novelle zum Waffengesetz.


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Ich bitte jene Damen und Herren, die für diesen Entschließungsantrag sind, um ein Zeichen. – Das ist ebenfalls die Minderheit und damit abgelehnt.

Weiters kommen wir zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Abgeordneten Parfuss und Genossen betreffend budgetäre, organisatorische sowie personelle Vorkehrungen zur Schaffung eines Bundestierschutzgesetzes im Sinne des von 460 000 Österreicherinnen und Österreichern unterzeichneten Volksbegehrens.

Wer dafür eintritt, den ersuche ich um ein entsprechendes Zeichen. – Das ist die Minderheit. Abgelehnt.

Ferner gelangen wir zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Abgeordneten Gradwohl und Genossen betreffend Vorlage von Modulationsvorschlägen zur gerechteren und ökologischen Verteilung von Agrarförderungen durch den Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft bis Ende März 2000.

Ich bitte jene Damen und Herren, die für diesen Entschließungsantrag sind, um ein Zeichen. – Das ist die Minderheit. Abgelehnt.

Nun gelangen wir zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Abgeordneten Bures und Genossen betreffend Einschränkung der Befristungsmöglichkeiten im Mietrechtsgesetz.

Ich bitte jene Damen und Herren, die für diesen Entschließungsantrag sind, um ein Zeichen. – Das ist die Minderheit und abgelehnt.

Weiters kommen wir zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Abgeordneten Bures und Genossen betreffend Mietensenkung durch Begrenzung der Zuschläge zum Richtwert.

Wer dafür ist, den ersuche ich um ein Zeichen. – Das ist die Minderheit. Abgelehnt.

Nun kommen wir zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Abgeordneten Bures und Genossen betreffend Streichung der Verrechnung fiktiver Hausbesorgerkosten an die MieterInnen.

Ich ersuche jene Mitglieder des Hohen Hauses, die sich dafür aussprechen, um ein Zeichen. – Das ist die Minderheit und abgelehnt.

Ferner kommen wir zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Abgeordneten Bures und Genossen betreffend Senkung der Immobilienmaklerprovisionen und Festlegung der Höchstsätze im Konsumentenschutzgesetz.

Ich ersuche jene Mitglieder des Hohen Hauses, die dafür sind, um ein Zeichen. – Das ist die Minderheit und abgelehnt.

Schließlich gelangen wir zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Abgeordneten Dr. Mertel und Genossen betreffend Umsetzung der Forderungen des Frauen-Volksbegehrens.

Wer dafür eintritt, den ersuche ich um ein Zeichen. – Das ist die Minderheit und abgelehnt.

Damit ist die Tagesordnung erschöpft.

Antrag auf Einsetzung eines Untersuchungsausschusses

Präsident Dr. Werner Fasslabend: Wir gelangen nunmehr zur Verhandlung über den Antrag der Abgeordneten Mag. Lunacek und Genossen auf Einsetzung eines Untersuchungsausschusses betreffend Gründe, Ursachen, zeitliche Abfolge und politische Verantwortlichkeit für die außenpolitische Isolation Österreichs.


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Da dieser Antrag inzwischen an alle Abgeordneten verteilt wurde, braucht seine Verlesung durch den Schriftführer nicht zu erfolgen.

Der Antrag hat folgenden Wortlaut:

Antrag

der Abgeordneten Mag. Lunacek, Freundinnen und Freunde auf Einsetzung eines Untersuchungsausschusses gemäß § 33 GOG

Der Nationalrat wolle beschließen:

Zur Untersuchung folgender Gegenstände wird ein Untersuchungsausschuss eingesetzt:

Gründe, Ursachen, zeitliche Abfolge und politische Verantwortlichkeit für die außenpolitische Isolation Österreichs.

Der Untersuchungsausschuss erhält den Auftrag, den Gegenstand mit den in der Anlage zum Geschäftsordnungsgesetz 1975 vorgesehenen Mitteln zu untersuchen.

Zusammensetzung: 4 SPÖ, 3 ÖVP, 3 FPÖ, 1 Grüne.

*****

Präsident Dr. Werner Fasslabend: Wir gehen in die Debatte ein.

Im Sinne des § 57a Abs. 1 der Geschäftsordnung beträgt die Redezeit in dieser Debatte 5 Minuten, wobei der Erstredner zur Begründung über eine Redezeit von 10 Minuten verfügt.

Stellungnahmen von Mitgliedern der Bundesregierung oder zum Wort gemeldeten Staatssekretären sollen nicht länger als 10 Minuten dauern.

Das Wort erhält zunächst die Antragstellerin, Frau Abgeordnete Mag. Lunacek. Ich erteile es hiemit.

0.06

Abgeordnete Mag. Ulrike Lunacek (Grüne): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Regierungsmitglieder! Hohes Haus! Nachdem nicht nur die Liste der Entschließungsanträge erschöpft ist, sondern – wie ich denke – sehr wohl auch die Nerven der hier Anwesenden und auch wir selbst, die wir schon lange Zeit hier sitzen, werde ich Ihre und unsere Nerven nicht mehr sehr lange strapazieren und auch die zehn Minuten nicht ausschöpfen.

Aber der Grund dafür, dass wir die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses zur Klärung der Gründe, der Ursachen, der zeitlichen Abfolge und der politischen Verantwortlichkeit für die außenpolitische Isolation Österreichs verlangen, liegt darin, dass wir weder in der gestrigen Debatte rund um unsere Dringliche Anfrage und den Misstrauensantrag noch heute wirklich überzeugende Argumente und Gründe gehört haben, die über gegenseitige Vorwürfe hinausgehen. Eine Klärung dieser tatsächlichen politischen Verantwortung für die Isolation, die nicht nur die Regierung, die hier sitzt, betrifft, sondern unter der zum Teil auch dieses Land und die Leute in diesem Land leiden, hat noch nicht stattgefunden. Es steht zum einen immer noch eine Verschwörungstheorie im Raum. Kollege Schweitzer hat von einer Intrige gesprochen. Auf der anderen Seite hat der Bundespräsident ... (Abg. Mag. Schweitzer: Ich habe "Focus" zitiert!) Sie haben zitiert, dass es eine Intrige ist. Gut! Bundespräsident Klestil hat andererseits gestern gesagt, dass die Beurteilung auf einer Fehleinschätzung des früheren Außenministers beruhe. Wir teilen diese Meinung und haben dies, wie ich meine, auch schon genügend begründet.

Wir Grünen sind aber die einzige der in diesem Haus vertretenen Parteien, die bei dem Regierungspoker der letzten vier Monate nicht mitgespielt hat – auf keiner Seite –, und wir würden jetzt einfach gerne wissen, wie dieser Scherbenhaufen zustande gekommen ist.


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Das wollte vor ein paar Tagen auch der Parteichef der Freiheitlichen Jörg Haider wissen. Das hat er am Sonntag in einer Fernsehsendung gesagt. Er hat angekündigt, dass die Freiheitliche Partei einen Untersuchungsausschuss verlangen wird. – Leider ist dieser Ankündigung keine Tat gefolgt. Ich hoffe, dass das kein Zeichen dafür ist, dass auch die Regierungserklärung nicht umgesetzt werden wird und keine Taten folgen werden. (Lebhafte Diskussionen in den Bankreihen der Freiheitlichen.)  – Wenn die freiheitlichen Kollegen auch zuhören würden, wäre das erfreulich!

Auch Klubchef Westenthaler, der jetzt sehr beschäftigt ist, hat in "täglich Alles" von heute gesagt, dass der Untersuchungsausschuss noch nicht vom Tisch ist. Herr Kollege Westenthaler, für den Fall, dass Sie keinen Antrag auf den Tisch legen, tun wir das hiermit heute. Wir geben damit auch der Freiheitlichen Partei eine Chance, ihre Ankündigung betreffend Einrichtung eines Untersuchungsausschusses, wie sie ihn auch selbst gefordert hat, umzusetzen. (Weitere Gespräche in den Bankreihen der Freiheitlichen.)  – Ich weiß nicht, ob ich den Herrn Präsidenten bitten kann, die Kollegen von der Freiheitlichen Partei aufzufordern, mir zuzuhören! Wenn nicht, werden wir sehen, wie sie abstimmen.

Jedenfalls geben wir damit den Freiheitlichen die Chance, der Einsetzung eines Untersuchungsausschusses zur Klärung dieser Verantwortung zuzustimmen. Wenn sie das nicht tun, dann können wir hier wohl nur konstatieren, dass sie unter der Kuratel der ÖVP stehen. (Beifall bei den Grünen.)

0.11

Präsident Dr. Werner Fasslabend: Die Redezeit der nunmehr zum Wort gemeldeten Abgeordneten beträgt 5 Minuten.

Als Nächster zu Wort gelangt Herr Abgeordneter Dr. Alfred Gusenbauer. – Bitte. (Abg. Mag. Schweitzer: Fredl! Sag etwas über die Jäger!)

0.11

Abgeordneter Dr. Alfred Gusenbauer (SPÖ): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Seit mehreren Tagen wird versucht, von der internationalen Blamage der Regierungsbildung dadurch abzulenken, dass immer wieder Gerüchte über unterschiedliche Verantwortlichkeiten für diesen internationalen Scherbenhaufen in Umlauf gesetzt werden. Ich bin der Auffassung, dass es an der Zeit ist, die Karten auf den Tisch zu legen und zu klären, zu welchem Zeitpunkt welche Informationen wem bekannt waren und welche Reaktionen darauf erfolgt sind. (Beifall bei der SPÖ und bei Abgeordneten der Grünen.)

Ich bin der Auffassung, dass ein Untersuchungsausschuss bestens dazu geeignet ist, Transparenz in diese Angelegenheit zu bringen. Ich bin in dieser Frage ganz offensichtlich einer Meinung mit dem FPÖ-Parteiobmann Jörg Haider, der das am Sonntag im Zuge der "Pressestunde" auch angekündigt hat, und gehe davon aus, dass all jene politischen Kräfte, die keine Angst haben müssen, dass irgendetwas Unangenehmes für sie auftauchen könnte, und dass all jene politischen Kräfte, die ein reines Gewissen und nichts zu verbergen haben, offenen Herzens der Einsetzung eines solchen Untersuchungsausschusses zustimmen werden!

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es stellt sich die Frage, was einzelne Ankündigungen wert sind. Die österreichische Bundesregierung hat versucht, aus dieser Malaise der Regierungsbildung dadurch herauszukommen, dass eine Präambel zur Erklärung der Bundesregierung verabschiedet wurde, und es stellt sich die Frage, wie ernst diese Präambel genommen wird, wenn der Herr Bundespräsident einen vorgeschlagenen Minister ablehnt, nämlich Herrn Kabas aus Wien, und zwar mit dem Verweis auf die im Wahlkampf verwendeten Plakate, und der gleiche Herr Kabas sich hinstellt und sagt, dass er stolz darauf ist, dass er als Minister dieser Bundesregierung abgelehnt wurde. Was ist der Text dieser Präambel wert, wenn ein Mandatar der FPÖ den Sinn dieser Präambel mit Füßen tritt? (Beifall bei der SPÖ und bei Abgeordneten der Grünen.)

Es scheint vieles in diesem Zusammenhang aufklärungsbedürftig zu sein. Wir als Sozialdemokraten sind an einer umfassenden, rückhaltlosen Aufklärung interessiert. Wir stimmen der Ein


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setzung dieses Untersuchungsausschusses zu und gehen davon aus, dass all jene, die nicht zustimmen, sehr viel zu verbergen haben. (Beifall und Bravorufe bei der SPÖ. – Beifall bei Abgeordneten der Grünen.)

0.14

Präsident Dr. Werner Fasslabend: Nächster Redner ist Herr Abgeordneter Dr. Ofner. – Bitte.

0.14

Abgeordneter Dr. Harald Ofner (Freiheitliche): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Noch ein Wort zu Frau Jäger: Ich habe etwas dagegen, wenn ein Redner seinen Text flüsternd und abgewendet vom Auditorium vorliest, denn niemand weiß, was dann im Protokoll stehen wird. Wir haben einen Anspruch darauf, dass wir hören, was der Redner hier am Rednerpult spricht. Man müsste auch Frau Jäger ausrichten, dass sie sich in Zukunft daran hält. Daher ist auch der Klubobmann aufgerufen, ihr zu sagen: Frau Kollegin, reden Sie so, dass es alle hören können! (Zwischenrufe bei der SPÖ. – Zwischenruf der Abg. Mag. Stoisits. )

Jetzt zum anderen Thema. – Wenn ich mir den Antrag der Frau Lunacek anschaue, kann ich nur sagen: Ich lasse mich relativ ungern pflanzen. Denn jeder, der Zeitung liest, das Fernsehen aufdreht und die Ohren spitzt, kann ohne Untersuchungsausschuss beantworten, welche Gründe und welche Ursachen es hiefür gibt. (Lebhafte Zwischenrufe bei der SPÖ.) Der wird in den Zeitungen vielleicht gelesen haben, dass, als die Wahlurnen noch nicht einmal weggeräumt waren, ein in Pension befindlicher österreichischer Spitzenpolitiker und ein namhafter Redakteur eines renommierten österreichischen Wochenblattes jeweils in Washington und New York Interviews gegeben haben, in welchen sie vor dem gewarnt haben, was da in Österreich auf die Welt zukommt. – Damals habe ich mir schon gedacht: Wenn die jetzt so reden, dann wird wirklich allerhand auf uns zukommen!

Dann habe ich als aufmerksamer Betrachter des ORF gesehen, dass einer bei dem Fest am 12. Oktober lange vom Fernsehen beachtet mit einem Taferl vor der Kamera auf- und abgehüpft ist, auf welchem stand: "No Holidays in Naziland!" – Dann soll noch jemand sagen, wer denn daran schuld ist, wenn die, die das im Ausland sehen, nicht kommen! Die Freiheitlichen oder der, der da hüpft, oder das Fernsehen, welches das genießerisch bringt?

Dann die Geschichte mit dem Marathon. – Da wird erklärt: Die jüdischen Bürger in New York warten nur darauf, den Haider von der Straße zu prügeln. – Niemand war da! Ich habe mit einem österreichischen Journalisten gesprochen, der drüben war. Er hat gesagt, dass nur zwölf Österreicher dort waren. (Abg. Mag. Schweitzer: Es waren 13 Österreicher!) Einer soll ein ehemaliger Pressereferent des Liberalen Forums gewesen sein. Die jüdischen Bürger haben gesagt: Wer ist der Haider? Das interessiert uns überhaupt nicht!

Wir haben erlebt – das ist nur viel zu selten gebracht worden –, dass ein Abgeordneter namens Swoboda in Brüssel die anderen Abgeordneten aufgerufen hat, das österreichische Volk vor seiner Regierung zu schützen oder dem österreichischen Volk gegen die Regierung zu helfen. Und wir haben einen hasserfüllten Abgeordneten Voggenhuber erlebt, der immer wieder in allen Sendungen in Großaufnahme sehr einprägsam gesagt hat: Haider ist ein Faschist! Die Freiheitliche Partei ist eine neofaschistische Partei! – Das ist zunächst einmal eine Antwort auf die Frage, wer schuld daran ist, dass sich die Leute fürchten!

Aber darf man nicht eigentlich bei einer etwas lockeren Betrachtungsweise einen Faschisten auch umbringen? Das kann doch nicht wirklich etwas so Fürchterliches sein! – Das ist die erste Stufe, da wird die Gewalt in der Sprache, von der ich immer höre, sehr deutlich! Wenn ich höre, dass es Aufrufe gibt, dass man sich am 18. für einen raschen Einsatz bereithalten muss, dann fällt mir der 19. ein, denn der 19. Februar ist der Tag, von dem die Organisatoren des Wirbels auf der Straße sagen: Da kommen ja unsere Freunde aus dem Ausland! (Abg. Mag. Posch: Ist das der Valentinstag?)  – Da wird es besonders massiv werden! Da fürchte ich mich schon! Ich bin zum Glück nicht in Österreich, und zu dir nach Kärnten werden sie nicht kommen! Du kannst dich dort verschanzen! Aber die armen Wiener, die armen Autos, die armen Auslagescheiben! Die Auslagen von Backhausen in der Kärntner Straße sind schon kaputt! Das werden dann die


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lieben Freunde aus dem Ausland machen, die nicht der Harald Ofner gerufen hat, sondern die Organisatoren da draußen, die ihre Drähte da herein haben! (Abg. Dr. Petrovic: Das ist also die Weltverschwörung!)

Alles, was wir in den letzten beiden Tagen da erleben, ist die nackte Polemik vom Anfang bis zum Ende. (Abg. Edlinger: Da gebe ich Ihnen Recht!) Der Antrag betreffend den Ausschuss, den Sie stellen, ist ein mutwilliger Antrag! Dieser mutwillige Antrag ist politische Polemik! Diejenigen, die es am allerbesten wissen – besser als ich –, die stellen dann noch den Antrag! (Lebhafte Zwischenrufe.) Sie kennen ja die Drahtzieher, das habe ich eh schon einmal gesagt, Sie kennen Sie. Sie haben leicht lachen. Sie tragen die Biedermaske. Sie haben leicht lachen, Herr Professor. (Abg. Dr. Van der Bellen: Was ich weiß, teile ich mit Ihnen!) Sie wissen es alle, Sie können uns auslachen, denn Sie sind informiert über die Dinge, das glaube ich schon. (Anhaltende Zwischenrufe.)

Wir sind aus noch einem anderen Grund dagegen: Wir haben einen Brief an den Herrn Bundespräsidenten gerichtet und um Aufklärung ersucht. Wenn wir die Antwort haben, werden wir schauen, was wir machen. Aber bitte gönnen Sie uns auch etwas von Ihrem Wissensvorsprung über den Straßenterror und ähnliche Dinge. Wir wären begierig, in diese Richtung etwas zu erfahren. (Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP. – Abg. Dr. Van der Bellen: Ich habe es schon gesagt: Was ich weiß, teile ich mit Ihnen!)

0.19

Präsident Dr. Werner Fasslabend: Nächster Redner ist Herr Abgeordneter Großruck. – Bitte.

0.19

Abgeordneter Wolfgang Großruck (ÖVP): Herr Präsident! Hohes Haus! Sehr geehrte Damen und Herren! Im "Neuen Volksblatt" von gestern steht: "‚Oppositionschef‘ auf Urlaub. Klima kneift vor Parlament".

Ich habe Verständnis dafür. Ich möchte es nicht so hart formulieren, sondern nur sagen: Der Altbundeskanzler hat sich seinen Urlaub, den er jetzt genießt, nach diesen schweren Tagen redlich verdient. Er muss selbst wissen, ob er heute hätte hier sein sollen. Ich und wir alle hätten es uns gewünscht, denn er nimmt eine Schlüsselstellung in der Aufklärung der Vorwürfe ein, der Vorwürfe, die vom Ausland gekommen sind und die Journalisten recherchiert haben. Er hat Erklärungsbedarf, was in Stockholm wirklich vorgefallen ist. (Abg. Leikam: Machen wir einen Ausschuss!) Er hat Erklärungsbedarf, was wirklich hinter den Kulissen besprochen wurde. (Abg. Dr. Kostelka: Dafür gibt es einen Ausschuss!)

Meine Damen und Herren von der Sozialistischen Partei! (Rufe bei der SPÖ und den Grünen: Ausschuss! Ausschuss!) Geben Sie doch Ihrem Altbundeskanzler die Chance, hierher zu kommen und, bevor ein Ausschuss installiert wird, selbst seine Interpretation abzugeben. (Zwischenrufe bei der SPÖ und den Grünen. – Präsident Dr. Fasslabend gibt das Glockenzeichen.) Dann werden wir entscheiden: War das glaubwürdig, oder hat er uns Gerüchte gebracht? (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.) Wir wollen zuerst abwarten, was uns Herr Klima mitzuteilen hat, bevor wir einen Ausschuss machen. (Abg. Leikam: Ausschuss! – Weitere Rufe bei der SPÖ und den Grünen: Ausschuss!)

Aber, meine Damen und Herren, bei dem Antrag der Grünen geht es ja nicht um die Beschimpfung Österreichs vom Ausland her. Sie wissen selbst, woher sie kommt und warum sie so ist. (Abg. Dr. Van der Bellen: Chirac!) Das glaube ich Ihnen schon. Ihnen geht es darum, unseren ehemaligen Außenminister und jetzigen Bundeskanzler vor einen Ausschuss zu zitieren. (Abg. Leikam: Das ist die Ursache!) Herr Pilz hat ja gestern eine peinliche Befragung gemacht. (Zwischenrufe bei der SPÖ und den Grünen.) Er hat uns erklärt, er hat mit Portugal telefoniert, er hat mit Brüssel telefoniert – vielleicht war auch Moskau darunter, vielleicht hat er beim Salzamt nachgefragt, und vielleicht hat er sich am Grabstein von Karl Marx eine Rechtsauskunft eingeholt. (Heiterkeit und Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)


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Dr. Schüssel hat gestern für uns alle glaubwürdig und eindringlich erklärt, wie es wirklich war. (Abg. Leikam: Maria, Maria!) Es gibt hier also nichts aufzuklären, es ist alles gelaufen. (Abg. Dr. Van der Bellen: Scheinheiligkeit! Scheinheiligkeit!) Herr Pilz hätte sich die Telefonkosten sparen können, um Licht ins Dunkel zu bringen – er hätte das Geld lieber für die Aktion "Licht ins Dunkel" spendieren sollen, das wäre gescheiter gewesen.

Meine Damen und Herren! Wir nehmen die Pilz-Gerichte, und zwar sind es grüne Knollenblätterpilze, die Sie uns hier vom Rednerpult aus heute servieren wollen, nicht an. Die sollen Sie selber essen, meine Damen und Herren von den Grünen, die verweigern wir! (Zwischenrufe bei den Grünen.)

Wir werden der Einsetzung eines Untersuchungsausschusses zustimmen, wenn Fakten auf dem Tisch liegen, wenn sich der Herr Altbundeskanzler äußern konnte, wenn er hier die Möglichkeit gehabt hat, uns nach seinem Urlaub, von dem er erholt zurückkommen wird, darüber aufzuklären, was wirklich gelaufen ist und was los war. (Abg. Leikam: Peinlich ist das, peinlich!) Dann werden wir uns überlegen, ob wir der Einsetzung eines solchen Untersuchungsausschusses zustimmen.

Meine Damen und Herren! Das ist die eindeutige Stellungnahme und die Haltung der Österreichischen Volkspartei. Aber ich sage Ihnen eines: Ihnen wird das Lachen schon noch vergehen, wenn die Fakten, die kommen werden, stimmen. (Abg. Schwemlein: Wo? – Weitere Zwischenrufe bei der SPÖ.) Dann werden Sie Abbitte leisten müssen, und dann wird es vielleicht auch wieder Verurteilungen geben, so wie es im Fall Sinowatz schon einmal der Fall war. Ich hoffe es nicht, aber die Möglichkeit ist gegeben.

In diesem Sinne warten wir auf die Antwort, auf die Richtigstellung, auf die Erklärung des Herrn Altbundeskanzlers. Dann werden wir entscheiden, ob wir einen Untersuchungsausschuss einsetzen oder nicht. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen. – Abg. Silhavy: Das war nicht sehr überzeugend!)

0.23

Präsident Dr. Werner Fasslabend: Zu Wort gemeldet ist Frau Abgeordnete Dr. Lichtenberger. – Bitte.

0.23

Abgeordnete Dr. Evelin Lichtenberger (Grüne): Sehr geehrte Damen und Herren! Zum Thema Untersuchungsausschuss habe ich mir heute – im Wissen, dass Sie von der freiheitlichen Seite sehr heftig gefordert haben, man möge alle die Ereignisse um die Resultate der österreichischen Regierungsbildung zwischen Blau und Schwarz, in einer Isolation des Auslands mündend, aufklären (Abg. Ing. Westenthaler: Entschuldigung, man versteht fast nichts!)  – eigentlich eine Rede vorbereitet über die besondere Art des Untersuchungsausschusses, die hier vor uns liegen würde.

Es würde dies ein Untersuchungsausschuss sein, der ein paar sehr interessante – auch historisch interessante – Fragen von Österreich beantworten müsste, nämlich wie es geschehen kann, dass Menschen in Österreich, Parlamentarier mit einem hohen Zugang zu Informationen, imstande sind, auf Verschwörungstheorien hereinzufallen und zu glauben, dass ganz Europa am Telefon sitzt (Abg. Mag. Kukacka: Seine Strategien kennen wir schon! Die sind leicht durchschaubar!) und wartet, ob vielleicht irgendwer aus Österreich bei ihnen anruft, um ihnen zu sagen, was sie tun sollen, um ihnen zu sagen, dass sie Maßnahmen erlassen sollen.

Haben Sie sich, bitte, schon einmal die Landkarte Europas angeschaut? Haben Sie sich schon einmal angeschaut, welche Verhältnisse von Mächten, von Machtgleichgewichten und von europäischer Politik in Europa vorliegen? – Und dann kommen Sie her und entwickeln diese Verschwörungstheorien! (Abg. Haigermoser: Keine Polemik vom Rednerpult! – Heiterkeit.)

Jetzt hätten wir die Möglichkeit gehabt, in einem Untersuchungsausschuss – den die Freiheitlichen auch gefordert haben – all diesen Fragen mit all dem, was dazu gehört, mit Wahrheits


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pflicht und anderem Drum und Dran, nachzugehen. Es ist aber schon im "Kurier" gestanden – dem habe ich das früh genug entnehmen können –, dass die Freiheitlichen zwar sehr heftig auf diesen Untersuchungsausschuss gedrungen hätten, nun aber denn doch ganz offensichtlich zurückgepfiffen worden sind (Abg. Dr. Martin Graf: Da haben Sie etwas verwechselt!) und jetzt sogar sehr heftig dagegen argumentieren müssen.

Diese Verschwörungstheorien, diese Mutmaßungen wären ja alle noch nicht ausreichend gewesen für einen Untersuchungsausschuss, wenn nicht Hochverratsvorwürfe aus Ihren Reihen erhoben worden wären. Aber diese Hochverratsvorwürfe bedeuten nicht mehr nur den Vorwurf einer strafbaren Handlung, sondern das geht schon weit darüber hinaus. (Abg. Dr. Martin Graf: Das ist Sache des Gerichts! – Abg. Haigermoser: Die Luft ist schon draußen, Frau Kollegin!) Da hätte dieses Parlament schon das Recht, dies zu untersuchen und sich das Ganze anzuschauen. (Abg. Haigermoser: Frau Kollegin, die Luft ist schon draußen!)

Schauen Sie, Herr Zwischenrufer, ich bin nicht bereit, mir dieses Gebrüll, das zuerst geherrscht hat, weil Sie nicht fähig waren, einer Rednerin bei einer doppelten Verneinung zu folgen, noch einmal anzuhören! (Beifall bei den Grünen und bei Abgeordneten der SPÖ. – Abg. Dr. Khol: Das ist wirklich die Höhe! – Abg. Dr. Martin Graf: Sind Sie der gleichen Meinung wie Frau Kollegin Jäger?)

Herr Abgeordneter Großruck hat es sich in der Argumentation noch viel leichter gemacht. (Abg. Dr. Martin Graf: Sind Sie der gleichen Meinung wie Frau Kollegin Jäger?) Er hat ganz schlicht und einfach argumentiert (Abg. Dr. Martin Graf: Sind Sie der gleichen Meinung oder nicht?) : Da der Antrag von den Grünen kommt und das Wort "Pilz" eine Analogie zu "Knollenblättern" nahe legt, könne man diesem Antrag nicht zustimmen. (Abg. Dr. Martin Graf: Sind Sie der gleichen Meinung wie Frau Kollegin Jäger?) Er hat es sich damit einfach gemacht – so einfach, wie es sich viele in diesem Haus oft machen –, diesen Untersuchungsausschuss abzulehnen. (Abg. Dr. Martin Graf: Sind Sie der gleichen Meinung wie Kollegin Jäger?)

Meine Herren! Sie haben es innerhalb weniger Tage geschafft, heute genau das, was Sie immer gefordert haben, zu verhindern, und zwar mit Vehemenz zu verhindern. (Abg. Dr. Martin Graf: Wir haben die Kraft, eine Aufbruchstimmung zu erzeugen!) Wenn es heißt, der Herr Altbundeskanzler solle kommen und hier Rede und Antwort stehen (Abg. Haigermoser: Der Herr Abgeordnete Klima!), und man gleichzeitig einen Untersuchungsausschuss verhindern möchte (Abg. Haigermoser: Der Herr Abgeordnete Klima, wo ist er denn? – Abg. Dr. Martin Graf: Wie kann man Urlaub machen, während hier Sitzung ist? Das ist überhaupt ein Wahnsinn!)  – bitte, so durchsichtig wie diese Argumentation ist, müssen Sie das Ihren Wählerinnen und Wählern, glaube ich, noch sehr deutlich erklären. Außer Sie ziehen sich auch auf diese billigen Argumente zurück, dass ein Antrag von den Grünen ...

0.28

Präsident Dr. Werner Fasslabend: Frau Abgeordnete, Ihre Redezeit ist zu Ende! (Beifall bei den Grünen für die das Rednerpult verlassende Abg. Dr. Lichtenberger.)

Zum Wort ist niemand mehr gemeldet. Die Debatte ist geschlossen.

Wir kommen nun zur Abstimmung über den Antrag der Abgeordneten Mag. Lunacek und Genossen auf Einsetzung eines Untersuchungsausschusses.

Ich bitte jene Damen und Herren, die hiezu ihre Zustimmung geben, dies durch ein Zeichen zu bekunden. – Das ist die Minderheit. Abgelehnt.

Einlauf

Präsident Dr. Werner Fasslabend: Ich gebe noch bekannt (Unruhe im Saal)  – ich bitte um etwas Aufmerksamkeit! –, dass in der heutigen Sitzung die Selbständigen Anträge 86/A und


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87/A eingebracht wurden. (Abg. Dr. Martin Graf  – in Richtung SPÖ –: Ihr werdet die Opposition schon noch lernen!)

Ferner sind die Anfragen 332/J bis 353/J eingelangt.

*****

Die nächste Sitzung des Nationalrates, die geschäftsordnungsmäßige Mitteilungen und Zuweisungen betreffen wird, berufe ich für heute, 0.30 Uhr – das ist gleich im Anschluss an diese Sitzung –, ein.

Diese Sitzung ist geschlossen.

Schluss der Sitzung: 0.30 Uhr