Nationalrat, XXII.GP Stenographisches Protokoll 40. Sitzung / Seite 54

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Progromen und den Greueltaten, die auch in der Öffentlichkeit diskutiert werden, es ist ein Tatsachenbericht: Eine Mutter geht mit ihrem dreijährigen fiebernden Kind, das Diph­terie hat, zu Fuß nach Prag und fleht in einem Krankenhaus um ärztliche Hilfe für dieses Kind. Diese Hilfe wird verweigert mit dem Argument: Hier gibt es keine ärztliche Hilfe für Deutsche, das ist verboten! Nach zweieinhalb Stunden stirbt dieses Kind.

Ein kleines Beispiel ... (Zwischenruf des Abg. Dr. Pirklhuber.) – Herr Kollege, an die­ser Stelle sollte man Zwischenrufe vermeiden! – Ein kleines Beispiel, das zeigt, was damals passiert ist. Heute, Herr Kollege, sollten wir alle sagen: So, wie es Nazi-Greuel gegeben hat, so, wie es Greuel vor und nach dem Zweiten Weltkrieg gegeben hat, war auch das Unrecht, einer Mutter die ärztliche Hilfe für ihr krankes Kind zu verweigern, nur weil sie Deutsche ist. Nicht mehr verlangen wir.

In diesem Sinn, meine Damen und Herren, werden wir heute ein differenziertes Ab­stimmungsverhalten hier zeigen. Unsere Fraktion wird für die Erweiterung stimmen, weil wir sie gerade im sicherheitspolitischen Sinn als Chance sehen und weil wir hier über ein Paket von zehn Mitgliedsländern abstimmen. Aber zwei unserer Bereichs­spre­cher – Vertriebenen- und Umweltsprecher – werden mit ihrer Gegenstimme ein Signal setzen, das zum Ausdruck bringen soll, dass wir die Lösung dieser Probleme weiter ver­treten werden, dass wir bei der Frage der Menschenrechte, Beneš-Dekrete, und bei Temelín die Kriterien noch nicht erfüllt sehen. Das sollte eine Verantwortung für das gesamte österreichische Parlament sein.

Dieses gemeinsame Europa hat eine Chance, aber nur dann, wenn wir nicht mit Au­genzwinkern die Nichterfüllung von Kriterien verfolgen, sondern beachten, dass diese Vision eines gemeinsamen, geeinten und friedlichen Europas und des Zusammen­le­bens der Völker in Frieden auf den Grundsätzen von Menschenrechten basiert. (Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP.)

11.04

 


Präsident Dr. Heinz Fischer: Nächster Redner ist Herr Abgeordneter Dr. Van der Bel­len. Die Redezeit ist 15 Minuten. – Bitte, Herr Abgeordneter.

 


11.04

Abgeordneter Dr. Alexander Van der Bellen (Grüne): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Scheibner, die Verweigerung ärztlicher Hilfe für das Kind einer Mutter ist zweifellos nicht vereinbar mit den Bürger- und Menschenrechten, aber mir wäre wohler, wenn eine solche Kritik geäußert würde und wir in Österreich nicht gleich­zeitig auch Familien auf die Straße stellen täten – ohne Obdach, ohne Un­terkunft, ohne Unterstützung in laufenden Asylverfahren. (Beifall bei den Grünen und bei Abgeordneten der SPÖ. – Abg. Scheibner: Das ist aber ein merkwürdiger Ver­gleich, Herr Kollege! Das ist wirklich unter Ihrem Niveau! Das entspricht nicht Ihrem Ni­veau!) – Mein Niveau lassen wir einmal dahingestellt, Herr Kollege Scheibner.

Wir sprechen natürlich über die Ratifizierung der Verträge mit den neuen Beitritts­län­dern, und in diesem Punkt schließe ich mich Wilhelm Molterer und Heinz Fischer an: Es ist ein großer Tag in der Geschichte des Parlaments, in der österreichischen Ge­schichte, in der europäischen Geschichte. Ja, es ist wahr, diese Ratifizierung ist ein großer Tag! Die Erweiterung der EU-15 auf 25 ist in ihrer historischen Bedeutung kaum zu überschätzen. (Beifall bei den Grünen.)

Trotzdem will sich, so scheint mir, nicht nur bei mir selbst oder bei bestimmten Kom­mentatoren, sondern auch in der Öffentlichkeit so eine richtige Begeisterung zu dieser Frage nicht einstellen. Über diese Zwiespältigkeit möchte ich sprechen, über diesen Zwiespalt zwischen dem großen Tag einerseits, den wir alle, fast alle, minus zwei, in diesem Hohen Haus begrüßen, und auf der anderen Seite dem Unbehagen über den


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