Bundesrat Stenographisches Protokoll 609. Sitzung / Seite 32

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etliche Wünsche nach Reglementierung aus mehr oder weniger durchsichtigen Motiven an Brüssel herangetragen werden? Ich meine auch, daß gerade wir in Österreich uns in punkto Forderungen nach Deregulierung auf EU-Ebene oft päpstlicher als der Papst verhalten. Denn wer hindert uns beispielsweise daran, die Gesetzesflut und Überreglementierung in unserem eigenen Land doch etwas abzubauen? Ein Vorstoß in diese Richtung würde nicht nur positive Auswirkungen auf den Wirtschaftsstandort bringen, sondern auch die oft genannte Bürgernähe forcieren.

Nun möchte ich mich, meine Damen und Herren, dem im Zuge der EU-Konferenz zu erörternden Thema "Institutionenreform" widmen, das im wesentlichen drei Dimensionen hat: erstens die institutionellen Konsequenzen einer zukünftigen EU-Erweiterung, zweitens das Verhältnis des Einflusses von großen, mittleren und kleinen EU-Staaten und drittens den Bereich supranationale Strukturen versus intergouvernementale Zusammenarbeit.

Was die zukünftige EU-Erweiterung betrifft, so öffnet sich in dieser Perspektive aus heutiger Sicht diese für zwölf Staaten. Eine rein arithmetische Anpassung der jetzigen EU-Strukturen auf 27 Mitgliedstaaten würde folgendes bedeuten: eine Kommission mit 32 Mitgliedern, ein Europäisches Parlament mit 800 Abgeordneten, die Sitzungen der EU-Organe müßten in zwanzig Sprachen stattfinden, und ein Mitgliedstaat würde die Präsidentschaft nur alle vierzehn Jahre ausüben.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Auswirkungen auf Komplexität und Dauer der Entscheidungsprozesse in der EU kann sich unter diesen Gesichtspunkten wohl jeder ausmalen.

Was nun die Kommission betrifft, so hat Österreich, das ja einerseits Befürworter der schrittweisen EU-Erweiterung ist, andererseits aber auch ein manifestes Interesse an einer handlungsfähigen Union hat, keinen Einwand gegen eine Verkleinerung beziehungsweise Straffung dieses Gremiums. Allerdings ist am Recht jedes Mitgliedstaats, ein Mitglied zu nominieren, unter den derzeitigen Voraussetzungen unbedingt festzuhalten.

Kein Zweifel besteht daran, daß aus unserer Sicht die relativ starke Stellung der kleineren und mittleren Staaten im EU-Entscheidungsprozeß erhalten bleiben muß.

Gestatten Sie mir aber, meine Damen und Herren, an dieser Stelle eine Bemerkung zu machen: Mir ist zwar durchaus bewußt, daß in Österreich – aber nicht nur in Österreich – gegenüber der Idee, ein Zweikammernsystem für die Union zu schaffen, eine skeptische Haltung eingenommen wird, meine aber, daß der Gedanke an ein Zweikammernsystem, wobei die eine Kammer proportional die jeweilige Bevölkerungsgröße und die andere Kammer die Mitgliedstaaten gleichberechtigt repräsentieren würde, interessante Aspekte zu bieten hat. In diesem Zusammenhang sei aber zugleich vermerkt, daß hier nicht einer Ausweitung von EU-Gremien das Wort geredet wird, sondern eine Anpassung an zukünftige Entwicklungen überlegt werden soll.

Zum Europäischen Parlament möchte ich festhalten, daß schon im Weißbuch der Bundesregierung festgehalten ist, daß Österreich einer stufenweise Ausweitung der Mitwirkungs- und Kontrollrechte des Europäischen Parlaments durchaus aufgeschlossen gegenübersteht. Hier wird des öfteren ins Treffen geführt, daß eine Aufwertung des Europäischen Parlaments zugleich eine Abwertung der nationalen Parlamente bedeuten würde. Der Ausgleich findet derzeit mehr oder minder im EU-Ministerrat statt, der, wenn er einen echten legislativen Charakter hätte, das Gremium sein könnte, das auf gleichberechtigter Basis die jeweiligen nationalen Parlamente repräsentieren könnte.

Diese Gedanken finden sich in den diesbezüglichen Überlegungen des französischen Senatspräsidenten Monory beziehungsweise des Vorsitzenden des Auswärtigen Ausschusses des französischen Senats, Senator Guena, die einen auf gleichberechtigter Basis – zum Beispiel je zwei Senatoren für jedes Land – bestellten EU-Senat in einer Konsultativfunktion zum EU-Ministerrat sehen möchten. Wie mir bekannt ist, sind dies Überlegungen, die in den offiziellen Vorschlägen der französischen Regierung für die Turiner Konferenz zwar nicht enthalten sind, in den französischen politischen Kreisen aber eingehendst diskutiert werden.


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