Bundesrat Stenographisches Protokoll 609. Sitzung / Seite 66

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was das eigentlich für sie bedeuten wird. Wir haben, meine sehr verehrten Damen und Herren, nicht zuletzt deshalb einen hohen Verwaltungsaufwand, weil das Sicherheitsbedürfnis des Menschen im weitesten Sinn des Wortes in den letzten Jahren ungeheuer angestiegen ist. Wenn wir alle persönlichen Risken auf die öffentliche Hand überwälzen wollen, dann dürfen wir uns nicht wundern, daß der Aufwand dieser öffentlichen Hand ununterbrochen dramatisch im Steigen begriffen ist. – Dies als eine kleine Vorbemerkung.

Es mutet doch merkwürdig – fast könnte man sagen, erheiternd – an, was ein leitender Beamter im Land Oberösterreich kürzlich zu mir gesagt hat. Er meinte: Wir kämen eigentlich mit unserer Arbeit recht gut über die Runden, wenn wir nicht so viel Mehraufwand mit der Verwaltungsvereinfachung und Deregulierung hätten. Das erinnert mich an den alten Scherz, wonach es einen Sektionschef im Ruhestand gegeben haben soll, der über nichts mehr lachen konnte als über das Wort "Verwaltungsvereinfachung".

Ein weiteres Reizwort als Vorbemerkung sei der Datenschutz. Wir werden uns recht bald wieder mit dem sogenannten Lauschangriff, der Kronzeugenregelung und ähnlichem beschäftigen und werden alle versichern, daß uns die persönliche Sphäre, das persönliche Datum, die persönlichen Daten heilig sind und daß der Staat hier so wenig wie möglich Einblick und Zugriff bekommen soll.

Nun wird – man stelle sich das vor – eine Wählerevidenz, eine europaweite Wählerevidenz angelegt werden, in der jeder Wahlberechtigte mit seinem Vor- und Zunamen, mit seinem Geburtsdatum, mit seinem Hauptwohnsitz, vielleicht mit anderen Anknüpfungspunkten erfaßt wird, und diese Wählerevidenz wird nicht etwa nur den Behörden zugänglich sein, sondern buchstäblich jedem Unionsbürger. Das muß man sich vorstellen: jedem Unionsbürger! Dieser muß, wenn er – wo immer im Bereich der Europäischen Union – Einblick nimmt, in keiner Weise irgendein Interesse darlegen, etwa daß er zu Zwecken der Wahlwerbung in diese Wählerevidenz Einblick nehmen möchte, sondern er kann einfach Einblick nehmen. Die Begrenzung liegt nur in den Dienststunden der Gemeinden begriffen. Daß wir damit einen Schritt weiter in Richtung des europaweiten "gläsernen" Menschen gehen, muß uns – nolens volens, es sei nur vermerkt – dabei schon bewußt sein.

Wir haben über eine Europawahlordnung, über eine Europa-Wählerevidenz zu beraten. Das könnte nahelegen, daß wir es mit europäischem Recht zu tun hätten. Selbstverständlich wird hier im Bundesrat und hier in diesem Hohen Haus nur österreichisches Recht in das Stadium der Geltung gesetzt, aber wir können sagen, daß wir damit europäisches Recht, europäisches Primärrecht – im konkreten Fall den EG-Vertrag – und eine Richtlinie der Europäischen Union sozusagen zum Leben, zur praktischen Anwendung in unserem Bereiche bringen. Wir dürfen uns vergegenwärtigen, daß diese Richtlinien der EU nicht, wie es uns in letzter Zeit das eine oder andere Mal vorgespiegelt wurde, etwa unverbindliche Empfehlungen sind, sondern daß natürlich die Pflicht der EU-Staaten besteht, dieses Recht, diese Richtlinien zu vollziehen und durch innerstaatliches Recht zum Leben und zur Geltung zu bringen.

Meine verehrten Damen und Herren! Wir dürfen uns nicht nur Staatsbürger nennen und damit unsere besondere Verbindung zu unserem Heimatstaat zum Ausdruck bringen, sondern auch Unionsbürger. Wir gehören einer Union an. Wir könnten sagen, ein Band umschlingt 15 Staaten und bringt sie in ein Naheverhältnis zueinander. Ich glaube, wir sollten eigentlich froh sein, daß in einer Union die Nähe zum Nachbarn intensiver und dichter gewirkt ist. Wir dürfen froh sein, daß wir heute nicht mehr irgendeinem Pakt angehören, irgendeiner Achse, irgendeinem Dreier-, Vierer-, Fünfer- oder Sechserpakt, sondern einer Union.

Es ist – und das wird uns so selten bewußt; auch Menschen, die sehr viel in der Europäischen Union zu tun haben – eine bedrohte Union und keine selbstverständliche, und diese Bedrohung kommt gewiß auch von einer Spezies von Menschen, die man heute die Euroskeptiker nennt und von denen so viele fast stolz darauf sind, sich dieser Gattung zuordnen zu dürfen. Der Union wird so gerne die Rolle des Sündenbocks zugewiesen, eines Sündenbocks, der für unsere wirtschaftlichen Probleme, für unsere gesellschaftlichen Probleme und für alles, was uns in diesem Staat Kopfzerbrechen und Ungemach bereitet, verantwortlich gemacht wird. Wir


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