Bundesrat Stenographisches Protokoll 609. Sitzung / Seite 67

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wissen – unseligen Angedenkens –, daß immer wieder versucht worden ist, irgendeinem Teil – irgendeinem Teil der Gesellschaft, bestimmten Einrichtungen – die Verantwortung für alles, was im Staate anscheinend schiefläuft, zuzuordnen.

Es sei hier nur eine der ganz klassischen Verhaltensweisen herausgegriffen, wie sich diese Euroskeptiker verhalten: So hat man auf der einen Seite, etwa im Fall des Bosnien-Konfliktes, immer wieder verlangt, es solle die Europäische Union ihre Muskeln spielen lassen und Problemlösungskapazität zeigen, gleichzeitig hat man aber immer die Befürchtung, es könnte diese Europäischen Union allzu mächtig sein, an die Wand gemalt. Mit einem Worte: Man hat Unmögliches, Absurdes, in sich Widersprüchliches mit einer Zunge verlangt.

Haben sich diese Euro-Skeptiker nicht doch schon das eine oder andere Mal die Frage gestellt, ob der europäische Friede, dessen wir uns seit mehr als 50 Jahren erfreuen dürfen, nicht doch etwas mit dem genialen Gedanken zu tun hat, den Robert Schuman entwickelt hat, daß wir die Waffen abgeben und einer gemeinsamen Union überantworten, wodurch es möglich geworden ist, einen dritten Weltkrieg zu vermeiden, an dem wir in den fünfziger, sechziger Jahren so oft glaubten, nicht vorbeikommen zu können? Haben sie bedacht, daß es im Grund genommen der Geist Robert Schumans und seiner Anhänger gewesen ist, der uns allen dieses furchtbare Schicksal erspart hat?

Gefahr droht der Union natürlich auch von den Zentralisten. Der Gedanke, alles möglichst zentral regeln zu müssen, daß es sozusagen in einer Gemeinschaft nur eine Sonne, nur ein Licht, nur einen Frieden geben könne, daß an die Stelle der Pax Romana jetzt gewissermaßen eine Pax Brüssel zu treten habe, birgt viele Gefahren in sich. Dieses Bedürfnis, alles und jedes bis ins letzte Detail zu regeln, ist sicherlich auch eine der großen Gefahren, der die Union ausgesetzt ist, sozusagen der Überdruß einer sich überall einmischenden Union, die zum Schluß schon vermessen will, wie groß die Löcher im Käse sein dürfen, wie stark die Bananen gekrümmt sind und dergleichen mehr.

Übersehen wir bei all dem aber nicht, daß doch die Eigenbrötelei, der Glaube, mit Separatismus irgendwie in Europa über die Runden kommen zu können, der Glaube an die Möglichkeit, mit einem neuen Nationalismus mit den Problemen, mit den Herausforderungen der Zukunft fertigzuwerden, noch gefährlicher sind.

Wir dürfen stolz sein auf unser Österreich, auf unsere Nation, auf unsere schöne Tradition, die wir jetzt mit 1 000 Jahren betitelt und mit einer Etikette versehen haben, aber die Welt von heute hat nur dann eine reale Überlebenschance, wenn wir das weltweite und vor allem zunächst europaweite Miteinander pflegen, wenn wir im föderalistischen Sinne kooperieren, wenn wir den Respekt vor der Gleichwertigkeit des anderen pflegen. Ich möchte deshalb sagen: Stoppen wir die allzu Eifrigen, denn auch das allzu schnelle Vorwärtspreschen könnte das Werk der Union in Gefahr bringen!

Wir können also feststellen, daß nicht nur wir Österreicher – diesmal wir Österreicher, die wir hier in Österreich unseren Hauptwohnsitz haben – zu den Wahlurnen gerufen sind, nicht nur die Österreicher, die ihren Hauptwohnsitz andernorts – etwa im Bereich der Union – haben und dort erklärt haben, daß sie unsere österreichischen Abgeordneten wählen wollen, sondern daß auch Unionsbürger, die hier bei uns in Österreich ihren Hauptwohnsitz haben und erklären, daß sie unsere österreichischen EU-Abgeordneten wählen wollen, zu den Wahlberechtigten zählen und daß natürlich auch Unionsbürger, die nicht österreichische Staatsangehörige sind, wählbar geworden sind.

Dies ist sicherlich ein sehr wichtiger Fortschritt, aber es ist auch ein sehr erwägenswerter Gedanke bei der künftigen Gestaltung unseres gesamten Wahlrechtes, wieweit von uns nicht nur Unionsbürger, sondern alle Ausländer, die hier bei uns an der Gestaltung und an der Erarbeitung unseres Sozialprodukts mitwirken, in das aktive und passive Wahlrecht miteinbezogen werden müssen, wenn wir uns nicht vor ihnen schuldig machen wollen.

In diesem Zusammenhang wird oft gerügt, daß das Europäische Parlament demokratisch zu wenig legitimiert sei und daß es eigentlich gar kein echtes Parlament sei, weil ihm Gesetz


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