Bundesrat Stenographisches Protokoll 610. Sitzung / Seite 10

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Am 28. Februar 1996 wurde die Russische Föderation im Europarat aufgenommen. Gegenwärtig sind alle 39 Mitgliedstaaten zugleich auch Vertragsstaaten der Menschenrechtskonvention.

Und gerade das jüngste Mitglied, Rußland, hat für uns alle eine große Bedeutung. Dieses große Land, historisch und vom menschlichen Leid schwer geprüft, reich an Bodenschätzen, mit über 150 Millionen Einwohnern, braucht nicht unsere materielle, sondern in erster Linie unsere geistige Hilfe.

Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion vertraten viele Menschen im Westen die Meinung, daß sich nun auf der ganzen Welt demokratische Systeme durchsetzen würden. Die Gegenwart lehrt uns aber eines Besseren.

In meiner beruflichen Tätigkeit habe ich gerade in Rußland hoffnungsvolle Reformpolitiker kennengelernt. Ich denke an Ripchen, ich denke an Gajda, an Smirnov und Kudinova, die im Westen bekannt sind, die heute aber nicht mehr das Sagen haben, das sie gehabt haben.

Es wird am Europarat liegen, wie aktiv die Kommissionen tätig sind, wie gewichtig Protokolle sind und wie die Absicht über ein Lippenbekenntnis hinausgeht. Unsere Politik im Europarat in Straßburg muß gerade in der Einhaltung der Menschenrechte besonders stark sein, muß die Menschenrechte auf einen bestimmten Mindeststandard bringen und sich auch den Ländern des ehemaligen Ostblocks geistig öffnen. Und ich lege besonderen Wert auf das Wort "geistig".

Für die Vorbereitung meiner ersten Rede hier in diesem Hohen Haus habe ich mit großer Aufmerksamkeit den Jahresbericht 1995 von Amnesty gelesen. Der Jahresbericht gibt Auskunft über die Menschenrechtssituation in Europa und auf der ganzen Welt, insbesondere auch in jenen 39 Mitgliedstaaten, die sich zu den Grundrechten bekennen.

Auch die österreichische Politik sollte es sich nicht nehmen lassen, sich in die inneren Angelegenheiten anderer Staaten einmischen zu wollen und bei gegebenen Anlässen immer wieder ihre Stimme in Richtung Menschenrechte zu erheben.

Selbstverständlich setzt dies zunächst voraus, daß auch in unserem eigenen Land die Bestimmungen der Menschenrechtskonvention und der Zusatzprotokolle auf Strich und Punkt eingehalten werden. Darüber hinaus soll dem Geist und den Intentionen des Europarates und der Menschenrechtskonvention in allen Handlungen der Staatsorgane und der Staatsbürger in vorbildlicher Weise entsprochen werden.

Wir alle – unsere Vertreter im Europarat und im Europäischen Parlament, aber selbstverständlich auch in den innerstaatlichen Parlamenten – sollen uns dieser Notwendigkeit der ständigen Weiterentwicklung des Menschenrechtsgedankens und des Menschenrechtsstandards bewußt sein und uns darum bemühen.

Durch die gegenwärtigen Protokolle soll das Übereinkommen nunmehr auch für Nichtmitgliedstaaten geöffnet werden, und in diesem Zusammenhang ist auf den Kontrollmechanismus besonderes Augenmerk zu legen. Gerade vor dem Hintergrund der furchtbaren Ereignisse im ehemaligen Jugoslawien, die sich vor den Augen der internationalen Staatengemeinschaft abgespielt haben und sich noch immer abspielen, und trotz der Tausenden und Abertausenden Opfer, die diese kriegerischen Auseinandersetzungen gefordert haben, müssen wir uns bemühen, einen Beitrag zum Frieden und zu der Menschenrechtsbestimmung zu leisten.

Es muß uns aber auch bewußt sein, daß die Menschenrechte unteilbar sind, daß sie keinesfalls und auch nicht teilweise am Altar sonstiger vermeintlicher staatspolitischer Interessen geopfert werden dürfen. Das gilt ganz besonders auch für die Minderheitenrechte, wie sie etwa in der neuen Rahmenkonvention zum Minderheitenschutz des Europarates von 1995 enthalten sind. Wie kaum bei einem anderen Beispiel gilt gerade hier der Grundsatz: Wehret den Anfängen!

Um nochmals auf das ehemalige Jugoslawien zurückzukommen, sei festgehalten – ich glaube, hier stimme ich mit allen Mitgliedern dieses Hohen Hauses überein –: Die Wahrung der Minderheitenrechte und das damit verbundene rechtzeitige Eintreten gegen die in unserem Jahrhundert schon so oft ausgelebten nationalistischen Tendenzen hätte dort ganz sicher eine


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