Die Aufgaben und Herausforderungen, vor denen wir stehen, sind alles andere als leicht. Wenn ich von einer guten Tradition spreche, dann meine ich den Ausgangspunkt, denn nicht alles, was Tradition ist, kann für die Zukunft angewendet werden, und es kann deshalb auch nicht immer als gut bezeichnet werden.
Das Konflikthafte, das Zuspitzen, das Erstreiten, all das wird uns nicht erspart bleiben. Wir dürfen es uns gar nicht ersparen. Kämen wir aber hernach nicht zu Lösungen, hätten wir umsonst gestritten und würden zu Recht kritisiert.
Die Sozialdemokratische Partei Österreichs ging als stimmen- und mandatsstärkste Partei aus dem Wahlgang im Dezember 1995 hervor. Als Vorsitzender dieser Partei hat mich der Herr Bundespräsident mit der Regierungsbildung beauftragt. Diese ist nunmehr gemeinsam mit der Österreichischen Volkspartei abgeschlossen.
So manchem mögen zweieinhalb Monate für eine Regierungsbildung zu lange erscheinen, umso mehr als ein Bundeshaushalt für das Jahr 1996 zu erstellen war. Ich kann und werde Ihnen aber berichten, daß es in dieser Zeit zu weit mehr als zur Bildung einer neuen Bundesregierung und zur Erstellung eines sehr umfangreichen Arbeitsprogrammes gekommen ist:
Erstmals in der Zweiten Republik werden, meine Damen und Herren, dem Parlament sowohl ein Budget für das laufende als auch ein solches für das nächste Jahr vorgelegt werden. Damit stellt die neue Bundesregierung nicht nur kurzfristig, sondern auch mittelfristig die Konsolidierung des Staatshaushaltes sicher.
Wir haben in den zurückliegenden Wochen die Gehaltsrunde mit dem öffentlichen Dienst abgeschlossen, die Finanzausgleichsverhandlungen mit den Bundesländern und den Gemeinden positiv erledigt und zahlreiche Strukturreformen eingeleitet. Nach arbeitsintensiven Tagen und Wochen stehen wir damit am Beginn einer ebenso arbeitsintensiven Gesetzgebungsperiode.
Hoher Bundesrat! Sozialdemokraten und Volkspartei interpretieren das Wahlergebnis vom 17. Dezember 1995 als den Wunsch der österreichischen Bevölkerung, daß sich beide Parteien die vollen nächsten vier Jahre zur Bewältigung der anstehenden Themen in unserem Land zu verpflichten haben.
Alle Mitglieder der Bundesregierung bringen diese Verpflichtung ein – auch im Wissen und im Vertrauen auf eine ebensolche Zusammenarbeit hier im österreichischen Parlament. Das zeigt nicht Schwäche, sondern Stärke des österreichischen Parlamentarismus, denn ohne Parlament kann eine Regierung nicht – jedenfalls nicht sinnvoll – regieren!
Die beiden Parteien haben den Wählerinnen und Wählern in der Wahlbewegung ihre Ideen und Forderungen vorgetragen. In den Verhandlungen haben sie folgerichtig ihre wichtigsten Forderungen aus dem Wahlkampf zusammengestellt, gegeneinander abgeglichen und zu einem Kompromiß gefunden. Nun haben die Wähler das Recht, daß dieser Kompromiß auch vollständig und zügig umgesetzt wird. Das Suchen von Mehrheiten im Einzelfall stünde diesem Verlangen diametral entgegen.
Ich bekenne mich zur Zusammenarbeit dieser beiden Parteien nicht nur aus Einsicht in die politische Arithmetik. Es ist gelungen, ohne Preisgabe von Grundsätzen und unter Einbindung der Sozialpartner, anderer Interessengruppen und der Gebietskörperschaften, Weichenstellungen vorzunehmen, die in einer anderen Form der politischen Zusammenarbeit sicher nicht gelungen wären.
Die unvermeidliche Frage nach dem Gewinner ist bereits gestellt worden. Die Antwort ist einfach: Der Gewinner ist unser Land, das wieder eine berechenbare und stabile, auf gutem Fundament ruhende Bundesregierung erhält.
Mir ist aber auch noch eine anderer Grund sehr wichtig, warum die Zusammenarbeit zwischen SPÖ und ÖVP für unser Land unter den gegebenen Umständen das Beste ist. In einer Zeit, in der Radikalismen nicht mehr nur exotische Randerscheinungen sind, in der politisch motivierte
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