Bundesrat Stenographisches Protokoll 610. Sitzung / Seite 51

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Ich sage Ihnen ehrlich, meine Damen und Herren von der freiheitlichen Partei: Ich freue mich, daß wir jetzt auch eine Staatsrechtslage haben, durch die wir auf Europaniveau Teil des integrierten Europas geworden sind und durch die wir auch als Bundesstaat in das integrierte Europa so hineingegangen sind, daß wir Brücken und Übergänge für Mittel- und Osteuropa schlagen und auch für die anderen da sein können; und zwar mit Neutralität und Solidarität in der Völkergemeinschaft, meine sehr Verehrten! (Beifall bei ÖVP und SPÖ. – Zwischenrufe bei den Freiheitlichen.)

Und dieses Miteinander, Hohes Haus, wäre nicht möglich gewesen, wenn wir nicht schon im Jahre 1945 damit begonnen hätten. Sie bezeichnen uns oft als Altkoalitionäre. Jawohl! Ich bin stolz darauf, einer Partei anzugehören, die seit Jahrzehnten in diesem Staate Regierungsverantwortung ausübt, meine sehr Verehrten! (Beifall bei der ÖVP. – Bundesrat Mag. Langer: Und das ist dabei herausgekommen!)

Manche Leute können sich heute nur deshalb Aktionen, Demonstrationen und "Alternativszeneristen" leisten, weil die anderen arbeiten, meine sehr Verehrten! Ohne die arbeitende österreichische Bevölkerung wäre so manche Alternativszenerie gar nicht möglich! (Beifall bei der ÖVP. – Zwischenrufe bei den Freiheitlichen.)

Glauben Sie nicht, daß ich von etwas spreche, was mir nicht geläufig ist. Herr Bundesrat Dr. Kapral! Sie haben eine sehr berechtigte Frage gestellt. Wenn ich an Ihrer Stelle gewesen wäre, hätte ich sie einleitend auch gestellt. Ich war elf Jahre lang Fraktionsobmann der ÖVP in Oppositionssituation, und ich gestehe es ehrlich: Das ist eine tolle Rolle, kann ich Ihnen sagen, weil Sie nämlich mit allen parlamentarischen Mitteln aktiv werden können, die Ihnen als Koalitionspartner verwehrt sind. Aber trotzdem sage ich: Jede Rolle und auch jede Lebenslage hat ihren Reiz. Es hat einen Reiz, jung zu sein, es hat einen Reiz, älter zu sein; es ist nur tragisch, wenn man alleine ist. – Die freiheitliche Partei ist hier alleine. (Beifall und Heiterkeit bei ÖVP und SPÖ.)

Meine sehr Verehrten! Wir können diesen Weg gemeinsam gehen. Dabei möchte ich Ihnen noch sagen: Es kommt nicht allein darauf an, wo man sitzt, sondern was man daraus macht. Hierin, glaube ich, besteht auch für eine Opposition die Möglichkeit, ihren Beitrag zu leisten, wenn sie sich nicht in die bloße Obstruktion verliert. Diesbezüglich muß ich Ihnen von der freiheitlichen Partei mein aufrichtiges Mitgefühl zum Ausdruck bringen, denn wissen Sie, nachdem nämlich Ihre Vertreter im Nationalrat gesprochen hatten, hat eine unverdächtige Zeitung, an der meine Partei wahrlich mit keiner Aktie beteiligt ist, nämlich die "Neue Zürcher Zeitung", etwas Bemerkenswertes geschrieben. Dieses Blatt ist ja eine hervorragende Weltzeitung und steht bekanntlich Ihrem Lager besonders nahe, weil es eher liberal ausgerichtet ist. Sie ist eine der glänzendsten Zeitungen, die ich kenne, ich lese sie mit Genuß jeden Tag und schneide mir daraus auch Artikel aus. Die "Neue Zürcher Zeitung" – ein Weltblatt!- hat am 15. März 1996, also vor der Bundesratssitzung und bevor Dr. Kapral gesprochen hat, bezogen auf den Nationalrat geschrieben: Österreichs Opposition ohne Biß! – Meine sehr Verehrten! Dem ist nichts hinzuzufügen – nachlesbar in der "Neuen Zürcher Zeitung"; die Sie von der freiheitlichen Partei übrigens zu Ihrer Pflichtlektüre machen sollten.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es steht die Frage im Raum: Welche Ehe ist die ÖVP mit der SPÖ eingegangen? – Ich darf Ihnen ehrlich sagen: Karl Jaspers, um bei der Schweiz zu bleiben, hat schon geschrieben: "Die Wahrheit beginnt zu zweien." Diese Tatsache führt auch zur Ehe. – Ich darf Ihnen versichern, es gibt verschiedene Motivationen, um eine eheliche Gemeinschaft, also ein Miteinander, einzugehen. Für die Österreichische Volkspartei darf ich Ihnen sagen: Es ist wahrlich keine Liebesehe, es ist auch keine Zwangsehe, es ist eine Vernunftgemeinschaft, meine sehr Verehrten! Und dazu bekennen wir uns vorbehaltlos, ohne jede Mentalreservation!

Wir wären selbstverständlich gerne alleine in der Regierung. Trotzdem darf ich Ihnen ehrlich sagen, daß wir jetzt eine Tätigkeit fortsetzen, mit der wir nach 1945, bitte schön, die Grundlage dieser Republik geschaffen haben, die Sie von der freiheitlichen Partei jetzt kritisieren. Dafür brauchen wir uns nicht zu genieren, meine Damen und Herren (Beifall bei ÖVP und SPÖ), denn


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