Bundesrat Stenographisches Protokoll 610. Sitzung / Seite 52

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diese Republik Österreich steht heute mit ihrer Sozialpartnerschaft – zu der ich mich bekenne und von der manche in der EU etwas lernen könnten –, mit ihrer konstruktiven Außenpolitik, mit ihren Bemühungen, zu den Peace-keeping-actions in der ganzen Welt beizutragen, im höchsten Ansehen. Die Frau Staatssekretärin war selbst in führender Position bei den Vereinten Nationen tätig und kann sicherlich besser als ich berichten, welches Ansehen wir dort auch bei der Tagesarbeit haben.

Meine sehr Verehrten! Wir haben nach 1945 gemeinsam den Weg zum Staatsvertrag, zur Neutralitätserklärung, zu kulturellem Wachstum und Fortschritt, zu wirtschaftlichem Wachstum und sozialer Sicherheit angetreten. Dadurch besteht eine Tradition des Miteinanders, wenn es das Wahlergebnis verlangt.

1918 hat sich der Verfassungsgesetzgeber auf das Proportionalwahlsystem eingeschworen. In der Monarchie gab es das Mehrheitswahlsystem. Daher ist es der Wählerauftrag, nach dem Verhältnis der Stimmen im Parlament vertreten zu sein und dann eine Koalition einzugehen, wenn keine Partei die absolute Mehrheit hat. Lassen Sie mich als Staatsrechtslehrer das wiederholen, was ich schon vor Wochen gesagt habe: Wenn Parteien in einer Koalition eine Zweidrittelmehrheit haben, dann haben sie auch eine besondere Verantwortung gegenüber der Verfassung. Und ich hoffe inständig, daß man mit der Verfassung in Zukunft respektvoller umgeht, als es in der Vergangenheit teilweise der Fall gewesen ist – unabhängig davon, ob wir in der Opposition waren oder ob wir Regierungsverantwortung haben.

Ich freue mich sehr darüber, daß der Wildwuchs, der Dschungelwuchs, an Verfassungsbestimmungen, an Entwürfen, der in der letzten Zeit entstanden ist, aufgrund von Initiativen der Österreichischen Volkspartei verringert worden ist. Ich werde mich demnächst in meinem Beitrag zur Festschrift für Professor Klaus Stern von der Universität Köln mit dem näher auseinandersetzen und habe mich außerdem in meinem Beitrag über Entwicklungstendenzen von Demokratie und Rechtsstaat – nachlesbar in der "Niederösterreichisch-Juristischen Gesellschaft" – schon vor Monaten kritisch damit auseinandergesetzt – unabhängig vom tagespolitischen Geplänkel. Ich glaube, auch hier können wir einiges an Rechtskultur einbringen.

Herr Bundeskanzler! Wir wissen zu schätzen, daß der Regierungschef wieder in die Länderkammer gekommen ist, denn es besteht dazu keine juristische Verpflichtung, wir haben kein Recht, der Regierung oder einem Mitglied der Regierung das Mißtrauen zu erklären. – Bei Gott nicht! Es war Bundeskanzler Ing. Julius Raab, der als erster im Bundesrat, in der Länderkammer, eine eigene Regierungserklärung abgegeben hat, und Sie setzen mit Ihrem heutigen Erscheinen aus Ihrer Sicht zum fünften Mal diese Tradition fort, die von der SPÖ auch Dr. Kreisky und Dr. Sinowatz fortgesetzt haben, nachdem alle ÖVP-Bundeskanzler das grundgelegt hatten.

Ich bin Ihrer Regierungserklärung gegenüber nicht unkritisch. Sie haben im Jahre 1992 das Perchtoldsdorfer Abkommen unterzeichnet – eine historische Leistung für einen SPÖ-Parteivorsitzenden ohne Beispiel. Wieweit Ihnen das Ihre eigene Partei lohnt, ist nicht meine Aufgabe, es zu erforschen, aber Sie haben meinen Dank – das möchte ich zum Ausdruck bringen –, daß Sie das im Jahr 1992 unterschrieben haben. Sie wissen, ich habe schon bei Ihrer ersten Regierungserklärung gesagt, ich wäre gerne bezüglich des föderalistischen Teils Ihrer ersten Regierungserklärung einer Ihrer Ghostwriter gewesen, und es wäre auch jetzt ganz gut gewesen, wenn man auf die Erklärung, die Unterschrift und auf das Abkommen vom Jahre 1992 mit einem Satz Bezug genommen hätte. Aber es sind andere Bezüge drinnen, die mich auch als Professor sehr interessiert hätten; die Luhmann-Zitate sind glänzend und manch andere Hinweise auch.

Ich hätte nur – das darf ich ehrlich sagen – bei der Regierungserklärung in der Länderkammer den föderalistischen Teil stärker herausgearbeitet. Ich möchte nicht in Vergessenheit kommen lassen, daß Sie einer der ganz wenigen Finanzminister der SPÖ waren – es hat ja nicht sehr viele gegeben, einige waren verheerend, wie Sie wissen, sonst müßten wir uns heute nicht mit dem Sparbudget beschäftigen –, die mit den Ländern und den Gemeinden Verhandlungen über den Finanzausgleich geführt haben und solche über die Verhältnisse angesichts einer neuen


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