Meine Damen und Herren! Demokratie bedeutet – darauf hat der Herr Bundeskanzler hingewiesen – auch und vor allem ein Element der Auseinandersetzung, des Streites und der Ideenkonkurrenz. Das ist nicht immer leicht, und ich sage auch sehr ehrlich, jedem von uns ist da schon eine Grenzverletzung passiert, mir sicher auch. Diese Auseinandersetzung hat weder etwas damit zu tun, daß wir nicht bereit sind, in der Meinung des anderen etwas Respektierenswürdiges oder auch Bedenkenswürdiges zu sehen, noch damit, daß reale Gegensätze, die für unterschiedliche Ideen, für unterschiedliche soziale Anliegen stehen, wegharmonisiert werden. Einen Sinn und eine Aufgabe hat diese Konfrontation nur dann, wenn es eine Auseinandersetzung, ein Streit und vor allem ein Wettstreit von Ideen ist.
Wir haben heute vom Kollegen Kapral in einer sehr langen – ich erspare mir Epitheta ornantia – Ausführung dargelegt bekommen, was ihm an diesem Regierungsprogramm, wie hier vorgelegt oder aus anderer Quelle geschöpft, nicht gefällt. (Vizepräsident Dr. Schambeck übernimmt den Vorsitz.) Ganz abgesehen davon, daß ich irgendwie das Gefühl habe, Kollege Kapral hat die "Meistersinger von Nürnberg" mißverstanden – es ist nicht der Beckmesser der positive Held, er spielt eher eine tragische, eine negative Rolle –, muß ich Sie schon fragen – denn Sie haben mit keinem Wort darauf Bezug genommen –: Wo findet hier die Ideenkonkurrenz statt? Wir sollten uns bei allen Verschiedenheiten – bei in unserem Fall sehr tiefgreifenden Verschiedenheiten – doch auf eine positive Konkurrenz einstellen und die Ideen gegeneinander abwägen.
Ich sehe in dem Programm der Bundesregierung, das uns heute hier auch vorgelegt wurde, vor allem eines, es ist nicht nur ein Programm, das in fünf ganz zentralen Bereichen versucht, positive Schritte der Zukunftsgestaltung zu setzen, sondern es ist auch ein Programm des Aufbruches, aber nicht in dem Sinn, daß damit weggeräumt werden soll, was geschaffen wurde, sondern ganz im Gegenteil, daß aufgebaut werden soll auf dem, was geschaffen wurde – aber naturgemäß unter neuen sozialen, ökonomischen und gesamteuropäischen Bedingungen. Die Fortsetzung dessen kann ja nicht heißen, daß man einfach stur entlang derselben Linie weitermarschiert.
Ich sehe die ganz entscheidende Aufgabe – und die haben wir gemeinsam zu erfüllen – nicht darin, daß jeder jede Maßnahme dieser Regierung, jeden Vorschlag dieser Regierungserklärung zu unterschreiben hat; viele von Ihnen wird ein politisches Hindernis davon abhalten. Ich glaube aber, eines sollten wir tun: Wir sollten uns auseinandersetzen, und zwar positiv auseinandersetzen, ausgehend von diesen Ideen der Regierung, von diesen Plänen der Regierung, mit einem Gefühl, das ein Teil unserer Bevölkerung hat und das aus Pessimismus, Zweifel und Sorge besteht.
Ich glaube, verantwortungsvolle Politik heißt, daß wir den Menschen, die Sorge haben, erklären, nicht die Sorge ausreden, sondern erklären, warum sie keine Sorge zu haben brauchen, daß wir denen, die sich nicht zurechtfinden, nicht sagen: Es passiert schon nichts!, sondern einen Wegweiser geben, und zwar einen, auf den sie vertrauen können, und daß wir den dumpfen Pessimismus, der da im Einzelfall heißen kann: Es ist mir alles gleich, ich flüchte mich noch schnell in die Pension! oder: Ich gehe irgendein Risiko nicht ein! oder: Mich trifft es ohnehin nicht!, überwinden müssen, damit die große nationale Kraftanstrengung, die hinter all dem steht, doppelt stattfindet.
Sie wird auf der Seite der Regierung stattfinden, die die Mittel, die hier eingespart werden, ja nicht nur und nicht in erster Linie zur Erfüllung abstrakter Kriterien zu verwenden hat, sondern dazu, Maßnahmen der Forschungsförderung, der Arbeitsplatzschaffung, Maßnahmen dieses neuen Aufbruches zu setzen. Aber all das würde und müßte verpuffen, wenn es nicht von den Bürgern auch so empfunden wird und zu diesem Aufbruch des Staates und der Gemeinschaft auch der Aufbruch vieler einzelner Bürger kommt.
Es stimmt optimistisch, daß viele Umfragewerte zeigen, daß entgegen manchen Erwartungen die Menschen die Maßnahmen und die Zielsetzungen dieses Paketes sehr wohl verstehen und billigen, obwohl sie naturgemäß, jeder einzelne davon, betroffen sind. Und ohne Anführungszeichen, Herr Kollege Kapral, ich habe jetzt leider keine da, aber ich bringe Ihnen das nächstemal eine Handvoll Anführungszeichen zur freizügigen Verwendung mit, ist zu sagen: Es ist
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