Bundesrat Stenographisches Protokoll 610. Sitzung / Seite 66

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Die ÖVP hält es für eine große Leistung, wenn sich der Herr Bundeskanzler heute in den Bundesrat begibt, um hier seine Regierungserklärung zu halten, und führt das auf die Tradition des Julius Raab zurück. Für uns Freiheitliche ist es eine Selbstverständlichkeit, daß sich ein Bundeskanzler, der in der nächsten Legislaturperiode auch mit den Ländern gemeinsam viele Vorhaben durchbringen will, vor die Länderkammer hinstellt und darstellt, was er und sein Koalitionspartner in den nächsten Jahren überhaupt zu tun gedenken.

Ich muß ehrlich sagen, ich hätte mir von Ihnen, sehr geehrter Herr Bundeskanzler, erwartet, daß Sie, anstatt in Allgemeinplätzen zu sprechen und ständige Wiederholungen von Floskeln von Ihnen zu geben, die wir von Ihnen seit zehn Jahren kennen und die sich auch im Wahlkampf immer wieder wiederholt haben, konkrete Aussagen darüber machen, wie Sie denn die vorhandenen Probleme bewältigen wollen.

Wir haben in Österreich die höchste Arbeitslosigkeit seit vielen Jahrzehnten, und wir wissen bis heute nicht, wie Sie diese Arbeitslosigkeit bekämpfen werden. Wir wissen nicht, welches Programm Sie zur Sicherung des Sozialstaates aufgebaut haben. Wir wissen nicht, wie Sie die Privilegienwirtschaft in diesem Lande in Angriff nehmen werden. Wir wissen nicht, wie die nunmehr fünfte Auflage dieser großen Koalition die Pleitenserie in Österreich stoppen wird. Auf diese Fragen hat es in der heutigen Debatte, die ja jetzt schon drei Stunden dauert, bisher noch keine einzige Antwort gegeben. Es wird wohl von Strukturveränderungen und erforderlichen Reformmaßnahmen gesprochen, aber dafür hätten Sie, sehr geehrte Damen und Herren von der großen Koalition, schon in den letzten zehn Jahren genügend Gelegenheit gehabt, uns einmal an einem einzigen Beispiel vor Augen zu führen, was Sie tatsächlich zu leisten imstande sind. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Meine Damen und Herren! Ich muß aber trotzdem dazusagen, daß auch ich mich freue, daß der Herr Bundeskanzler wenigstens da ist, denn der Vizekanzler und der Wirtschaftsminister von der ÖVP – beide sind maßgebend an dem neuen Belastungspaket der Bundesregierung beteiligt – kommen gar nicht mehr, sie stellen sich gar nicht mehr den Vertretern im Bundesrat. Das ist auch ein Ausdruck dafür, welche Wertschätzung der ÖVP-Obmann dem Bundesrat entgegenbringt, und zeigt, welchen Stellenwert Sie, meine Damen und Herren von der ÖVP, in diesem Parlament noch haben! (Beifall bei den Freiheitlichen. – Bundesrat Bieringer: Der Herr Vizekanzler ist gar nicht im Land! Haben Sie das heute in der Früh nicht gehört, was verlesen wurde?) Ich habe das nicht gehört. – Ist er nicht im Lande? (Bundesrat Bieringer: Der Herr Vizekanzler befindet sich nicht im Inland!) Es gibt aber auch noch den Herrn Wirtschaftsminister, der auch ein paar Antworten geben könnte, warum er denn dieses Belastungspaket so massiv geschnürt hat – zum Ärger vieler Tausender Österreicherinnen und Österreicher.

Meine Damen und Herren! Aber das ist noch nicht alles: Da gibt es die Kollegen Professor Schambeck und Kone#ny, die sich da ans Rednerpult herstellen und in geradezu peinlicher Art und Weise diese große Koalition verteidigen und sich zu den Pflichtverteidigern des Bundeskanzlers und seiner neuen Regierungsmannschaft aufspielen. (Bundesrat Prähauser: Der Bundeskanzler braucht keinen Verteidiger!) Ich finde das wirklich lächerlich, vor allem wenn man sich in Erinnerung ruft, daß hier eine Koalition verteidigt wird, über die sich ganz Österreich empört. Man sieht das ganz deutlich an der letzten Umfrage vom Sonntag, bei der sich 63 Prozent der Österreicherinnen und Österreicher auf die Seite der protestierenden Studenten stellen und ihre Unterstützung bekunden – und Sie kommen heraus und stellen sich ans Rednerpult und sagen, es sei eigentlich alles eitel Wonne, und es gehe uns eigentlich nichts an, daß die Leute draußen auf der Straße stehen. Übrigens: Das ist die erste Regierung seit den sechziger Jahren, die zusammengebracht hat, daß die Studenten wieder auf der Straße stehen. Und dieselben Leute sprechen dann von der Stabilität, die es jetzt wieder im Lande geben soll, von der Ruhe und Ordnung und von der guten soliden Basis für die Regierungsarbeit in den kommenden Jahren.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich sage Ihnen: Wenn die SPÖ und die ÖVP nicht in den letzten Jahrzehnten ein solch massives System der Abhängigkeit gegenüber den Bürgern geschaffen hätte, würde sich bei uns in Österreich der Unmut wesentlich deutlicher äußern, als


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