Bundesrat Stenographisches Protokoll 612. Sitzung / Seite 73

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und Einsparungsmaßnahmen bei den kleineren Bezirksgerichten hingewiesen. (Bundesrat Ing. Penz: Deswegen braucht man keine Verfassungsänderung!)

Die Justiz weist im Vergleich zu anderen Behördenstrukturen eine sehr hohe Dezentralisierung auf. Es gibt mehr als doppelt so viele Bezirksgerichte als Bezirkshauptmannschaften, obwohl der Bürger im Laufe seines Lebens ungleich häufiger die weiter entfernt gelegene Bezirkshauptmannschaft als das nähergelegene Bezirksgericht aufsucht. Denken Sie etwa daran, daß die Bezirkshauptmannschaften für die Ausstellung von Führerscheinen oder Reisedokumenten, für Jugendwohlfahrtsangelegenheiten, Gewerbeanmeldungen, Kraftfahrzeuganmeldungen, Zulassungen und vieles andere zuständig sind.

Zur möglichsten Aufrechterhaltung der dezentralen Struktur der Justiz und als Gegenmaßnahme gegen die Konzentrationstendenzen in den Ballungsräumen hat die Justiz in vorbildlicher Weise eine große Anzahl von Maßnahmen gesetzt, insbesondere massive Kompetenzverlagerungen von den Gerichtshöfen in die Bezirksgerichtsebene: alle Familienrechtsstreitigkeiten etwa, einschließlich Ehescheidungen, alle Zivilprozesse bis zu 100 000 S anstatt, wie bisher, 30 000 S, fast alle Strafsachen mit einer Strafandrohung bis zu einem Jahr Freiheitsstrafe oder auch andere Rechtsangelegenheiten.

Diese Kompetenzverlagerung hat ein Ausmaß angenommen, das wirklich an der Grenze des noch Vertretbaren ist. Ich sehe, abgesehen von Geldwertanpassungen bei der Streitwertgrenze, wirklich keine Möglichkeit mehr, den Aufgabenbereich der Bezirksgerichte auszuweiten. Diese Kompetenzverlagerungen, so massiv sie auch waren, haben sich aber naturgemäß bei den Kleinst- und Kleingerichten auch nur geringfügigst ausgewirkt. Eine Verbesserung der Leistungskraft der Justiz auf der Bezirksgerichtsebene durch eine Vergrößerung der Betriebseinheit ist daher nur durch eine Änderung der im großen und ganzen noch aus dem vorigen Jahrhundert stammenden Bezirksgerichtsstruktur, also durch eine maßvolle Zusammenlegung von Kleinst- und Kleinbezirksgerichten, möglich.

Diese Entwicklung wird heute dadurch erleichtert, daß sich die Verkehrsverhältnisse in den letzten Jahrzehnten doch entscheidend verbessert haben und daß die allgemeine Mobilität der Bevölkerung – denken Sie etwa an die regelmäßigen Einkaufsfahrten in die Einkaufszentren – ungleich höher ist als früher und daß schließlich auch die Grundbücher von überall aus abgefragt werden können.

Im Hinblick auf die derzeitige Rechtslage, wonach Verordnungen der Bundesregierung zur Änderung der Bezirksgerichtsstruktur der Zustimmung der Landesregierung bedürfen, hat das Bundesministerium für Justiz, nach erfolgreichem Abschluß unserer diesbezüglichen Bemühungen in Niederösterreich, seit mehreren Jahren auch intensive Gespräche mit den Landesregierungen der Steiermark, von Oberösterreich und Salzburg geführt. Die übrigen Bundesländer kommen für diese Maßnahmen ohnehin nicht in Frage. Diese Gespräche haben leider zu keinem befriedigenden Ergebnis geführt. Im Gegenteil: Ich habe eher den Eindruck gewonnen, daß die betroffenen Landesregierungen, mit Rücksichtnahme auf die örtlichen Wünsche, immer weniger imstande sind, ihre Zustimmung zu geben.

Meine Damen und Herren! Auch bei einer veränderten Verfassungsrechtslage, wonach Bezirksgerichtsstrukturmaßnahmen innerhalb eines Bezirkshauptmannschaftssprengels – ich betone immer nur innerhalb eines Bezirkshauptmannschaftssprengels – nicht mehr der Zustimmung, sondern nur noch der Anhörung der Landesregierung bedürfen, ist es nicht unser Ziel, pro Bezirkshauptmannschaft nur ein Bezirksgericht einzurichten, und schon gar nicht sprechen wir von einer mindestens fünf Richter beschäftigenden Bezirksgerichtsgröße. Solche in der Öffentlichkeit getroffenen Äußerungen sind reine Stimmungsmache.

Auch bei geänderter Verfassungsrechtslage trete ich für die schon bisher in Niederösterreich angewandten und mit den Landesregierungen von Oberösterreich, Steiermark und Salzburg debattierten Parameter für die Zusammenlegung ein, nämlich daß der richterlich zu erledigende Geschäftsanfall nicht einen Richter auslastet oder dieser Geschäftsanfall zwar etwas größer ist – ich habe unlängst in einer parlamentarischen Anfragebeantwortung gesagt, etwa eineinhalb


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