Bundesrat Stenographisches Protokoll 617. Sitzung / Seite 24

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Bundesrat Josef Rauchenberger: Herr Vizekanzler! Meine Frage lautet:

643/M-BR/96

Wie beurteilen Sie die Möglichkeiten eines abgestimmten Verhaltens der neutralen EU-Staaten Österreich, Schweden, Finnland und Irland bei der Entwicklung einer europäischen Sicherheitsarchitektur?

Präsident Josef Pfeifer: Herr Vizekanzler, bitte.

Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten Vizekanzler Dr. Wolfgang Schüssel: Jedes Land vertritt natürlich seine eigene spezifische Politik und seine Interessen. Manches kann natürlich parallel sein mit anderen Staaten. Anderes ist, glaube ich, einfach eigenständig zu sehen. Es gibt daher mit den anderen bündnisfreien Ländern immer wieder Gespräche, und wir versuchen natürlich auch, aufeinander einzugehen und zu erfahren, wie die Lage und die Sicht der Dinge sind.

Das Interessante ist, daß Österreich das erste Land gewesen ist, das im Rahmen der Vorbereitungskonferenz, also in der sogenannten Reflexionsgruppe für die Regierungskonferenz, einen Ansatz vorgetragen hat, daß man in den europäischen Vertrag die sogenannten Petersberg-Aktionen, also Friedensdurchsetzung, Friedensschaffung, Friedenserhaltung, Krisenmanagement und humanitäre Hilfe, in den Vertrag integriert und dann die Westeuropäische Union mit der Durchführung beauftragt.

Dieser Ansatz Österreichs ist dann im Rahmen der Regierungskonferenz in einer gemeinsamen und europaweit sehr gut kommunizierten Aktion von Finnland und Schweden vorgestellt worden, und es ist im wesentlichen schon in der Reflexionsgruppe eine ziemlich unbestrittene Mehrheitsmeinung gewesen, abgesehen von Großbritannien. Die Briten nehmen hier eine spezifische Rolle ein, und zwar wollen sie die Westeuropäische Union überhaupt nicht an die EU heranführen. Ich glaube aber, daß die Briten diese Sache am Ende akzeptieren werden, und gewisse Anzeichen deuten auch schon in diese Richtung.

Es gibt da gewisse Gemeinsamkeiten. Der Unterschied zu Finnland und Schweden ist natürlich der, daß wir uns tatsächlich alle Optionen – auch im Regierungsübereinkommen festgelegt – offenhalten, und daß wir erst im Lichte der Veränderungen innerhalb der NATO, innerhalb der Westeuropäischen Union, im Lichte einer paneuropäischen Sicherheitskonzeption, die unter Umständen zu einem Partnerschaftsabkommen mit Rußland und der Ukraine führen könnte, im Lichte dieser Diskussion, die von uns nicht beeinflußbar ist, unsere Optionen festlegen werden. Wir halten uns sozusagen alles offen. Die Finnen und die Schweden sind da viel restriktiver.

Präsident Josef Pfeifer: Eine Zusatzfrage? – Bitte.

Bundesrat Josef Rauchenberger: Herr Vizekanzler! Aus Ihrer Antwort schließe ich, daß Sie neben der Zusammenarbeit dieser neutralen Staaten auch die Chance sehen, andere Kleinstaaten Europas, die ähnlich gelagerte Interessen wie Österreich haben, in diese neue europäische Sicherheitsarchitektur einzubinden.

Präsident Josef Pfeifer: Herr Bundesminister, bitte.

Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten Vizekanzler Dr. Wolfgang Schüssel: Am Ende wird es wichtig sein, alle 15 EU-Staaten für eine gemeinsame europäische Sicherheitsarchitektur zu gewinnen, denn das ist auch das Ziel der Regierungskonferenz. Wir sind nur dann erfolgreich – das macht die Regierungskonferenz auch so schwierig –, wenn am Ende alle im Konsensweg dem zustimmen. Es genügt natürlich nicht, daß man sich mit drei, vier Ländern gut versteht und sagt: Wir sind klass, und die anderen interessieren uns nicht. – Dabei kommt ja nichts Vernünftiges heraus. Am Ende muß man alle auf eine Position bringen.


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