Bundesrat Stenographisches Protokoll 617. Sitzung / Seite 38

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10.57

Bundesrat Albrecht Kone#ny (SPÖ, Wien): Herr Präsident! Herr Bundesminister! Es ist klar, daß ein Bericht, der sich mit dem ersten Jahr unserer Mitgliedschaft in der Europäischen Union beschäftigt, dieses Thema in den Mittelpunkt rückt. Österreich – das ist etwas, was die Vertreter der anderen Mitgliedsstaaten durchwegs bestätigen – hat sich in diesem ersten Jahr auf einem zugegebenermaßen neuen und ungewohnten Parkett sehr rasch gut eingeführt und ist in einer Reihe von Themata, so wie wir es vorgehabt haben, zu einer gestaltenden Kraft geworden.

Ich glaube, daß wir gerade dort, wo es um die Vertretung österreichischer Anliegen geht, über dieses Jahr eine höchst positive Bilanz ziehen können, aber eben nicht nur dort – im Gegensatz zu manchen Bemerkungen, die es da und dort in der veröffentlichten Meinung gegeben hat –, wo es um österreichische Interessen geht, sondern auch dort, wo es um konstruktive Beiträge in dem sehr pluralistisch orientierten, europäischen Entscheidungsprozeß geht. Auch das ist etwas, was wir angestrebt haben, auch das ist ein positiver Beitrag. Denn ich würde es bei aller Notwendigkeit der Vertretung österreichischer Interessen für ein völlig falsches Verständnis unserer Mitgliedschaft in der Europäischen Union betrachten, wenn wir – oder unsere Vertreter – gewissermaßen bei all den Sitzungen, Beratungen und Konferenzen vor uns hindösen und immer nur dann aufwachen würden, wenn eines der Themata, das innenpolitisch oder in bezug auf unsere Wirtschaftsexporte besondere Bedeutung hat, auf die Tagesordnung kommt. So kann man in einer Partnerschaft nicht agieren, das hat Österreich auch vom ersten Augenblick an vermieden.

Ich betone das nur deshalb, weil dieses Mitdenken, Mitarbeiten – und dabei die Interessenvertretung nicht vergessen – naturgemäß da und dort Ansatzpunkt für oberflächliche und vordergründige Kritiken ist, daß österreichische Interessen in dieser Politik nicht im Vordergrund stünden. Ich sage: ganz im Gegenteil! – Nur der, der sich als gleichberechtigter Mitspieler, Ideenbringer und Mitarbeiter in diesem europäischen Konzert profiliert, hat auch eine Chance, Bündnispartner und Unterstützung zu gewinnen, wenn es um seine Interessen geht, wenn es darum geht, partikuläre und nationalstaatliche Interessen durchzusetzen, die man eben in einem solchen Bündnis nicht allein durchsetzen kann, sondern nur im Verbund mit anderen Staaten und eben mit einer überwiegenden Mehrheit dieser Staaten. Ich glaube, daß uns das in vielen Bereichen ansatzweise gelungen ist und daß wir hier jedenfalls Grundlagen geschaffen haben, die das ermöglichen.

Natürlich sind wir in einer Zeit Mitglied der Europäischen Union geworden, zu der die Struktur dieses Staatenverbandes selbst in Diskussion steht. Die Perspektive einer Erweiterung, die Perspektive einer Vertiefung, die Perspektive einer Ausdehnung von Aufgaben in anderen Bereichen – und all das hineingepackt in eine Regierungskonferenz – bedeuten, daß wir uns in diesem Jahr und in der Folge in diese Strukturen hineinzuarbeiten hatten, aber gleichzeitig an deren Überwindung, Weiterentwicklung mitzuarbeiten hatten. Und es ist schon richtig, daß dabei sicherheitspolitische Aspekte eine große Rolle spielen.

Ich glaube, daß es ein falsches Verständnis von einem nationalen und internationalen Entscheidungsprozeß ist, wenn das ehrliche Bemühen, Standpunkte zu beziehen und eine nationale Diskussion zu führen, als Anhäufung von Widersprüchen und Unkenntlich-Machung eines österreichischen Standpunktes angesehen wird. Die Standpunkte in dieser Frage sind auch in anderen Staaten so eindeutig auch wieder nicht. Naturgemäß haben Staaten, die ihre sicherheitspolitische Erfahrung in einer 45jährigen NATO-Mitgliedschaft gewonnen haben, hier auf eine Schiene gesetzt – das ist ja keine Frage. Aber es hat sich doch in den letzten Monaten zumindest eine Erkenntnis, so scheint mir, durchgesetzt: daß es eben unter den derzeitigen Mitgliedstaaten der Union nicht nur diese eine sicherheitspolitische Erfahrung gibt, sondern auch jene sicherheitspolitische Erfahrung, die nicht allein Österreich, sondern auch andere Staaten, die nicht der NATO angehören oder angehört haben, mit ihrer Neutralität – oder wie immer das im Einzelfall nationalstaatlich bezeichnet wurde – gemacht haben. Es steht daher die Aufgabe, diese Erfahrungen kritisch, aber wohlwollend zu überprüfen, auch denen zu, die eine andere Geschichte haben.


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