Bundesrat Stenographisches Protokoll 618. Sitzung / Seite 92

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Berichterstatter Mag. Karl Wilfing: Sehr geehrter Herr Präsident! Herr Vizekanzler! Hoher Bundesrat! Der Bericht des Bundesministers für auswärtige Angelegenheiten betreffend Südtirol schildert den Werdegang Südtirols von 1945 bis in die Gegenwart.

Neben einem geschichtlichen Rückblick wird auf aktuelle Themen Bezug genommen. Auf einzelne Fragen, wie beispielsweise der ethnische Ämterproporz, das italienische Wahlgesetz 1993 und das Problem der Zweisprachigkeit, wird in einem eigenen Kapitel näher eingegangen.

In einem weiteren Abschnitt wird die grenzüberschreitende regionale Zusammenarbeit in der "Europaregion Tirol" beschrieben.

Im letzten Kapitel werden universitäre Strukturen sowie die Anerkennung akademischer Grade zwischen Österreich und Italien behandelt.

Der Außenpolitische Ausschuß stellt nach Beratung der Vorlage am 12. November 1996 mit Stimmenmehrheit den Antrag, den Bericht zur Kenntnis zu nehmen.

Vizepräsident Dr. DDr. h. c. Herbert Schambeck: Wir gehen nun in die Debatte ein.

Zu Wort gemeldet hat sich Herr Bundesrat Dr. Franz Werner Königshofer. Ich erteile es ihm.

15.26

Bundesrat DDr. Franz Werner Königshofer (Freiheitliche, Tirol): Herr Präsident! Herr Vizekanzler! Meine Damen und Herren! Südtirol nimmt heute unter den europäischen Volksgruppen und Minderheiten sowie auch unter den autonomen Gebieten eine besondere Rolle ein, und zwar zum einem, weil das Land südlich des Brenners nicht wie andere Gebiete mit offenen nationalen Fragen dem allgemeinen öffentlichen Desinteresse anheimgefallen ist, und zum anderen, weil es den Südtirolern trotz aller Schwierigkeiten gelungen ist, sich einen beachtlichen Volksgruppenschutz zu erkämpfen, der zahlreichen anderen Minderheiten als Orientierungshilfe dienen kann.

Die Südtirol-Frage ist so alt wie der Untergang der österreichisch-ungarischen Monarchie. Nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg wurde das Land Tirol geteilt und der südliche Landesteil gegen den Willen und gegen die Proteste der Bevölkerung am 10. Oktober 1920, genau am Tag der Kärntner Volksabstimmung, offiziell in die Republik Italien eingegliedert und damit von Italien annektiert.

Daß die Frage Südtirol bis heute nicht befriedigend gelöst wurde, hängt mit zwei Aspekten zusammen: Zum einen waren die ethnischen Grenzen 1918 mit aller Deutlichkeit gezogen. In Südtirol lebten vor der Annexion 93 Prozent Deutsche, 4 Prozent Ladiner und nur 3 Prozent Italiener. Diese ethnische Homogenität konnte bis auf wenige Gemeinden im großen und ganzen bis heute beibehalten werden. Zum anderen ist Tirol seit dem Ende des Ersten Weltkrieges ein geteiltes Land. Der Umstand der Teilung gibt der Südtirol-Frage bis heute eine besondere Dynamik und Brisanz, die mit der deutschen Teilung bis 1990 in etwa vergleichbar ist.

Hinzu kommen natürlich noch besonders einprägsame historische Erfahrungen wie die 20jährige Unterdrückung der Südtiroler durch den Faschismus und die offen minderheitenfeindliche Politik des demokratischen Italien nach dem Zweiten Weltkrieg. Durch die lange Zeit der Konfrontation mit dem italienischen Staat zwischen 1957 und 1969 konnte schließlich ein Erfolg erzielt werden. Österreich brachte 1960 als völkerrechtlich anerkannte Schutzmacht der Südtiroler die Südtirol-Frage zum Mißfallen Italiens vor die Vereinten Nationen. Damit war das Problem endgültig internationalisiert.

Erst nach jahrelangen aufreibenden Verhandlungen, die von italienischer Seite ständig sabotiert wurden, konnten sich die beiden Verhandlungspartner Österreich und Italien auf ein sogenanntes Paket einigen. Das Paket stellte einen 137 Punkte umfassenden Maßnahmenkatalog mit Minderheitenrechten und autonomen Befugnissen für Südtirol dar. Die Südtiroler Volkspartei, die SVP, die Sammlungspartei der deutschen Südtiroler, als Entscheidungsträger der deutschen


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