Bundesrat Stenographisches Protokoll 618. Sitzung / Seite 98

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Herr Bundesminister! Auch ich möchte einleitend den geschichtlichen Rückblick des Berichtes des Außenministers betreffend Südtirol kritisieren, denn er beginnt erst im Jahre 1945. Die Gründe und Ursachen, warum wir uns jedes Jahr an dieser Stelle ausführlich über das Problem Südtirol unterhalten, liegen aber in den Jahren 1918 und 1919. Ich würde es daher sehr begrüßen, wenn das Außenministerium seinen geschichtlichen Rückblick mit dem Ende des Ersten Weltkrieges beginnen würde – auch im Hinblick auf jene Kolleginnen und Kollegen, die von dem Tiroler Problem Südtirol nicht allzuviel wissen, und vor allem im Hinblick auf die Fehler, die in bezug auf Südtirol vor dem Ende des Zweiten Weltkrieges gemacht wurden. Es sind diese Fehler, die bis heute nachwirken, die bis heute bei vielen Nord-, Ost- und Südtirolern eine gewissen Unversöhnlichkeit verursachen. Diese Fehler werden nicht ungeschehen gemacht, indem man sie verschweigt.

Die Ursachen für die Staatsgrenze durch das Land Tirol liegen zum einen in dem für die österreich-ungarische Monarchie unrühmlichen Ausgang des Ersten Weltkrieges, zum anderen im Ausgang der Friedenskonferenz von Paris. Dort wurde den Italienern Tirol bis zum Reschenpaß und zum Brenner von den Vereinigten Staaten, Frankreich und dem Vereinigten Königreich als Kriegsbeute zugesprochen. Die gezogene Grenze war eine Unrechtsgrenze, eine Grenze, die klar der von den Amerikanern deklarierten Wilson-Doktrin mit ihrem Selbstbestimmungsrecht der Völker widersprach.

Die Folgen der Kolonialpolitik des italienischen Faschismus südlich des Brenners – Deutsch als Muttersprache wurde verboten, desgleichen die Verwendung deutscher Vornamen und Ortsnamen – sind bis heute noch zu spüren. Mussolini und Hitler stellten die Südtiroler vor die Option, sich als italienische Staatsbürger zu bekennen oder auszuwandern. – All dies waren für die deutschsprachige Bevölkerung Südtirols zum Teil dramatische Erlebnisse.

Die Tiroler Hoffnungen, die unsinnige Brennergrenze könnte nach dem Zweiten Weltkrieg korrigiert werden, erfüllten sich nicht. Italien gehörte seit 1943 wieder zu den Siegermächten. Von einer freiwilligen Rückgabe war und ist keine Rede. Was zustande kam, war das Gruber-De Gasperi-Abkommen. Dies bescherte den Südtirolern zwar nicht das Selbstbestimmungsrecht, aber es war der Grundstein für die spätere Autonomie im Rahmen einer mehrsprachigen Region. – Aber das alles können Sie ja wieder im Bericht des Außenministers nachlesen.

Wir können historische Ereignisse und Konstellationen nicht ungeschehen machen, wir dürfen uns mit ihren Auswirkungen aber nicht einfach abfinden. Gerade die besondere Situation der dreisprachigen Region Tirol bietet genügend Herausforderungen und Probleme, deren Bewältigung beispielgebend für das Zusammenleben der europäischen Völker sein kann. Auch wir in Österreich können im Umgang mit Minderheiten noch einiges lernen: Ich erinnere nur an die Probleme mit den zweisprachigen Ortstafeln in Kärnten und die Ghettoisierung von ethnischen Minderheiten im Burgenland.

Da ist zum einen das Problem der Zwei- beziehungsweise Mehrsprachigkeit in Südtirol. Im gesamten öffentlichen Dienst in Südtirol besteht Zweisprachigkeit, wobei die Zweisprachigkeit zunehmend zum Problem für die italienische Bevölkerung wird. Heute ist die Frage der Deutschkenntnisse der Italiener in Südtirol für diese eine Existenzfrage. Wer nicht die beiden gängigsten Landessprachen beherrscht, muß abwandern, oder er befindet sich in einer Ghettosituation, die ihn radikalisiert und auch isoliert.

Die zunehmende Radikalisierung der italienischen Bevölkerung, die ihren Ausdruck auch in den Erfolgen der italienischen Neufaschisten bei den diversen Wahlen findet, ist ein gefährlicher Sprengsatz für das friedliche Zusammenleben in Südtirol-Trentino. Nur die Mehrsprachigkeit kann helfen, die unsichtbaren Grenzen des Alltags zwischen den Volksgruppen zu beseitigen. (Präsident Pfeifer übernimmt den Vorsitz.)

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eine der Ideen, die versucht, die Brennergrenze weniger sichtbar zu machen, ist die Europaregion Tirol. Hinter diesem im politischen Diskurs vielstrapazierten Wort verbirgt sich noch recht wenig. Das Bundesland Tirol, Südtirol und Trentino suchen neue Wege der Zusammenarbeit, vor allem auch auf europäischer Ebene. Eines der


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