Bundesrat Stenographisches Protokoll 619. Sitzung / Seite 30

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Zu Wort gemeldet hat sich Herr Bundesrat Dr. Günther Hummer. Ich erteile ihm dieses.

10.15

Bundesrat Dr. Günther Hummer (ÖVP, Oberösterreich): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Bundesminister! Hoher Bundesrat! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Schon vorweg möchte ich sagen, daß das heute in Beratung stehende Paket von Justizgesetzen unseren Respekt verdient. Dieses Paket betrifft das Strafrecht und den Strafvollzug. Es ist wertestiftend und wertevermittelnd, und es ist nach gründlichen mehrjährigen Beratungen im Justizministerium und bei den befaßten Stellen entstanden.

Daß die Öffentlichkeit nur einige, dem ursprünglichen Paket gar nicht angehörende Paragraphen ganz besonders interessiert haben, verwundert nicht, denn für diese ist das Plakative eben interessanter als das Wertestiftende.

Es ging um die Aufhebung der §§ 209, 220 und 221 des Strafgesetzbuches, in denen es um den Schutz der Jugend insbesondere vor homosexueller Verführung geht.

Die Kameraden vom Bundesheer, die ich heute in der Säulenhalle gesehen habe, haben mir betreffend die Diskussion über dieses Kapitel einen militärischen Vergleich nahegelegt: Bei solchen Diskussionen geht es so zu, als würden sich zwei feindliche Regimenter einigeln oder eingraben, gut tarnen und aus sicherer Deckung ihre Sprenggranaten jeweils gegen den anderen abfeuern. – Die Sprenggranaten der einen Seite bestehen daraus, daß die anderen eines mittelalterlichen Fundamentalismus bezichtigt werden, weil sie für die Beibehaltung dieser strafgesetzlichen Schutzbestimmung sind. Den anderen wird unterstellt, daß sie unsere Jugend jeder Verführung schutzlos preisgeben wollen.

Wenn man eine solche Diskussion versachlichen will, dann muß man sich vor Augen halten, daß hinter jeder Rechtsnorm und hinter jeder Sanktion, die der Gesetzgeber verfügt, Rechtsgüter stehen, die der Gesetzgeber für schützenswert hält. Man kann Normen nur dann verstehen, richtig auslegen und auch über deren Beibehaltung und Aufhebung ertragreich diskutieren, wenn man die dahinter stehenden Rechtsgüter klar erkennt. Denn mit jeder Norm werden nicht nur ein Gebot oder ein Verbot mit einer Sanktion statuiert, sondern werden auch die Mißbilligung oder die Billigung eines bestimmten Verhaltens sichtbar und eine bestimmte Wertung statuiert.

Eine solche Wertung beruht oft auf einer Weltanschauung; man beruft sich etwa auf christliche, marxistische oder liberale Wertvorstellungen. Die Rechtsnorm ist aber dennoch von solchen Wertvorstellungen zu unterscheiden. Die bloße Existenz einer Norm würde selbst dann Billigung oder Mißbilligung zum Ausdruck bringen, wenn man sie niemals anwenden würde.

Bedenken Sie, meine sehr verehrten Damen und Herren, daß etwa unser Bundes-Verfassungsgesetz ursprünglich aus dem Jahr 1920 stammt, eine Reihe von wichtigen Bestimmungen enthält, die nie angewendet worden sind, etwa betreffend die politische oder rechtliche Verantwortung von höchsten Organen. Niemand würde jedoch auch nur im Schlaf daran denken, diese Bestimmungen aufzuheben.

Darum gebührt auch ein gewisses Maß an Vorsicht, wenn man von totem Recht spricht. Ich betone daher: Allein deswegen, weil eine Bestimmung sehr selten oder fast nie von den Gerichten angewendet wird, entfällt die Mißbilligung oder Billigung durch den Gesetzgeber noch nicht. Auch bloße Programme, meine sehr verehrten Damen und Herren, haben ihren normativen Gehalt, weil ja andere Gesetzesbestimmungen an ihnen zu messen und bei der Auslegung heranzuziehen sind.

Auch im Strafrecht bedeutet es eine Verkürzung des Rechtsverständnisses, wenn man den Zweck eines Gesetzes nur in Sühne, in Besserung oder Abschreckung, General- oder Spezialprävention sieht. Die Interpretation muß stets aus der Gesamtheit der Rechtsordnung in Hinblick auf ihren inneren Zusammenhang erfolgen, was in der Praxis sicherlich schwierig ist.

Die dem Strafrecht zugrunde liegenden allgemeinen Rechtsgrundsätze könnte man beispielsweise mit Schutz der Familie, der Ehe, der Ehre, der Menschenwürde, des Intimbereiches, der


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