Bundesrat Stenographisches Protokoll 619. Sitzung / Seite 52

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Gewalt ist nach wie vor, nicht ausschließlich, aber doch primär, eine männliche Form des Verbrechens. Die Brisanz der Thematik läßt sich an einigen Zahlen aufzeigen: 54 Prozent aller Morde werden im Familienkreis begangen. In 90 Prozent der Mordfälle sind Frauen und Kinder die Opfer. Unter "Gewalt" ist nicht nur körperliche Mißhandlung zu verstehen, sondern auch die vielfältigen Formen psychischer Unterdrückung zählen dazu.

Die Ursachen für Gewalt sind vielfältig. Neben der Sozialisation durch einen gewaltausübenden Elternteil, den Beziehungsstrukturen in der Familie und dem sozialen Umfeld können auch entsprechende gesellschaftliche Strukturen zu einer Überforderung des einzelnen führen, welche sich dann mangels anderer Konfliktlösungsstrategien in physischen Übergriffen in Form von Schlägen oder psychischer Unterdrückung artikuliert. Als wissenschaftlich abgesichert gilt, daß die Neigung, Konflikte gewalttätig auszutragen, unter psychischer Belastung steigt. Faktoren wie finanzielle Probleme, hohe Verschuldung, beengte Wohnsituation, Schwierigkeiten im Beruf, Arbeitslosigkeit, Erziehungsprobleme mit den Kindern, angegriffene Gesundheit und Probleme in der Partnerschaft sind als solche Streßfaktoren anzusehen.

Auch das Erleben familiärer Gewalt beziehungsweise das Fehlen positiver familiärer Beziehungsmuster begünstigen das Auftreten gewalttätigen Verhaltens gegenüber der Partnerin oder den Kindern. Familie ist in der Vorstellung der meisten Menschen ein Ort der Nähe, Geborgenheit und emotionellen Unterstützung. Sorgen sollen von den Familienmitgliedern geteilt, Probleme gemeinsam bewältigt werden. In diesem idealen Familienkonzept sind Konflikte, Abgrenzungswünsche und Individualisierungsbestrebungen nicht vorgesehen. Die gängige Orientierung an diesem Familienmythos führt zu überzogenen Erwartungen an die Partnerschaft und auch an die Kinder, die in der Realität nicht erfüllt werden können. – Die daraus resultierende Enttäuschung begünstigt das Entstehen von Gewalt.

Um Familien zu befähigen, ihr Konfliktlösungspotential zu erhöhen, kommt der Prophylaxe – zum Beispiel in Form von Elternschulungen – hoher Stellenwert zu. Familienmitglieder, die in Krisensituationen körperliche oder physische Mißhandlung als einzige Lösungsstrategie zur Verfügung haben, brauchen fachliche Hilfe. Die Anwendung von Gewalt und Zufügung körperlichen und seelischen Leidens sind nach der Gesetzeslage erst seit 1. Juli 1989 unzulässig. Angehörige von Familien, in denen Gewalt ein Problem darstellt, können in fast allen größeren Zentren Österreichs Hilfe finden und alternative Wege zur Konfliktlösung kennenlernen.

Um den betroffenen Eltern und Angehörigen einen leichteren Zugang zu solchen Beratungsstellen zu ermöglichen, gibt es seit einigen Jahren in Wien beispielsweise eine Regelung, gemäß der entgegen der früheren Verpflichtung der Sozialarbeiter und Sozialarbeiterinnen – die meist im öffentlichen Dienst stehen –, auf jeden Fall eine Anzeige zu erstatten, auf eine Anzeige verzichtet werden kann. Dafür wurde mit der Neuregelung der Anzeigepflicht in der Strafprozeßordnung – § 84 – gesorgt, die auf Initiative der Stadt Wien erfolgt war. Sozialarbeiter müssen solche Vergehen nicht mehr zur Anzeige bringen, außer die Eltern zeigen keinerlei Bereitschaft, eine therapeutische Hilfe oder ein sozialarbeiterisches Betreuungsangebot anzunehmen. Diese Regelung gilt nicht für Verbrechen, das heißt für vorsätzliche Handlungen, die mit mehr als drei Jahren Freiheitsstrafe bedroht sind. Helfen statt Strafen war immer schon die Maxime der Familienarbeit. Vertrauen und Kooperation haben dabei Vorrang, denn nur unter diesen Voraussetzungen kann allen Beteiligten wirklich geholfen werden.

Eine Reihe von Einrichtungen auf Länder- und auch auf Bundesebene beschäftigen sich im besonderen mit dem Problem der Kindesmißhandlung. In Wien beispielsweise befassen sich die Sozialarbeiter des Amtes für Jugend und Familie mit jedem Fall einer Kindesmißhandlung, der gemeldet wird, soweit es möglich ist, durch helfende Intervention innerhalb der Familie und durch Einleitung begleitender Betreuungsmaßnahmen, wenn es zum Schutz des Kindes aber nötig ist, auch durch Herausnahme des Kindes aus der Familie und anderweitige Unterbringung und Betreuung des Kindes.

Angesichts der Dunkelziffer muß festgehalten werden, daß viele Mißhandlungsfälle nicht zur Meldung gelangen, sehr viele Fälle und Formen von Mißhandlung leider unentdeckt bleiben. Gewalt gegen Frauen ist ein Problem, das in jeder historischen Epoche existierte. Bis in unser


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