Bundesrat Stenographisches Protokoll 619. Sitzung / Seite 123

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legungen anstellen: Was geschieht nach dem 14. Lebensjahr? Wie gehen wir mit Behinderten, mit Kindern beziehungsweise jungen Menschen, die Entwicklungsrückstände haben, um?

Der Schule –das sage ich als Sozialdemokrat – wird oft nachgesagt, sie sei konservativ. Das ist sie natürlich auch, und sie muß es meiner Meinung nach manchmal auch sein. Wir haben ja die Aufgabe, Kulturgut zu bewahren und Kulturgut weiterzugeben. Lehrerinnen und Lehrer sind aber auch – und das wird oft übersehen – sehr empfindsam. Wer Lehrer wird, der braucht diese Empfindsamkeit, für welche Pädagogen allerdings oft auch an den Pranger gestellt werden, für die Sorgen und Nöte der ihm anvertrauten Kinder.

Die Schule ist – das habe ich eingangs schon erwähnt – in unseren Tagen und unter den herrschenden Umständen meiner Meinung nach die einzige Institution, in der Integration einigermaßen funktioniert. Sie nimmt damit einen gesellschaftlichen Auftrag wahr. Lehrerinnen und Lehrer engagieren sich aber auch darüber hinaus individuell, sie erkennen in jedem Kind die einmalige Persönlichkeit. Oft geschieht es nicht einmal bewußt, oft geschieht es vielleicht auch etwas verzweifelt, aber oft auch mit Bewunderung. Wenn man bis zum Grund vordringt, dann entdeckt man in dieser Haltung der Lehrer vor allem die Achtung vor der anderen Persönlichkeit.

Pädagogen sind sehr oft bereit, wesentlich mehr zu tun, als das Gesetz ihnen vorschreibt. Trotzdem handeln sie im Auftrag der Gesellschaft. Daher betone ich: Diese Gesellschaft – das hat auch Kollege Meier sehr deutlich ausgeführt – ist es dem Lehrpersonal schuldig, ihm die Mittel zur Verfügung zu stellen, damit es diesen Auftrag auch erfüllen kann.

Als mit der Flüchtlingswelle aus dem Kriegsgebiet des ehemaligen Jugoslawiens eine große Anzahl von Kindern mit nichtdeutscher Muttersprache nach Österreich kam und zu betreuen war, gelang dies ganz ausgezeichnet – trotz vieler Unkenrufe. Es wurden aber auch alle Maßnahmen ergriffen, die dazu beitragen konnten: Es gab Fortbildungsveranstaltungen, es wurden verschiedene Formen der Organisation gefunden, es gab meiner Meinung nach eine optimale Förderung.

Diesmal geht es um die Integration von Kindern, die uns ebenfalls fremd sind, und zwar nicht wegen ihrer Sprache, sondern wegen ihrer Behinderung und ihrer Entwicklungsdefizite. Es muß uns bewußt sein, daß es Entwicklungsdefizite gibt, die wir in der Schule nicht beheben können. An diesen Entwicklungsdefiziten und Behinderungen können wir Lehrer bisweilen auch fast verzweifeln. Bisher sind diese Kinder in Sonderschulen – und das betone ich – gut aufgehoben gewesen. Unser Sonderschulwesen ist mustergültig ausgebaut. Die Kinder wurden gut betreut. Aber wir müssen uns doch fragen: War diese Sonderschule nicht irgendwie quasi ein Glassturz, der mit der Realität sehr wenig zu tun hat? War sie nicht – ich weiß, wovon ich spreche, denn ich habe selbst zwei Jahre in einer Sonderschule unterrichtet – irgendwie abgehoben? War sie nicht ein – unter Anführungszeichen – "zu geschützter Bereich"? War sie nicht vielleicht doch zu weltfremd? Konnte – das formuliere ich jetzt als Frage – unsere Sonderschule das normale Umfeld, das normale Leben ersetzen? – Ich glaube, daß sie das nicht konnte! Daher setze ich sehr große Hoffnungen in die Integration. Denn nun können Kinder unterschiedlicher Entwicklung gemeinsam unterrichtet werden. Und es werden vor allem auch die Nichtbehinderten daraus Vorteile ziehen, denn sie werden lernen, wie man miteinander ohne Ängste umgeht.

Ich bin überzeugt, daß die österreichische Lehrerschaft ihr Bestes geben und die Integration zustande bringen wird. Trotzdem bleibt die kritische Frage – die nicht direkt an Sie, Frau Bundesminister, gerichtet ist –: Was geschieht nach der Pflichtschule? Sollten wir nicht rechtzeitig auch diesbezüglich Überlegungen anstellen?

Noch eine Anmerkung: Es gibt natürlich auch Lehrer, die der Integration sehr skeptisch gegenüberstehen beziehungsweise diese ablehnen. Machen wir aber deshalb bitte nicht den Fehler, diese Lehrer als schlechte oder als wenig engagierte Lehrer zu empfinden und zu bezeichnen!

Hohes Haus! Es stimmt, was Frau Bundesministerin Gehrer in einer Presseaussendung sagt: Unsere Integrationsbestimmungen sind einmalig in Europa. Ich merke aber auch an, daß die Integrationsbestimmungen zu sehr auf den städtischen Bereich abgestellt sind. In diesem Punkt bin ich der gleichen Meinung wie Kollege Meier. Wenn ich mir die zukünftige Praxis vorstelle,


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