Bundesrat Stenographisches Protokoll 626. Sitzung / Seite 94

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physisch begründetes Normen- und Wertegeflecht, entartet die Gemeinschaft – sowohl unsere, der Staat, als auch die europäische – zu einem Schlachtfeld widerstreitender Gruppen und Einzelegoismen oder zum Friedhof einer Diktatur.

Meine Damen und Herren! Ich stelle mich nicht hierher, um zuerst Kritik zu üben und dann zuzustimmen. Diesen Weg zur Diktatur werden wir Freiheitlichen nicht mitbeschreiten! (Beifall bei den Freiheitlichen.)

15.28

Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Als nächster zu Wort gemeldet ist der Herr Bundesminister. – Bitte.

15.28

Bundesminister für wirtschaftliche Angelegenheiten Dr. Hannes Farnleitner: Frau Präsidentin! Hoher Bundesrat! Zum letzten Redner möchte ich sagen, daß ich aus der Wiedner Hauptstraße "auswaggoniert" wurde, weil ich anderswo zu arbeiten habe. Ich kenne die Umgebung noch, und vielleicht sollten wir die Lage gemeinsam analysieren, Herr Gudenus!

Wahr ist, daß uns auf der Wiedner Hauptstraße die Konsumenten abhanden kommen. Ein kleiner Papierhändler aus der Wiedner Hauptstraße sagte mir: Was mich umbringt, ist, daß die Kunden zu mir kommen und fragen, ob ich das, was sie in Ungarn nicht bekommen haben, anzubieten hätte.

Wir sollten uns bewußt werden, daß viele der Klein- und Kleinstbetriebe zugrunde gehen, weil ihnen die Konsumenten abhanden kommen. Ich hasse die Wiener Mentalität dann, wenn sie – das habe ich zu oft miterlebt – einen Nahversorger erst zu lieben beginnt, nachdem in der "Wiener Zeitung" sein Nachruf erschienen ist. Man sollte zu Lebzeiten bei ihm kaufen und ihn rechtzeitig schätzen! (Allgemeiner Beifall.)

Wenn wir nicht eine Allianz zwischen dem Konsumenten und seinem kleinen Versorger zustande bringen, wird nichts helfen. Einen Steuerfreibetrag für keinen Umsatz haben wir in der Finanzwissenschaft noch nicht erfunden. Viele Unternehmer in der Wiedner Hauptstraße – und in vielen anderen Straßen – leiden unter einem unglaublichen Verdrängungswettbewerb zwischen Großformen und Einzelformen des Handels, aber sie leiden auch unter einem Syndrom, unter dem noch jeder wirtschaftlich entwickelte Staat gelitten hat: Je größer die Zahl der kaufkräftigen Konsumenten ist, desto kleiner ist die Zahl der kleinräumigen Verkaufsflächen. Sie können das am Beispiel jeden Staates mit entwickelter Wirtschaft überprüfen. Heute begeben sich die Kleinbetriebe immer öfter in die verschiedenen Bereiche der Dienstleistung. Daß wir dort zu lange überreguliert haben, gebe ich gerne zu.

Etwas möchte ich zum Beispiel des Bill Gates sagen, weniger, weil ich ihn auch kenne, sondern deshalb, weil er immer wieder als Beispiel genannt wird. Bill Gates wäre es in Österreich so ergangen, wie es jetzt Philips ergeht. In einem 8-Millionen-Wirtschaftmarkt kann keine Software entwickelt werden. Es kommt uns ein Software-Haus nach dem anderen abhanden, wenn es keine internationalen Märkte hat. Kürzlich hat der Generaldirektor von Philips vor dem Rat der Industrieminister erklärt, daß Philips gezwungen ist, mit allen neuen Produkten nach Amerika zu gehen, weil dort nur eine Zulassung und eine Sprache für einen Markt von über 250 Millionen Menschen erforderlich sind; überdies ist die Sprache weltweit verbreitet, wogegen es in Europa 13 oder 14 Sprachen gibt, was zu immer wieder unterschiedlichen Programmversionen führt.

Erlauben Sie mir, zu einem anderen Teil meines Beitrages zu kommen. Viele kleine Unternehmen haben in Österreich noch nie solche Chancen wie jetzt gehabt, wenn sie bereit sind, sie wahrzunehmen, und wenn wir sie diese Chancen auch wahrnehmen lassen. Daher sage ich immer wieder, gleichsam als Festpredigt, im Hohen Haus: Mir wäre lieber, wir würden die Leute arbeiten lassen, statt genehmigen zu wollen. – Auf diesen Punkt werde ich später noch zurückkommen.

Es hat für Österreichs Unternehmer – das zeigt sich, wenn ungefähr 100 Jahre zurück ein historischer Vergleich angestellt wird – insgesamt noch nie so günstige Rahmenbedingungen


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