Bundesrat Stenographisches Protokoll 629. Sitzung / Seite 110

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Ob der Rechtsstaat funktioniert, hängt von einer weiteren wesentlichen Voraussetzung ab, nämlich einer vernünftigen Verteilung der Aufgaben und Kompetenzen zwischen Bund, Ländern und Gemeinden. Daß diese Voraussetzung in der bisherigen und derzeitigen Ausgestaltung des Bundesstaates Österreich keineswegs gegeben ist, ist eine Tatsache, die von niemandem ernsthaft bestritten wird. Einer der führenden Experten in Sachen Föderalismusfragen, Professor Pernthaler von der Universität Innsbruck, hat dazu folgendes ausgeführt: Die österreichische Kompetenzordnung hat ein Maß an Systemlosigkeit, Zersplitterung, Verflechtungen und Unschärfe der Kompetenztatbestände erreicht, das nur mehr wenigen Experten durchschaubar, in der Anwendung höchst unsicher und dem Bürger schlechterdings unverständlich ist.

Am 8. Oktober 1992 haben der Bund und die Länder eine politische Vereinbarung zur Erneuerung des Bundesstaates beschlossen, das heute schon mehrfach zitierte sogenannte "Perchtoldsdorfer Paktum". Eine Verbesserung der Kompetenzverteilung, die eindeutige Zuordnung der Querschnittsmaterien, verstärkte Mitwirkungsmöglichkeiten der Länder an der Rechtsetzung der EU, Verwaltungsgerichtshöfe auf Länderebene, die Reform der Finanzverfassung und – für uns von besonderer Bedeutung – die Reform des Bundesrates hatte man sich damals vorgenommen. In diesem Paktum heißt es wörtlich:

Die genannten bundesverfassungsgesetzlichen Maßnahmen sollen bis längstens zur Volksabstimmung über die bundesverfassungsgesetzliche Ermächtigung zum EG-Beitritt als beschlußreife Regierungsvorlage textlich fixiert und spätestens in der aus Anlaß des EG-Beitritts erforderlichen Novelle zum B-VG beschlossen werden. – Eine Reihe von Landtagen haben damals sogar Beschlüsse darüber gefaßt, daß die Bundesräte ihre Zustimmung zum EU-Beitritt so lange verweigern sollten, bis die Bundesstaatsreform beschlossen wäre.

In Beantwortung einer dringlichen Anfrage der freiheitlichen Fraktion vom 13. April 1994 hat der damals zuständige Staatssekretär Peter Kostelka hier in diesem Hause erklärt, daß dieser Zeitplan eingehalten und die Bundesstaatsreform jedenfalls noch in der laufenden Gesetzgebungsperiode abgeschlossen werde. Kostelka sagte damals wörtlich: Es bleibt nur festzustellen, daß zum Zeitpunkt des österreichischen Beitritts zur Europäischen Union auch die Bundesstaatsreform aller Voraussicht nach verabschiedet sein wird.

Meine Damen und Herren! Sie alle wissen, was aus diesem Versprechen geworden ist. Ich möchte deshalb weiters an die Debatte vom 13. Juli 1994 erinnern, in der sich der Vizepräsident der sozialistischen Fraktion, Walter Strutzenberger, in seiner Rede insbesondere auch mit der Frage der Bundesratsreform auseinandersetzte. Er sprach sich dafür aus, im Bundesrat selbst Reformvorschläge zu erarbeiten, die im Herbst 1994 zusammen mit der Bundesstaatsreform beschlossen werden sollten. Aber das Ergebnis dieser Bemühungen ist schlicht und einfach beschämend, meine Damen und Herren!

Nach verschiedenen Verzögerungsversuchen in den letzten zwei Jahren kam es zu Beginn dieses Jahres zur Einsetzung einer interfraktionellen Arbeitsgruppe, die ein halbes Jahr tagte und schließlich von Kollegen Kone#ny von der sozialistischen Fraktion ohne Angabe von Gründen aufgelöst wurde. Damit ist klargeworden, daß mit dieser Arbeitsgruppe von Anfang an nichts anderes als eine Hinhaltetaktik bezweckt war. Nicht einmal zur Umsetzung jener Punkte, über die es bereits einen Konsens aller drei Parteien gab, war man bereit. Die SPÖ ging sogar hinter das Ergebnis zurück, das seinerzeit schon mit Walter Strutzenberger vereinbart worden war. Die unverblümte Erklärung von Ihnen, Herr Kollege Kone#ny, lautete: Tatsache ist, daß im Koordinierungsausschuß der Koalition dazu ein klares Nein gesagt wurde.

Das sagt sehr viel über das Selbstwertgefühl aus, das Sie diesem Hause zubilligen, und auch über Ihr Selbstverständnis als freier Mandatar und freie Mandatarin, meine Damen und Herren von der SPÖ! Ich bin daher Herrn Präsidenten Hummer sowie Frau Kollegin Kainz sehr dankbar für die offenen Worte, die sie heute hier gefunden haben. Doch möchte ich in dieser Sache hinzufügen, daß Sie letztendlich nicht an dem gemessen werden, was Sie erreichen wollen, sondern an dem, was Sie tatsächlich umsetzen werden.


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