Bundesrat Stenographisches Protokoll 629. Sitzung / Seite 121

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Rucksack von Ballast befreien kann, den wir alle auf Bundes- und auf Landesebene in unterschiedlicher Weise mitschleppen, weil auch der Umfang der Zuständigkeiten unterschiedlich ist, wie wir also mit der Rechtsbereinigung umgehen. Dabei möchte ich darauf verweisen, daß man diesen Problembereich nur im Zusammenhang mit einer Zuständigkeitsbereinigung sehen kann, und zwar nicht nur zwischen Bund, Ländern und Gemeinden, sondern auch innerhalb des Bundes selbst. Das beginnt etwa bei der Frage, ob es tatsächlich immer notwendig ist, daß zwei, drei oder – wie es in Einzelfällen auch vorkommt – vier Ministerien gleichzeitig mit einer Angelegenheit befaßt werden. Wenn wir hier alle Gesetzesbeschlüsse Revue passieren lassen, die wir fassen, dann können wir feststellen, daß es nur wenige gibt, die eine Aufgabe einem Ministerium allein zuordnen. – Darin ist schon einmal eine wesentliche Ursache für unnötigen Verwaltungsaufwand und Unklarheiten zu suchen!

Die Rechtsbereinigung ist weniger eine Herausforderung an legistisches Handwerk – obwohl das natürlich auch diesbezüglich ein sehr komplexes Vorhaben ist –, sondern letztlich doch eine Herausforderung im Hinblick auf die politische Verantwortung: Rechtsbereinigung und Zuständigkeitsbereinigung muß man politisch wollen.

Zu diesem Wollen müssen wir auch kritisch anmerken, daß der Gesetzgeber, in erster Linie natürlich der Auslöser, der Nationalrat, von einem Extrem ins andere fällt. In dem Fall, den ich schildern werde, möchte ich keine Kritik an die Adresse der Bundesregierung richten, die diesfalls gar nichts dafür kann.

Auf der einen Seite werden verschiedene Regierungsvorlagen und Initiativanträge mit einem mehr oder minder weit gefaßten sachlichen Zusammenhang im jeweiligen Nationalratsausschuß zu einer Sammelnovelle zusammengefügt. Das ist in den legistischen Richtlinien des Bundes zu Recht verpönt. – Das ist das eine Extrem, das für den Rechtsanwender nicht sonderlich befriedigend ist.

Es kommt aber noch ärger: Wir fallen nämlich gleichzeitig auch ins andere Extrem. – So haben wir heute unter Tagesordnungspunkt 6 eine Änderung des Beamten-Dienstrechtsgesetzes und gleichzeitig unter Punkt 15 eine weitere Änderung des Beamten-Dienstrechtsgesetzes beschlossen. Getrennt davon beschließen wir unter Tagesordnungspunkt 11 eine Änderung des Kraftfahrgesetzes und unter Tagesordnungspunkt 13 ebenfalls eine Änderung des Kraftfahrgesetzes. Vor nicht allzu langer Zeit hatten wir dieselbe Situation mit zwei gleichzeitigen Beschlüssen zu zwei unterschiedlichen Novellen zum Wasserrechtsgesetz. Das führt dann dazu, daß der staunende Leser des Bundesgesetzblattes in ein und derselben Ausgabe zwei verschiedene Novellen ein und desselben Gesetzes findet. Und das ließe sich mit etwas mehr Sorgfalt bei der Ausarbeitung der Ausschußberichte und des Gesetzgebungsvorhabens im Nationalrat leicht vermeiden! Das sind natürlich teilweise auch Beispiele dafür, daß die Klarheit, die Beständigkeit, die Verläßlichkeit der Gesetzgebung häufig anderen, individuellen Interessen geopfert werden. Es gibt viele Interessenvertreter in den parlamentarischen Körperschaften für alle möglichen Lebensbereiche, aber wenige, die tatsächlich mit Entschlossenheit für eine verständliche, nachvollziehbare, leicht vollziehbare Gesetzessprache und entsprechende Inhalte, die natürlich Voraussetzung für die Verständlichkeit sind, Partei ergreifen.

Das führt zu der Frage: Welchen Stellenwert hat das Verfassungsrecht bei uns? – Der Zustand unseres Verfassungsrechts ist in der wissenschaftlichen Literatur und auch in der politischen Diskussion schon hinreichend beschrieben worden. Das Grundübel liegt ohne Zweifel darin, daß es bei uns außerordentlich leicht ist, Verfassungsrecht außerhalb der Verfassungsurkunde zu schaffen, und das in einem ganz beachtlichen Ausmaß. In der Anfragebeantwortung wurde das bereits ausgeleuchtet.

Österreich ist ein Rechtsstaat, der von den Gepflogenheiten anderer Rechtsstaaten in sehr gravierender Weise abweicht. In anderen Staaten ist es so gut wie unmöglich, außerhalb der Verfassungsurkunde Verfassungsrecht zu schaffen. In der Schweiz bedarf jede Änderung der Verfassung sogar einer Volksabstimmung; das zeigt, welcher Stellenwert dort der Beständigkeit zugemessen wird. Im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland sind sogar unabänderbare


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