Bundesrat Stenographisches Protokoll 629. Sitzung / Seite 125

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schränkungen – ich habe sie informell gesehen –, denen ich in der Sache gar nicht zustimmen kann. Ich verstehe es aber; es ist auch ein Notschrei des Obersten Gerichtshofes.

Zurück zur Gesetzesflut. – Es ist bezeichnend, wenn der ehemalige Abgeordnete, Vorsitzende des Justizausschusses im Nationalrat und renommierte Rechtsanwalt Dr. Michael Graff, im Zuge des Hearings vor dem Bundesrat an dieser Stelle am 14. Jänner 1997 nach Konstatierung der trivialen Tatsache, daß das Bundesgesetz rund 6 000 Seiten pro Jahr umfasse – das ist sogar zu tief gegriffen –, ganz offen wörtlich folgendes einbekannt hat: "Das ist unzumutbar. Das kann auch der Fachmann nicht mehr beherrschen. Ich", so Graff, "habe mich bis vor ein paar Jahren bemüht, auf den Rechtsgebieten, die ich Ihnen vorher genannt habe, auf dem laufenden zu bleiben. Für die letzte Periode ist mir das nicht mehr gelungen." – Soweit Graff.

Mit der exzessiven Gesetzesproduktion geht zwangsläufig auch das laufende Sinken der Qualität der erlassenen Vorschriften und Normen einher. In diesem Zusammenhang ist an das berühmte Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes zu erinnern, in dem er sinngemäß ausführt, daß er selbst wie auch der Rechtsunterworfene nicht dazu verhalten sei, Denksportaufgaben zu lösen, die ihm der Gesetzgeber durch seine immer komplizierter werdenden Formulierungen stellt.

Ganz ähnlich forderte jüngst auch der Zweite Nationalratspräsident, Dr. Heinrich Neisser, eine grundlegende Strukturreform des Rechtsstaates und der Demokratie. Es gelte, die Grundlagen dafür zu schaffen, daß der Verfassungsgerichtshof im vernünftigen Maße befaßt wird und der Verwaltungsgerichtshof seinen Verpflichtungen gerecht werden kann. Durch die übertriebene Regulierungsintensität werde der Rechtsstaat auf den Kopf gestellt, so Neisser wörtlich. Der Bürger reagiere darauf mit Gesetzesverdrossenheit, Verweigerung und auch ungewolltem Rechtsbruch. Zugleich darf man sich dann nicht wundern, wenn die dadurch bewirkte Rechtsunsicherheit und Desorientierung zur vollen Ausschöpfung des Rechtszuges führt. Die offenen Rückstände der beiden Höchstgerichte des öffentlichen Rechts von je über 13 000 Fällen, wie wir heute mehrfach gehört haben, sind die untragbare Konsequenz der Beschwerdeflut.

Diese faktische Lahmlegung markiert eine Krise des Rechtsstaates. Es ist für mich unfaßbar, daß der Bundesregierung und der sie tragenden Mehrheit im Parlament dazu nicht mehr einfällt als die von mir heute bereits kritisierte Eingabengebühr.

Meine Damen und Herren von den Koalitionsparteien! Halten Sie ein mit der Gesetzesflut, und beseitigen Sie die ungeheure Kompetenzzersplitterung! Und vor allem: Machen Sie aus dem Gesetz wieder, was es seinem Wesen, seiner Entstehung nach sein soll und längst nicht mehr ist, nämlich eine allgemeine, gleiche Regelung für die wirklich ordnungsbedürftigen Lebensverhältnisse der Bürger, und keinesfalls eine rein tagespolitisch motivierte Verwaltungsmaßregel. (Beifall bei den Freiheitlichen.) Erst dann kämen wir auch wieder von unserer De-facto-Regierungsgesetzgebung weg und fänden zu substantieller Rechtsschöpfung im Parlament zurück, also der Stätte, die als gesetzgebende Körperschaft dazu primär berufen ist.

Vom geradezu inflationären Umgang mit dem Verfassungsrecht selbst will ich erst gar nicht reden. Das hat dankenswerterweise Herr Präsident Weiss heute schon deutlich angeführt. Die von ihm verwendeten Begriffe wie "Verfassungshygiene" oder "Inkorporationsgebot" entsprechen Forderungen, die wir seit Jahren erheben.

Ich kann daher nur an Sie appellieren, agieren und reformieren Sie endlich, weil Sie sonst den Rechtsstaat und seine Funktionsfähigkeit grundlegend gefährden und zugleich die Akzeptanz unseres politischen Systems durch den Bürger aufs Spiel setzen.

Herr Staatssekretär! Nehmen auch Sie die alarmierende Situation ernst, auf die wir Sie mit unserer heutigen dringlichen Anfrage hinweisen wollten. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

17.31

Präsident Dr. Günther Hummer: Zu Wort gemeldet hat sich Herr Bundesrat Mag. John Gudenus. – Bitte.


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