Bundesrat Stenographisches Protokoll 634. Sitzung / Seite 43

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Zusammenfassend möchte ich sagen: Der Weg ist an und für sich richtig, aber die Bedenken, die sich noch dagegen erheben, sind für mich persönlich doch sehr gewichtig. Ich komme jetzt zu diesem Bereich der Kritikpunkte und darf unter anderem aus einem Schriftsatz, einer Feststellung des Bundeskanzleramtes – des Verfassungsdienstes – an das Bundesministerium für Unterricht und kulturelle Angelegenheiten zitieren.

Zunächst wird der Titel kritisiert, das ist noch weniger wichtig. Aber zum Beispiel heißt es im § 9 – ich zitiere –: Der Entwurf sieht eine Mindestanzahl – ich habe das vorhin bereits bemerkt –von mindestens zwei vT der Bevölkerung Österreichs nach der letzten Volkszählung – das wären ungefähr 14 000 Mitglieder – vor. Zwar muß nach Artikel 9 der Europäischen Menschenrechtskonvention die Religion identifizierbar sein – die Europäische Menschenrechtskommission hat auch festgestellt, daß das natürlich eine gewisse Mitgliederanzahl miteinschließt –, jedoch erscheint diese erhebliche quantitative Barriere im Hinblick darauf, daß auch einige anerkannte Religionsgemeinschaften deutlich geringere Mitgliederzahlen aufweisen, als sachlich nicht gerechtfertigt. – Ende des Zitats.

Das ist ein sehr gravierender Vorwurf, weil er nicht nur vom Verfassungsdienst des Bundeskanzleramtes kommt, sondern auch von der Europäischen Menschenrechtskonvention unterstützt wird. Eine diesbezügliche Modifizierung und genauere Determinierung wäre vonnöten. Da der Zugang zum Anerkennungsverfahren von eminenter Bedeutung ist, wäre zu erwägen, ob dieses Gesetz nicht überhaupt neu erlassen werden sollte. Andererseits läge dann eine Lex imperfecta oder, exakter ausgedrückt, eine Lex fugitiva vor, da die gegenständliche Novelle zum Anerkennungsgesetz im Titel des vorliegenden Gesetzentwurfes nicht deklariert ist.

Noch ein anderer, sehr gravierender Bereich ist dieser Vorlage anzulasten. Dies ist im § 10 nachzulesen. Diese Bestimmung sieht vor, daß der vorliegende Gesetzentwurf auf laufende Verfahren Anwendung findet. Zwar sieht die Bundesverfassung kein allgemeines Verbot rückwirkender Gesetze vor, das heißt, solcher Gesetze, die an Sachverhalte anknüpfen, die sich vor Erlassung der Gesetze ereignet haben, jedoch besteht – abgesehen von Artikel 7 der Europäischen Menschenrechtskonvention; ich habe sie angeführt, zwar nicht genau zitiert, aber erläutert – auch hiefür die Schranke des Gleichheitsgrundsatzes. In besonderen Fällen kann nämlich die Rückwirkung eines Gesetzes wegen der damit verbundenen vertrauensverletzenden Wirkung gleichheitswidrig sein.

Im gegebenen Fall würde diese Bestimmung in laufende Verfahren eingreifen, und das ist das Problem. Diese laufenden Verfahren gehen in die Vergangenheit und die diesbezüglichen Anträge auf Anerkennung von Religionsgemeinschaften ex lege in eine Anzeige, wenn ich dies genau gemäß § 3 des Entwurfes umdeute.

Da mit der Anerkennung von Religionsgemeinschaften nach dem Gesetz über die Anerkennung von Religionsgesellschaften eine rechtliche Besserstellung verbunden wäre, würde dieser rückwirkende Eingriff des § 10 des Entwurfes in die laufenden Verfahren die Rechtsposition der jeweiligen Antragsteller verschlechtern. Ein solches Vorgehen würde somit die Normadressaten in ihrem berechtigten Vertrauen auf die Rechtsordnung und Rechtslage enttäuschen, was im Lichte der entwickelten Judikatur des Vertrauensschutzes – dies ist im Steuerrecht entwickelt worden – problematisch wäre und unserer Meinung nach auch problematisch ist. – Das ist einer der Kritikpunkte.

Unserer Meinung nach wäre eine Novelle zum Anerkennungsgesetz sinnvoller.

Die zahlenmäßige Feststellung habe ich schon erläutert. Ich sehe diese Barriere an und für sich in dieser Form nicht ein.

Es erhebt sich auch eine weitere Frage: Wie kann eine positive Grundeinstellung gegenüber Staat und Gesellschaft gemessen werden? Welche Werte setzen wir hier an? – Das wird nicht ausgesprochen. Oder: Wie kann eine gesetzwidrige Störung zu den bestehenden Kirchen und Religionsgemeinschaften gemessen werden? Wird der Staat zum Richter über die Religionsgemeinschaften aufgerufen? – Das möchte ich nicht. Das steht uns auch, wie ich meine, nicht zu.


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