Bundesrat Stenographisches Protokoll 634. Sitzung / Seite 65

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Ebenso geht auch die Heilung der internationalen Unzuständigkeit durch die rügelose Streiteinlassung des Beklagten zu weit. Nach dem Luganer Übereinkommen, das angeblich als Vorbild diente, kommt gemäß Artikel 18 eine solche Heilung bereits dann nicht mehr in Betracht, wenn dadurch eine ausschließliche internationale Zuständigkeit gemäß Artikel 16, zum Beispiel der Gerichtsstand der gelegenen Sache für dingliche Rechtsstreitigkeiten um unbewegliches Gut, überspielt werden würde. Ferner wird auch dafür auf den Wohnsitz zumindest des Klägers, wenn nicht sogar des Beklagten, in einem Vertragsstaat abgestellt. Stets kommt es mit anderen Worten auf den Nahebezug zum Vertragsraum als einem quasi einheitlichen Jurisdiktionsbereich an. – Nicht so aber fortan für die weltweit uneingeschränkte Möglichkeit ausländischer Parteien, für ihren Rechtsstreit ein österreichisches Gericht zu vereinbaren. Welche Mehrbelastung das für österreichische Gerichte bringt, falls nicht zugleich eine Rechtswahl auch zugunsten des österreichischen materiellen Rechts erfolgt ist, überlasse ich Ihrem Vorstellungsvermögen.

Was im weiteren die Änderungen der Zivilprozeßordnung anlangt, hege ich ebenso gemischte Gefühle. Vielem ist auch hier zuzustimmen. So insbesondere den auf die tatsächlichen Bedürfnisse des einzelnen differenzierter Bedacht nehmenden Regelungen über die Verfahrenshilfe; aber auch den Möglichkeiten der amtswegigen Verfahrensbeschleunigung, obgleich gerade diese unter Berufung auf die sogenannte Parteienmaxime nicht im wünschenswerten Ausmaß ausgebaut werden konnten, weil sie im Justizausschuß unsachgemäß eingeschränkt worden sind.

Kritisch halte ich dagegen fest, daß die Interessen der Anwaltschaft bei der Wertgrenze, ab der die absolute Anwaltspflicht eingreift, einmal mehr zu stark berücksichtigt worden sind. Gewiß ist der bisher maßgebliche Betrag in Höhe von 30 000 S proportional korrekt auf 52 000 S valorisiert worden. Der Ausgangsbetrag war jedoch seit der Zivilverfahrens-Novelle 1983 eingefroren. Damals bildete er aber noch die Zuständigkeitsgrenze des Bezirksgerichtes! Mit anderen Worten, es galt bis 1983 vor den Bezirksgerichten überhaupt keine absolute Anwaltspflicht!

Ich verkenne dabei nicht, daß man durch die Anhebung der Bezirksgerichtsgrenze, das heißt durch die damit verbundene Verlagerung von Rechtssachen vom Gerichtshof erster Instanz, also von den Landesgerichten, zum Bezirksgericht, der Anwaltschaft nicht einen Teil der ihr vorbehaltenen Aufgaben entziehen wollte. Dennoch muß ich auf folgende, seither bestehende rechtspolitische Unlogik verweisen:

Anders als mit der relativen Anwaltspflicht, also mit dem anwaltlichen Vertretungsmonopol, das erkennbar standespolitische Interessen verfolgt, soll die absolute Anwaltspflicht doch primär dem Interesse der rechtsunkundigen und gerichtsunerfahrenen Parteien dienen. Wieso gilt sie dann aber für Zahlungsklagen bereits ab einem Klagsbetrag in Höhe von 52 000 S, auch wenn es sich dabei um die simpelste Darlehensklage handelt, nicht aber im Bereich der Eigenzuständigkeit, also für familienrechtliche Prozesse auf Feststellung der Vaterschaft, auf Unterhaltsgewährung, auf Ehescheidung und dergleichen und für wohnungsrechtliche Streitigkeiten, die im allgemeinen von weitaus elementarerer Bedeutung für die Beteiligten und vielfach auch rechtlich komplexer sind? – Endet hier plötzlich das Schutzbedürfnis der Parteien, oder sind dort bloß die Streitwerte für die Anwälte unter dieser Grenze betriebswirtschaftlich nicht interessant genug?

Aber um nicht allzu einseitig zu erscheinen: Nicht minder hat man fragwürdige Wünsche erfüllt, die die Richterschaft an das Bundesministerium herangetragen hat. Ich verweise diesbezüglich auf die künftig vorgesehene Möglichkeit, Beweisergebnisse aus Vorprozessen selbst dann zu verwerten, wenn nur eine oder sogar keine der beiden Parteien an diesem präjudiziellen Verfahren beteiligt war. Der hier vorgeschlagenen weiteren Aufweichung des gerade für das österreichische Zivilprozeßrecht und seine Reform um die Jahrhundertwende so prägenden Grundsatzes der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme ist entschieden entgegenzutreten. Mit jeder Novelle der letzten Jahre ist der Erosionsprozeß zum Abbau der Unmittelbarkeit noch weitergetrieben worden. Das jüngste Vorhaben stellt aber insofern einen negativen Qualitätssprung dar, als es diesmal auch noch mit einer Abschwächung der fundamentalen Verfahrensgarantie des rechtlichen Gehörs verbunden ist. War es doch bislang unbestritten, daß rechtliches Gehör von Amts wegen zu gewähren und nicht erst von den Parteien einzufordern ist!


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