Bundesrat Stenographisches Protokoll 636. Sitzung / Seite 114

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Belastung für das Opfer dar. Man sollte dafür Sorge tragen, daß die Prozesse, soweit dies möglich ist, innerhalb von sechs Monaten abgewickelt werden, damit die Opfer dann auch wirklich endlich zur Ruhe kommen können.

Ein weiterer wesentlicher Punkt ist die Frage, was man mit dem Täter tut, wenn ein solches Delikt zur Anzeige kommt, wenn Beweise dafür sprechen, daß ein solches Delikt vorliegt. Es steht dann wohl außer Frage, daß der Täter nicht im Familienverband verbleiben kann, nicht mit dem Opfer unter einem Dach wohnen kann. Ich glaube, es wäre wichtig, dazu überzugehen, nicht die Kinder aus ihrer Umgebung zu entfernen, sondern ein Wegweiserecht für den Mißbraucher zu schaffen. Das heißt, daß bei hinreichendem Verdacht der Täter umgehend aus der Familie zu entfernen und zum Schutz des Kindes in Untersuchungshaft zu nehmen ist. Die Herausnahme des Kindes sollte die allerletzte Möglichkeit sein und nur dann erfolgen, wenn der Verbleib des Kindes in der Familie weiteren Schaden für das Kind bedeuten würde.

Opfer brauchen Soforthilfe. Es ist wirklich beschämend, daß sich die öffentliche und politische Diskussion in Fragen der Therapie fast immer nur um die Therapie für den Täter dreht. Bevor über Therapieplätze für Täter nachgedacht wird, sollten einmal ausreichend Therapieplätze für Opfer bereitgestellt werden, denn nicht die Täter brauchen vorrangig unsere Hilfe, sondern die Opfer. (Beifall bei den Freiheitlichen.) Die Angehörigen sollten, soweit dies irgend möglich ist, in diese Therapie miteinbezogen werden, sofern sie und der Patient es wünschen.

Auch im Bereich des medialen Opferschutzes gibt es noch sehr viel zu tun. Um die Anonymität eines Opfers zu wahren, reicht es meines Erachtens nicht aus, nur den Familiennamen des Opfers in der Presse abzukürzen, wenn gleichzeitig das Familienleben, das gesamte soziale Umfeld und alle näheren Umstände im Detail dargestellt werden. Das mißbrauchte und mißhandelte Kind bedarf eines besonderen Schutzes, und hier seien auch die Medien aufgefordert, entsprechende Zurückhaltung zu üben – wie ich überhaupt die Frage der Selbstkontrolle der Medien in diesem Bereich einmal ansprechen möchte.

Das ist auch etwas, das immer wieder bei bestimmten Symposien diskutiert wird. Sie alle kennen diese Statistiken, wie lange schon Drei- bis Fünfjährige täglich vor dem Fernseher sitzen, nämlich eineinhalb Stunden. Dreizehnjährige bringen es bereits auf drei Stunden täglich. Bis zu 20 000 Morde sieht ein Kind heutzutage, bis es erwachsen ist. Und wie viele Sexfotos und Sexszenen ein Kind konsumiert hat, bevor es erwachsen ist, hat noch niemand berechnet. Ich glaube, daß da dringend Handlungsbedarf gegeben ist, daß sich die Medien einmal Gedanken über die Art der Darstellung solcher Fälle machen sollten.

Kinder haben – das möchte ich abschließend sagen – generell ein Recht auf Gesellschaftsschutz. Das klingt jetzt selbstverständlich. Und würde man den Verlautbarungen des Familienministeriums oder der Werbung in den verschiedenen Medien Glauben schenken, dann bekäme man den Eindruck, in unserer Gesellschaft würde sich alles um das Kind drehen. Die Wirklichkeit sieht aber leider Gottes anders aus. Immer mehr Kinder leben auch in unserem Land, in Österreich, unter der Armutsgrenze. Jedes zehnte Kind in Österreich lebt bereits von der Sozialhilfe. Drogenkonsum und Obdachlosigkeit von Kindern und Jugendlichen nehmen zu, ebenso wie Straftaten gegenüber Kindern in vielfältiger Form.

Kinder sind die schwächsten Glieder unserer Gesellschaft. Sie können sich nicht wehren, und sie haben keine pressure group. Im Jahr 1989 wurde die UNO-Resolution über die Rechte des Kindes verabschiedet, und es gibt keine andere internationale Initiative, die so schnell so viel Zustimmung von so vielen Staaten erhalten hat. Das Problem besteht nur darin, daß zwar alle diese Resolution unterzeichnet haben, aber die Umsetzung in die Gesetzespraxis der Unterzeichnerstaaten in vielen Bereichen sehr unzulänglich ist, so auch in Österreich.

Der zum ersten Mal so deutlich ausgesprochene Grundgedanke dieser Resolution war, daß die Rechte der Kinder Hand in Hand gehen mit der Anerkennung des Kindes als eigenständiges Individuum. Das war bis dahin keine Selbstverständlichkeit, denn Kinder wurden und werden heute noch oft als Objekte sozialer Gesinnung betrachtet und nicht als das, was sie selbstverständlich auch sind, nämlich Grundrechtsträger.


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