Bundesrat Stenographisches Protokoll 641. Sitzung / Seite 103

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Wir müssen zur Kenntnis nehmen, daß dieses Gesetzeswerk auf einem NATO-Statut aus dem Jahr 1951 basiert. Dies war gewissermaßen ein Besatzungsstatut zur Besetzung Deutschlands, aber auch zum Teil Italiens. Es stellt die Rechtsstellung der besetzenden Truppen dar. Dieses Statut enthält wesentliche Regelungen über Privilegien und Erleichterungen zugunsten von Streitkräften und zivilen Begleitpersonen – bestimmten Familienangehörigen – sowie Vorschriften über Schadenersatz und gegenseitigen Ersatzverzicht. Es ist dies deshalb interessant – das tritt bei diesem Gesetzeswerk deutlich heraus –, weil die Wertgrenzen, die in dem Gesetz angeführt sind – schauen Sie sich das auf Seite 19 der Beilage 943 an –, noch Währungsgrößenunterschiede aus dem Jahr 1951 wiedergeben. Wie wir Österreicher – wir kommen noch gar nicht darin vor – damit zurechtkommen, weiß ich nicht.

Tatsache ist, daß die Schadenshäufigkeit, um die es sich hiebei handelt, natürlich zu Lasten jener Länder ausgehen wird, die stärker von diesem Gesetz betroffen sein werden. Österreich als Staat im Zentrum Europas ist das Land – vielleicht ein paar andere Nachbarstaaten auch –, durch das sich diese NATO-Truppen, diese Truppen im wesentlichen durchbewegen werden und in dem sie sich aufhalten werden. Diese Regelung ist zum Nachteil jenes Landes, in dem sich das abspielt, auch wenn rein gesetzmäßig Reziprozität vorhanden ist.

Ich kann mir nicht vorstellen, daß viele der beteiligten Länder in großem Maße Übungen im Vereinigten Königreich und Nordirland abhalten werden. Nein, die Übungen werden natürlich – aus guten Gründen – in Österreich abgehalten werden, und daher ist eine solche Bestimmung, wenn sie auch juristisch einwandfrei ist, zum Nachteil jenes Landes, welches geographisch näher am Brennpunkt eines möglichen Geschehens situiert ist.

Zur Straf- und Disziplinarjurisdiktion: Es heißt: Der Empfängerstaat darf jede Zuwiderhandlung gegen sein Recht und die von ihm entsendeten Personen, die auf seinem Gebiet begangen werden, ahnden. Andererseits steht die Straf- und Disziplinarjurisdiktion dem Entsenderstaat zu.

In diesem Zusammenhang ist auch Artikel 84 der Bundesverfassung zu berücksichtigen. Da steht: Es sollte überdies die Ausübung von Militärgerichtsbarkeit in Österreich ausgeschlossen werden. – Wir müssen darauf achten, so weit wie möglich – was heißt "so weit wie möglich"?, wir müssen darauf achten! –, daß die österreichische Gesetzgebung nicht durch einen internationalen Vertrag weiter scheibchenweise in Frage gestellt wird. Es geht dabei nicht um die Gesetzgebung, sondern um die Souveränität dieses Staates. Ich habe den Eindruck, daß durch dieses Gesetz die Souveränität Österreichs wieder ein bißchen beschnitten wird. Das ist jetzt natürlich kein Vorwurf an die Militärs, sondern der Vorwurf an den Gesetzgeber, an jene, die diesen Vertrag ausgehandelt haben, daß die spezifisch österreichischen, die nationalen Interessen dieser Republik, für die wir hier sitzen, nicht gewahrt werden.

Die Problemfülle, die dieses Vertragswerk aufwirft, ist nicht zuletzt daraus erklärlich, daß Österreich keine Gelegenheit hatte, an der Formulierung des Vertragstextes entsprechend seiner Interessenlage mitzuwirken – so heißt es in einem Papier, welches den Personen, die uns dieses Vertragswerk vorlegen, durchaus bekannt ist.

Im Mai 1995 wurde ein österreichisches Einführungsdokument für die Partnerschaft für den Frieden beschlossen. In diesem steht ganz allgemein: Die nachstehenden Angaben gelten mit dem Vorbehalt, daß sie mit der österreichischen Verfassungslage und bestehenden völkerrechtlichen Verpflichtungen vereinbar sind. Die Realisierung einiger der genannten Vorhaben erfordert die Schaffung entsprechender rechtlicher Grundlagen und die Begleitregelung einschließlich der budgetären Vorsorge.

Zu dem, was wir heute beschließen, heißt es: Budgetäre Auswirkungen sind nicht oder kaum zu gewärtigen. Aber die anderen Verpflichtungen, die entsprechenden rechtlichen Grundlagen sind noch nicht vorhanden. Wir nehmen damit schon wieder etwas vorweg, tun so, als gäbe es das schon, hüpfen dann hinten nach und sind dadurch eigentlich schon verpflichtet, diese rechtlichen Grundlagen möglicherweise zu schaffen. Ich zweifle nur daran, daß sie unseren Interessenlagen entsprechen.


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